Einleitung

Die gesetzlichen Voraussetzungen zum Herstellen und Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) wurden im Beitrag von Noble erläutert, der in diesem Schwerpunktheft erscheint [1]. Hersteller und Inverkehrbringer sind umfassend verantwortlich für die Rechtskonformität ihrer Erzeugnisse. Der Hersteller und Inverkehrbringer konzipiert in der Regel ein neues NEM auf Basis der Stoffe mit ernährungsspezifischer und physiologischer Wirkung. Diese bringt er mit ggf. technologischen Zusatzstoffen und Füllstoffen in eine dosierte Form, beispielsweise als Kapseln oder Tabletten. Hat er die rechtskonforme stoffliche Zusammensetzung sichergestellt, muss er sich anschließend um eine korrekte Verpackung und Kennzeichnung kümmern und schließlich die rechtzeitige Anzeige seines NEM nach § 5 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) vor dem ersten Inverkehrbringen sicherstellen (Abb. 1).

Abb. 1
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Vereinfachtes Prüfschema für Inverkehrbringer von Nahrungsergänzungsmitteln als strukturierte Einzelfallprüfung

Aufgabe der amtlichen Lebensmittelüberwachung der Bundesländer (LMÜ) ist die stichprobenartige Kontrolle, ob die Erzeugnisse, die als Nahrungsergänzungsmittel in Verkehr gebracht werden, auch den Anforderungen des Lebensmittelrechts entsprechen. Die LMÜ wird aber in der Regel die Beurteilung der Rechtskonformität in einer anderen Reihenfolge prüfen als der Hersteller. Sie prüft zunächst die formalen und rechtlichen Anforderungen an das Erzeugnis und führt erst anschließend die finanziell und personell aufwendigere Laboruntersuchung auf die stoffliche Konformität durch (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Vereinfachtes Prüfschema für die amtliche Lebensmittelüberwachung als strukturierte Einzelfallprüfung bei der Beurteilung stichpunktartig entnommener Proben von Nahrungsergänzungsmitteln

Die für die Lebensmittelsicherheit zuständigen Bundesbehörden übernehmen auch bei den NEM eine koordinierende Funktion. Risikomanagementaufgaben sind beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) angesiedelt. Hier werden die Daten für die nationalen und europäischen koordinierten Kontrollprogramme gesammelt und für die Berichterstattung zusammengestellt. Es werden Genehmigungsverfahren, wie die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach § 68 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB), der Erlass von Allgemeinverfügungen nach § 54 LFGB, durchgeführt. Die nationalen Kontaktstellen für die Entgegennahme der Anträge nach der Novel-Food- oder der Health-Claims-Verordnung sowie für das Europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF) sind ebenfalls hier angesiedelt. Die zur Bewertung der NEM wichtige wissenschaftliche Prüfung obliegt dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist für die Außenvertretung sowie die Gesetzgebung zuständig.

Meldungen im RASFF zeigen, dass Erzeugnisse, die als NEM in Verkehr gebracht werden, in einigen Fällen ein Risiko für den Verbraucher darstellen. Auf den folgenden Seiten werden diese Meldungen zusammengefasst, vorgestellt, wie die amtliche Lebensmittelüberwachung auf die Herausforderungen des internationalen Handels mit NEM reagiert, und erläutert, wie die einzelnen Prüfschritte bei der Beurteilung von NEM ausgestaltet sind.

NEM im RASFF

Zur Meldung eines von Lebensmitteln oder Futtermitteln ausgehenden unmittelbaren oder mittelbaren Risikos für die menschliche Gesundheit wurde nach Artikel 50 der BasisverordnungFootnote 1 das Europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF) als Netz eingerichtet. An ihm sind die Mitgliedstaaten (MS), die Europäische Kommission (KOM) und die Behörde für Lebensmittelsicherheit beteiligt. Alle Beteiligten haben jeweils eine Kontaktstelle benannt, die Mitglied des Netzes ist. Die KOM verwaltet das Netz. In Deutschland ist die nationale Kontaktstelle für das RASFF beim BVL angesiedelt. Liegen einem Mitglied des Netzes Informationen über ein ernstes unmittelbares oder mittelbares Risiko für die menschliche Gesundheit vor, das von Lebensmitteln oder Futtermitteln ausgeht, so werden diese Informationen der KOM unverzüglich über das RASFF gemeldet. Die Kommission leitet diese Informationen unverzüglich an die Mitglieder des Netzes weiter.

