Zusammenfassung
Rationale Antibiotikaverordnung ist zu einer Priorität in der medizinischen Fort- und Weiterbildung und Qualitätssicherung geworden. Optimierungsbereiche liegen vor allem in der kritischen Indikationsstellung, der vermehrten gezielten Therapie und Therapiedauerverkürzung. Sie betreffen niedergelassene Ärzte und auch die Krankenhausmedizin. Sie sind teilweise durch Defizite in der klinischen Forschung bedingt, aber auch Fehlentwicklungen in der fachärztlichen Weiterbildung, in der Strukturierung und im Vergütungssystem der verschiedenen Sektoren im Gesundheitssystem tragen zu Problemen in diesen Bereichen bei. Antibiotic-Stewardship(ABS)-Programme auf verschiedenen Ebenen können Maßnahmen zur Verbesserung der Antibiotika-Verordnungsqualität bündeln. Erfahrungen gibt es dazu vor allem bezüglich Schulung und Fortbildung von ärztlichem Personal und Apothekern sowie Etablierung von ABS-Teams vor Ort und von infektiologischen Konsiliardiensten im Krankenhaus. Eine gute Interaktion und Verzahnung mit der mikrobiologischen Diagnostik sind dabei wichtig und verstärken die Effekte auf die Verordnungsqualität. Notwendig sind politische Unterstützung und Investitionen, um solche neuen Strukturen nachhaltig etablieren zu können und diese auch für die Schnittstellen zwischen stationär und ambulant sowie für die ambulante Medizin weiterzuentwickeln.
Abstract
Rational prescription of antibiotics has become a priority in undergraduate and continued professional medical education and in quality management systems. Areas for optimization have been identified, above all, in critically establishing the indication for therapy, in increasing targeted therapy, and shortening treatment duration, and affect both outpatient and inpatient settings. They are partly related to deficiencies in clinical research, but aberrations in the development of the postgraduate training system, in the infrastructure, and in the reimbursement system of the various healthcare sectors in Germany contribute to problems in these areas. “Antibiotic stewardship” (ABS) programmes at different levels are capable of efficiently combining interventions to improve the quality of prescription. Progress has been made and experience gained in the professional training of physicians and pharmacists in antibiotic prescribing and with the hospital-wide establishment of ABS teams and specialist infectious disease consultation services. Close interaction and collaboration with diagnostic microbiology services are important and greatly enhance the impact of ABS programmes on the quality of prescription. Political support and investment are required for this new infrastructures to be sustainable and to further develop it for the cross-section between inpatients and outpatients, and for the outpatient setting.
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Einleitung
Der Zusammenhang zwischen intensivem Antibiotikaeinsatz und ansteigenden bakteriellen Resistenzraten ist unzweifelhaft. Zu den diesbezüglich für die Humanmedizin relevantesten und eindrücklichen Arbeiten gehören die Beobachtungen zur Penicillinunempfindlichkeit von Pneumokokken in Relation zur Antibiotikaverordnungsdichte im ambulanten Setting in verschiedenen Ländern [3]. Zahlreiche weitere epidemiologische Studien haben ausreichend belegt, dass Art und Intensität der Verordnung von Antibiotika auch in der Humanmedizin mit einem entsprechenden Selektionsdruck stark zur Resistenzentwicklung und -ausbreitung beitragen [9]. Die Weltgesundheitsorganisation hat kürzlich auf die steigende Ausbreitung von resistenten Erregern mit hoher Relevanz als dringliches Problem hingewiesen [49]. Viele Beobachtungen sprechen zugleich für ein erhebliches Optimierungspotenzial bei der Antibiotikaverschreibung. Dies gilt für den niedergelassenen Bereich wie auch für die Krankenhausmedizin. Mehrere Gründe sind zu nennen: fehlende Expertise bei den Verschreibern, fehlende oder widersprüchliche Leitlinien, suboptimale Leitlinienimplementierung, nicht förderliche Verhaltensmuster, ökonomische Fehlanreize, Infrastrukturdefizite. Ursachen hierfür sind teilweise wiederum auch das Fehlen relevanter und aussagekräftiger klinischer Studien zu verschiedenen Indikationen, Probleme bei der Erregerdiagnostik (Indikationsstellung, Präanalytik, Grenzwertdefinitionen/-anwendung, Antibiogrammgestaltung) und die entsprechende Unsicherheit und Variabilität bei der Verordnung.
