Hintergrund

Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH), in der Trägerschaft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Kooperation mit dem Deutschen Jugendinstitut e. V., führt die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte wissenschaftliche Begleitung der Bundesinitiative Frühe Hilfen durch. In der Studie „Kinder in Deutschland 0–3“ (KiD 0–3; Details in [1]) wurden Daten zu psychosozialen Belastungen von 8063 Familien mit 0‑ bis 3‑jährigen Kindern erhoben. Im Beitrag wird der Zusammenhang dieser Belastungsfaktoren mit der Inanspruchnahme von universellen Unterstützungsangeboten sowie spezifischer Angebote der Frühen Hilfen dargestellt.

Familiäre Belastungslagen

Die Beschäftigung mit den Auswirkungen psychosozialer Belastungen auf die kindliche Entwicklung hat international Fortschritte gemacht. Eine Vielzahl von Belastungsfaktoren ist gut belegt, obwohl die Identifikation der kausalen Zusammenhänge beachtliche Schwierigkeiten bereitet. Zu diesen Faktoren zählen beispielsweise psychische Erkrankungen, Gewalterfahrungen (in der eigenen Kindheit oder der aktuellen Partnerschaft), Suchtkontexte, Armutslagen oder ein fehlendes soziales Netzwerk der Eltern [24]. Familiäre Belastungen können zu einer Einschränkung der Erziehungskompetenzen führen und das Risiko von Misshandlungen oder Vernachlässigungen erhöhen. In Deutschland werden Konzepte zur Frühprävention von Gefährdungen und zur Förderung positiver Entwicklungsbedingungen von Kindern in Familien mit psychosozialen Belastungslagen unter dem Stichwort „Frühe Hilfen“ gefördert und seit 2012 mit Mitteln der Bundesinitiative Frühe Hilfen flächendeckend ausgebaut [5]. Der deutsche Forschungsstand zu psychosozialen Belastungen bei Familien mit Säuglingen und Kleinkindern bezieht sich auf nur wenige nicht-repräsentative Studien und ist vor allem geprägt von einem Mangel an geeigneten Datensätzen zum Thema [6]. Am ehesten liefert die KIGGS-Studie (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) wichtige Hinweise auf psychosoziale Risiken für Gewalterfahrungen einerseits [7] und die gesundheitliche Entwicklung von Kindern andererseits [8]. Wir wissen daher, dass sich ungünstige Lebensbedingungen auf die Entwicklung der Kinder niederschlagen können. Haffner et al. [9] haben die „Child Behaviour Checklist“ lokal getestet und insbesondere die Bedeutung familiärer Probleme und ungünstiger Lebensbedingungen für die Entwicklung von Verhaltensproblemen bestätigt. Häuser et al. [10] befragten eine repräsentative deutsche Bevölkerungsstichprobe retrospektiv zu Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend mit einer Kurzform des „Childhood Trauma Questionnaire (CTQ)“. Die Ergebnisse legen nahe, dass emotionale und körperliche Vernachlässigung bzw. Misshandlung mit steigendem Sozialstatus abnehmen bzw. weniger berichtet werden. Die Studie ist jedoch der Intention nach primär eine Prävalenzstudie für Gewalterfahrung und keine Risikostudie. Der internationale Forschungsstand (insbesondere in englischsprachigen Ländern) ist wesentlich reichhaltiger und hat umfassende Befunde zu Belastungsfaktoren geliefert. Demnach steigt das Risiko für Kinder systematisch mit der Kumulation von proximalen und distalen Belastungsfaktoren aus verschiedenen Bereichen ihrer Lebensumwelt: beispielsweise Psychopathologie der Eltern, Gewalterfahrung in Paarbeziehungen, kindliche Dysregulation, Probleme der Eltern-Kind-Beziehung, ungeplante Schwangerschaft, Armut (z. B. [4, 1114]).

KiD 0–3 soll die Forschungslücken schließen und erstmals deutsche repräsentative Daten vorlegen. Durch die Verknüpfung mit Daten zur Kenntnis und Nutzung entsprechender Hilfsangebote entsteht die besondere Praxisrelevanz dieser Studie.

