Bedeutungszuwachs rechtlich relevanter Einwilligungs- und Entscheidungssituationen

Gegenstand dieses Beitrags sind die Probleme von Einwilligungs- und Entscheidungssituationen bei fehlender oder zweifelhafter Einwilligungsfähigkeit der jeweils betroffenen Personen. Dabei geht es hinsichtlich der normativen Zwecksetzung um die Voraussetzungen und Grenzen rechtlicher Teilhabe als Ausschnitt und Basis gesellschaftlicher Teilhabe. Hinsichtlich der betroffenen Sozialbereiche geht es insofern insbesondere um Kontexte der Medizin und Gesundheitsversorgung, Pflege und Behinderung.

Das traditionsreiche rechtliche Konzept der Einwilligungsfähigkeit hat in jüngerer Zeit auf zahlreichen Problemfeldern unübersehbar an Bedeutung gewonnen. Die empirischen und normativen Gründe für diesen Bedeutungszuwachs sind vielfältig, aber doch im Kern identifizierbar: Auf empirischer Ebene geht es, auch vor dem Hintergrund medizinischer Entwicklungsdynamik, nicht zuletzt um veränderte Wahrnehmungen von Reifeprozessen und Adoleszenz, um demografische Entwicklungen, Zusammenhänge von Altersentwicklung und Demenz und schließlich um Probleme von Behinderung und Betreuung. Auf normativer Ebene liegt einschlägigen Rechtsentwicklungen insbesondere der kontinuierliche gesellschaftliche und insbesondere gesundheitsbezogene Bedeutungszuwachs von Autonomiekonzepten und Selbstbestimmungspostulaten zugrunde. Damit ist zugleich die allfällige und schwierige Gratwanderung zwischen Autonomie und Fürsorge betroffen, die auch in politischen Entscheidungsprozessen und rechtlichen Konflikten in jüngerer und jüngster Zeit zunehmend im Mittelpunkt steht. Dies betrifft das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung mit der Gefahr der Selbstschädigung einerseits und der Fürsorge für Betroffene mit der Gefahr der Fremdbestimmung andererseits [1]. Mit Blick auf die hier verfolgte Problemstellung geht es vor diesem Hintergrund insbesondere um rechtlich relevante Einwilligungs- und Entscheidungssituationen vulnerabler Personen [2].

Mit Blick auf das Themenfeld gesellschaftlicher Teilhabe geht es hier um den für eine derartige Teilhabe spezifischen, aber vielfach entscheidenden Ausschnitt in Form rechtlicher Teilhabe bei der Gestaltung rechtlich relevanter Lebenssituationen. Betroffene Personen sind insbesondere Patienten, Probanden, Pflegebedürftige, Demente und Menschen mit Behinderungen. Als Normgeber kommen sowohl die Rechtssprechung als auch der Gesetzgeber in Betracht. Gesetzliche Regelungen unterstreichen die Aktualität und Bedeutung der Themenstellung durch einschlägige Sondernormen wie etwa zum medizinischen Behandlungsvertrag (§ 630e Abs. 5 BGB), zur Transplantationsmedizin (§ 2 Abs. 2 Satz 3, § 8 Abs. 1 Nr. 1a, § 8a TPG), zur (Arzneimittel-)Forschung (§ 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG), zur Gendiagnostik (§ 14 GenDG) und schließlich zur Inkraftsetzung der Behindertenrechtskonvention am 1.1.2009.

Den nachfolgenden Ausführungen sind zwei Vorbemerkungen vorauszuschicken: Zunächst ist zu betonen, dass die spezifischen rechtlichen Probleme von Behinderung und Teilhabe ohne die Berücksichtigung der allgemeinen rechtlichen Normen und Regeln zu Einwilligungs- und Entscheidungsfähigkeit unverständlich bleiben. Es sind die Letzteren daher auch hier in die Betrachtung einzubeziehen. Zum anderen wird nur sicherheitshalber auf die begriffliche und inhaltliche Spiegelbildlichkeit von Einwilligungsfähigkeit und Einwilligungsunfähigkeit hingewiesen, wonach notwendigerweise das eine nicht ohne das andere erörtert werden kann.

Vor diesem Hintergrund wird sich dieser Text in folgender Weise mit der Problematik befassen: Es wird zunächst ein Überblick über rechtlich relevante „Fähigkeiten“ gegeben, um dann die Einwilligungs(un)fähigkeit als normativ komplexes und praktisch bedeutsames Rechtskonzept zu erörtern (Einwilligungsfähigkeit als Rechtskonzept). Dabei geht es insbesondere um die normative Kriterienbildung zwischen Einzelfallorientierung und der Orientierung an Altersgrenzen, um die Situationsspezifik der Bewertung der Fähigkeit betroffener Personen und um die verfassungsgerichtlich thematisierte und gesetzlich normierte Einbeziehung auch Einwilligungsunfähiger in Entscheidungsprozesse. Dabei geht es auch um die immer nachdrücklicher gestellte Frage nach der empirischen Wissensbasis als Grundlage einer Feststellung von Einwilligungs(un)fähigkeit und damit zusammenhängend um das Problem der professionsspezifischen Kompetenz als Zuständigkeit für die Feststellung vorhandener oder fehlender Einwilligungsfähigkeit. Im abschließenden Abschnitt (Unterstützte Entscheidungsfähigkeit und Teilhabe) geht es um jüngst sowohl aus medizinethischer als auch rechtlicher Sicht zunehmend betonte Konzepte der „Ermöglichung von Selbstbestimmung“, „assistierter Selbstbestimmung“ [3, S. 46, 50] oder „assistierter Freiheit“ [4]. Ging es herkömmlich überwiegend um die Feststellung von Einwilligungsfähigkeit, so nunmehr gewissermaßen auch um die „Herstellung“ dieser Fähigkeit. Aus rechtlicher Sicht ist insofern nicht zuletzt das Recht der Betreuung von Bedeutung, insbesondere aber die durch die UN-Behindertenrechtskonvention bestimmte neue Rechtslage. Dazu gehört nunmehr für Menschen mit Behinderung auch die „Unterstützung bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit“ (Art. 12 Abs. 3 BRK). Dementsprechend geht es in diesem Abschnitt um das neu zu bestimmende Verhältnis von Autonomie und Fürsorge sowie das Recht von Behinderung und Betreuung. Abschließend ist es schließlich unabweislich, auf das allgegenwärtige Spannungsverhältnis zwischen normativer Rechtslage und empirischen Befunden, den Problemen der Realisierung von Normativität, hinzuweisen. Dazu gehören im hier interessierenden Problembereich von Behinderung, Teilhabe und Inklusion auch allfällige Fragen nach gesellschaftlichen und rechtlichen Entscheidungen hinsichtlich vielfach kontroverser Ressourcenabhängigkeit von Teilhaberechten.

