Fallbeschreibung

Anamnese

Die 61-jährige Patientin stellte sich im bei Ihrem Hausarzt wegen zunehmender Müdigkeit, Blässe und Abgeschlagenheit vor. Gewichtsabnahme, Schmerzen oder Stuhlunregelmäßigkeiten wurden verneint. Es fiel ein erniedrigter Hämoglobinwert (8,3 g/dl) auf und es wurde im Weiteren eine endoskopische Abklärung veranlasst. Dabei wurde die Diagnose eines Colon-ascendens-Karzinoms gestellt.

Therapie und Verlauf

Nach Ausschluss einer Fernmetastasierung wurde eine Hemikolektomie rechts und eine End-zu-Seit-Ileotransversostomie als Rekonstruktion durchgeführt. Der histopathologische Befund ergab ein Tumorstadium pT3, pN2 [13/21], cM0, R0, G3, L1. Postoperativ entwickelte die Patientin Fieber und in der computertomographischen Abklärung fiel ein ausgedehnter Flüssigkeitsverhalt im Bereich der Bauchdecke auf, welcher gespalten und mittels täglicher Spülung therapiert wurde. Ein nebenbefundlich diagnostiziertes Hämatom war nicht drainagewürdig und die Anastomose zeigte sich suffizient ohne Anhalt für eine Leckage.

Aufgrund des Befundes eines Kolonkarzinoms im UICC-Stadium IIIB (Union International Contre le Cancer, Version 6) erhielt die Patientin eine adjuvante Chemotherapie nach dem so genannten FOLFOX4-Schema (Oxaliplatin 85 mg/m2 Tag 1, 5-FU-Bolus 400 mg/m2 Tag 1+2, 5-FU 600 mg/m2 über 22 h Tag 1+2, Leukovorin 200 mg/m2 Tag 1+2) für eine Dauer von 6 Monaten.

Acht Monate postoperativ berichtete die Patientin über unspezifische Schmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule (LWS). Eine Positronenemissionstomographie-Computertomographie (PET-CT) wurde durchgeführt, welche größenprogrediente, intensiv Fluorodeoxyglucose- (FDG-)speichernde Lymphknoten paraaortal und interaortokaval (Abb. 1) zeigte.

Abb. 1
figure 1

Staging nach Abschluss der adjuvanten Therapie (PET-CT): Fluorodeoxyglucose- (FDG-)speichernde Lymphknoten paraaortal und interaortokaval

Aufgrund des dokumentierten Progresses wurde eine Kombinationstherapie mit modifiziertem FOLFIRI/Bevacizumab (Avastin®) für eine Dauer von ca. 5 Wochen durchgeführt (Irinotecan 180 mg/m2 Tag 1, 15, 29, Leukovorin 200 mg/m2 Tag 1, 8, 15, 22, 29, 36, 5-FU 2000 mg/m2 über 24 h Tag 1, 8, 15, 22, 29, 36 und Bevacizumab 5 mg/kg KG Tag 1, 15, 29). Darunter besserten sich zunächst auch die zuvor beschriebenen Rückenschmerzen.

Vier Wochen nach Ende der kombinierten Chemo-/Antikörpertherapie änderte sich der Schmerzcharakter in Richtung zusätzlicher, rezidivierend auftretender, krampfartiger Bauchschmerzen. In den daraufhin veranlassten Untersuchungen zeigten sich die retroperitonealen Lymphknoten allerdings gegenüber September größenrückläufig. Auch der initial auf 4,12 ng/ml angestiegene Tumormarker karzinoembryonales Antigen (CEA) war rückläufig auf 2,82 ng/ml. Aufgrund einer in der CT aufgefallenen Wandverdickung im Bereich der Ileotransversostomie (Abb. 2) wurde eine Koloskopie durchgeführt. Dabei wurden im gesamten Kolon, besonders ausgeprägt im Bereich der Ileotransversostomie, Fibrinbeläge im Sinne einer Kolitis festgestellt und Biopsien entnommen. Histologisch zeigte sich das Bild einer unspezifischen Entzündung mit flacher Erosion und deutlich regenerativ veränderten Epithelien, die initial als mikrobielle Kolitis interpretiert wurden. Unter Kenntnis des klinischen Verlaufs könnte man retrospektiv die relativ unspezifischen Veränderungen auch als ischämisch bedingt werten.

