Fallbeispiel

Befunde

Bei einer 55-jährigen Patientin bestanden seit zwei Wochen postprandial abdominelle Beschwerden, ausgehend vom Epigastrium mit rascher Ausbreitung über das gesamte Abdomen. Der Schmerz hatte einen kolikartigen Charakter. Weiterhin berichtete die Betroffene über rezidivierendes galliges Erbrechen. Peranaler Blutabgang, Teerstuhl, Gewichtsverlust, Schulter- bzw. Rückenschmerzen oder Ikterus wurden verneint. Der letzte Stuhlgang war fünf Tage vor der stationären Aufnahme bezüglich Konsistenz und Farbe normal.

Bei der körperlichen Untersuchung stellte sich eine 164 cm große und mit 90 kg Körpergewicht adipöse Patientin in gutem Allgemein- und Ernährungszustand vor. Die körperliche Untersuchung ergab bis auf einen Druckschmerz im rechten Oberbauch und Epigastrium sowie einen mit 33 erhöhten Body-Mass-Index keine sonstigen pathologischen Auffälligkeiten. Nebenbefundlich ließen sich eine arterielle Hypertonie und eine abdominelle Hysterektomie wegen benigner Grunderkrankung vor mehreren Jahren anamnestizieren.

Laborchemisch waren Leukozyten (13/nl), χ-GT (63 U/l) und LDH (280 U/l) pathologisch erhöht (Laborwerte in SI-Einheiten).

Im Rahmen der Diagnostik zeigte die Sonographie des Abdomens das Bild einer chronischen Cholezystitis mit Cholezystolithiasis bei ausgeprägter Steatosis hepatis. Die Thoraxröntgenaufnahme in zwei Ebenen ergab einen altersentsprechenden Herz-Lungen-Befund. Die Endoskopie des oberen Gastrointestinaltraktes erbrachte punktuelle Erosionen im Magenkorpus und multiple kleine, flache und fibrinbelegte Ulzera im Bereich des Bulbus duodeni. Die endosonographische Untersuchung des oberen Verdauungstraktes zeigte eine regelrechte Wandschichtung des Ösophagus und Magens sowie eine anatomiegerechte Darstellung der abführenden Gallenwege und des Pankreas. Pathohistologisch wurde eine unspezifische chronische Gastritis beschrieben, maligne Zellen oder eine Infektion mit Helicobacter pylori konnten nicht nachgewiesen werden.

 

Unsere Arbeitsdiagnose, basierend auf vorbeschriebener Klinik und apparativer Diagnostik, war eine symptomatische chronische Cholezystitis bei Cholezystolithiasis.

Therapie und Verlauf

Nach üblicher präoperativer Vorbereitung führten wir eine laparoskopische Cholezystektomie durch. Intraoperativ zeigte sich das klinische Bild einer Cholezystitis mit hydroptischer Schwellung und begleitender Gallenblasenwandverdickung. Die Operation wurde in minimal-invasiver Technik beendet. Der postoperative Verlauf war komplikationslos, die Patientin konnte am 4. Tag nach oben genannter chirurgischer Intervention beschwerdefrei entlassen werden.

Im histologischen Präparat der Gallenblase zeigte sich der akute Schub einer chronisch rezidivierenden Cholezystitis mit flächigen Schleimhauterosionen, Hämorrhagien und reaktiv veränderten Schleimhautresten (Abb. 1, 2). Nebenbefundlich wurden glanduläre, knotige Proliferate und exokrine Zellklaster beschrieben, die einer totalen Pankreasheterotopie entsprachen.

Abb. 1
figure 1

Chronisch floride erosive Cholezystitis mit Reepithelialisation und Pankreasheterotopie (Vergr. 1:20)

Abb. 2
figure 2

Pankreasheterotopie in der Gallenblasenwand mit Ausführungsgängen, Parenchym (Vergr. 1:100)

Diskussion

Heterotopes Pankreasgewebe ist eine seltene Entität und wird meist als Zufallsbefund entdeckt [7, 8, 12, 16]. Erstmalig fand der Nachweis von ektopem Bauchspeicheldrüsengewebe 1727 durch Schultz Erwähnung. 1859 war es Klob, der dessen histologische Morphologie beschrieb [7, 9]. Nach dem Pankreas divisum handelt es sich hierbei um die zweithäufigste Anomalie der Bauchspeicheldrüse [7].

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Begriffe heterotop, ektop und aberrierend synonym verwendet werden.

