Erste Beschreibungen periprothetischer Frakturen des Azetabulums finden sich bereits vor mehr als 40 Jahren [17, 26]. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der relativen Überalterung der Gesellschaft lässt sich in den letzten Jahrzehnten beobachten, dass mehr und mehr ältere Menschen trotz ihrer höheren Anfälligkeit für unfallbedingte Verletzungen ein hohes Maß an körperlicher Aktivität aufweisen [8, 10]. Unter den Beckenverletzungen stellen Frakturen des Azetabulums die am stärksten wachsende Entität dar [2]. Dementsprechend treten auch periprothetische Frakturen des Azetabulums häufiger auf, als dies noch vor der Jahrtausendwende der Fall war [14, 16, 27].

Nach Daten des schwedischen Prothesenregisters stellen periprothetische Frakturen nach Lockerungen und Luxationen den dritthäufigsten Grund für operative Revisionen dar [23]. Hier gilt es zu beachten, dass es wesentlich häufiger zu periprothetischen Femurfrakturen als zu Azetabulumfrakturen bei einliegender Hüftprothese kommt. Die Datenlage zu periprothetischen Azetabulumfrakturen umfasst im Wesentlichen Einzelfallbeschreibungen oder kleine Fallserien [4, 12, 32]. Im Gegensatz zur Azetabulumfraktur des jungen Patienten entstehen die periprothetischen Frakturen der Hüftpfanne beim geriatrischen Patienten in der überwiegenden Mehrzahl als Folge eines Niedrigenergietraumas, etwa beim Sturz aus dem Stand auf den Trochanter major. Seltener sind Verkehrsunfälle die Ursache der Azetabulumfraktur bei vorhandener Hüftendoprothese. Relevant ist darüber hinaus die Azetabulumfraktur im Rahmen der Implantation einer Hüftprothese [30]. Auch eine vorbestehende Schwächung der periazetabulären Knochenstruktur, sei es durch Osteoporose oder durch Lysezonen in der Umgebung der Prothesenpfanne, stellt eine Ursache der Entstehung einer periprothetischen Fraktur am Azetabulum dar.

Diagnostik

Neben der klinischen Untersuchung, die regelhaft Schmerzen des Hüftgelenkes mit verminderter oder aufgehobener Belastbarkeit ergibt, kommt beim geriatrischen Patienten auch der Anamnese eine besondere Bedeutung zu. Hier gilt es zu ermitteln, ob ein (gegebenenfalls auch inadäquates) Trauma als Auslöser der Beschwerden auszumachen ist oder ob eine schleichende Verschlimmerung von Beschwerden zur Vorstellung des Patienten geführt hat.

Zu beachten ist, ob Lysezonen vorliegen

Zur apparativen Diagnostik der periprothetischen Azetabulumfraktur finden die gleichen Röntgenaufnahmen wie bei der reinen Azetabulumfraktur Anwendung. Neben der a.-p. Aufnahme des Beckens helfen Ala- und Obturatoraufnahmen bei der Visualisierung der Frakturmodifikation. Zusätzlich sollte stets auch eine Hüftaufnahme der betroffenen Seite angefertigt werden, um weitere Frakturen oder eine Lockerung des Prothesenschaftes ausschließen zu können. Bereits bei der Analyse der konventionellen Röntgenbilder sollte außerdem darauf geachtet werden, ob es Anhalt für einen Abrieb des Protheseninlays gibt.

Die überwiegende Mehrzahl der Azetabulumfrakturen kann bereits anhand der genannten Röntgenaufnahmen unter Zuhilfenahme der von Letournel beschriebenen Kennlinien klassifiziert werden [21]. Dennoch wird im eigenen Vorgehen standardmäßig auch eine Computertomographie (CT) des Beckens zur Entscheidung über die Therapieoptionen angefertigt. Wegen der deutlich erschwerten Beurteilbarkeit durch Metallartefakte sind hier entsprechende Rechenalgorithmen moderner Tomographen zur Artefaktreduktion sehr hilfreich [5]. Aufgrund der Auslöschungseffekte kommt die Durchführung einer Magnetresonanztomographie (MRT) infrage. Im Hinblick auf die Planung der Therapie gilt es bei periprothetischen Frakturen des Azetabulums insbesondere auch zu beachten, ob Lysezonen vorliegen und ob die Pfanne gelockert oder disloziert ist [30]. Neben der rein deskriptiven Darstellung von Lysezonen findet hier auch die Klassifikation nach Paprosky Anwendung [28]. Bei einer fraglichen, aber nicht offensichtlichen Lockerung der Prothesenpfanne kann die Durchführung eines SPECT („single photon emission computed tomograhy“)/CT zusätzliche Erkenntnisse über Lysezonen oder den Verlauf von Fissuren erbringen.

Klassifikation

Auch die periprothetischen Azetabulumfrakturen können nach der Klassifikation von Letournel eingeteilt werden [21]. Beim Niedrigenergietrauma des geriatrischen Patienten lassen sich häufig Frakturen des vorderen Pfeilers, gegebenenfalls mit begleitender Hemi-Querfraktur, beobachten. Darüber hinaus kann es jedoch auch beim simplen Sturz auf die Körperseite zu T‑ oder Zwei-Pfeiler-Frakturen kommen [1, 14, 18].

