Gesundheitliche Auswirkungen von extremen Hitzeereignissen oder von Hitzewellen stehen in Europa insbesondere nach dem Hitzesommer 2003 im Fokus der Präventionsbemühungen. Im August 2003 war es in Europa zu einer Übersterblichkeit (Exzessmortalität) von ca. 70.000 Todesfällen gekommen [1,2,3,4,5]. Insbesondere die ältere Bevölkerung war betroffen, Menschen mit Pflegebedarf, mit chronischen Grunderkrankungen sowie mit geringerem sozioökonomischen Status. Aber auch Luftschadstoffe wie Ozon [6] sowie Hitzeinseln im urbanen Raum waren für die Exzessmortalität von Bedeutung [7].

Auch in Deutschland kam es 2003 zu einer deutlichen Exzessmortalität, besonders ausgeprägt in dem am meisten betroffenen Südwesten [8]. Alleine in Frankfurt am Main war zwischen dem 02. und 13.08.2003 eine Übersterblichkeit von 200 Todesfällen zu verzeichnen [9].

In der Folge wurden in vielen Ländern Europas Hitzeaktionspläne (Heat Health Action Plans – HHAP) und Hitzewarnsysteme implementiert [10, 11]. In Deutschland wird ein Hitzewarnsystem vom Deutschen Wetterdienst betrieben. Sehr kleinräumig, d. h. bezogen auf einzelne Gebietskörperschaften (z. B. Stadtgebiet Frankfurt am Main), wird bei erwarteten hohen gefühlten Temperaturen eine Warnung an Gesundheitsämter, Altenpflegeheime und andere medizinische oder pflegerische Einrichtungen gegeben. Warnstufe 1 wird ausgegeben, wenn eine starke Wärmebelastung mit gefühlten Temperaturen von über 32 ℃ erwartet wird. Warnstufe 2 wird ausgerufen, wenn eine extreme Wärmebelastung mit gefühlten Temperaturen von über 38 ℃ erwartet wird. Zur Ermittlung der gefühlten Temperatur nutzt der Deutsche Wetterdienst nicht nur die erwarteten Temperaturen, sondern bezieht auch die Luftfeuchte, den Luftdruck, die Windgeschwindigkeit, die Sonnenstrahlung und vorangegangene Hitzetage mit ein [12]. Dieses Hitzewarnsystem ist ein Bestandteil verschiedener Hitzeaktionspläne der Länder [5, 13, 14]. Ziel der Hitzeaktionspläne ist es, die Resilienz der Bevölkerung bei Hitzeereignissen zu fördern. Dies geschieht durch Information der Bevölkerung über richtiges Verhalten bei Hitze, z. B. durch geeignete Pressearbeit und Flyer. Für medizinisches und pflegerisches Fachpersonal in Kliniken und Arztpraxen sowie von Altenpflegeheimen und Pflegediensten werden darüber hinaus spezielle Informationen und Fortbildungen angeboten. Wichtig erscheint dabei auch, Wohngebiete und ihre Bevölkerung mit hohem hitzeabhängigen Gesundheitsrisiko zu ermitteln und dort gezielt Präventionsmaßnahmen zu implementieren [15].

