Hintergrund

Unfälle und Verletzungen sind ein relevantes Gesundheitsproblem

Jedes Jahr sterben etwa 230.000 Bürger in der Gemeinschaft der EU-27Footnote 1 aufgrund von Unfällen oder Gewalttaten – d. h., alle 2 min gibt es ein diesbezügliches Todesopfer. Verletzungen sind nach Herz- und Gefäßerkrankungen sowie Krebs und Atemwegserkrankungen die vierthäufigste Todesursache in den Mitgliedstaaten. Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen stellen Unfälle und Verletzungen sogar die Haupttodesursache dar. Unfälle und Verletzungen sind auch die Hauptursache für chronische Behinderungen bei jüngeren Menschen und führen zu einem hohen Verlust an gesunden Lebensjahren [1].

Unfälle und Verletzungen sind weitgehend vermeidbar

Mehr als bei vielen anderen Erkrankungen oder vorzeitigen Todesfällen lassen sich die Ursachen von Verletzungen vermeiden, indem das Lebensumfeld sowie die verwendeten Produkte und Dienstleistungen sicherer gestaltet werden. Es gibt umfangreiche Belege für die Wirksamkeit und Kosteneffizienz von Maßnahmen gegen Unfälle, die aber noch keine breite Anwendung in der Gesellschaft finden [2]. Ein weiteres Indiz für ein hohes präventives Potenzial dieser Maßnahmen sind die in der EU beobachteten epidemiologischen Unterschiede beim Unfall- und Verletzungsrisiko: So ist etwa in dem Mitgliedstaat mit der höchsten Verletzungsrate das Risiko, an einer Verletzung zu sterben, 5-mal so hoch wie in dem Mitgliedstaat mit der niedrigsten Rate [1].

Bessere Daten heißt bessere Prävention

Routinedaten zur Mortalität- und Morbidität werden in der EU zwar großteils bereits nach dem internationalen Diagnosenschlüssel (ICD) der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) erhoben [3], für Präventionszwecke sind diese Daten aber oft nicht ausreichend, da zu wenig detailliert. Statistiken zu Arbeitsunfällen [4] und Verkehrsunfällen [5], die auch auf EU-Ebene zusammengeführt werden, sind zwar auf Prävention ausgerichtet, haben aber definitionsgemäß keinen alle Unfälle umfassenden Blickwinkel und enthalten – da nicht mit dem Setting Krankenhaus verbunden – meist auch keine verlässliche Information über die Verletzungsdiagnose, die Verletzungsschwere oder die Behandlungsdauer.

In der Empfehlung des EU-Rates (Bereich Umwelt, Verbraucher und Gesundheitsschutz) vom 31.05.2007 zur Prävention von Verletzungen und zur Förderung der Sicherheit [6] heißt es daher: „… erscheint es notwendig, die vorhandenen Daten besser zu nutzen und gegebenenfalls einen Mechanismus zur Verletzungsüberwachung und -meldung zu entwickeln, mit dem ein koordiniertes Vorgehen zwischen den Mitgliedstaaten bei der Entwicklung und Einführung nationaler Strategien zur Prävention von Verletzungen, einschließlich des Austauschs bewährter Verfahren, sichergestellt würde“.

Dieser Aufruf hat zusammen mit mehreren „EU-Projekten“ zum Austausch von Unfalldaten [7] zur European Injury Data Base (IDB) in ihrer heutigen Form und zum entsprechenden Bericht „Injuries in the European Union“ geführt.

Methode

Der aktuelle Bericht „Injuries in the European Union“ der European Association for Injury Prevention and Safety Promotion, EuroSafe [1], ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Unfallstatistiken auf EU-Ebene. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf den Ergebnissen der IDB. Daher wird in diesem Kapitel kurz auf die Methode der Datenerhebung für die IDB eingegangen, auch um ein besseres Verständnis für die Interpretation der IDB-Ergebnisse zu schaffen.