Allgemeine Angebote für die frühe Kindheit und Frühe Hilfen

Bei den zur Verfügung stehenden Angeboten ist zu unterscheiden zwischen universellen Angeboten verschiedener Bereiche wie etwa Eltern-Kind-Gruppen oder Familienzentren und spezifischen, oft aufsuchenden Angeboten der Frühen Hilfen. Letztere wurden spätestens in Folge der Bundesinitiative Frühe Hilfen in nahezu allen deutschen Kommunen eingerichtet [15]. Während die universellen Angebote in der Regel von Eltern aktiv nachgefragt werden müssen, werden die Leistungen der Frühen Hilfen oft den Eltern durch Fachpersonal angeboten, insbesondere beim Vorliegen von Belastungen. Hier dienen häufig spezifische Koordinierungsstellen als zentrale Vermittlungs- und Kontaktinstitutionen. Diese haben einerseits einen Überblick über alle bereits vorhandenen Angebote in der betreffenden Gebietskörperschaft und schaffen andererseits gezielt weitere Unterstützungsangebote der Frühen Hilfen, welche dann in die bestehenden Hilfesysteme integriert werden [16].

Eines der bekanntesten aufsuchenden Unterstützungsangebote ist die häusliche Begleitung durch eine Familienhebamme oder vergleichbar qualifizierte Fachkraft aus dem Gesundheitswesen. Dies ist eine Hebamme mit psychosozialer Zusatzqualifikation, die eine Familie mit erhöhtem Hilfebedarf bis zum ersten Geburtstag des Kindes betreuen kann (vertiefend in [17]). Diese Unterstützungsform hat sich in der Evaluation als relativ erfolgreich erwiesen [18, 19] und wird inzwischen in vielen Kommunen angeboten. Ein vom NZFH herausgegebenes Kompetenzprofil bietet hierbei eine Orientierung über notwendige Kompetenzen zur qualitätsgesicherten Ausübung dieser Tätigkeit [20, 21]. Neben der Familienhebammenunterstützung gibt es in den Kommunen weitere Angebote für belastete Familien, etwa spezielle Beratungsangebote in Beratungsstellen, Eltern-Säuglings-Ambulanzen oder Angebote in Frühfördereinrichtungen.

Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, inwieweit Familien Kenntnis von vorhandenen Angeboten haben bzw. welche dieser Angebote sie tatsächlich nutzen. Da das Ziel der Bundesinitiative Frühe Hilfen der Auf- und Ausbau von Angeboten insbesondere für Familien mit psychosozialen Belastungen ist, ergibt sich durch die Verbindung von Daten der Belastung mit solchen der Kenntnis und Inanspruchnahme die Möglichkeit, entsprechende Zusammenhänge zu analysieren und sie für die kommunale Angebotsplanung nutzbar zu machen. Erste Erkenntnisse aus Voruntersuchungen – den Pilotstudien zu KiD 0–3 – deuten in Richtung eines klaren Zusammenhangs von sowohl Kenntnis als auch Inanspruchnahme mit bestimmten Näherungsindikatoren für Belastung [5, 15].

Fragestellung

Mittels der vorliegenden Daten der KiD 0–3-Studie aus der Prävalenz- und Versorgungsforschung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen sollen die Parameter für Kenntnis und Nutzung bzw. Annahme einer Reihe von universellen Angeboten für die frühe Kindheit sowie der Frühen Hilfen ermittelt und gegenübergestellt werden. Dabei wird ein Schwerpunkt auf das Angebot der Familienhebammen und vergleichbaren Gesundheitsfachberufe gelegt. Vertiefend soll geschaut werden, welche Merkmale der teilnehmenden Familien die Annahme bzw. Ablehnung einer angebotenen Hilfsmaßnahme (z. B. Familienhebamme) beeinflussen.

Methodik

Studiendesign

Die KiD 0–3-Studie umfasst eine repräsentative Befragung von 8063 Familien mit Kindern zwischen 0 und 3 Jahren in Deutschland. Dabei wurden anhand eines Fragebogens mit insgesamt 128 Items zu folgenden Themenbereichen Daten erhoben:

  • Merkmale der Lebenslage der Familie (sozioökonomischer Status, Familienform etc.)

  • Objektive Belastungsmerkmale auf kind-, eltern- und familienbezogener sowie sozialer Ebene, die sich als valide Prädiktoren möglicher Entwicklungsprobleme und/oder Kindeswohlgefährdungen erwiesen haben (z. B. besondere Fürsorgeanforderungen durch das Kind, Gewalt in der Partnerschaft, soziale Isolation, etc.)

