Hintergrund

Patienten fordern zunehmend Zugang zu innovativen Versorgungslösungen [1, 2] einschließlich des Zugangs zu digitalen Gesundheitsprodukten („Digital Health“) im Rahmen der Regelversorgung. „Digital Health“ steht für die Konvergenz von Technologien mit Gesundheitsbelangen unter Einbezug alltäglicher und gesellschaftlicher Aspekte mit dem Ziel der Effizienzsteigerung, der Gesundheitsversorgung und Verbesserung der Versorgungsqualität für Patienten [3]. Zur Realisierung werden Ansätze verfolgt, die primär die Umsetzungen von Diensten und die Ausgestaltung der digitalen Infrastruktur unter Zuhilfenahme von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) berücksichtigen. Genauso werden digitale Lösungen zur Bereitstellung oder Erfassung gesundheitsrelevanter Informationen einbezogen wie Systeme zur Unterstützung von Prävention, Diagnostik oder Therapie. Derzeit sind solche Anwendungen primär im zweiten Gesundheitsmarkt verortet. Es findet sich keine auf individuelle Patienten bezogene Digital-Health-Lösung für Diagnostik und Therapie in der Regelversorgung. Etablierte Zugangswege zur Erstattung sind nur schwer auf Digital-Health-Produkte anzuwenden, da sie nicht für diese entwickelt wurden [4]. Eine Hürde besteht im Nutzennachweis, der unter herkömmlicher Sichtweise nicht die der Digital-Health-Technologie inhärenten Potenziale ausreichend zu berücksichtigen scheint. Der Nutzenbegriff im Kontext der Bereitstellung digitaler Versorgungslösungen ist nur schwer isoliert greifbar und vielmehr von der Qualität der Integration in komplexe Versorgungsprozesse abhängig. In der Versorgung sind unmittelbar anfallende Kosten und ein eventuell erzielbarer medizinischer Nutzen anhand klinischer Endpunkte leichter zu erfassen. Steigerungen der Effizienz, des Komforts, der Qualität der Versorgung sowie der für die Beteiligten erzielbaren Flexibilität sind wesentlich schwerer zahlenmäßig zu belegen, obwohl sie zusammengenommen einen mittelbaren Nutzenbeitrag und Kostensenkungen leisten können [5]. Vielfach handelt es sich hierbei um Faktoren, die das Wesen von Digital-Health-Applikationen ausmachen. Diese Nutzenaspekte sind implizit plausibel, können jedoch unter Umständen mit traditionellen Evaluationsmethoden und klinischen Endpunkten wie „Morbidität“ und „Mortalität“ nicht ermittelt werden. Insbesondere die Übertragung des in althergebrachten Studiendesigns im Idealfall bestätigten, isolierten „klinischen Nutzens“ auf Alltagsbedingungen stellt eine Herausforderung an die Hersteller und Krankenkassen gleichermaßen dar. Der Nutzennachweis bzw. die Nichtunterlegenheit eines Digital-Health-Produkts in der Versorgung erfordert Evaluationen, deren Studiendesigns nach Kriterien wie den zu betrachtenden Nutzenaspekten, der Versorgungsdringlichkeit, dem Risiko, der Zielgruppe, den Einsatzgebieten und der notwendigen Vernetzung bzw. technischen Infrastruktur angepasst werden sollten. Unter Würdigung dieser Aspekte können z. B. Machbarkeits‑, Akzeptanz- oder gesundheitsökonomische Analysen angezeigt sein (vgl. [6]). Welches Studiendesign im jeweiligen Anwendungsfall für einen adäquaten Nutzennachweis zu fordern ist, kann dabei nicht pauschal festgelegt werden. Für eine sachgerechte, transparent durchgeführte und praktikable Nutzenbewertung kommt es vielmehr auch darauf an, ein Design zu wählen, das die Versorgungsrealität geeignet berücksichtigt [7].

