Zusammenfassung
Extrakorporale Stoßwellen werden definiert als eine Sequenz von akustischen Schallimpulsen, die einen charakteristisch schnellen Druckanstieg auf über 100 MPa mit Abfall auf Normaldruck in wenigen Mikrosekunden aufweisen. In den 1980er-Jahren wurde die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) erstmals zur Behandlung der Urolithiasis angewandt. Orthopäden setzten anschließend die extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) zur Behandlung von nicht heilenden Frakturen, Tendinopathien und Osteonekrose ein. Die erste Anwendung von ESWT in der Dermatologie erfolgte zur Behandlung des chronischen Ulcus cruris. Verschiedene Studien der letzten 10 Jahre zeigten, dass die ESWT die Angiogenese stimuliert und die Perfusion im ischämischen Gewebe verbessert, die Entzündungsreaktion mindert, die Zelldifferenzierung unterstützt und hiermit die Wundheilung deutlich verbessern kann. Wir setzten die ESWT erfolgreich zur Behandlung eines komplizierten chronischen venösen Ulcus cruris ein. Weiter konnten wir eine Verbesserung des lymphatischen Abflusses nach Applikation von ESWT beobachten. Die ESWT stellt somit eine nebenwirkungsarme und effiziente physikalische Therapiemodalität zur Behandlung von therapieresistenten chronischen Wunden dar.
Abstract
Extracorporeal shock waves are defined as a sequence of sonic pulses characterized by high peak pressure over 100 MPa, fast pressure rise, and short lifecycle. In the 1980s extracorporeal shock wave lithotripsy (ESWL) was first used for the treatment of urolithiasis. Orthopedic surgeons use extracorporeal shock wave therapy (ESWT) to treat non-union fractures, tendinopathies and osteonecrosis. The first application of ESWT in dermatology was for recalcitrant skin ulcers. Several studies in the last 10 years have shown that ESWT promotes angiogenesis, increases perfusion in ischemic tissues, decreases inflammation, enhances cell differentiation and accelerates wound healing. We successfully treated a non-healing chronic venous leg ulcer with ESWT. Furthermore we observed an improvement of the lymphatic drainage after application of ESWT. We are confident that ESWT is a non-invasive, practical, safe and efficient physical treatment modality for recalcitrant leg ulcers.
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Anamnese
Bei einer 56-jährigen Patientin besteht seit mindestens 6 Jahren ein Ulcus cruris am rechten Unterschenkel prätibial-lateral, für das mehrere Ätiologien identifiziert werden konnten. Duplexsonographisch wurde 2005 eine chronisch venöse Insuffizienz diagnostiziert und mittels Krossektomie und Stripping der V. saphena magna chirurgisch saniert. Zudem liegen ein ausgeprägtes Lipödem mit sekundärem Lymphödem und eine Adipositas per magna mit einem BMI von 60 kg/m2 vor. Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit wurde bei normwertigem Knöchel-Arm-Index (ABI) und Großzehendruck ausgeschlossen. Verschiedenste Therapien mittels regelmäßigem chirurgischem Wunddébridement, konsequenter Kompressionstherapie mit Kurzzugbinden und Zinkleimverbänden, Vakuumtherapie (VAC), einem breiten Spektrum von Wundauflagen (u. a. Alginat, Hydrokolloid) bis hin zur 2-maligen Applikation von Apligraf® konnten keine nachhaltige Heilung induzieren. Ein radikales Débridement des Ulkus wurde bei der adipösen Patientin als nicht indiziert betrachtet und von der Patientin auch nicht gewünscht. Die sonst gesunde Patientin ist schmerzfrei, trotz ihres Gewichtes mobil und nimmt keine Medikamente regelmäßig ein.
Hautbefund
Am rechten Unterschenkel zeigt sich ein von prätibial bis über die laterale Wade ziehendes, partiell fibrinbelegtes, nur gering granulierendes, stark fibrotisches Ulkus von 15 × 10 cm Durchmesser mit ausgeprägter perifokaler Rötung und Mazeration (Abb. 1). Die peripheren Pulse sind gut palpabel, Motorik und Sensibilität allseits intakt. Im Wundabstrich wurde lediglich Hautflora nachgewiesen. Histologisch wurde ein Malignom ausgeschlossen.
