Jeder Mensch trifft im alltäglichen Leben vielfältige Entscheidungen zur eigenen Gesundheit. Diese haben einen großen Einfluss auf die individuelle Gesundheit und Lebensqualität. Ob die Entscheidungen gesundheitsförderlich oder -hinderlich sind, hängt unter anderem davon ab, wie ausgeprägt die individuelle Gesundheitskompetenz ist. Der Begriff „Gesundheitskompetenz (Health Literacy)“ beschreibt die Fähigkeit jedes Einzelnen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, sodass Gesundheit und Lebensqualität während des gesamten Lebenslaufs erhalten oder verbessert werden [1]. Gesundheitskompetenz ist daher eine zentrale Voraussetzung dafür, sich im Gesundheitssystem und in Gesundheitseinrichtungen zurechtzufinden und Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die eigene Gesundheit auswirken.

Die Europäische Union (EU) hat Gesundheitskompetenz als einen der Bereiche identifiziert, in denen Fortschritte erforderlich sind, um den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern und die Effektivität der Gesundheitsversorgung zu erhöhen. Eine 2011 in acht europäischen Ländern durchgeführte Studie zur Gesundheitskompetenz (European Health Literacy Survey, HLS-EU) ergab, dass 12 % der Befragten eine ‚unzureichende‘ und weitere 35 % eine ‚problematische‘ Fähigkeit besitzen, Gesundheitsinformationen und -angebote zu finden, zu verstehen und adäquat umzusetzen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ältere Menschen vermehrt von diesem Problem betroffen sind, zum Beispiel aufgrund unterschiedlicher sozialer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und Lebensumgebungen [2]. Der HLS-EU wurde in Bulgarien, Griechenland, Irland, den Niederlanden, Österreich, Polen, Spanien und Deutschland durchgeführt. In Deutschland fand die Befragung jedoch lediglich in Nordrhein-Westfalen statt, sodass die Ergebnisse nicht für das gesamte Bundesgebiet gültig sind.

Erste bundesweit repräsentative Daten zur Gesundheitskompetenz in Deutschland hat im Jahr 2014 das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) veröffentlicht. Die Daten basieren auf einer Auswertung computergestützter Telefoninterviews mit 2010 Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einem Alter ab 18 Jahren. Für die Interviews wurde die Kurzform des im europäischen Health Literacy Survey eingesetzten Fragebogens HLS-EU-Q47 verwendet (für eine ausführliche Beschreibung der Methoden und Ergebnisse siehe Zok 2014 [3] und Kolpatzik 2014 [4]).

Von den im Rahmen der WIdO-Studie befragten GKV-Versicherten verfügten 14,5 % über eine ‚unzureichende‘ und 45 % über eine ‚problematische‘ Kompetenz, Gesundheitsinformationen und -angebote zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und umzusetzen; bei 33,4 % war die Kompetenz ‚ausreichend‘ und bei 7,0 % ‚ausgezeichnet‘ [3]. Eine Auswertung nach Altersgruppen offenbarte tendenziell bessere Kompetenzwerte für die ≥ 50-jährigen als für die < 50-jährigen GKV-Versicherten. Nichtsdestotrotz wies in beiden Altersgruppen über die Hälfte eine ‚unzureichende‘ oder ‚problematische‘ Gesundheitskompetenz auf (58,6 % [Alter ≥ 50 Jahre] vs. 60,9 % [Alter < 50 Jahre]). Sowohl die jüngeren Erwachsenen als auch die älteren äußerten die größten Schwierigkeiten im Umgang mit gesundheitsbezogenen Medieninformationen. So stuften es bspw. 63,4 % der ≥ 50-Jährigen (und 69,8 % der < 50-Jährigen) als ‚schwierig‘ oder ‚sehr schwierig‘ ein, ‚zu beurteilen, ob die Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien vertrauenswürdig sind‘. An zweiter Stelle folgte das Verstehen von Nährwertangaben auf Lebensmittelpackungen – dies beurteilten 61,8 % der ≥ 50-jährigen (und 55,3 % der < 50-jährigen) GKV-Versicherten als ‚schwierig‘ bzw. ‚sehr schwierig‘ (Tab. 1).