Auch für NEM wurden Meldungen als Warn-, Informations- oder Newsmeldung eingestellt. Sie lassen sich in mehrere Kategorien unterteilen, die in Abb. 3 zusammengestellt wurden [2]. In den Jahren 2014–2016 wurden 194, 125 bzw. 107 Meldungen zu NEM ins RASFF eingestellt. Es ist deutlich zu erkennen, dass der weit überwiegende Teil der Meldungen, 100, 50 bzw. 42, auf gesundheitliche Risiken in der Zusammensetzung zurückzuführen ist, gefolgt von den nichtzugelassenen neuartigen Lebensmitteln oder Lebensmittelzutaten und chemischen Kontaminanten.

Abb. 3
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Meldungen von Nahrungsergänzungsmitteln im RASFF klassifiziert nach der Gefahrenquelle aus den Jahren 2014–2016

Viele der nichtrechtskonformen NEM werden im Internet gehandelt. Die amtliche Lebensmittelüberwachung hat auf die Herausforderungen des Internethandels reagiert.

Kontrolle des Internethandels

Im Internet werden besonders Produkte wie Sportlernahrung oder Schlankheitsmittel als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Wie im stationären Handel entsprechen einige Produkte nicht den Vorschriften, teilweise sind sie gesundheitsschädlich.

Die Behörden stellen sich dem Trend, dass Verbraucher zunehmend im Internet einkaufen: Die Organisationseinheit „Kontrolle der im Internet gehandelten Erzeugnisse des LFGB und Tabakerzeugnisse“ (G@ZIELT) wurde 2013 im BVL im Rahmen einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und allen Ländern als gemeinsame Zentralstelle eingerichtet. Ziel ist die Schaffung eines Marktplatzes im Internet, der ein ähnliches Niveau an Produktsicherheit bietet wie im konventionellen Bereich.

Im Rahmen von Produktkontrollen sichten Mitarbeiter der Zentralstelle Meldungen im RASFF und prüfen, ob die betroffenen Produkte im Internet angeboten werden. Aktuelle Zahlen belegen, dass bei der Kontrolle des Onlinehandels mit NEM Handlungsbedarf besteht: Im Jahr 2015 wurden von G@ZIELT insgesamt 221 Recherchen nach potenziell risikobehafteten Produkten durchgeführt. Davon entfielen 111 auf den Bereich Nahrungsergänzungsmittel sowie auf Produkte, die unter Bezeichnungen wie „Food Supplement“ oder „Sports Product“ vermarktet werden. Bei den durchgeführten Recherchen wurden 643 Onlineangebote ermittelt und an die zuständigen Behörden weitergeleitet, damit vor Ort Maßnahmen ergriffen werden können. Von den recherchierten Onlineangeboten entfielen 569 Angebote auf Sportlerprodukte, 65 auf Schlankheitsmittel und 9 auf Mittel zur Potenzsteigerung.

Neben der Sichtung der Schnellwarnsysteme sieht die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern vor, dass im Rahmen von sogenannten Jahresplanrecherchen Übersichten zu Onlineanbietern von speziellen Produktkategorien erstellt werden. So wurde im Jahr 2015 der Onlinehandel von Nahrungsergänzungsmitteln, die mit Schlankheits- und/oder Potenzwirkung beworben werden, untersucht. Hierbei wurden 151 Onlineshops mit Sitz in Deutschland ermittelt. Bei Probenuntersuchungen wurden u. a. nichtzulässige Substanzen wie Phenolphthalein und Synephrin zur Gewichtsreduzierung und Sildenafil oder Icariin zur Potenzsteigerung nachgewiesen.

Im Folgenden wird dargestellt, welche Faktoren zur Beurteilung der Rechtskonformität von NEM herangezogen werden.

Anzeige nach § 5 der NemV

Nach § 5 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV1) ist ein NEM spätestens mit dem Inverkehrbringen unter Vorlage des Etiketts beim BVL anzuzeigen. Diese Vorschrift gilt seit 2005. Wie in Abb. 4 dargestellt stiegen die Anzeigen von ca. 2500 im Jahre 2005 auf über 6000 im Jahre 2015 an. Im Jahr 2016 hat sich die Anzahl der Anzeigen nochmals deutlich erhöht.