Dieser Artikel möchte einen Beitrag zur Diskussion um die Anpassung kausaler Nutzennachweise vor dem Hintergrund der Herausforderungen bei der Bewertung digitaler Gesundheitsprodukte leisten. Hierzu werden zunächst die Besonderheiten von Digital-Health-Produkten erörtert. Es werden Potenziale digitaler Lösungen gegenüber in der Versorgung gebräuchlichen eingesetzten Lösungen skizziert. Die identifizierten Besonderheiten werden im Rahmen der darauf folgenden Bestandsaufnahme von für digitale Produkte derzeit im Kontext gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) möglichen Erstattungswegen und den dafür geltenden Voraussetzungen, insbesondere den Nutzennachweisen, wieder aufgegriffen. Dies soll helfen, mögliche Hindernisse – die einer Erstattung potenziell im Wege stehen – z. B. im Zusammenhang mit den dafür erforderlichen Nutzennachweisen, zu beleuchten. Abschließend sollen Alternativen ergänzend zum klassischen Vorgehen angesprochen werden, die zukünftig einen Beitrag dazu leisten könnten, nutzbringende Digital-Health-Lösungen für die gesetzlich Versicherten im Versorgungsalltag über die Möglichkeiten des zweiten Gesundheitsmarktes hinaus schneller verfügbar zu machen.

Was sind Digital-Health-Anwendungen?

Bei Digital-Health-Anwendungen handelt es sich primär um menschzentrierte, personalisierte elektronische Gesundheitsdienstleistungen mit eher niedrigem Schadpotenzial, schnellen Adaptionsmöglichkeiten zur Produktverbesserung und Schadenabwehr, verhältnismäßig niedrigen Kosten und breiten (internationalen) Distributionsmöglichkeiten [8]. Diesen Produkten werden für ihre Anwender, insbesondere wenn es sich um mobile Lösungen handelt, primär Nutzenzuwächse durch Autonomiegewinne, höhere Transparenz über Versorgungsprozesse und Komfortverbesserungen in der Therapie und der krankheitsbelasteten Alltagsbewältigung zugeschrieben [9, 10]. Genauso werden mobile Apps und andere digitale Anwendungen mit interventionellem Charakter angeboten (z. B. für die Indikationen Magersucht, Depression), die einen Einfluss auf die Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit nehmen wollen. Digital-Health-Lösungen wirken hierbei weniger unmittelbar auf die Organsysteme, als es Arzneimittel und herkömmliche Medizinprodukte tun, auch wenn potenziell zukünftig in einigen Fachbereichen Verbindungen zwischen organischen und digitalen Systemen geschaffen werden. Ebenso können Digital-Health-Produkte eine Produkt- und/oder Prozessinnovation darstellen [11] und sind dann nicht strikt einer Innovationsform zuzuordnen. Die Unterscheidung, ob es sich bei der Digital-Health-Anwendung um eine tatsächliche Innovation mit postuliertem medizinischen Mehrnutzen (neues therapeutisches Verfahren) oder anders gelagertem Nutzen (Patientensouveränität etc.) handelt, hat auch Auswirkungen auf die erstattungsrelevante Evaluationsmethodik. Grundsätzlich stellt sich dabei die Frage, welches die anders gelagerten Nutzenerwägungen sind, auf welche Weise sich der jeweilige Nutzen geeignet erfassen und in seiner Relevanz beurteilen lässt und ob bereits eine ausreichende Berücksichtigung in Evaluationsprozessen, z. B. im Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit, erkennbar ist.

Was macht Digital-Health-Produkte besonders?

Die Auseinandersetzung mit den Besonderheiten von Digital-Health-Lösungen ist hilfreich, um diese besser im Versorgungskontext verorten und sachgerechte Anforderungen an den Nutzen formulieren zu können. In diesem Zusammenhang sind besonders Faktoren im Bereich der betroffenen Zielgruppen, der Wirkweise sowie der Ergonomie der Produkte, ihres potenziell über klinische Fragen hinausgehenden Nutzens, aber auch im Hinblick auf die Produktlebenszyklen sowie bzgl. der Studienlage zu nennen. Diese sollen im Folgenden kurz skizziert werden.

Digital-Health-Anwendungen richten sich an Erkrankte und an der Erhaltung ihrer Gesundheit interessierte gesunde Personen [12, 13]. Hierbei wirken sie oft über „gesundheitssystemische“ Effekte bei der Bereitstellung von Versorgungsleistungen, z. B. durch digitale Unterstützung oder Optimierung von Prozessen und daraus resultierender Verbesserung der Versorgung oder auch über präventive Maßnahmen, die auf digitalem Weg vorangebracht werden. Im Einzelfall werden die Applikationen interventionell eingesetzt, dann können sie auch für das einzelne Individuum Effekte erzielen [10, 14]. Demgegenüber steht bei Arzneimitteln (pharmakologisch-systemische Wirkung, [15]) ebenso wie Medizinprodukten und Hilfsmitteln (physikalisch-lokale Wirkung, [15]) grundsätzlich der individuelle Effekt im Vordergrund [16].

