Die Ausbildung von Studierenden in den chirurgischen Fächern wird geprägt von der Zweiteilung des Studiums in „Vorklinik“ und „Klinik“. Zunächst gilt es, anatomisch-pathologische Grundlagen zu schaffen und das Verständnis zur Indikationsstellung zu erlangen. Im Verlauf des Studiums sollen dann Patienten auch perioperativ betreut, Interventionen im Operationssaal nachvollzogen und assistiert werden. Dabei ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen der Vermittlung theoretischen Wissens und praktischer Fertigkeiten bzw. der Umsetzung des Wissens in die Operationsrealität.

Probleme und Lösungsansätze

Rund 85.000 Studierende sind derzeit in einer der 36 deutschen medizinischen Fakultäten immatrikuliert [23]. Neben klassischen Vorlesungen erfährt die praktische und praxisnähere Ausbildung nicht zuletzt durch die Novellierung [2] der ärztlichen Approbationsordnung mit einer besseren Verzahnung vorklinischer Grundlagenfächer und klinischer Inhalte eine Stärkung. Das Internet und die Nutzung internetfähiger Mobilgeräte wie Smartphones oder Tablets ermöglichen den Studierenden darüber hinaus die Nutzung multimedialer, webbasierter Wissensressourcen.

Die Internetplattform webop

Entsprechend der Entwicklung wissenschaftlicher Internetressourcen gibt es auch in der Chirurgie immer mehr Internetplattformen, die auf verschiedene Weise versuchen, chirurgisches Fachwissen zu vermitteln. Allen gemeinsam ist meist das Video als Hauptbestandteil [18]. http://www.webop.de ist eine multimediale Operationslehre, die eine Operation schrittweise jeweils durch einen erklärenden Text, eine farblichen Illustration sowie eine kurze Filmsequenz darstellt. Ergänzend stehen auf der Homepage Kapitel zur Anatomie, dem perioperativen Management, Komplikationen und Evidenz für jede Operation bereit. Ziel des Gründerteams von webop war es, in der Verbindung von Multimedialität, Interaktivität und Ansätzen aus dem mentalen Training eine neuartige Operationslehre zu schaffen, die sich an den speziellen Bedürfnissen und Ansprüchen von Chirurgen und Studierenden orientiert.

Video statt Buch – verbessert multimediales Lernen den Lernerfolg?

Um den Nutzen dieser modernen Wissensvermittlung durch eine derartige multimediale Operationslehre zu testen und ihren möglichen Einsatz im Studentenunterricht zu untersuchen, wurde eine randomisiert-kontrollierte Studie im Prä-/Post-/Retentionstest-Design mit Studierenden der Humanmedizin an der Universität Witten/Herdecke durchgeführt. Als Studienoperation diente die laparoskopische Cholezystektomie, Fragebögen testeten das Baseline-Wissen sowie das Wissen direkt und 3 Monate nach Beschäftigung mit der Operationslehre.

Material und Methoden

Studiendesign

Die Probanden wurden per E-Mail zur Teilnahme an dieser Online-Studie eingeladen. Nach Aktivierung des Studienlinks erfolgte automatisch die Randomisierung in die Multimedia (MMG)- oder die Text-Gruppe (TG). Im Anschluss an die Erhebung demographischer Daten wurde das Baseline-Wissen zu dieser Operation mit einem Multiple-Choice-Fragebogen erhoben. Anschließend bekamen die Probanden Zugang zum multimedial aufbereiteten oder dem konventionellen Studienmaterial zur laparoskopischen Cholezystektomie. Der Posttest direkt im Anschluss und der Retentionstest 3 Monate später erhoben erneut das Wissen. Zusätzlich erlaubte ein Evaluationsbogen die Bewertung des Studienmaterials durch die Probanden (Abb. 1). Dieser wurde in Anlehnung an den HILVE-Fragebogen konzipiert [22].

Abb. 1
figure 1

Studienablauf

Das Ethikkomitee gab ein zustimmendes Votum für die dargestellte Studie. Der primäre Endpunkt untersuchte die Erfolgsquoten der Probanden in einem Vorher-Nachher-Vergleich (Prä- und Posttest). Anhand der sekundären Fragestellungen wurden u. a. die Nachhaltigkeit und die Evaluation der Operationslehre durch die Probanden untersucht.

