Hintergrund

Nach umfassendem Einsatz von Impfstoffen, die Masernviren enthalten (MCV), ist die Maserninzidenz in der Europäischen Region (auch die „Region“) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zurückgegangen. Dieser Erfolg veranlasste die 53 Mitgliedstaaten das ehrgeizige Ziel aufzustellen, endemische Masern in der gesamten Region zu eliminieren. Nach Durchsicht der vorliegenden Jahresberichte der Länder stellte die Verifizierungskommission der Europäischen Region für die Eliminierung von Masern und Röteln (RVC) im Jahr 2018 fest, dass Ende 2017 in 43 der 53 Mitgliedstaaten eine endemische Übertragung der Masern seit zwölf Monaten oder länger nicht mehr stattgefunden hatte [1]. 37 dieser Länder hielten die Unterbrechung der Übertragung schon mindestens 36 Monate aufrecht, sodass die Masern dort als eliminiert gelten konnten. Allerdings stieg die Maserninzidenz der Region im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum steil an.

Die 53 Mitgliedstaaten der Region [2] haben eine Bevölkerung von insgesamt etwas über 900 Mio. Menschen. In allen Ländern wird mit MCV geimpft, in der Regel kombiniert mit Impfstoffen gegen Röteln und Mumps.

Für die aktuelle Lagebewertung beziehen wir die Masernfallzahlen des Jahres 2017 ein und sichten einschlägige epidemiologische Daten aus 2018. Anschließend stellen wir Überlegungen zu den aktuellen Herausforderungen sowie den Maßnahmen an, die zum Erreichen der Eliminierung von Masern erforderlich sind.

Methodik

Es wird über die Zahlen der nach Ländern aufgeschlüsselten Masernfälle aus dem Jahr 2017 berichtet und die vorläufigen Daten aus der epidemiologischen Überwachung der Masern in 2018 werden analysiert (Stand 01.02.2019). Wir haben die von den nationalen Surveillance-Einrichtungen an das Zentralisierte Informationssystem für Infektionskrankheiten (CISID) des WHO-Regionalbüros für Europa gemeldeten Daten genauer betrachtet [3]. Die von „TESSy“, dem Surveillance-System des Europäischen Zentrums zur Prävention und Kontrolle von Krankheiten, erhobenen und verarbeiteten Daten der 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie von Island und Norwegen wurden in das CISID eingetragen [4]. Die Datenanalyse bezieht sich auf Fälle, die im Jahr 2017 und im Jahr 2018 auftraten. Wo das Datum nicht bekannt war, wurden die innerhalb dieser Zeiträume gemeldeten Fälle berücksichtigt.

Daten zum Eliminierungsstand der Masern aus dem Bericht 2018 zur 7. Tagung der RVC wurden für Fallzahlen sowohl aus Ländern, die als endemisch einzustufen sind, als auch aus Ländern, in denen die endemische Übertragung der Masern Ende 2017 schon seit 12 Monaten oder länger unterbrochen werden konnte, genutzt [1].

Wir beziehen uns auch auf Sequenzdaten zu Masernviren, die von nationalen Labors und WHO-Referenzlabors aus der Europäischen Region für 2018 bis zum 08.02.2019 in die MeaNS-Datenbank (Measles Nucleotide Surveillance; [5]) eingegeben wurden.

Die im Jahr 2018 aufgetretenen Masernerkrankungen wurden entlang der Kriterien Altersgruppe, bestätigte Diagnose, Impfung, Krankenhauseinweisung und Einschleppung betrachtet. Die Fälle wurden in folgende Altersgruppen unterteilt: jünger als 1 Jahr, 1 bis 4 Jahre, 5 bis 9 Jahre, 10 bis 14 Jahre, 15 bis 19 Jahre sowie 20 Jahre und älter. Darüber hinaus berichten wir über die in Verbindung mit Masern aufgetretenen Sterbefälle aus 2018.