Tab. 1 Antworten von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Alter von ≥ 50 Jahren auf Fragen aus dem HLS-EU-Q16a zu verschiedenen Teilaspekten von Gesundheitskompetenz im Rahmen der WIdO-Studie 2014 (n = 1061, Angaben in Prozent)

Sowohl die im Rahmen des europäischen Health Literacy Survey ermittelten Daten für Nordrhein-Westfalen als auch die aktuellen bundesweiten Ergebnisse der WIdO-Studie unterstreichen die Bedeutung des Themas „Gesundheitskompetenz“ auch in Deutschland. Wie es gelingen kann, speziell ältere Menschen dabei zu unterstützten, ihre Gesundheitskompetenz zu erhöhen, wird im Rahmen das EU-Projektes „Intervention Research On Health Literacy among Ageing population (IROHLA)“ erörtert [5, 6]. Das Projekt startete im Dezember 2012 und endet im November 2015. Unter Leitung des Universitätsmedizinischen Zentrums Groningen (UMCG) beteiligen sich 22 Partner aus 9 europäischen Mitgliedstaaten an dem Projekt (siehe Übersicht 1). Dazu gehören auch vier Projektpartner aus Deutschland: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der AOK-Bundesverband, liveonline coaching und die Jacobs University Bremen.

FormalPara Übersicht 1

IROHLA wurde gefördert durch das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU (FP7/2007–2013) unter der Nr. 305831. Es ist ein gemeinschaftliches Projekt, an dem 22 Partner beteiligt sind. Für die Koordination und Leitung des Projektes ist das Universitätsmedizinische Zentrum Groningen – UMCG verantwortlich (Projektkoordinator: Dr. Jaap A.R. Koot). UMCG leitet zudem die Arbeitspakete 1, 2 und 8 (Dr. Jaap A.R. Koot und Dr. Andrea F. de Winter). Die weiteren Arbeitspakete werden von folgenden Partnern geleitet:

  • AP 3 und 7: Dutch Institute for Healthcare Improvement – CBO (Janine Vervoordeldonk, Jan Jansen)

  • AP 4: University of East Anglia (Dr. Yoon Loke, Dr. Charlotte Salter, Dr. Julii Brainard)

  • AP 5: Institute of Preventive Medicine, Environmental and Occupational Health – Prolepsis (Pania Karnaki)

  • AP 6: Jacobs University Bremen (Prof. Dr. Sonia Lippke)

  • AP 9: EuroHealthNet (Caroline Costongs, Karoline Noworyta).

Weiterführende Informationen zu IROHLA sind auf der Projektwebsite verfügbar: www.irohla.eu.

Der vorliegende Beitrag stellt die Inhalte, Ziele und ersten Ergebnisse des Projektes vor und beschreibt darauf aufbauend Ansatzpunkte zur Förderung der Gesundheitskompetenz von älteren Menschen.

Schwerpunkte und bisherige Ergebnisse des Projektes IROHLA

Das Hauptziel des Projektes IROHLA ist es, den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis zur Verfügung zu stellen, die einen umfassenden Lösungsansatz zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz älterer Menschen beinhalten. Das Projekt ist in neun Arbeitspakete (AP) unterteilt (Abb. 1), die im Folgenden kurz erläutert werden.

Abb. 1
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Arbeitspakete im Projekt „Intervention Research On Health Literacy among Ageing population“ (IROHLA) und deren Verhältnis zueinander

Über die gesamte Dauer des Projektes laufen das Arbeitspaket 1 zur Projektkoordination sowie das Arbeitspaket 9 zur aktiven Verbreitung der Projektergebnisse. Ziel des bereits abgeschlossenen Arbeitspakets 2 war es, zu einem besseren Verständnis des Konzepts der Gesundheitskompetenz in unterschiedlichen europäischen Kontexten beizutragen. Darüber hinaus sollte ein umfassendes Modell entwickelt werden, das sich mit der Gesundheitskompetenz älterer Menschen in verschiedenen Umgebungen auseinandersetzt. Im Rahmen des Arbeitspakets wurden systematische Überprüfungen und Bewertungen vorgenommen, um die vorhandene Evidenz im Bereich der Gesundheitskompetenz zu evaluieren. Im Fokus standen dabei die Adhärenz zu medizinischen Versorgungsleistungen, das Verständnis von gesundheitsrelevanten Informationen sowie der Einfluss des gesellschaftlichen, sozialen und physischen Umfelds auf die Wirksamkeit von Interventionen zur Förderung der Gesundheitskompetenz. Der Schwerpunkt der Forschung bzw. deren Zielgruppe lag dabei immer auf älteren Menschen. Ergänzend wurden sowohl quantitative Studien als auch Diskussionen in Fokusgruppen mit Menschen in einem Alter ab 75 Jahren durchgeführt, Gesundheitsexpertinnen und -experten sowie Stakeholder (Interessenvertreter) zu diesem Thema befragt und eine mehrphasige Delphi-Studie realisiert.