  • Subjektives Belastungserleben der primären Bezugsperson des Kindes

  • Hinweise auf tatsächlich vorgekommene Vernachlässigungen oder Verletzungen des KindesFootnote 1

  • Von der Familie wahrgenommene und erhaltene soziale Unterstützung

  • Kenntnis und Inanspruchnahme von öffentlichen Unterstützungsleistungen seitens der Eltern (13 universelle Angebote und drei aufsuchende Angebote Früher Hilfen)

Die Auswahl der Belastungsfaktoren ist an den Ergebnissen publizierter Meta-Analysen (z. B. [10, 14]) sowie eigenen Auswertungen der neueren Literatur (z. B. [2, 1113]) orientiert. Die Auswertung zweier Pilotstudien zeigte, dass die Ansprache über pädiatrische Praxen zu einer deutlich besseren Motivierung zur Teilnahme von Familien aus niedrigen sozialen Schichten führte [22] als mittels Stichprobenziehungen über das Einwohnermeldeamt. Eltern, die zu einer U3- bis U7a-Vorsorgeuntersuchung in die Praxis kamen, wurden gebeten, den Fragebogen auszufüllen. Dabei sollten alle Eltern angesprochen werden, um Selektionseffekte durch die Praxis zu vermeiden. Überdies wurden tabellarisch die Ablehnungsgründe der nicht teilnehmenden Eltern erhoben, um bei der Auswertung Hinweise auf eventuelle Verzerrungseffekte zu bekommen. Für die Mitwirkung wurden die Praxen angemessen vergütet; sie erhielten für die Studienteilnahme und Dokumentation pauschal 150 € und zusätzlich 30 € für jede teilnehmende Familie (die Familien bekamen keine finanziellen Anreize). Die Fragebögen wurden von der Hauptbezugsperson des Kindes im Wartezimmer anonym ausgefüllt (Dauer ca. 25–35 min) und neben Deutsch auch in fünf weiteren Sprachen angeboten (Englisch, Türkisch, Polnisch, Russisch und Rumänisch).

Insgesamt nahmen 271 Praxen teil (Rekrutierungsziel: 250–300). Diese wurden in aufwendiger Rekrutierungsarbeit vom Feldinstitut „Kantar Health“ aus einer repräsentativ gezogenen proportional stratifizierten Bruttostichprobe von über 1800 Praxen rekrutiert. Es wurden keine nennenswerten Verzerrungen in der Praxisstichprobe festgestellt, das bedeutet, die Verteilung der teilnehmenden Praxen und Familien ist bis auf wenige Ausnahmen proportional zur regionalen Verteilung der Kinderarztpraxen und Bevölkerungsverteilung (siehe Abb. 1). Die Ausschöpfung auf der Familienebene liegt mit knapp 73 % deutlich über der von Referenzstichproben. Abgleiche mit Mikrozensusdaten bestätigten die Erwartungen hinsichtlich einer relativ guten Repräsentativität mit einem ausreichend hohen Anteil psychosozial hoch belasteter Familien.

Abb. 1
figure 1

Verteilung der teilnehmenden Praxen (N = 271) und Familien (N = 8063) in Deutschland (Mapping über PLZ-Koordinaten [geografische Mitte des Bereichs] führt zu kleinen Abweichungen auf der Karte. Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Praxen)

Statistische Analyse

Die beschreibende Analyse zeigt die Kenntnis-, Angebots- und Nutzungsraten getrennt nach Bildungsgruppen der Befragungsperson. Die statistische Signifikanz der Unterschiede wird mittels Chi-Quadrat-Tests bewertet. Die Kenntnisraten der Angebote wurden zu einem Indikator „sehr gute Kenntnis“ zusammengefasst, der einer logistischen Regressionsanalyse unterzogen wurde. Plausible Merkmale der Familien wurden als erklärende Variablen getestet. Zwei weitere Modelle mit den gleichen Variablen wurden für die abhängigen Variablen „Angebot einer Familienhebamme“ und „Annahme einer Familienhebamme nach Angebot“ analysiert. Merkmale der kommunalen Angebotsstruktur (d. h. Umfang und Organisation der Frühen Hilfen) konnten für diese Analysen noch nicht berücksichtigt werdenFootnote 2.

