Hintergrund

Vernetzung gehört gemäß der 1986 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichten Ottawa-Charta zu den Kernstrategien der Gesundheitsförderung: Die Umsetzung einer gesundheitsförderlichen Politik erfordert die Beteiligung aller relevanten Akteure und deren koordiniertes Zusammenwirken über Sektorengrenzen und Zuständigkeitsbereiche hinweg [1]. Eine solche übergreifende Vernetzung ist im föderalistischen Deutschland mit seinen verschiedenen Sozialversicherungssystemen und seiner pluralen Trägerstruktur besonders notwendig, aufgrund der verteilten Zuständigkeiten und der stark versäulten Leistungs- und Verwaltungssysteme zugleich aber auch sehr schwierig zu realisieren. Dies wird besonders auf kommunaler Ebene deutlich, da hier die Problemlagen, für die das bestehende Sozialsystem keine oder nur eine unzureichende Lösung bietet, bearbeitet werden müssen. Immer mehr Kommunen machen sich deshalb auf, Strukturen der Zusammenarbeit zu schaffen und bestehende Angebote und Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention, insbesondere für Kinder, stärker aufeinander abzustimmen.

Ziel des Beitrags ist es, einen Überblick über die vernetzte kommunale Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche zu geben sowie Grundlagen und Hindernisse der Umsetzung darzustellen. Unser Fokus liegt dabei auf der Gesundheitsförderung und damit auf der salutogenetischen Perspektive, nach der Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess verstanden wird. Auf Ebene der praktischen Umsetzung ist eine Abgrenzung zur Prävention jedoch nicht möglich, da vernetzte Ansätze zumeist sowohl gesundheitsförderliche als auch präventive Ziele und Maßnahmen umfassen. Ähnlich offen verwenden wir den Begriff der „Vernetzung“, da sich in der Praxis zahlreiche Formen hiervon finden. In der Regel handelt es sich auf kommunaler Ebene um eine horizontale Vernetzung von Akteuren, die in irgendeiner Weise für Kinder und Jugendliche Verantwortung tragen, Leistungen erbringen oder einen anderen Bezug zu dieser Zielgruppe aufweisen. Die kommunale Vernetzung umfasst dabei sowohl die Zusammenarbeit verschiedener Verwaltungseinheiten miteinander als auch die Zusammenarbeit mit externen Akteuren, wie zum Beispiel Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und privaten Leistungserbringern. Die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen sollte entsprechend der Kernforderung der Ottawa-Charta ebenfalls eingebunden sein, ist dies jedoch häufig (noch) nicht. Eine besondere Form der vernetzten Gesundheitsförderung stellen integrierte Strategien dar. Hier erfolgt die Vernetzung lebensphasenübergreifend, d. h., Akteure, die für unterschiedliche Phasen der Kindheit bzw. Jugend zuständig sind, kooperieren miteinander.

Unser Beitrag wird im Folgenden zunächst die Rolle der Kommunen im Bereich der Gesundheitsförderung im deutschen Mehrebenensystem darlegen, bevor wir im zweiten Schritt den Status quo der vernetzten kommunalen Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche in Deutschland beschreiben. Daran anschließend diskutieren wir die unserer Meinung nach zentralen Umsetzungshürden in Deutschland und skizzieren die Umsetzung vernetzter Gesundheitsförderung für Kinder in zwei weiteren europäischen Ländern. Im Fazit fordern wir weitere Bundes- bzw. Landesinitiativen zum Ausbau vernetzter Gesundheitsförderung und regen zusätzliche Forschungsinitiativen in diesem Feld an.

Die Rolle der Kommunen im Bereich der Gesundheitsförderung

Die rechtlichen Zuständigkeiten für Gesundheitsförderung liegen in Deutschland ausschließlich bei den Ländern [2]. Der Bund hat diesbezüglich keine direkten Kompetenzen. Aufgrund seiner Zuständigkeit für die Sozialversicherungen kann er jedoch Regelungen zur Gesundheitsförderung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung und der anderen Sozialversicherungen treffen. Zwischen den Ländern bestehen große Unterschiede in der Ausgestaltung der Gesundheitsförderung. Zwar sehen alle entsprechenden Landesgesetze Gesundheitsförderung als Aufgabe des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) vor, divergieren aber in Bezug auf erwähnte Zielgruppen und andere Aspekte [3]. Die Kommunen können jedoch aufgrund ihrer grundgesetzlich garantierten Selbstverwaltung (Art. 28 GG) auch unabhängig von einer Aufgabenübertragung durch das Land auf dem Feld der Gesundheitsförderung tätig werden.