Auf dieser Grundlage wurden das theoretische IROHLA-Interventionsmodel sowie die Taxonomie der Gesundheitskompetenz entwickelt. Das Interventionsmodell (Abb. 2) legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Wirkungsweise von Interventionen und verdeutlicht die unterschiedlichen Wege und Ansätze zur Förderung der Gesundheitskompetenz. Interventionen können die negativen Auswirkungen unzureichender Gesundheitskompetenz verringern, indem sie entweder die Fähigkeit des Individuums stärken, bessere Entscheidungen hinsichtlich der eigenen Gesundheit zu treffen, oder indem sie die Anforderungen des Gesundheitssystems reduzieren. Das Interventionsmodell zeigt, dass in einen umfassenden Lösungsansatz zur Förderung der Gesundheitskompetenz einerseits das Individuum und seine Umgebung mit einbezogen werden sollten, andererseits aber auch das Gesundheitsfachpersonal gleichermaßen und gleichwertig berücksichtigt werden muss. Daher sollte stets ein umfassender Ansatz zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz verfolgt werden [5].

Abb. 2
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Das IROHLA-Interventionsmodell zur Darstellung der Wirkungsweise von Interventionen

Im Rahmen des Arbeitspaketes 2 erfolgte eine umfassende Analyse von Publikationen, die sich mit Interventionen zur Förderung der Gesundheitskompetenz befassen. Schwerpunkt dieser Analyse war es, die spezifischen Ziele der Interventionen zu identifizieren. Darauf aufbauend wurde ein Klassifizierungssystem (Taxonomie) der wichtigsten Ziele und Merkmale von Interventionen zur Förderung der Gesundheitskompetenz erstellt. Zu den häufigsten Zielen gehören „Information und Aufklärung“, „Fähigkeiten vermitteln“ sowie „Verhaltensänderungen unterstützen“. Die meisten Ziele können gleichermaßen auf das Individuum mit einer geringen Gesundheitskompetenz als auch auf Gesundheitsfachpersonal, das mit der Zielgruppe in Kontakt steht, bezogen werden. So ist z. B. die Unterstützung einer Verhaltensänderung nicht nur für den Patienten oder die Patientin mit einer geringen Gesundheitskompetenz wichtig, sondern auch für den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin. Darüber hinaus kann sich die Verhaltensänderung beispielsweise auch auf die Angehörigen oder auf Führungskräfte im Gesundheitswesen beziehen. Mit Hilfe der Taxonomie können die Auswirkungen von Interventionen und Ansätzen zur Förderung der Gesundheitskompetenz systematisch bewertet werden [5, 6].

Aufgabe in Arbeitspaket 3 war die Erstellung eines Leitfadens zur besseren Bewertung und Einschätzung der Qualität und Machbarkeit von Interventionen und Aktivitäten zur Förderung der Gesundheitskompetenz älterer Menschen. Die im Arbeitspaket 2 entwickelten theoretischen Rahmenbedingungen wurden in eine Reihe praktischer Anweisungen und Vorlagen zur systematischen Durchsicht wissenschaftlicher Datenbanken, (noch) nicht veröffentlichter Manuskripte, Internetseiten und sonstiger Informationsquellen umgesetzt. Weiterhin enthielt der Leitfaden Anweisungen zum systematischen Auswahlprozess der zu identifizierenden Interventionen und zu den dabei anzuwendenden Einschlusskriterien.

Schwerpunkt der Arbeitspakete 4, 5 und 6 war die Bewertung der Qualität und Umsetzbarkeit von Interventionen und Aktivitäten, die zur Förderung und Verbesserung der Gesundheitskompetenz älterer Menschen beitragen. Anhand der im Arbeitspaket 3 definierten Suchbegriffe (u. a. Gesundheitskompetenz, Empowerment, Selbstwirksamkeit, Eigeninitiative, E-Health, soziale Eingliederung) wurde eine systematische Suche nach bewährten und vorbildlichen Praxisbeispielen im Gesundheits- (AP 4), Privat- (AP 5) und Sozialsektor (AP 6) durchgeführt. In jedem der drei Bereiche wurden mithilfe von im Projekt festgelegten Einschlusskriterien die 20 vielversprechendsten Interventionen (oder Cluster von Interventionen) identifiziert. Insgesamt sollten auf diese Weise 60 Interventionen ausgewählt und beschrieben werden.