Stichprobe

Tab. 1 zeigt die Verteilung der für diesen Beitrag wichtigen Merkmale der Stichprobe. Die Befragungsperson der Studie war die (vermutete) Hauptbezugsperson des Kindes, d. h. in der Regel der das Kind zur U‑Untersuchung begleitende Elternteil. In knapp 92 % der Fälle war das die leibliche Mutter des Kindes (7 % Väter, 1 % andere Person). Soziodemografische Merkmale wurden entweder für Mütter und Väter getrennt erhoben (z. B. Bildung) oder direkt auf der Haushaltsebene. Der Großteil der Daten wurde jedoch aus der Perspektive der Hauptbezugsperson des Kindes erhoben.

Tab. 1 Stichprobenbeschreibung KiD 0–3

Die Daten sind gewichtet, um Eltern von Kleinkindern in Deutschland annähernd repräsentativ abzubilden. Allerdings ist die Altersverteilung der Kinder nicht proportional, sondern der zeitlichen Verteilung von U‑Untersuchungen geschuldet (engere Taktung im ersten Lebensjahr). Die einzelnen Altersgruppen sollten im Zweifelsfall als separate Stichproben unterschiedlicher Größe betrachtet werden, wobei die meisten Merkmale unabhängig vom Alter des Kindes und dementsprechend dennoch repräsentativ sind. So ist die große Mehrheit der Mütter zwischen 26 und 35 Jahre alt und besitzt einen mittleren Bildungsgrad. Fast 30 % der Mütter berichteten einen Migrationshintergrund (nach Definition des Statistischen Bundesamts).

Der RisikoindexFootnote 3 beruht auf dem internationalen Kenntnisstand der Risikoforschung und besitzt gute prädiktive Qualität bezüglich Verletzung und Vernachlässigung von Kindern im KiD 0–3-Datensatz. Allerdings ist er altersabhängig, sodass der gezeigte Durchschnittswert von 12,9 % vermutlich hochbelasteter Familien (vier und mehr Belastungsfaktoren) eher die Realität in Familien mit Säuglingen widerspiegelt. Von den Familien mit älteren Kindern können etwa 16 % als hochbelastet gelten.

Ergebnisse

Beschreibung von Kenntnis, Angebot und Nutzung

Die in den Tab. 2 und 3 gezeigten Werte beziehen sich nur auf Familien mit Kindern in der für die Frühen Hilfen relevanten Altersgruppe 0–35 Monate. Tab. 2 zeigt einen in seiner Grundtendenz klar erkennbaren Wissensvorsprung der höher gebildeten Befragungspersonen. Die Nutzungsraten zeigen in der Tendenz das gleiche Muster, wobei es Ausnahmen gibt. So wurde beispielweise die Schwangerschaftsberatung deutlich häufiger von Müttern mit formal niedrigem Bildungsgrad in Anspruch genommen als von Müttern mit höheren Bildungsgraden (eine Auswahl dieser Ergebnisse ist in Abb. 2 graphisch dargestellt)Footnote 4.

Tab. 2 Kenntnis- und Nutzungsraten von Angeboten für die frühe Kindheit (Kinder 0–35 Monate) nach Bildungsgrad der Befragungsperson (vermutete Hauptbezugsperson)
Abb. 2
figure 2

Kenntnis bzw. Angebot und Nutzung ausgewählter Angebote für die frühe Kindheit und der Frühen Hilfen (Prozentwerte; N max = 6453); Balken jeweils von links nach rechts: niedrige Bildung; mittlere Bildung; hohe Bildung (nach ISCED)

Tab. 3 Angebots- und Nutzungsraten von aufsuchenden Frühen Hilfen (Kinder 0–35 Monate) nach Bildungsgrad der Befragungsperson (vermutete Hauptbezugsperson)

Tab. 3 zeigt, dass es bei den aufsuchenden Angeboten der Frühen Hilfen keinen Nutzungsvorsprung durch höher gebildete Eltern gibt. So scheint der Willkommensbesuch allen Eltern mit ähnlich großer Wahrscheinlichkeit angeboten und auch ähnlich häufig genutzt zu werden. Bei den ehrenamtlichen Hilfen und der Familienhebamme zeigt sich ein gegenteiliges Bild. Die Angebots- und Nutzungswahrscheinlichkeit liegt bei Befragungspersonen mit niedriger Bildung höher. Allerdings ist der Effekt nicht so deutlich wie bei den zum Vergleich beigefügten angebotenen Maßnahmen des Jugendamts. Die Werte in Tab. 3 sind nicht abhängig von der Altersgruppe der Kinder, sodass sie als repräsentativ für die gesamte Altersgruppe 0–3 Jahre angesehen werden können.