Abb. 4
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Gesamtzahl der Anzeigen nach § 5 der NemV beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit pro Jahr seit Einführung der Anzeigepflicht. Für die Jahre 2014–2016 sind zusätzlich die Erstanzeigen ausgewiesen

Die Anzeigen lassen sich in die drei Kategorien Erst-, Zweit- und Änderungsanzeigen unterteilen. Die über eine Erstanzeige übermittelten NEM werden in der EU erstmals in Deutschland in Verkehr gebracht. Auf sie entfallen mehr als 70 % aller Anzeigen [3]. Die über eine Zweitanzeige gemeldeten NEM befinden sich bereits in einem anderen MS der EU in Verkehr. Mit Änderungsanzeigen werden Änderungen aller Art angezeigt, von der Zusammensetzung über die Kennzeichnung oder einen Firmenwechsel. Circa 90 % der Anzeigen werden über ein Webformular elektronisch übermittelt. Über die Zahl der nicht mehr im Verkehr befindlichen NEM gibt es derzeit keine verlässlichen Zahlen.

Im BVL werden die Anzeigen nach Bundesländern, EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten geordnet und den zuständigen Behörden der Länder sowie dem BMEL elektronisch zur Verfügung gestellt. Mit der Anzeige ist nachvollziehbar, wer welche NEM wo und wann herstellt, importiert oder sie in Verkehr bringt. Die Inverkehrbringer können so vor Ort identifiziert und gegebenenfalls stichprobenweise von den zuständigen Behörden kontrolliert werden.

Anforderungen an die Kennzeichnung von NEM

Der Hersteller muss die allgemeinen, verpflichtenden Kennzeichnungsregelungen der EU-InformationsverordnungFootnote 2 sowie die speziellen Kennzeichnungsregelungen mit den Pflichtangaben nach § 4 der NemV1 einhalten. Er kann darüber hinaus freiwillige nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben zu seinem Erzeugnis treffen. Wenn er diese freiwilligen Angaben machen möchte, müssen diese den Anforderungen der Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene AngabenFootnote 3 (Health Claims Verordnung – HCVO) entsprechen.

Die verpflichtenden Angaben dienen der Information der Verbraucher und dem sachgerechten Verzehr der konzentrierten Nährstoffe und sonstigen Stoffe. Bei NEM sind dies insbesondere die Tagesverzehrmenge, Nährwertangaben und ggf. Warnhinweise.

Die freiwilligen Angaben kann ein Inverkehrbringer zur Bewerbung seines Erzeugnisses anbringen. Alle zulässigen nährwertbezogenen Angaben und die Bedingungen für ihre Verwendung sind im Anhang der HCVO gelistet. Die zulässigen gesundheitsbezogenen Angaben nach Artikel 13 der HCVO sind in einer Gemeinschaftsliste zusammengefasstFootnote 4. Sie ist in der EU rechtsverbindlich; nur die dort gelisteten Angaben sind zulässig. Eine Ausnahme bilden weiterhin die eingereichten Angaben zu Pflanzen, Pflanzenteilen sowie Extrakten und Konzentraten aus Pflanzen und Pflanzenteilen, die sogenannten Botanicals. Über die dafür zulässigen gesundheitsbezogenen Angaben wurde noch nicht entschieden. Es gelten weiterhin Übergangsregelungen. Für Deutschland bedeutet das, dass Angaben zu Botanicals auf NEM, die vor Inkrafttreten der HCVO in Deutschland gültig waren, weiter verwendet werden dürfen, sofern sie den Regelungen der HCVO nicht widersprechen, sie für die Gemeinschaftsliste beantragt wurden und im Register der KOM als beantragte Angaben zu finden sind. Für neue Angaben ist dagegen ein Antrag nach Artikel 18 zur Erweiterung der Gemeinschaftsliste zu stellen.

Die Verordnung regelt außerdem das Zulassungsverfahren für gesundheitsbezogene Angaben nach Artikel 14 Abs. 1 der Verordnung. Dies sind Angaben, in denen ein Lebensmittel damit beworben wird, dass es entweder bestimmte Krankheitsrisiken verringert oder positive Wirkungen auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern hat. Vor Inkrafttreten der HCVO waren diese Angaben in Deutschland nicht zulässig. Für diese Angaben sieht die Verordnung Einzelzulassungsverfahren nach den Artikeln 15 ff. der Verordnung vor. Eine Zulassung dieser Angaben erfolgt daher nicht über die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste nach Artikel 13 Abs. 3 der HCVO [4]. Sie sind im Register der KOM einzusehen [5].

