Hintergrund

Zur Sicherung einer flächendeckenden, für alle Bürger leicht zugänglichen, qualitativ hochwertigen und nachhaltig entwicklungsfähigen gesundheitlichen Versorgung ist ein leistungsfähiges primärärztliches System notwendig [1, 2]. Dies gilt insbesondere angesichts der demografischen Entwicklung. Das steigende Alter der Bevölkerung geht dabei mit erhöhter Morbidität sowie gesundheitlicher Chronizität und Komplexität einher, sodass der Behandlungsbedarf insgesamt steigt [3]. So weisen multimorbide Patienten eine deutlich erhöhte Anzahl von jährlichen Arztkontakten auf [4]. Die zunehmende Zahl an chronischen Erkrankungen und die daraus resultierende steigende Inanspruchnahme ärztlicher bzw. medizinischer Leistungen ist wiederum mit erhöhten Kosten verbunden [5, 6]. Auch ein Großteil der Medikamentenverschreibungen betrifft ältere und chronisch kranke Patienten, die in der Folge auch besonders häufig von Polymedikation betroffen sind [7]. Dies führt vermehrt zu Arzneimittelinteraktionen und unerwünschten Arzneimittelwirkungen, die für einen erheblichen Anteil an vermeidbaren Krankenhausaufnahmen und auch für eine erhöhte Sterblichkeit verantwortlich sind [8]. Ein Großteil der Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung wird von chronisch Kranken verursacht. Die beschriebene Problematik führt zu einer stetigen Zunahme der Behandlungskomplexität, wodurch die Notwendigkeit eines ärztlichen Koordinators ersichtlich wird.

Der Hausarzt als Generalist kann dieser Aufgabe am ehesten gerecht werden. Hierfür müssen jedoch zunächst die passenden Voraussetzungen geschaffen werden [9]. Denn häufig unterliegt der Hausarzt der „Dominanz des Dringlichen“, die fragmentierte Versorgungsmuster einer Akutversorgung begünstigt und die notwendige proaktive und umfassende Versorgung chronisch Kranker erschwert [10, 11].

Der deutsche Gesetzgeber entschied daher, die hausärztliche Grundversorgung zu stärken. Zu diesem Zweck wurde das SGB V (Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung) in verschiedenen, nicht immer geradlinigen Schritten um die Regelungsinhalte des § 73 b, die „hausarztzentrierte Versorgung“ (HzV), ergänzt. Der vorliegende Beitrag erläutert das Prinzip sowie die Rahmenbedingungen der HzV und berichtet über die aktuelle Verbreitung dieser Versorgungsform.

Rationale

Die Einführung der HzV als eine durch Hausärzte koordinierte Versorgung hat zum Ziel, die Qualität der medizinischen Versorgung von Patienten zu verbessern und vorhandene Ressourcen möglichst effizient zu nutzen [12]. Da in Deutschland international übliche Instrumente wie ein konsequentes Primärarztsystem (gate keeping) oder eine durch Aufhebung des „Payer-Provider-Splits” gesteuerte Organisation der Versorgung (Managed Care, etwa in Gestalt von Health Maintenance Organizations) als „nicht politikfähig” bewertet wurden, wurde das Konzept der (für die Vertragsärzte und die Versicherten freiwilligen) Selektivverträge gewählt. Dies soll beispielsweise zu einer Reduktion von unnötigen Doppeluntersuchungen und Hospitalisierungen führen. Darüber hinaus wird eine gezielte und qualitätsorientierte Verordnung von Arzneimitteln unter Berücksichtigung von Wirksamkeit und Kosten im Sinne einer rationalen Pharmakotherapie angestrebt [12].