Regressionsmodelle

Die in Tab. 4 gezeigten Modelle erfüllen alle wesentlichen diagnostischen Kriterien, können jedoch mit den auf Elternebene vorliegenden unabhängigen Variablen nur einen relativ kleinen Teil der individuellen Variabilität aufklären. Dennoch zeigen sie klare Differenzierungen zwischen Elterngruppen, die wir in den folgenden Erläuterungen durch sogenannte „predictive margins“ (d. h. durchschnittliche prognostizierte Prozentwerte) etwas anschaulicher machen wollen.

Tab. 4 Logistische Regressionsmodelle zu Kenntnis, Angebot und Inanspruchnahme

Sehr gute Kenntnis der Angebotslandschaft wird von immerhin 40 % der Befragungspersonen berichtet. Es zeigt sich, dass Eltern älterer Kinder im Schnitt besser informiert sind als Eltern jüngerer Kinder. Ferner zeigen sich deutliche positive Effekte des Alters und des Bildungsgrades der Mütter (um die Faktoren 2 und 2,5 höher). In Prozentwerten ausgedrückt bedeutet dies, dass nur ca. 32 % der jüngeren Mütter (bis 25) gut informiert sind, aber bereits 48 % der älteren Mütter (36+). Ebenfalls sind knapp 49 % der höher gebildeten Mütter sehr gut informiert. In Kombination sind ältere und höher gebildete Mütter am häufigsten sehr gut informiert (ca. 57 %). Im Gegensatz dazu scheinen mütterlicher Migrationshintergrund, Gefahr sozialer Isolation und ein hoher psychosozialer Belastungsgrad der Familie die Wahrscheinlichkeit von sehr guter Kenntnis zu verringern (Faktoren von unter 1). So sind 46 % der deutschen und keiner Isolationsgefahr unterliegenden Mütter gut informiert, aber nur 22 % der potenziell sozial isolierten Mütter mit Migrationshintergrund. Die hoch belasteten Familien scheinen tendenziell benachteiligt zu sein. Im Schnitt sind nur 33 % in dieser Gruppe sehr gut informiert, im Gegensatz zu 42 % der unbelasteten Befragungspersonen. Hoch belastete Mütter mit Migrationshintergrund sind besonders selten sehr gut informiert (21 %).

Das Angebot einer Familienhebamme lässt sich mit den vorliegenden Variablen deutlich schlechter empirisch erklären. Es scheint so zu sein, dass das Angebot im Durchschnitt vor allem mit zwei Faktoren in Zusammenhang steht: Alter der Mutter und bereits angebotene Jugendamtsmaßnahme. Im Schnitt wurde 36 % der jüngeren Mütter eine Familienhebamme angeboten, aber nur 27 % der älteren Mütter. Etwa 49 % der Familien, in denen bereits Jugendamtsmaßnahmen angeboten wurden, bekamen das Angebot einer Familienhebamme, im Gegensatz zu nur 28 % der anderen Familien. Bei jungen Müttern mit Jugendamtsmaßnahmen ist es sogar die Mehrheit (56 %). Die negativen Ergebnisse in diesem Zusammenhang sind ebenfalls erwähnenswert. So zeigt sich hier kein klarer Zusammenhang mehr mit Bildung und psychosozialer Belastung (nach Einschluss von Alter der Mutter und Jugendamtsmaßnahme). Auch bei Ersetzung des Belastungsindexes durch einzelne Indikatoren zeigten sich keine klaren Befunde (z. B. nicht für Alleinerziehende oder Eltern mit Depressionsrisiko). Allerdings berichten Familien mit hohen Werten auf dem Risikoindex das Angebot einer Familienhebamme besonders selten.