In den Jahren 2006, 2010, 2013 und 2015 kam es in Frankfurt am Main zu vier weiteren Hitzewellen – definiert als Erreichen oder Überschreiten der Maximaltemperatur von 32 ℃ an mindestens 5 Tagen in Folge. Im Vergleich mit der Hitzewelle 2003 mit einer Dauer von 12 Tagen Hitze in Folge waren diese Hitzewellen kürzer (jeweils 5 Tage); allerdings zeichnete sich die Hitzewelle 2015 durch extrem hohe Tagesminimal‑, Tagesmittel- und Tagesmaximaltemperaturen aus, die deutlich höher lagen als die während der Hitzewelle 2003 in Frankfurt am Main gemessenen Werte. Die Exzessmortalität pro Tag während der Hitzewelle im Jahr 2003 hatte 78 % betragen. In den Folgejahren nach Implementierung der Hitzeaktionspläne und des Hitzewarnsystems lag sie mit bis zu 38 % im Jahr 2015 deutlich geringer [16, 17]. Angesichts unterschiedlicher Charakteristika der Hitzewellen – insbesondere ihrer unterschiedlichen Dauer – kann jedoch nicht sicher gesagt werden, ob die geringere Übersterblichkeit auf die Wirkung der Präventionsbemühungen in der Stadt [18, 19], die Wirkung des Hitzeaktionsplans, eine andere Witterung [20] oder weitere Faktoren zurückzuführen ist. Unterschiedliche Witterungsbedingungen bei den jeweiligen Hitzewellen schränken die Möglichkeit, den Effekt der Hitzeaktionspläne sicher zu bestimmen, deutlich ein [21].

In diesem Beitrag wird über die hitzeassoziierte Morbidität in Frankfurt am Main 2014–2018 unter Einsatz des webbasierten Systems „Interdisziplinärer Versorgungsnachweis“ (IVENA) berichtet. Das System erfasst und klassifiziert alle Rettungsdienst- und Notarzteinsätze [22,23,24]. Die Daten ermöglichen in Echtzeit einen Überblick über die schweren (hitzeassoziierten) Erkrankungen, die einen Rettungsdienst oder Notarzteinsatz erfordern. Im Gegensatz dazu stehen Daten von Entlassungsdiagnosen oder Sterbefällen erst später zur Verfügung.

Material und Methoden

Das IVENA-System wurde im Frankfurt/Rhein-Main-Gebiet im Jahr 2010 implementiert. Alle Notarzt- und Rettungswagen sowie alle Kliniken in diesem Gebiet nehmen daran teil. Der im Rahmen des Rettungsdiensteinsatzes erstellte Datensatz pro Patient umfasst: Datum, Eintreffzeit des Rettungsmittels, Alter und Geschlecht des Patienten, rettungsdienstliche Diagnosen nach Fachgruppen und Behandlungsschwerpunkten (z. B. innere Medizin, Behandlungsschwerpunkt Kardiologie, Diabetologie) sowie die Dringlichkeit weiterer (intensiv-)medizinischer Versorgung. Alle diese Daten stehen der Leitstelle und den Kliniken in Echtzeit webbasiert zur Verfügung [23,24,25]. Jedem Patienten wird eine sechsstellige Ziffer zugeordnet (3 Stellen für die Verdachtsdiagnose, 2 Stellen für das Alter und die letzte Stelle für die Dringlichkeit), die eine rasche Informationsübermittlung ermöglicht. Da erst zum Ende 2013 sicher von einer Vollständigkeit der Erfassung auszugehen war, wurden für die vorliegende Arbeit die Daten der Krankenhauseinweisungen mittels Rettungsdienst insgesamt sowie die erhobenen Verdachtsdiagnosen „Synkope“, „unklares Fieber“Footnote 1, „Hitzeerschöpfung“, „Exsikkose“ getrennt erfasst und für die Monate Juni–August der Jahre 2014–2018 ausgewertet.

Die jeweils aktuellen Temperaturdaten der Messstelle Frankfurt Ost wurden der Internetseite der Hessischen Landesanstalt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) online als Stundenwerte entnommen [26]. Aus den drei Messstellen der HLNUG mit Temperaturdaten in Frankfurt wurde die Messstelle Frankfurt Ost gewählt, da sie als innerstädtische Messstelle mit umgebender Wohnbebauung als repräsentativ für die Situation der Frankfurter Bevölkerung insgesamt gelten kannFootnote 2. Als Hitzewelle wurden Temperaturmaxima ≥32 ℃ an wenigstens 5 aufeinander folgenden Tagen definiert. Für die Berechnung der hitzeassoziierten Morbidität wurden die Temperaturdaten (Tagesminimal‑, Tagesmaximal- und Tagesmittelwert) den IVENA-Daten gegenübergestellt.