Antibiotic Stewardship (abgekürzt ABS – oder AMS für Antimicrobial Stewardship oder ASP für Antimicrobial Stewardship Programme) ist vor allem eine Reaktion auf diese suboptimale Verordnungsqualität in der Humanmedizin und inzwischen gut erkennbare Optimierungspotenziale – bei zugleich zunehmenden Antibiotikaresistenzen und wenigen Antibiotikaneuentwicklungen und Infektionsbehandlungsalternativen. Antibiotic Stewardship wurde beschrieben als „programmatisches, nachhaltiges Bemühen einer medizinischen Institution“ [oder eines Gesundheitssystems] „um Verbesserung und Sicherstellung einer rationalen Antiinfektivaverordnung“ [30]. In vielen Ländern sind inzwischen ABS-Programme auf verschiedenen Ebenen entwickelt worden [21, 38]. Auf der höheren, nationalen Ebene müssen sich solche Programme mit grundsätzlichen Regelungen der Weiterbildung, der Vergütung ärztlicher und Laborleistungen, der Förderung von klinischer und Versorgungsforschung sowie den Strukturen von Leitlinienerstellung und -implementierungshilfen und Qualitätssicherungsinstrumenten in der Infektionsmedizin befassen. Auf der Versorgungsebene sind es Schulung und Information, Leitlinienanpassung und -adhärenz, Benchmarksysteme und interne Qualitätssicherung, die verfolgt werden müssen.
Auch wenn ABS-Programme in erster Linie in Zusammenhang mit der zunehmenden Resistenzproblematik etabliert wurden, darf nicht vergessen werden, dass eine rationale Antibiotikaverordnung und adäquates Infektionsmanagement weitere Implikationen haben. Dazu zählen direkte Behandlungsergebnisse für Patienten, unabhängig von der Resistenzproblematik auf der individuellen und Populationsebene. Dazu kann man gemäß Befunden aus der Mikrobiomforschung auch beispielsweise zählen, dass eine Behandlung mit bestimmten Substanzen mehr als mit anderen über unterschiedliche Effekte auf das Mikrobiom u. a. mit Adipositas und Allergien in Verbindung gebracht wird [1, 32].
Inadäquate Verordnungen
Wie hoch ist die Rate von inadäquaten Verordnungen in der Humanmedizin, d. h. umstrittene Indikation, nicht empfohlene/falsche Substanz, falsche Dosis, inkorrekte Dauer? Die Schätzungen gehen hier weit auseinander – je nach Setting (Krankenhaus bzw. Krankenhausabteilung, ambulante Medizin je nach Facharztdisziplin) und Region – im Vergleich verschiedener Länder miteinander, aber auch innerhalb eines Landes [31]. Eine Reduktion inadäquater Verordnungen bedeutet oft, aber nicht immer, die Reduktion des Gesamtverbrauchs. In Großbritannien beispielsweise ist die Antibiotikaverbrauchsdichte im stationären Setting sehr hoch – im Vergleich mit vielen Ländern –, teilweise durch „Einsparung“ bei Breitspektrumsubstanzen (wie z. B. Piperacilin-Tazobactam als Monotherapie) mit Ersatz durch Kombinationstherapien (z. B. Ampicillin plus Gentamicin plus Metronidazol) [40]. Die Korrektur von inadäquaten Verordnungen kann bei bestimmten Indikationen (vor allem, wenn es um längere parenterale Therapien geht) im Krankenhaus zu einem Anstieg der Verbrauchsdichte führen. Oft ist die Reduktion inadäquater Verordnungen jedoch tatsächlich mit einer Reduktion des Gesamtverbrauchs verbunden.
Ambulanter Bereich.
Im ambulanten Bereich werden oft 30 % Einsparungspotenzial genannt – vor allem bei Atemwegsinfektionen [14]. Inzwischen nicht mehr ganz aktuelle Studien aus der Allgemeinmedizin [4] haben gezeigt, dass es auch in Deutschland durchaus Einsparungspotenzial in der Antibiotikaverordnung in dieser Größenordnung geben sollte. Erfahrungen aus den Niederlanden – wo die ambulante Verordnungsdichte konsistent niedriger als in Deutschland ist – zeigen mit bestimmten Interventionen ein Reduktionspotenzial der Antiinfektivaverordnungen bei erwachsenen Patienten von rund zusätzlich 20 % [47]. Innerhalb Deutschlands gibt es ebenfalls Unterschiede in der Rate von Antibiotikaverordnungen bei Atemwegsinfektionen in der Größenordnung von etwa 15 %, die nicht überzeugend durch Alters- und Morbiditätsunterschiede erklärt sind [5,15,, 7, 44].
