Hintergrund

Telemedizin, die Therapie und Diagnostik bei räumlicher Trennung von Arzt/Therapeut und Patientin/Patient ist zwar gewissermaßen technologische Realität, aber de facto immer noch eine Vision. Zumindest in Deutschland gehört sie nur sehr begrenzt zum Kanon allgemein akzeptierter, zulässiger und damit regelhaft finanzierter Gesundheitsleistungen. Nicht mehr als drei telemedizinische Leistungen werden im Rahmen der Vergütungskataloge finanziert.Footnote 1 Dem stehen aber allein in Deutschland mehrere hundert Projekte gegenüber, die sich mit der Erprobung neuer telemedizinischer Verfahren beschäftigen oder beschäftigt haben.Footnote 2

Für die Einführung der Telemedizin in das Gesundheitswesen ist auf allen Ebenen der Nutzen, im Sinne medizinischer Ergebnisqualität und ökonomischer Effekte, von zentraler Bedeutung, ebenso wie die Frage nach dem medizinischen Innovationsgehalt telemedizinisch gestützter Diagnostik und Therapie.

In Analogie zur Pharmaforschung und der Zulassung von Medikamenten für das System der GKV, aber auch für die Einführung innovativer diagnostischer Verfahren hat sich in Teilen der Wissenschaft, aber wichtiger noch, im Gemeinsamen Bundesausschuss, im Bewertungsausschuss und in den Aufsichtsorganen der Krankenkassen der Nachweis des Nutzens telemedizinischer Dienste in (mehreren) hochwertigen randomisierten, kontrollierten Studien (RCTs) als Standard herauskristallisiert. So stellen die Hannoveraner Empfehlungen zwar heraus, dass Instrumente und Zielsetzung einer Evaluation vom Entscheidungsträger abhängen, für den die Evaluation als Entscheidungshilfe durchgeführt wird. Aber die „vergleichende Quantifizierung der Effektivität von Handlungsalternativen verlangt Studien mit einem wissenschaftlichen Design, vergleichbar den Designs in randomisierten, kontrollierten Studien im Rahmen von Arzneimittelprüfungen“ [2]. Ferner forderte das Gutachten im Auftrag der Hanseatischen Krankenkasse (hkk) im November 2013, dass sich telemedizinische Produkte und Verfahren einer gesetzlichen Nutzenbewertung nach Arzneimittelstandard unterziehen müssten, da Risiken für Patienten nicht auszuschließen seien und der Nutzen vieler telemedizinischer Anwendungen unklar sei [3].

Die Ausgangsthese des vorliegenden Beitrags lautet hingegen, dass immer dann, wenn telemedizinische Verfahren auf ein bereits gut bestätigtes und/oder etabliertes diagnostisch-therapeutisches Verfahren aufsetzen, wenig dafür spricht, dass die Digitalisierung des Datentransfers zu einer völlig neuen medizinischen Entität führt – und umgekehrt. Die o. g. methodischen Forderungen haben ihre Berechtigung also primär erst dann, wenn die Telemedizin zugleich neuartige medizinische Verfahren beinhaltet, was aber selten der Fall ist.

Das hier vorgelegte Konzept verfolgt vor diesem Hintergrund das Ziel, den für die Berücksichtigung telemedizinischer Anwendungen in den Vergütungskatalogen erforderlichen methodischen Rahmen für die bestmögliche Integration unterschiedlichster telemedizinischer Anwendungsszenarien in die Regelversorgung anwendungsadäquat zu flexibilisieren. Ethische und ökonomische Überlegungen sind dafür ein wichtiger und unverzichtbarer Rahmen.

In der Argumentation wird nach einer Begriffsklärung zunächst auf die Grundlagen und Besonderheiten telemedizinischer Anwendungen eingegangen, um daraus ein neues strukturiertes Konzept zur Flexibilisierung der Evaluation telemedizinischer Verfahren abzuleiten. Das Konzept teilt dabei telemedizinische Verfahren in drei Kategorien ein, die jeweils unterschiedliche Evaluationsansprüche stellen.