Die Inzidenz wurde aus der Zahl der gemeldeten Masernfälle und aus den Bevölkerungszahlen gemäß der Abteilung für Bevölkerungsfragen der Vereinten Nationen errechnet [6]. Die Inzidenz bezeichnet die Anzahl der Fälle pro eine Million Einwohner in vorgegebenen Zeitrahmen (2017 und 2018) und die Mortalität bezeichnet die Anzahl der Sterbefälle pro 1000 Masernerkrankungen. Für die Berechnung der Inzidenz wurden alle gemeldeten Fälle berücksichtigt (indigene Fälle, eingeschleppte Fälle, damit verknüpfte Fälle sowie Fälle, deren Herkunft ungeklärt war). Die Prozentzahlen wurden auf- bzw. abgerundet.

Ergebnisse

Inzidenz – Meldungen und Labordaten

Alle 53 Mitgliedstaaten legten Maserndaten vor (hierunter auch Nullmeldungen). Für das Jahr 2017 meldeten 44 Länder in der Europäischen Region insgesamt 25.863 Masernfälle. Für 2018 wurden aus 47 Ländern bereits 82.596 Masernfälle gemeldet. Davon wurden 70.011 Fälle aus Ländern gemeldet, in denen Masern noch endemisch sind, und 12.585 Fälle aus Ländern, in denen die Übertragung Ende 2017 schon seit zwölf Monaten oder länger unterbrochen gewesen war. Die überwiegende Zahl der Fälle aus 2018 (89 %, n = 73.295) wurde aus 8 Ländern gemeldet: Ukraine (53.218 bzw. 64 %), Serbien (5076 bzw. 6 %), Israel (2919 bzw. 4 %), Frankreich (2913 bzw. 4 %), Italien (2517 bzw. 3 %), Russische Föderation (2256 bzw. 3 %), Georgien (2203 bzw. 3 %) und Griechenland (2193 bzw. 3 %) und die höchste Inzidenz (pro eine Million Einwohner) lag in diesem Zeitraum in der Ukraine (1209) noch vor Serbien (579). Tab. 1 zeigt die Anzahl und Inzidenz der gemeldeten Masernfälle aus den Jahren 2017 und 2018 für die gesamte Region.

Tab. 1 Maserninzidenz pro eine Million Einwohner in der Europäischen Region der WHO, 2017 und 2018

Von der Gesamtzahl wurden 27.661 Fälle (33 %) im Labor bestätigt und für 4042 Fälle (5 %) wurde eine epidemiologische Verknüpfung nachgewiesen. Die verbleibenden 50.893 Fälle (62 %) wurden als klinisch kompatibel klassifiziert. Für 2018 übermittelten 40 Länder (75 %) Daten, die aus von der WHO akkreditierten Laboren stammten, zur genomischen Sequenz von insgesamt 3355 Fällen an die MeaNS-Datenbank [5]. Zu den in der Region nachgewiesenen Genotypen zählten D8 (n = 1815), B3 (1523) und D4 (15). Die vorherrschende Genotypvariante D8 des Masernvirus war die Herborn.DEU/05.17 (41 % aller D8-Varianten), während es sich bei den B3-Stämmen vornehmlich um Dublin.IRL/8.16 (37 % aller B3-Varianten) und MVs/Saint Denis.FRA/36.17 (27 %) handelte. Anders als 2017 wurde erstmals auch der Genotyp D4 aus einem Land der Region gemeldet.

Altersverteilung

Das Alter der Erkrankten war in nur 8 Fällen nicht bekannt: Es betrug in 6441 Fällen (8 %) weniger als 1 Jahr, in 14.371 Fällen (17 %) 1 bis 4 Jahre, in 31.395 Fällen (38 %) 5 bis 19 Jahre und in 30.381 Fällen (37 %) 20 Jahre oder älter (Abb. 1). Die Altersverteilung variierte zwischen den Ländern. Abb. 2 zeigt die Altersverteilung der gemeldeten Masernfälle in den 8 Ländern mit den höchsten Zahlen (Frankreich, Georgien, Griechenland, Israel, Italien, Russische Föderation, Serbien und die Ukraine) proportional und altersspezifisch. Von diesen 8 Ländern meldeten Italien und Serbien die meisten Erkrankungen unter Erwachsenen im Alter von 20 Jahren oder älter (jeweils 67 % mit n = 1689 bzw. n = 3404). Dagegen wurden die höchsten Anteile unter Kindern im Alter von 1 bis 4 Jahren aus Israel (29 % bzw. 847) und der Russischen Föderation (25 % bzw. 569) gemeldet.