Die zunächst in Excel-Tabellen vorliegenden Daten wurden in eine SPSS-Datei (Version 15) überführt und statistisch ausgewertet. Für die Parameter Tagesminimaltemperatur, Tagesmitteltemperatur und Tagesmaximaltemperatur sowie für die Krankenhauseinweisungen insgesamt, die Einweisungen mit den Verdachtsdiagnosen „Synkope“, „unklares Fieber“, „Hitzeerschöpfung“, „Exsikkose“ sowie für die „hitzeassoziierte Morbidität“ als Summe dieser Diagnosen wurden Mittelwerte berechnet. Die Mittelwertberechnung bezog sich zum einen auf alle Sommermonate (Juni–August) der Jahre 2014–2018 insgesamt sowie auf alle Sommermonate und Jahre außerhalb von Hitzewellen. Darüber hinaus wurden sie auch getrennt für die einzelnen Jahre sowie für die Hitzewellen berechnet. Für die Einweisungen, die hitzeassoziierte Morbidität gesamt sowie die einzelnen hitzeassoziierten Diagnosen wurde die Exzessmorbidität pro Tag während der Hitzewellen bezogen auf die Morbidität in den Sommermonaten 2014–2018 ohne Hitzewellen berechnet.

Ergebnisse

In den Sommermonaten 2014–2018 ereigneten sich in Frankfurt am Main drei Hitzewellen mit Tagesmaximaltemperaturen ≥32 ℃ an mindestens 5 aufeinanderfolgenden Tagen (01.–05.07.2015, 24.–28.08.2016; Hitzeperiode 24.07.–09.08.2018 mit Temperaturen ≥32° an 13 der 17 Tage).

Während der Hitzewelle 2015 wurden Tagesmitteltemperaturen im Mittel um 9 ℃ über der mittleren Temperatur über alle Sommermonate erreicht, die Minimaltemperaturen lagen im Mittel um 7 ℃ und die mittlere Maximaltemperatur um mehr als 10 ℃ über dem durchschnittlichen Mittel. Weder bei der Hitzewelle 2016 noch während der Hitzeperiode 2018 wurden vergleichbar hohe Temperaturen gemessen.

Tab. 1 zeigt jeweils die arithmetischen Mittelwerte und Maximalwerte der erfassten Temperaturdaten (Tagesminimal‑, Tagesmaximal- und Tagesmittelwert) der täglichen Krankenhauseinweisungen gesamt sowie der hitzeassoziierten Erkrankungen bzw. Symptome für alle Sommermonate der Jahre 2014–2018 insgesamt, für alle Sommermonate 2014–2018 unter Ausschluss der Hitzewellen/Hitzeperiode sowie getrennt für die einzelnen Jahre und die einzelnen Hitzewellen/Hitzeperiode. Die Exzessmorbidität während der drei Hitzewellen/Hitzeperiode bezogen auf die über die 5 Jahre gemittelte Morbidität außerhalb der Hitzewellen/Hitzeperiode ist in den letzten 5 Zeilen aufgeführt.

Tab. 1 Temperaturdaten und Rettungsdiensteinsätze in Frankfurt am Main in den Sommermonaten (Juni–August) der Jahre 2014–2018, differenziert nach einzelnen Jahren, Hitzewellen – einschließlich der Exzessmorbidität während der Hitzewellen/-periode