Das vorgestellte Konzept ist u. a. im Rahmen des Projektes „Modellregion Telemedizin Ostwestfalen-Lippe“ entstanden. In dieser Region hat die ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen über mehrere Jahre Initiatoren der Telemedizin beraten und Verbreitungsstrategien entwickelt. Unter anderem wurden zu verschiedenen telemedizinischen Anwendungsfeldern Evidenzreports durchgeführt, da der Kosten-Nutzen-Vergleich ein permanentes Diskussionsthema war. Sie stellen systematisch den Stand der internationalen Forschung zum Nutzen der Telemedizin für ausgewählte Indikationen dar. Außerdem fließen die Erfahrungen aus der Koordination der Landesinitiative eGesundheit.nrw sowie eine Analyse der Projekte des Telemedizinportals des Bundes ein. Aus allen diesen Analysen ergibt sich, dass die Praxis der Projektevaluation weitgehend mit dem hier vorgestellten methodischen Rahmen übereinstimmt, die Projekte aber dennoch häufig als nicht ausreichend evaluiert eingestuft werden.

Systematik telemedizinischer Anwendungen

Zum besseren Verständnis der methodischen Differenzierung ist es sinnvoll, sich die unterschiedlichen begrifflichen Systematiken der Telemedizin vor Augen zu führen. Unter telemedizinischen Anwendungen ist prinzipiell „der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen“ zu verstehen [4] um „durch den Austausch gültiger Informationen für Diagnose, Therapie und Prävention von Krankheiten und Verletzungen räumliche und/oder zeitliche Distanzen zwischen den zur Lösung des medizinischen Problems involvierten Leistungserbringern und Patientinnen/Patienten zu überwinden“ [5]. Das im weiteren Verlauf des Beitrags im Mittelpunkt stehende Telemonitoring hat die kontinuierliche und zeitnahe bzw. synchrone telemedizinisch gestützte Erhebung, Übertragung, Dokumentation sowie Bewertung geeigneter Vitalparameter und/oder digitaler Aufnahme von Patienten und Patientinnen durch einen telemedizinischen Dienstleister zum Inhalt. Die Daten bzw. Bilder unterstützen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte bei der Entscheidungsfindung und Therapie [6].

Unterschieden werden dabei telemedizinische „doc2doc“-Anwendungen und „doc2patient“-Anwendungen. Die erste Variante dient der Förderung der Zusammenarbeit zwischen medizinischen Leistungserbringern. Beispiele hierfür sind Telekonsultationen oder die telemedizinisch gestützte Ausbildung. Die zweite Variante weist eine entsprechend hohe Patientenorientierung auf und steht für eine direkte Kommunikation zwischen Patientin/Patient und Versorger. Beispiele für diese Variante sind die Teletherapie oder die telemedizinisch gestützte Patientenschulung [6]. Allerdings trifft diese strikte Trennung nur begrenzt den Charakter aller Szenarien, da es z. B. beim Telemonitoring sehr häufig zu einem kooperativen Dreieck zwischen dem telemedizinischen Zentrum, der/dem niedergelassenen Ärztin/Arzt und der/dem Patientin/Patienten kommt.

Neben dieser grundlegenden Unterscheidung können telemedizinische Anwendungen weiterhin differenziert werden nach bedienter Funktion und nach der Indikation. Funktionen sind bspw. Teleradiologie oder Telekonsil. Indikationen stellen u. a. die Telekardiologe oder Teledermatologie dar [6].

Die Anwendungen zeigen zudem unterschiedlich große Veränderungen in der Art der herkömmlichen Leistungserbringung, der Intensität des Technikeinsatzes sowie unterschiedlich große Patientenrisiken und -nutzen. Insbesondere Anwendungen im doc2doc-Bereich, bspw. die Teleradiologie, betreffen Patientinnen und Patienten nicht direkt und bedeuten daher auch prinzipiell kaum vitale Risiken für diese, wenn notwendige technische Standards und insbesondere die Anforderungen an den Datenschutz eingehalten werden. Zudem verändern sie nicht die zugrunde liegende medizinische Struktur des ärztlichen Befundes und des Austauschs von radiologischen Bilddateien. Daher bedarf es, wie im weiteren Verlauf der Ausführungen deutlich wird, auch einer differenzierteren Methodik für die Kosten-Nutzen-Analyse bzw. für den Wirksamkeitsnachweis.