Abb. 2
figure 2

CT-Untersuchung 4 Wochen nach Ende der kombinierten Chemo-/Antikörpertherapie: Rückläufige retroperitonealen Lymphknoten, Wandverdickung im Bereich der Ileotransversostomie

Zwei Monate nach Ende der Chemo-/Antikörpertherapie kam es zu einer akuten Schmerzzunahme mit Abwehrspannung im Sinne eines akuten Abdomens. In der Computertomographie stellte sich eine extraluminale Flüssigkeitsansammlung dorsal der Anastomose dar, so dass eine Darmperforation angenommen werden musste (Abb. 3). Dies bestätigte sich intraoperativ und es wurde eine Anastomosenresektion mit Neuanlage der Ileotransversostomie durchgeführt. Das Resektat zeigte einen Substanzdefekt im Bereich der Anastomose und eine nicht mehr ganz frische fibrinös-eitrige Peritonitis. Insgesamt wurden die Veränderungen als ischämisch bedingt interpretiert. Die Abb. 4 zeigt den Ulkusrand im Bereich der Perforation und in Abb. 5 kann man ischämische Schleimhautveränderungen erkennen.

Abb. 3
figure 3

CT-Untersuchung 2 Monate nach Ende der Chemo-/Antikörpertherapie bei akuten abdominellen Schmerzen: Extraluminale Flüssigkeitsansammlung dorsal der Anastomose

Abb. 4
figure 4

Die Übersichtsaufnahme zeigt die Perforation zur Serosa hin. Hier finden sich zum Teil frische Fibrinablagerungen, daneben aber auch länger bestehendes Granulationsgewebe. Auch die muskuläre Wand zeigt granulozytäre Infiltrate (HE, Vergr. 1:100)

Abb. 5
figure 5

Das Übersichtsphoto zeigt die Schleimhaut im Bereich der von der Perforation weiter entfernten Schleimhauterosionen. Man erkennt eine zum Teil zerstörte Schleimhaut, bei der nur noch basale Krypten vital erscheinen. Große Teile der oberflächlichen Kryptenabschnitte sind nekrotisch. In der Submukosa fallen ektatische Gefäße auf (HE, Vergr. 1:100)

Bei zunächst unauffälligem postoperativem Verlauf berichtete die Patientin am 8. postoperativen Tag über erneute Abdominalschmerzen mit gleichzeitigem Leukozytenanstieg und Fieber. Die unmittelbar durchgeführte Kontrastmitteldarstellung des Kolons ergab den Hinweis auf eine Anastomoseninsuffizienz, die eine sofortige Revision nach sich zog. Intraoperativ zeigte sich hierbei eine komplett dehiszente Anastomose mit bereits makroskopisch erkennbar areaktiven Wundrändern sowie einer auffälligen Thrombosierung kleiner venöser Gefäße. Zur Vermeidung einer weiteren Gefährdung der Patienten wurde auf eine erneute Anastomosierung verzichtet und das Ileum wie auch das Colon transversum endständig ausgeleitet. Der daran anschließende Verlauf war ungestört.

Diagnose:

Ischämische Anastomosenperforation im Bereich einer Ileotransversostomie 10 Monate postoperativ unter Therapie mit Bevacizumab (Avastin®)

Diskussion

Das Auftreten von Wundheilungsstörungen nach einer Rechtshemikolektomie ist für sich betrachtet kein außergewöhnliches Ereignis. Grundsätzlich aber ist die Heilungstendenz der Anastomose zwischen Ileum und Kolon sehr gut und Insuffizienzen sind seltene Ereignisse. In dem geschilderten Fall wurde eine Anastomosenkomplikation 10 Monate nach dem Ersteingriff, also ungewöhnlich spät beobachtet und stand in zeitlichem Zusammenhang mit einer kombinierten Therapie mit konventionellen Chemotherapeutika und einem Antikörper, der gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) gerichtet ist. In diesem Zusammenhang ist das makroskopische und histopathologische Bild der initial angelegten Ileotransversostomie außergewöhnlich. Dies gilt ebenso für die nach notfallmäßiger Anastomosenresektion angelegte zweite Anastomose. Im Gegensatz zu auf unmittelbar postoperativ auftretenden Komplikationen wie Blutungen oder auf technische Nahtmängel beruhenden Anastomoseninsuffizienzen sind nach einer Woche auftretende Nekrosen im Bereich der anastomosierten Darmenden üblicherweise auf eine mangelnde Durchblutung zurückzuführen. In dem beschriebenen Fall ist jedoch anhand der vorliegenden histopathologischen Ergebnisse offenbar ein anderer Faktor von Bedeutung.