Einwilligungsfähigkeit als Rechtskonzept

Rechtlich relevante Fähigkeiten

Rechtssysteme normieren die Voraussetzungen für die rechtliche Wirksamkeit und Anerkennung einer Willensäußerung. In diesem Zusammenhang geht es nicht zuletzt um einen Katalog von „Fähigkeiten“ und spiegelbildlichen Fähigkeitsbegrenzungen, die die Rechtsstellung des Einzelnen in grundsätzlicher Weise bestimmen. Zu diesem Normenkatalog gehören mit der Basisgröße der Rechtsfähigkeit im Zentrum die Geschäftsfähigkeit, Deliktsfähigkeit, Prozessfähigkeit und schließlich auch die hier besonders interessierende Einwilligungsfähigkeit als Variante der rechtlichen Handlungsfähigkeit.

Mit Blick auf diesen Fähigkeitskatalog ist im hier interessierenden Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Einwilligungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit von besonderer Bedeutung. Dieses Verhältnis wird von den Gerichten und rechtlichen Lehrmeinungen zwar nicht durchgängig einheitlich, sondern teilweise durchaus kontrovers beurteilt [5, S. 776 Fn. 9], und die Rechtsprechung weist mitunter uneinheitliche Begründungslinien auf [6, S. 66]. Es wird aber in jüngerer Zeit überwiegend von einer Verselbstständigung der Einwilligungsfähigkeit gegenüber der Geschäftsfähigkeit ausgegangen [5, S. 776 Fn. 8]. Dieser „Abkoppelung der Einwilligungsfähigkeit von der Geschäftsfähigkeit“ [7, S. 117] liegt die Überlegung zugrunde, dass die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung nicht als rechtsgeschäftliche Willenserklärung im Sinne des bürgerlichen Rechts angesehen werden könne, auf die die rechtlichen Regeln zur Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff BGB) anzuwenden wären. Während bei der Geschäftsfähigkeit jedenfalls leitbildhaft markt- und vermögensbezogene Entscheidungen betroffen sind, geht es bei der Einwilligung um höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, Körper, Gesundheit, Persönlichkeit). Diese Qualifizierung der Einwilligung, statt als das Eingehen einer rechtsgeschäftlichen Bindung, als „Disposition über ein höchstpersönliches Rechtsgut“ [8, S. 127], als Erlaubnis, in eigene Rechte oder Rechtsgüter, nicht zuletzt in die körperliche Integrität einzugreifenFootnote 1, ist zu einem zentralen Begründungskriterium für eine jedenfalls grundsätzliche Eigenständigkeit der Einwilligungsfähigkeit gegenüber der Geschäftsfähigkeit geworden. Die Frage, ob ungeachtet dessen für Einzelfragen bestimmte Normen zur Geschäftsfähigkeit auch hier herangezogen werden sollten, wird teilweise unterschiedlich beurteilt, aber hier nicht weiter verfolgt.

Normative Kriterienbildung

Einzelfall und Altersgrenzen

Hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung von Einwilligungsfähigkeit sind insbesondere drei Fragen von Bedeutung. Zunächst geht es darum, nach welchen inhaltlichen Kriterien im Einzelfall darüber zu entscheiden ist, ob Einwilligungsfähigkeit vorliegt oder fehlt. Sodann stellt sich die Frage, auf welcher empirischen Wissensbasis eine solche Feststellung zu treffen ist. Und schließlich stellt sich das damit zusammenhängende Problem, welchen Personen, Professionen oder Institutionen die Entscheidungskompetenz für diese Feststellung zusteht.