Medizinisches Modell versus Art der Leistungserbringung

Ausgangspunkt des vorliegenden Konzepts ist die der Nutzenbewertung vorgängige Unterscheidung zwischen der Evidenz des zugrunde liegenden medizinischen Modells bzw. zwischen dem medizinischen Prozess an sich und der technischen Form der Leistungserbringung. Unter dem „medizinischen Modell“ ist dabei die Gesamtheit der zugrunde liegenden Annahmen zu verstehen, die die Wirkung einer bestimmten therapeutischen, diagnostischen oder präventiven Maßnahme erklären. Darin eingeschlossen ist auch das Muster bzw. die Struktur und der sich damit wiederholende Ablauf der Behandlung, Therapie, Diagnostik, etc.

Als konkretes Beispiel hierfür sei die häusliche Blutdruckmessung bei Hypertonie genannt. In den aktuellen Leitlinien ist ein medizinisches Modell für die Diagnostik der Hypertonie präsent, das eine regelmäßige Messung der Blutdruckwerte in der eigenen Häuslichkeit durch die Patientin/den Patienten selbst vorsieht, um valide Werte für die Ärztin/den Arzt zu generieren [7]. Diese werden der behandelnden medizinischen Fachkraft regelmäßig mitgeteilt und durch den Arzt interpretiert. Die Erhebung dieser Blutdruckwerte, also die „Art der Leistungserbringung“ kann dabei konventionell erfolgen, also durch das regelmäßige Anlegen der Manschette und die kontinuierliche Dokumentation auf Papier in einem Patiententagebuch. Die Art der Leistungserbringung kann jedoch auch telemedizinisch unterstützt erfolgen. Das bedeutet, dass die Patientin oder der Patient ein telemedizinisches Blutdruckmessgerät erhält und die in der Häuslichkeit gemessenen Blutdruckwerte automatisch bspw. via Handy an den Behandler oder ein Telemedizinzentrum übermittelt werden. An dem Wirkungsmechanismus (dem „medizinischen Modell“) der regelmäßigen Erhebung der Blutdruckwerte in der eigenen Häuslichkeit ändert sich also durch telemedizinische Produkte/Dienstleistungen nichts, nur die Art der Datenerhebung bzw. Leistungserbringung ist anders.

Telemedizinische Verfahren stellen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – aktuell eben keine neuen medizinischen Verfahren dar, sondern sind eine besondere organisatorische und/oder technische Variante der Leistungserbringung. Der Innovationsgehalt neuer Maßnahmen ist dabei insbesondere für die Zuständigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses entscheidend, der sich nur „mit neuen Untersuchungs- und Behandlungsverfahren“ beschäftigt. Unterhalb dieser Schwelle handelt es sich in dieser Logik um Anwendungen, die „lediglich“ Prozessverbesserungen, z. B. im Sinne von Effizienzsteigerungen, bewirken. Solche Anwendungen fallen primär in den Kompetenzbereich des Bewertungsausschusses, zumindest insoweit sie sich auf die ambulante Versorgung begrenzen. Davon unbenommen ist die Frage, ob der erhoffte Nutzen tatsächlich mit der telemedizinischen Anwendung erzielt werden kann und ob er in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten steht.

Prüfauftrag des Bewertungsausschusses

Mit dem Versorgungsstrukturgesetz hat der Gesetzgeber zum 01.01.2011 den Bewertungsausschuss beauftragt, bis zum 31.10.2012 zu prüfen, „in welchem Umfang ambulante telemedizinische Leistungen erbracht werden können“. Auf dieser Grundlage sollte der Bewertungsausschuss spätestens bis zum 31.03.2013 beschließen, inwieweit der einheitliche Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen anzupassen ist (§ 87, Abs. 2a SGB V). Ein Vierteljahr nach der Fristsetzung hat der Bewertungsausschuss zunächst eine Rahmenvereinbarung vorgelegt, die den Prüfauftrag konkretisiert. In dieser Rahmenvereinbarung sind vor allem die Grundsätze für die Prüfung in Form allgemeiner Anforderungskriterien beschrieben. Abrechnungsfähige ambulante Telemedizin muss etwa die Berufsordnung einhalten, den Datenschutz wahren und vor allem einen nachgewiesenen Nutzen haben. Die Feststellung des Nutzens soll dabei nach den „Kriterien der evidenzbasierten Medizin“ vorgenommen werden (siehe Anlage zur Rahmenvereinbarung).