Für Arznei- und Medizinprodukte wird in der Regel eine für die jeweilige medizinische Indikation definierte Rezeptur oder Gestaltung festgelegt. Digital-Health-Lösungen werden hingegen selbst bei identischem Anwendungszweck inhaltlich und gestalterisch variabel umgesetzt, einerseits, weil bereits durch Unterschiede der zugrunde liegenden Hardware oder Systemplattformen Anpassungen nötig sind, andererseits wegen unterschiedlichen Interessenlagen und Voraussetzungen der Hersteller. Sie können sich zudem auch an ihre Nutzer anpassen, um so z. B. die Akzeptanz zu erhöhen oder gezielter eingesetzt zu werden.

Die Entwicklungs- und Lebenszyklen von Digital-Health-Produkten sind – zumindest bei Produkten, die nicht selbst Medizinprodukte sind – oft wesentlich kürzer als die bei Arzneimitteln oder Medizinprodukten üblichen Jahre bis Jahrzehnte [15, 16]. Bei Digital-Health-Lösungen handelt es sich vielfach um Produkte, deren Entwicklung bei Markteintritt nicht unbedingt vollständig abgeschlossen sein muss. Hier besteht ein großer Unterschied zu Arzneimitteln und Medizinprodukten. Am Beispiel von Gesundheitsapps wird dies ersichtlich: Hier können bereits Aktualisierungen des mobilen Betriebssystems, Auswirkungen weiterer auf den Geräten installierte Software oder auch die Installation auf einem neuen Gerät die Funktionsfähigkeit wesentlich beeinflussen, ohne dass der Hersteller der App selbst dies verhindern kann oder selbst etwas an seinem Produkt geändert hat. Hersteller müssen diese Einflüsse – auch ohne sonstige Änderungen an den bereitgestellten Funktionalitäten – im Blick behalten und nötigenfalls zeitnah in geeigneter Weise hierauf reagieren.

Unabhängig von der insgesamt eher übersichtlichen Studienlage bzgl. möglicher Nutzennachweise digitaler Gesundheitslösungen ist zudem festzustellen, dass hierzulande im Gegensatz zu anderen im Gesundheitssektor eingesetzten Produkten „kaum eine Forschungshistorie zum Nutzen von Digital Health“ besteht und Herstellern damit oft auch eine Studiengrundlage fehlt, wodurch Vergütungsverhandlungen erschwert werden [17].

Vom (potenziellen) Nutzen

Digital-Health-Anwendungen bergen für verschiedene Stakeholder und auf verschiedenen Ebenen (vom Individuum über Gesundheitsdienstleister, dem Gesundheitssystem bis hin zur Gesellschaft) Vorteile ([18], s. auch Tab. 1). Ihnen werden je nach Anwendungsform und Einsatzbereich verschiedene Potenziale zugeschrieben [19].

Tab. 1 (Indirekter) Nutzen für die relevanten Stakeholder. (Nach Bradway et al. [18])

Dabei kann es sich für Patienten grundsätzlich um gesundheitsfördernde Effekte (z. B. auf Basis von Lebensstiländerungen, präventive Wirkung) oder auch den Ausgleich oder die Therapie einer bestehenden Erkrankung handeln, wie sie auch mit Arzneimitteln oder konventionellen Medizinprodukten erzielt werden kann [15, 16]. Potenziale werden für Digital Health zudem hinsichtlich einer Steigerung der Patientensouveränität erkannt [9]. Entsprechende Anwendungen können, z. B. durch die Vereinfachung von Abläufen, verbessertes Management von Erkrankungen und weitere organisatorische Aspekte im alltäglichen Leben, einen Gewinn zur Bewältigung von gesundheitsbezogenen Problemen bedeuten, Eigenverantwortung stärken und insgesamt zur Zufriedenheit der Betroffenen beitragen [18]. Die vorgenannten Aspekte können dabei auch für den Einzelnen Hand in Hand mit Wirtschaftlichkeitserwägungen gehen, z. B. durch Zeit- und Kosteneinsparungen [18].