Anträge sind bei den nationalen Kontaktstellen der MS nach den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 353/2008Footnote 5 einzureichen. In Deutschland ist sie beim BVL angesiedelt. Es prüft nach Artikel 7a dieser Verordnung die Gültigkeit, die Vollständigkeit und Richtigkeit des Antrags. Bei der Prüfung auf Vollständigkeit wird abgeglichen, ob alle von der EFSA geforderten Unterlagen [6] in der erforderlichen Form vorgelegt wurden. Die Prüfung auf Richtigkeit schließt ein, ob die HCVO überhaupt anwendbar ist. Die HCVO gilt nur für Lebensmittel. Wenn der Verdacht besteht, dass der Stoff, für den die gesundheitsbezogene Angabe gemacht werden soll, in der beantragten Menge eine pharmakologische Wirkung entfaltet, ist zu prüfen, ob er als Arzneimittel einzustufen ist. Wenn dieser Verdacht vom Antragsteller nicht ausgeräumt werden kann, wird sein Antrag nicht an die EU-Kommission und an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority – EFSA) weitergeleitet werden.

Anforderungen an die Zusammensetzung von NEM

Im Stoffrecht der EU für Lebensmittel gelten größtenteils harmonisierte spezifische Regelungen mit exakten Vorgaben an die Zusammensetzung und Menge der zu verwendenden Stoffe, die in Positiv- oder Negativlisten geführt werden. Eine Ausnahme bilden andere Stoffe mit ernährungsspezifischer und physiologischer Wirkung, für die noch keine abschließenden, spezifischen Regelungen ausgearbeitet wurden. Gerade diese Stoffe sind aber die Hauptbestandteile von NEM. Auf sie sind die allgemeinen Regelungen des Lebensmittelrechts anzuwenden, ihre Rechtskonformität ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.

Spezifische Anforderungen des Lebensmittelrechts

Es gelten auch für Stoffe in NEM spezifische Regelungen beispielsweise für Lebensmittelzusatzstoffe und -aromen. Ihre Verwendung ist in sogenannten Positivlisten geregelt. In den entsprechenden EU-Verordnungen sind alle erlaubten LebensmittelzusatzstoffeFootnote 6, unter anderem Farb-, Konservierungs- oder Süßstoffe, aufgelistet und ihr Verwendungszweck für das jeweilige Lebensmittel genau festgelegt. Ähnliches gilt für LebensmittelaromenFootnote 7. Alle zulässigen Stoffe sind einzeln mit den zulässigen Höchst- und Mindestmengen, die für den angegebenen Zweck verwendet werden dürfen, in den Anhängen der Verordnungen aufgelistet. Es ist genau geregelt, welche Lebensmittelzusatzstoffe und -aromen in welcher Menge und zu welchem Zweck in NEM verwendet werden dürfen.

Ebenso gelten abschließende Regelungen für unerwünschte Stoffe wie RückständeFootnote 8 und KontaminantenFootnote 9. Sie werden in sogenannten Negativlisten geführt, die regeln, bis zu welcher Höchstmenge – zum Beispiel bestimmte Pflanzenschutzmittel oder Schwermetalle – in NEM vorkommen dürfen. Vor der Aufnahme in die Anhänge der Verordnungen wurden alle Stoffe im Rahmen eines Zulassungsverfahrens einer Risikobewertung unterzogen. Jede Abweichung von den festgelegten Höchst- oder Mindestmengen führt dazu, dass das betreffende NEM nicht in Verkehr gebracht werden darf.

Für spezifisch geregelte Stoffe besteht somit kein Interpretationsspielraum, es kann eindeutig festgestellt werden, ob der Stoff in NEM verkehrsfähig ist oder nicht.

Allgemeine Anforderungen an „andere Stoffe“ in NEM

Nicht spezifisch geregelt sind dagegen die „anderen Stoffen als Vitamine und Mineralstoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung“ (andere Stoffe) nach Artikel 8 der LebensmittelanreicherungsverordnungFootnote 10. Sie werden in der NemV1 als „sonstige Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung“ bezeichnet. Diese „anderen Stoffe“ umfassen eine Vielzahl von Stoffklassen, von Pflanzen und Pflanzenteilen über Fettinhaltsstoffe, Aminosäuren, Nukleotide, Bakterien, Pilze und viele andere mehr, die wiederum eine Fülle von Einzelstoffen umfassen (Abb. 5).