Patientenrisiko bei telemedizinischen Anwendungen

Telemedizinische Leistungen sind, wenn sich deren Neuerung auf das Element der Datenübertragungsverfahren beschränkt, zwar nicht komplett risikolos, aber de facto nur mit geringen Risiken für Patientinnen bzw. Patienten verbunden. Weder im Rahmen der Evidenzreports, noch im Rahmen der Analyse der Projekte des Telemedizinportals sind Hinweise auf spezifische, unerwartete Risiken gefunden worden. Im Gegenteil: Insbesondere eine signifikante Verschlechterung der Mortalitätsrate oder der Lebensqualität bleibt nahezu vollständig aus. Lediglich die Effekte auf die Inanspruchnahme von Leistungen differieren teilweise beträchtlich.

Selbstverständlich sind aber auch telemedizinische Szenarien mit einer gewissen Risikosteigerung denkbar. Davon kann man immer dann ausgehen, wenn z. B. neue invasive Messverfahren zum Einsatz kommen, deren medizinisch prädiktiver Wert zudem noch kaum bestätigt ist. Von größerer Bedeutung sind hier auch Anwendungen, die die Präsenz des Versorgers vor Ort ersetzen wollen.

Ökonomisches Risiko bei telemedizinischen Anwendungen

Grundsätzlich gilt: Je höher sich das ökonomische Risiko für die Solidargemeinschaft darstellt, umso höher sollten die methodischen Anforderungen an die Nutzenbewertung sein. Anwendungen, die mit hohen Investitionen in Personal (Stichwort: ärztliche Leitung telemedizinischer Zentren, 24/7-Bereitschaft, Notwendigkeit spezieller therapeutischer Expertise) und Infrastruktur verbunden sind, bergen natürlich implizit die Gefahr, dass der Nutzen den Aufwand letztlich nicht rechtfertigt. Andererseits existieren zahlreiche Anwendungen, deren Aufwand überschaubar ist. Man kann als Beispiel vor allem an die telekooperativen Anwendungen denken, wie z. B. Wundsprechstunden zwischen Fachärztinnen und -ärzten und Hausärztinnen und -ärzten. Hier stellen die Behandler Fotos von Wunden in ein Portal ein. Diese werden im definierten Rhythmus durch ärztliche Kolleginnen und Kollegen bzw. ein regionales Wundteam befundet, und es werden Empfehlungen für das weitere Vorgehen übermittelt.

Kategorisierung telemedizinischer Anwendungen

Wie die vorangegangen Ausführungen nahelegen, sind aufwendige RCT-Studien zwar ein Goldstandard, aber die Frage ist, ob sie in jedem Fall für telemedizinische Anwendungen erforderlich sind. Statt pauschaler Forderungen sollten hier vielmehr bestimmte Kriterien ausschlaggebend sein.

Um diese Frage transparent und nachvollziehbar zu beantworten, wurde das Anwendungsspektrum telemedizinischer Services in drei Kategorien eingeteilt. Jede Kategorie unterscheidet sich unter Rückgriff auf die o. g. Argumente von den anderen durch den Evidenzgrad des zugrunde liegenden medizinischen Modells und die Neuigkeit des Prozesses. Jede Kategorie verfügt über ein spezifisches Methodenrepertoire, dessen eines Ende durch betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analysen und dessen anderes  Ende durch Metastudien und Reviews markiert wird.

