Erinnern wir uns: Im Jahr 1999 wurde für das beginnende neue Jahrhundert eine Ärzteschwemme mit mehr als 30.000 arbeitslosen Ärzten vorausgesagt. Diese Prognose hat sich, wie wir heute wissen, nicht nur nicht bestätigt, sondern wurde von Voraussagen eines drohenden Ärztemangels abgelöst, der besonders in der Chirurgie erhebliche Versorgungsengpässe in der Zukunft befürchten lasse. Nun kann man der Meinung sein, dass es auch diesmal nicht so schlimm kommen werde. Es gibt aber Grund genug, sich mit dem Problem ernsthaft auseinander zu setzen.

An Ursachenanalysen mangelt es nicht. Ärztekammern und Ärztegewerkschaft, Fachgesellschaften und Berufsverbände beklagen seit langem die sich ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen der Mediziner in Deutschland, die zu einer zunehmenden Flucht aus der ärztlichen Tätigkeit am Patienten in nicht kurative Berufsfelder und zu einem Exodus von jungen Ärztinnen und Ärzten ins Ausland geführt haben. Die Motive für diesen Entschluss wurden nicht nur in zahlreichen Umfragen der genannten ärztlichen Institutionen, sondern auch in großen Studien ganz unterschiedlicher Auftraggeber wie Bundesgesundheitsministerium, Wirtschafts- und Industriebverbänden, Presseorganen oder nationalen und internationalen gesundheitspolitischen Organisationen untersucht.

Die Ergebnisse sind eindeutig. In allen Umfragen und Studien werden, in unterschiedlicher Gewichtung, die unbefriedigende Einkommenssituation, die zeitliche Belastung durch überlange Arbeitszeiten mit kaum möglicher Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben, das Ausmaß der zu bewältigenden nichtärztlichen Aufgaben, ein vor allem in der Chirurgie immer noch stark ausgeprägtes Hierarchieverständnis und Mängel in der fachlichen Betreuung als Gründe für den zunehmenden Ärztefrust und die Unzufriedenheit des ärztlichen Nachwuchses genannt. Fremdbestimmung, Regelungswut und ausufernde Bürokratie rauben die Zeit, die eigentlich für den Patienten zur Verfügung stehen sollte. An den Universitätskliniken, zu deren Kernaufgaben Forschung und Lehre zählen, sind viele Ärzte froh, wenn sie es schaffen, ihre Patienten ausreichend zu versorgen und den Wust an Verwaltungsarbeit und Anfragen zu erledigen. Für die Forschung bleiben der Feierabend und die Wochenenden. Freiräume für eine qualifizierte Weiterbildung bestehen ebenso wenig. Vertraglich gesehen ist sie ein Nebenprodukt der Arbeit, finanzielle Unterstützung und dafür erforderliche Zeitkontingente werden nicht bereitgestellt. Die langfristigen Perspektiven bezüglich erreichbarer Endpositionen in Klinik und Praxis haben sich dramatisch verschlechtert und lassen nicht wie früher eine spätere Kompensation arbeitsintensiver und inadäquat vergüteter Assistentenjahre erwarten.

Das resultierende Missverhältnis in der „Work-Life-Balance“ wird besonders stark in der Chirurgie empfunden und wirkt sich dementsprechend negativ bereits auf das Auswahlverhalten der Studenten bei der primären Wahlentscheidung für ein Fachgebiet aus. Die Ergebnisse des „Motivationsbarometers 2006“, einer Befragung von Medizinstudenten, welche Fachrichtung sie später wählen möchten, spricht hier eine deutliche Sprache. Nur noch 5% geben als späteren Berufswunsch die Chirurgie an, die damit in der Beliebtheitsskala auf Platz Acht noch hinter der Biochemie rangiert [1]. Die chirurgischen Tertiale werden in Befragungen seit Jahren von den PJ- Studenten am schlechtesten bewertet [2]. Da ist es kein Trost, dass auch amerikanische Studien bestätigen, dass sich im Verlauf des Medizinstudiums immer mehr Studenten von der Chirurgie abwenden und sich vor allem die besten Studenten lieber für andere Fachgebiete entscheiden [3, 4].

Nur noch 5% der Medizinstudenten geben als späteren Berufswunsch die Chirurgie an

Mroczkowski und Mitarbeiter machen mit ihrer Befragung von Chefärzten und Weiterbildungsassistenten die schwierige Situation des chirurgischen Nachwuchses am Beispiel Mitteldeutschlands deutlich [5]. Aus der gleichen Arbeitsgruppe wurde früher schon über Erhebungen berichtet, nach denen in den Jahren 1998 bis 2003 bei der Landesärztekammer Sachsen-Anhalt bei den Erstanmeldungen der Anteil der Chirurgie von 15,0 auf 5,8% abgesunken ist und der Mangel für 2008 prognostiziert wurde. Bereits heute ist fast jede zehnte Stelle nicht besetzt, rund 25% sind Ausländer vorwiegend aus dem osteuropäischen Raum und ein weiteres Viertel trägt sich mit Überlegungen, ins Ausland abzuwandern. Neben den in den meisten Umfragen kritisierten Rahmenbedingungen (ungenügendes Einkommen, nicht vergütete Mehrarbeit, Dokumentationsbelastung, Mangel an Freizeit) fällt vor allem bei den Assistentenangaben der an erster Stelle stehende Wunsch nach besserer Erfüllbarkeit des OP-Katalogs während ihrer Weiterbildungszeit auf, während sie bei den sonst viel geschmähten hierarchischen Strukturen mit dem Verhältnis zu den Chef- und Oberärzten mit 80 bzw. 86% zufrieden oder sehr zufrieden sind.

Die aufgrund der Auswirkungen der derzeitigen Rahmenbedingungen prognostizierte Mangelsituation ist, bezogen auf den chirurgischen Nachwuchs, zumindest in Mitteldeutschland bereits klinische Realität. Höchste Zeit, gegenzusteuern, wobei wir, wie auch die Autoren richtig feststellen, nicht weitere Ursachenanalysen, sondern tragfähige Handlungsoptionen benötigen. Die hart erkämpften neuen Tarifverträge werden das Problem nicht lösen. Es genügt allerdings nicht, immer nur mit dem Finger auf andere zu zeigen. Auch und gerade die Fachgesellschaften sind hier gefordert [6].