Neben der speziell auch bei Atemwegsinfektionen, die zu >90 % viral bedingt sind, geforderten kritischen Indikationsstellung und Therapiedauerbegrenzung spielt für die Qualität der Antibiotikaverordnung hier aber auch die Präferenz von Substanzen/Substanzklassen eine große Rolle. In Deutschland beispielsweise gibt es seit Jahren eine zunehmende Präferenz der verschreibenden Ärzte für Oralcephalosporine (Abb. 1), insbesondere bei Atemwegsinfektionen, bei denen sie aber gar nicht oder zumindest nicht als Erstlinientherapie empfohlen werden [4,13,, 44, 47]. Dies hat – nahezu einmalig in ganz Europa – dazu geführt, dass in Deutschland das Verhältnis zwischen Basispenicillinen und Cephalosporinen ungewöhnlich verschoben ist zugunsten von Cephalosporinen [15]. Ungewöhnlich deshalb, weil die wenigen bakteriellen Atemwegsinfektionen wie auch ambulant erworbene Pneumonien in erster Linie durch Pneumokokken verursacht werden und so in der Regel mit Amoxicillin besser behandelbar sind als mit dem beliebten Oralcephalosporin Cefuroximaxetil und anderen ähnlichen Substanzen. Detailprüfungen im ambulanten Setting der Adäquatheit von Antibiotikaverordnungen sind nicht verfügbar. Daten aus dem Jahr 2010 zeigen, dass bei Indikationen mit Kodierung „Atemwegsinfektionen“ (ohne Tonsillopharyngitis, Otitis media, Pneumonie) in rund 30 % und damit am häufigsten mit Makroliden therapiert wird [44]. In Schweden ist die Verordnungshäufigkeit bei dieser Indikation <20 %, und es werden fast ausschließlich Penicilline eingesetzt [36].
Krankenhausbereich.
Auch für den stationären Sektor gibt es aus Deutschland wenig systematische und kritische Prüfungen der Adäquatheit von Antibiotikatherapien. Bekannt ist die zu hohe, inadäquate Rate von >24 h hinaus verlängerter perioperativer Prophylaxe [43], wobei diese durch die Methodik der Punktprävalenzuntersuchung etwas überschätzt wird [42]. Eine strikte Befolgung der Leitlinien in diesem Bereich könnte eine Reduktion der Antibiotikagesamtverbrauchsdichte im Krankenhausbereich um etwa 10 % (meistens Cephalosporine) bedeuten: Verbrauchsdichte rund 50 % in operativen Fächern, davon etwa 30 % in der perioperativen Prophylaxe (entsprechend 15 % des Gesamtverbrauchs), davon wiederum können rund zwei Drittel eingespart werden (entsprechend 10 % des Gesamtverbrauchs). In einer vorläufigen Analyse einer ersten multizentrischen Studie zu Qualitätsindikatoren im Bereich Antibiotikaverordnung in deutschen Krankenhäusern wurden im Bereich Pneumonie, Harnwegsinfektion und Antibiotikaanwendung im Allgemeinen relevante Optimierungspotenziale beobachtet [unveröffentlichte Daten]. Die hier festgestellte, erstaunlich lange Behandlung von Pneumonien (verglichen mit der Leitlinienempfehlung von 5–7 Tagen) ist aber wohl kein spezifisch deutsches Problem: In den USA wurde kürzlich ebenfalls eine mittlere Behandlungsdauer von >8 Tagen bei stationären Patienten ermittelt [51]. Vermeintlich mangelnde Leitlinienadhärenz kann hier aber auch Fehlinterpretation von Studien für eine Leitlinienempfehlung bedeuten – eine vorschnell ausgestellte mindere Behandlungsqualität („poor performance“) ist ohne genauere Prüfung unverantwortlich.