Nach eigener Beobachtung von Lordick et al. [4] kann es unter einer Therapie mit dem antiangiogen wirksamen Antikörper Bevacizumab vor allem nach Strahlentherapie zum Auftreten von Läsionen in Darmabschnitten kommen. Drei von 33 mit Bevacizumab behandelte Patienten entwickelten strukturelle Darmschädigungen. Diese 3 Patienten hatten im Gegensatz zu den 30 Patienten ohne Perforation zuvor eine infradiaphragmale Strahlentherapie erhalten.

Bei einem 42-jährigen Patienten war wegen eines lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinoms eine anteriore Resektion und anschließend eine adjuvante Radiochemotherapie durchgeführt worden. Bei Auftreten von hepatischen Filiae 6 Monate später erhielt er eine Therapie mit Bevacizumab (5 mg/kg)/FOLFIRI. Während der ersten 4 Behandlungswochen entwickelte der Patient perianale Schmerzen und es wurde endoskopisch eine Wandverdickung mit großen, die gesamte Darmwand perforierenden Ulzerationen im Bereich der Anastomose bzw. nekrotische Areale festgestellt. Die histologischen Befunde waren vereinbar mit einer ischämischen Kolitis. Auch nach Abbruch der Behandlung mit Bevacizumab war der Patient 5 Monate später immer noch symptomatisch.

Die zweite Patientin war eine 60-jährige Frau mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom, die neoadjuvant radiochemotherapiert und anschließend reseziert worden war. Sechzehn Monate später wurde aufgrund einer lymphogenen Metastasierung eine Kombinationstherapie mit Bevacizumab (5 mg/kg)/FOLFIRI durchgeführt. Auch diese Patientin entwickelte während der ersten 4 Wochen perianale Schmerzen und histologisch wurde eine ischämische Kolitis diagnostiziert.

Im dritten Fall handelte es sich um einen 63-jährigen Mann mit einem metastasierten Nierenzellkarzinom, welcher im Bereich des Os ileum wegen einer Knochenmetastase bestrahlt worden war. Vier Monate später erhielt er bei systemischer Progression Bevacizumab (10 mg/kg) 14-tägig ohne zusätzliche Chemotherapie. Einen Tag nach der 2. Gabe musste der Patient wegen einer Perforation im Bereich des Zökums operiert werden. Histologisch zeigten sich viele, verschieden alte Thrombosen der Venolen und Arteriolen im Bereich der Submukosa. Im Weiteren entwickelte der Patient eine 4-Quadranten-Peritonitis und die Anastomose musste – ähnlich wie bei dem aktuell geschilderten Fall – aufgrund einer insuffizienten Wundheilung revidiert werden. Der Patient verstarb trotz Sanierung des Fokus und maximaler intensivmedizinischer Therapie im Rahmen einer Sepsis.

Die Autoren nehmen an, dass der VEGF-Antikörper Bevacizumab Prozesse der Regeneration von intestinalen Strahlenfolgen negativ beeinträchtigt. Das histologische Operationspräparat zeigte unterschiedlich alte Thrombosen im Gefäßsystem im Bereich der submukösen Schicht. Es wurde daraus geschlossen, dass es durch diese Thromben zu einer Ischämie und nachfolgend zu einer Perforation der Darmwand gekommen war.

Auch im vorliegenden Fall einer Anastomoseninsuffizienz unter kombinierter Bevacizumab-/Chemotherapie wurde im Rahmen der Anastomosenresektion der Verdacht auf eine ischämische Genese der Darmperforation gestellt.

Die kombinierte Therapie begann ca. 9 Monate nach Hemikolektomie und die Anastomoseninsuffizienz wurde 6 Wochen nach der letzten Gabe von Bevacizumab diagnostiziert. Beschwerden im Sinne von krampfartigen Bauchschmerzen und Lumboischialgie bei suspekten Veränderungen im Bereich von LWK 3 traten bereits 5 Wochen nach der ersten Bevacizumabgabe auf. Die Patientin wurde daraufhin umfassend abgeklärt. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch eine Insuffizienz der Anastomose nicht nachweisbar. Suspekt erschienen lediglich die entzündlich imponierende Verdickung und ulzeröse Kolitis im Bereich der Anastomose.