Während der Hitzewelle 2015 wurden die im Vergleich höchsten Tagesmaximal- und Tagesmittelwerte für die Temperaturmessungen, die Krankenhauseinweisungen und die hitzeassoziierte Morbidität insgesamt sowie Synkope und Hitzeerschöpfung verzeichnet. Während der langen Hitzeperiode im Sommer 2018 wurden jedoch die höchsten Mittel- und Maximalwerte pro Tag für unklares Fieber und Exsikkose erreicht. Die in Bezug auf die Morbidität ohne Hitzewellen/-periode (2014–2018) ermittelte Exzessmorbidität war während der Hitzewelle 2015 am höchsten, in der Hitzewelle 2016 am niedrigsten und lag während der Hitzeperiode 2018 insgesamt dazwischen, mit Ausnahme der auffallend hohen Exzessmorbidität bei unklarem Fieber und Exsikkose. Bei Unterteilung der Hitzeperiode 2018 in den ersten Teil der Hitzewelle nach unserer Definition (≥32 ℃ Maximaltemperatur über mindestens 5 aufeinanderfolgende Tage) und den zweiten Teil mit 12 Tagen hohen Temperaturen, darunter 8 Tage mit Tagesmaximaltemperaturen ≥32 ℃ (allerdings maximal 3 Tage in Folge), ist erkennbar, dass die Tagesminimal‑, Tagesmaximal- und Tagesmitteltemperaturen in der zweiten Hälfte der Hitzeperiode noch höher lagen als im ersten Teil. Mit zunehmender Dauer der Hitzeperiode nahmen die Rettungsdiensteinsätze insgesamt und insbesondere die Einsätze wegen Exsikkose und unklaren Fiebers deutlich zu, die Einsätze wegen Synkope und Hitzemorbidität insgesamt blieben auf einem hohen Niveau stabil. Die Unterschreitung der Tagesminimaltemperatur in 5 Nächten unter 20 ℃ hatte kaum einen Minderungseffekt.

Jeweils für die Sommermonate (Juni–August) zeigt Abb. 1 die Temperaturverläufe und Abb. 2 die tägliche Anzahl von Krankenhauseinweisungen insgesamt sowie speziell bei hitzeassoziierten Symptomen bzw. Diagnosen. In Abb. 3 sind die täglichen Krankenhauseinweisungen per Rettungsdienst für Synkope, Exsikkose, unklares Fieber und Hitzeerschöpfung dargestellt. Die Tage mit Hitzewellen resp. der Hitzeperiode 2018 erscheinen grau. Dauer und Verlauf der einzelnen Hitzewellen unterscheiden sich deutlich. Auch die Morbidität zeigt unterschiedliche Muster. Erkennbar ist jedoch, dass während der Hitzewelle 2015 nicht nur die höchsten Temperaturen, sondern auch die höchsten Einweisungsraten pro Tag erreicht wurden – mit Ausnahme von Exsikkose und unklarem Fieber, für die im Rahmen der Hitzeperiode 2018 die häufigsten Einweisungen festgestellt wurden.

Abb. 1
figure 1

Minimale, mittlere und maximale Tagestemperaturen in Frankfurt am Main (Messstation Frankfurt Ost) in den Sommermonaten (Monate 6–8, Juni–August, 2014–2018 – einschließlich der Hitzewellen/-periode)

Abb. 2
figure 2

Krankenhauseinweisungen insgesamt (a) und Krankenhauseinweisungen bei hitzeassoziierten Erkrankungen (Synkope, Exsikkose, unklares Fieber und Hitzeerschöpfung; b). Verlauf der täglichen Einweisungen im Rahmen von Rettungsdiensteinsätzen in Frankfurt am Main in den Sommermonaten (Monate 6–8, Juni–August, 2014–2018)

Abb. 3
figure 3

Krankenhauseinweisungen wegen der Verdachtsdiagnosen Synkope, Exsikkose, unklares Fieber und Hitzeerschöpfung. Verlauf der täglichen Krankenhauseinweisungen im Rahmen von Rettungsdiensteinsätzen in Frankfurt am Main in den Sommermonaten (Monate 6–8, Juni–August, 2014–2018)