Das aberrierende Pankreas ist definiert als Pankreasgewebe mit eigenständigem Gangsystem und isolierter Gefäßversorgung ohne eine anatomische oder vaskuläre Verbindung zum Pankreashauptorgan [1, 3, 5, 8, 12, 16, 20]. Ektopes Bauchspeicheldrüsengewebe wird in etwa 2% (je nach Autor zwischen 0,6–13,7%) aller Autopsien sowie bei ca. einer von 500 Laparotomien zufällig nachgewiesen [5, 7, 8, 12, 16, 19]. Am häufigsten ist ektopes Pankreasgewebe im Magen (25–60%) und im Duodenum (25–35%) lokalisiert, wobei es auch aus anderen Strukturen, wie Ösophagus, Ileum, Meckel-Divertikel, Mesenterium, Omentum, Kolon, Gallenblase, Ductus hepatocholedochus, Papilla Vateri, Milz, Leber, Lymphknoten, Harnblase oder der Lunge, isoliert werden konnte [5, 7, 8, 21].

Die Gallenblase als Lokalisationsort von aberrierendem Bauchspeicheldrüsengewebe, wie in vorliegender Kasuistik, ist eine Rarität und wurde erstmals 1916 von Poppi beschrieben [4, 10, 16, 17]. Die Literaturrecherche (Medline und Google ohne Zeiteinschränkung) ergab bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich 28 weitere publizierte Kasuistiken [16, 17]. Bei Untersuchungen der Mayo Clinic zeigte sich, dass nur in einem von insgesamt 212 Fällen mit ektopem Pankreasgewebe die Gallenblase betroffen war [4, 17].

Die Ätiologie von ektopem Pankreasgewebe ist nicht geklärt. Es gibt mehrere Theorien zur Entwicklung des aberrierenden Pankreasgewebes, keine konnte bislang bestätigt und für richtig erklärt werden. Scarpelli vermutete, dass entweder Zellverbände von embryonalem Pankreasgewebe in die Wand des Intestinums einwachsen, vom Pankreashauptorgan getrennt werden und autonom weiter wachsen oder aber, dass sich aus fehlentwickeltem pluripotentem mesenchymalem embryonalem Gewebe des Gastrointestinaltraktes ektopes Pankreasgewebe bildet [19].

Histologisch gibt es 4 Einteilungen für die Pankreasektopie [5]:

  • die totale Heterotopie, bei der alle Pankreaszelltypen vorhanden sind,

  • die kanalikuläre Heterotopie mit nur duktalen Proliferationen,

  • die exokrine Heterotopie, bei der sich lediglich Acini ausbilden,

  • die endokrine Heterotopie, die nur aus Langerhans-Inselzellen besteht.

Das ektope Pankreasgewebe ist meist intramural gelegen, zu 75% submukös und weniger häufig intramuskulär oder subserös. Makroskopisch lässt es sich gut von der Umgebung abgrenzen und weist eine charakteristische zentrale Einziehung (Nabel) auf. Die Größe kann zwischen mikroskopisch klein und mehreren Zentimetern variieren [7, 16].

Aberrierendes Bauchspeicheldrüsengewebe ist per se eine benigne Entwicklungsanomalie, in wenigen Fällen wurde aber auch schon dessen maligne Entartung diskutiert und beschrieben [11, 16, 18]. Der histologische Nachweis einer Fernmetastasierung gelang bis zum heutigen Zeitpunkt nicht.

Ektopes Pankreasgewebe lässt sich in allen Altersgruppen auffinden, sowohl bei Säuglingen als auch im Senium. Der Häufigkeitsgipfel mit etwa 50% der Fälle liegt zwischen dem 4. und 6. Lebensjahrzehnt, wobei Männer 3-mal so oft betroffen sind wie Frauen [7, 6, 16, 17].

Die Pankreasektopie ist meistens asymptomatisch. Man schätzt, dass bei 40% der Patienten uncharakteristische Beschwerden auftreten. Am häufigsten werden epigastrische Schmerzen (77%), Völlegefühl (30%), Teerstuhl (24%), Übelkeit und Erbrechen (18%) angegeben [7, 8, 12]. In ganz wenigen Fällen kommt es zu Symptomen und Komplikationen wie Magenausgangsstenose, Obstruktion der Papilla Vateri, Gallengangsstenose, akute oder chronische Pankreatitis, Hyperinsulinismus, Zollinger-Ellison-Syndrom, akute Blutung, maligne Entartung, zystische Dystrophie, entzündlicher Prozess oder auch Abszedierung [2, 7, 8, 9, 11, 12, 14, 16]. Nur bei der Manifestation von Komplikationen besteht Therapiepflichtigkeit.