Datenerhebung für die Injury Database

Die IDB ist eine für die EU einzigartige Datenquelle auf Basis eines international standardisierten Datensatzes über externe Ursachen und Begleitumstände von Verletzungen, der in der Notaufnahme von ausgewählten Krankenhäusern der „IDB-Länder“ erhoben wird – aktuell zwischen 1 und über 30 Krankenhäusern je Land. Derzeit liefern etwa 100 Krankenhäuser in der EU zusammen rund 300.000 Fälle pro Jahr an die EU-IDB. Mit Stand 2012 sind Zypern (1), Dänemark (4), Deutschland (3), Italien (7), Lettland (32), Malta (1), Niederlande (27), Norwegen (7), Österreich (5), Portugal (11), Slowenien (12) und Schweden (4) IDB-Mitgliedstaaten (in Klammer steht die Anzahl der IDB-Krankenhäuser des Landes). Der Zugriff auf die IDB ist über die zentrale Datenbank bei der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher (kurz GD SANCO) der Europäischen Kommission möglich: http://ec.europa.eu/health/data_collection/databases/idb/ [8].

Mit dem Erhebungsort Notaufnahme deckt die IDB das gesamte Spektrum von Unfällen und Verletzungen in ausreichender Detailliertheit ab, die zur Ableitung präventiver Maßnahmen und zur Kenntnis der beteiligten Produkte erforderlich ist. Je nach Unfallart und Zusatzmodul werden im IDB-Datensatz bis zu 25 Variablen (Unfallart, Unfalltätigkeit, beteiligte Produkte etc.) und oft auch individuelle Hergangsbeschreibungen erhoben (vgl. ◉ Übersicht 1 und Kapitel „Ergebnisse der IDB“ für Beispiele der Detailtiefe einzelner Variablen).

Übersicht 1

Die Variablen und Module des IDB-Standard-Datensatzes („Full Dataset“ [10])

figure a

Standardisierung und Qualitätssicherung

Die aktuelle Methodik der IDB – vom Stichprobenplan bis hin zur Berechnung von standardisierten Kennzahlen für Heim- und Freizeitunfälle für die „Gesundheitsindikatoren der Europäischen Gemeinschaft“ [7] – ist in einem umfassenden Qualitätshandbuch festgehalten [9]. Dieses Manual definiert auch die Qualitätsanforderung an die nationalen IDB-Systeme in den verschiedenen Dimensionen, die vom Europäischen Statistischen System vorgegeben sind [9], wie die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Ergebnisse, die Kohärenz und Vergleichbarkeit oder Angemessenheit des Ressourcenverbrauchs.

Durch praktische Tools wird eine möglichst harmonisierte IDB-Datenerhebung in den Mitgliedsländern unterstützt. Hierzu zählen etwa eine Daten-Eingabe-Software und ein Qualitäts-Check-Programm und natürlich auch ein einheitliches IDB-Kodierungshandbuch in den erforderlichen Sprachen [10]. Auch der online Public Access und Research Access zu den IDB-Daten und die zahlreichen Auswertungen und Vergleiche, die damit ermöglicht werden, sind ein Beitrag zur Sicherung und Erhöhung der IDB-Datenqualität [11].

Ausgewählte Ergebnisse

Der „blaue Bericht“

Der aktuelle Bericht „Injuries in the European Union“ (vulgo „the blue report“) der European Association for Injury Prevention and Safety Promotion (EuroSafe [1]) wurde in dieser Form erstmals 2007 erstellt – mit dem Ziel, auf EU-Ebene die Möglichkeit einer präventionsorientierten Unfallberichterstattung zu demonstrieren, und mit der Hoffnung, dass diese Art eines zweckgerichteten „statistischen Berichts“ die Unfallprävention auf der Public-Health-Agenda weiter nach oben befördern würde – national und auf EU-Ebene.

Umfassender Überblick

Eine Hauptleistung des Berichtes ist es, erstmals eine Gesamtschau auf das Unfallgeschehen in der EU zu ermöglichen und dabei nach den Präventionsbereichen Straßenverkehr, Arbeit, Schule, Heim/Freizeit, Sport und Gewalt zu differenzieren. Der Überblick in ◉ Tab. 1 stellt das Unfallgeschehen anhand verschiedener Quellen auch nach Behandlungsart dar – als einem Indikator für die Verletzungsschwere (Tod, stationäre oder ambulante Behandlung im Krankenhaus). Demnach müssen in der EU im Durchschnitt jährlich 40 Mio. Menschen nach Unfällen und Gewaltakten in einem Krankenhaus behandelt werden; etwa 233.000 Menschen sterben an den Folgen einer Verletzung.