Abb. 1
figure 1

Altersverteilung der Masernfälle in der Europäischen Region der WHO nach Anteil und Anzahl pro Million Einwohner. Jahr 2018 (n = 82.588)*. * das Alter war in 8 Fällen nicht bekannt

Abb. 2
figure 2

Altersverteilung der Masernfälle aus den 8 Ländern der Europäischen Region der WHO mit der überwiegenden Anzahl der Fälle im Jahr 2018. Jeweils nach Anteil und Anzahl pro Million Einwohner. 2018 (n = 73.289)*. * das Alter war nicht bekannt in 2 Fällen aus Italien, 1 Fall aus Frankreich und 3 Fällen aus Serbien

Abb. 2
figure 3

(Fortsetzung)

Impfstatus

Der Impfstatus war in 62.524 Fällen (76 %) bekannt. Davon waren 38.917 Personen (62 %) ungeimpft: 5930 Fälle (15 %) betrafen Kinder im Alter von <1 Jahr, 10.398 Fälle (27 %) gab es in der Altersgruppe 1 bis 4 Jahre, 7837 (20 %) in der Altersgruppe 5 bis 9 Jahre, 6423 (17 %) in der Altersgruppe 10 bis 19 Jahre und 8324 (21 %) in der Altersgruppe 20 Jahre und älter. In 5 Fällen (0,01 %) war das Alter unbekannt. Daneben wurde bei 23.607 Fällen (38 %) zumindest eine Impfung mit einer Dosis MCV gemeldet. Tab. 2 zeigt die gemeldeten Masernfälle aufgeschlüsselt nach Impfstatus und Alter.

Tab. 2 Masernfälle nach Impfstatus und Altersgruppe in der Europäischen Region der WHO im Jahr 2018 (n = 82.596)

Sterbefälle in Verbindung mit Masern

Im Jahr 2018 traten in 10 Ländern 72 Sterbefälle in Verbindung mit Masern auf: in Albanien 3, in Frankreich 3, in Georgien 3, in Griechenland 2, in Italien 7, in Kirgisistan 2, in Rumänien 22, in der Russischen Föderation 1, in Serbien 14 und in der Ukraine 15. Dies entsprach einer Letalität von 0,87 pro 1000 Masernfälle. Die meisten dieser Sterbefälle (61 %, n = 44) betrafen Kinder im Alter von unter 10 Jahren: 29 waren noch kein Jahr alt und 15 waren 1 bis 9 Jahre alt. Von den übrigen Verstorbenen waren 4 zwischen 10 und 19 Jahre alt und 24 waren 23 Jahre alt oder älter (in einem Fall betrug das Alter 51 Jahre).

In allen 72 Sterbefällen wurde die Masernerkrankung im Labor bestätigt. Von den verstorbenen Personen waren 68 ungeimpft, 3 waren mit einer Dosis MCV und eine mit 2 Dosen MCV geimpft worden.

Krankenhauseinweisung

Daten über eine Krankenhauseinweisung lagen in 70 % (n = 58.053) aller gemeldeten Masernfälle vor. 49.060 Erkrankte wurden in ein Krankenhaus eingewiesen, was 85 % aller Fälle entsprach, über die hierzu Daten vorlagen. Die höchste Zahl der Krankenhauseinweisungen wurde aus der Ukraine gemeldet (n = 36.140 bzw. 74 %).

Eingeschleppte Fälle

Ob eine Einschleppung vorlag oder nicht, war in 20 % aller Fälle bekannt (n = 16.515). 920 wurden als eingeschleppt gemeldet, was 5,6 % der Fälle waren, zu denen hierzu Daten vorlagen. Von den eingeschleppten Fällen wurde die Mehrzahl (578 bzw. 63 %) von den folgenden Ländern gemeldet: Vereinigtes Königreich (n = 109), Frankreich (102), Russische Föderation (101), Polen (88), Italien (62), Deutschland (59) und Türkei (57; siehe Tab. 1).