Durch die Nutzung von Digital Health werden in der Organisation Prozess- und Workflowverbesserungen ebenso wie Qualitätsverbesserungen erhofft. Letztere können sich u. a. langfristig auf (Re‑)Hospitalisierungsraten ebenso wie auf Steigerungen der Falldurchsätze auswirken und zur Wirtschaftlichkeitsverbesserung aus Versorgungsperspektive beitragen [9, 18]. Auch im Hinblick auf die Anwenderzufriedenheit innerhalb von Organisationen, die Digital-Health-Lösungen einsetzen, werden positive Potenziale erkannt [18].

Potenziale auf gesundheitssystemischer und gesellschaftlicher Ebene scheinen bei Digital Health ebenso wie im Bereich der Arzneimittel und konventionellen Medizinprodukte insbesondere bei der Verbesserung der bevölkerungsbezogenen Gesundheit, z. B. in Bezug auf Verminderungen der Krankheitsprävalenz, plausibel [18]. Hinzu kommen Aspekte, die speziell der digitalen Natur der Anwendung zuzuschreiben sind, insbesondere wenn es z. B. um Kommunikation und Datenaustausch zwischen verschiedenen Sektoren und Stakeholdern geht [14]. Insgesamt können die genannten Faktoren u. a. zu Qualitätsverbesserungen und besserer Wirtschaftlichkeit beitragen und im Idealfall zu einer Steigerung der Produktivität führen (geringere Invaliditätsraten, Ausfalltage; [9, 18]).

Erstattungsmöglichkeiten digitaler Gesundheitsprodukte in der GKV

Ein nachhaltiger und gerechter Zugang im Rahmen der GKV-Regelversorgung – sowohl für Patienten zu den digitalen Lösungen als auch für die Hersteller zum Markt – ist von der Klärung der Erstattungsfrage abhängig. Gemäß § 12 SGB V sind Leistungen nur erstattungsfähig, wenn sie „wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig“ sind (Wirtschaftlichkeitsgebot). Komfortgewinn und Souveränität sind in der GKV-Logik nur dann relevant, wenn sie zu den oben genannten Begriffen führen. Adhärenz, Selbstmanagement und Patientenzufriedenheit können bisher nur als zusätzliche Parameter herangezogen werden [20]. Die Finanzierungsmöglichkeiten für Digital-Health-Anwendungen liegen bislang außerhalb der Regelversorgung der GKV, sofern sie nicht integraler Bestandteil anerkannter ärztlicher Methoden [11, 21, 22] oder Teil hybrider Angebote aus Prozess- und Produktbestandteilen [17] sind. Derzeit wird primär die Finanzierung über einzelne Krankenkassen durch die Nutzer selbst über eine Werbefinanzierung oder sonstige Fremdfinanzierungsmöglichkeiten angewendet [11, 21, 22]. Die bereits zuvor skizzierte Diversität von Digital Health eröffnet (und erfordert) allerdings unterschiedliche Zugänge zur Erstattung [23]. Die Anforderungen an das Produkt und seine Hersteller, insbesondere des Nutzennachweises, sind hierfür statisch vorgeschrieben. Die tatsächlich akzeptierten Wirksamkeitsnachweise für die digitalen Angebote variieren aber deutlich – von Experteneinschätzungen bei Selektivverträgen bis hin zu randomisierten kontrollierten Studien (RCT), die für die Regelversorgung gefordert werden (Tab. 2; [24, 25]). Die Erstattung erfolgt aufgrund der Natur von Digital-Health-Produkten derzeit primär über den erfolgversprechendsten Weg eines abgeschlossenen Selektivvertrages mit einer oder mehreren Krankenkassen [26]. Während des gesamten Lebenszyklus der Anwendung kann die Krankenkasse das Projekt begleiten und ihrer Verpflichtung zur Bewertung (insbesondere des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach § 12 SGB V) in einem übersichtlichen Rahmen langfristig nachkommen [26]. Eine positive Evaluation ermöglicht perspektivisch die Erstattung im Rahmen eines Kollektivvertrages (Abb. 1), auch wenn diese bislang kaum realisiert wurde [23]. Im Falle einer negativen Evaluation würde die selektivvertragliche Erstattung eingestellt werden müssen [27].

