Zusammenfassung
Hintergrund
Unfälle und Verletzungen sind ein relevantes, aber auch weitgehend vermeidbares Gesundheitsproblem. Informationen über die Ursachen von Unfällen sind die Basis für eine Unfallprävention und die Produktsicherheit. Der aktuelle Bericht „Injuries in the European Union“ der European Association for Injury Prevention and Safety Promotion (EuroSafe) ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Unfallstatistiken auf EU-Ebene. Neben der Todesursachenstatistik werden vor allem die Daten der European Injury Data Base (IDB) präsentiert.
Methode
Die IDB ist eine für die Europäische Union (EU) einzigartige Datenquelle auf Basis eines international standardisierten Datensatzes über externe Ursachen und Begleitumstände von Verletzungen, der in der Notaufnahme von Krankenhäusern erhoben wird. Damit deckt die IDB das gesamte Spektrum von Unfällen und Verletzungen in ausreichender Detailliertheit ab, wie sie für die Ableitung präventiver Maßnahmen und die Kenntnis der beteiligten Produkte erforderlich ist. Die IDB-Daten wurden von den beteiligten Mitgliedstaaten (2012: Österreich, Zypern, Dänemark, Deutschland, Italien, Lettland, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Slowenien und Schweden) im Eigeninteresse (ohne gesetzliche Verpflichtung) und mitfinanziert vom EU-Health-Programme erhoben. Die zentrale IDB-Datenbank wird von der Europäischen Kommission geführt und bietet einen öffentlichen Zugriff auf die aggregierten Daten der teilnehmenden Länder. Derzeit laden etwa 100 Krankenhäuser in der EU rund 300.000 Fälle pro Jahr in die EU-Datenbank hoch. Die IDB enthält Informationen über sämtliche Unfallsektoren wie Verkehr, Arbeit oder Schule, mit dem Schwerpunkt auf Freizeit- und Sportunfällen. Je nach Unfallsektor werden bis zu 25 Variablen (Unfallart, Unfalltätigkeit, beteiligte Produkte, Transportmittel etc.) und oft auch individuelle Hergangsbeschreibungen erfasst.
Ergebnisse
Der Bericht zeigt, dass im Durchschnitt jährlich 40 Mio. Menschen in der EU nach Unfällen und Gewaltakten in einem Krankenhaus behandelt werden und etwa 233.000 Menschen an den Folgen einer Verletzung sterben. Zwischen den Ländern gibt es große Unterschiede bei den Raten der nach Unfällen tödlich und nicht-tödlich verletzten Personen, was als ein Maß für das präventive Potenzial von und als ein Hinweis auf gezielte Maßnahmen in den Ländern mit höheren Unfallraten gedeutet werden kann. Der Bericht enthält auch eine Momentaufnahme der 8 Schwerpunktthemen für die Verletzungsprävention, wie sie in der Empfehlung des EU-Rates zur Prävention von Verletzungen und zur Förderung der Sicherheit aus dem Jahr 2007 definiert wurden: Kinder, Jugendliche und ältere Menschen, schwache Verkehrsteilnehmer, Sport, die Nutzung von Produkten und Dienstleistungen sowie Gewalt und Selbstverletzungen.
Diskussion
Die Teilnahme an der EU-IDB hat sich für die oben genannten Länder als machbar und nützlich erwiesen, insbesondere für eine datenbasierte Prävention im wichtigen Bereich der Heim-, Freizeit- und Sportunfälle. Im Rahmen des EU-Projektes JAMIE (Joint Action for Injury Monitoring in Europe, 2011–2014) wird zurzeit an der weiteren Verbesserung der IDB-Standards und -Qualitätskriterien sowie an der Rekrutierung weiterer Länder gearbeitet. Mittelfristiges Ziel ist es, die EU-IDB in das statistische System von Eurostat zu integrieren und die Datenerhebung auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.
Abstract
Background
Accidents and injuries are a relevant although largely preventable public health problem. Information on the causes of accidents is the basis for accident prevention and product safety. The current report “Injuries in the European Union”, edited by EuroSafe, the European Association for Injury Prevention and Safety Promotion, is a summary of key statistics on accidents and injuries at the EU level. In addition to international data on cause of death, the data of the European Injury Data Base (IDB) in particular are presented.