Diskussion

Mit dem Klimawandel, steigenden Temperaturen und Extremwetterereignissen erhalten hitzebedingte Mortalität und Morbidität in der Bevölkerung und deren Prävention eine zunehmende Bedeutung. Studien zur hitzeassoziierten Mortalität zeigen nach einer Latenz von in der Regel 1–3 Tagen einen Anstieg der Sterblichkeit. Je nach klimatischer Region und Adaptation der Bevölkerung sind die Schwellenwerte, ab deren Überschreitung die hitzeassoziierte Mortalität zunimmt, unterschiedlich hoch. Dies zeigte beispielsweise das Projekt EuroHeat, eine Untersuchung der Mortalität während Hitzewellen (definiert als Maximaltemperatur an 2 aufeinanderfolgenden Tagen über P90 (90. Perzentile) des Monats oder Minimaltemperatur an 2 aufeinanderfolgenden Tagen über P90 des Monats und Maximaltemperatur über dem Monatsmedian) in den Jahren 1990–2006 in neun europäischen Städten. In allen Städten war während der Hitzewellen eine Erhöhung der Mortalität, insbesondere in der älteren Bevölkerung, erkennbar. Die Exzessmortalität stieg mit zunehmender Dauer der Hitzewellen weiter an und lag in den südlichen Städten deutlich höher als in den nördlichen. Lediglich während der Hitzewelle 2003 war die Exzessmortalität in den nördlichen Städten größer als in den südlichen. Dies wurde damit erklärt, dass in nördlichen Städten die Erfahrungen mit Hitze(-wellen) geringer waren und die Menschen weniger an solche Wetterlagen adaptiert sind [27, 28].

In den letzten Jahren wird zunehmend die hitzeassoziierte Morbidität untersucht. Dies geschieht beispielsweise durch Erfassung von Entlassungsdiagnosen bei Krankenhausaufenthalten [29,30,31,32], Daten zur Inanspruchnahme von Notaufnahmen [30,31,32,33,34,35] oder Daten der Notrufe [36, 37]. Die meisten dieser Daten wurden bislang in den USA erhoben. Dabei zeigten sich nicht nur ein Unterschied zwischen verschiedenen Klimaregionen, eine höhere Morbidität in eher ländlichen statt urbanen Gebieten und eine Abhängigkeit von soziodemografischen Faktoren (Armutsindex der Region, Krankenversicherung Ja oder Nein oder Zugehörigkeit zu Minoritäten), sondern es ergaben sich auch deutliche Unterschiede je nach Erhebungsmethode: Während hitzeassoziierte Krankenhausaufnahmen und Sterblichkeit meist kardiale Diagnosen bei älteren Menschen mit Vorerkrankungen betrafen, wiesen Notaufnahmen oder die Auswertung von Anrufen am Notfalltelefon eine erhöhte Morbidität auch bei jüngeren Menschen auf [30, 36] – und dies nicht prioritär wegen kardialer Symptome, sondern vielmehr auch wegen Atemwegserkrankungen, Diabetes, akutem Nierenversagen oder Magen-Darm-Infektionen [34, 35, 38]. Auch aus einer Studie in 12 europäischen Städten zur Untersuchung von Einflüssen des Wetters auf die Gesundheit der Bevölkerung (Assessment and Prevention of Acute Health Effects of Weather Conditions in Europe – PHEWE) zeigten sich bei einem Temperaturanstieg insbesondere eine Steigerung der Krankenhausaufnahmen wegen respiratorischer, nicht jedoch wegen kardialer Erkrankungen; jedoch war bei kardialen Erkrankungen die Mortalität erhöht [39].