Callaghan et al. übernahmen für ihre Klassifikation der periprothetischen Azetabulumfrakturen teilweise die Terminologie der Letournel-Klassifikation und kamen so zu einer Einteilung, die Typ-A- bis Typ-D-Frakturen nennt [6, 7].

Neben der genannten Klassifikation zur Beschreibung von Lysezonen hat Paprosky auch eine Einteilung der periprothetischen Azetabulumfrakturen erstellt, die fünf Typen mit bis zu drei Subtypen unterscheidet und entsprechende Therapieansätze aufzeigt [11].

Davidson et al. modifizierten die Klassifikation nach Paprosky unter Reduktion auf drei Frakturtypen. Ihre Klassifikation erfasst jedoch nur die intraoperativen Frakturen des Azetabulums während der Implantation einer Hüftendoprothese [9].

Noch reduzierter stellt die Einteilung nach Peterson und Lewallen die periprothetischen Frakturen der Hüftpfanne dar. Hier wird lediglich eine Unterscheidung nach der Stabilität der Prothesenpfanne getroffen [29].

Seit 2014 gibt es mit dem Unified Classification System (UCS) einen weiteren, relativ detaillierten Ansatz, die periprothetischen Frakturen einzuordnen. Das Prinzip ist es hier, ähnlich wie in der AO-Klassifikation, Codes zur Erfassung der Lokalisation und Modifikation von Frakturen zu verwenden [13].

Therapieoptionen

Im Rahmen der Abwägung von Behandlungsstrategien kommen bei periprothetischen Azetabulumfrakturen geriatrischer Patienten im Vergleich zur „simplen“ Azetabulumfraktur verschiedene Faktoren hinzu. Während Émile Letournel [22] als Pionier der Azetabulumchirurgie noch ein Patientenalter über 60 Jahren ebenso wie eine verminderte Knochenqualität als Kontraindikationen für die operative Behandlung von Azetabulumfrakturen nannte, stellen diese Gegebenheiten heute keine Seltenheit mehr dar. Neben dem ursprünglichen Grad an Mobilität des Patienten gilt es auch, relevante Vorerkrankungen bei der Therapieentscheidung zu berücksichtigen. Nur so ist abzuschätzen, wie umfangreich operative Maßnahmen sein dürfen, die man dem Patienten zumutet.

Bei sicher stabiler Situation ist auch eine konservative Therapie möglich

Die grundsätzlichen frakturspezifischen Überlegungen hinsichtlich der Therapie unterscheiden sich bei periprothetischen Azetabulumfrakturen nicht von denen der „klassischen“ Azetabulumchirurgie. Das heißt, dass bei sicher stabiler Situation, etwa bei hohen Schambeinastfrakturen oder undislozierten Frakturen des Azetabulums, durchaus auch bei liegender Hüftprothese eine konservative Therapie mit Teilbelastung (6–8 Wochen) des betroffenen Beins erfolgen kann (Abb. 12 und 3).

Abb. 1
figure 1

Fall 1: 63 Jahre alter Patient mit periprothetischer Azetabulumfraktur rechts nach Skiunfall

Abb. 2
figure 2

Fall 1: Die computertomographischen Schnitte (a–f) zeigen eine inkomplette Fraktur des hinteren Pfeilers mit Impaktion des Doms. Bei fehlendem Anhalt für eine Lockerung der Pfanne und geringen klinischen Beschwerden wurde die Indikation zur konservativen Therapie gestellt

Abb. 3
figure 3

Fall 1: Nach 6 Wochen Teilbelastung an Unterarmgehstützen zeigt sich keine Dislokationstendenz bei zunehmender Überbauung und nur geringen Restbeschwerden

Vorrangiges Ziel muss bei der Behandlung periprothetischer Frakturen des Azetabulums die Herstellung eines stabilen Widerlagers für die Pfanne sein. Es hat sich gezeigt, dass hier der Stabilität des hinteren Pfeilers eine enorme Bedeutung zukommt [20]. Die operativen Zugänge zum Management periprothetischer Azetabulumfrakturen entsprechen hinsichtlich des Beckens den klassischen Verfahren als ilioinguinaler oder Kocher-Langenbeck-Zugang. In jüngerer Zeit wurden Modifikationen insbesondere des ventralen Zugangs entwickelt, die zunehmend auch bei periprothetischen Frakturen angewendet werden [18, 19, 35]. Femurseitig können anterolaterale, laterale und posteriore klassische Zugänge gewählt werden. Der rein vordere Zugang ist hier wegen der relativ geringen Exposition als ungeeignet einzustufen [33].

Auch die Tatsache, ob die vorhandene Prothese eine Hemi- oder Totalendoprothese ist, hat Einfluss auf die operative Therapie der periprothetischen Fraktur. Bei ausreichend guter Knochenstruktur kann bei einliegender Hemiprothese eine konventionelle Osteosynthese des Azetabulums auch ohne Wechsel auf eine Totalendoprothese ausreichen. Bei relevanten knöchernen Defekten und damit nicht wiederherzustellender Kongruenz des Gelenkes ist jedoch der Wechsel auf eine Totalendoprothese notwendig. In diesem Fall ist regelhaft zusätzlich eine Stabilisierung der Azetabulumpfeiler notwendig.

