Die proximale Humerusfraktur ist eine häufige Fraktur des alten Menschen, wobei die Grenze zum hohen Lebensalter nicht eindeutig definiert ist. Die verschiedenen Angaben in der Literatur sind auch aus diesem Grund oft nicht vergleichbar. Statistisch steigt das Verletzungsrisiko ab dem 70. Lebensjahr deutlich an, dies untermauert auch die Messung der Knochendichte, die ab diesem Lebensalter vor allem bei Frauen deutlich absinkt [10]. Eine Einigung auf diese Altersgrenze als Beginn des hohen Lebensalter für künftige Studien wäre daher günstig.

Die Bandbreite der Therapieempfehlungen reicht auch in dieser Altersgruppe von der konservativen Behandlung bis zur primären endoprothetischen Versorgung [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 10, 11, 13, 15, 19, 20, 21, 22, 23, 24]. Bei differenzierter Betrachtung werden gering dislozierte, einfache Frakturformen (2-Part) konservativ behandelt (60–80% aller Frakturen in der Literatur), dislozierte (nach den Kriterien von Neer, 45° abgekippt oder 1 cm disloziert) 4-Part-Frakturen, Luxationsfrakturen und insbesondere Stückfrakturen der Kalotte werden meist operativ versorgt.

Anamnestisch wird über einen Sturz auf die Schulter bei angelegtem Arm oder einen Sturz mit ausgestrecktem Arm berichtet, Hochenergieverletzungen sind in dieser Altersgruppe die Ausnahme. Frauen sind entsprechend ihres Bevölkerungsanteiles häufiger betroffen, auch die Verringerung der Knochendichte spielt hier eine wichtige Rolle. Die Angaben für das Geschlechterverhältnis am Oberarmkopf reichen von 1:2 [11] bis zu 1:5 [9].

Durchblutung und Morphologie

Der durch den Unfall gesetzte Schaden an der Durchblutung kann über die Frakturlokalisation und die Dislokation der Fragmente abgeschätzt werden. Frakturen im Collum anatomicum, Stückfrakturen der Kalotte und Dislokationen des Schaftes am medialen unteren Kalottenrand von mehr als 1 cm lassen einen substanziellen Schaden für die Vaskularisierung erwarten [14]. Die generalisierte Arteriosklerose der Patienten im hohen Lebensalter könnte ein zusätzliches Problem für die Frakturheilung sein, auch wenn sie im Allgemeinen an der oberen Extremität keine Rolle spielt. Morphologisch zeigt sich insbesondere bei Schnitten durch den Humeruskopf wenig Spongiosa und größere Areale mit zystischen Veränderungen. Der Sitz der Schrauben ist in diesen Bereichen nicht gewährleistet. Diese Faktoren sind für den Chirurgen jedoch nicht beeinflussbar (Abb. 1).

Abb. 1.
figure 1

Spongiosaarme Bereiche im proximalen Humerus (CT)

Die Indikation zur Therapie, die Wahl des Osteosyntheseverfahrens und ggf. der Entschluss zur primären prothetischen Versorgung wird dadurch jedoch beeinflusst und hat die Plattenosteosynthese zumindest in der Form mit ausgedehnter Freilegung der Weichteile für diese Indikation in den Hintergrund gedrängt.

Klassifikation

Die Einteilung von Neer [16, 17], basierend auf der Codman-Einteilung von 1934, mit den 4 Segmenten (Kopf-Schaft-Tuberkulum majus/minus) ist im klinischen Alltag am weitesten verbreitet. Die AO-Einteilung spielt eher eine untergeordnete Rolle. Wie von vielen Autoren bereits angesprochen, muss darauf hingewiesen werden, dass die Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit der Klassifikationen gering ist (30%!) [18]. Valgusimpaktionen der Kalotte und Kopfstückbrüche werden in der Neer/ und der AO/Einteilung nur unzureichend abgebildet. Klinisch ist die Einteilung von Codman hilfreich und bildet das gesamte Spektrum möglicher Verletzungen ab (Abb. 2).

Abb. 2.
figure 2

Codman-Klassifikation

Diagnostik

Die Prognose sinkt mit der Zahl der frakturierten Teile und der zunehmenden Dislokation. Um diese abschätzen zu können sind zumindest Röntgenbilder in a.p. und axialem Strahlengang erforderlich. Die axiale Aufnahme mit Abduktion ist unter Zug am Arm meist auch bei frischen Frakturen möglich. Aus unserer Sicht ist zur Therapieplanung eine Computertomographie hilfreich und in den meisten Fällen zur genauen Frakturanalyse notwendig. Insbesondere Frakturen der Kalotte sind im Nativröntgen oft schwer erkennbar. Die Klassifikation und das Verständnis der Fraktur wird durch die Computertomographie oft erst möglich [10].

Therapieverfahren

Für die Wahl des Behandlungsverfahrens stellen sich in Anlehnung an Resch mehrere Fragen:

  1. 1.

    Wie ist die Prognose der Fraktur?