Damit stellt sich die Frage nach der besten Methode für die Erfassung und Surveillance der gesundheitlichen Auswirkungen von Hitzewellen [40]. Grundsätzlich können dabei die Gesamtmorbidität und -mortalität untersucht werden; in Bezug auf hitzeassoziierte Erkrankungen bedeutet dies eine hohe Sensitivität, aber geringe Spezifität. Demgegenüber hat eine diagnosespezifische Surveillance eine hohe Spezifität und geringe Sensitivität. Belastbare Daten zur hitzeassoziierten Mortalität (gesamt- oder diagnosespezifisch) liegen in der Regel erst frühestens nach Wochen oder Monaten vor; sie sind gut geeignet zur retrospektiven Auswertung von Hitzeereignissen, stehen aber in einer aktuellen Hitzeperiode nicht zur Verfügung. Auch die Daten der Entlassdiagnosen von Krankenhäusern sind erst mit einer zeitlichen Verzögerung vorhanden. In den letzten Jahren werden deswegen zunehmend Daten aus Notfallaufnahmen bzw. von Notfalltelefonen zur Abschätzung der hitzeassoziierten Morbidität genutzt, die – bei entsprechenden Strukturen – tagesaktuelle Trends geben können. Dadurch sind sie für die Öffentlichkeitsarbeit und die Anpassung von Präventionsmaßnahmen selbst während Hitzeereignissen gut nutzbar.

In Florida zeigte die Auswertung von drei Datenpools, ICD-Codes für die Behandlungen in Notaufnahmen, Krankenhausentlassungsdaten und Todesbescheinigungen, in den Monaten Mai bis Oktober 2005–2012, dass Hitzschlag für 2,3 % der Behandlungen hitzeassoziierter Erkrankungen in der Notaufnahme, für 27,3 % der hitzeassoziierten Krankenhausaufnahmen und für 77,9 % der hitzeassoziierten Todesfälle verantwortlich war. Hitzeerschöpfung machte demgegenüber 75,9 % der hitzeassoziierten Vorstellungen in der Notaufnahme, 59,6 % der hitzeassoziierten Krankenhausaufnahmen und 5 % der Todesfälle aus. Die Autoren schlossen daraus, dass kein einziges Verfahren zur Erfassung der hitzeassoziierten Morbidität ideal ist, da in verschiedenen Bereichen unterschiedliche und verschieden schwere hitzeassoziierte Symptome und Erkrankungen erfasst werden. Sie empfehlen, zur Surveillance hitzeassoziierter Gesundheitsfolgen nicht nur einen Bereich (z. B. Krankenhausentlassungsdaten oder Sterbedaten), sondern möglichst verschiedene Bereiche (inkl. beispielsweise telefonische Notrufe) auszuwerten [40].

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 09.11.2001 entwickelte die Stadt New York eine Syndrom-Surveillance, zunächst mit dem Fokus auf (bio)terroristische Attacken. Inzwischen werden täglich übermittelte Patienten- und Diagnosedaten der 53 Notfallaufnahmen der Stadt im Hinblick auf sechs Syndrome ausgewertet: Konsum von synthetischem Cannabis, nichtberichteter Verdacht auf Meningokokkenerkrankung oder unnötige Prophylaxe, medizinischer Behandlungsbedarf nach schweren Wetterereignissen, Asthma nach Gebäudeeinsturz, Ebolaerkrankung und – im Sommer – hitzeassoziierte Krankheiten. Parallel zum Hitzewarnsystem und der Empfehlung von Präventionsmaßnahmen erfolgt eine Surveillance hitzeassoziierter Erkrankungen; dabei werden bestimmte Schlüsselbegriffe wie Hitze, heiß, Hitzschlag etc. (unter Ausschluss von Heizung oder heiße Speisen) täglich ausgewertet. So erhält die Gesundheitsbehörde in New York tagesaktuell einen Überblick über die hitzeassoziierte Morbidität und kann dies in ihrer weiteren Präventionsarbeit nutzen [41]. Die Notfallambulanzdaten können aber auch zur Surveillance anderer Gesundheitseffekte genutzt werden: z. B. für Influenza [42] oder kardiovaskuläre Erkrankungen – auch in Abhängigkeit von Umweltschadstoffen, wie beispielsweise Feinstaub PM 2,5 [43].