Zahlreiche internationale interventionelle Studien in verschiedenen Krankenhausbereichen und bei unterschiedlichen Indikationen zeigen in der Gesamtschau ein Reduktionspotenzial für Antibiotika von durchaus rund 20–30 % – ohne Gefährdung der Behandlungsergebnisse und der Prognose des Patienten [2,23,24,25,, 8, 11, 24, 45]. In Deutschland würde sich das im Sinne einer Therapiedauerverkürzung vor allem in eine Verweildauerverkürzung und eine bessere Bettenauslastung übersetzen lassen und wäre sehr wahrscheinlich hoch kosteneffektiv – höhere Fallzahlen bedeuten aber auch in der Regel Arbeitsverdichtung, die ohne Personalinvestition wiederum schnell zu einer minderen Versorgungsqualität führen kann. Erstaunlich in Deutschland bleibt, dass bei der Verordnung auch im stationären Setting Cephalosporine relativ dominant zu sein scheinen (Tab. 1), und dass speziell Cephalosporine häufig oral verabreicht werden [27] – dies, obwohl gute Indikationen hierzu bei stationären Patienten kaum vorstellbar sind.
Durch qualitative Änderungen alleine, also auch ohne Mengenreduktion, sind bereits Effekte auf Resistenzentwicklung und Häufigkeit von Clostridium-difficile-Infektionen zu erzielen [8, 11,12,13, 17, 28]. Oft geht es dabei um die Gruppe der sogenannten 4C-Antibiotika (Cephalosporine, Chinolone, Clindamycin/Clarithromycin, Co-Amoxiclav). Eine Reduktion von Cephalosporinen und Fluorchinolonen ohne Änderung im Gesamtverbrauch kann zu einer Reduktion der (nosokomialen) C.-difficile-Infektionen um 50 % führen. Neuere Studien zeigen auch, dass der kontrollierte Carbapenemverbrauch und Ersatz durch alternative Substanzen in Akutkliniken bei Verwendung geeigneter Algorithmen, die auch die mikrobiologische Diagnostik einbeziehen, und Verfügbarkeit von Beratung durch Experten die entsprechenden Resistenzraten günstig beeinflussen kann [48]. Schaffen Infektiologen und/oder ABS-Teams darüber hinaus noch eine Reduktion des Gesamtverbrauchs, können die Effekte stärker sein. Zu betonen ist, dass die jüngeren versorgungswissenschaftlichen Untersuchungen dazu und systematischen Reviews in diesem Bereich sicherstellen konnten, dass durch ABS-Interventionen inkl. Verbrauchsreduktion die Prognose des Patienten nicht leidet [11].
Diagnostik
Die Mehrzahl der therapeutischen Antibiotikaverordnungen erfolgt ohne Erregersicherung. Selbst im Krankenhausbereich sind es meist „empirische“ oder sogenannte „kalkulierte“ Verordnungen, die bei fehlendem Erregernachweis oder auch einem Ausschluss einer Infektion oft für 7 oder 10 Tage nicht verändert werden. Zugleich werden bei stationären Patienten zunehmend breit wirksame „empirische“ Therapien eingesetzt – die klinischen Vorhersageregeln bezüglich der Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit einem Erreger, der eine entsprechende Therapie erfordern würde, sind kaum entwickelt und/oder im notwendigen Kontext nicht ausreichend validiert und zum Teil auch gar nicht bekannt.
Erregersicherung.
Erregerdiagnostik wird in kleineren Krankenhäusern oft nicht mit der notwendigen Konsistenz und Beachtung der Präanalytik betrieben. In unseren Untersuchungen zur Häufigkeit der Blutkulturdiagnostik vor Therapiebeginn erkennt man diese Problematik beispielsweise. Das Fehlen von Mikrobiologielaboren in vielen Krankenhäusern hat diese Entwicklung noch befördert. Teilweise wird mehr Geld ausgegeben für Biomarker als für Erregersicherung, und der negative prädiktive Wert der Diagnostik (z. B. KEIN Nachweis eines Extended-Spectrum-Beta-Lactamase(ESBL)-positiven, gramnegativen Stäbchens, KEIN Nachweis von MRSA) wird wenig geschätzt und bleibt ungenutzt für eine Deeskalation.
