Die präoperative Anämie ist neben der Schwere der Erkrankung ein eigenständiger Risikofaktor für das Auftreten postoperativer Komplikationen und zugleich einer der stärksten Prädiktoren für die perioperative Gabe von Erythrozytenkonzentraten (EK). Der weitere Bedarf an EK hängt in der Regel direkt von der Menge des intra- und postoperativen Blutverlustes ab, sodass eine iatrogene Anämiekomponente noch hinzukommt. Besorgniserregend ist im Bereich der Hämotherapie ebenso die große Variabilität in der Indikationsstellung zum Einsatz von EK. Beispielsweise liegt Deutschland mit ca. 57 transfundierten EK pro 1000 Einwohner an der Spitze in Europa und weltweit. Einen vielversprechenden Lösungsansatz stellt das multidisziplinäre Patient-blood-Management (PBM) dar, dessen Umsetzung seit 2011 von der Weltgesundheitsorganisation gefordert wird [35].

Nach der Lektüre dieses Übersichtsartikels soll der Leser in der Lage sein, PBM als einen mehrdimensionalen und interdisziplinären Behandlungsansatz mit dem Erkennen und der Optimierung der Anämie, der Reduktion der Blutverluste und patientenspezifischer EK-Transfusion zu verstehen (Infobox 1). Ebenso bietet die vorliegende Arbeit eine Übersicht der bisher publizierten und aktuell durchgeführten Studien zum Thema PBM. Die vorgestellten aktuellen Studien entstammen einer selektiven Literaturrecherche in den Datenbanken Medline und The Cochrane Library für den Zeitraum Januar 2000 bis Dezember 2014. Die angewandten Suchbegriffe umfassten „patient blood management“, „hospital-acquired anaemia“, „alternatives to blood“. Ebenfalls wurden deutsche und internationale Leitlinien berücksichtigt.

Mehr Informationen zum Thema bietet Infobox 2.

Präoperative Anämie

Entsprechend den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation besteht eine Anämie dann, wenn der Hämoglobinwert bei Frauen unter 12 g/dl und bei Männern unter 13 g/dl liegt. Musallam et al. [22] berichten in einer Gesamtkohorte von 227.425 stationären Patienten von einer Prävalenz der präoperativen Anämie von 30 %. Potenzielle Ursachen einer präoperativen Anämie sind in Abb. 1 dargestellt [27]. Neben der Schwere der Erkrankung stellt sich die präoperative Anämie als eigenständiger und unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten postoperativer Komplikationen und eine erhöhte postoperative Sterblichkeit dar [22]. In die gleiche Richtung gehen die Daten der kürzlich publizierten Observationsstudie mit Daten von mehr als 39.000 nichtherzchirurgischen Patienten aus 28 europäischen Ländern [1]. Zugleich ist die präoperative Anämie im Krankenhaus aber auch einer der stärksten Prädiktoren für die Gabe von Fremdbluttransfusionen während oder nach einer Operation [1, 22].

Abb. 1
figure 1

Ursachen einer präoperativen Anämie. (Nach [28, 34])

Präoperative Anämie ist ein unabhängiger Risikofaktor für das postoperative Outcome

Die Rationale für ein PBM ergibt sich bei anämischen Patienten daher allein aus der hohen Prävalenz, dem erhöhten Risiko einer Fremdbluttransfusion sowie der medizinischen Notwendigkeit, die präoperative Anämie zu diagnostizieren und zu optimieren [20, 27]. Neben medizinischen und qualitätssichernden Aspekten spielen aber auch betriebswirtschaftliche Überlegungen eine Rolle.

Vor diesem Hintergrund sollte prinzipiell jede Anämie– nach Möglichkeit – präoperativ abgeklärt und nichtdringliche Eingriffe bis zum Abschluss der entsprechenden Anämiebehandlung verschoben werden. Die Indikation des Eingriffs muss hierbei aber berücksichtigt werden: zeitnaher Operationstermin bei onkologischen Indikationen (max. 2 Wochen) vs. ausreichend Wartezeit bei elektiven orthopädischen Eingriffen (z. B. 2–3 Monate). Goodnough et al. [8] veröffentlichten im Jahr 2011 stellvertretend für die NATA (Network for Advancement of Transfusion Alternatives) eine Leitlinie zum Management der präoperativen Anämie vor blutverlustreichen orthopädischen Eingriffen. Dieses NATA-Konzept kann aber auch bei nichtorthopädischen Patienten Anwendung finden [6, 27]. Hierbei sollte eine Diagnostik und Therapie der Anämie indiziert werden, wenn der erwartete Blutverlust voraussichtlich mehr als 500–1000 ml beträgt bzw. die mit der geplanten Operation assoziierte Transfusionswahrscheinlichkeit bei über 10 % liegt und das präoperative Erythrozytenvolumen für eine transfusionsfreie perioperative Betreuung höchstwahrscheinlich nicht ausreicht.