Tab. 2 Produktanforderungen zur Herstellung der Erstattungsfähigkeit nach SGB V
Abb. 1
figure 1

Erstattungsweg über den Selektivvertrag. (Mod. nach Neumann und Dietzel [22])

Die Nutzenbewertung im digitalen Umfeld

Digitale Lösungen, die interventionell eingesetzt werden sollen, müssen sich bzgl. ihrer Bewertung in Erstattungsfragen den gleichen Anforderungen stellen, wie sie auch für andere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gegeben sind. Neben Wirtschaftlichkeit und medizinischer Notwendigkeit [28] zählt hier insbesondere der Nachweis des Nutzens. Die zuvor skizzierten Besonderheiten digitaler Lösungen [23] können hier aber zu besonderen Herausforderungen führen: Während das für das Gesamtbild nötige Erkennen von vielschichtigen Risiken, denen Anwendern digitaler Lösungen (gesundheitlich wie sozial und wirtschaftlich) ausgesetzt sein können [29], oft noch leicht fällt, kann die Wirksamkeit mit Blick auf patientenrelevante Endpunkte wie Morbidität und Mortalität oft nur ungleich schwerer erfasst werden. Hervorzuheben ist aber, dass digitale Lösungen primär die gesundheitsbezogene Lebensqualität in Bezug auf die jeweils betrachtete Indikation [28] potenziell steigen können, etwa wenn sie ihren Anwendern im täglichen Umgang mit einer Erkrankung organisatorische wie gesundheitsbezogene Unterstützung bieten. Insgesamt fällt nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunkte der verschiedenen Ansätze der ebenfalls gewünschte direkte Vergleich digitaler Lösungen mit anderen Methoden gleicher Zielsetzung [20, 28] schwer.

Hinzu kommt, dass die eingangs angeführten positiven Aspekte digitaler Lösungen nur mittelbar auf Outcomes wie die Lebensqualität wirken und diese zudem für verschiedene Personengruppen sehr heterogen ausfallen können [30]. Um die Wirkung von Digital-Health-Produkten angemessen beurteilen zu können, sollten daher auch Ansätze berücksichtigt werden, die über die unmittelbare Messung klinischer Outcomes hinausgehen und z. B. auch sekundäre Wertbeiträge einer verbesserten Patienteninteraktion (beispielsweise vereinfachter Austausch mit dem betreuenden Fachpersonal) beinhalten [30]. Der isolierte Mehrnutzen von Digital-Health-Technologien kann mit dem bestehenden Instrumentarium oft nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand unmittelbar nachgewiesen werden, da dieses primär zum traditionellen Nutzennachweis klinischer Wirkungen entwickelt wurde [31, 32]. So lassen sich manche Studien, die versuchen, Kriterien wie Patientenzufriedenheit, Lebensqualität, Verbesserungen von Abläufen etc. zu evaluieren, nur schwer in die im Bereich der evidenzbasierten Medizin üblichen Bewertungsschemata (nach Evidenzstufen, vgl. [28]) einordnen, selbst wenn sie digitale Lösungen für diagnostische oder therapeutische Anwendungszwecke darstellen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei Digital-Health-Lösungen um Technologien mit sehr kurzen Lebenszyklen handelt, die sich schnell an sich verändernden Umweltfaktoren neu ausrichten. Bei diesen hochdynamischen Technologien führen lange Evaluationszeiträume mit starren Designs zu sehr kurzen Halbwertzeiten der belastbaren Ergebnisse: Mit dem Erscheinen eines Reports ist die betrachtete Technologie eventuell schon veraltet und nicht mehr in dieser Form verfügbar [32,33,34]. Konventionelle Evaluationsdesigns berücksichtigen vielfach nicht ausreichend, inwiefern im Beobachtungszeitraum eine wirksame Vernetzung der Leistungserbringer, Patienten, Kostenträger etc. erreicht werden kann, die den holistischen Einsatz einer Digital-Health-Technologie ermöglicht [35]. In der Regel werden schrittweise Anpassungen nach den Einsatzerfahrungen und Wünschen der Nutzer notwendig sein [36]. Eine Evaluation nach starr vorab definierten Betrachtungszeiträumen ist somit als nicht alltagstauglich zu bewerten. Vielmehr können laufende Überarbeitungen des Evaluationskonzepts erforderlich sein, die die tatsächlichen Nutzungserfahrungen berücksichtigen, um die externe Validität der Evaluation zu gewährleisten. Je nach Bestimmungs- und Einsatzzwecken sollten für eine angemessene Nutzenbewertung von Digital-Health-Produkten folgende Punkte berücksichtigt werden:

  1. 1.