An teilnehmende Ärzte werden bestimmte Anforderungen gestellt. So müssen diese beispielsweise strukturierte Qualitätszirkel zur Arzneimitteltherapie besuchen. Zudem wird eine Behandlung nach evidenzbasierten und praxiserprobten Leitlinien für die hausärztliche Versorgung und ein indikatorgestütztes und wissenschaftlich anerkanntes Qualitätsmanagement gefordert [13]. Versicherte verpflichten sich, mit ihren Problemen als Erstes den einschreibenden Hausarzt aufzusuchen.

Das Konzept der Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) ist ein spezifisch deutsches, das zwar zahlreiche international diskutierte Anregungen aufnimmt, aber auf die deutsche gesundheitspolitische Situation zugeschnitten ist [14]. Innerhalb dieser gehört es seit 2004 zu den wichtigsten Regelungen bzw. Änderungsansätzen im System. Im Bereich der hausärztlichen Versorgung wurden potenziell weitreichende Veränderungen der gesundheitspolitischen Arena eingeführt: Neue Akteursverbände wurden vertragsfähig gemacht, das Honorierungsprinzip wurde zum Teil grundlegend verändert (Pauschalierung anstelle primär einzelleistungsbezogener Vergütung), und die Inanspruchnahme sollte einem gestuften Prinzip folgen. Evidenzbasierte Behandlungs- und Verordnungsentscheidungen sollen gefördert werden.

Mit der Regelung nach § 73 SGB V (insbes. § 73b) wurden mit der Möglichkeit spezieller Selektivverträge bestimmte Akteure (insbesondere Kassen und Berufsverbände) in der traditionell stark korporatistisch bestimmten ambulanten Versorgung mit der Absicht der Verstärkung des Wettbewerbs und der Stärkung der Primärversorgung neu positioniert und veränderte Interessenkonstellationen ermöglicht, die das traditionelle Muster der vertragsärztlichen Versorgung infrage stellen können. Das Modell der HzV soll zugleich aber auch eine Antwort auf sachliche Versorgungsprobleme bieten, bei denen in Deutschland Defizite gesehen werden:

  1. 1.

    Im internationalen Vergleich zeigen Länder mit einer starken Rolle der Primärversorgung eine höhere Versorgungsqualität und Effizienz in diesem bevölkerungsrelevanten Versorgungsbereich.

  2. 2.

    Mit dem demografischen Wandel treten patientenbezogene Bedürfnisse, z. B. eine langzeitige und verlässliche Versorgung bei chronischer Erkrankung, weiter nach vorne.

  3. 3.

    Eine Stärkung der Primärversorgung ist aus Gründen der Nachhaltigkeit, der Nachwuchsgewinnung und auch des Bestandes im (Verdrängungs-) Wettbewerb mit spezialistischen Fächern erwünscht.

  4. 4.

    Schließlich soll und kann das Modell der HzV über eine sektorspezifische Stärkung der Primärversorgung hinaus im Kontext einer integrierten, sektorübergreifenden Versorgung angelegt sein.

Im Muster des Selektivvertrags sind dabei recht unterschiedliche Regelungen möglich, die diese Rationale in größerem oder geringerem Maße ausfüllen. Es wurde angenommen, dass das Instrument verstärkten Wettbewerbs der Kassen (insbesondere bei den Beitragssätzen) die Wirtschaftlichkeit erhöhen würde, selbst bei erhöhten Pauschalvergütungen im hausärztlichen Bereich.

Perspektivisch sollte das Modell der HzV allerdings nicht alleine stehen, sondern z. B. zusammen mit fachärztlichen Selektivverträgen nach § 73c, Versorgungsformen nach § 53 und § 63–65 sowie nach § 137f–g und auch Verträgen zur integrierten Versorgung nach § 140a–d zu einer stärker sektorübergreifenden Gesamtversorgung beitragen [1, 16]. Ziel ist das Zukunftskonzept einer umfassenden, populationsorientierten Betrachtungsweise, anstelle des traditionellen, anbieter- und sektororienterten Systems [1]. Damit soll eine Zunahme der Behandlungsqualität einhergehen. In solch einem integrierten Modell kommt einer starken Primärversorgung jedoch die Schlüsselfunktion der Koordination und des „verlässlichen Rückkehrpunktes“ zu [15]. Ob sich diese Erwartungen erfüllen, kann nur anhand wissenschaftlicher Evaluation erwiesen werden.