Tab. 1 Das jährliche Unfall- und Verletzungsgeschehen in der EU im Überblick nach Behandlungsart und Präventionsbereich

Es zeigt sich, dass der quantitative Schwerpunkt des Unfallgeschehens eindeutig im Bereich Haushalt, Freizeit und Sport liegt (73 % aller im Krankenhaus behandelten Unfälle). Dies steht der subjektiven Wahrnehmung vieler Menschen entgegen, die den Straßenverkehr als Hauptverursacher von Unfällen erachten. Die Ursache für den Unterschied zwischen der objektiven und subjektiven Einschätzung von Unfallschwerpunkten liegt vor allem in der medialen Berichterstattung mit ihrem Fokus auf Verkehrsunfällen, und hier vor allem auf tödlichen Verkehrsunfällen. Tatsächlich ist zwar die Unfallmortalität im Straßenverkehr mit 9 Getöteten je 1000 Krankenhausfällen am höchsten, der Anteil stationär behandelter Krankenhausfälle liegt jedoch mit 17 % bei Unfällen in Haus und Freizeit knapp über jenem von Verkehrsunfällen (16 %). Im Gewaltbereich liegen beide Indikatoren bei Selbstverletzung aber noch weit über dem Unfallbereich.

Trotz des statistischen Gewichtes der Haushalts- und Freizeitunfälle gibt es für diesen Bereich deutlich weniger Präventi-onsprogramme als für die Bereiche Straßenverkehr und Arbeitsplatz. Auch sind im Allgemeinen die Folgen von schweren Haushalts-, Freizeit- und Sportverletzungen wie Invalidität weniger gut durch die Sozial- bzw. private Haftpflichtversicherung abgedeckt als bei vergleichbaren Arbeits- und Verkehrsunfällen.

Präventives Potenzial

Wie bereits in der Einleitung angeführt, gibt es zwischen den EU-Ländern enorme Unterschiede bei den Raten an tödlichen Verletzungen. Es wird geschätzt, dass fast 100.000 Menschenleben jährlich gerettet werden könnten, wenn jedes EU-Land die Sterblichkeitsrate aufgrund von Verletzungen auf das Niveau der Niederlande oder von Spanien senken könnte, die in der EU derzeit die niedrigsten Raten an tödlichen Verletzungen aufweisen (◉ Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Standardisierte Rate der tödlichen Verletzungen pro Jahr je 100.000 Einwohner in den EU-Ländern. Eurostat Todesursachenstatistik ICD-10. Alle Todesursachen (A00–Y89) und externe Ursachen von Verletzungen und Vergiftungen (V01–Y89) pro Region. Standardisierte Todesrate (pro 100.000 Einwohner), EU-27, 3-Jahres-Durchschnitt der letzten verfügbaren Jahre. Für die Länder in grauer Farbe sind keine Werte dargestellt. Angaben zu Auswahlkriterien aus der IDB beziehen sich auf das IDB Coding Manual 1.1 (2005 [10]). EU-IDB European Injury Data Base, EU-27 EU mit 27 Mitgliedstaaten bzw. deren Bevölkerungsstand, ICD-9 Daten kodiert nach der International Classification of Diseases, 9th revision, ICD-10 Daten kodiert nach der International Classification of Diseases, 10th revision, WHO MDB WHO Mortality Data Base, Todesursachenstatistik

Diese Einschätzung ist natürlich hypothetisch, da die globalen Unterschiede in der Unfallmortalität auf unterschiedliche Todesursachen zurückzuführen sind, die oft mit der Geografie eines Landes zusammenhängen (z. B. Ertrinken, Bergunfälle). Dennoch enthalten Ländervergleiche, wie sie ◉ Tab. 2 zeigt, wichtige Hinweise auf mögliche „best practices“ zur Prävention bestimmter Unfallarten. ◉ Tab. 2 zeigt auch, dass Selbsttötungen, Verkehrsunfälle und Stürze die 3 wichtigsten Ursachen für tödliche Verletzungen sind (EU-weit 58 % aller Verletzungen) und somit alle EU-Länder eine ähnliche Prioritätenlage haben.

