Einleitung

In Deutschland leiden derzeit ca. 6,7 Mio. Menschen an Diabetes mellitus (DM). Die jährliche Inzidenz liegt bei etwa 300.000 Patienten [1]. Häufig geht dabei die Diabeteserkrankung mit vaskulären Komplikationen einher. Unterschieden werden muss hierbei zwischen Mikro- und Makroangiopathie, wobei die letztgenannte im Sinne einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) zu werten ist. Damit verbunden ist das Vorliegen einer PAVK mit einem erhöhten Risiko für das diabetische Fußsyndrom (DFS) assoziiert (Hazard Ratio [HR]: 5,13; [17]). So erfolgen pro Jahr in Deutschland mehr als 40.000 diabetesbedingte Amputationen [6], welche einen Anteil von mehr als 70 % aller durchgeführten Amputationen darstellen [13, 22]. Dabei beträgt das kumulative 4‑Jahres-Überleben von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom und gleichzeitiger Amputation 57,4 % [12]. Die Prognose nach einer Major-Amputation ist demnach vergleichbar mit der maligner Erkrankungen [7]. Obwohl die Zahl der Major-Amputationen in den letzten Jahren gesenkt werden konnte, sind die der Minor-Amputationen jedoch weiter angestiegen [18, 19].

Die Versorgung von Diabetikern wurde anhand der bundesweiten DRG(„diagnosis-related groups“)-Statistik des Statistischen Bundesamts bereits beschrieben, allerdings auf einem national aggregierten Niveau und unter Einschluss aller Diabetespatienten, mit oder ohne begleitender PAVK [10, 12, 18].

Ziel dieser Studie war es deshalb, die unterschiedlichen Schweregrade der vaskulären Komplikationen und die zeitlichen Veränderungen der erfolgten Therapieoptionen bei Diabetikern mit vaskulären Komplikationen von 2005 bis 2014 in Deutschland darzustellen.

Methode

Mittels kontrollierter Datenfernverarbeitung (KDFV) wurden die Mikrodaten der DRG-Statistik des Statistischen Bundesamtes (StBA) von 2005 bis 2014 ausgewertet.

Bei dieser Studie handelt es sich um eine retrospektive Sekundärdatenanalyse mit Kohortendesign. Ein Studienprotokoll wurde dem StBA im Rahmen des Antragungsverfahrens vorgelegt, jedoch nicht separat publiziert.

Die vorliegende Analyse basiert auf fallbezogenen, zwischen 2005 und 2014 vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus an das StBA übermittelten Struktur- und Leistungsdaten der Krankenhäuser gemäß § 21 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG). Es handelt sich dabei um eine Vollerhebung. Grundgesamtheit sind alle Patienten, die vollstationär in einem Krankenhaus behandelt wurden, das nach DRG-Vergütungssystem abrechnet und dem § 1 KHEntgG unterliegt. Die räumliche Abdeckung erstreckt sich über das gesamte Bundesgebiet.

Die grundlegenden Methoden der KDFV der DRG-Statistik wurden bereits in früheren Studien verwendet und dort im Detail beschrieben [14,15,16].

Die Definition der zu analysierenden Fälle erfolgte in Anlehnung an die Arbeit von Malyar et al. [12], wurde allerdings mit zusätzlichen Diagnosen erweitert. Es wurden alle Fälle eingeschlossen, die in den Berichtsjahren 2005 bis 2014 als Haupt- oder Nebendiagnose (HD, ND) mit den ICD(International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems)-10-GM-Codes für PAVK der Stadien IIb bis IV nach Fontaine (I70.21 bis I70.24) und gleichzeitig vorliegendem DM mit peripheren vaskulären Komplikationen (E1*.5*) oder DM mit multiplen Komplikationen (E1*.7*) verschlüsselt wurden. Das Sternchen kennzeichnet hierbei, dass alle Diagnosen von E10 bis E14 (DM Typ 1, DM Typ 2, DM in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung, sonstiger näher bezeichneter DM, nicht näher bezeichneter DM) mit der Spezifikation auf periphere vaskuläre oder multiple Komplikationen aufgenommen wurden. Mit eingeschlossen wurden zudem Fälle mit HD/ND diabetische Angiopathie (I79.2). Ausgeschlossen wurden alle Fälle mit DM ohne vaskuläre Beteiligung. Das Patientenflussdiagramm ist in Abb. 1 aufgeführt.