Die erfolgreiche Integration einer präoperativen Anämiekorrektur in einen multifaktoriellen Therapieansatz konnte in einer monozentrischen Studie aus England gezeigt werden [16]. In enger Zusammenarbeit mit Hausärzten wurde in einer Gruppe von 317 Patienten mit nachgewiesener Anämie der elektive Eingriff einer Hüft- oder Knieendoprothesenimplantation zunächst um etwa 4 Wochen verschoben, um in diesem Zeitraum entweder mit oralem Eisen (Verschiebung der Operation um mehr als 4 Wochen), mit intravenösem Eisen oder einer Kombination bestehend aus Erythropoetin plus oralem Eisen zu therapieren. Durch die präoperative Anhebung des Hämoglobinwertes konnte die Inzidenz einer präoperativen Anämie am Operationstag von 26 auf 10 % sowie das Risiko für eine intraoperative Fremdbluttransfusion um mehr als die Hälfte von 26 auf 13 % gesenkt werden.

In Deutschland ist die präoperative Anämiebehandlung nur in wenigen Krankenhäusern etabliert. Im Alltag werden insbesondere die Kosten der intravenösen Eisentherapie, die Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung sowie die potenzielle zeitliche Verschiebung des operativen Eingriffs häufig als Argumente gegen die präoperative Behandlung der Anämie genutzt. Vor allem ist die Frage ungeklärt, wer im deutschen Gesundheitswesen für eine optimale Vorbereitung des Patienten vor der Operation, insbesondere bei einem Hochrisikoeingriff, medizinisch verantwortlich ist und wer die Kosten einer Therapie tragen muss – der Hausarzt, der einweisende Arzt, der Chirurg, der Anästhesist/Intensivmediziner oder das Krankenhaus? Neben den Kosten- und Budgetaspekten könnte sich die präoperative Anämiebehandlung im Vergleich zur Fremdbluttransfusion auch für den Patienten selbst (weniger transfusionsassoziierte Risiken und Nebenwirkungen, bessere Heilungsverläufe), für die Klinik (Patientenrekrutierung und Marketing) sowie auch für die Allgemeinheit (Blutkonservenknappheit, schnellere Rehabilitation) lohnen.

Blutungsrisiko

Präoperativ muss neben der Abklärung der Anämie die Frage geklärt werden, ob bisher eingenommene, die Hämostase beeinflussende Medikamente weitergeführt werden dürfen oder eher gestoppt werden müssen, um das perioperative Blutungsrisiko zu minimieren. Zu den typischen Medikamenten dieser Gruppe gehören neben den Plättchenaggregationshemmern Antikoagulanzien wie Vitamin-K-Antagonisten und die neuen direkten oralen Antikoagulanzien, die unter anderem aufgrund der langen Halbwertszeit und teilweise fehlenden Antagonisten bei fortgeführter Einnahme am Operationstag ggf. zu Blutungskomplikationen führen können. Bei Patienten mit einem höheren Thrombembolierisiko wird empfohlen, mit einem kurzwirksamen Heparin die Unterbrechung der Antikoagulation zu überbrücken [23].

Minimierung der iatrogenen Blutverluste

Perioperative Blutentnahmen und interventionelle Prozeduren können eine iatrogene Anämie zur Folge haben [25]. So kann z. B. bei intensivpflichtigen Patienten einzig durch Blutlaborkontrollen ein wöchentlicher Blutverlust von bis zu 600 ml auftreten (eigene, nicht veröffentlichte Daten). Eine aktuelle Hochrechnung gibt allein für die westliche Welt unter Berücksichtigung der aktuellen Standards von Laborblutentnahmen einen jährlichen Verlust von 25 Mio. l Blut an, welcher unweigerlich zur „hospital-aquired anaemia“ führt [19]. Vor diesem Hintergrund muss insbesondere bei gefährdeten Risikokollektiven, wie z. B. hämatoonkologische Patienten oder Intensivpatienten, von Routineanforderungen und Laborentnahmen allein aus medikolegalen Gründen Abstand genommen werden zugunsten individueller, therapierelevanter Analysen wie dies längstens in der Pädiatrie üblich ist. Durch die Verkleinerung der Blutentnahmeröhrchen sowie eine tägliche strenge Indikationsstellung können die Abnahmemengen und unnötige Blutverluste deutlich reduziert werden bei gleichbleibender diagnostischer Qualität [26].