Kommunen besitzen aufgrund ihrer Zuständigkeit für die allgemeine Daseinsfürsorge zudem Entscheidungskompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten für viele gesundheitsrelevante Bereiche. Diese umfassen zum einen Pflichtaufgaben, wie zum Beispiel die Kinder- und Jugendhilfe, die Sozialhilfe oder den Allgemeinen Sozialen Dienst, und zum anderen freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wie den sozialen Wohnungsbau oder die Trägerschaft von Kindertagesstätten und anderen sozialen Einrichtungen [4]. Dadurch legen die Kommunen die Rahmenbedingungen für viele Settings (z. B. Kitas, Schulen, Sportvereine) fest, weshalb sie auch häufig als „Dachsetting“ bezeichnet werden. Aufgrund ihrer breiten Zuständigkeiten besitzen die Kommunen zudem das Potenzial, die Einzelsettings zu koordinieren sowie die Übergänge zu moderieren (z. B. von der Kita in die Schule) [5].

Kommunen kommt auch in Bezug auf die Reduktion gesundheitlicher Ungleichheit eine entscheidende Rolle zu. Besonders belastete Bevölkerungsgruppen leben zumeist räumlich konzentriert in einzelnen Stadtteilen [6]. Die Kommunen kennen in der Regel die Problem- und Bedarfslagen der Bevölkerung in den benachteiligten Stadtteilen und können deshalb zielgerichtete Interventionen entwickeln. Im kommunalen Setting besteht zudem die Möglichkeit, Zielgruppen zu erreichen, die in anderen Settings nicht vertreten sind, wie zum Beispiel Kinder, die keine Kita besuchen, oder arbeitslose Eltern.

Das Feld der kommunalen Gesundheitsförderung ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure: Neben den kommunalen Verwaltungsakteuren, wie zum Beispiel dem ÖGD, der Kinder- und Jugendhilfe und dem Sozialamt, gehören hierzu die freien Wohlfahrtsverbände, die Leistungserbringer des Gesundheitswesens, die Krankenkassen, Selbsthilfegruppen, Vereine, Kindertageseinrichtungen, Schulen, Elterninitiativen und viele mehr. Als Folge ergibt sich meist ein Nebeneinander unterschiedlicher Maßnahmen, ohne dass diese miteinander abgestimmt und auf den lokalen Bedarf zugeschnitten sind. Kommunen kommt hier die Aufgabe der Planung und Koordinierung zu, was allerdings in Anbetracht der Akteursvielfalt und der begrenzten Handlungsmacht der Kommunen in der Praxis schwierig zu realisieren ist. Die Kommunen sind hier auf die freiwillige Mitarbeit und Kooperation der Beteiligten angewiesen. Auch innerhalb der Kommunalverwaltungen erfordert eine vernetzte Gesundheitsförderung die Zusammenarbeit über Abteilungs- und Dezernatsgrenzen hinweg, was sich aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen sowie Handlungslogiken oftmals schwierig gestaltet [7].

Viele Kommunen versuchen inzwischen über den Aufbau integrierter Strategien, gesundheitsförderliche und präventive Angebote lebensphasenübergreifend aufeinander abzustimmen. Diese sogenannten Präventionsketten [8, 9] orientieren sich an der Biografie eines Kindes – von vor der Geburt bis zum Übergang in den Beruf – und fokussieren dabei insbesondere die Übergänge im Bildungssystem, z. B. den Eintritt in die Kita, den Übergang von der Kita in die Grundschule oder später den Übergang von der weiterführenden Schule ins Studium bzw. die berufliche Bildung (s. Abb. 1). Für die jeweiligen Abschnitte ist eine Vielzahl von Akteuren und Institutionen zuständig. An den Übergängen erfolgt häufig ein Wechsel der Zuständigkeiten; beispielsweise wechselt beim Übergang von der Kita in die Grundschule die Zuständigkeit in der Kommunalverwaltung von der Kinder- und Jugendhilfe (dem Jugendamt) zur Schulverwaltung (dem Schulamt). Dies birgt das Risiko einer Unterbrechung der Förderung von Kindern, beispielsweise im Bereich sprachlicher oder motorischer Defizite, wenn nicht an den Übergängen intersektoral zusammengearbeitet wird. Dazu braucht es in der Regel eine kommunale Koordinierung und Vernetzung.

Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung des Akteursfeldes entlang der Präventionskette (Mod. nach [10])

Vernetzte kommunale Gesundheitsförderung für Kinder – Status quo in Deutschland

In den letzten Jahren wurde der Auf- und Ausbau vernetzter kommunaler Strategien durch zahlreiche Initiativen auf Bundes- und Landesebene unterstützt, wobei das Augenmerk dabei oftmals auf der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen lag. In der Folge hat sich eine inzwischen unüberschaubare Vielfalt an Aktivitäten auf kommunaler Ebene entwickelt. Da bislang keine umfassenden vergleichenden Untersuchungen zur Umsetzung vernetzter Ansätze vorliegen, ist über deren Umfang und konkrete Ausgestaltung nur sehr wenig bekannt. Wir beschränken uns deshalb im Folgenden darauf, einen Überblick über die unterstützenden Initiativen auf Bundes- und Länderebene zu geben.

Der am besten ausgebaute Bereich vernetzter Gesundheitsförderung bei Kindern ist aufgrund bundes- und landesgesetzlicher Vorgaben und entsprechender finanzieller Unterstützung der Bereich der „Frühen Hilfen“. Diese haben ihren Ursprung in der Kinder- und Jugendhilfe und sind auch gesetzlich dort verankert.Footnote 1 Frühe Hilfen sind gemäß der Definition des Wissenschaftlichen Beirats des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) ein kommunales Unterstützungssystem, das koordinierte Hilfsangebote für Schwangere sowie für Kleinkinder, in der Regel bis zum dritten Lebensjahr, und deren Eltern bereithält. Es zielt darauf, ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen sowie Schutz, Teilhabe und Förderung der Kinder zu verwirklichen [11]. Sie umfassen dabei in den meisten Kommunen sowohl primärpräventive Angebote (verstanden als universelle, an alle Familien und Kinder gerichtete präventive und gesundheitsförderliche Maßnahmen) als auch sekundärpräventive (d. h. an Risikogruppen gerichtete) Angebote [12]. Beim Auf- und Ausbau der Frühe-Hilfen-Netzwerke werden die Kommunen durch das NZFH unterstützt (www.fruehehilfen.de). Frühe Hilfen sind heute weitgehend in allen Kommunen etabliert, wobei die Federführung, wie vom Gesetz vorgesehen, zumeist bei den Jugendämtern liegt [12]. Jedoch besteht eine große Heterogenität in der Ausgestaltung. Auch wird von den Verantwortlichen weiterhin Handlungsbedarf in den Kommunen gesehen [13].

In der Lebensspanne breiter angelegt ist der Partnerprozess „Gesundheit für alle“ [14]. Dieser wurde 2011 vom Kooperationsverbund „Gesundheitliche Chancengleichheit“ ins Leben gerufen und verfolgt ebenfalls das Ziel, vernetzte Strukturen in den Kommunen aufzubauen. In den ersten Jahren lag der Fokus auf integrierten Strukturen der Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche, seit 2015 werden alle Lebensphasen berücksichtigt. Der Partnerprozess bietet den Kommunen Begleitung und Unterstützung beim Auf- und Ausbau von Präventionsketten durch die Bereitstellung von Materialien sowie durch Qualifizierungs- und Vernetzungsangebote. So können sich die Kommunen zum Beispiel über die Onlineplattform „inforo“ austauschen und vernetzen (siehe Beitrag von Salaschek und Nöcker in diesem Heft). Inzwischen sind über 50 Kommunen beigetreten und weitere über das Onlinetool angebunden.

Fachlicher Austausch und Vernetzung der Kommunen im Bereich der Gesundheitsförderung sind auch das Ziel des Gesunde-Städte-Netzwerks (www.gesunde-staedte-netzwerk.de), in welchem aktuell 79 Kommunen zusammengeschlossen sind. Grundvoraussetzung für den Beitritt ist das Bekenntnis zum Auf- und Ausbau intersektoraler Kooperationsstrukturen. Allerdings handelt es sich dabei um eine freiwillige Selbstverpflichtung, die nicht überprüft wird. Im Netzwerk existiert ein Kompetenzzentrum für integrierte kommunale Strategien bei der Stadt Leipzig, welches andere Städte bei der Umsetzung berät.