Diskussion

Die Europäische Region der WHO hat in der Eliminierung der Masern stetige Fortschritte erzielt, sodass Ende 2017 mehr als zwei Drittel aller Mitgliedstaaten der Region die endemische Übertragung bereits über einen Zeitraum von mehr als 36 Monaten unterbrochen hatten [1]. Allerdings befindet sich die Region insgesamt noch nicht auf der Zielgeraden für eine Verifizierung der Eliminierung der Masern im Jahr 2020 [7], denn einige Länder der Region haben in den vergangenen Jahren Rückschläge hinnehmen müssen, etwa wegen einer suboptimalen Regelimpfung [8], durchgängig geringen Impfraten für marginalisierte Bevölkerungsgruppen [9, 10] und einer unzuverlässigen Versorgung mit Impfstoffen [11]. Die daraus resultierende Zunahme des Personenkreises, der an Masern erkranken kann, bildet die Grundlage für weitflächige Ausbrüche und eine fortdauernde Übertragung der Masern in der Region im Jahr 2018.

Die fortgesetzte Übertragung der Masern ist auch das Ergebnis verspäteter oder ungeeigneter Gegenmaßnahmen bei Ausbrüchen. Nicht alle Länder reagieren angemessen auf Ausbrüche. In manchen Fällen haben Länder es zugelassen, dass die Übertragungen über ein Jahr lang stattfinden konnten. Einige Länder wollen oder können keine Impfkampagnen durchführen, weil:

  • Gesundheitsbehörden und Öffentlichkeit Massenimpfungen ablehnend gegenüberstehen,

  • die Infrastruktur zur Impfung besonders empfänglicher Bevölkerungsgruppen fehlt,

  • zweckgebundene Mittel fehlen,

  • der politische Wille fehlt oder

  • die Versorgung mit Impfstoffen nicht gesichert ist.

Für angemessene Gegenmaßnahmen im Falle eines Ausbruchs müssten die Fälle auch aktiv aufgespürt, Kontaktpersonen gegebenenfalls für eine Impfung zurückverfolgt und die epidemiologische Laborüberwachung verstärkt werden.

Altersverteilung

Es ist davon auszugehen, dass die Altersverteilung unter den Erkrankten in den einzelnen Ländern ein Spiegelbild der besonders gefährdeten Altersgruppen ist. Auch wenn wir nationale Daten zu Impfstrategien und -erfolgen nicht berücksichtigen, so ist die Zunahme gefährdeter Bevölkerungsgruppen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Folge der wechselhaften Impferfolge vergangener Jahre. Die höchste Inzidenz gab es bei Kindern unter 5 Jahren, was auf nichtoptimale Regelimpfungen der vergangenen Jahre deutet.

Insgesamt traten 8 % (n = 6441) der Fälle bei Kleinkindern im Alter von weniger als einem Jahr auf, für die Masern besonders gefährlich sind, weil die Infektion zu schweren Komplikationen führen kann, hierunter zur seltenen, aber immer tödlich verlaufenden subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE; [12]). Der Schutz der ungeimpften Kleinkinder vor Masern hängt von den Antikörpern ihrer Mütter ab. Da hier aber ein Rückgang zu verzeichnen ist, sind die Kleinkinder zunehmend auf die Herdenimmunität angewiesen, bis sie das Alter erreichen (in der Regel 12 bis 15 Monate), in dem die Verabreichung der ersten Dosis MCV empfohlen wird. In Ländern, in denen die Übertragung noch stattfindet, ist das Risiko masernbedingter Morbidität und Mortalität für Kleinkinder hoch. Daher sollte hier die erste Dosis MCV bereits im Alter von 9 Monaten verabreicht werden. So wird in der anfälligen Zeit der Kleinkindheit ein optimaler Schutz gewährleistet. Die zweite Regelimpfung sollte in diesen Ländern im Alter von 15 bis 18 Monaten erfolgen [13].

Da 37 % der Masernpatienten in der Region 20 Jahre oder älter sind, müssen auch Erwachsene als wichtige anfällige Gruppe betrachtet werden, sei es, weil sie vorher nie an Masern erkrankten oder weil sie nicht gegen Masern geimpft worden sind. Dazu zählen solche, die nie gezielt durch Impfkampagnen angesprochen wurden, nachdem in ihren Ländern vor 20 bis 30 Jahren die ersten Impfprogramme aufgelegt wurden. Unter den gemeldeten erkrankten Erwachsenen gab es auch Gesundheitspersonal. Das klinische Augenmerk sollte sich künftig stärker auf Masern richten, wenn Hautausschläge bei Personen im Alter ab 20 Jahren oder insbesondere Reisenden auftreten, die aus Ländern zurückkehren, in denen Masern endemisch sind.