Auch das Programm Interdisziplinärer Versorgungsnachweis (IVENA) wurde ursprünglich für andere Ziele entwickelt, nämlich zur Verbesserung der rettungsdienstlichen und notfallmäßigen Versorgung der Bevölkerung. Die Zeit bis zur Übergabe an die Kliniken sollte verkürzt und Fehlfahrten des Rettungsdienstes und Zeitverlust für die Patientenversorgung sollten vermieden werden. Durch entsprechende Auswahl der Kliniken sollte die bestmögliche Nutzung der Klinikkapazitäten und -kompetenzen erreicht werden. Den Krankenhäusern bzw. einzelnen Fachabteilungen sollte einerseits ermöglicht werden, sich auf den angekündigten Patienten und dessen Bedürfnisse bereits vor dessen Eintreffen gezielt vorbereiten zu können, aber auch sich kurzfristig und flexibel für eine spezielle Notfall- und Patientenversorgung abzumelden. Nicht zuletzt sollte durch ein transparentes Verfahren mehr gegenseitiges Verständnis zwischen den Kliniken hergestellt werden [22].

Das System IVENA wurde, wie bereits beschrieben, 2010 im gesamten Frankfurt/Rhein-Main-Gebiet implementiert. Allein in der Stadt Frankfurt am Main kommt es pro Jahr zu ca. 700.000 Rettungsdiensteinsätzen, die seit 2013 alle vollständig dokumentiert sind; seit 2017 werden auch alle qualifizierten Krankentransporte in dem System erfasst. Durch diese Unterstützung des Zuweisungsprozesses konnten die prästationären Behandlungszeiten bereits signifikant gesenkt werden [23, 24].

Auf dem Erlassweg wurde das System im Jahr 2013 in allen Rettungsdienstbereichen in Hessen eingeführt [25]. Inzwischen haben auch die Bundesländer Bayern, Berlin, Bremen, Brandenburg und Niedersachsen das System eingeführt. Einige weitere Bundesländer testen es zurzeit in Modellregionen oder haben zumindest Interesse gezeigt. In Österreich ist das System in der Steiermark implementiert, eine Ausweitung auf weitere Bundesländer steht bevor.

Im IVENA-System werden die Patienten aufgrund der vom Rettungsdienstmitarbeiter vor Ort ermittelten Grundinformationen klassifiziert und in das bestmögliche nächste Krankenhaus mit angemessener Versorgungsstruktur für den jeweiligen Patienten vermittelt. Der Datensatz pro Patient umfasst neben Datum, Uhrzeit der Eintreffzeit des Rettungsmittels, Alter und Geschlecht des Patienten, rettungsdienstliche Tracer und Triggerdiagnosen nach Fachgruppen und Behandlungsschwerpunkten. Mehr als 150 Tracer- und Triggerdiagnosen (darunter 49 chirurgische, 54 internistische, 16 neurologisch/psychiatrische, 8 pädiatrische) stehen zur Auswahl und können in Echtzeit zentral ausgewertet werden. Derzeit arbeitet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Innenministerien, Gesundheitsministerien, Krankenhäuser, ärztliche Leiter Rettungsdienst) an einer Anpassung der Verdachtsdiagnosen an symptombasierte Diagnosen auf Basis der ICD-10 (Jung HG, Persönliche Mitteilung, November 2018). Darüber hinaus wurde im Jahr 2018 im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses basierend auf IVENA das Forschungsprojekt ESEG (Erkennung und Steuerung epidemiologischer Gefahrenlagen) gestartet – ein „Frühwarnsystem“ mit dem Schwerpunkt „übertragbare Erkrankungen“ [44].

Zu den Datensätzen können über Schnittstellen andere Informationen, wie beispielsweise Wetterdaten, Daten zur Schadstoffbelastung der Luft etc. soweit vorhanden minutengenau zugespielt werden, sodass Auswertungen nicht nur innerhalb des Systems, sondern auch bezogen auf externe Ereignisse, z. B. Hitzeperioden, Unwetter, ausgewertet werden können. Auswertungen in quasi Echtzeit sind möglich, entsprechende Auswertungsalgorithmen können generiert und standardisiert werden.