Was den zentralen Aspekt inhaltlicher Normkriterien betrifft, so geht es im Ausgangspunkt insbesondere um die Frage, ob jeweils strikt und ausschließlich auf den Einzelfall bezogen die tatsächlichen Fähigkeiten einer konkreten Person in einer konkreten Situation entscheidend sein sollen oder ob ergänzend oder ausschließlich bestimmte Altersgrenzen relevant sein sollen. Die Auffassungen hierzu gehen teilweise weit auseinander, wie dies im Übrigen auch im Ausland der Fall ist [11, S. A 55]. Im Ausgangspunkt hat sich das deutsche Recht seit langem überwiegend an der ersten Kriterienvariante orientiert. Seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1958 wird häufig auf eine in diesem Urteil zu findende formelhafte Umschreibung von Einwilligungsfähigkeit Bezug genommen. Danach ist darauf abzustellen, ob der Betroffene (im zu entscheidenden Fall ein Minderjähriger) „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“ [12]. In der juristischen Literatur wird auf „vier weithin unstreitige Kriterien“ der Einwilligungsfähigkeit verwiesen: Verständnis der Erkrankung, Vorausschau möglicher Folgen, Wertung und Abwägung der Vorteile und Risiken sowie die Steuerungsfähigkeit [7, S. 150]. In interdisziplinär medizinisch-juristischen Stellungnahmen zu Autonomie und Selbstbestimmung bei Demenz werden als „Elemente“ oder „Assessmentinstrumente zur Feststellung der Einwilligungsfähigkeit von Menschen mit Demenz“ ganz entsprechend folgende Kriterien herausgestellt: Informationsverständnis, Urteilsvermögen, Entscheidungsfähigkeit, Krankheits- und Behandlungseinsicht [13, S. 6, 8, 10]. Eine gesetzliche Anlehnung an diese Formel findet sich nunmehr für einen Bereich der modernen Biomedizin in der Definition einer nicht einwilligungsfähigen Person als einer Person, „die nicht in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der genetischen Untersuchung zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten“ (§ 14 GenDG). Es werden so die Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit zu Basiskriterien von Einwilligungsfähigkeit und demgemäß von Entscheidungsfähigkeit.

Allerdings gewährleisten formelhafte Rechtsgrundsätze offenkundig noch keine Entscheidungssicherheit für den Einzelfall. Daher wird unter dem Blickwinkel von Entscheidungsgewissheit und Rechtssicherheit teilweise auch für die Heranziehung bestimmter Altersgrenzen plädiert. So wird etwa für die Bejahung der Einwilligungsfähigkeit eine Regel mit Ausnahmevorbehalt ab dem 14. Lebensjahr vorgeschlagen. Ein solches Normkonzept einer Regelvermutung findet sich in Österreich seit einer Gesetzesnovelle von 2001 im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch als zentraler Privatrechtskodifikation. Danach gilt gemäß § 146c Abs. 1 ABGB: „Einwilligungen in medizinische Behandlungen kann das einsichts- und urteilsfähige Kind nur selbst erteilen; im Zweifel wird das Vorliegen dieser Einsichts- und Urteilsfähigkeit beim mündigenFootnote 2 Minderjährigen vermutet“. Diese widerlegbare Vermutung bewirkt eine gewisse Rechtssicherheit, ohne die situationsspezifischen Gegebenheiten im Einzelfall aus dem Auge zu verlieren. Auch für das deutsche Medizinrecht ist ein solches Regelungskonzept als hilfreich bezeichnet worden.Footnote 3

Schließlich gibt es auch im deutschen Recht für verschiedene Rechtsgebiete und Regelungsbereiche zahlreiche gesetzliche Bestimmungen, die im Interesse von Rechtssicherheit auf feste Altersgrenzen abzielen. Hierauf kann im Rahmen dieser Abhandlung nur hingewiesen werden.Footnote 4 Da zahlreiche gesetzliche Regelungen eine feste Altersgrenze ab Vollendung des 16. Lebensjahres, teilweise auch schon unter dieser Altersstufe vorsehen, wird mit gewichtigen Gründen die Auffassung vertreten, es sei jedenfalls „eine hinreichende Induktionsbasis gegeben, um von einer grundsätzlichen Einwilligungsbefugnis ab Vollendung des 16. Lebensjahres ausgehen zu können“ [10, S. 129]. Nach dieser Auffassung sollen die Konsequenzen einer ausschließlichen und generellen Orientierung an der Einsichtsfähigkeit des Kindes vermieden werden, die „nicht nur für die involvierten Ärzte eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge (hätte), sondern vor allem auch für die Eltern, die in der Übergangsphase zum Erwachsenwerden jeweils auf eine medizinische Vorklärung über die Verstandesreife ihres Kindes angewiesen wären“ [10, S. 128 f.]. Allerdings ist damit die Frage nach der Reichweite einer „prinzipiellen Alleinzuständigkeit mit 16 Jahren“ noch nicht abschließend entschieden. Vielmehr wird auch von einer solchen grundsätzlichen Ausgangsorientierung als „genereller Grundsatz“ postuliert, „dass bei besonders riskanten Eingriffsformen – namentlich bei Außenseitermethoden – eine kumulative Einwilligung geboten ist“.Footnote 5

Abschließend sei festgehalten, dass es hinsichtlich der Bedeutung von Altersgrenzen mehrere abgestufte Positionen gibt: von der strikten Orientierung an festen Altersgrenzen über eine allerdings widerlegliche Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab einem bestimmten Alter beziehungsweise einer Orientierung an einem bestimmten „Altersstandard“ (etwa eines 14-Jährigen) bis zum wohl nach wie vor überwiegenden Abstellen auf die tatsächlichen Fähigkeiten einer konkreten Person in einer konkreten Situation. Allerdings sei, um Missverständnisse zu vermeiden, betont, dass auch für die letztgenannte Position das Alter einer betroffenen Person selbstverständlich relevant ist, wenn auch nicht im Sinne einer strikten Kriterienvorgabe, sondern als eines der Merkmale, die über das Vorliegen oder Fehlen von Einwilligungsfähigkeit im Rahmen der Einzelfallprüfung entscheiden. Dazu ist eine begriffliche und empirische Bearbeitung der generalklauselförmigen Grundregel erforderlich, bei der es letztlich um eine Operationalisierung des rechtlichen Konstrukts der Einwilligungsfähigkeit geht. Und hierfür wird, soweit es um einen Heileingriff geht, auf die bereits angesprochenen vier Kriterien verwiesen: Verständnis der Erkrankung, Vorausschau möglicher Folgen, Wertung der Vorteile und Risiken sowie die Steuerungsfähigkeit [7, S. 150].