    Bei Technologien, die der Prozessunterstützung zwischen Patienten und Ärzten dienen, sind regelmäßig Netz- und Skaleneffekte notwendig, um den Nutzen von Digital Health zu gewährleisten und positive Kosteneffekte zu generieren [34]. Solche Effekte können in Testphasen grundsätzlich nur schwer erfasst, auf Alltagsbedingungen prognostiziert und das tatsächliche Nutzenausmaß bewertet werden.

  2. 2.

    Bei der Nutzung neuer digitaler Technologien sind in der Regel Lerneffekte bei den Anwendern in unterschiedlich starkem Ausmaß zu beobachten. Die Effektivität und Kosteneffizienz einer Anwendung kann sich über den Zeitverlauf deutlich ändern, wobei dies in einer relativ kurzen Testphase nur unzureichend beobachtet werden kann [34].

  3. 3.

    Positive gesamtgesellschaftliche Effekte digitaler Lösungen werden durch die isolierte Einnahme der GKV-Perspektive unzureichend berücksichtigt [34]. Hierzu zählt der angesprochene Gewinn an Patientensouveränität, Komfortverbesserungen und beschleunigte Prozesse [9], die zu gesellschaftlichen Ressourceneinsparungen an anderen Stellen führen können. Ausgehend von der Wirkkomplexität und des Bestimmungszwecks eines Digital-Health-Produkts sowie abzielend auf den ersten oder zweiten Gesundheitsmarkt sollte deshalb eine gesamtgesellschaftliche Perspektive berücksichtigt werden [37].

Es kann dabei aber nicht darum gehen, dass die Erstattungshürden für Digital-Health-Anwendungen soweit heruntergesetzt werden, dass die GKV mit digitalen Gesundheitsprodukten „überflutet“ wird und das Solidarsystem unzulässig strapaziert werden könnte. Nachgewiesene Versorgungsgewinne und Patientennutzen müssen zentrale Messlatte für Innovationseinführungen bleiben. Gleichfalls muss berücksichtigt werden, dass auch verzögerte Implementierungen innovativer Technologien in die Versorgung (aufgrund der Angst vor möglichen Fehlinvestitionen und daraus resultierenden Kosten für die Solidargemeinschaft) indirekt Kosten verursachen können. Diese entstehen als Opportunitätskosten, wenn Innovationen – z. B. durch evaluationsbedingte Verzögerungen bei vielerseits bemängeltem konservativem Vorgehen [38] – erst verspätet in die Versorgung Einzug halten und somit bestehende Potenziale zur Effizienzsteigerung und Kosteneinsparung ungenutzt verstreichen.

Werkzeuge der Nutzenbewertung von Digital-Health-Produkten

Wo wissenschaftliche Evaluationen zu Digital-Health-Anwendungen vorliegen, wird bislang häufig deren Qualität und mangelnde Vergleichbarkeit [39] sowie unzureichende Berücksichtigung der Besonderheiten [23] der digitalen Lösungen, aber auch die mangelnde Übertragbarkeit auf hiesige Gegebenheiten [17] bemängelt. So befasste sich beispielsweise das im Jahr 2016 veröffentlichte Gutachten „Telemedizinische Überwachung von Patienten mit implantierten kardiologischen Aggregaten“ [40] des medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen mit der Evidenzlage zur klinischen Wirksamkeit von Digital-Health-Produkten bei Patienten mit Herzschrittmachern. Es wurden insgesamt keine Belege für einen Zusatznutzen für ein telemedizinisches Monitoring festgestellt. Die eingeschlossenen RCTs basierten auf sehr verschiedenen Endpunkten. Der Aspekt der Lebensqualität wurde in den eingeschlossen Studien entweder nicht berichtet oder im Gutachten aus methodischen Gründen nicht berücksichtigt. Das kann ein möglicher Hinweis darauf sein, dass einheitliche Standards und Endpunkte zur Bewertung von Digital-Health-Produkten fehlen bzw. die Methodik und Aussagekraft des Reviews [40] und der eingeschlossenen Studien insgesamt skeptisch betrachtet werden kann.