Es kommen spezielle Herausforderungen der diagnostischen Mikrobiologie hinzu. Grenzwerte in der Empfindlichkeitsprüfung und -bewertung sind seitens Datenbasis und klinischer Validierung nicht immer transparent gewesen und nach wie vor teilweise unplausibel [18,34,, 23, 37]. Standards wie z. B. EUCAST werden nicht konsistent implementiert und kommuniziert. Anpassungen wurden bereits vorgenommen, sind jedoch weiterhin nötig. Auch die Auswahl der getesteten Substanzen ist nicht abgestimmt und unnötig redundant im Sinne klarer klinischer Therapiealgorithmen. Studien haben gezeigt, dass die Gestaltung des Antibiogramms dazu verführen kann, trotz Erregerempfindlichkeit nicht leitliniengerechte Antibiotika in der gezielten Therapie einzusetzen. Initial selektive und stufenweise Befundung sind Möglichkeiten, die zu wenig genutzt werden [22, 41]. Oft ist das Verständnis, dass dies einen zusätzlichen Aufwand für die diagnostische Mikrobiologie bedeutet und auch vergütet werden muss, gering. Eine Stärkung der Mikrobiologie mit guter Abstimmung zwischen ihr und der Infektiologie bzw. ABS-Teams ist hier zu fordern.
Schnelltests sind kaum verfügbar. Dafür werden Tests angeboten, die von den Klinikern und Praktikern teilweise unkritisch eingesetzt werden, teuer sind und keine oder wenig Konsequenzen haben, weil sie nicht in einem Behandlungsalgorithmus eingearbeitet sind, z. B. Multiplex-PCR zum Nachweis u. a. verschiedener viraler Erreger von Atemwegsinfektionen. Die Möglichkeiten moderner und vor allem beschleunigter Erregerdiagnostik inkl. Empfindlichkeitsprüfung können andererseits eine wesentliche Komponente für eine frühzeitige gezielte Therapie und Einsparung von initial eingesetzten Breitspektrumsubstanzen sein.
Klinische Diagnostik.
Auch die klinische Diagnostik bei Infektionen ist in bestimmten Fällen zu wenig sensitiv oder zu unspezifisch. Vor allem in Notfallaufnahmestationen kommt es zur Überdiagnose (und Übertherapie) von Pneumonie, Harnwegsinfektion und „Sepsis“. Der in Sepsisleitlinien oft geforderte unverzögerte Therapiebeginn, meist mit Breitspektrumsubstanzen, wird oft missverstanden: Die beim septischen Schock generierten Daten werden zu unkritisch auf Patienten mit „Sepsis“ übertragen [19].
Problemlösungen
Zu den möglichen Problemlösungen gibt es zahlreiche Vorstellungen. Die in vielen Ländern inzwischen verfügbaren nationalen Strategien im Bereich Antibiotikaresistenz adressieren dabei in erster Linie die Surveillance (von Antibiotikaverbrauch und Antibiotikaresistenz) und Schulung/Fortbildung – neben Anreizen zur Intensivierung von Forschung und Entwicklung neuer Substanzen und Diagnostika. Auf der nationalen Ebene müssen aber weitere Elemente geprüft werden: grundsätzliche Regelungen der Weiterbildung, der Vergütung ärztlicher und Laborleistungen, Förderung von klinischer und Versorgungsforschung sowie Leitlinienerstellung. Herausforderungen vor Ort im Versorgungssystem selbst sind eine bessere Infrastruktur mit Verfügbarkeit von Experten und elektronischen Unterstützungssystemen, bessere Interaktion mit diagnostischer Mikrobiologie und Abstimmung von Algorithmen unter dem Gesichtspunkt eines optimierten Patientenmanagements, eine effektive Schulung und Implementation von angepassten Leitlinien, Prüfung der Leitlinienadhärenz, Repräsentativität, Nutzbarkeit und Interpretation von Benchmarking-Optionen.
Praxisleitlinien und Leitlinienadhärenz.