Situationsbezogene Einwilligungsfähigkeit

Es gilt als wichtige normative Regel, dass es bei diesem Verständnis von Einwilligungsfähigkeit immer nur um die „situative Einwilligungsfähigkeit“ [13, S. 10] gehen kann. Danach ist der Kontext des jeweiligen Eingriffs und damit eine ganz konkrete Entscheidungssituation [7, S. 117; 15, S. 79] bestimmend. Es geht, was nicht durchgängig beachtet wird, bei genauer Betrachtung nicht generalisierend um die situationsübergreifende Einwilligungsfähigkeit von Personen oder gar Populationen, nicht um eine unveränderlich gegebene Eigenschaft bestimmter Personen. Aus diesem Grund sind daher Minderjährigkeit, psychische Erkrankung oder geistige Behinderung nicht bereits hinreichende Bedingungen für die Feststellung fehlender Einwilligungsfähigkeit in einer konkreten Behandlungssituation. Es ist betont worden, „dass es weniger die kognitiven Fähigkeiten eines Betroffenen sind, die über die ‚Einwilligungsfähigkeit’ entscheiden, als eher die situativen Umstände, die aus dem Entscheidungskonflikt folgen. Statt von der ‚Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen’ müsste man daher im Grunde von ‚Entscheidungsumständen, die den Fähigkeiten des Patienten entsprechen’ sprechen“.Footnote 6 So gibt es auch aus rechtlicher Sicht „keine generelle Einwilligungsfähigkeit oder Einwilligungsunfähigkeit“, eine Aussage, die um den Zusatz ergänzt wird: „sieht man einmal von Fällen des völligen Ausfalls bzw. des Fehlens jeder Einsichtsfähigkeit (der Betroffene befindet sich im sog. Wachkoma) ab“ [9, S. 385]. Auch für das deutsche Recht ist es von Bedeutung, dass der Grundsatz, wonach Einwilligungsfähigkeit nicht abstrakt und generalisierend angenommen werden kann, auch in rechtsvergleichender Perspektive Anerkennung findet. So ist etwa im schweizerischen Recht der „Grundsatz der Relativität“ von zentraler Bedeutung [16, S. 146 ff.]. Und im schweizerischen medizinethischen Diskurs ist gerade in jüngster Zeit diese Relativität weiter ausdifferenziert worden. Es wird dabei zwischen „situationaler“ und „zeitlicher Relativität“ sowie „Risikorelativität“ unterschieden [17]. Aus den genannten Grundsätzen ergeben sich potenzielle Autonomiegewinne zugunsten betroffener Personen, allerdings auch dem Einzelfall- und Situationsbezug geschuldete Beurteilungsprobleme.

Einbeziehung bei Einwilligungsunfähigkeit

Erhebliche Bedeutung kommt einer Normentwicklung der jüngeren Zeit zu, die noch nicht durchgängig die angemessene Beachtung findet. Dieser Hinweis zielt auf die Einbeziehung auch Einwilligungsunfähiger in den Entscheidungsprozess. Dabei geht es um die Partizipation einschlägig betroffener Personen in Form von Aufklärungs-, Anhörungs- und Mitspracherechten. Insofern ist eine deutliche normative Ausweitung der Einbeziehung von Patienten im Gange, die ausdrücklich auch für nichteinwilligungsfähige Personen gilt, wie aus rechtlicher und medizinischer Perspektive unterstrichen wird. Es sind danach „Einwilligungsfähigkeit und Aufklärung keineswegs in der Weise verknüpft, dass der nicht einwilligungsfähige Betroffene nicht aufgeklärt werden müsste – ganz im Gegenteil hat richtigerweise auch derjenige in personalen Angelegenheiten ein Recht auf Aufklärung, der nicht (allein) entscheiden kann“ [11, S. 59 f.]. Ähnlich wird aus medizinischer und speziell aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht nachdrücklich betont: „Partizipation und Einwilligungsfähigkeit sind keine sich ausschließenden Konstrukte, vielmehr besteht auch ohne Einwilligungsfähigkeit ein Recht auf Information“ [18, S. 68].

Die Problematik betrifft keineswegs nur Minderjährige, sondern auch ältere Menschen und insbesondere die Bereiche von Behinderung, psychischer Erkrankungen und Demenz. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit einer Zwangsbehandlung wichtige Grundsätze formuliert. Danach muss, „soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Untergebrachte einwilligungsfähig ist oder nicht“. Es ist daher „auch beim Einwilligungsunfähigen die ärztliche Aufklärung über die beabsichtigte Maßnahme nicht von vornherein entbehrlich“, und dies „unabhängig von der Frage, ob durch die Aufklärung eine wirksame Einwilligung zu erlangen ist. Eine den Verständnismöglichkeiten des Betroffenen entsprechende Information erübrigt sich daher nicht“. Die Entscheidung enthält in diesem Zusammenhang das bemerkenswerte Postulat einer „aufklärenden Zustimmungswerbung“ [19, S. 2116].