An dem vorgenannten Beispiel [40] werden aber auch Probleme, die im digitalen Umfeld bei der Evaluation mittels RCTs häufig festgestellt werden, deutlich [32, 41, 42]. RCTs gelten in der Medizin als Goldstandard, wenn es um den Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit geht [42]. Sie geben einen etablierten und allgemein akzeptierten Rahmen für die Evaluation von neuen diagnostischen wie therapeutischen Verfahren, Arzneimitteln oder auch Medizinprodukten vor. Insbesondere ist die Rigidität dieses Studiendesigns mit mangelnden Möglichkeiten der Anpassung im Studienverlauf, z. B. auf Basis neuer Erkenntnisse, zu nennen [41]. Auch die schnellen Innovationszyklen von Digital-Health-Lösungen können eine RCT-basierte Evaluation erschweren, da sie sich nur schlecht mit den bei vielen RCTs üblichen langen Studienlaufzeiten [36, 41] vereinbaren lassen, was jedoch nicht allein dem RCT-Design an sich, sondern eher dem Versuch geschuldet ist, einen klinischen Nutzen der Applikationen auf hergebrachte Art nachzuweisen. Darüber hinaus ist die sonst übliche vollständige Verblindung bei einer mHealth-Evaluation eher nicht umsetzbar, da die Nutzung der Patientendaten integraler Bestandteil der Anwendung sein kann [36]. Zudem spielen anwenderbezogene Faktoren hinsichtlich der mittels Digital-Health-Lösungen erreichbaren Outcomes möglicherweise eine größere Rolle, als dies in anderen diagnostisch-therapeutischen Bereichen der Fall ist. Der Wissensstand der Anwender bzw. die Lernkurve, bis diese die nötige Kompetenz und Erfahrung zur sicheren Anwendung gesammelt haben und damit Wirkeffekte verlässlicher der Intervention zuzuordnen sind, können hier potenziell Einfluss nehmen [41]. Zu Diskutieren ist deshalb auch, inwiefern bei der Qualitätssicherung zur Erprobung von Digital-Health-Produkten Lerneffekte der Anwender ausreichend bei der Bewertung technologiebezogener Chancen-Risiken-Verhältnisse berücksichtigt werden können [20]. Es muss sichergestellt werden, dass Ärzte, die Digital Health selbst als Therapiebestandteil einsetzen oder deren Anwendung an Patienten empfehlen, möglichst wenig Fehler in frühen Anwendungsphasen begehen, die aus Unkenntnis oder mangelnden Erfahrungen mit der Technologie entstehen.

Die Diskussion um geeignete Evaluationsverfahren, die belastbare Evidenz schaffen und dennoch dem Anspruch der Patienten auf Teilhabe an medizinischen Innovationen entgegenkommen, wird von vielen Seiten geführt [43, 44].

Dabei werden unterschiedliche flexiblere Herangehensweisen zur Evidenzgenerierung ins Gespräch gebracht, die sich auch auf Digital-Health-Produkte übertragen lassen. Insgesamt lässt sich für die Nutzenbewertung mehr Versorgungsforschung unter Alltagsbedingungen fordern, was durch die Berücksichtigung pragmatischer bzw. adaptiver Ansätze gegenüber hergebrachten, strikt evidenzbasierten Vorgehensweisen erleichtert werden kann [43]. Hierbei muss es sich allerdings nicht um völlig neue Studientypen handeln. Vielmehr geht es um einen stärkeren Fokus auf eine möglichst breite Anwendbarkeit gegenüber üblichen (explanatorischen) Ansätzen, wobei die Übergänge zwischen beiden Polen je nach Sichtweise fließend sein können, grundsätzlich aber die allgemein akzeptierten Qualitätskriterien der zugrunde liegenden Designs (häufig RCTs) beibehalten werden, auch wenn dies eventuell die experimentelle externe Validität beeinträchtigt [45]. Durch die Evaluation unter Alltagsbedingungen und etwaige Adaptionen im Verlauf der Studie können auch die Risiken reduziert werden, dass die Ergebnisse von klassischen RCTs als experimentelle Studien unter Idealbedingungen überinterpretieren werden [46]. Möglichen Befürchtungen, dass z. B. eine pragmatische Herangehensweise u. a. die Validität und Integrität der Ergebnisse aufs Spiel setzt, kann dadurch begegnet werden, dass eben nicht alle der grundsätzlich bei einem (beispielsweise) adaptiven Design möglichen Adaptionen (z. B. auch Anpassungen der Studienpopulation oder der Hypothese) im Verlauf eingeplant werden. Sehr umfangreiche Anpassungen können Verzerrungen bzw. Variationen bei der Datenerhebung zur Folge haben, wenn die Studie fortgesetzt wird [47]. Es geht auch nicht um eine Reduktion des Aufwands der Studiendurchführung für die Beteiligten – dieser kann tatsächlich sogar steigen [47]. Vielmehr muss im Digital-Health-Umfeld der Fokus darauf liegen, flexibel auf sich ändernde (technische und inhaltliche) Voraussetzungen, z. B. neue Versionen einer App bedingt durch neue Versionen mobiler Geräte und der darauf laufenden Betriebssysteme, reagieren zu können. Es scheint langfristig wenig realistisch zu sein, ohne entsprechende Berücksichtigung zu praxisrelevanten Ergebnissen zu kommen, da diese zwar valide sind, aber nicht mehr dem aktuellen technischen und methodischen Stand entsprechen.