Methods
The IDB is a unique data source for the EU based on an internationally standardized dataset of external causes and circumstances of injuries, which is collected in the emergency department of hospitals. Thus, the IDB covers the entire spectrum of accidents and injuries in sufficient detail as is necessary for the derivation of preventive measures and the knowledge of involved products. The currently available IDB data are collected by the participating Member States (2012: Austria, Cyprus, Denmark, Germany, Italy, Latvia, Malta, The Netherlands, Norway, Portugal, Slovenia, and Sweden) in self-interest (i.e., without legal obligation) with the support of the EU health programs. The central database for the IDB is run by the European Commission and provides public access to the aggregated data of the participating countries. Currently, over 100 IDB hospitals in the EU upload around 300,000 cases per year into the EU database. The IDB contains information on all accident sectors (transport, workplace, school etc.) with a focus on leisure and sports accidents. Depending on the accident sector, up to 25 variables (activities, products involved, means of transport etc.) and often also short narratives are recorded for each case.
Results
The report shows that 40 million people are treated in a hospital annually in the EU after accidents and violence, and that about 233,000 people die as a consequence of injury. There are large differences between countries in the rates of fatal and nonfatal injuries; these differences can be interpreted as a measure of the potential for prevention and as an indication of targeted measures in the countries with higher accident rates. The report also includes snapshots of the eight priority themes for injury prevention, as defined in the Recommendation of the European Council on Injury Prevention and Safety Promotion in 2007: children, adolescents and older people, vulnerable road users, sports, the use of products and services, violence, and self-injury.
Discussion
The implementation of the IDB has proven to be feasible and useful for the participating countries, especially for data-based accident prevention in the important areas of home, leisure, and sports accidents. In the framework of the EU project JAMIE (2011–2014, Joint Action for Injury Monitoring in Europe), the IDB partners are currently working on further improving the IDB standards and quality criteria as well as the recruitment of further IDB countries. The medium-term goal is to integrate the EU IDB in the Eurostat Statistical System and to put the collection of IDB data on a statutory footing.
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Hintergrund
Unfälle und Verletzungen sind ein relevantes Gesundheitsproblem
Jedes Jahr sterben etwa 230.000 Bürger in der Gemeinschaft der EU-27Footnote 1 aufgrund von Unfällen oder Gewalttaten – d. h., alle 2 min gibt es ein diesbezügliches Todesopfer. Verletzungen sind nach Herz- und Gefäßerkrankungen sowie Krebs und Atemwegserkrankungen die vierthäufigste Todesursache in den Mitgliedstaaten. Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen stellen Unfälle und Verletzungen sogar die Haupttodesursache dar. Unfälle und Verletzungen sind auch die Hauptursache für chronische Behinderungen bei jüngeren Menschen und führen zu einem hohen Verlust an gesunden Lebensjahren [1].
Unfälle und Verletzungen sind weitgehend vermeidbar
Mehr als bei vielen anderen Erkrankungen oder vorzeitigen Todesfällen lassen sich die Ursachen von Verletzungen vermeiden, indem das Lebensumfeld sowie die verwendeten Produkte und Dienstleistungen sicherer gestaltet werden. Es gibt umfangreiche Belege für die Wirksamkeit und Kosteneffizienz von Maßnahmen gegen Unfälle, die aber noch keine breite Anwendung in der Gesellschaft finden [2]. Ein weiteres Indiz für ein hohes präventives Potenzial dieser Maßnahmen sind die in der EU beobachteten epidemiologischen Unterschiede beim Unfall- und Verletzungsrisiko: So ist etwa in dem Mitgliedstaat mit der höchsten Verletzungsrate das Risiko, an einer Verletzung zu sterben, 5-mal so hoch wie in dem Mitgliedstaat mit der niedrigsten Rate [1].
Bessere Daten heißt bessere Prävention
Routinedaten zur Mortalität- und Morbidität werden in der EU zwar großteils bereits nach dem internationalen Diagnosenschlüssel (ICD) der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) erhoben [3], für Präventionszwecke sind diese Daten aber oft nicht ausreichend, da zu wenig detailliert. Statistiken zu Arbeitsunfällen [4] und Verkehrsunfällen [5], die auch auf EU-Ebene zusammengeführt werden, sind zwar auf Prävention ausgerichtet, haben aber definitionsgemäß keinen alle Unfälle umfassenden Blickwinkel und enthalten – da nicht mit dem Setting Krankenhaus verbunden – meist auch keine verlässliche Information über die Verletzungsdiagnose, die Verletzungsschwere oder die Behandlungsdauer.