Auch der Gesetzgeber hat sich dieser wichtigen Rechtsentwicklung einer Entkoppelung von Einwilligungsfähigkeit und Einbeziehung in mehreren Normbereichen angeschlossen. So hat das Patientenrechtegesetz noch sehr spät auf die soeben angesprochene verfassungsgerichtliche Entscheidung reagiert und in einem neuen § 630e Abs. 5 BGB für nicht einwilligungsfähige Menschen eine Einbeziehungsregel aufgestellt, und dies unabhängig vom Lebensalter. Danach sind auch dem nicht einwilligungsfähigen Patienten die wesentlichen Umstände der vorgesehenen Maßnahme „zu erläutern, soweit dieser aufgrund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen“. Die dem Gesetzbuch eingefügte Vorschrift statuiert so eine Rechtspflicht des Behandelnden zur informationellen Einbeziehung des Einwilligungsunfähigen, geht aber nicht ausdrücklich auf die in Betracht kommenden Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Norm ein. Darauf kann hier nicht näher eingegangen, sondern nur verwiesen werden [20, S. 275; 21, S. 94 f.; 22, S. 1012]. Aus rechtsvergleichender und internationalrechtlicher Sicht sei aber auf einen die Gesamtentwicklung unterstreichenden Bestand an Normen hingewiesen, die ebenfalls eine Einbeziehung einwilligungsunfähiger Personen „soweit möglich“ vorsehen. Dies gilt etwa für das Biomedizin-Übereinkommen des Europarats (Art. 6 Abs. 3 BMÜ) und das Zivilgesetzbuch der Schweiz (Art. 377 Abs. 3 ZGB).

Es ist schließlich für das deutsche Recht auf medizinrechtliche Sondergesetze hinzuweisen, die ein solches Einbeziehungsgebot zugunsten Einwilligungsunfähiger enthalten. So sind auch einwilligungsunfähige Minderjährige im arzneimittelrechtlichen Entscheidungsverfahren zu klinischen Prüfungen entsprechend ihren Verständnismöglichkeiten über die prüfungsrelevanten Umstände aufzuklären. Eine Äußerung des Minderjährigen, nicht an der klinischen Prüfung teilnehmen zu wollen, ist „zu beachten“ (§ 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG). Für einwilligungsunfähige Volljährige gilt dieses Regelungskonzept entsprechend (§ 41 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 AMG). Eine Konkretisierung der Begriffe „Ablehnung“ und „Beachten“ enthält das Gesetz nicht.

Das Gendiagnostikgesetz enthält eine vergleichbare Regelung, nach der einer nicht einwilligungsfähigen Person eine genetische Untersuchung, soweit eine solche überhaupt zulässig ist, „in einer ihr gemäßen Weise soweit wie möglich verständlich gemacht“ werden muss. Weiterhin darf von ihr die Untersuchung nicht „abgelehnt“ werden (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 GenDG). Auch hier finden sich keine Kriterien für das Verständlichmachen und die Ablehnung [5, S. 779 f.].

Insgesamt belegt die damit angesprochene gerichtliche, gesetzliche und wissenschaftliche Befassung mit dem Konzept einer jedenfalls kommunikativen Einbeziehung auch Nichteinwilligungsfähiger in die je einschlägigen Entscheidungsprozesse eine wichtige und offensichtlich expansive Normentwicklung. Der Schutzzweck dieser Normen kann einerseits im Sinne der Sicherung einer jedenfalls rudimentären, gewissermaßen „imperfekten Autonomie“ [23] betroffener Personen als Partizipationsgarantie verstanden werden. Ein etwas anderer Akzent wird durch das Postulat gesetzt, es gehe „in einem weiteren Sinne um den Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen“, da „von einem eigentlichen Recht auf Selbstbestimmung bei Urteilsunfähigkeit nicht gesprochen werden“ könne [24, S. 36]. Und gewiss handelt es sich um einen Ausschnitt rechtlich vorgegebener „Teilhabe“ von Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen unterhalb der Schwelle von Einwilligungsfähigkeit.

Empirische Wissensbasis

Angesichts der angesprochenen schwerwiegenden Probleme bei der Feststellung des Vorliegens oder Fehlens von Einwilligungsfähigkeit liegt die hier nur in Kürze andeutbare Frage auf der Hand, auf welcher Wissensbasis eine solche Beurteilung eigentlich erfolgt. Diese Frage wird in jüngster Zeit auf verschiedenen Ebenen und in mehreren Disziplinen mit zunehmender Dringlichkeit gestellt und ist auch für die rechtliche Betrachtung bedeutsam. Nicht zufällig hat die Befassung mit einschlägiger empirischer Forschung zur Einwilligungsfähigkeit und zu deren Operationalisierung auch in der rechtlichen Diskussion deutlich zugenommen. Insofern werden etwa in einer internationalen Perspektive die Arbeiten zur Einwilligungsfähigkeit im angloamerikanischen Bereich berücksichtigt.Footnote 7 Dies gilt nicht zuletzt für „hochentwickelte Instrumente zur Bemessung der Einwilligungsfähigkeit“ [7, S. 154]. Auch das Recht hat allerdings nicht nur den Wissensgewinn durch einschlägige fachwissenschaftliche Forschung in die normative Betrachtung einzubeziehen, sondern auch mögliche Probleme und Defizite fachwissenschaftlicher Konzepte. Insofern sei exemplarisch auf die Diskussion zum sogenannten Mac Arthur Competence Test (kurz „MacCat“) hingewiesen. Dieser gilt einerseits als „medizinisch und theoretisch fundiertes, methodisch hoch differenziertes Instrument zur Bestimmung der Selbstbestimmungsfähigkeit“ [7, S. 154], und es wird diese Methode auch aus medizinischer Sicht international gewissermaßen als eine „Art ‚Goldstandard’ zur Feststellung der Einwilligungsfähigkeit“ angesehen.Footnote 8 Andererseits wird aber im Kontext von Einwilligungsfähigkeit bei Demenz befürchtet, dass dieses Assessment-Instrument wegen seiner deutlichen Orientierung an verbalen Interaktionen „Menschen mit Demenz und insbesondere Menschen mit selektiver Beeinträchtigung der verbalen Fähigkeiten systematisch benachteiligt“ [13, S. 13].