Auf Länderebene bestehen zurzeit in zwei Flächenländern drei Initiativen zum Auf- und Ausbau integrierter kommunaler Strategien für Kinder. Zudem werden in Hamburg und Berlin Modellprojekte auf Stadtteilebene durchgeführt. In Niedersachsen existiert seit 2016 das Programm „Gesund aufwachsen für alle Kinder!“, das Kommunen (geplant sind bis zu 38 Städte und Kreise bis zum Jahr 2022) finanziell sowie durch Beratung, Begleitung und Fortbildung beim Aufbau von Präventionsketten für Kinder unterstützt.Footnote 2 Finanziert werden die Präventionsketten Niedersachsen durch eine gemeinnützige Stiftung. Die Konzeption, Planung und Organisation des Programms erfolgt durch eine Koordinierungsstelle, die bei der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachen angesiedelt ist.

In Nordrhein-Westfalen (NRW) bestehen gleich zwei Initiativen. Im Jahr 2011 legte der Landschaftsverband Rheinland, ein höherer Kommunalverband in NRW, bei dem u. a. auch das Landesjugendamt Rheinland angesiedelt ist, das Förderprogramm „Teilhabe ermöglichen – Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“Footnote 3 auf. An diesem nahmen bislang 39 Kommunen aus dem Gebiet des Landschaftsverbandes teil. Diese werden finanziell gefördert und von der beim Landschaftsverband eingerichteten Koordinationsstelle Kinderarmut fachlich begleitet. Bei dieser Initiative geht es um den Aufbau kommunaler Netzwerkstrukturen zur Vermeidung der negativen Folgen von Kinderarmut, darüber hinaus wird auch der interkommunale Erfahrungsaustausch unterstützt.

Das Land NRW fördert zudem seit dem Jahr 2012 im Rahmen eines Modellprojektes in Zusammenarbeit mit einer Stiftung den Auf- und Ausbau von Präventionsketten in Kommunen.Footnote 4 Für das Projekt wurden in zwei Wellen 40 Modellkommunen ausgewählt. Die Kommunen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Größe, ihrer Art (Kommunen, Kreise), ihrer Sozial- und Verwaltungsstruktur sowie hinsichtlich ihrer Erfahrung mit präventiven Ansätzen [10, 16, 17].Footnote 5 Die Kommunen mussten sich für die Beteiligung bewerben. Sie erhielten nach Aufnahme ins Modellprojekt eine Teilfinanzierung einer Koordinator_innenstelle und waren verpflichtet, sich an einem sogenannten Lernnetzwerk sowie an der wissenschaftlichen Begleitforschung zu beteiligen. Eine Besonderheit des Modellprojektes ist, dass teilnehmende Kommunen kein einheitliches, detailliertes Konzept „von oben“ umsetzen müssen, sondern im Rahmen einer Reihe relativ allgemeiner Grundsätze (zum Beispiel: „vom Kind her denken“, Fokussierung von Bildungsübergängen, wirkungsorientierte Steuerung mithilfe eines sozialräumlichen Präventionsmonitorings) eigene, den örtlichen Gegebenheiten angepasste Lösungen finden sollen.

Der Ausbau vernetzter Gesundheitsförderung auf Quartiersebene wird in manchen Kommunen im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ angestoßen bzw. ermöglicht. Im Rahmen des Städtebauförderungsprogramms wird seit 1999 die Stabilisierung und Aufwertung städtebaulich, wirtschaftlich und sozial benachteiligter und strukturschwacher Stadtteile gefördert [19]. Dessen Fokus liegt zwar primär auf städtebaulichen Investitionen, Voraussetzung für die Förderung ist jedoch ein integriertes Entwicklungskonzept für den Stadtteil, das in der Regel in Zusammenarbeit mehrerer Fachämter entwickelt wird. Obwohl die Bedeutung des Handlungsfelds Gesundheitsförderung auch in der Stadterneuerung lange bekannt ist, wurde die Bedeutung des Themenfelds in den Befragungen von Kommunen der Sozialen Stadt im Rahmen der verschiedenen Evaluationswellen des Programms als gering eingeschätzt. Neben den vereinzelt verwirklichten gesundheitsförderlichen baulichen Maßnahmen ließen sich in der letzten Zwischenevaluation nur wenige gesundheitsfördernde Maßnahmen nennen, deren Ergebnisse und Wirkungen zudem nicht genauer bestimmbar waren [20].