Das Modell zur Annahme von Familienhebammen ähnelt dem Angebotsmodell in seinen Einschränkungen, unterscheidet sich aber stark in seinen Aussagen. Die hoch belasteten Familien scheinen durchaus eher bereit zu sein, Hilfe auch anzunehmen, wenn sie denn angeboten wird. Der Effekt ist besonders stark bei Migrantinnen: 59 % nehmen eine angebotene Familienhebamme auch an. Bei deutschen hoch belasteten Familien liegt dieser Wert knapp 10 Prozentpunkte darunter. Im Gegensatz dazu nehmen unbelastete deutsche Familien ein Angebot nur zu 39 % an. Eine bereits bestehende Jugendamtsmaßnahme steht ebenfalls in einem stark positiven Zusammenhang mit der Annahmewahrscheinlichkeit.

Diskussion

Generelle Kenntnis und Nutzung von Angeboten

Bei der Gegenüberstellung der Häufigkeiten von Kenntnis und Nutzung der verschiedenen Angebote fallen zum Teil große Unterschiede auf. Es gibt sehr bekannte Angebote, die auch häufig genutzt werden (z. B. Geburtsvorbereitungskurse), aber auch solche, die kaum bekannt sind, möglicherweise, weil sie nicht in allen Kommunen angeboten werden (z. B. Besuche durch Ehrenamtliche). Des Weiteren gibt es eine Reihe von Angeboten, die durchaus bekannt sind, aber kaum genutzt werden. Dies ist insbesondere bei eher universellen Angeboten der Fall, die in der Regel von den Familien eigeninitiativ aufgesucht werden (z. B. Familien- oder Erziehungsberatungsstellen oder Elternkurse). Bei aufsuchenden Angeboten zu Frühen Hilfen (z. B. Familienhebammen oder Besuche von Ehrenamtlichen) ist das Verhältnis von Angebot und Nutzung hingegen deutlich besser, so nimmt beispielsweise mehr als die Hälfte der Familien einen angebotenen Willkommensbesuch auch an. Hier geht die Initiative vom Anbietenden aus, und die Familien brauchen den Besuch lediglich noch zuzulassen bzw. nicht aktiv abzulehnen.

Abhängigkeit vom Bildungsgrad

Einen wichtigen Einfluss hinsichtlich Kenntnis und Inanspruchnahme hat offensichtlich die Bildung der Eltern. Die Aufteilung in niedrige, mittlere und hohe Bildung zeigt ausnahmslos bei allen universellen Angeboten eine bessere Bekanntheit bei mittel und hoch im Unterschied zu niedrig gebildeten Eltern. Dabei weist das Angebot der Schwangerschaftsberatung das geringste „Gefälle“ bei den Kenntnisraten auf, es handelt sich also um eine Angebotsform, der es gelungen ist, auch bei gering Gebildeten Bekanntheit zu erlangen. Ein Grund dafür dürfte sicherlich die Möglichkeit sein, dass über die Schwangerschaftsberatungsstellen Mittel der Bundesstiftung Mutter und Kind beantragt werden können. Insofern stellen Schwangerschaftsberatungsstellen sehr gute Türöffner für (weitere) Angebote der Frühen Hilfen bereits in der Schwangerschaft dar.

Ein ähnlich geringes Gefälle hinsichtlich des Bildungsgrades findet sich auch bei der Kenntnis von Geburtsvorbereitungskursen und allgemeiner Hebammenhilfe. Betrachtet man jedoch die Nutzungsraten der beiden Angebote, wird auch hier ein deutlicher sozialer Gradient sichtbar: nur 67,3 % der Mütter mit niedrigem Bildungsgrad nutzen Hebammenhilfe gegenüber 93,4 % der hoch gebildeten Mütter. Noch deutlicher fällt der Unterschied bei den Geburtsvorbereitungskursen aus: 27,2 % niedrig gebildete Mütter versus 72,8 % hoch gebildete Mütter nutzen dieses Angebot. Dies hängt sicherlich mit der Tatsache zusammen, dass Frauen sich diese beiden Formen der Unterstützung eigenaktiv organisieren müssen und sie ihnen nicht routinemäßig angeboten wird. Vergleichbar fallen auch die Ergebnisse zu speziellen Beratungsangeboten (z. B. zu Regulationsproblemen der Säuglingszeit) aus, welche eine größere Eigeninitiative der Eltern erfordern. Hier beträgt die Differenz in der Kenntnis zwischen der niedrigen und der hohen Bildungsgruppe 36 %.