Fazit

Die Erarbeitung eines gemeinsamen Evaluationsbegriffs, welcher die Besonderheiten von Digital-Health-Innovationen (u. a. Stärkung der Patientensouveränität, Unterstützung bei der krankheits-/gesundheitsbezogenen Alltagsbewältigung, kurze Lebenszyklen) ausreichend berücksichtigt, ist ein wesentlicher zukünftiger Schritt. Zur bestmöglichen Würdigung des Nutzens muss das adäquate Studiendesign zum passenden Zeitpunkt zum Einsatz kommen, um weder die Sicherheit auf Anwenderseite zu gefährden noch unnötige Hürden für einen Markteintritt aufzubauen. Die Anforderungen an den Nutzennachweis ergeben sich aus der Art und der Zielsetzung der jeweiligen Digital-Health-Anwendung sowie den möglichen Studiensettings und überhaupt beeinflussbaren Parametern. Die Wahl der Endpunkte stellt hier die primäre Herausforderung dar. Es sollten in Bezug auf Digital-Health-Anwendungen neben „harten“ Endpunkten, wie z. B. Mortalität, Morbidität und gesundheitliche Lebensqualität, auch „weiche“ Kriterien stärker berücksichtigt werden, wie beispielsweise Autonomie- und Komfortgewinne der Patienten, obwohl diese sicher bereits teilweise bei der Bewertung der Lebensqualität einbezogen werden könnten. Entsprechende Anpassungen im Evaluationsverlauf können damit neben dem Studiendesign auch die Wahl der zu evaluierenden Endpunkte betreffen. Randomisierte kontrollierte Studien (RCT) bleiben eine zentrale Methodik, um für Innovationen ausreichende interne und externe Validität dafür zu sammeln, welche Auswirkungen diese auf patientenbezogene medizinische Endpunkte haben. Jedoch werden in bestimmten Anwendungsbereichen pragmatische Studienansätze, die beispielsweise weniger restriktiv mit Ein- und Ausschlusskriterien umgehen, durchaus aber auch randomisiert sein können, zielführender sein, falls aufgrund spezifischer Eigenschaften der Anwendung und des Studiensettings keine ausreichende Verblindung und Kontrolle nach den RCT-Standards möglich ist. Langfristig sollten auch mögliche gesamtgesellschaftliche Effekte im komplexen Digital-Health-Kontext Beachtung finden, die bei alleiniger Berücksichtigung der Nutzenbewertung für Patienten aus Perspektive der gesetzlichen Krankenversicherung bislang nur unzureichend in die Überlegungen der Entscheider einflossen. Ziel soll es nicht sein, weniger Evaluationen durchzuführen bzw. die Evaluationstiefe zu verringern, sondern den Besonderheiten von Digital Health entsprechende Evaluationsprozesse zu gestalten und zur Anwendung zu bringen. Relevante Stakeholder sollten angesichts der komplexen Herausforderungen bei der Evaluation von Digital Health gemeinsam an zielgerichteten und pragmatischen Verbesserungen der Evaluationsmethodik arbeiten.