Die periprothetischen Azetabulumfrakturen bei vorhandener Totalendoprothese stellen den behandelnden Chirurgen regelhaft vor große Herausforderungen (Abb. 456 und 7). Nur wenn eine sicher stabile Verankerung der Pfanne gewährleistet ist, kommt eine konservative Behandlung infrage. Bei der operativen Therapie muss einerseits das stabile Gegenlager für die Pfanne hergestellt werden. Andererseits muss eine Pfanne implantiert werden, die zusätzliche Verankerungsmöglichkeiten aufweist. Hier bietet die Industrie verschiedene Systeme von Revisionsimplantaten an. Zum Einsatz kommen z. B. Stützschalen wie der Burch-Schneider-Ring mit zusätzlichen modularen Augments [15]. Eine relevante Bedeutung kommt im eigenen Vorgehen auch dem Trabecular MetalTM-Revisionssystem zu, das durch seine Oberflächenstruktur eine gute Osteointegration erlaubt [3, 24]. Regelhaft werden bei ausgedehnten Knochendefekten auch Allografts angewandt. Neben diesen etablierten Systemen gibt es in jüngerer Zeit auch Ansätze, individuell für den Patienten hergestellte Implantate zu verwenden, um möglichst wenig invasiv die Stabilität des Pfannenlagers wieder herzustellen [31]. Dabei wird auf eine Reposition der Fraktur verzichtet. Die Erfahrungen mit dieser Technik sind jedoch als noch sehr begrenzt einzustufen.

Abb. 4
figure 4

Fall 2: 74 Jahre alte Patientin mit periprothetischer Azetabulumfraktur rechts nach Niedrigenergietrauma als Sturz auf die rechte Körperseite

Abb. 5
figure 5

Fall 2: Die Computertomographie zeigt eine T‑Fraktur mit Protrusion der Pfanne (a–f)

Abb. 6
figure 6

Fall 2: Im gleichen Eingriff wurden über einen ilioinguinalen Zugang in Kombination mit einem lateralen Zugang die Stabilisierung des Azetabulums und die Implantation einer Revisionspfanne vorgenommen

Abb. 7
figure 7

Fall 2: 6 Wochen postoperativ war die Vollbelastung am Rollator mit nur geringen Restbeschwerden möglich

Verschiedene Autoren haben sich in der Vergangenheit intensiver mit der seltenen Entität der periprothetischen Azetabulumfraktur befasst und versucht, die genannten besonderen Aspekte bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich der Behandlung in Algorithmen zu fassen. Masri et al. veröffentlichten 2004 einen Algorithmus, der sich im ersten Schritt an der Stabilität der Pfanne orientiert [25]. Sehr viel dezidierter betrachtet der 2015 von Simon et al. erstellte ausführliche Algorithmus den Entstehungsmechanismus und den Frakturtyp, um zu einer Therapieempfehlung zu kommen [34].

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die periprothetische Azetabulumfraktur des geriatrischen Patienten bei einliegender Hemi- oder Vollprothese des Hüftgelenkes trotz zunehmender Inzidenz noch immer eine sehr seltene Verletzung darstellt. Die Festlegung eines Therapieregimes erfordert genaue Kenntnis und sorgfältige Abwägung der patientenspezifischen Voraussetzungen was Komorbidität und Mobilität anbelangt. Darüber hinaus sind spezielle diagnostische Maßnahmen notwendig, um die richtige Entscheidung treffen zu können. Die operative Therapie stellt auch erfahrene Chirurgen nicht selten vor große Herausforderungen, da oft Zugänge zum Azetabulum mit Zugängen zum proximalen Femur kombiniert werden müssen und regelmäßig die Verwendung von Revisionsimplantaten notwendig wird. Hieraus wird deutlich, dass die Behandlung von periprothetischen Frakturen des Azetabulums spezialisierten Zentren vorbehalten sein sollte.

Fazit für die Praxis

  • Die periprothetische Azetabulumfraktur des geriatrischen Patienten ist eine sehr seltene Verletzung, deren Inzidenz aufgrund der demographischen Entwicklungen jedoch zunimmt.

  • Zur Entscheidung über das zu wählende Behandlungskonzept sind zahlreiche Faktoren zu beachten, welche den Patienten, die vorliegende Fraktur und die vorhandene Prothese betreffen. Nicht jede periprothetische Azetabulumfraktur macht eine operative Behandlung notwendig, jedoch muss durch umfangreiche diagnostische Maßnahmen geklärt werden, wie die Stabilität der Fraktur und der Prothese einzuordnen sind.

  • Die operative Therapie periprothetischer Azetabulumfrakturen stellt auch für den erfahrenden Chirurgen häufig eine große Herausforderung dar. Daher sollte die Behandlung dieser Verletzungen spezialisierten Zentren vorbehalten sein.