Blutsparende Operationstechniken

Das chirurgische Vorgehen vieler Operationen ist standardisiert und zielt nach Möglichkeit darauf ab, Gewebetraumata und damit Blutungen z. B. durch Beachtung anatomischer Grenzschichten oder Nutzung minimal-invasiver Verfahren zu minimieren. Das Blutungsrisiko kann neben einer gewebeschonenden Präparation insbesondere durch akribische Blutstillung im Operationsgang und nicht am Ende der Operation mittels mechanischer und physikalischer Maßnahmen reduziert werden.

Maschinelle Autotransfusion

Technische Hilfsmittel wie die maschinelle Autotransfusion spielen sowohl intra- als auch postoperativ eine große Rolle. Ist der Blutverlust zu Beginn der Operation nicht sicher abschätzbar, sollte das Wundblut mit Heparinzusatz zunächst über einen speziellen Sammelbehälter aserviert werden. Ab einem intraoperativen Blutverlust von 500–1000 ml wird die Aufbereitung des Wundblutes dann als sinnvoll erachtet, da maschinelle Autotransfusion (MAT) nachweislich den Verbrauch an Fremdblutkonserven reduzieren kann. Die Retransfusion von intra- und/oder postoperativ gewonnenem Wund-/Drainageblut muss aber innerhalb von 6 h als gewaschene Erythrozytensuspension erfolgen. Wang et al. [33] konnten in ihrer Metaanalyse von 31 randomisierten Studien an insgesamt 2282 kardiochirurgischen Patienten zeigen, dass die intraoperative Anwendung einer MAT den Bedarf an allogenen EK um 37 % signifikant reduzierte. Ähnliche Effekte wurden in der Cochrane-Metaanayse von Carless et al. [2] von 10 randomisierten Studien an insgesamt 800 Patienten aus dem Bereich Orthopädie/Unfallchirurgie beschrieben. Der Einsatz einer MAT mit gewaschenen Erythrozytenkonzentraten reduzierte das Risiko für die Transfusion allogener EK auf die Hälfte der Patienten (relatives Risiko 0,48 [95 %-Konfidenzintervall 0,36; 0,64], p < 0,001). Im Rahmen der Verwendung von MAT-Geräten sind intensive Schulungen obligat.

Kontraindikationen für eine MAT sind:

  • maligne Tumoroperationen,

  • sicher infiziertes und/oder mit Urin, Galle oder Darminhalt kontaminiertes Wundblut sowie

  • potenziell kontaminiertes Blut bei Implantation von Fremdmaterial (künstliche Herzklappen, Gefäßersatz und Gelenkprothesen).

Während der Applikation von Methylakrylat (Palakos), gerinnungsfördernden Substanzen (z. B. Fibrinkleber), antibakteriellen Spüllösungen (z. B. Chloramin) sowie bei Eröffnung des Amnion während einer Sectio caesarea (Fruchtwasseraustritt) sollte die Aspiration in das MAT-Reservoir unterbrochen werden. Bei Patienten mit bekannter heparininduzierter Thrombopenie (HIT) sollte auf MAT verzichtet werden oder das aspirierte Wundblut mit Alternativen (z. B. Danaparoid, Argatroban) antikoaguliert werden.

Der Einsatz von MAT bei Tumorpatienten wird zwar zunehmend in der Literatur diskutiert [17], ist heutzutage im klinischen Alltag aber (noch) nicht praktikabel. Eine MAT könnte nach vorheriger Bestrahlung des Wundbluts (Struktur für Bestrahlung in der Regel aber nicht vorhanden) oder der Verwendung spezieller leukozytendepletierender Filter (insbesondere bei Patienten von Jehovas Zeugen interessant) erwogen werden [4, 32].

Gerinnungsmanagement

Die adäquate und sorgfältige chirurgische Blutstillung ist elementar für die Prophylaxe und die effiziente Therapie perioperativer Blutungen. Daneben sind physiologische Rahmenbedingungen wie pH > 7,1, ionisiertes Kalzium > 1,2 mmol/l und Temperatur > 36 °C Basisvoraussetzungen für eine optimale Blutgerinnung. Bei dem geringsten Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse sollte eine medikamentöse antihyperfibrinolytische Therapie, beispielsweise mit Tranexamsäure, gestartet werden [13]. Auf diese Basistherapie kann jedwede weitere Therapie aufbauen, wobei insbesondere die algorithmusbasierte Therapie blutender Patienten ein effektives und ökonomisches Management erlaubt. Primäres Ziel bei einer Koagulopathie muss die kausale Therapie der Ursache und nicht die symptomatische Therapie mittels Fremdblutersatz sein.