  2. 2.

    Kann der Bruch reponiert und gehalten werden?

  3. 3.

    Ist eine funktionelle Behandlung möglich?

  4. 4.

    Ist die gewählte Therapie diesem Patienten zuzumuten?

Die Prognose ist bei gering dislozierten Brüchen günstig, die Vaskularität ist nicht wesentlich gestört, Frakturen im Collum anatomicum ausgenommen. Falls diese Brüche unter Bildverstärkerkontrolle stabil sind, kann konservativ behandelt werden.

Die dislozierten 3- und 4- Part-Frakturen müssen genauer analysiert werden. Die Angaben der Kopfnekroserate bei diesen Brüchen schwanken in der Literatur von 0–45%. Der Operationszeitpunkt ist in den Arbeiten meist nicht differenziert erfasst, könnte aber einen weiteren Faktor für die Restdurchblutung und damit für die Prognose darstellen. Wenn bei der Wahl des Osteosyntheseverfahren mit der Kopfdurchblutung argumentiert wird, muss konsequenterweise eine zeitlich dringliche Indikation gestellt werden. Ob dies in den meisten Kliniken organisatorisch möglich wäre und ggf. die Logistik die Entscheidung zur primären endoprothetischen Versorgung mitbeeinflusst, kann nur spekuliert werden.

Die Plattenosteosynthese

Bei den metaphysären Frakturen stellt die Plattenosteosynthese immer noch das Standardverfahren dar. Bei dislozierten, instabilen, subkapitalen Frakturen ist die Stabilität von konventionellen Plattensystemen auch beim alten Menschen meist ausreichend um funktionell nachzubehandeln. Anders stellt sich die Situation bei Mehrfragmentfrakturen dar. Hier besteht die Hoffnung, dass die winkelstabilen Platten Vorteile in der Verankerung bieten und damit die Patienten ebenfalls frühfunktionell beübt werden können.

Dem Vorteil der Stabilität steht der Nachteil der Gewebstraumatisierung durch den Zugang gegenüber. Dass die einzelnen Fragmente nicht ausgedehnt dargestellt werden sollten, darüber besteht Einigkeit, ob man von einer No-touch-Technik sprechen kann, sollte jeder Operateur für sich beantworten. Ziel einer schonenden Operationstechnik muss sein, eine zusätzliche Devaskularisierung möglichst zu vermeiden.

Gegen die primäre endoprothetische Versorgung spricht zudem aus unserer Sicht, dass die Fraktur meist distal der idealen Resektionshöhe verläuft und damit nicht ideale anatomische Verhältnisse für einen guten Prothesensitz und die Anlagerung der Tuberkula gegeben sind.

Die Ergebnisse in der Literatur sind hierzu uneinheitlich.

Technik

Der deltoideo-pektorale Zugang in Rückenlage stellt unseren Standardzugang dar, V. cephalica und M. deltoideus werden in Abduktionsstellung lateralisiert. Vor der Plattenanlage wird schonend, indirekt durch Zug und mit kleinem Raspatorium reponiert. Bei völlig nach dorsal abgekipptem Kopf und verzögertem Operationszeitpunkt gelingt dies allerdings manchmal nicht so schonend wie gewünscht.

Mit dem Bildverstärker wird das Repositionsergebnis in 2 Ebenen geprüft und dann mit K-Drähten gesichert. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Drähte nicht die Plattenlage behindern. Wichtig ist eine laterale Positionierung der Platte, der Sulcus intertubercularis mit langer Bizepssehne und R. ascendens der A. circumflexa humeri anterior ist zu schonen.

Die neuen winkelstabilen Platten zeichnen sich durch ein flacheres Profil aus, das von uns hauptsächlich verwendete Modell (PHP, Fa. Synthes) erlaubt bis zu 5 Schrauben winkelstabil im Kopf zu verankern (Abb. 3, 4, 5).

Abb. 3.
figure 3

Dislozierte 4-Part-Fraktur

Abb. 4.
figure 4

Proximale Humerusplatte (Fa. Synthes) intraoperativ

Abb. 5.
figure 5

Intraoperative Röntgenkontrolle

Die Platte wird zuerst am Schaft, ggf. mit einer 3,5-Kleinfragmentschraube fixiert, sie muss nicht am Knochen anliegen. Ein kraniales Überstehen über dem Tuberkulum majus ist zu vermeiden, das funktionelle Ergebnis verschlechtert sich dadurch deutlich [4].

Anschließend wird mit 2,8 mm Bohrer vorgebohrt, eine Perforation der Kalotte sollte vermieden werden, da es eine Sinterung der Kalotte in den dann vorgegebenen Schraubenlöchern begünstigt. Die Plattenlöcher werden mit winkelstabilen Schrauben besetzt, eine Kontrolle der Schraubenlänge im Kopfbereich durch Rotation unter Bildverstärker ist zu empfehlen. Im Schaftbereich sind 3 Schrauben ausreichend, ein bikortikaler Sitz der Schrauben ist nicht zwingend erforderlich.