Impfstatus

Wo der Impfstatus bekannt war, zeigte sich erwartungsgemäß, dass die meisten Masernfälle (62 %, n = 38.917) unter ungeimpften Personen auftraten. Solche Fälle wurden aus allen Altersgruppen gemeldet. In der Mehrzahl handelte es sich um Personen, die trotz Eignung nicht geimpft worden waren. Ein Bruchteil war aufgrund von Kontraindikationen ungeeignet und 8 % der Gesamtzahl waren Kleinkinder. Gemäß den nationalen Impfprogrammen waren die meisten dieser Kleinkinder noch zu jung für die Erstimpfung gegen Masern.

Von Personen, deren Impfstatus bekannt war, wurde in 23.607 Fällen (38 %) zumindest eine Impfung mit einer Dosis MCV gemeldet. Dieser auf den ersten Blick hoch erscheinende Anteil von Masernerkrankungen geimpfter Personen sollte mit Vorsicht interpretiert werden. Auch wenn MCV ein sehr wirksamer Impfstoff ist, so erfolgt bei einem kleinen Anteil der geimpften Personen keine Immunisierung. 2–5 % der geimpften Kinder, die lediglich eine Dosis des altersgerechten MCV erhalten, werden nicht gegen Masern immun (primäres Impfversagen; [14, 15]). Allerdings wird die fehlende Immunreaktion nach der ersten Dosis in der Regel durch die Verabreichung der zweiten Dosis überwunden [16], die eine vergleichbar hohe Ansprechrate aufweist [14]. Impfversagen kann eintreten, wenn MCV verabreicht wird [17] und ursprünglich von der Mutter stammende Antikörper das Impfvirus neutralisieren. Primäres Impfversagen kann zudem die Folge einer unsachgemäßen Lagerung des Impfstoffs sein.

Wenn einige wenige Personen trotz vollständiger Impfung nicht immun werden, wird die Zahl der vollständig gegen Masern geimpften und doch erkrankenden Menschen angesichts der Masernviruszirkulation mit zunehmenden Impfraten paradoxerweise zunächst ansteigen [18]. Außerdem könnten diejenigen, denen im Rahmen der Ausbruchsbekämpfung eine Dosis MCV verabreicht wurde, sich bereits in der Inkubationsphase nach einer Maserninfektion befunden haben. Angesichts unvollständiger Impfdaten können diese Fälle nicht angemessen aufgeklärt werden. Auch wenn einzelne Masernfälle mit Personen gemeldet wurden, die nach einer MCV-Impfung zunächst eine Immunreaktion gegen Masern aufwiesen, (sekundäres Impfversagen; [19,20,21]), so scheint das Nachlassen der durch Impfung erzielten Immunität nicht in größerem Umfang eine verringerte Immunität der Bevölkerung insgesamt gegen Masern zu bewirken [22].

Masernmortalität

Da die Daten über die tödlichen Komplikationen unvollständig von den Ländern übermittelt wurden, ist die Darstellung der masernbedingten Sterbefälle in diesem Artikel begrenzt. Das volle Ausmaß der Masernmortalität kann kurzfristig nicht erkannt werden, da SSPE erst Jahre nach einer akuten Maserninfektion auftreten kann [12]. Außerdem könnte die Masernmortalität unterschätzt werden, weil die epidemiologische Überwachung in vielen Ländern die Ergebnisse nicht systematisch erhebt und Masern auf Totenscheinen unerwähnt bleiben. Die Problematik fehlerhafter Totenscheine ist hinreichend bekannt [23, 24]. Das bedeutet, dass die Sterberate im Jahr 2018 wahrscheinlich bei über 0,87 pro 1000 Fällen lag.

Impfung

Hohe Impfraten (≥95 %) mit zwei Dosen des Masernimpfstoffs in jedem Bezirk jedes Landes sind eine entscheidende Voraussetzung für die Eliminierung der Krankheit. Zudem sollten ungeimpfte Personen ausfindig gemacht und durch Impfangebote erreicht werden, um somit auch in unterversorgten Gebieten Impflücken zu schließen. Jede Chance zum Erreichen der Kinder durch Regelimpfungen, zu Angeboten der Überprüfung des Impfstatus und zur Impfung von Erwachsenen, die möglicherweise noch nicht geimpft wurden, sollte genutzt werden. Eine MCV-Impfung sollte auch allen gefährdeten Personen empfohlen werden, die beabsichtigen in Länder zu reisen, in denen Masern endemisch auftreten und Ausbrüche stattfinden.