In der Empfehlung des EU-Rates (Bereich Umwelt, Verbraucher und Gesundheitsschutz) vom 31.05.2007 zur Prävention von Verletzungen und zur Förderung der Sicherheit [6] heißt es daher: „… erscheint es notwendig, die vorhandenen Daten besser zu nutzen und gegebenenfalls einen Mechanismus zur Verletzungsüberwachung und -meldung zu entwickeln, mit dem ein koordiniertes Vorgehen zwischen den Mitgliedstaaten bei der Entwicklung und Einführung nationaler Strategien zur Prävention von Verletzungen, einschließlich des Austauschs bewährter Verfahren, sichergestellt würde“.
Dieser Aufruf hat zusammen mit mehreren „EU-Projekten“ zum Austausch von Unfalldaten [7] zur European Injury Data Base (IDB) in ihrer heutigen Form und zum entsprechenden Bericht „Injuries in the European Union“ geführt.
Methode
Der aktuelle Bericht „Injuries in the European Union“ der European Association for Injury Prevention and Safety Promotion, EuroSafe [1], ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Unfallstatistiken auf EU-Ebene. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf den Ergebnissen der IDB. Daher wird in diesem Kapitel kurz auf die Methode der Datenerhebung für die IDB eingegangen, auch um ein besseres Verständnis für die Interpretation der IDB-Ergebnisse zu schaffen.
Datenerhebung für die Injury Database
Die IDB ist eine für die EU einzigartige Datenquelle auf Basis eines international standardisierten Datensatzes über externe Ursachen und Begleitumstände von Verletzungen, der in der Notaufnahme von ausgewählten Krankenhäusern der „IDB-Länder“ erhoben wird – aktuell zwischen 1 und über 30 Krankenhäusern je Land. Derzeit liefern etwa 100 Krankenhäuser in der EU zusammen rund 300.000 Fälle pro Jahr an die EU-IDB. Mit Stand 2012 sind Zypern (1), Dänemark (4), Deutschland (3), Italien (7), Lettland (32), Malta (1), Niederlande (27), Norwegen (7), Österreich (5), Portugal (11), Slowenien (12) und Schweden (4) IDB-Mitgliedstaaten (in Klammer steht die Anzahl der IDB-Krankenhäuser des Landes). Der Zugriff auf die IDB ist über die zentrale Datenbank bei der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher (kurz GD SANCO) der Europäischen Kommission möglich: http://ec.europa.eu/health/data_collection/databases/idb/ [8].
Mit dem Erhebungsort Notaufnahme deckt die IDB das gesamte Spektrum von Unfällen und Verletzungen in ausreichender Detailliertheit ab, die zur Ableitung präventiver Maßnahmen und zur Kenntnis der beteiligten Produkte erforderlich ist. Je nach Unfallart und Zusatzmodul werden im IDB-Datensatz bis zu 25 Variablen (Unfallart, Unfalltätigkeit, beteiligte Produkte etc.) und oft auch individuelle Hergangsbeschreibungen erhoben (vgl. ◉ Übersicht 1 und Kapitel „Ergebnisse der IDB“ für Beispiele der Detailtiefe einzelner Variablen).
Übersicht 1
Die Variablen und Module des IDB-Standard-Datensatzes („Full Dataset“ [10])
Standardisierung und Qualitätssicherung
Die aktuelle Methodik der IDB – vom Stichprobenplan bis hin zur Berechnung von standardisierten Kennzahlen für Heim- und Freizeitunfälle für die „Gesundheitsindikatoren der Europäischen Gemeinschaft“ [7] – ist in einem umfassenden Qualitätshandbuch festgehalten [9]. Dieses Manual definiert auch die Qualitätsanforderung an die nationalen IDB-Systeme in den verschiedenen Dimensionen, die vom Europäischen Statistischen System vorgegeben sind [9], wie die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Ergebnisse, die Kohärenz und Vergleichbarkeit oder Angemessenheit des Ressourcenverbrauchs.
Durch praktische Tools wird eine möglichst harmonisierte IDB-Datenerhebung in den Mitgliedsländern unterstützt. Hierzu zählen etwa eine Daten-Eingabe-Software und ein Qualitäts-Check-Programm und natürlich auch ein einheitliches IDB-Kodierungshandbuch in den erforderlichen Sprachen [10]. Auch der online Public Access und Research Access zu den IDB-Daten und die zahlreichen Auswertungen und Vergleiche, die damit ermöglicht werden, sind ein Beitrag zur Sicherung und Erhöhung der IDB-Datenqualität [11].