Rationaler Transfusionstrigger

Die Praxis der EK-Transfusion ist in verschiedenen Ländern und Krankenhäusern äußerst variabel, was die Schlussfolgerungen zulässt, dass Unsicherheit hinsichtlich der adäquaten Indikationsstellung besteht und dass allogene Blutprodukte transfundiert werden, die ggf. nicht benötigt werden [7, 30]. Deutschland liegt mit ca. 57 transfundierten EK pro 1000 Einwohner an der Spitze in Europa und weltweit (im Vergleich: Australien 36, Niederlande 34,2; Norwegen 41,6; Großbritannien 36,3; Schweiz 41,1 transfundierte EK pro 1000 Einwohner; [14, 30]). Dies ist umso überraschender, da in Deutschland klare Empfehlungen für einen rationalen Umgang mit Blutprodukten und die jeweiligen restriktiven Transfusionstrigger in Form der Querschnittsleitlinien der Bundesärztekammer vorliegen [32]. Die Querschnittsleitlinien empfehlen die Berücksichtigung der Kriterien Hämoglobinkonzentration, Kompensationsfähigkeit und Risikofaktoren des Patienten. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, dass in einem Hämoglobinbereich zwischen 6 und 10 g/dl nicht die Hämoglobinkonzentration allein, sondern physiologische Transfusionstrigger, beispielsweise Laktatazidose, Abfall der zentralvenösen Sauerstoffsättigung < 60 %, Anlass zur Transfusion sein sollen. Anzumerken ist weiterhin, dass der Nutzen höherer Hämoglobinwerte auch bei Patienten mit kardiovaskulären Begleiterkrankungen nicht belegt ist. Beispielweise empfehlen die Leitlinien der European Society of Cardiology bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom die Transfusion von EK erst bei einem Hämoglobinwert von < 7 g/dl [12].

EK sollten ausschließlich rational und medizinisch indiziert verabreicht werden

In die gleiche Richtung gehen die Ergebnisse kürzlich publizierter, prospektiv randomisierter Studien bei Patienten aus dem Bereich der Intensivmedizin [15], Herzchirurgie [11], Unfallchirurgie [3] sowie Gastroenterologie [31]. In allen Studien war eine zurückhaltende und rationale Indikationsstellung bei einem Ausgangshämoglobinwert von < 7 g/dl bei verschiedenen klinischen Endpunkten sowie bei der Sterblichkeitsrate genauso gut oder besser als ein großzügiger Trigger-Hämoglobinwert von ca. 9 g/dl.

Hinsichtlich potenzieller Risiken von EK sind bekannt:

  • transfusionsassoziierte Übertragungen von Bakterien, Viren, Parasiten oder Prionen,

  • nicht immunologisch vermittelte unerwünschte Arzneimittelwirkungen (z. B. Volumenüberladung, Hyperkaliämie, Zitratüberladung) sowie

  • immunologisch vermittelte Risiken trotz Blutgruppenkompatibilität (allergische Transfusionsreaktion, hämolytische Transfusionsreaktion, transfusionsassoziierte Immunmodulation [9]).

Multimodales und interdisziplinäres Patient-blood-Management

PBM bietet als multimodales Gesamtpaket ein immenses Potenzial, die Qualität der Patientenversorgung und somit die Patientensicherheit maßgeblich zu steigern. Die oben genannten unterschiedlichen Aspekte sind teils überraschend einfach, leisten aber einen wichtigen Beitrag, insbesondere in Summe. Bisher publizierte klinische Studien sind in Tab. 1 und aktuell rekrutierende Studien in Tab. 2 zusammengefasst. Vor dem Hintergrund der überzeugenden Studiendaten existieren beispielweise in Australien inzwischen nationale PBM-Leitlinien [10].

Tab. 1 Studienergebnisse internationaler Patient-blood-Management-Programme (Auswahl)
Tab. 2 Aktuell rekrutierende Studien

Fazit für die Praxis

  • Die Transfusion allogener Blutkomponenten ist in verschiedenen Ländern und Krankenhäusern äußerst variabel, teilweise erfolgt der Umgang unkritisch und damit nicht leitlinienkonform.

  • Patient-blood-Management (PBM) unterstreicht die Bedeutung der kostbaren Ressource Blut und setzt sich aus vielfältigen Einzelmaßnahmen zusammen, u. a.

    • Diagnostik und Therapie einer präoperativen Anämie,

    • Minimierung des perioperativen Blutverlustes,

    • Fokus auf blutsparende Operationstechniken,

    • sparsame diagnostische Blutentnahmen,

    • optimales Gerinnungsmanagement,

    • rationaler Einsatz von Blutkomponenten.

  • PBM besitzt in enger Zusammenarbeit von Anästhesiologen, Chirurgen, Intensivmedizinern, Internisten, Labor- und Transfusionsmedizinern großes Potenzial, die Patientenversorgung zu optimieren.