Dem kann hier nicht näher nachgegangen werden. Es sollte aber unterstrichen werden, dass die Heranziehung empirischen Fachwissens auch bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit einerseits sicher nicht nur berechtigt, sondern unverzichtbar ist, andererseits aber zugleich auch empirisch wie normativ problembeladen. Es geht in einer grundsätzlichen Perspektive um die Wechselbezüglichkeit von Recht und wissensgenerierenden Fachdisziplinen und um einen Anspruch des Rechts, der in Anlehnung an das Konzept der „evidenzbasierten Medizin“ als evidenzbasierte Normbildung bezeichnet werden kann. Aus der einschlägigen empirischen Forschung ist von rechtswissenschaftlicher Seite das Postulat rezipiert worden, „dass die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung zur Einwilligungsfähigkeit es sehr wohl zuließen, dass das Recht eine andere Entscheidung über die regelmäßige Einwilligungsbefugnis zuließe, das Recht mithin nicht an die Empirie gebunden ist. Aber auch derjenige, der den Begriff der Einwilligungsfähigkeit als ‚reinen’ Rechtsbegriff verstehen will, muss sich … an den vorhandenen Erkenntnissen über die menschliche Entwicklung und den gesellschaftlichen Verhältnissen’ orientieren, um anschließend seine normativen Erwägungen offen zu legen“.Footnote 9 Damit sind offensichtlich grundsätzliche Probleme der Reichweite und Grenzen einer Bindung des Rechts an empirische Wissensbestände betroffen.

Professionsspezifische Feststellungskompetenz

Unmittelbar mit diesen Hinweisen auf das Verhältnis von Empirie und Normativität ist die Frage nach der professionsbezogenen Kompetenz hinsichtlich der Entscheidung über Vorhandensein oder Fehlen von Einwilligungsfähigkeit verknüpft. Im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen wird insofern üblicherweise auf den Arzt verwiesen, und dies zumeist kurz und bündig. Es sei regelmäßig die Beurteilung eines erfahrenen Arztes ausreichend [7, S. 163], und der behandelnde Arzt sei bereits wegen des durchgeführten Aufklärungsgesprächs am ehesten zur Einschätzung der behandlungsbezogenen Einwilligungsfähigkeit geeignet [29, S. 82].

Auch dies erscheint im Ausgangspunkt sicher plausibel. Allerdings ist das vielfach nicht hinterfragte Postulat einer ärztlichen Entscheidungskompetenz als Alleinkompetenz nicht unproblematisch, jedenfalls differenzierungsbedürftig. Dies gilt nicht nur mit Blick auf Hinweise aus der medizinischen Praxis auf unter Umständen „unzureichende Kenntnisse und Erfahrungen des Arztes bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit“ und im Demenzbereich auf „klinisch unerfahrene Behandler“ [13, S. 14]. Es resultieren vielmehr auch hier methodische und normative Grundprobleme aus der Unterscheidung zwischen Elementen der Faktizität und Normativität von Einwilligungsfähigkeit. Zu der in der Medizinethik gestellten Frage, ob es sich bei der Einwilligungsfähigkeit um „inhärente Fähigkeit oder ethisches Urteil“ handele [17], passen etwa der medizinische Hinweis darauf, dass aus einer Demenzdiagnose keinesfalls automatisch und kurzschlüssig auf eine Einwilligungsunfähigkeit geschlossen werden darf, und der rechtliche Hinweis darauf, dass Demenz nach deutschem Recht nicht mit Einwilligungsunfähigkeit gleichgesetzt werden darf [13, S. 11, 15]. Vor diesem Hintergrund kommen im rechtlichen Konflikt grundsätzliche Probleme der Abgrenzung von Tatsachen- und Rechtsfragen in Betracht, die nicht zuletzt bei der Heranziehung von Sachverständigengutachten hinsichtlich der Arbeitsteilung und Zuständigkeitsverteilung zwischen Gericht und Gutachter auftreten können.Footnote 10

Unterstützte Entscheidungsfähigkeit und Teilhabe

Assistenz als Normkonzept: Autonomie und Fürsorge

Eine neue Qualität bekommen Probleme der Einwilligungsfähigkeit bei Berücksichtigung von Konzepten unterstützter Entscheidungen, wie sie in jüngerer Zeit zunehmend diskutiert und teilweise auch im Rahmen rechtlicher Normsetzung berücksichtigt werden. Dabei geht es um die Ermöglichung unterstützter Entscheidungen im Sinne einer „Ermöglichung von Selbstbestimmung“ oder „assistierten Selbstbestimmung“.Footnote 11 Die Forderung nach „assistierten beziehungsweise unterstützten Entscheidungen“ zielt darauf, Entscheidungsfähigkeit und Selbstbestimmung möglichst lange zu erhalten [33]. Diese Überlegungen beruhen in medizinethischer Perspektive auf einem veränderten Verständnis des Verhältnisses von Autonomie und Fürsorge als normativer Grundprinzipien. Insofern wird zunehmend statt von einem Verhältnis alternativloser Alternativität von einer wechselseitigen Effektivierung beider Prinzipien ausgegangen. Damit ist insbesondere das Postulat verbunden, Fürsorge ihrerseits als Instrument zur Ermöglichung von Autonomie, also Fürsorge zur Förderung von Selbstbestimmung einzusetzen. Bei vulnerablen Personen „bedarf die Achtung ihrer Autonomie größerer Aufmerksamkeit, größerer Anstrengung und größerer Geduld als bei anderen“ [34, S. 565] Das bedeutet zugleich, dass die Achtung von Selbstbestimmung nicht auf Verabsolutierung, sondern auf Optimierung von Autonomie zielt, und dies unter systemischen Rahmenbedingungen, die ihrerseits auf dem rechtlichen Prüfstand stehen [35, S. 460]. Und mit Blick auf das Assistenzkonzept könnte man formulieren, dass herkömmlich nur auf die „Feststellung“ von Einwilligungsfähigkeit abgestellt wurde, nun aber darüber hinaus gehend auch auf deren potenzielle „Herstellung“ [5, S. 782 f.].