In der gesetzlichen Regelung nach § 73b sind unabdingbare Inhalte der HzV vorgegeben, die sich substanziell auf die Versorgungsqualität auswirken sollen, damit der Regelungszweck nicht, wie z. B. in zahlreichen Verträgen zur integrierten Versorgung nach § 140a–d, unterlaufen wird [1, 16].

  1. 5.

    Ein verbreiterter Zuständigkeitsbereich und damit erhöhter Leistungsumfang der Primärversorger soll und muss mit einer erhöhten Vergütung einhergehen. Diese ist in unterschiedlichem Maße in den Verträgen zur HzV auch vorgesehen. In Abänderung der zwischenzeitlich verschärften Regelung, dass die Verträge bereits prospektiv ihre Ersparnis darlegen mussten, besteht die Regelung, dass die Verträge in der Perspektive von vier Jahren ihre Wirtschaftlichkeit darlegen müssen. Einsparungen sind in kürzerer Frist zumeist nur im Arzneimittelbereich darzustellen, im Bereich z. B. der ambulanten und stationären Inanspruchnahme nur dann, wenn parallel eine wissenschaftlich angemessene Evaluation stattfindet.

Verbreitung der hausarztzentrierten Versorgung

Bei Einführung der HzV in das SGB V im Jahr 2004 war es den Krankenkassen zunächst freigestellt, Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung abzuschließen. Die Bereitschaft der Kassen, HzV-Verträge abzuschließen, war sehr heterogen. Die meisten Krankenkassen lehnten Vertragsabschlüsse ab, da sie dies als Eingriff in ihre Vertragsfreiheit werteten. Zudem war zunächst der aufwendige Aufbau neuer Strukturen notwendig, da die hausarztzentrierte Versorgung einen Selektivvertrag außerhalb des Kollektivvertragssystems darstellt. Dies bietet Gestaltungsmöglichkeiten, erfordert aber auch ein zusätzliches Engagement der Beteiligten. Es lassen sich Add-on-Verträge von Vollversorgungsverträgen differenzieren. Die Vertragstypen unterscheiden sich deutlich in Anspruch und Komplexität. Add-on-Verträge zielen nur auf einzelne Versorgungsaspekte, die zusätzlich zur kollektivvertraglich definierten Regelversorgung vereinbart werden, ab. Dies kann bspw. das Anbieten einer Abendsprechstunde oder die Förderung der DMP-Teilnahme sein. Während Add-on-Verträge die traditionelle Vergütung nach EBM nur in diesen Punkten ergänzen, weisen umfassende Vollversorgungsverträge erheblich mehr Honorierungs- und Steuerungskomponenten sowie Instrumente zur Qualitätsverbesserung auf [17]. Die Vergütung, die in Baden-Württemberg z. B. eine kontaktunabhängige Pauschale umfasst, erfolgt außerhalb des KV-Systems.

Der Aufbau von Parallelstrukturen ist zunächst nicht im Interesse des (etablierten) Kollektivsystems, das in der Hand der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) liegt. Nach dem Gesetz sind auf der einen Seite die einzelnen Kassen (obligat) und auf der anderen Seite legitimierte Vertreter der Hausärzte abschlussberechtigt. Mit dieser Regelung waren die KVen nicht mehr allein für die Vertretung und Abwicklung der hausärztlichen Versorgung zuständig. Dies war im Interesse der Hausärzte, die innerhalb der 17 regionalen KVen gegenüber den Fachärzten zunehmend häufiger in der Unterzahl sind. In den meisten Bundesländern ist mit dem Berufsverband der Hausärzte, dem Deutschen Hausärzteverband, ein neuer Akteur aufgetreten, der mit oder ohne KV über die von den Landesverbänden getragene Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG) Vertragspartner für Selektivverträge ist, wenn er die Mobilisierung von 50 % der Hausärzte nachweisen kann. Daraus ergaben sich teilweise neue Konflikte zwischen Krankenkassen und KVen [18]. Kassenärztliche Vereinigungen können jedoch in Fällen, in denen hausärztliche Gemeinschaften sie beauftragen, beim Abschluss von HzV-Verträgen ebenfalls als Vertragspartner auftreten.