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm der unterschiedlichen Patientengruppen. DM Diabetes mellitus, PAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit

Analysiert wurde zum einen die Unterteilung der eingeschlossenen Patienten nach Schweregrad der vaskulären Pathologie. Dazu erfolgte eine Unterscheidung in vier Gruppen: Gruppe 1 (PAVK Stadium IIb), Gruppe 2 (PAVK Stadium III), Gruppe 3 (PAVK Stadium IV), jeweils mit gleichzeitig kodiertem DM mit peripheren vaskulären Komplikationen (E1*.5) oder Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen (E1*.7), und Gruppe 4 mit Patienten mit diabetischer Angiopathie (I79.2) oder DM mit vaskulären Komplikationen (E1*.5), jeweils ohne PAVK. Zusätzlich erfolgte eine Analyse des zeitlichen Verlaufs von Revaskularisations- und Amputationsraten des Gesamtkollektivs, wobei die revaskularisierenden Verfahren weiter nach offen chirurgisch und endovaskulär differenziert wurden. Amputationen wurden als Minor-Amputationen (OPS[Operationen- und Prozedurenschlüssel]-Codes: 5‑865*), Major-Amputationen kniegelenkserhaltend (OPS-Codes: 5‑864.8 bis 5‑864.y) und Major-Amputationen nicht kniegelenkserhaltend (5-864.0 bis 5‑864.7) definiert.

Da es sich um die Analyse einer Vollerhebung handelt, wurde keine Fallzahlkalkulation durchgeführt. Auf eine Post-hoc-Powerberechnung wurde verzichtet [11]. Die Datenaufbereitung und Analyse (in Form einer KDFV) erfolgte mit dem Statistikprogramm SAS, Version 9.2 für Microsoft Windows (Copyright © 2015 SAS Institute Inc., Cary, NC, USA). Die graphische Aufbereitung der Daten erfolgte mit Microsoft Excel sowie mithilfe des Statistikprogramms R (Version 3.2.1; The R Foundation, www.r-project.org).

Ergebnisse

Von 2005 bis 2014 konnten bundesweit insgesamt 1.811.422 Fälle eingeschlossen werden. Das mediane Alter lag bei 73 Jahren, 62 % waren männlich. Die größte Gruppe bildeten dabei Patienten mit diabetischer Angiopathie (Gruppe 4) mit einem Anteil von 42 %, gefolgt von DM in Kombination mit PAVK IV (Gruppe 3) mit 38 %. Patienten mit PAVK erhielten häufiger eine bildgebende Diagnostik (>40 %) als Patienten der Gruppe 4 (9 %). Diese Unterschiede zeigten sich auch in Bezug auf Revaskularisationen, die nur bei 2,1 % der Gruppe-4-Patienten durchgeführt wurden. Gruppe-3-Patienten erhielten dagegen in 31 % am häufigsten eine Amputation (Minor-Amputation: 22 %; Major-Amputation: 9,5 %; Tab. 1).

Tab. 1 Demographische und Therapiedaten der stationären Versorgung (kumuliert 2005 bis 2014)

In Bezug auf die Subgruppen zeigte sich im zeitlichen Verlauf von 2005 bis 2014 ein Anstieg der rohen Krankenhausinzidenz von Gruppe 3 (von 67 auf 95 pro 100.000 Einwohner; +42 %) und ein Abfall von Gruppe 4 (von 119 auf 86 pro 100.000 Einwohner; −28 %), während Gruppe 1 und 2 stabil blieben (Abb. 2a).

Abb. 2
figure 2

Rohe Krankenhausinzidenz nach Gruppen (a) bzw. durchgeführten Prozeduren (cd) im Verlauf von 2005 bis 2014. DM Diabetes mellitus, KG Kniegelenk, PAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit,

Die Gesamtanzahl aller Amputationen (Major- und Minor-Amputation) blieb im zeitlichen Verlauf stabil (2005: 34 Prozeduren; 2014: 33 Prozeduren, jeweils pro 100.000 Einwohner), während die Revaskularisationen von 36 Prozeduren im Jahr 2005 auf 48 Prozeduren pro 100.000 Einwohner um 33 % anstiegen (Abb. 2b).

Eine Zunahme der Revaskularisationen zeigte sich bei den rein endovaskulären Therapieverfahren. Hier kam es zu einem Anstieg von 18 Prozeduren im Jahr 2005 auf 32 Prozeduren pro 100.000 Einwohner (+78 %), während die offen operativen Eingriffe von 15 auf 13 Prozeduren pro 100.000 Einwohner (−13 %) leicht abfielen und Kombinationseingriffe (offen chirurgisch und endovaskulär) stabil blieben (Abb. 2c).