Mithilfe dieses Systems konnten wir – nach einer ersten Untersuchung der Jahre 2014–2016 [45] – die hitzeassoziierte Morbidität in Frankfurt am Main auswerten – retrospektiv für die Sommermonate 2014–2018, aber auch tagesaktuell (in Echtzeit) während der Hitzeperiode 2018. In der Gesamtauswertung zeigte sich einerseits der besondere Effekt der Hitzewelle im Juli 2015. Darüber hinaus war auch erkennbar, dass die Rettungsdiensteinsätze wegen hitzeassoziierter Gesundheitsprobleme insgesamt während der sehr lange dauernden Hitzeperiode (17 Tage) im Sommer 2018 konstant hoch blieben und Rettungsdiensteinsätze wegen Synkope und unklaren Fiebers mit zunehmender Dauer der Hitzeperiode noch weiter anstiegen. Warnungen vor extremen Hitzeereignissen und die Empfehlung geeigneter Präventionsmaßnahmen sollten deswegen nicht nur vor Beginn einer Hitzeperiode gegeben werden, sondern auch während einer länger dauernden Hitzeperiode immer wiederholt werden, um die Aufmerksamkeit für die Gefahr hitzebedingter Erkrankungen und Todesfälle hoch zu halten. Hier haben sich die mittels IVENA erhobenen und jeweils tagesaktuell zur Verfügung stehenden Daten bestens bewährt: Für die Pressearbeit standen immer aktuelle Daten zur Verfügung.

Limitationen und Vorteile der Erfassung hitzeassoziierter Morbidität mittels IVENA

Bislang handelt es sich bei den vergebenen Diagnosen um Verdachtsdiagnosen, die von entsprechend ausgebildeten Rettungsdienstmitarbeitern oder von Notärzten erstellt werden. Eine Validierung (Bestätigung) dieser Ersteinstufung durch die späteren labortechnischen und bildgebenden Verfahren findet nicht statt. Allerdings sind auch andere Erfassungsmethoden, wie z. B. die Sterbediagnosen, nur selten durch beispielsweise Obduktion qualitätsgesichert und die Prä-Mortem-Diagnosen stimmen in bis zu einem Drittel der Fälle nicht mit den mittels Obduktion ermittelten Diagnosen überein [46].

Da die rettungsdienstliche Versorgung im Fokus der Entwicklung von IVENA stand, sind die Verdachtsdiagnosen auf die im Rettungsdienst häufig auftretenden Diagnosen zugeschnitten. Ein unmittelbarer Vergleich mit beispielsweise ICD-10-Codes kann noch nicht hergestellt werden. Diese Möglichkeit wird aber derzeit von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe entwickelt.

Generell werden mit IVENA schwere akute Krankheitsbilder erfasst, die einer notärztlichen Versorgung und/oder einer Krankenhausbehandlung bedürfen. Leichte Krankheitsbilder, die nur zu einem Arztbesuch führen, entgehen diesem Verfahren. Diesen Nachteil weisen aber auch die Erhebungen von Krankenhausbehandlungen oder Sterbefällen auf.

Der Vorteil dieses Verfahrens besteht jedoch darin, dass hiermit sehr rasch und in Echtzeit ein vollständiges Bild über schwere akute Krankheitsbilder in der Stadt bzw. im jeweiligen Rettungsdienstbereich erhalten werden kann. Durch die mögliche Verbindung mit anderen Daten – wie z. B. Temperatur- oder anderen Luftmesswerten – können Assoziationen z. B. zu Hitzewellen oder auch zu Infektionsgeschehen in Echtzeit untersucht werden. So kann IVENA als Frühwarnsystem genutzt werden. Es ist zu wünschen, dass mit der zunehmenden Verbreitung und den aktuellen Weiterentwicklungen von IVENA dieses System auch intensiver zur Untersuchung hitzeassoziierter Erkrankungen genutzt und in der Präventionsarbeit eingesetzt wird.