Erst mit einer neuen gesetzlichen Regelung wurde das Anbieten der HzV den Krankenkassen bis spätestens 30.06.2009 zur Pflicht. Dennoch kam es nur zögerlich zu einer Verbreitung der HzV. Vielerorts bedurfte und bedarf es zahlreicher Schiedsverfahren. Dadurch werden in vielen Fällen Vertragsabschlüsse zwischen den verschiedenen Krankenkassen und der HÄVG, die als Vertretung der Hausärzteschaft in Vertragsverhandlungen auftritt, verzögert. Auch bei Honorarstreitigkeiten sind häufig Schiedsverfahren notwendig. Dies führt teilweise zu nicht unbeträchtlichen Liquiditätsproblemen bei teilnehmenden Ärzten. In der Folge kann auch seitens der Hausärzteschaft, die im Rahmen der HzV auf eine bessere Vergütung hofft, die Motivation zur Fortführung entsprechender Verträge gemindert werden. Zwischenzeitlich kam für Verträge mit Abschluss nach dem 22. September 2010 die Erweiterung des § 73b um den Absatz 5a hinzu, der als Refinanzierungsklausel den Abschluss neuer Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung deutlich erschwerte [19]. Absatz 5a sah vor, dass Mehrleistungen im Rahmen von Hausarztverträgen nur dann von den gesetzlichen Krankenkassen honoriert würden, wenn an anderer Stelle entsprechend eingespart würde. Die umstrittene Klausel wurde am 01.04.2014 wieder abgeschafft.

Dennoch lässt sich an der Anzahl der bestehenden Verträge und der daran teilnehmenden Ärzte und Versicherten eine stete Weiterverbreitung der HzV ablesen (Tab. 1 – es ist anzumerken, dass hier nur vergütungswirksame Verträge mit Beteiligung der HÄVG aufgeführt sind). Zudem handelt es sich jeweils um Verbundverträge, die sich in zahlreiche regionale Verträge, mit jeweils quasi gleichen Vertragsinhalten, aufgliedern lassen. Die unterschiedliche Zahl an teilnehmenden Ärzten und Versicherten ergibt sich teilweise auch aus der (bisherigen) Vertragslaufzeit. Auffällig ist ein deutliches Süd-Nord-Gefälle mit einer ausgeprägteren Verbreitung der HzV im Süden Deutschlands. Hier kommt besonders dem HzV-Vertrag der AOK in Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle zu. Dieser wurde als einer der ersten Vollversorgungsverträge abgeschlossen und konnte, dank des hohen Marktanteils der AOK in Baden-Württemberg, frühzeitig sehr vielen Versicherten angeboten werden. Dies wurde durch die Versichertenstruktur der AOK, als Versorgerkasse mit einer überdurchschnittlichen Anzahl von Versicherten mit hohem Versorgungsbedarf, begünstigt.

Tab. 1 Anzahl der Verträge und Teilnehmer an der hausarztzentrierten Versorgung nach Regionen (Angaben der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft (HÄVG), Stand 10.10.14)

Es lässt sich also feststellen, dass die Verbreitung der HzV-Verträge sehr stark vom Vertragstyp (Vollversorgungsvertrag), vom Marktanteil des Partners (Kasse) und den technischen Anforderungen des Vertrags abhängig ist. Viele Verträge sind erst in jüngerer Zeit gestartet, sodass hier zukünftig mit deutlich größeren Teilnehmerzahlen gerechnet werden kann.