Hindernisse der Umsetzung

Auch über 30 Jahre nach Verabschiedung der Ottawa-Charta gehört ein vernetztes Vorgehen noch immer nicht zum Standard der kommunalen Gesundheitsförderung in Deutschland. Dies hat viele Ursachen. Neben den generellen Hindernissen einer gesundheitsförderlichen Politik, wie zum Beispiel die zeitliche Inkongruenz von Kosten und Nutzen, mächtigen Gegeninteressen und unklaren Verantwortlichkeiten [21,22,23] sowie den wenig förderlichen allgemeinen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland, trifft die Umsetzung auf kommunaler Ebene auf zahlreiche Hindernisse.

Zu den größten Umsetzungshürden gehört die schlechte Finanzsituation vieler Kommunen. Haushaltsdefizite und steigende Pflichtausgaben haben vielerorts zu Kürzungen der freiwilligen Leistungen geführt [4]. Da Gesundheitsförderung, Vernetzung und Koordination weitgehend zu den freiwilligen Aufgaben gehören, ist hier der Handlungsspielraum für viele Kommunen gering. Zwar besteht die begründete Hoffnung, dass frühe Gesundheitsförderung und Prävention „sich auszahlt“, der Aufbau integrierter Strukturen erfordert zunächst einmal zusätzliche Ausgaben für Personal und Infrastruktur [24], die unter prekären Haushaltssituationen nur schwer zu realisieren sind. Dennoch ist auch unter schwierigen finanziellen Bedingungen ein Ausbau vernetzter Gesundheitsförderung möglich, wie bereits einige Kommunen bewiesen haben.

Als praktische Umsetzungshürde hat sich oft auch die für ein vernetztes Vorgehen notwendige Zusammenarbeit der verschiedenen Verwaltungssektoren erwiesen. Die intersektorale Kooperation ist sehr voraussetzungsvoll, ihr Gelingen hängt von vielen Kontextfaktoren ab: Die Begleitforschung zum NRW-Modellprojekt KeKiz hat zum Beispiel gezeigt, dass eine Veränderung von Verwaltungshandeln in Richtung ressortübergreifender Zusammenarbeit und Vernetzung ohne ein deutliches Engagement der Verwaltungsspitzen (Bürgermeister_in oder Landrät_in) bei der Implementation nicht langfristig erfolgreich ist [17]. Um diese zu überzeugen bedarf es Wirksamkeitsbelege der Maßnahmen. Für Deutschland existieren bislang jedoch kaum Studien über die langfristige Wirksamkeit und das Kosten-Nutzen-Verhältnis integrierter Ansätze [24]. Die Begleitforschung einzelner kommunaler Umsetzungsversuche (z. B. [25, 26]) lässt zwar eine positive Wirkweise früher Interventionen erkennen und deutet auf ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis hin, um jedoch allgemein gültige Aussagen über die Wirksamkeit vernetzter Ansätze zu treffen, sind umfangreichere und langfristigere Studien notwendig.

Auf der operativen Ebene erwies sich die Zuordnung der Koordination zu einem federführenden Dezernat bzw. Amt als wirksamer als die Ansiedelung von Stabsstellen. Grundsätzlich schienen aus Sicht befragter Verwaltungsmitarbeiter_innen stärker integrierte Verwaltungsmodelle, in denen wichtige präventionsrelevante Bereiche wie Kinder- und Jugendhilfe, Schule, Gesundheit etc. in einem Amt, Fachbereich oder Dezernat zusammengeführt werden, hilfreich zu sein. Im Tagesgeschäft können dadurch Vernetzungshürden zwischen den Bereichen entfallen und Ressortegoismen eingegrenzt werden [10].