Abb. 5
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Vitamine, Mineralstoffe und andere Stoffe mit ernährungsspezifischer und physiologischer Wirkung

Die Art und die chemischen Verbindungen von Vitaminen und Mineralstoffen, die in NEM verwendet werden dürfen, sind abschließend in den Anhängen I und II der NahrungsergänzungsmittelrichtlinieFootnote 11 geregelt. Allerdings fehlen für sie in Deutschland und auf EU-Ebene verbindliche Höchstmengen in NEM (s. dazu Ausführungen in [1]). Bis auf die wenigen Ausnahmen, die im vorausgegangenen Artikel [1] genannt wurden, gelten dagegen für alle „anderen Stoffe“ gar keine spezifischen Regelungen. Es gibt auf nationaler Ebene weder Positiv- noch Negativlisten für diese Stoffe. Ebenso wenig sind Höchst- oder Mindestmengen festgelegt. Somit sind die allgemeinen Regelungen des Lebensmittelrechts auf die „anderen Stoffe“ in NEM anzuwenden. Für die Zulässigkeit von bestimmten Stoffen in NEM ist somit im Einzelfall zu prüfen, ob ihre Verwendung zulässig ist. Diese Prüfung durch den Inverkehrbringer (Abb. 1) oder die amtliche Lebensmittelüberwachung (Abb. 2) kann strukturiert in mehreren Schritten erfolgen.

Ausschluss, dass es sich um ein Arzneimittel, ein Betäubungsmittel oder einen psychotropen Stoff handelt

Im Artikel 2 der Basisverordnung1 sind Lebensmittel definiert. Es sind „alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden“. Anschließend wird definiert, was nicht zu den Lebensmitteln gehört. Für NEM sind die beiden Fallgruppen d „Arzneimittel …“ und g „Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe …“ relevant. Sofern ein Erzeugnis als Ganzes oder eines seiner Inhaltsstoffe als Arzneimittel, Betäubungsmittel (BTM) oder als psychotroper Stoff einzustufen ist, kann es sich um kein Lebensmittel und damit auch um kein NEM handeln.

Alle als Betäubungsmittel eingestuften Stoffe und Zubereitungen sind in den Anlagen I bis III des BetäubungsmittelgesetzesFootnote 12 aufgeführt. Anders verhält es sich für Arzneimittel, die nicht in abschließenden Listen verzeichnet sind. Wann ein Stoff oder eine Zubereitung aus Stoffen als Arzneimittel einzustufen ist, war und ist Gegenstand vieler Abhandlungen und Gerichtsverfahren. Zu dieser Abgrenzungsfrage wird auf den entsprechenden Beitrag [7] in diesem Heft verwiesen.

Sofern ein „anderer Stoff“ im Erzeugnis oder das Erzeugnis als Ganzes nicht als Arzneimittel oder Betäubungsmittel einzustufen ist, fällt es unter die Regelungen des Lebensmittelrechts. Handelt es sich bei dem zu prüfenden Stoff, Stoffgemisch oder Erzeugnis um ein Lebensmittel, bedeutet das noch nicht, dass es auch verkehrsfähig ist. Es müssen noch weitere Faktoren geprüft werden, bevor es als verkehrsfähig angesehen und damit verkauft werden kann.

Ausschluss, dass es sich um ein nichtzugelassenes neuartiges Lebensmittel oder eine neuartige Lebensmittelzutat handelt

Lebensmittel können in der Regel ohne eigene Zulassung oder Genehmigung in Verkehr gebracht werden, sofern sie alle Regelungen des Lebensmittelrechts einhalten. Eine Ausnahme bilden Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die vor dem 15.5.1997 in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Sie sind neuartige Lebensmittel (Novel Food) nach Artikel 1 der Verordnung über Neuartige Lebensmittel oder LebensmittelzutatenFootnote 13. Als solche müssen sie vor dem Inverkehrbringen ein Genehmigungsverfahren durchlaufen, wenn sie unter bestimmte Gruppen von Erzeugnissen fallen, die unter den Absätzen 2 c–f des Artikels 1 definiert sind.