Bislang wurden 46 HzV-Verträge (Tab. 1) durch die HÄVG abgeschlossen. Bundesweit gibt es daneben zurzeit 33 Hausarztverträge mit KV-Beteiligung, wobei beispielsweise in Sachsen-Anhalt die KV alleiniger Vertreter der Hausärzte ist [20, 21]. Bundesweite Zahlen, wie sie hier wiedergegeben sind, konnten wir nur für die mit der HÄVG abgeschlossenen HzV-Verträge erhalten. Von ca. 70 Mio. Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung sind zum Stichtag 10.10.2014 mehr als 3,6 Mio. Versicherte in ein HzV-Programm eingeschrieben.

Auch anhand des von der HÄVG umgesetzten Honorarvolumens kann die zunehmende Bedeutung der HzV bemessen werden. So kam es zwischen 2012 und 2013 zu einer Zunahme um fast 50 % von 520 Mio. € auf ca. 780 Mio. € [22]. Das Honorarvolumen könnte, angetrieben durch die Unzufriedenheit mit der jüngsten EBM-Reform, im Jahr 2014 auf rund 1 Mrd. Euro anwachsen.

Durch die Vielzahl der beteiligten Kassen (veranschaulicht in Tab. 2) ist die Umsetzung der jeweiligen Verträge ernsthaft behindert, da in diesen Verträgen – teilweise minimal unterschiedliche – Anspruchsgrundlagen oder Anforderungen formuliert werden. Hinderlich ist u. a. auch, dass je nach Kasse unterschiedliche Definitionen von „chronischer Erkrankung“ zugrunde gelegt werden. Die Verträge erfordern jeweils eine spezifische Software-Anbindung an die Praxissoftware (PVS), die von den Anbietern nur gegen Aufpreis (oder bei geringem Versichertenanteil gar nicht) geliefert wird. Möglicherweise werden die HzV-Verträge wie die anderen Selektivverträge daher zukünftig zu einer verstärkten Fusion von Kassen führen.

Tab. 2 Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) und beteiligte Kassen nach Regionen (Angaben der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft (HÄVG), Stand 10.10.14)

Einschränkend muss eingeräumt werden, dass wir konkrete Zahlen nur für einen Teil der laufenden HzV-Verträge angeben können. Dies ändert jedoch nichts an den grundsätzlichen Aussagen – im Gegenteil wird die tatsächliche Verbreitung der HzV eher noch unterschätzt.

Auf das gesamte Bundesgebiet bezogen und alle Versicherten betrachtend, ist die Verbreitung der HzV noch gering. Der „Süd-Nord“-Gegensatz in Tab. 1 ist schlagend. Dies erklärt sich vor allem daraus, dass in Baden-Württemberg die AOK die Chancen der HzV zur proaktiven Versorgungsgestaltung erkannt hatte und daher einen weitreichenden Selektivvertrag schloss. In Bayern mobilisierte ein hausärztlicher Berufsverband mit hohem Organisationsgrad vor dem Hintergrund eines berufspolitischen Konflikts im Jahr 2010 massiv. Speziell in Norddeutschland gibt es dagegen meist nur – zögerlich abgeschlossene – Add-on-Verträge, die noch keine Wirksamkeit entwickelt haben.

Wirksamkeit und Nutzen hausarztzentrierter Versorgung

Der Hintergrund der Einführung der HzV und die damit verbundenen Erwartungen wurden eingangs bereits erläutert. Zur Beurteilung, ob diese eingetroffen sind sollten „Kriterien guter Primärversorgung“ herangezogen und hinsichtlich der Zielerreichung überprüft werden [23, 24]. Die wissenschaftliche Evaluation derartiger selektivvertraglich gestalteter Versorgung ist in § 73b nicht gefordert. Unseres Wissens erfolgen Evaluationen nur in Thüringen (HzV-Vertrag der AOKplus – Ergebnisse noch ausstehend) und in Baden-Württemberg.