Für jede Kategorie wird ein spezifisches Methodenrepertoire zur Kosten-Nutzen-Analyse vorgeschlagen. Diese Kategorisierung macht zunächst einmal deutlich, dass bei der Evaluation telematischer Verfahren im Gesundheitswesen grundsätzlich zu unterscheiden ist, ob es sich um eine neue Behandlungsmethode oder „nur“ um eine (effizienzsteigernde) Prozessveränderung handelt. Ist das zugrunde liegende medizinische Modell bzw. der medizinische Prozess bereits mit Evidenz belegt, so stellen telemedizinische Verfahren lediglich eine veränderte Art der Datenübermittlung dar. Hier sind dann eher Machbarkeitsstudien bzw. betriebswirtschaftliche Analysen ausreichend, um über die Finanzierung zu entscheiden. Betrifft die telemedizinische Anwendung nicht nur die Art der Datenübermittlung, sondern auch die Zusammenarbeit der Akteure, und ist das zugrunde liegende medizinische Modell bereits evidenzbasiert, soll zwar systematisch evaluiert werden, jedoch sind RCT-Studien hier nicht notwendig. Vielmehr spielen gesundheitsökonomische Analysen, bspw. im Sinne von Vorher-Nachher-Analysen, eine entscheidende Rolle. Bei allen anderen Verfahren und Produkten, die vom medizinischen Prozess her neu sind, also dort, wo ein neues medizinisches Modell eingeführt werden soll, müssen RCT-Studien durchgeführt werden.

Es wird zudem vorgeschlagen, die Unterscheidung zwischen Anwendungen, die RCT-Studien erforderlich machen, und Anwendungen, die alternative Studienformen ermöglichen, auch nach dem ökonomischen Risiko zu skalieren. Damit kann erreicht werden, dass technische Verbesserungen und durch Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichte effizientere Prozesse zügiger Patientinnen und Patienten zugutekommen können. Auch können die vormals für die aufwendigen Studien eingesetzten Mittel anderen Zwecken zur Verfügung gestellt werden. Tab. 1 stellt den grundlegenden Vorschlag zur Kategorisierung vor. Diese Tabelle wird im Folgenden kurz erläutert:

Tab. 1 Kategorisierung telemedizinischer Anwendungen
  • Kategorie A:

    • Definition:

      Bestehende und bereits vergütungsfähige medizinische Leistungen werden durch die telemedizinische Anwendung inhaltlich nicht verändert. Das zugrunde liegende medizinische Modell wird also durch die neuen telematischen Prozesse, Transportwege und Kommunikationsmittel nicht tangiert. Es handelt sich lediglich um eine veränderte Art der Datenübermittlung, mit dem Ziel einer Effizienzsteigerung sowie der Verbesserung der Datenqualität und der Verfügbarkeit der Daten.

    • Beispiele:

      Ein klassisches Beispiel ist die Teleradiologie, sofern sie sich auf die digitale Übermittlung von Röntgenaufnahmen zur Zweitbefundung usw. bezieht. Ein anderes Beispiel ist der IKT-gestützte Austausch ärztlicher Expertise durch Telekonsile.

    • Evaluationsmethoden:

    • Es ist keine spezifische Evaluation erforderlich, jedoch sind Machbarkeitsstudien empfehlenswert. Die Kosten-Nutzen-Analyse hat eher den Charakter einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Die Anwendung wird primär als Rationalisierungsinvestition betrachtet. Es wird evaluiert, ob der Aufwand für den Regelbetrieb durch die möglichen Einsparungen gerechtfertigt ist. Weitere Studien, vor allem zur Akzeptanz und genauen Ausformung der Anwendung, sind nicht ausgeschlossen.

  • Kategorie B:

    • Definition:

    • Es handelt sich um Anwendungen, die evidenzbasierte Leistungen durch telematische Prozesse erbringen. Sowohl die Qualität der Datenübermittlung (Häufigkeit, Frequenz usw.) als auch die Technologie ist neu, und die Art der Zusammenarbeit der Akteure wird in diesem Zusammenhang modifiziert, z. B. durch Einschaltung eines telemedizinischen Zentrums.

    • Beispiele:

    • Klassisches Beispiel ist das Telemonitoring. Der prädiktive Wert definierter Vitalwerte für den Krankheitsverlauf ist evidenzbasiert. Es existieren aber keine suffizienten Strukturen, um diese Vitalwerte mit hinreichender Qualität zu beobachten. Durch Telemonitoring werden die Daten von einem telemedizinischen Zentrum erhoben, aufbereitet und ausgewertet. Der medizinische Prozess wird insofern verändert, als Ärztinnen und Ärzte die Vitalwerte nicht mehr in jedem Fall selbst aufbereiten, erheben oder analysieren. Andere Beispiele sind die videogestützte Visite, wie z. B. die Teleintensivmedizin, elektronische Pflegevisite oder das bekannte Verfahren zur videogestützten Lysetherapie bei akutem Schlaganfall.