Der diagnostische Nachweis von ektopem Pankreasgewebe ist aufgrund der meist fehlenden Beschwerden schwierig. Bildgebende Untersuchungsverfahren wie Ultraschall oder Computertomographie sind unspezifisch. Die Endoskopie oder die Röntgenkontrastuntersuchung kann im oberen Gastrointestinaltrakt durch Darstellung von submukösen Tumoren hilfreich sein. Lediglich der Endosonographie ist die submuköse Ausdehnung und die für die Pankreasheterotopie typische zentrale Einziehung (Nabelbildung), wenn vorhanden, zugänglich. Manchmal kann aberrierendes Pankreasgewebe im Gastrointestinaltrakt ein abheilendes Magenulkus oder einen ulzerierenden Tumor imitieren. Endoskopisch entnommene Gewebeproben sind oft zu klein, um eine definitive histologische Aussage treffen zu können. Neuerdings wird daher die endosonographisch unterstützte Materialgewinnung empfohlen, um quantitativ ausreichende Proben für die feingewebliche Untersuchung zur Verfügung zu haben. Die definitive Diagnose „heterotopes Pankreasgewebe“ kann oft erst am endgültigen chirurgischen Präparat erfolgen [7, 8, 9, 12, 16]. Unterstreichend sei angefügt, dass zum Nachweis einer Pankreasheterotopie in der Gallenblase keines der genannten diagnostischen Verfahren herangezogen werden kann.

Zu den Differenzialdiagnosen des aberrierenden Pankreasgewebes gehören Leiomyome, Lymphome, gastrointestinale Polypen, gastrointestinale Stromatumoren (GIST) und Karzinome [7].

Die Therapie der Wahl ist die operative Entfernung [7, 8, 12, 16]. Neuerdings wird auch die endoskopische Resektion bei ektopem Pankreasgewebe im Magen erfolgreich durchgeführt [7]. Eine Nachbehandlung ist nach vollständiger Tumorabtragung im Gesunden nicht erforderlich [8, 13, 15]. Für Patienten, die gastroskopisch therapiert wurden, werden in der Literatur Verlaufskontrolle empfohlen, wobei es keine genaueren Angaben zu den jeweiligen Zeitintervallen gibt [7]. Ein Rezidiv von aberrierendem Pankreasgewebe wurde nie beschrieben [8].

In den bislang weltweit publizierten 28 Fallbeispielen war der Nachweis von ektopem Pankreasgewebe in der Gallenblase immer ein Zufallsbefund. Wie in unserer Kasuistik boten alle Erfassten das klinische Bild einer akuten Cholezystitis und waren nach operativer Intervention beschwerdefrei.

Schlussfolgerung

Heterotopes Pankreasgewebe ist eine seltene Entität und wird meist als Zufallsbefund entdeckt. Nach dem Pankreas divisum ist es die zweithäufigste Anomalie der Bauchspeicheldrüse. Prinzipiell ist es eine benigne Entwicklungsanomalie, in wenigen Fällen wurde aber auch schon eine maligne Entartung diskutiert und beschrieben. Eine Metastasierung fand bis zum heutigen Zeitpunkt keine Erwähnung.

Am häufigsten lässt sich heterotopes Pankreasgewebe in Magen und Duodenum detektieren. Die Gallenblase als Lokalisationsort stellt eine Rarität dar. Der diagnostische Nachweis ist aufgrund der meist fehlenden Beschwerden schwierig. Oft treten uncharakteristische Symptome wie epigastrische Schmerzen, Völlegefühl, Teerstuhl oder Übelkeit auf. Selten kommt es zu Symptomen und Komplikationen wie Magenausgangsstenose, Gallengangsstenose, akute oder chronische Pankreatitis, akute Blutung, maligne Entartung, entzündlicher Prozess oder auch Abszedierung. Nur in diesen Fällen besteht eine absolute Behandlungsindikation. Sowohl die Endoskopie als auch die Endosonographie können bei der Diagnosestellung hilfreich sein.

Die Therapie der Wahl ist die operative Entfernung. Neuerdings wird auch die endoskopische Resektion bei ektopem Pankreasgewebe im Magen erfolgreich durchgeführt. Eine Nachbehandlung ist nach vollständiger Tumorabtragung im Gesunden nicht erforderlich. Patienten, die gastroskopisch reseziert wurden, sollten in engmaschiger Kontrolle verbleiben. Ein Rezidiv von aberrierendem Pankreasgewebe wurde nie beschrieben.