Die Kategorie Bildung wird in der vorliegenden Studie als Näherungsindikator für Belastung verwendet, um in pragmatischer Weise eine Gruppierungsvariable zu erhalten, die als erste Annäherung stellvertretend für Familien mit niedriger, mittlerer und hoher Belastung fungieren kann. Voranalysen am hier verwendeten Datensatz haben die Plausibilität dieses Ansatzes belegt, da eine deutliche Mehrheit der verwendeten Belastungsfaktoren mit Bildung stark zusammenhängt [7]. Selbstverständlich können mit Bildung nicht alle Belastungskonstellationen aufgeklärt werden, aber sehr viele. Dabei darf die Bildung nicht als ursächlich für eine Belastung angesehen werden, sondern vielmehr im Sinne eines näherungsweisen Indikators für die Lebenslage der Familie (beispielsweise in Bezug auf finanzielle Ausstattung, Wohnungsgröße, nachbarschaftliches Milieu, Kontexte von Gewalt etc.).

Familienhebammen

Die Daten zeigen, dass zumindest zwei der drei hier untersuchten aufsuchenden Angebote der Frühen Hilfen (Ehrenamtsbesuche und Familienhebammen) prozentual am häufigsten den niedrig gebildeten und am wenigsten häufig den hoch gebildeten Familien angeboten werden. Auch die tatsächliche Nutzung dieser beiden Angebotsformen durch die Familien ist bei der am geringsten gebildeten Gruppe am höchsten. Somit scheint die Zuordnung der Angebote der Frühen Hilfen auf einem guten Weg zu sein.

Allerdings sind die zahlenmäßigen Unterschiede in der Angebotsunterbreitung zwischen den Gruppen (z. B. Familienhebammen 34,0 % vs. 30,1 % vs. 26,2 %) zwar signifikant, aber nicht sehr groß, sodass sich die Frage nach einer Verbesserung der Zielgenauigkeit dieser Angebote stellen könnte. Selbstverständlich sind Frühe Hilfen auch für Personen höherer Bildung sinnvoll, da eben nicht alle Belastungsfaktoren (beispielsweise elterliche Unsicherheit oder innere Wut) mit Bildung zusammenhängen, allerdings wären etwas andere Proportionen eher zu erwarten. Auch bei Berücksichtigung des Effektes, dass es sich bei den vorliegenden um bundesweite Daten handelt, in welche also Kommunen mit einem hohen Anteil an belasteten Familien ebenso wie Kommunen mit einem niedrigen Anteil eingegangen sind, scheint der zu beobachtende Befund immer noch deutlich zu sein. Allerdings muss dieses etwas unerwartete Ergebnisses vorsichtig interpretiert und beachtet werden, dass es sich bei der vorliegenden Studie um subjektive Elternauskünfte handelt, bei denen es sich nicht mit Gewissheit sagen lässt, ob die Befragten die im Fragebogen angebotene Differenzierung zwischen „Hebamme in der Nachsorge“ und „Familienhebamme“ immer korrekt vornehmen konnten, insbesondere, wenn die Inanspruchnahme der Angebote möglicherweise schon Monate bis Jahre zurücklag.

Regressionsmodelle

Die Regressionsmodelle zeigen eine Reihe von Einflussfaktoren der Belastungsmerkmale auf die Kenntnis von universellen Angeboten ebenso wie auf Angebot und Inanspruchnahme einer Familienhebamme. Die wichtigsten Einflussfaktoren für eine sehr gute Kenntnis von allgemeinen Unterstützungsmöglichkeiten sind der Bildungsgrad sowie das Alter der Mutter (je höher bzw. älter, desto größer). Für das Angebot Familienhebamme sind wichtige Prädiktoren, ob der Familie bereits eine Maßnahme vom Jugendamt angeboten wurde sowie ebenfalls das Alter der Mutter (hier je geringer, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines Angebots); für die Inanspruchnahme einer Familienhebamme sind dies wiederum das Jugendamtsangebot sowie ein Migrationshintergrund der Mutter. Auf der anderen Seite verringert ein Migrationshintergrund die Kenntnis von Unterstützungsangeboten, ebenso ein erhöhtes Risiko sozialer Isolation. Ähnlich verhält es sich mit dem Alter der Mütter: Die jüngste Gruppe hat die geringsten Kenntnisse über Unterstützungsangebote, bekommt aber auch mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Familienhebamme angeboten.