Wichtig ist die Kraftbegrenzung auf 1,5–2 Nm, die Metallentfernung gestaltet sich sonst schwierig, außerdem ist der Imbus der Titanschrauben schonend zu behandeln. Nachteilig ist aus unserer Sicht das verminderte Gefühl für den Halt der Schrauben im Knochen, da die Schraube in der Platte immer fixiert wird, wenn der richtige Winkel beim Eindrehen eingehalten wird.

Ein weiterentwickeltes Implantat (Philos, Fa. Synthes) bietet mit mehr Schrauben die Möglichkeit, einer besseren Fixierung der Fragment zu erreichen. Bei beiden Implantaten können zusätzlich Fixierungen von Fragmenten mit Fäden oder Drähten über separate Plattenlöcher durchgeführt werden (Abb. 6, 7, 8, 9).

Abb. 6.
figure 6

Philosplatte (Fa. Synthes)

Abb. 7.
figure 7

Valgusimpaktierte 4-Part-Fraktur

Abb. 8.
figure 8

Intraoperatives Bild

Abb. 9.
figure 9

Intraoperative Röntgenkontrolle

Ergebnisse

Die Ergebnisse in der Literatur sind uneinheitlich. Im Allgemeinen wird nach dem Constantscore oder dem Score nach Neer bewertet Die Kraftmessung ist gerade beim alten Menschen problematisch und kann in gemischten Kollektiven zur Verfälschung der Ergebnisse führen. Außerdem ergibt sich aus den Arbeiten, dass das subjektive Ergebnis von diesen Patienten besser eingeschätzt wird, als die objektiven Parameter.

In den Arbeiten, die sich speziell mit der Frakturversorgung des älteren Menschen beschäftigen, werden meist 3- und 4-Part-Frakturen gemeinsam abgehandelt. Meist werden minimal-invasive Verfahren mit konservativen oder der endoprothetischen Versorgung verglichen. Eine Arbeit, die sich ausschließlich oder vergleichend mit der Plattenosteosynthese in dieser Altersgruppe auseinandersetzt, existiert nicht.

Aus einer Literaturübersicht von Tingart et al. [21] geht hervor, dass auch beim älteren Menschen der humeruskopferhaltenden Therapie der Vorzug gegeben werden sollte. Gute Ergebnisse mit allen Osteosyntheseverfahren können bei diesen Patienten aber nur erreicht werden, wenn eine übungsstabile Verankerung des Implantates gelingt.

Auf die Osteosyntheseverfahren bezogen, werden die mit den Minimalosteosynthesen erreichten Ergebnisse bei der Versorgung mit Plattenosteosynthese bisher nicht erreicht. Auch die Kopfnekroseraten sind bei der Plattenosteosynthese meist höher.

In einer Arbeit von Lungershausen et al. [13], die Osteosynthesen mit winkelstabilen Platten mit denen anderer Osteosyntheseverfahren vergleicht, beträgt die Nekroserate allerdings nur noch 2–3% in beiden Gruppen.

Auch wenn sich in dieser Arbeit eine deutlich geringere Rate an sekundären Dislokationen bei der winkelstabilen Platte (22% vs. 4%) zeigt, schlägt sich dies erstaunlicherweise nicht in signifikanten Unterschieden im Behandlungsergebnis nieder. Es ergaben sich bei der Funktionsmessung mit dem Neer-Score 73% bei den winkelstabilen Platten und 69% bei der Vergleichsgruppe, jeweils zur gesunden Seite gemessen. Einschränkenderweise sollte gesagt werden, dass die Anzahl der 4-Part-Frakturen in dieser Arbeit relativ niedrig ist.

Es bleibt somit im Moment weiter fraglich, ob der hohe Aufwand der Plattenosteosynthese für Patient und Behandler einem ausreichenden Nutzen gegenüber steht.

Fazit für die Praxis

Beim älteren Menschen ist die konservative Behandlung bei stabilen, gering dislozierten Humeruskopffrakturen die Methode der Wahl. Für die Behandlung der instabilen, dislozierten 3- und 4-Part-Frakturen besteht kein Konsens, die neuen winkelstabilen Plattensysteme bieten theoretisch Vorteile, der Beweis eines besseren klinischen Ergebnisses steht noch aus. Auch für die Empfehlung zur primären Protheseimplantation ist die Datenlage nicht ausreichend. Die Ergebnisse der Minimalosteosynthesen und konservativen Therapie zeigen in dieser Altersgruppe nur in einzelnen Arbeiten bessere Ergebnisse bei den operativ versorgten Patienten. Auf Basis der vorhandenen Literatur kann zur Zeit also keine eindeutige Therapieempfehlung für diese Frakturen beim älteren Menschen gegeben werden. Eine prospektive, randomisierte Vergleichsstudie zwischen den verschiedenen Verfahren existiert nicht. Prophylaktisch ist aus unserer Sicht eine Verbesserung der Osteoporosebehandlung erforderlich.