Bei den Amputationen zeigte sich eine Reduktion der kniegelenkserhaltenden Major-Amputation von 6,8 auf 4,0 Fälle pro 100.000 Einwohner (−41 %) und der nicht kniegelenkserhaltenden Major-Amputation von 5,2 auf 3,6 Fälle pro 100.000 Einwohner (−31 %). Im Vergleichszeitraum nahmen dafür die Minor-Amputationen von 22 Fälle auf 26 Fälle pro 100.000 Einwohner (+18 %) zu (Abb. 2d).

Diskussion

Ziel der Arbeit war es, anhand einer retrospektiven Sekundärdatenanalyse der Mikrodaten der DRG-Statistik des StBA von 2005 bis 2014 einen deskriptiven Überblick über die Entwicklung der Versorgungspraxis von Diabetikern mit vaskulären Komplikationen zu erhalten.

Während über den Untersuchungszeitraum die Gruppen 1 und 2 eine annähernd gleichbleibende Krankenhausinzidenz aufwiesen, zeigte sich bei den Gruppen 3 und 4 ein konvergierender Verlauf, mit einem Abfall der diabetischen Angiopathie (I79.2) von 119 Fällen pro 100.000 Einwohner auf 86 Fälle (−28 %). Die Gruppe 3 mit PAVK IV verzeichnet hingegen einen Anstieg um 30 %. Eine mögliche Erklärung für den Trend in den Gruppen 3 und 4 könnte ein geändertes Kodierverhalten sein, da die Diagnose PAVK IV in eine geänderte DRG-Kodierung führt, die für eine Änderung in der Vergütung sorgen kann.

Weitere Unterschiede in den einzelnen Gruppen zeigten sich im Hinblick auf den Anteil der Patienten, die eine bildgebende Diagnostik und Revaskularisation erhielten. Während in den Gruppen mit PAVK (1–3) der Anteil der Patienten hierfür vergleichbar hoch war, wurde in Gruppe 4 ein deutlich geringerer Anteil einer vaskulären Diagnostik und Revaskularisation zugeführt. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass in Gruppe 4 vor allem Patienten mit einer Mikroangiopathie verschlüsselt wurden. Auch Malyar et al. [12] konnten Unterschiede in dem Anteil revaskularisierter Patienten nachweisen, wobei hier Patienten mit einem DFS die niedrigste Revaskularisierungsrate zeigten. Der Anteil der endovaskulären Revaskularisationen war bei den Patienten mit begleitender PAVK IIb am höchsten. Dies mag an den weniger komplexen vaskulären Läsionen dieser Patientengruppe liegen, die sich somit besser für eine endovaskuläre Therapie eignen [26].

Im zeitlichen Verlauf kam es zu einer deutlichen Zunahme des Anteils revaskularisierter Patienten im Gesamtkollektiv, was vor allem durch eine deutliche Zunahme endovaskulärer Revaskularisationen verursacht wurde. Diese Veränderung der Therapieform wird bereits seit längerem beobachtet und findet sich nicht nur bei Patienten mit PAVK, sondern auch bei Patienten mit einem Aortenaneurysma [23, 27]. Allerdings gibt es nur wenig vergleichende Untersuchungen von endovaskulären und offen operativen Verfahren zur Revaskularisation bei PAVK. In einem Cochrane-Review über die Bypasschirurgie bei chronischer Extremitätenischämie wurden sämtliche prospektiv randomisierten Studien verglichen, die sich mit einer Gegenüberstellung von endovaskulärer und chirurgischer Therapie beschäftigten [5]. Insgesamt konnten vier Studien identifizierten werden, in denen sowohl Patienten mit IC (Claudicatio intermittens) als auch mit chronisch kritischer Extremitätenischämie eingeschlossen wurden [2, 8, 24, 25]. Sowohl aufgrund der heterogenen Patientengruppen als auch wegen der zu kleinen Fallzahlen konnten aus den vorhandenen Daten keine klaren Schlüsse gezogen werden.

Dennoch ist klar, dass aufgrund der geringeren Morbidität des Eingriffs bei endovaskulären Verfahren auch zunehmend kränkere und ältere Patienten behandeln werden können, die dadurch einer Amputation entgehen können oder das Ausmaß der Amputation reduziert werden kann.

Diese Verbesserung des Extremitätenerhalts konnte auch in unserer Studie gezeigt werden. Obwohl es im Verlauf des Untersuchungszeitraums zu keiner wesentlichen Änderung der Anzahl der Amputation kam, verringerte sich die Anzahl der Major-Amputationen (sowohl kniegelenkserhaltend, als auch nicht kniegelenkserhaltend) bei einer Zunahme der Minor-Amputationen. Entsprechend des Schweregrades der vaskulären Beteiligung zeigt sich bei Patienten mit einer PAVK IV die höchste Rate an Major- und Minor-Amputationen.