Es gibt in Deutschland durchaus Praxisleitlinien, die spezifisch Infektionen adressieren. Nach einer Analyse der ART-Kommission beim Robert Koch-Institut (RKI) (2015) wurden 164 Leitlinien von 41 Fachgesellschaften mit Themen zu antiinfektiver Therapie identifiziert [10]. Nur 27 entsprachen den Kriterien für sogenannte S3-Leitlinien, und viele (>50) der anderen Praxisleitlinien waren älteren Datums und formal nicht mehr gültig. Ein Grund für diese unbefriedigende Lage ist dem Umstand geschuldet, dass die relativ hohen Kosten von kleineren Fachgesellschaften kaum zu tragen sind. Hinzu kommt die unzureichende Wertschätzung der Autoren von Leitlinien für ihr berufliches Fortkommen, sowohl in universitären als auch außeruniversitären Krankenhäusern. Es gibt keine beziehungsweise keine zufriedenstellende Regel hinsichtlich der Anerkennung von internationalen Leitlinien, die teilweise sehr gut recherchiert sind und oft keiner großen Anpassung an die Gegebenheiten und Regelungen in Deutschland bedürfen sollten. Einige der in Deutschland erstellten Leitlinien wurden ohne Beteiligung von Infektiologen und Mikrobiologen erstellt; dies sollte bei zukünftigen Vorhaben beachtet werden. Einige der neuen Leitlinien sind schwer lesbar und damit wenig anwenderfreundlich. Die Leitlinien enthalten oft keine Hinweise auf wichtige Prozesse und geeignete Qualitätsindikatoren.
Ambulante Qualitätssicherung.
Welche Maßnahmen in welchem Kontext tatsächlich eine wesentlich verbesserte Verordnungsqualität und eine Minimierung der Resistenzproblematik im ambulanten Bereich erzielen, ist nicht ganz klar [4,12,, 14, 47]. Vieles ist getestet worden – u. a. die Verwendung von CRP-Schnelltests und spezielle Schulungen hierfür, Kommunikationstraining (Arzt-Patienten-Interaktion) oder beides zusammen, einfache Antibiotikaschulungen und Qualitätszirkel, verzögerte Rezepteinlösung als Strategie, Schulung und Feedback zusammen mit einem Qualitätssystem als Teil der Praxisakkreditierung, Feedback zu Verordnungshäufigkeiten (Mengen, nicht Kosten) (Benchmarking), schriftliche Begründung der Indikation in einem Onlinesystem plus Verbrauchsfeedback, Verbrauchsfeedback speziell für Intensivverschreiber, an Patienten adressierte Plakate in der Praxis mit Erklärung zur Verantwortlichkeit des Praxisinhabers für einen kritischen rationalen Antibiotikaeinsatz, Kampagnen adressiert an die Patienten/Öffentlichkeit mittels Fernsehspots.
Oft sind es Kombinationen von Maßnahmen, die die besseren Effekte erzielt haben. Daten zur Effektivität in deutschen Praxen sind jedoch rar. Die Methodik der Interventionen und auch die Ergebnisse aus Studien in anderen Ländern sind nicht einfach auf das deutsche Gesundheitssystem übertragbar. Die Nachhaltigkeit der verschiedenen Interventionen ist ebenfalls schwer beurteilbar – vor allem allgemeine Kampagnen (Plakate, TV-Spots etc.) sind anscheinend – wenn überhaupt – nur sehr kurzzeitig wirksam.
Plausibel als nachhaltig wirksam unter den Bedingungen in Deutschland erscheint am ehesten ein Programm, das Hochverschreiberpraxen bzw. -verordner von nicht leitlinienkonformen Antibiotika identifiziert – anhand elektronisch ermittelter Qualitätsindikatoren pro Praxis – und dann entsprechende Angebote von (eventuell sogar verpflichtenden) Schulungen in allgemeinen Fragen der Antibiotikabehandlung, CRP-Anwendung, Arzt-Patienten-Kommunikation etc. macht. Ein Verschreibungsmengenfeedback an solche Hochverordner alleine war in Großbritannien nur mäßig effektiv [20]. In einer US-amerikanischen Untersuchung war der Effekt einer solchen Intervention stärker, lag aber in derselben Größenordnung wie die Notwendigkeit einer schriftlichen Begründung der Verordnung als Intervention (Tab. 2; [34]). Aktuelle Studien in Deutschland – beispielsweise die über den Innovationsfonds geförderten Projekte – und Folgeprojekte müssen letztlich erarbeiten, welche Maßnahmen mit welcher Effektstärke und Nachhaltigkeit im deutschen System darstellbar sind.
ABS im Krankenhaus.