In seinen Betrachtungen zum Zusammentreffen von Bevölkerungsgruppen und den Masernübertragungsrisiken stellte der Strategische Beirat der WHO für Immunisierungsfragen (SAGE) fest, dass Impflücken unter Kindern nach deren Schuleintritt wegen ihrer zahlreichen Kontakte einen wesentlichen Faktor für die Übertragung der Krankheit bilden [25]. SAGE empfahl daher den Ländern den Impfstatus der Kinder bei Schuleintritt zu überprüfen und einen optimalen Ansatz zur Füllung von Impflücken zu entwickeln. Dazu zählen begleitende MCV-Impfkampagnen, die sich auch an Schulkinder richten, und zwar entweder auf nationaler oder gezielt auf subnationaler Ebene. Wo die zweite Dosis MCV erst nach Schuleintritt geplant ist, sollten die Regierungen eine Absenkung des Alters in Erwägung ziehen, insofern dies keine negativen Auswirkungen auf die Impfraten hat.

Nosokomiale Übertragungen von Masern sind besonders besorgniserregend, weil Kleinkinder und Erwachsene in der Regel im Krankenhaus bereits durch andere Erkrankungen geschwächt sind. Die Gesundheitsbehörden sollten für alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen sorgen, damit die Masernübertragung in der Gesundheitsversorgung durch wirksame Infektionsbekämpfung verhindert wird. Es werden nach wie vor auch Masernfälle beim Gesundheitspersonal gemeldet. Das Gesundheitspersonal sollte generell zum eigenen Schutz und zum Schutz der Patienten geimpft sein [13, 26]. Wo Impfstatus und Impfverlauf ungewiss oder unbekannt sind, sollte der Immunstatus überprüft und gegebenenfalls nachgeimpft werden [13].

Gleichzeitig muss das Vertrauen der Öffentlichkeit und des Gesundheitspersonals konstant gestärkt und das Verständnis zu Nutzen und Risiken einer Impfung gegen Masern verbessert werden. Sobald die Anzahl der Krankheitsfälle abnimmt, können Sicherheitsbedenken bezüglich der Impfung gegenüber der Furcht vor der Krankheit überwiegen. Solche Bedenken werden oft von Falschmeldungen angeheizt, was insbesondere durch eine gefühlsbedingte Ablehnung gefördert wird. Deswegen sollten die Gesundheitsbehörden jede unerwünschte Nebenwirkung nach einer Impfung schnellstens untersuchen und die Ergebnisse unverzüglich und vollständig veröffentlichen. Das zeitnahe und offene Aufgreifen der Sorgen der Öffentlichkeit ist für den Aufbau von Vertrauen und die Beseitigung von Sicherheitsbedenken gegen Impfungen entscheidend. Die Gesundheitsbehörden sollten der Öffentlichkeit und dem Gesundheitspersonal den Zugang zu verlässlichen Informationen erleichtern, die über den Nutzen und die Sicherheit der Impfungen sowie über die Gefährlichkeit der Erkrankung, vor der sie schützen, aufklären. Ferner sollten bessere Wege zur Vermittlung dieser Botschaften an die Eltern und Patienten gefunden und beschritten werden.

Surveillance

Das Format der vorliegenden Daten bedeutete, dass wir nicht nur einen Denominator für anfällige Personen nutzen konnten. Allerdings ermöglicht die Verwendung der Landesbevölkerung als Denominator den Vergleich der Inzidenzzahlen mit den von der WHO verwendeten Ergebnisindikatoren [27]. Ländervergleiche sind aufgrund unterschiedlicher Meldepraktiken nur unter Vorbehalt möglich – einige Länder meldeten lediglich vom Labor bestätigte und epidemiologisch verknüpfte Fälle, während andere klinische Fälle ohne Laborbestätigung meldeten. Ohne Bestätigung durch das Labor besteht die Gefahr einer überschätzten Inzidenz, insbesondere in Ländern mit wenigen sporadischen Fällen, denn eine geringe Inzidenz der Krankheit schwächt den Vorhersagewert der klinischen Diagnose von Masern [28]. Umgekehrt führt eine passive epidemiologische Überwachung notorisch zu Defiziten und Verspätungen in den Meldungen – ungeachtet der in fast allen Ländern der Europäischen Region bestehenden Meldepflicht – und erschwert zusätzlich einen Vergleich zwischen den Ländern.