Die umfassende Liste der in den Arbeitspaketen 4, 5 und 6 ermittelten Interventionen bildete die Grundlage für das Arbeitspaket 7. Hier wurde zunächst die Qualität der 60 Interventionen, die in den vorangegangenen Arbeitspaketen als am aussichtsreichsten angesehen wurden, bewertet und evaluiert. Auf dieser Grundlage wurden im Arbeitspaket 7 die 20 vielversprechendsten Praxisbeispiele mit Bezug zum IROHLA-Interventionsmodell identifiziert. Diese können als herausragende Interventionsbeispiele Teil eines umfassenden Lösungsansatzes werden, der zur Förderung und Verbesserung der Gesundheitskompetenz, aber auch der Eigeninitiative älterer Menschen beiträgt.

Das Arbeitspaket 8 wird erst zum Ende des Projektes im November 2015 abgeschlossen sein. Aufgaben dieses Arbeitspakets sind die Validierung von bewährten und vorbildlichen Praktiken sowie die Entwicklung von Handlungsempfehlungen. Diese evidenzbasierten Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis sollen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene vorgestellt werden, um einerseits Entscheidungsträgern die zur Förderung der Gesundheitskompetenz benötigten Maßnahmen und Empfehlungen aufzuzeigen, andererseits den direkt an der Umsetzung Beteiligten konkrete Interventionen an die Hand zu geben.

Bewährte Interventionen zur Förderung der Gesundheitskompetenz

Die im Rahmen des Projektes IROHLA herausgestellten 20 Praxisbeispiele decken ein weites Themenspektrum ab und geben Aufschluss über Erfolgsfaktoren zur Förderung der Gesundheitskompetenz älterer Menschen. Die 20 bewährten Interventionen stärken die Gesundheitskompetenz, indem sie die Fähigkeit des Einzelnen fördern, bessere Entscheidungen zu treffen, oder indem sie einfachere Lösungen und verständlichere Informationen anbieten [6]. Die erfolgreichen Praxisbeispiele können unterschiedlichen Themenclustern (Themenbereichen) zugeordnet werden, um die zugrundeliegenden Wirkungsmodelle und Funktionsweisen besser zu verstehen. Zu den Themenclustern gehören Kommunikation, Empowerment, Gemeinschaft, Kompetenz des Gesundheitsfachpersonals sowie der Abbau von Barrieren und Hemmnissen.

Interventionen im Themencluster „Kommunikation“ konzentrieren sich auf die Kommunikation zwischen Patient/Patientin und dem Gesundheitsfachpersonal. Diese Maßnahmen versuchen explizit oder implizit, eine Verhaltensänderung beider Parteien zu erwirken. Zu dem zweiten Themencluster „Empowerment“ gehören Interventionen, die sich an Personen mit geringer Gesundheitskompetenz richten und deren Selbstwirksamkeit sowie Selbstvertrauen stärken. Im Themenbereich „Gemeinschaft“ stehen Interventionen im Mittelpunkt, die Familienmitglieder, Peers und weitere mit der Zielgruppe in Verbindung stehende Personen einbeziehen. Einen weiteren Bereich bilden Interventionen zur Förderung der „Kompetenz des Gesundheitsfachpersonals“. Im Vordergrund stehen dabei die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeiten des Fachpersonals sowie die Stärkung des Verständnisses für die Schwierigkeiten von Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz. Zu dem Themencluster „Abbau von Barrieren und Hemmnissen“ gehören Interventionen, die die Nutzung von Gesundheitsdienstleistungen vereinfachen.

Bei der Entwicklung eines umfassenden Ansatzes zur Förderung der Gesundheitskompetenz für ältere Menschen sollten diese Themencluster alle gleichermaßen berücksichtigt werden. Das IROHLA-Modell zur Klassifizierung der Interventionen (Abb. 3) integriert die Themencluster in das Interventionsmodell und verdeutlicht, an welchen Stellen die Interventionen aus den unterschiedlichen Themenclustern jeweils ansetzen können.