Hinderlich für die Entwicklung vernetzter und integrierter Ansätze der Gesundheitsförderung auf kommunaler Ebene ist auch die, im Vergleich zu anderen Ländern, schwache Rolle des ÖGD in Deutschland. Seine historisch bedingte begrenzte Bedeutung, die Personalkürzungen der letzten Jahrzehnte sowie seine oftmals noch einem alten Public-Health-Verständnis verhafteten Strukturen verhindern vielerorts ein stärkeres Engagement des ÖGD in der Gesundheitsförderung. Dabei besitzen die Gesundheitsämter aufgrund ihrer lokalen Anbindung und bestehender Verbindungen zu anderen kommunalen Verwaltungseinheiten, wie z. B. der Jugendhilfe und Akteuren des Gesundheitswesens, sowie zu Erziehungseinrichtungen ein großes Potenzial, die Vernetzungsfunktion auf lokaler Ebene zu übernehmen [27]. Einzelne Kommunen (z. B. Dortmund, Kassel) haben diese strategische Rolle der Gesundheitsämter erkannt und entsprechende Koordinierungsstellen zum Auf- und Ausbau der Vernetzung eingerichtet.

Beispiele aus anderen europäischen Ländern

Zahlreiche europäische Länder haben in den vergangenen Jahren ihre Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsförderung für Kinder ausgebaut und versucht, die bestehenden Angebote besser zu vernetzen [28]. Im Folgenden werden zwei Vorreiter vernetzter Gesundheitsförderung bei Kindern vorgestellt, die sich nicht nur durch ihre relativ lange Historie, sondern auch durch eine breite Vernetzung des Gesundheitsbereichs mit anderen gesundheitsrelevanten Sektoren auszeichnen.

Großbritannien verfolgt schon seit Ende der 1990er-Jahre eine breit angelegte Strategie der frühen Förderung von Kindern zur Verbesserung der Chancengleichheit. Zentrales Element sind lokale Sure-Start-Kinderzentren, die verschiedene Angebote von der Kinderbetreuung über Kinder- und Jugendhilfe bis hin zu verschiedenen Gesundheitsdienstleistungen für Eltern und Kinder unter einem Dach vereinen [29]. Im Gesundheitsbereich existiert mit dem „Healthy Child Programme“ (HCP) seit 2004 zudem ein universelles, nationales Gesundheitsprogramm für Kinder und Jugendliche. Das Programm ist in zwei Abschnitte unterteilt: von Beginn der Schwangerschaft bis zum Alter der Kinder von fünf Jahren sowie von sechs bis 19 Jahren. Während der zweite Teil überwiegend im Schulsystem angesiedelt ist, werden die Leistungen für die erste Lebensphase von einem interdisziplinären Team, bestehend aus Hebammen, „health visitors“ (Krankenpfleger_innen oder andere Gesundheitsberufe mit einer entsprechenden Fachweiterbildung), Allgemein- und Kinderärzt_innen sowie anderen Gesundheitsberufen erbracht, welche häufig alle in den Sure-Start-Zentren angesiedelt sind [30]. Die Leistungen umfassen neben Entwicklungskontrollen, sekundärpräventiven Maßnahmen und Impfungen auch Gesundheitsinformationen und Elternunterstützung [31]. Das HCP wird ergänzt durch Spezialprogramme für einzelne Zielgruppen, wie zum Beispiel junge Mütter unter 19 Jahren (Family Nurse Partnership) oder Kinder bis vier Jahren, deren Eltern Sozialleistungen beziehen (Healthy Start).

Verantwortlich für die Umsetzung des HCP waren bis 2015 die lokalen Gesundheitsdienste des National Health Service. Die konservativ-liberale Regierung hat die Verantwortung für HCP wie auch für Sure Start im Jahr 2015 vollständig auf die Kommunen übertragen. Damit einher ging auch eine Veränderung der Finanzierung. Die Mittel sind jetzt nicht mehr programmgebunden, was dazu geführt hat, dass das Angebot von vielen Kommunen zum Teil erheblich gekürzt oder ganz aufgegeben wurde [32].