Tab. 2 Anteil (%) ausgewählter Ursachen tödlicher Verletzungen an allen tödlichen Verletzungen

Das präventive Potenzial bei nicht-tödlichen Unfällen ist weit schwieriger einzuschätzen als bei tödlichen Unfällen. Dies hängt zum einen mit Definitionsproblemen zusammen (welche Unfälle welchen Schweregrades sind vergleichbar?) und zum anderen mit der unzureichenden Datenlage in der EU, die einen Ländervergleich bei nicht-tödlichen Unfällen nur bedingt ermöglicht (selbst bei den seit Langem und sehr gut erfassten Verkehrsunfällen ist dies noch kaum möglich [5]).

Ergebnisse aus der IDB

Die meisten schweren Verletzungen werden in der EU in Krankenhäusern behandelt. Dieser Umstand macht dieses Setting zu einem idealen Ort für die Erhebung von Unfallursachen, wie es z. B. durch die EU-IDB erfolgt. Über die Globalzahlen in ◉ Tab. 1 hinaus lassen sich mit den IDB-Daten auch alle demografischen und unfallbezogenen Kriterien über alle Präventionsbereiche vergleichbar darstellen. ◉ Abb. 2 beispielsweise zeigt, welche Unfallbereiche in welchem Alter relevant sind, und auch, zwischen welchen Präventionsbereichen möglicherweise Synergien zu nutzen wären. So ist etwa die Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren von allen Unfallbereichen betroffen, was einen gesamtheitlichen, auf Risikokompetenz abzielenden Präventionsansatz nahelegt.

Abb. 2
figure 2

Verletzungen mit Behandlung im Krankenhaus je 1000 Einwohner nach Altersgruppe und Präventionsbereich. IDB 2008–2010: gültige EU-IDB-Datensätze aus AT, CY, CZ, DK, DE, IT, LV, MT, NL, SI (2008, 2009, 2010) und SE (2008), Stand 30.09.2012: 804.310 Datensätze. Fälle nach Altersgruppe und Präventionsbereich. Rate pro 1000 Einwohner, EU-27, Bevölkerung 2010. Angaben zu Auswahlkriterien aus der IDB beziehen sich auf das IDB Coding Manual 1.1 (2005 [10]). EU-IDB European Injury Data Base, EU-27 EU mit 27 Mitgliedstaaten bzw. deren Bevölkerungsstand, ICD-9 Daten kodiert nach der International Classification of Diseases, 9th revision, ICD-10 Daten kodiert nach der International Classification of Diseases, 10th revision, WHO MDB WHO Mortality Data Base, Todesursachenstatistik

Der „Blaue Bericht“ behandelt auch das Unfallgeschehen in den 8 Schwerpunktthemen für die Verletzungsprävention, die in der Empfehlung des EU-Rates zur Prävention von Verletzungen und Förderung der Sicherheit aus dem Jahr 2007 definiert wurden [6]: Kinder, Jugendliche und ältere Menschen, schwache Verkehrsteilnehmer, Sport, die Nutzung von Produkten und Dienstleistungen sowie Gewalt und Selbstverletzungen. Im Folgenden sind einige Beispiele aus dem Bericht angeführt. Sie sollen die Möglichkeiten der IDB zur zahlenmäßigen Untermauerung verschiedenster Unfall- und Verletzungsthemen veranschaulichen.