Ausgewählte Ergebnisse
Der „blaue Bericht“
Der aktuelle Bericht „Injuries in the European Union“ (vulgo „the blue report“) der European Association for Injury Prevention and Safety Promotion (EuroSafe [1]) wurde in dieser Form erstmals 2007 erstellt – mit dem Ziel, auf EU-Ebene die Möglichkeit einer präventionsorientierten Unfallberichterstattung zu demonstrieren, und mit der Hoffnung, dass diese Art eines zweckgerichteten „statistischen Berichts“ die Unfallprävention auf der Public-Health-Agenda weiter nach oben befördern würde – national und auf EU-Ebene.
Umfassender Überblick
Eine Hauptleistung des Berichtes ist es, erstmals eine Gesamtschau auf das Unfallgeschehen in der EU zu ermöglichen und dabei nach den Präventionsbereichen Straßenverkehr, Arbeit, Schule, Heim/Freizeit, Sport und Gewalt zu differenzieren. Der Überblick in ◉ Tab. 1 stellt das Unfallgeschehen anhand verschiedener Quellen auch nach Behandlungsart dar – als einem Indikator für die Verletzungsschwere (Tod, stationäre oder ambulante Behandlung im Krankenhaus). Demnach müssen in der EU im Durchschnitt jährlich 40 Mio. Menschen nach Unfällen und Gewaltakten in einem Krankenhaus behandelt werden; etwa 233.000 Menschen sterben an den Folgen einer Verletzung.
Es zeigt sich, dass der quantitative Schwerpunkt des Unfallgeschehens eindeutig im Bereich Haushalt, Freizeit und Sport liegt (73 % aller im Krankenhaus behandelten Unfälle). Dies steht der subjektiven Wahrnehmung vieler Menschen entgegen, die den Straßenverkehr als Hauptverursacher von Unfällen erachten. Die Ursache für den Unterschied zwischen der objektiven und subjektiven Einschätzung von Unfallschwerpunkten liegt vor allem in der medialen Berichterstattung mit ihrem Fokus auf Verkehrsunfällen, und hier vor allem auf tödlichen Verkehrsunfällen. Tatsächlich ist zwar die Unfallmortalität im Straßenverkehr mit 9 Getöteten je 1000 Krankenhausfällen am höchsten, der Anteil stationär behandelter Krankenhausfälle liegt jedoch mit 17 % bei Unfällen in Haus und Freizeit knapp über jenem von Verkehrsunfällen (16 %). Im Gewaltbereich liegen beide Indikatoren bei Selbstverletzung aber noch weit über dem Unfallbereich.
Trotz des statistischen Gewichtes der Haushalts- und Freizeitunfälle gibt es für diesen Bereich deutlich weniger Präventi-onsprogramme als für die Bereiche Straßenverkehr und Arbeitsplatz. Auch sind im Allgemeinen die Folgen von schweren Haushalts-, Freizeit- und Sportverletzungen wie Invalidität weniger gut durch die Sozial- bzw. private Haftpflichtversicherung abgedeckt als bei vergleichbaren Arbeits- und Verkehrsunfällen.
Präventives Potenzial
Wie bereits in der Einleitung angeführt, gibt es zwischen den EU-Ländern enorme Unterschiede bei den Raten an tödlichen Verletzungen. Es wird geschätzt, dass fast 100.000 Menschenleben jährlich gerettet werden könnten, wenn jedes EU-Land die Sterblichkeitsrate aufgrund von Verletzungen auf das Niveau der Niederlande oder von Spanien senken könnte, die in der EU derzeit die niedrigsten Raten an tödlichen Verletzungen aufweisen (◉ Abb. 1).
Diese Einschätzung ist natürlich hypothetisch, da die globalen Unterschiede in der Unfallmortalität auf unterschiedliche Todesursachen zurückzuführen sind, die oft mit der Geografie eines Landes zusammenhängen (z. B. Ertrinken, Bergunfälle). Dennoch enthalten Ländervergleiche, wie sie ◉ Tab. 2 zeigt, wichtige Hinweise auf mögliche „best practices“ zur Prävention bestimmter Unfallarten. ◉ Tab. 2 zeigt auch, dass Selbsttötungen, Verkehrsunfälle und Stürze die 3 wichtigsten Ursachen für tödliche Verletzungen sind (EU-weit 58 % aller Verletzungen) und somit alle EU-Länder eine ähnliche Prioritätenlage haben.