Die Surveillance muss sensibel und spezifisch genug erfolgen, damit alle Verdachtsfälle aufgedeckt, bestätigt und eingeordnet werden können [27]. Verdachtsfälle sollten den Gesundheitsbehörden prompt gemeldet werden, damit diese Zeit für eine fallbasierte Untersuchung haben und Kontaktpersonen für eine gegebenenfalls erforderliche Impfung auffinden können [29]. Proben zur Aufdeckung einer akuten Maserninfektion sollten bei mindestens 80 % der Verdachtsfälle genommen und in einem Fachlabor untersucht werden [27]. Die epidemiologischen Daten und die molekulare Charakterisierung der Masernviren bilden eine Grundlage für die Feststellung, wie die Viren eingeschleppt wurden, ob Ausbrüche durch Einschleppung entstanden sind und wie die Übertragungsmuster aussehen, und tragen somit zu einer besseren Lagebeurteilung zur Beendigung der endemischen Übertragung bei.

Die Anzahl der durch Labore bestätigten Masernverdachtsfälle schwankte 2018 in Abhängigkeit vom Vorliegen von Ausbrüchen und von der Qualität der Surveillance. Die Daten über den Genotypus der zirkulierenden Masernviren aus MeaNS sind ein guter Indikator für die epidemiologische Molekulardynamik der Masernviren, auch wenn sie nicht ein vollständig repräsentatives Bild der Verteilung der Masernviren in der Region geben können. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Länder in unterschiedlichem Umfang Proben zur Virussequenzierung sammeln, aber auch an einer unterschiedlichen Praxis in Bezug auf die Meldung von Sequenzdaten an MeaNS.

In der Verifizierungsphase für die Eliminierung der Masern aus der Europäischen Region der WHO muss jedes Land das Ansprechvermögen seiner Masern-Surveillance selbst bewerten und Bereiche erkennen, in denen die Qualität noch verbessert werden kann [30]. Während die Eliminierung der Masern aus der Region näher rückt, werden alle Länder dringend aufgefordert sicherzustellen, dass ihre Surveillance-Systeme einem Qualitätsstandard entsprechen, der dies ermöglicht [31]. Für diesen Artikel haben wir die Qualität der Surveillance-Systeme nicht bewertet und uns alleine auf die von den Ländern vorgelegten Daten gestützt.

Schlussfolgerung

Das Wiederaufflammen der Masernerkrankungen in der Region ist eine Konsequenz der noch immer bestehenden Herausforderung für diejenigen Länder, in welchen Masern nach wie vor endemisch auftreten, das Eliminierungsziel dieser Krankheit zu erreichen. Es zeigt, wie notwendig ein nachhaltiger Einsatz auch zur Verteidigung der Erfolge in den Ländern ist, in denen die Übertragung der Masern unterbrochen wurde und die Krankheit als eliminiert gelten kann. Damit dieses prioritäre Ziel der Region erreicht werden kann, müssen alle Länder sicherstellen, dass eine Durchimpfungsrate von mindestens 95 % erreicht und in allen Bezirken aufrechterhalten wird und dass Impflücken in der Bevölkerung geschlossen werden. Außerdem ist eine hochwertige epidemiologische Überwachung erforderlich, damit das Auftreten der Krankheit verfolgt, Ausbrüche registriert und angemessene Gegenmaßnahmen rechtzeitig ergriffen werden können. Genaue Surveillance-Daten sind zudem erforderlich, damit der Stand der Masernübertragung auf geeignete Weise im Rahmen des Eliminierungsprozesses sicher beurteilt werden kann. Das gemeinsame Ziel wird erst erreicht werden, wenn alle Mitgliedstaaten ihr politisches Bekenntnis in konkretes programmatisches Handeln münden lassen, das die benannten Herausforderungen aufgreift und angemessene Investitionen sichert.