Fragebögen

Die Fragebögen mit jeweils 16 Fragen im Multiple-Choice-Format wurden nach den Leitlinien von René Krebs, Medizinische Fakultät Bern [13] erstellt und boten jeweils drei eindeutige Antwortoptionen sowie die Option „weiß nicht“. Durch diese Option sollte ein Erraten der richtigen Antwort reduziert werden. Die ersten 8 Fragen beschäftigten sich mit allgemeinem Wissen z. B. zur Anatomie; die nächsten 8 Fragen mit dem speziellen z. B. die Operationsdurchführung betreffenden Wissen. Innerhalb des Studienablaufs wurden jeweils 50 % der Formulierungen der Fragen im Fragebogen variiert, um den Wiedererkennungseffekt in den verschiedenen Testphasen zu verringern.

Operationslehre

Die Text-Gruppe (TG) erhielt eine konventionelle Operationslehre, die von Robert Obermaier 2008 im Elsevier-Verlag digital publiziert wurde (Abb. 2). Die Studienoperation wird hier in einem Fließtext mit Illustrationen in Graustufen erklärt. Zwischenüberschriften gliedern die einzelnen Operationsschritte. In der Multimedia-Gruppe (MMG) wird die Studienoperation durch Zwischenüberschriften gegliedert, schrittweise durch Text, farbliche Illustration und einer kurzen Filmsequenz mit Audiokommentar dargestellt (Abb. 3). Das Studienmaterial unterschied sich ausschließlich in der Aufbereitung, die Lerninhalte waren identisch.

Abb. 2
figure 2

Studienmaterial der Text-Gruppe (Screenshot) [24]. (Mit freundl. Genehmigung von Elsevier)

Abb. 3
figure 3

Studienmaterial der Multimedia-Gruppe (Screenshot). (Mit freundl. Genehmgung von webop GmbH)

Statistik

Durch die Fallzahlkalkulation unter Standardfehlerannahmen (α = 0,05, power = 0,80) mit  66 Probanden sollten Unterschiede zwischen den Gruppen in der Größe von 0,7 Standardabweichungen ermittelt werden. Es wurde angenommen, dass zwei Drittel der Studierenden nicht auf die Studieneinladung reagieren würden, sodass pro Gruppe mindestens 195 Probanden eingeladen werden mussten. Die demographischen Daten wurden deskriptiv und mit dem U-Test für unabhängige Stichproben analysiert, die Daten der Testfragebögen Rang-statistisch mittels U-Test für unabhängige Stichproben im Gruppenvergleich und mittels Wilcoxon-Rang-Test für verbundene Stichprobe für die Veränderungen über die Studienzeit.

Ergebnisse

Fall- und Verlaufszahlen

Insgesamt 467 Studierende wurden per E-Mail zur Teilnahme an der Online-Studie eingeladen. 101 Probanden absolvierten daraufhin den Prä- und Posttest (P1). Nach einer Pause von 3 Monaten wurde der Retentionstest von 64 Probanden (P2) durchgeführt. Anhand der erhobenen demographischen Daten konnte eine statistische Vergleichbarkeit der Gruppen festgehalten werden (Tab. 1)

Tab. 1 Charakteristika der Lerngruppen

Lernen – Prätest-Posttest-Vergleich

In der P1 (MMG: n = 56, TG: n = 45) war das Baseline-Wissen der MMG und TG vergleichbar. Im Schnitt konnten 4,0 (MMG) bzw. 3,7 (TG) Fragen richtig beantwortet werden. Im Posttest gaben die Probanden bezüglich der allgemeinen Fragen 9,5 bzw. 8,2 richtige Antworten. Die MMG schnitt bei den speziellen Fragen mit 3,9 richtigen Antworten (TG = 3,0) signifikant besser ab. Der Zuwachs an richtigen Antworten war zu diesem Zeitpunkt nicht signifikant höher (MMG + 5,5, TG + 4,5, p = 0,13). Der Wissenszuwachs war innerhalb der beiden Gruppen im Vergleich zum Prätest deutlich messbar (Tab. 2).

Tab. 2 Ergebnisse des Prätest-Posttest-Vergleichs (P1, n = 101)

Behalten – Prätest-Retentionstest-Vergleich

Nach 3 Monaten schnitt die MMG mit 7,1 richtigen Antworten signifikant besser ab als die TG (5,4 richtige Antworten, p = 0,028). Dies lag vor allem an der besseren Beantwortung der speziellen Fragen (Tab. 3).