Im Klinikbereich sind es in der Regel strukturelle Defizite, die eine Qualitätsverbesserung der Antibiotikaverordnung behindern. Die Instrumente und Maßnahmen für erfolgreiches ABS im Akutkrankenhaus sind in Leitlinien und Empfehlungen wiederholt beschrieben und begründet [6, 50]. Der Blick zu Vergleichszwecken in die internationale Literatur sowie Umfragen bestätigen, dass es in erster Linie an Fachpersonal fehlt und es in den Kliniken für den Bereich rationale Antiinfektivaverordnung außerhalb der Arzneimittelkommissionen keine übergeordneten Verantwortlichkeiten gibt. Es sind wenig infektiologische Fachabteilungen in Deutschland eingerichtet, die dann auch Weiterbildungsfunktionen und -kapazität haben und ABS-Maßnahmen leiten und koordinieren können [6]. Die Dichte an Fachärzten für Infektiologie bzw. Ärzten mit der entsprechenden Zusatzweiterbildung, die Patienten mit komplexen Infektionen betreuen oder als Konsiliarärzte mitbetreuen und bezüglich ABS strategisch tätig sein können, liegt im europäischen und internationalen Vergleich im unteren Viertel. ABS-Programme brauchen eine moderne EDV-Unterstützung für die Verordnungs- und Erregerstatistiken und eventuelle elektronische Verordnungshilfen. Sie benötigen eine gute Kooperation mit der Klinikapotheke ebenso wie mit der medizinischen Mikrobiologie und Krankenhaushygiene.
Es wird von verschiedenen Institutionen gefordert, dass seitens der Klinikleitungen im Bereich Antiinfektivaverordnung spezifische Verantwortlichkeit klinikweit geschaffen werden muss und hierfür Auftrag (Mandat) und Personalfreistellung (Deputat) erteilt und sonstige Ressourcen verfügbar gemacht werden müssen [6, 16, 50]. Vorsichtige Schätzungen für Deutschland gehen davon aus, dass man mit 1000 Infektiologen (an größeren Kliniken) und 1000 geschulten ABS-Experten (in kleineren Kliniken) eine kritische Masse für eine breite Verankerung von ABS-Maßnahmen im Krankenhausbereich schaffen kann [26]. Die europäischen Gesundheitsbehörden haben den Personalbedarf für ABS im Krankenhaus auf 1–3 Stellen pro 500 Akutbetten geschätzt [16] – entsprechend mindestens 1000 (bis 3000) Vollzeitstellen in Deutschland. Die deutsch-österreichische Leitlinie zu ABS im Krankenhaus ging von einem Mindestbedarf von einer Stelle pro 500 Betten aus [50]. Die Empfehlungen in Australien belaufen sich auf 2 Stellen pro 500 Betten [46]. In einer früheren US-amerikanischen Studie wurden als Bedarf 1,5 Stellen (mittelgroße Krankenhäuser) ermittelt, und in den neuen Vorgaben der US-amerikanischen Centers for Medicare & Medicaid Services zu neuen Qualitätsstandards für Krankenhäuser werden folgerichtig 1,4 Stellen pro 500 Betten empfohlen [29, 33].
In einer aktuellen Umfrage bei Absolventen der ABS-Kurse der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie e. V. (DGI) (bei mehr als 700 Teilnehmern von insgesamt mehr als 400 Kliniken) wurde lediglich für 5 % der Kliniken angegeben, dass die Mindestausstattung von einer Stelle pro 500 Betten erreicht wurde, wobei eine Stellenaufstockung bzw. Freistellung für ABS-Aktivitäten immerhin von 25 % der Kliniken gemeldet wurde [unveröffentlichte Daten]. Als Problem wurde von den Befragten auch die geringe Verfügbarkeit von elektronischen Verordnungssystemen benannt: Nur 15 % der Kliniken hatten ein solches System klinikweit etabliert. Zu geringe/fehlende Personalkapazität, hohe Fluktuation und zu geringe Bereitschaft zum interdisziplinären Arbeiten wurden als größte Hindernisse bei der Umsetzung von ABS-Maßnahmen vor Ort beklagt.
Zielbereiche, Indikatoren
Die Regeln des Qualitätsmanagements beinhalten das Definieren von Zielen und den ständigen Vergleich des bisher Erreichten mit dem Beabsichtigten. In Großbritannien und Schweden, aber auch in anderen Regionen und Ländern, hat man sich quantitative Ziele gesetzt. Erfahrungen – beispielsweise auch aus der kürzlichen Opioidverschreibungskrise in den USA – zeigen, dass Programme trotz Personalinvestition beziehungsweise Personalschulungen wenig Wirkung zeigen, wenn solche Ziele nicht vorgegeben sind. Für den ambulanten Bereich gibt es Überlegungen zu Qualitätsindikatoren der Antibiotikaverordnung – mit einigen Varianten und grundsätzlichem Anpassungspotenzial (Tab. 3; [25]). So könnte man als Qualitätsziel in Deutschland formulieren, dass Penicillinderivate als bevorzugte Substanzgruppe bei Atemwegsinfektionen eingesetzt werden sollen, und dies pro Region oder sogar pro Praxis regelmäßig nachverfolgen. Umgekehrt könnte man als Ziel formulieren, Fluorchinolone nicht als erste Wahl zu verwenden und damit im Regelfall einen Verordnungsanteil in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes nicht zu überschreiten.