Behinderung und Betreuung

Die damit angedeuteten medizinethischen Akzente zu einer auch autonomiebezogenen Fürsorge haben mittlerweile auch Entsprechungen im Recht gefunden. Dies gilt insbesondere für die Bereiche von Behinderung, Betreuung und Demenz, und dies nicht zuletzt mit Blick auf Probleme der hier interessierenden Einwilligungs- und Entscheidungsfähigkeit. „Assistierte Entscheidungen bei Demenz und eingeschränkter Einwilligungsfähigkeit“ [36] werden auch aus dem Blickwinkel einer „rechtlichen Assistenz“ im Sinne der „Förderung und Unterstützung der Ausübung der rechtlichen Handlungsfähigkeit“ erörtert. Als normative Zielbestimmung gilt danach: „Nicht die Substitution von, sondern die Befähigung zu der Wahrnehmung eigener Rechte und der Entscheidung steht im Vordergrund der Rechtsrealisierung im modernen Behindertenrecht. Dies gilt auch für Menschen mit Demenz, die vorschnell als Pflegebedürftige kategorisiert und in ihren Ressourcen und Kompetenzen einerseits und Teilhaberechten andererseits aus dem Blick geraten“ [13, S. 8].

In diesem Zusammenhang kommt zwei Normkomplexen eine besondere Bedeutung zu, nämlich der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) und dem deutschen Betreuungsrecht. Die als innerstaatliches Recht geltende Behindertenrechtskonvention hat einen Paradigmenwechsel von einem „medizinischen Modell von Behinderung“ zu einem „sozialen oder menschenrechtlichen Modell von Behinderung“ vollzogen. Es soll danach der zentrale Akzent nicht primär auf „Defiziten und Funktionsstörungen“ betroffener Menschen liegen, sondern auf hinderlichen „Umständen, auf die ein Mensch mit einer funktionellen Beeinträchtigung in seinem Alltag trifft“.Footnote 12 Dieser Distanzierung der Konvention von einem lediglich an körperlichen oder geistigen Defiziten Betroffener orientierten „traditionellen medizinischen Modell“ wird eine besondere Bedeutung zugemessen [38, S. 265]. Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen dieser Konzeption ist insbesondere Art. 12 BRK hervorzuheben, der so viele rechtliche Kontroversen ausgelöst hat wie keine andere Bestimmung [39, S. 34]. Nach dieser Norm haben behinderte Menschen „erstens wie alle anderen Menschen das Recht, Rechte zu haben (Art. 12 Abs. 1: Rechtsfähigkeit), und auch das Recht zur Selbstbestimmung, wenn sie ihre Rechte ausüben (Art. 12 Abs. 2: Handlungsfähigkeit). Zweitens erkennt die Konvention an, dass sowohl die Rechtsfähigkeit als auch die Handlungsfähigkeit … wirkungslos bleiben, wenn ein Mensch diese Rechte faktisch nicht wahrnehmen kann. Deshalb bestimmt Art. 12 Abs. 3, dass solche Menschen ein Recht auf Unterstützung bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit haben. Art. 12 hat daher zwei Elemente: Einerseits enthält er ein Abwehrrecht gegen jeden Eingriff in die Rechtsfähigkeit und in das Selbstbestimmungsrecht, anderseits gibt er einen Anspruch auf Unterstützung, wenn jemand nicht in der Lage ist, seine Rechte selbstbestimmt auszuüben“ [38, S. 264].

Auswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention auf das deutsche Recht auch über den unmittelbaren Normbestand der Konvention hinaus werden in mehrfacher Hinsicht relevant. Im hier gegebenen Problemzusammenhang vorhandener oder fehlender Einwilligungsfähigkeit wird nur auf das Verhältnis von Konvention und Betreuungsrecht und noch einmal spezieller auf das Vertretungsrecht der Betreuung hingewiesen. Von besonderer Bedeutung ist insofern insbesondere der für diesen Problemzusammenhang formulierte Grundsatz eines Vorrangs der Assistenz vor der Stellvertretung [38, S. 266] oder auch der Nachrangigkeit stellvertretenden Handelns [40, S. 9]. Danach muss die durch Art. 12 Abs. 3 vorgegebene Unterstützung bei der persönlichen Ausübung der eigenen Handlungsfähigkeit Vorrang vor stellvertretenden Entscheidungen durch den Betreuer haben. Hieraus resultiert eine gesteigerte Pflicht zur Rechtfertigung stellvertretenden Handelns. Es ist der vertretungsrechtlich einschlägige § 1902 BGB somit aus betreuungsrechtlicher Sicht so zu lesen: „Der Betreuer berät und unterstützt den Betreuten in seinem Aufgabenkreis (Innenverhältnis). Falls es erforderlich ist, vertritt er ihn gerichtlich und außergerichtlich (Außenverhältnis)“ [41, S. 29]. Dies wird auch aus einer interdisziplinären juristisch-medizinischen Sicht auf das Assistenzkonzept im Bereich von Demenzerkrankungen unterstrichen: „Die stellvertretende Entscheidung ist gemäß § 1902 BGB im Lichte des Art. 12 BRK aber nur dann und insoweit zulässig, als eine Unterstützung, eine rechtliche Assistenz des Betroffenen zur Herstellung seiner Entscheidungsfähigkeit ausscheidet … Insofern ergibt sich schon aus dem geltenden Betreuungsrecht in Deutschland, noch deutlicher aus Art. 12 BRK, dass alles getan werden muss, um die Entscheidung des betroffenen Patienten als eigene Entscheidung zu ermöglichen bzw. ihn an der Entscheidung zu beteiligen, wie schon § 1901 BGB vorschreibt. Er hat einen Anspruch auf Unterstützung in der Entscheidungsfindung“. Diese allgemeinen Grundsätze zur Unterstützung der Entscheidungsfähigkeit bedürfen der Konkretisierung durch Kontextgestaltung, Information, Begleitung und Beratung und letztlich durch das Bestreben, Vertrauenslösungen zu erreichen [13, S. 10 f.].