Therapie und Verlauf
Aufgrund der ausgeprägten Therapierefraktärität unter Ausschöpfung der konservativen und proliferationsstimulierenden Wundtherapien haben wir uns für eine adjuvante extrakorporale Stoßwellentherapie entschieden. Im Konsensus mit der Patientin haben wir parallel zur konventionellen Wundtherapie mit wiederholtem chirurgischem Débridement und Weiterführen der Kompressionstherapie mit Zinkleimverbänden eine lokale Behandlung mit extrakorporalen Stoßwellen (ESWT) durchgeführt. Nach der Reinigung des Ulkus wurde steriles Ultraschallgel aufgetragen und mit Polyurethanfolien abgedeckt. Anschließend wurde zur besseren Leitungsübertragung nochmals Ultraschallgel aufgetragen. Verwendet wurde das Gerät DUOLITH® SD1 (Storz Medical AG, Schweiz), das bereits in der Orthopädie zur Behandlung verschiedener Schmerzsyndrome (Tennisellbogen, Fersensporn, tendinöse Insertionsschmerzen) angewendet wird. Um eine signifikante Wirkung erzielen zu können, haben wir 2000 Pulse mit einer Energieflussdichte von 0,25 mJ/mm2 und einer Impulsfrequenz von 4 Hz angewendet. Bei einer Wundfläche von ca. 150 cm2 und Einbezug des Wundrandes wurde insgesamt eine Fläche von ca. 200 cm2 behandelt. Während der Therapie wurden keine Schmerzen beklagt. Anschließend wurde die Wunde wieder gesäubert, ein Hydrofiber-Wundverband (Aquacel®) und ein Zinkleimverband wurden angelegt. Die Stoßwellentherapie wurde im wöchentlichen Intervall durchgeführt. Bereits nach 5 Sitzungen konnten eine fortschreitende Wundgranulation und Reepithelialisierung vom Rand her beobachtet werden (Abb. 2). Nach insgesamt 30 Sitzungen kam es zu einer vollständigen Reepithelialisierung. Nach Sistieren der Therapie kam es im Verlauf nach wenigen Wochen jedoch wieder zu einem Rezidiv sowie einer zunehmenden Lymphstauung mit Bläschenbildung, ähnlich einer Lymphangioma cutis (Abb. 3). Nach erneuter ESWT unter Einbezug des proximalen Unterschenkels im Hinblick auf eine mögliche Verbesserung des Lymphabflusses kam es zu einer Regredienz der Lymphstauung, ein kleines 3 × 3 cm großes oberflächliches Ulkus persistierte jedoch. Bei deutlich reduzierter Wundfläche konnte eine chirurgische Deckung mittels Spalthaut das Ulkus definitiv schließen (Abb. 4).
Diskussion
Extrakorporale Stoßwellen werden definiert als eine Sequenz von akustischen Schallimpulsen, die einen charakteristisch schnellen Druckanstieg auf über 100 MPa mit Abfall auf Normaldruck in wenigen Mikrosekunden aufweisen. Drei unterschiedliche physikalische Prinzipien, das elektrohydraulische, das elektromagnetische und das piezoelektrische, können durch einen elektrischen Hochspannungsimpuls eine Druckwelle erzeugen, die gebündelt wird und als Stoßwelle weitergeleitet werden kann [1]. In der Urologie wird die extrakorporale Lithotrypsie (ESWL) bereits seit über 30 Jahren als nichtinvasive und sichere Therapie von Nierensteinen erfolgreich angewendet. Die mechanischen Stoßwellen durchdringen das menschliche Gewebe, ohne Schaden zuzufügen, und durch eine Fokussierung auf den Nierenstein kommt es zu einer lokalen Zertrümmerung [2]. In der Anwendung bei dermatologischen Erkrankungen wird der Fokus breiter angelegt, woraus eine niedrigere Energie resultiert und eine größere Fläche behandelt werden kann [5, 7]. Als Zufallsbefund wurde unter ESWL-Behandlungen eine Zunahme und Beschleunigung des Knochenwachstums beobachtet [3]. Die Hypothese, dass eine mechanische Stoßwelle in Körperzellen eine biologische Reaktion auslöst, konnte durch verschiedene Studien gestützt werden. Dieser Prozess, auch als biomechanische Transduktion bezeichnet, resultiert in verschiedenen günstigen Auswirkungen auf die Wundheilung [4].