    • Evaluationsmethoden:

      Hier sind vereinfachte Evaluationsmethoden im Sinne eines gesundheitsökonomischen Nachweises der Effizienz und Effektivität ausreichend. Vorgeschaltete Machbarkeits- und Akzeptanzstudien sind häufig sinnvoll. In Frage kommen vor allem Vorher-Nachher-Vergleiche oder Verlaufskontrollen. Die Kontrollgruppe kann z. B. mithilfe von Patientendaten anderer konventioneller Versorger oder auch aus Routinedaten der Krankenkassen ex post gebildet werden (matched pairs).

  • Kategorie C:

    • Definition:

      Durch telematische Prozess erbrachte medizinische Leistungen, die grundlegende medizinische Innovationen beinhalten und einen neuen, zusätzlichen Nutzen generieren sollen. Das medizinische Modell ist noch nicht bestätigt.

    • Beispiele:

    • Hier kann man die Erstellung von Bewegungsprofilen nennen, die über den Grad einer demenziellen Erkrankung Auskunft geben sollen. So kann z. B. objektiv ermittelt werden, ob eine Störung des Tag-Nacht-Rhythmus vorliegt und Unruhe sowie Weglauftendenz vorhanden sind, um ggf. die Medikation daran anzupassen.

    • Evaluationsmethoden:

    • Randomisierte kontrollierte Studien. Machbarkeits- und Akzeptanzstudien sowie gesundheitsökonomische Analysen sind im Vorfeld in Erwägung zu ziehen.

Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass randomisierte kontrollierte Studien (RCT-Studien) nicht zwangsläufig für einen Evidenznachweis bzw. für eine sichere Anwendung telemedizinischer Verfahren erforderlich sind. Auch aus methodischen und ggf. ethischen (Patientenrisiko) Gründen kommt der Ansatz des RCT-Designs für telemedizinische Anwendungen nicht immer zum Tragen.

Mit dieser Kategorisierung einher geht auch die Frage der Zuständigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und des Bewertungsausschusses hinsichtlich einer Aufnahme der Leistungen in die vertragsärztlichen Vergütungskataloge. Telemedizinische Anwendungen der Kategorie A und B fallen eher in die Zuständigkeit des Bewertungsausschusses, während Anwendungen der Kategorie C zwingend einer Bewertung durch den G-BA bedürfen.

Methodische Stellgrößen

Mit der im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Kategorisierung gehen auch Fragen zur konkreten Evaluationsmethodik einher. Es ist zwar schwierig, an dieser Stelle generelle methodische Empfehlungen zu geben, aber erste Anstöße sind angesichts der methodischen Diskussion möglich.

Der methodische Pragmatismus kreist vor allem um die Frage der Bildung der Kontrollgruppen. Angesichts der eben ausgeführten ethischen Überlegungen ist an dieser Stelle ein Verzicht auf den methodischen Rigorismus im Sinne prospektiver randomisierter Studien legitim. Gegenüber dem Standardverfahren der Gruppenbildung in RCT-Studien besteht eine plausible Variante z. B. darin, mit sogenannten Matched Pairs zu arbeiten, wenn nicht auch bereits Vorher-Nachher-Vergleiche als ausreichend erscheinen.

Ein häufiger methodischer Kritikpunkt ist die Größe der Untersuchungsgruppen. RCT-Studien stellen hier hohe Anforderungen, um auch seltene Effekte messen zu können. Dennoch sollten in diesem Punkt pragmatische Kriterien nicht unberücksichtigt bleiben und vor allem kleinere Studien mit dem Hinweis auf zu geringe Gruppengrößen nicht vorschnell ignoriert werden! Gerade wenn – wie z. B. in der Teletherapie – der Nutzen des eigentlichen therapeutischen Programms bereits belegt und das Patientenrisiko gering ist (z. B. Videobeobachtung in der Parkinsontherapie) sind seltene, vitale Risiken nicht zu erwarten.