Diese Regelung wurde aus Gründen des Verbraucherschutzes eingeführt. Für Stoffe oder Stoffgemische, die bislang noch nicht als Lebensmittel in der EU verzehrt wurden, muss vor dem Inverkehrbringen der Nachweis geführt werden, dass sie den Anforderungen des Lebensmittelrechts genügen und kein Risiko für den Verbraucher darstellen.

Informationen zum Novel-Food-Status bestimmter Stoffe und bereits erteilte Genehmigungen sind im Internet über die Seiten der KOM zugänglich [8, 9]. Die nationale Kontaktstelle für Anträge zur Genehmigung eines neuartigen Lebensmittels ist in Deutschland beim BVL angesiedelt [10].

In vielen Fällen ist der Novel-Food-Status von Stoffen nicht endgültig geklärt. Der Inverkehrbringer von derartigen Erzeugnissen sollte daher gegenüber den zuständigen Landesbehörden in der Lage sein, durch Belege nachzuweisen, dass das Erzeugnis bereits vor dem 15.5.1997 in der EU rechtmäßig im Verkehr war und in nennenswertem Umfang als Lebensmittel verzehrt wurde.

Ausschluss, dass es sich um ein nichtsicheres Lebensmittel oder eine nichtsichere Lebensmittelzutat handelt

Nach Artikel 14 der Basisverordnung1 dürfen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden. „Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn … sie a) gesundheitsschädlich sind, b) für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.“ Wann eine Substanz als gesundheitsschädlich anzusehen ist, muss ebenfalls im Einzelfall vom Inverkehrbringer geprüft werden. Als Beispiele sind die Meldungen im RASFF zu nennen, die unter der Rubrik „Zusammensetzung“ geführt werden (Abb. 3).

Prüfung, ob eine Ausnahmegenehmigung nach § 68 LFGBFootnote 14 zu beantragen ist

Wenn die Zusammensetzung eines Produktes, das in Deutschland hergestellt, behandelt oder in Verkehr gebracht werden soll, nicht mit den Vorschriften des LFGB und aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen übereinstimmt, können im Einzelfall Ausnahmen nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 des § 68 LFGB zugelassen werden. Der Antrag ist beim BVL einzureichen. „Ausnahmen dürfen nur zugelassen werden … für das Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen bestimmter Lebensmittel …, sofern Ergebnisse zu erwarten sind, die für eine Änderung oder Ergänzung der für Lebensmittel geltenden Vorschriften von Bedeutung sein können, unter amtlicher Beobachtung oder sofern eine Angleichung der Rechtsvorschriften an Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union noch nicht erfolgt ist …“

Dies trifft nach § 2 Absatz 2 des LFGB14 vornehmlich auf Stoffe mit oder ohne Nährwert, die üblicherweise weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Zutat eines Lebensmittels verwendet werden, zu.

Das BVL kann auf Antrag in Zusammenarbeit mit anderen Behörden solche Ausnahmen zulassen, wenn eine Gefährdung der Gesundheit nicht zu erwarten ist. Dies ist vom BVL zu prüfen, das für die wissenschaftliche Prüfung das BfR einbezieht. Der Antragsteller muss alle notwendigen Unterlagen bereitstellen und die gesundheitliche Unbedenklichkeit seines Produktes nachweisen. Eine weitere Voraussetzung für die Erteilung einer AG ist, dass der Antragsteller oder sein Beauftragter einen Firmensitz in Deutschland hat, damit die amtliche Beobachtung durch die LMÜ möglich ist.

Antragstellern aus anderen EU-MS ist das Verfahren nach § 54 LFGB auf Erlass einer Allgemeinverfügung (AV) eröffnet, sofern sie nachweisen können, dass ihr Erzeugnis in einem anderen MS der EU rechtmäßig hergestellt wird oder sich dort rechtmäßig in Verkehr befindet. Sie können den Erlass einer AV beim BVL beantragen, der wegen der Warenverkehrsfreiheit in der EU nur verweigert werden kann, wenn zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes dem entgegenstehen oder die formalen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Dazu zählt beispielsweise der fehlende Nachweis der Verkehrsfähigkeit in dem anderen MS oder, dass der Stoff in der beantragten Konzentration in Deutschland als Arzneimittel eingestuft wird und somit das Lebensmittelrecht nicht anwendbar ist.