Beispiel 1: Beteiligte Produkte – Kinder

In der IDB-Erhebung wird auch nach beteiligten Objekten oder Produkten gefragt; nach jenem, das das Unfallereignis ausgelöst hat (z. B. ein nasser Boden), und nach jenem, das die eigentliche Verletzung verursacht hat (z. B. eine Duschwand). Diese Objekte und Produkte werden aus einem Katalog von ca. 2.000 Stichwörtern ausgesucht, wobei im elektronischen Fragebogen eine Text-Suchfunktion die Auswahl sehr einfach und schnell macht. Diese Stichwörter sind ein wesentlicher Faktor für die Detailtiefe des IDB-Datensatzes und oft die wichtigste Information zur Ableitung präventiver Maßnahmen. Die folgende Punktation zeigt als ein Beispiel die häufigsten Objekte aus der Kategorie „Kinderprodukte“, die bei Unfällen von Kindern unter 5 Jahren beteiligt waren [Quelle: gültige EU-IDB-Datensätze aus AT, CY, CZ, DK, DE, IT, LV, MT, NL, SI (2008, 2009, 2010) und SE (2008), Stand 30.09.2012: 14.234 Datensätze mit Alter = 0–4 und Produkt beteiligt = Gruppe Kinderartikel]. Die Angaben zu Auswahlkriterien aus der IDB beziehen sich auf das IDB Coding Manual 1.1 (2005 [10]):

  • Schaukel (n = 284),

  • Rutsche (n = 283),

  • Hochstuhl, Sitzerhöhung (n = 252),

  • Wickeltisch (n = 213),

  • Spielplatz-Kletter-Vorrichtung (n = 196),

  • Kinderwagen, Buggy (n = 187),

  • Sonstige Spielgeräte (n = 137),

  • Murmel, Spielzeugperle (n = 126),

  • Dreirad (für Kinder) oder andere Aufsitz-Spielzeuge (n = 118).

Beispiel 2: Sportarten – Jugendliche

Die Information, welche Sportart zum Zeitpunkt des (Sport-)Unfalls ausgeübt wurde, ist ein weiteres, sehr charakteristisches Element des IDB-Datensatzes. Naturgemäß ist dieses Wissen zur Sportunfallprävention unerlässlich, und daher beziehen sich besonders viele Anfragen an die IDB auf diesen Aspekt. Die folgende Punktation zeigt, welche Ballsportarten bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren welche Unfallanteile produzieren [Quelle: EU-IDB, 2008–2010. Gültige EU-IDB-Datensätze aus AT, CY, CZ, DK, DE, IT, LV, MT, NL, SI (2008, 2009, 2010) und SE (2008), Stand 30.09.2012: 104.356 Datensätze mit Alter von 15 bis 24 und Art der sportlichen Aktivität = 1 (Modul: Team-Ballsport), ausgewählter Sport (mit höchster Zahl der Verletzungen). Prozentangaben bezogen auf die absoluten Zahlen]. Die Angaben zu Auswahlkriterien aus der IDB beziehen sich auf das IDB Coding Manual 1.1 (2005 [10]):

  • Fußball (Feld, Halle) 70 % Anteil an allen Ballsport-Unfällen,

  • Basketball 9 % Anteil an allen Ballsport-Unfällen,

  • Volleyball 7 % Anteil an allen Ballsport-Unfällen,

  • Handball 5 % Anteil an allen Ballsport-Unfällen.

Beispiel 3: Unfallort – Ältere Menschen

Die Unfallorte – sowie die meisten anderen Kriterien auch – können in der IDB-Erhebung in verschiedenen Auflösungen erfasst werden. ◉ Abb. 3 zeigt z. B. die häufigsten Unfallorte für Menschen in einem Alter ab 60 Jahren in der gröbsten Auflösung, die etwa 10 Kategorien umfasst.

Abb. 3
figure 3

Die häufigsten Unfallorte für Menschen im Alter ab 60 Jahren. IDB 2008–2010: gültige EU-IDB-Datensätze aus AT, CY, CZ, DK, DE, IT, LV, MT, NL, SI (Jahre 2008, 2009, 2010) und SE (2008), Stand 30.09.2012: 59.697 Datensätze mit Alter 60 + , nach Ort des Auftretens. Prozentwerte bezogen auf absolute Zahlen. Angaben zu Auswahlkriterien aus der IDB beziehen sich auf das IDB Coding Manual 1.1 (2005 [10]). EU-IDB European Injury Data Base, EU-27 EU mit 27 Mitgliedstaaten bzw. deren Bevölkerungsstand, ICD-9 Daten kodiert nach der International Classification of Diseases, 9th revision, ICD-10 Daten kodiert nach der International Classification of Diseases, 10th revision, WHO MDB WHO Mortality Data Base, Todesursachenstatistik