Mehrere Fallstudien belegen die positive Auswirkung der extrakorporalen Stoßwellentherapie zur Behandlung von chronischen Wunden [1, 5, 6]. Schaden et al. [7] verzeichneten in einer prospektiven Studie an 208 Patienten mit komplizierten, nicht heilenden akuten oder chronischen Wunden unterschiedlicher Ätiologien in 75% eine vollständige Epithelialisierung durch ESWT (Ulkusgröße zwischen 4 und 16 cm2, Energie 0,1 mJ/mm2, 100 Pulse/cm2, 2 bis 4 Sitzungen im wöchentlichen Intervall). Venöse Ulzera wiesen dabei die geringste Ansprechrate auf. Kuo et al. [8] konnten in einem Rattenmodel eine verbesserte Wundheilung durch erhöhte Gewebeperfusion, Unterdrückung der lokalen Entzündungsreaktion, Aufregulation der Zellproliferation vor allem von Fibroblasten und Keratinozyten sowie eine Neoangiogenese durch erhöhte Expression von VEGF („vascular endothelial growth factor“) und eNOS (endotheliale Stickstoffmonooxidsynthetase) nachweisen. Diese Effekte sind auf eine Membranhyperpolarisierung, Aktivierung von RAS („rat sarcoma protein“, [9]) und erhöhte Ausschüttung von Wachstumshormonen, v. a. TGF-β1 („transforming growth factor-β1“) und VEGF zurückzuführen [10, 11]. Weiter wurde durch Serizawa et al. [12] eine Lymphangiogenese durch Aufregulation von VEGF und bFGF („basic fibroblast growth factor“) beschrieben. Im Tierversuch konnte eine Verbesserung eines sekundären Lymphödems nachgewiesen werden [13]. Bisher wurden keine Nebenwirkungen durch die ESWT beschrieben.
Bei unserer Patientin konnte durch die ESWT eine eindrückliche Induktion der Granulationsgewebebildung und Vaskularisierung beobachtet werden. Das Rezidiv des Ulcus cruris ist auf die persistierenden ulzerogenen Komorbiditäten, insbesondere die Lymphstase zurückzuführen. Die im Verlauf zunehmende lokale Lymphabflussstörung mit Ausbildung von kutanen Lymphfisteln konnte durch die ESWT deutlich verbessert werden, was die Hypothese einer Induktion der Lymphangiogenese unterstützt.
Fazit für die Praxis
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Nicht heilende chronische Wunden sind nach wie vor ein kostenintensives, herausforderndes und zum Teil frustrierendes medizinisches Problem.
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Durch Verbesserung der Wundgranulation und Vaskularisierung stellt die ESWT eine nebenwirkungsarme und effiziente physikalische Methode zur Behandlung von akuten und chronischen Problemwunden dar.
Literatur
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Serizawa F, Ito K, Matsubara M et al (2011) Extracorporeal shock wave therapy induces therapeutic lymphangiogenesis in a rat model of secondary lymphoedema. Eur J Vasc Endovasc Surg 42:254–260
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Stieger, M., Schmid, JP., Bajrami, S. et al. Extrakorporale Stoßwellentherapie eines komplizierten chronischen Ulcus cruris venosum. Hautarzt 64, 443–446 (2013). https://doi.org/10.1007/s00105-012-2527-4
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00105-012-2527-4