Das präventive Potenzial bei nicht-tödlichen Unfällen ist weit schwieriger einzuschätzen als bei tödlichen Unfällen. Dies hängt zum einen mit Definitionsproblemen zusammen (welche Unfälle welchen Schweregrades sind vergleichbar?) und zum anderen mit der unzureichenden Datenlage in der EU, die einen Ländervergleich bei nicht-tödlichen Unfällen nur bedingt ermöglicht (selbst bei den seit Langem und sehr gut erfassten Verkehrsunfällen ist dies noch kaum möglich [5]).
Ergebnisse aus der IDB
Die meisten schweren Verletzungen werden in der EU in Krankenhäusern behandelt. Dieser Umstand macht dieses Setting zu einem idealen Ort für die Erhebung von Unfallursachen, wie es z. B. durch die EU-IDB erfolgt. Über die Globalzahlen in ◉ Tab. 1 hinaus lassen sich mit den IDB-Daten auch alle demografischen und unfallbezogenen Kriterien über alle Präventionsbereiche vergleichbar darstellen. ◉ Abb. 2 beispielsweise zeigt, welche Unfallbereiche in welchem Alter relevant sind, und auch, zwischen welchen Präventionsbereichen möglicherweise Synergien zu nutzen wären. So ist etwa die Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren von allen Unfallbereichen betroffen, was einen gesamtheitlichen, auf Risikokompetenz abzielenden Präventionsansatz nahelegt.
Der „Blaue Bericht“ behandelt auch das Unfallgeschehen in den 8 Schwerpunktthemen für die Verletzungsprävention, die in der Empfehlung des EU-Rates zur Prävention von Verletzungen und Förderung der Sicherheit aus dem Jahr 2007 definiert wurden [6]: Kinder, Jugendliche und ältere Menschen, schwache Verkehrsteilnehmer, Sport, die Nutzung von Produkten und Dienstleistungen sowie Gewalt und Selbstverletzungen. Im Folgenden sind einige Beispiele aus dem Bericht angeführt. Sie sollen die Möglichkeiten der IDB zur zahlenmäßigen Untermauerung verschiedenster Unfall- und Verletzungsthemen veranschaulichen.
Beispiel 1: Beteiligte Produkte – Kinder
In der IDB-Erhebung wird auch nach beteiligten Objekten oder Produkten gefragt; nach jenem, das das Unfallereignis ausgelöst hat (z. B. ein nasser Boden), und nach jenem, das die eigentliche Verletzung verursacht hat (z. B. eine Duschwand). Diese Objekte und Produkte werden aus einem Katalog von ca. 2.000 Stichwörtern ausgesucht, wobei im elektronischen Fragebogen eine Text-Suchfunktion die Auswahl sehr einfach und schnell macht. Diese Stichwörter sind ein wesentlicher Faktor für die Detailtiefe des IDB-Datensatzes und oft die wichtigste Information zur Ableitung präventiver Maßnahmen. Die folgende Punktation zeigt als ein Beispiel die häufigsten Objekte aus der Kategorie „Kinderprodukte“, die bei Unfällen von Kindern unter 5 Jahren beteiligt waren [Quelle: gültige EU-IDB-Datensätze aus AT, CY, CZ, DK, DE, IT, LV, MT, NL, SI (2008, 2009, 2010) und SE (2008), Stand 30.09.2012: 14.234 Datensätze mit Alter = 0–4 und Produkt beteiligt = Gruppe Kinderartikel]. Die Angaben zu Auswahlkriterien aus der IDB beziehen sich auf das IDB Coding Manual 1.1 (2005 [10]):
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Schaukel (n = 284),
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Rutsche (n = 283),
-
Hochstuhl, Sitzerhöhung (n = 252),
-
Wickeltisch (n = 213),
-
Spielplatz-Kletter-Vorrichtung (n = 196),
-
Kinderwagen, Buggy (n = 187),
-
Sonstige Spielgeräte (n = 137),
-
Murmel, Spielzeugperle (n = 126),
-
Dreirad (für Kinder) oder andere Aufsitz-Spielzeuge (n = 118).