Es stellt sich die Frage, ob Anastomosen insgesamt als „locus minoris resistentiae“ betrachtet werden müssen, unabhängig davon, wie lange eine vorhergegangene Operation mit oder ohne Radiotherapie zurückliegt. Man kann vermuten, dass Anastomosenregionen im Vergleich zu normaler Darmschleimhaut eine im Rahmen der Narbenbildung verminderte Durchblutung aufweisen. Darüber hinaus ist es gut vorstellbar ist, dass eine weitere Drosselung der Blutzufuhr im Rahmen einer Bevacizumabtherapie zu einer kritischen Minderperfusion der Darmwand führt. Interessanterweise wies die hier geschilderte Patientin 5 Wochen vor Eintreten der Anastomosenperforation endoskopisch und histologisch bereits das Bild einer generalisierten Kolitis mit Betonung im Anastomosenbereich auf. Dies unterstützt die Annahme, dass das Auftreten einer gastrointestinalen Perforation unter Bevacizumab durch das Zusammentreffen zweier Umstände gefördert wird: Einerseits tritt eine medikamentös induzierte Kolitis auf, vermutlich auf der Grundlage einer mikrovaskulären Ischämie der Darmwand. Andererseits prädisponiert das Vorliegen einer vorbestehenden Störung der normalen Darmwandintegrität zur Perforation, zum Beispiel durch vorangegangene Bestrahlung oder eine Operation mit intestinaler Anastomosenanlage.

Obwohl in den bisher vorliegenden Studien das Risiko für Grad 3/4-Wundheilungsstörungen unter Bevacizumabtherapie 28–60 Tage nach primärer Tumoroperation, als insgesamt gering eingeschätzt wird (1,3% unter Therapie mit Bevacizumab vs. 0,5% bei alleiniger Chemotherapie) [6], muss diese Möglichkeit bei Auftreten von Beschwerden aus unserer Sicht auch nach länger zurückliegenden operativen Eingriffen in Betracht gezogen und konsequent abgeklärt werden. In Anbetracht des in Studien belegten Überlebensvorteils unter kombinierter Bevacizumab-/Chemotherapie erscheint uns das Risiko der Darmperforation jedoch in der Regel vertretbar, muss im Aufklärungsgespräch vor einer Therapie mit Bevacizumab aber unbedingt angesprochen und das Einverständnis des Patienten mit dieser nicht ganz selten Komplikation eingeholt werden.

Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen im Rahmen einer Therapie mit Bevacizumab lassen sich aus der eigenen Fallbeobachtung auch praktische Konsequenzen ableiten. Wird man bei der Erstoperation eines Dickdarmtumors, also im Bevacizumab-naiven Zustand, das chirurgische Vorgehen weder aus onkologischen noch aus chirurgisch technischen Erwägungen ändern, ergibt sich unserer Meinung nach für den Umgang mit einer Anastomosenkomplikation im zeitlichen Zusammenhang mit einer Bevacizumabgabe ein besonders defensives Verhalten. Entweder sollte man revidierte Dickdarmanastomosen mit einem vorgeschalteten Ileostoma schützen oder bei einer gleichzeitig bestehenden Kontamination des Peritoneums gleich eine Ausleitung beider Darmenden, je nach Lokalisation als gemeinsam oder getrennt ausgeleitete endständige Stomata anlegen. Bislang ungeklärt ist das zeitliche Intervall zwischen der letzten Bevacizumabgabe und der Erholung der Durchblutungssituation des Intestinums, also dem Zeitpunkt an dem beispielsweise eine komplikationsfreie Rückverlagerung des Stomas bzw. ein Wiederanschluss des Darmes durchgeführt werden kann.

Wichtig scheint in jedem Falle eine genaue Medikamentenanamnese bei akuten abdomiellen Beschwerden im Rahmen der Behandlung eines Kolonkarzinoms mit besonderer Berücksichtigung antiangiogen wirksamer Substanzen, also vor allem Bevacizumab. In der entsprechenden Situation muss dann mit besonderer Aufmerksamkeit vorgegangen werden. Patienten mit einem kolorektalen Tumor, die in zunehmendem Maße mit kombinierten Therapieschemata unter Einbeziehung antiangiogen wirksamer Medikamente behandelt werden, müssen auf diese ernsthafte Komplikation aufmerksam gemacht werden.