Der Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung in Baden-Württemberg wird seit dem Jahr 2010 einer kontinuierlichen externen Evaluation unterzogen. Bereits in der ersten Phase dieser Evaluation konnten viele Thesen und Erwartungen bestätigt werden [25]. So führte die HzV insbesondere bei chronisch Kranken zu einer höheren Behandlungszufriedenheit [26]. Dies geht auch mit einer Zunahme der Zufriedenheit der teilnehmenden Hausärzte einher. Auch kam es zu einer leitliniengerechteren Therapie herzinsuffizienter Patienten [27]. In der zweiten Phase der Evaluation konnten nun weitere positive Auswirkungen aufgezeigt werden, wie auch im vorliegenden Schwerpunktheft von Laux et al. im Artikel „Hausarztzentrierte Versorgung in Baden-Württemberg“ beschrieben. Demnach zeigen sich insbesondere hinsichtlich der ambulanten und stationären Inanspruchnahme und der Qualität der Medikamentenversorgung Vorteile gegenüber der Regelversorgung. Während sich eine Optimierung der Prozesse bereits aus vertraglich festgelegten Qualitätsstandards ergibt, können durch die Evaluation verbesserte Outcomes festgestellt werden.

Fazit

Angesichts einer älter werdenden Gesellschaft werden tragfähige Versorgungskonzepte benötigt, die den komplexen Behandlungsbedürfnissen einer steigenden Zahl an chronisch kranken und multimorbiden Patienten gerecht werden. Dem steht eine zunehmend spezialisierte und fragmentierte Gesundheitsversorgung in Deutschland gegenüber. Diese zeichnet sich vor allem durch eine hohe Zahl an jährlichen Arztkontakten und ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung aus. Länder mit einer starken Primärversorgung können hingegen bei vergleichsweise niedrigeren Kosten eine bessere medizinische Versorgung leisten – gerade bei chronisch Kranken [24, 28].

Neue Versorgungskonzepte in Deutschland müssen daher zunächst auf eine Stärkung und Optimierung der Primärversorgung abzielen. Dem Hausarzt kommt dabei die Aufgabe eines Koordinators und gesundheitlichen Begleiters zu. Doch „Hamsterrad“ und „Case Management“ lassen sich schwer vereinen. Die hausärztliche Versorgung benötigt daher stabile Rahmenbedingungen [29]. Die HzV liefert, wenn in Form eines umfassenden Vollversorgungsvertrages wie in Baden-Württemberg praktiziert, durch die pauschalierte und damit zum Teil kontaktunabhängige Vergütung einen wesentlichen Beitrag, um die Wahrnehmung dieser nun vom Hausarzt geforderten Funktionen überhaupt erst möglich zu machen. Gleichzeitig erfolgt durch die verpflichtende Teilnahme an strukturierten Qualitätszirkeln, insbesondere zur Arzneimitteltherapie, und durch Fortbildungen zu hausarzttypischen Versorgungsfeldern eine systematische Qualitätsförderung. Außerdem wird die Qualifizierung nichtärztlicher Mitarbeiter effektiv unterstützt, indem spezifische von Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH) erbrachte Leistungen, wie z. B. Case Management oder Hausbesuche, separat honoriert werden. Dadurch wird die Schaffung interdisziplinärer Teams vorangetrieben. Im Rahmen von Facharztverträgen (nach § 73c SGB V) findet eine zunehmende Vernetzung statt, die den Patienten in Form multiprofessioneller Kooperationen zugute kommt.

Zukünftig müssen Wege gefunden werden, die starren Grenzen zwischen den Sektoren zu überwinden und im Sinne einer populationsorientierten Gesundheitsversorgung den Patienten mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen. Die HzV kann dafür Ausgangspunkt sein.