In Schweden liegt die Verantwortung für Gesundheit weitgehend bei den Bezirken [33]. Vorreiter bei der vernetzten Gesundheitsförderung für Kinder ist der Bezirk Västerbotten. Dieser hat seit 2005 schrittweise ein integriertes Gesundheitsprogramm für Kinder und Eltern entwickelt mit dem Ziel, Gesundheitsförderung im Bereich der Schwangeren- und Kinder(zahn)gesundheit in Kinderbetreuungseinrichtungen und in Schulen auszuweiten und dabei die Kooperation zwischen den genannten Sektoren zu verbessern [34]. Zu erwähnen ist hier, dass die Gesundheitsversorgung und -förderung bei Schwangeren und Kindern in Schweden umfassend und multiprofessionell organisiert sind und deshalb schon eine sehr gute Ausgangslage vor Beginn des Programms gegeben war. So erhalten Familien nach der Geburt zum Beispiel regulär einen Hausbesuch durch eine Kinderschwester, die den Kontakt zur Familie herstellt und die Familien über die Kindergesundheitsleistungen informiert, die sie in den lokalen Kindergesundheitszentren bis zum 18. Lebensmonat erhalten [35]. Das neue Gesundheitsförderungsprogramm hat zum einen die bestehenden Angebote und Kooperationen ausgeweitet oder umstrukturiert. So wurden beispielsweise Beratungen zu gesundheitsförderlicher Lebensführung erweitert sowie die Kooperation zwischen Schwangeren- und Kindergesundheitsdiensten intensiviert. Zum anderen wurden neue Elemente eingeführt, wie zum Beispiel die Berücksichtigung der Vätergesundheit durch einen „Vaterbesuch“, die Aufnahme von Fragen zu häuslicher Gewalt in die Regelkontrollen sowie die Einbindung der vorschulischen Einrichtung und des zahnärztlichen Dienstes in die bestehenden Kooperationsbeziehungen [36]. Das Programm setzt den Akteuren vor Ort klare Ziele, gibt ihnen detaillierte Arbeitsanweisungen, qualifiziert sie und begleitet sie bei der Umsetzung [35].

Die beiden Beispiele machen deutlich, dass vernetzte Gesundheitsförderung für Kinder gelingen kann, wenn eindeutige Vorgaben und klare Verantwortlichkeiten für die Durchführung und Finanzierung bestehen. Der Fall Großbritannien zeigt dabei eindringlich, dass Gesundheitsförderung und Prävention schnell zurückgefahren werden, wenn sie mit anderen kommunalen Leistungen um finanzielle Mittel konkurrieren müssen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den letzten Jahren ein verstärktes Engagement im Auf- und Ausbau vernetzter Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland zu beobachten ist. Dies betrifft sowohl die Aktivitäten auf kommunaler Ebene als auch die Vernetzungs- und Unterstützungsangebote auf Bundes- und Landesebene. In Deutschland sind wir jedoch noch weit von einer flächendeckenden, vernetzten kommunalen Gesundheitsförderung entfernt. Vielmehr existiert ein Flickenteppich von aus verschiedenen Quellen geförderten, oftmals befristeten Projekten und Initiativen. Diese tragen zwar zu einer Weiterentwicklung des Politikfeldes bei und führen in einzelnen Kommunen zu Verbesserungen in der Gesundheitsförderung, es ist aber aufgrund der oft kurzen Laufzeit von Modellprojekten nicht gesichert, dass diese Verbesserungen auch nachhaltig sind.

Selbst im Bereich der Frühen Hilfen, wo es bundes- und landesgesetzliche Regelungen, eine finanzielle Unterstützung der Kommunen sowie ein organisiertes Netzwerk zum Erfahrungsaustausch gibt, besteht noch weiterer Handlungsbedarf. Die Frühen Hilfen und die internationalen Erfahrungen zeigen jedoch, dass der Auf- und Ausbau durch die Vorgabe gesetzlicher Rahmenbedingungen und durch die Bereitstellung entsprechender Ressourcen flächenmäßig vorangetrieben werden kann.

Über die Qualität sowie die Hinderungs- und Gelingensbedingungen vernetzter Gesundheitsförderung für Kinder ist bislang noch wenig bekannt. Zwar werden die Frühen Hilfen und die vorgestellten Landesinitiativen evaluativ begleitet, eine projektübergreifende Forschung fehlt bislang jedoch ebenso wie eine tiefere theoretische Erschließung des Feldes. Hier besteht noch großer Forschungsbedarf, um aus der Vielfalt der Interventionen und aus den verschiedenen Vorgehensweisen die wirksamsten Strategien zu identifizieren.