Beispiel 4: Straßenverkehr – Verletzungsmuster

Basis für die Schwerpunktsetzung und Konkretisierung von Präventionsmaßnahmen im Straßenverkehr ist in den meisten EU-Ländern die Verkehrsunfallstatistik [5]. Allerdings fehlt dieser Quelle meistens eine verlässliche Information über die Schwere der dabei von den Opfern erlittenen Verletzung. Mit dem „Transportmodul“ kann die IDB diese Information für die verschiedenen Verkehrsteilnehmer durch die Angabe des verletzten Körperteils und der Verletzung (Fraktur, Prellung etc.) geben. ◉ Abb. 4 zeigt die unterschiedlichen Verletzungsmuster (verletzter Körperteil), die bei Fußgängern, Radfahrern und anderen Beteiligten bei Verkehrsunfällen auftreten.

Abb. 4
figure 4

Verletzungsmuster bei Verkehrsunfällen nach Art der Verkehrsteilnahme. IDB 2008–2010: Gültige EU-IDB-Datensätze aus AT, CY, CZ, DK, DE, IT, LV, MT, NL, SI (2008, 2009, 2010) und SE (2008), Stand 30.09.2012: 104.356 Datensätze mit Ort des Auftretens = öffentliche Straße, nach Verkehrsträger (Transportmodul) und verletztem Körperteil. Prozentwerte bezogen auf absolute Zahlen. Angaben zu Auswahlkriterien aus der IDB beziehen sich auf das IDB Coding Manual 1.1 (2005 [10]). EU-IDB European Injury Data Base, EU-27 EU mit 27 Mitgliedstaaten bzw. deren Bevölkerungsstand, ICD-9 Daten kodiert nach der International Classification of Diseases, 9th revision, ICD-10 Daten kodiert nach der International Classification of Diseases, 10th revision, WHO MDB WHO Mortality Data Base, Todesursachenstatistik

Diskussion

Da der Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags auf den Ergebnissen der IDB liegt, wird hier vor allem die Methode der IDB-Datenerhebung diskutiert.

Schwächen und Herausforderungen

Der Stichprobencharakter der IDB zieht in einigen Ländern die Frage nach der Repräsentativität der Auswahl der Krankenhäuser nach sich, die aufgrund der freiwilligen Teilnahme an der IDB nicht immer nach rein statistischen Kriterien erfolgen kann. Im Jahr 2012 nahmen rund 100 Unfallambulanzen in Krankenhäusern aus 12 EU-Staaten an der Erhebung des sog. IDB-Full-Datasets teil (s. Kapitel „Methoden“). Die Anzahl der IDB-Krankenhäuser je Land weicht in einigen Fällen, z. B. in Deutschland, noch deutlich vom Soll ab. Die empfohlene Mindestanzahl der IDB-Krankenhäuser, um auf nationaler Ebene repräsentativ zu sein, orientiert sich an der Einwohnerzahl des jeweiligen Landes [9]:

  • weniger als 3 Mio. Einwohner: 3 IDB-Krankenhäuser,

  • 3 bis unter 12 Mio.: 5 IDB-Krankenhäuser,

  • 12–40 Mio.: 7 IDB-Krankenhäuser,

  • mehr als 40 Mio.: 9 IDB-Krankenhäuser.

Im Detail sind für die Repräsentativität natürlich auch die Lage sowie die Größe und Art des IDB-Krankenhauses wichtig. In Deutschland ist z. B. eines der 3 IDB-Krankenhäuser auf Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren spezialisiert [11]. Dies mindert zwar nicht die Qualität der Stichprobe, erschwert aber die Integration der Daten in den europäischen Datenbestand.

Da die errechneten IDB-Inzidenzraten auf im Krankenhaus behandelten Fällen beruhen, stellt sich auch die Frage nach ihrer Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Gesundheitssystemen – z. B. aufgrund unterschiedlicher Zugangsschwellen bzw. Alternativen in Ländern mit unterschiedlichen Finanzierungssystemen. Diesem Problem wird mit der Definition von IDB-Verletzungsgruppen entgegengetreten (z. B. radiologisch zu verifizierende Fakturen), die mit hoher Wahrscheinlichkeit in jedem Gesundheitssystem im Krankenhaus behandelt und dadurch besser vergleichbar werden [9].