Für den Klinikbereich empfiehlt die deutsch-österreichische ABS-Leitlinie eine Entscheidung vor Ort pro Verwendung von mindestens drei Prozessindikatoren aus einem Katalog, wobei hier quantitative Ziele nicht erörtert wurden, sondern lokal festgelegt werden sollen. Es ist fraglich, ob in Deutschland ein einheitliches System der externen Qualitätssicherung im Bereich Antibiotikaverordnung in Kliniken aktuell umsetzbar wäre. Die aktuellen Abfragen (außerhalb der Ergebnisindikatoren) zu optimierter perioperativer Antibiotikaprophylaxe im Rahmen der externen Qualitätssicherung erscheinen bei genauer Betrachtung in der Praxis (zu) leicht umsetzbar. Erste Auswertungen müssen hier abgewartet werden – auch hinsichtlich der Zuverlässigkeit. In Frankreich setzt man auf ein komplexes Set von Strukturindikatoren (Indicateur de bon usage des antibiotiques, ICATB), mit dem die Krankenhäuser in ein fünfstufiges Ranking eingeordnet werden können – eine Anpassung eines solchen Systems in Deutschland erscheint denkbar (Tab. 4; [35]). Das französische System wurde inzwischen erweitert und fragt nun nicht mehr 11 Items, sondern 27 Items ab, ordnet die Häuser allerdings dann nur noch in ein dreistufiges Ranking ein. Es ist unklar, inwieweit damit eine effektivere, in den Daten verlässliche und nicht nur aufwendigere Qualitätssicherung gelingt. In den USA hat man sich seitens der Gesundheitsbehörden auf die Abfrage von sieben Strukturindikatoren beschränkt [39].
Die Definition von Zielbereichen und besten Indikatoren im Bereich Antibiotikaverordnung und Antibiotikaresistenz ist sicher eine wichtige Aufgabe für die nahe Zukunft. Kritisch im Krankenhausbereich wird dabei sicher nochmals die Verfügbarkeit von elektronischen Verordnungssystemen sein, ohne die die Abbildung von Indikatoren in diesem Bereich sehr mühsam und fehleranfällig bleiben dürfte.
Fazit
Eine Verbesserung der Qualität der Antibiotikaverordnung in der Humanmedizin ist mit bestimmten Maßnahmen realisierbar; oft werden dabei inadäquate Verordnungen vermieden und eine Reduktion der Verordnungsintensität erreicht. Die Maßnahmen sind naturgemäß unterschiedlich für den ambulanten versus stationären Bereich. Qualitätsindikatoren sind für den ambulanten Bereich bereits weiterentwickelt, und es dürfte auch in Deutschland hier aktuell bereits gute Möglichkeiten ihres Einsatzes geben. ABS-Infrastruktur und ABS-Interventionen im Krankenhaus wie auch die Messung der Effektivität der dortigen ABS-Aktivitäten sind komplexer und personalintensiver. ABS im Akutklinikbereich ist jedoch als wirksam und kosteneffektiv beschrieben und sollte auch vor dem Hintergrund eines insgesamt besseren Infektionsmanagements und nicht nur im Sinne der Resistenzminimierung beurteilt werden. Projekte in der Versorgungsforschung sind nötig, um ABS-Maßnahmen, angefangen von optimierter Infektionsdiagnostik bis zu unterstützenden Instrumenten wie moderne elektronische Verordnungssysteme, weiter zu optimieren und ihre Nachhaltigkeit zu demonstrieren.
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W.V. Kern ist als Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie für den Bereich Fort- und Weiterbildung zuständig.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Kern, W.V. Rationale Antibiotikaverordnung in der Humanmedizin. Bundesgesundheitsbl 61, 580–588 (2018). https://doi.org/10.1007/s00103-018-2727-x
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