Dieser Trend konnte ebenfalls in einer Untersuchung von Humphries et al. [9] gezeigt werden, bei der die Versorgung der Einwohner Kaliforniens im Zeitraum von 2005 bis 2011 untersucht wurde.

Ein weiterer Faktor des verringerten Amputationsausmaßes mag in einer verbesserten Wundpflege liegen, die in einer eigenen S3-Leitlinie Berücksichtigung findet und durch die Gründung und Verbreitung professionalisierter Wundzentrum einfacher zugängig ist [4].

Die vorliegende Arbeit weist gewisse Limitationen auf, die es zu erwähnen gilt. Bei den Primärdaten handelt es sich um administrative Informationen, die im Zuge der Krankenhausabrechnung erhoben werden. Da Änderungen in der Vergütung zu einem geänderten Kodierverhalten und damit verbunden zu möglichen Ergebnisverzerrungen führen können, sollte die Kodierqualität in Bezug auf DRG-Daten stets kritisch beurteilt werden [20]. Auf eine korrekte Verschlüsselungspraxis deuten indirekt die Zahlen der bildgebenden Diagnostiken in Tab. 1 hin. Patienten mit DM und begleitender PAVK erhalten deutlich häufiger eine bildgebende Diagnostik als Patienten mit diabetischer Angiopathie. Außerdem handelt es sich hier um Fallzahlen, die zu einer Mehrfachzählung eines Patienten führen können. Aus diesem Grund wurde von einer alters- oder geschlechtsspezifischen Adjustierung der Daten abgesehen. Des Weiteren ist anhand der Daten nicht nachvollziehbar, ob eine PAVK oder ein Diabetes mellitus die führende Diagnose war.

Zudem wird nur die vollstationäre Versorgung abgebildet. Ambulante oder teilstationäre Behandlungen ohne darauffolgende vollstationäre Versorgung werden nicht erfasst [21]. Dennoch werden mögliche Verzerrungen als gering eingeschätzt, da revaskularisierende sowie amputierende Prozeduren zumeist in vollstationärer Behandlung erfolgen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass bildgebende Diagnostiken vermehrt im ambulanten Bereich durchgeführt werden. Hierbei könnte, bedingt durch fehlende ambulante Daten, ein Reporting-Bias zur Unterschätzung dieser Zahlen geführt haben.

Weiter gab es weder Informationen zu den Krankenhausarten und dortigen Fachabteilungen, in denen die Patienten versorgt werden, noch zur medikamentösen Begleitbehandlung.

Dennoch war es möglich, Trends im zeitlichen Verlauf von 2005 bis 2014 darzustellen, die medizinische Entwicklungen an unserem Patientengut widerspiegeln und als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen im Hinblick auf regionale Unterschiede und krankenhausspezifische Kennzahlen dienen können. Zukünftige Arbeiten könnten, auch im Hinblick auf die objektiven Qualitätskriterien und Qualitätsziele der Society for Vascular Surgery [3], untersuchen, ob tatsächlich die vermehrte Durchführung revaskularisierender Prozeduren zu einem Rückgang der Major-Amputationen geführt hat oder doch eine verbesserte medikamentöse Behandlung oder sogar eine bisher unbekannte konfundierende Größe hierfür ursächlich ist. Darüber hinaus könnte die vorliegende Arbeit als Basis für die Fallzahlenkalkulation zukünftiger prospektiver Untersuchungen dienen. Zudem sind weitere Untersuchungen auf der Basis von DRG-Datenbankanalysen, in Bezug auf andere gefäßchirurgische Krankheitsbilder, denkbar bzw. wurden bereits durchgeführt [16].

Fazit für die Praxis

  • Die Inzidenzen der Krankenhausfälle mit PAVK Stadium IV und begleitendem Diabetes mellitus zeigten im Zeitraum von 2005 bis 2014 eine starke Zunahme, während die Anzahl der Fälle mit diabetischer Angiopathie deutlich abnahm.

  • Während des Untersuchungszeitraums kam es zu einem deutlichen Anstieg des Anteils der Diabetespatienten mit vaskulären Pathologien, die einer Revaskularisation zugeführt wurden.

  • Dies lag insbesondere an einer deutlichen Zunahme der endovaskulären Revaskularisationsmaßnahmen, während es bei den offen chirurgischen Prozeduren zu einem rückläufigen Trend kam.

  • Erfreulicherweise kam es zu einer Reduktion der Major-Amputationen in dieser Patientengruppe, während die Anzahl der Minor-Amputationen kontinuierlich anstieg.