Abb. 3
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Das IROHLA-Modell zur Klassifizierung von Interventionen

Die im Rahmen des Projektes IROHLA ausgewählten 20 Praxisbeispiele werden auf der IROHLA-Website vorgestellt [7]. Zu diesen erfolgreichen Interventionen zählen auch zwei Projekte aus Deutschland: Das Programm „Erlebnis Internet“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen sowie das E-Learning-Portal „ich-will-lernen.de“ des Deutschen Volkshochschul-Verbandes. Das Programm „Erlebnis Internet“ ermöglicht älteren Menschen eine „Erst“-Erfahrung mit dem Internet. Die Maßnahmen richten sich an ältere Menschen, die das Internet noch nicht nutzen, und greifen Themen auf, die die Zielgruppe interessieren, z. B. Gesundheit, Kultur oder Reisen. Ältere Menschen können am Computer spielerisch die Vorteile des Internets entdecken. Im Rahmen des Programms werden Workshops für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren angeboten, Praxisprojekte vor Ort unterstützt und Broschüren sowie Arbeitsmaterialien entwickelt [8].

Die zweite ausgewählte Intervention aus Deutschland ist das E-Learning-Portal „ich-will-lernen.de“ des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, das sich insbesondere an gering qualifizierte Erwachsene richtet. Das Internet-Lernportal (www.ich-will-lernen.de) kann kostenlos und anonym genutzt werden und bietet den Lernenden eine Begleitung durch Online-Tutoren. Alternativ kann das Programm auch kursbegleitend zu einem Alphabetisierungs- oder Schulabschlusskurs eingesetzt werden. Das Lernportal bietet Übungen zur Alphabetisierung und Grundbildung, zur Vorbereitung auf den Schulabschluss sowie zur ökonomischen Grundbildung. Diese Bereiche sind aufeinander abgestimmt. Der gesamte Lernstoff ist in verschiedene Aufgabentypen wie Domino, Kreuzworträtsel oder Blitzrechnen integriert und wird abwechslungsreich vermittelt. Darüber hinaus verbessert das Portal die Computer- und Medienkompetenz der Lernenden.

Bisherige Schlussfolgerungen des Projektes IROHLA

Die Arbeit im Projekt IROHLA hat gezeigt, dass das Konzept der Gesundheitskompetenz in der Gesundheitsliteratur noch relativ neu und deshalb auch noch nicht umfassend in der Gesundheitsvorsorge und -förderung verankert ist. Darüber hinaus ist in Europa bislang relativ wenig Literatur zur Förderung der Gesundheitskompetenz vorhanden. Die am besten beschriebenen Interventionen kommen derzeit aus dem nordamerikanischen Raum. In der Literatur zur Förderung der Gesundheitskompetenz wird einer möglichen Ausrichtung bzw. Adaption des Gesundheitssystems auf Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz bisher wenig Beachtung geschenkt; der Schwerpunkt liegt auf einzelnen Patienten oder dem Gesundheitsfachpersonal.

Aus der Analyse der 20 identifizierten Interventionen resultieren die folgenden Schlussfolgerungen, die in die evidenzbasierten IROHLA-Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis einfließen werden:

  • Erfolgreiche Interventionen verwenden eine Kombination aus verschiedenen Methoden zur Vermittlung von Informationen (umfassender Ansatz, verdeutlicht durch das IROHLA-Modell zur Klassifizierung von Interventionen in Abb. 3). Sie nutzen den Ansatz des Empowerments der Patienten und berücksichtigen unterschiedliche soziale, physische oder kulturelle Rahmenbedingungen bei der Verbesserung der Gesundheitskompetenz.

  • Ein wichtiger Aspekt bei der Unterstützung älterer Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz ist die oftmalige Wiederholung gesundheitsbezogener Botschaften und Informationen sowie die Sicherstellung von Folgemaßnahmen. Dieser Ansatz wird durch die im Rahmen der IROHLA-Taxonomie definierten Ziele „Information und Aufklärung“ sowie „Verhaltensänderungen unterstützen“ verdeutlicht.

  • Maßnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz sind erfolgreicher, wenn sie die Kommunikation zwischen Individuum und Gesundheitsfachpersonal fördern. Um die Kommunikation zu verbessern, sollten beide Seiten geschult werden. Außerdem ist es hilfreich, unterschiedliche Kommunikationswege zu nutzen (z. B. direkte, telefonische oder elektronische Kommunikation). Der Ansatz zur Förderung der Kommunikation basiert auf Themencluster A („Kommunikation“) des IROHLA-Modells zur Klassifizierung von Interventionen (Abb. 3).

  • Besonders wirksam sind maßgeschneiderte Interventionen und auf das Individuum zugeschnittene Konzepte, die die Kompetenzen und Motivation der betroffenen Personen stärken. Diesen Ansatz bringt das Themencluster B („Empowerment“) des IROHLA-Modells zur Klassifizierung von Interventionen zum Ausdruck.