Unterlagen, die die Einstufung erleichtern

Auf nationaler Ebene werden Unterlagen zur Erleichterung der Einstufung „anderer Stoffe“ erarbeitet. Sie dienen der Arbeitserleichterung für Hersteller und Inverkehrbringer und die zuständigen Behörden genauso wie der Systematisierung der Einstufungsentscheidungen.

Im Jahr 2014 wurde die Stoffliste für Pflanzen und Pflanzenteile des Bundes und der Bundesländer veröffentlicht [11]. Hier wurden Informationen zu über 300 verschiedenen Pflanzen systematisch zusammengestellt und Empfehlungen ausgesprochen, ob sie unbeschränkt, unter bestimmten Bedingungen oder gar nicht in Lebensmitteln Verwendung finden sollten. Diese Empfehlungen wurden auf Basis eines Entscheidungsbaums abgeleitet, der auf Basis des geltenden Rechts erarbeitet wurde und dem alle gelisteten Pflanzen und Pflanzenteile unterzogen wurden. Die Stoffliste wird regelmäßig überarbeitet und soll um weitere Kategorien ergänzt werden. Sie ist zwar nicht rechtsverbindlich, eine Abweichung von der dort vorgenommenen Einstufung muss aber gegenüber der zuständigen Behörde gut begründet werden.

Zur Ableitung von Einstufungen von Stoffen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde 2013 beim BVL und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Gemeinsame Expertenkommission zur Einstufung von Stoffen (Expertenkommission) ins Leben gerufen. Hintergrund ist, dass Stoffe, die bislang vorwiegend oder ausschließlich in Arzneimitteln verwendet wurden, vermehrt als Lebensmittel oder Lebensmittelzutat in Verkehr gebracht werden. Seitens der Behörden bestehen häufig Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und der Verkehrsfähigkeit dieser Erzeugnisse als Lebensmittel.

Die Expertenkommission setzt sich aus sechs behördenexternen wissenschaftlichen Experten sowie sechs Stellvertretern aus den Gebieten der Toxikologie, Ernährungsmedizin, Lebensmittel- und Arzneimittelanalytik, Arzneimittelsicherheit, Lebensmittel- und Biotechnologie sowie dem Lebensmittel- und Arzneimittelrecht zusammen. Aufgabe dieser Gemeinsamen Expertenkommission ist, unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse und rechtlicher Vorgaben Kriterienkataloge, Entscheidungsbäume und Stellungnahmen zu erarbeiten. Themen sind beispielsweise die Einstufung von möglichen Gesundheitsgefahren oder die Einstufung, ob ein Stoff als Arzneimittel zu qualifizieren ist. Die erarbeiteten Gutachten schließen mit einer Empfehlung, ob ein Stoff als Lebensmittel verkehrsfähig ist. Somit leistet die Gemeinsame Expertenkommission einen aktiven Beitrag zur Risikoeinschätzung von sogenannten Borderlineprodukten und zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung [12]. Die Stellungnahmen sind auf den Homepages der beiden Behörden elektronisch zugänglich.

Die Expertenkommission kann damit flexibel auf aktuelle Fragestellungen antworten. Mit den Empfehlungen der Expertenkommission sollen den zuständigen Bundes- und Landesbehörden Gutachten an die Hand gegeben werden, die beratenden Charakter bei der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben haben.

Fazit

Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel, die der Ergänzung der Nahrung dienen und Vitamine, Mineralstoffe und andere Stoffe mit ernährungsspezifischer und physiologischer Wirkung in konzentrierter Form enthalten. Für die anderen Stoffe gibt es derzeit keine spezifischen Regelungen zur Zusammensetzung und den Höchst- oder Mindestmengen. Jeder Lebensmittelunternehmer muss sein Produkt deshalb selbst umfassend prüfen, bevor er es in Verkehr bringt. Im Artikel wird beschrieben, wie die zuständigen Behörden bei der Prüfung von Nahrungsergänzungsmitteln vorgehen. Dem Inverkehrbringer wird ein Leitfaden zur Verfügung gestellt, wie er im Einzelfall strukturiert prüfen kann, ob sein Erzeugnis den rechtlichen und wissenschaftlichen Anforderungen genügt, um verkehrsfähig zu sein. Es werden öffentlich zugängliche Informationsquellen genannt, die ihn dabei unterstützen.