Dieses Assistenzkonzept als Rechtskonzept erfährt jedenfalls de lege lata grundsätzlich breite Anerkennung, ist allerdings bei näherer Betrachtung nicht frei von Beurteilungsdifferenzen. Diese betreffen insbesondere die auch hier besonders herausgestellte Vertretung im Betreuungsrecht. Sie reichen vom Postulat einer völligen Vereinbarkeit des geltenden deutschen Betreuungsrechts mit der Behindertenrechtskonvention über relativierende Positionen bis hin zur Propagierung eines „Systems der Assistenz“, nach dem das geltende Konzept der Stellvertretung nicht nur zu ergänzen, sondern gänzlich zu ersetzen sei.Footnote 13 Nach der hier vertretenen Auffassung impliziert Assistenz als Rechtskonzept nicht ein Verhältnis strikter Alternativität zwischen (vorrangiger) Unterstützung und (nachrangiger) Stellvertretung. Es schließt vielmehr das Assistenzkonzept im Falle situationsspezifischer Erforderlichkeit eine Vertretung behinderter Menschen als ultima ratio nicht aus.Footnote 14

Schlussbetrachtung

In einer abschließenden Betrachtung seien zwei Gesichtspunkte besonders hervorgehoben. An erster Stelle wird noch einmal auf die beschriebenen und bis in die jüngste Zeit andauernden zentralen Prozesse normativer Ausdifferenzierungen auf drei Ebenen verwiesen: erstens die Entkoppelung von Geschäftsfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit; zweitens die Unterscheidung von Entscheidungsebene und Einbeziehungsebene/Partizipation; drittens der normativ und praktisch relevante, national und international verrechtlichte Entwicklungssprung von der herkömmlichen „Feststellung“ zu einer unterstützenden „Herstellung“ von Einwilligungsfähigkeit (Assistenz).

An zweiter Stelle führt kein Weg daran vorbei, die rechtstatsächlichen Rahmenbedingungen der faktischen, nicht zuletzt auch wirtschaftlichen Einlösung von Selbstbestimmungspostulaten in Betracht zu ziehen. Zu diesen Realbedingungen gehören insbesondere die Ökonomie des Assistenzkonzepts und allgemeiner der Ressourcenbezug von Teilhaberechten. Damit sind Ressourcenbelastungen auf personeller und institutioneller Ebene, solche ideeller und materieller Natur sowie zeitlicher und professioneller Aufwand angesprochen. Zu Recht wird mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention und das Konzept „assistierter Freiheit“ auf die Notwendigkeit der Bereitstellung erheblicher gesellschaftlicher Ressourcen hingewiesen. Und die Reichweite rechtlicher, namentlich staatlicher Verpflichtung zur Gewährung erforderlicher Mittel ist bekanntlich je und je umstritten. Da es hier um die Durchsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte geht, sind auch der normative Rang derartiger Rechte im Verhältnis zu den traditionellen Freiheitsrechten und ein möglicher Vorrang von negativen Freiheitsrechten vor sozialen Leistungsrechten betroffen [4, S. 10 f.].

Es ist insofern auffallend, dass die UN-Behindertenrechtskonvention eine bemerkenswerte Unterscheidung trifft. Einerseits „erlangen zivile und politische Rechte im Zeitpunkt der Ratifikation Geltung“, und dementsprechend „werden die in Art. 12 BRK geregelten Rechte im Moment der Ratifikation wirksam und bedürfen der sofortigen Umsetzung.“ Demgegenüber enthält die Konvention hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte einen „Progressionsvorbehalt“. Danach wird mit Blick auf diese Rechte vom jeweiligen Vertragsstaat (nur) verlangt, „unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen“.Footnote 15

Zusammenfassend und grundsätzlich geht es um die Frage, ob und gegebenenfalls wie weitreichend die Verbürgung von Selbstbestimmung in freiheitlichen Rechts- und Verfassungsordnungen auch die Garantie der Realbedingungen von Autonomie umfasst. Im hier diskutierten Zusammenhang „festzustellender“ oder gar „herzustellender“ Einwilligungsfähigkeit müsste geltend gemacht werden, dass das Recht nicht nur den bei betroffenen Menschen vorfindbaren status quo an Fähigkeiten zu schützen habe, sondern darüber hinausgehend auch je vorhandenes weiteres Entwicklungspotenzial solcher Fähigkeiten. Es liegt auf der Hand, dass für die hier angesprochenen Problemfelder vielfach von der Notwendigkeit gesellschaftlicher, politischer und rechtlicher Entscheidungen auszugehen ist.