Eine Herausforderung ist auch die Erweiterung der geografischen Abdeckung der IDB (vgl. Kapitel „Methode“). Ziel des laufenden IDB-Projektes JAMIE ist es daher, in einem Konsortium mit den zuständigen Ministerien der Länder die Voraussetzungen für eine verpflichtende Teilnahme der EU-Mitgliedstaaten an diesem Datensystem zu schaffen und mit den 24 JAMIE-Konsortialstaaten (2013) schon vorweg eine deutliche erhöhte IDB-Länderzahl zu gewährleisten.

Eine Hürde zum Erreichen dieses Zieles bleibt die angespannte Budgetsituation vieler EU-Länder. Obwohl die Implementierungskosten für eine dauerhafte „Präventionsstatistik“ im Krankenhaus vergleichsweise gering sind, ist die Bereitschaft der zuständigen Behörden, entsprechende längerfristige Zusagen zu machen, zurzeit vielerorts gering. Es ist daher gerade jetzt ein starkes politisches Eintreten der zuständigen EU-Institutionen und der engagierten Behörden aus den Mitgliedstaaten erforderlich, um an den JAMIE-Zielen festhalten zu können.

Stärken und Chancen

Die Stärken der IDB liegen vor allem im Detailgrad der erhobenen Informationen und den Aufschlüssen, die daraus für die Prävention gezogen werden können. Die Detailtiefe der IDB wird durch den Stichprobencharakter der Erhebung ermöglicht; eine Vollerhebung, wie z. B. die Routinekrankenhausstatistik, könnte das aus Ressourcengründen nicht leisten.

Die IDB ist die einzige Quelle auf EU-Ebene über alle Unfallsektoren und Altersklassen hinweg, sodass in ihr auch zwischen Freizeit-, Sport- und Schulunfällen unterschieden werden kann. Eine weitere Stärke ist der Umstand, dass die IDB sowohl stationär als auch ambulant behandelte Unfälle umfasst.

Die gut dokumentierte Methodik und die vorhandenen Qualitätskriterien der EU-IDB [9] sind eine gute Voraussetzung dafür, das mittelfristige Ziel des IDB-Netzwerkes zu erreichen, die EU-IDB in das statistische System von Eurostat zu integrieren.

Entscheidend für die Zukunft der IDB wird es sein, wie wichtig der Gesundheitspolitik bzw. dem Konsumentenschutz im Bereich Produktsicherheit die Unfallprävention in Heim, Freizeit und Sport, speziell für Kinder und ältere Mitbürger, sein wird. Denn für gezielte und datenbasierte Präventionsmaßnahmen in diesen Unfallsektoren gibt es eigentlich keine Alternative zur IDB (oder zu ähnlichen krankenhausbasierten Datensystemen). Die im Straßenverkehr und am Arbeitsplatz in vielen EU-Ländern erzielten Fortschritte zeigen, dass Daten unabdingbar für eine erfolgreiche Senkung von Unfallzahlen sind.

Die angestrebte erweiterte und institutionalisierte EU-IDB ist kein Selbstzweck, sondern soll wesentlich zu einer erfolgreichen Unfall- und Verletzungsprävention in Europa beitragen. Die Berichtserie „Injuries in the European Union“ – das sichtbarste Ergebnis der EU-IDB-Datenerhebung – ist vor allem auch ein wichtiges und attraktives Einsatzmittel, um die Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit dieses Unterfangens zu kommunizieren.

Fazit

Die Stärken der IDB liegen im Detailgrad der erhobenen Informationen und den Schlüssen, die daraus für die Prävention gezogen werden können. Für die Unfallforschung und die Entwicklung gezielter Präventionsmaßnahmen im Heim-, Freizeit- und Sportbereich gibt es in der EU keine Alternative zur IDB als kontinuierliches statistisches System.

Dieses „Alleinstellungsmerkmal“ der IDB überwiegt die geschilderten Schwächen der aktuellen EU-IDB bei Weitem. Auch könnten diese Schwächen bei einem politischen Willen zur Etablierung der IDB relativ leicht behoben werden (und zumindest auf den Level vergleichbarer anderer Datensysteme in den Bereichen Verkehr und Arbeit gebracht werden).