Des Weiteren lässt sich feststellen, dass sich nur die am höchsten belasteten signifikant von den unbelasteten Familien unterscheiden (hinsichtlich geringerer allgemeiner Kenntnis und höherer Inanspruchnahme). Dies geht in eine ähnliche Richtung wie die berichtete Angebotsunterbreitung nach Bildungsgruppen, zeigt aber ebenso die Schwierigkeiten bei der passgenauen Zuordnung der Angebote auf.

Ein weiterer auffälliger Punkt bei den Regressionsmodellen betrifft das Vorhandensein eines Angebotes aus dem Jugendamt. Der hohe Zusammenhang mit Angebot und Inanspruchnahme einer Familienhebamme ist auffällig, wobei es allerdings so ist, dass von den 360 Familien, die ein Angebot vom Jugendamt bekommen haben, 193 Familien angaben, ebenfalls das Angebot einer Familienhebamme bekommen zu haben. Dabei kann sicherlich davon ausgegangen werden, dass das Jugendamtsangebot bei einem Teil dieser Familien aus eben dieser Familienhebamme bestand, wodurch dann ja die zu begrüßende Situation der Vermittlung einer sinnvollen Hilfsmaßnahme unter gemeinsamer Betreuung von Jugendamt und Frühe-Hilfen-Träger vorliegen würde.

Darüber hinaus kann bei dieser etwas ungenauen Fragestellung auch nicht zweifelsfrei interpretiert werden, was die ausfüllenden Familien im Einzelfall unter „Jugendamt“ verstanden haben.

Einschränkungen

Die Analysen lassen die Ebene der kommunalen Angebotsstruktur noch außer Acht. Obgleich es im Datensatz wenige Hinweise auf Effekte dieser Ebene gibt, ist es vorstellbar, dass solche Effekte existieren und in weiteren Analysen beachtet werden sollten. Die Intraklassenkorrelationskoeffizienten auf der Ebene der Praxen waren gering, was als Hinweis auf mangelnde Erklärbarkeit gedeutet werden kann. Allerdings sind Praxis- und Kommunalebene nicht identisch, und die möglichen Effekte müssen empirisch getestet werden. Entsprechende Daten aus den NZFH-Kommunalbefragungen lagen zum Zeitpunkt der hier präsentierten Analysen jedoch noch nicht vor.

Des Weiteren ließ die Natur der Befragung (Selbstausfüller) keine Verifikation der Antworten zu; es blieb also den Befragungspersonen überlassen, zu entscheiden, was genau sie z. B. unter einer Familienhebamme verstehen (siehe oben). Die Analyse beruht vollständig auf einmalig erhobenen querschnittlichen Daten ohne Möglichkeit der Differenzierung zeitlicher Abfolgen. Ferner wurden gewisse plausible, aber einfache Annahmen zu fehlenden Werten getroffen, wobei für eine vollständige Evaluation der Auswirkung von fehlenden Werten die „Multiple Imputation“ angewendet werden sollte.

Fazit

Die Ergebnisse geben einen Überblick über Kenntnis bzw. Angebot und Nutzung diverser aktuell angebotener Maßnahmen für die frühe Kindheit sowie der Frühen Hilfen, absolut und aufgeteilt nach Indikatoren psychosozialer Belastung. Es zeigen sich teils deutliche Unterschiede hinsichtlich Kenntnis, Nutzung und Reichweite zwischen den Angeboten, aber auch bezogen auf einzelne Angebote (z. B. Auseinanderklaffen von Kenntnis und Nutzung). Durch das Vorliegen bundesweiter repräsentativer Daten entsteht eine besondere Relevanz für die Angebotsplanung und -steuerung in der Praxis, insbesondere hinsichtlich bestimmter Angebote, z. B. der Familienhebammen. Am Beispiel dieser lassen sich Schwierigkeiten in der passgenauen Zuordnung zu bestimmten Gruppen von Familien thematisieren – also die Zuordnung einer bestimmten Hilfe zu Familien mit spezifischen Merkmalen; etwa Familienhebammen gezielt zu Familien mit geringer Bildung, was, wie oben dargestellt, sicherlich zu kurz greifen würde und nicht zielführend wäre.