Tab. 3 Ergebnisse des Prätest-Retentionstest-Vergleichs (P2, n = 64)a

Auch der Zuwachs lag mit + 3,1 Fragen mehr in der MMG höher als in der TG (+ 2,1, p = 0,041). Hier zeigte sich, dass die MMG Wissen vor allem zum speziellen Ablauf der Operation besser behalten konnte. Die Testergebnisse über den Studienzeitraum sind in Abb. 4 graphisch dargestellt.

Abb. 4
figure 4

Testergebnisse über den Studienzeitraum

Evaluation

Die multimediale Lehre wurde von den Probanden insgesamt besser bewertet. Es wurde vor allem die Zeiteffektivität, die logische Strukturierung und einfache Handhabung positiv bewertet. Spaß und Motivation durch eine solche Aufbereitung wurden bestätigt. Es bestand der Wunsch, weiter auf diese Art zu lernen und die Bereitschaft die Operationslehre weiter zu empfehlen.

Diskussion

Probandenkollektiv und Technik

Die multimediale Lehre wurde in einem studentischen Kollektiv getestet und erfolgreich zur Wissensvermittlung eingesetzt. Im Studienverlauf war die Anzahl der Probanden in der TG etwas kleiner und die Probanden der MMG in etwas höheren Semestern. Weitere Subgruppenanalysen in Abhängigkeit von z. B. Semester oder Geschlecht sollten in einer Studie mit einer größeren Fallzahl weiter untersucht werden. McKimm et al. [15] beschrieben die Technik als größte Hürde des webbasierten Lernens. In der aktuellen Studie aktivierten aber 73 % der eingeladenen Probanden den Studienlink, sodass hier weniger von technischen Problemen ausgegangen werden muss.

Lernerfolg

Nachdem ein ähnliches Baseline-Wissen dargestellt wurde, kam es in beiden Gruppen zu einem signifikanten Lernerfolg im Post- und Retentionstest. Der Lernerfolg wurde durch ein mehr an Wissen bzw. den Wissenszuwachs gemessen. Kognitives Wissen, das per Fragebogen abgefragt wurde, konnte durch eine multimediale Aufbereitung vermittelt und behalten werden. Die MMG schnitt jeweils bei der Beantwortung der speziellen Fragen signifikant besser ab. Neugierde, Motivation durch und Gefallen an Multimedialität [14] können hierbei eine Rolle spielen.

Studienlage

Ergebnisse aus anderen Studien sind wenig vergleichbar, da primäre Endpunkte der Studien nicht einheitlich (Testung faktischen oder prozeduralen Wissens, Fertigkeiten oder einer Kombination), und die Studiendesigns sehr unterschiedlich sind (Prä-Posttest-Design, praktische Überprüfungen, mündliche Überprüfungen; [7]).

Bereits 1997 untersuchten D’Alessandro et al. [8] ein Multimedialehrbuch, mit dem die Probanden im direkten Posttest bessere Ergebnisse erzielten. Seitdem zeigten Studien wiederholt, dass mit einer multimedialen Präsentation bessere Lernerfolge als mit konventionellen Lehrmaterialien [1, 4, 12, 16, 21] erzielt werden können und sich der Einsatz von Videos nachhaltig auf das Lernen auswirkt [5, 9, 10, 11, 17, 19, 20]. Nachdem Cook et al. [3] beschrieben, dass Studierende höhere Punktzahlen erreichten, wenn Studienmaterial eingesetzt wird, das reich an Multimediaelementen ist, wird nun gefordert, vermehrt den genauen Einsatz und die Effektivität einzelner Medien zu testen, da die Wirksamkeit des Konzeptes Multimedialität bewiesen sei [6].

Fazit für die Praxis

  • Die neu entwickelte Operationslehre ist geeignet für den studentischen Unterricht in der Chirurgie.

  • Neben der Vermittlung grundlegenden Wissens wurde insbesondere auch das spezielle Wissen zum Operationsablauf besser erlernt.

  • Die Nachhaltigkeit des erworbenen Wissens wurde im Retentionstest bestätigt.

  • Eine multimediale Aufbereitung der Inhalte wird von den Studierenden positiv evaluiert und es bestehen die Bereitschaft und der Wunsch, auf diese Art zu lernen.