  • Peer-Gruppen, Gleichgesinnte, Freiwillige und Ehrenamtliche (die auch Hausbesuche machen) können die Kommunikation verbessern. Das IROHLA-Modell zur Klassifizierung von Interventionen betont dies durch das Themencluster C („Gemeinschaft“).

  • Bei zahlreichen Interventionen fehlen Informationen zu den benötigten Kenntnissen und Fähigkeiten des Gesundheitsfachpersonals, um diese Interventionen auch sinnvoll ein- und umsetzen zu können. Darüber hinaus kommt die Förderung der Gesundheitskompetenz in der Ausbildung von Gesundheitsfachpersonal bislang meist noch zu kurz. Das IROHLA-Modell zur Klassifizierung von Interventionen betont daher im Themencluster D die Bedeutung der Stärkung der Kompetenz des Fachpersonals.

  • Eine signifikante Anzahl der 20 Interventionen betont die Bedeutung der Verringerung oder Abschaffung (sozialer, physischer und/oder kultureller) Barrieren bei der Förderung und Verbesserung der Gesundheitskompetenz. Diesen Aspekt greift das IROHLA-Modell zur Klassifizierung von Interventionen im Themencluster E („Barrieren“) auf.

  • Interventionen, die E-Health-Komponenten (wie Internetspiele, Online-Lernen oder Online-Coaching) enthalten, sind bei der Auswahl der 20 Interventionen eindeutig in der Mehrzahl. Der interaktive Aspekt von E-Health-Interventionen kann zu einer Verbesserung der Gesundheitskompetenz beitragen.

  • Interventionen, die sich auf Internetplattformen stützen, können einen positiven Effekt auf die Teilhabe älterer Menschen an der Gesellschaft haben und die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und psychischer Gesundheitsprobleme unterstützen. Internetbasierte Interventionen gewinnen insbesondere an Bedeutung, da der Trend der digitalen Mobilität im Alter stetig zunimmt. So nutzten in der Europäischen Union im Jahr 2013 bereits 46 % der 55- bis 74-Jährigen regelmäßig das Internet [9].

Fazit

Das IROHLA-Projekt stellt einen direkten Zusammenhang zwischen Forschung und Praxis her, indem es auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis formuliert, die sich speziell auf die Zielgruppe der über 50-Jährigen beziehen. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf dem oben beschriebenen, umfassenden Lösungsansatz zur Förderung der Gesundheitskompetenz liegen, der das Individuum und seine Umgebung, aber auch das Gesundheitsfachpersonal sowie das Gesundheitssystem einbezieht. Die Ergebnisse des IROHLA-Projektes werden auf einem Portal (Health Literacy Centre Europe: www.healthliteracycentre.eu) präsentiert, das neben einem breitgefächerten Informationsangebot auch einen Austausch zum Thema „Gesundheitskompetenz“ ermöglicht. Auf diese Weise bleiben die Ergebnisse sowie das wichtige Thema „Gesundheitskompetenz“ über das Projektende hinaus präsent und können weiter vorangetrieben werden.

Ausblick Deutschland

Auch in Deutschland ist das Thema „Gesundheitskompetenz“ in den letzten Jahren vermehrt ins wissenschaftliche und politische Bewusstsein gerückt. Sowohl die im Rahmen des europäischen Health Literacy Survey ermittelten Daten für Nordrhein-Westfalen als auch die aktuellen bundesweiten Ergebnisse der WIdO-Studie machen deutlich, dass Handlungsbedarf besteht, sich dem Thema „Gesundheitskompetenz älterer Menschen in Deutschland“ verstärkt zu widmen. Ziel sollte eine breit angelegte, strukturierte und langfristige Strategie sein. In Deutschland bearbeitet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung das Thema „Gesundheitskompetenz“ unter anderem im Rahmen der Beteiligung an dem Projekt IROHLA sowie auch auf nationaler Ebene. Die BZgA und der AOK-Bundesverband greifen die Projektergebnisse in ihrer Arbeit auf und verbreiten die Erkenntnisse in Deutschland. Beide Organisationen widmen sich der Thematik „Gesundheitskompetenz“ in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern. Es ist wichtig, dass alle relevanten Akteure gemeinsam eine Strategie entwickeln, um auch in Deutschland die Gesundheitskompetenz und damit die Lebensqualität und Gesundheit sowohl von älteren als auch jüngeren Menschen zu steigern.