Ein weiterer pragmatisch zu definierender Aspekt ist die Beobachtungsdauer in der Studie. Auch hier sind mehr oder weniger pauschale Aussagen nicht angebracht. Auf jeden Fall darf die wohl inhärente Tendenz zu generell längeren Beobachtungszeiträumen hinterfragt werden. Nutzen kann sich auch kurzfristiger einstellen.

Ein grundsätzlicheres Problem besteht darin, dass mit der Implementierung des telemedizinischen Prozesses neue Abläufe, Kooperationen und anderes mehr verbunden sind, sodass man eher von telemedizinischen Versorgungsprogrammen sprechen sollte. Dabei ist aus der Implementationsforschung bekannt, dass nahezu beliebig viele ¨Störgrößen¨ auftreten können und auch einzelne Faktoren in ihrer Wirkung nicht unterschieden werden können. Das Kausalitätsmuster von RCT-Studien stößt hier an Grenzen und sollte auch deshalb nicht pauschal eingefordert werden.

Diskussion

Im vorliegenden Beitrag wurde eine Kategorisierung für telemedizinische Anwendungen vorgestellt, die zwischen dem zugrunde liegenden medizinischen Modell und dem technischen Prozess unterscheidet. Zentral hierbei ist, dass sich die Kategorisierung auf das jeweilige medizinische (und ökonomische) Risiko jeder Anwendung bezieht und im Ergebnis nur Anwendungen, die ein sehr hohes Risiko aufweisen, durch RCT-Studien analysiert werden müssen.

Auch wenn weder aus den Evidenzreports, noch z. B. aus dem Deutschen Telemedizinportal Studien bekannt sind, die auf ein höheres, vitales Risiko für Patientinnen und Patienten durch Telemedizin hinweisen, dürfen mögliche langfristige Gefahren nicht unberücksichtigt bleiben.

Kritisch berücksichtigen muss man, dass die Fokussierung auf vitale oder ökonomische Risiken andere Problemstellungen der Telemedizin ausblenden kann, die eigentlich intensiver Erforschung bedürften. Somit könnte ein Vertrauen auf bloße Projektevaluationen möglicherweise dazu führen, dass kritische Langzeiteffekte der Telemedizin übersehen werden. Diese können sich z. B. auf Veränderungen des Arzt-Patienten-Verhältnisses beziehen oder aber auch auf bisher noch weitgehend unbekannte Folgen einer permanenten, lebenslangen Selbstbeobachtung. Ähnlich kann man für strukturelle Veränderungen argumentieren, die die Telemedizin auslösen kann. Zwar mögen z. B. telekooperative Szenarien effizient sein, aber sie könnten langfristig doch zu einem beschleunigten Ersatz der Präsenzmedizin führen und gewissermaßen schleichend den Facharztstandard unterminieren.

Andererseits besteht aber auch die Gefahr, dass aufgrund sehr langwieriger Forschungsprozesse notwendige Innovationen auf Jahre unterbleiben und unwirtschaftliche Leistungsprozesse Ressourcen binden, die an anderer Stelle fehlen.

Fazit

Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass das methodische Paradigma der RCT-Studien bei telemedizinischen Verfahren bzw. Versorgungsprogrammen in verantwortlicher Weise liberalisiert werden kann. Dies bedeutet nicht, dass sich telemedizinische Verfahren wissenschaftlicher Kritik entziehen sollen. Vielmehr soll die hier vorgeschlagene Kategorisierung für eine höhere Transparenz und ein besseres Verständnis telemedizinischer Produkte und Dienste und zu einem umsichtigen Umgang mit der Evaluation und Anwendung beitragen. Der Vorschlag zur Flexibilisierung des methodischen Rahmens ist ein erster Schritt dazu. Insbesondere die Kategorisierung telemedizinischer Verfahren/Produkte hat hier einen besonderen Stellenwert. Für eine sichere Anwendung und eine breite Akzeptanz dieses Konzeptes ist es notwendig, das jeweilige methodische Repertoire detailliert auszuarbeiten, zu erläutern und dadurch noch offene Fragen zu identifizieren – dies ist aktuelle Aufgabe für Forschung und Praxis.