Beispiel 2: Sportarten – Jugendliche
Die Information, welche Sportart zum Zeitpunkt des (Sport-)Unfalls ausgeübt wurde, ist ein weiteres, sehr charakteristisches Element des IDB-Datensatzes. Naturgemäß ist dieses Wissen zur Sportunfallprävention unerlässlich, und daher beziehen sich besonders viele Anfragen an die IDB auf diesen Aspekt. Die folgende Punktation zeigt, welche Ballsportarten bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren welche Unfallanteile produzieren [Quelle: EU-IDB, 2008–2010. Gültige EU-IDB-Datensätze aus AT, CY, CZ, DK, DE, IT, LV, MT, NL, SI (2008, 2009, 2010) und SE (2008), Stand 30.09.2012: 104.356 Datensätze mit Alter von 15 bis 24 und Art der sportlichen Aktivität = 1 (Modul: Team-Ballsport), ausgewählter Sport (mit höchster Zahl der Verletzungen). Prozentangaben bezogen auf die absoluten Zahlen]. Die Angaben zu Auswahlkriterien aus der IDB beziehen sich auf das IDB Coding Manual 1.1 (2005 [10]):
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Fußball (Feld, Halle) 70 % Anteil an allen Ballsport-Unfällen,
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Basketball 9 % Anteil an allen Ballsport-Unfällen,
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Volleyball 7 % Anteil an allen Ballsport-Unfällen,
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Handball 5 % Anteil an allen Ballsport-Unfällen.
Beispiel 3: Unfallort – Ältere Menschen
Die Unfallorte – sowie die meisten anderen Kriterien auch – können in der IDB-Erhebung in verschiedenen Auflösungen erfasst werden. ◉ Abb. 3 zeigt z. B. die häufigsten Unfallorte für Menschen in einem Alter ab 60 Jahren in der gröbsten Auflösung, die etwa 10 Kategorien umfasst.
Beispiel 4: Straßenverkehr – Verletzungsmuster
Basis für die Schwerpunktsetzung und Konkretisierung von Präventionsmaßnahmen im Straßenverkehr ist in den meisten EU-Ländern die Verkehrsunfallstatistik [5]. Allerdings fehlt dieser Quelle meistens eine verlässliche Information über die Schwere der dabei von den Opfern erlittenen Verletzung. Mit dem „Transportmodul“ kann die IDB diese Information für die verschiedenen Verkehrsteilnehmer durch die Angabe des verletzten Körperteils und der Verletzung (Fraktur, Prellung etc.) geben. ◉ Abb. 4 zeigt die unterschiedlichen Verletzungsmuster (verletzter Körperteil), die bei Fußgängern, Radfahrern und anderen Beteiligten bei Verkehrsunfällen auftreten.
Diskussion
Da der Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags auf den Ergebnissen der IDB liegt, wird hier vor allem die Methode der IDB-Datenerhebung diskutiert.
Schwächen und Herausforderungen
Der Stichprobencharakter der IDB zieht in einigen Ländern die Frage nach der Repräsentativität der Auswahl der Krankenhäuser nach sich, die aufgrund der freiwilligen Teilnahme an der IDB nicht immer nach rein statistischen Kriterien erfolgen kann. Im Jahr 2012 nahmen rund 100 Unfallambulanzen in Krankenhäusern aus 12 EU-Staaten an der Erhebung des sog. IDB-Full-Datasets teil (s. Kapitel „Methoden“). Die Anzahl der IDB-Krankenhäuser je Land weicht in einigen Fällen, z. B. in Deutschland, noch deutlich vom Soll ab. Die empfohlene Mindestanzahl der IDB-Krankenhäuser, um auf nationaler Ebene repräsentativ zu sein, orientiert sich an der Einwohnerzahl des jeweiligen Landes [9]:
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weniger als 3 Mio. Einwohner: 3 IDB-Krankenhäuser,
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3 bis unter 12 Mio.: 5 IDB-Krankenhäuser,
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12–40 Mio.: 7 IDB-Krankenhäuser,
-
mehr als 40 Mio.: 9 IDB-Krankenhäuser.
Im Detail sind für die Repräsentativität natürlich auch die Lage sowie die Größe und Art des IDB-Krankenhauses wichtig. In Deutschland ist z. B. eines der 3 IDB-Krankenhäuser auf Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren spezialisiert [11]. Dies mindert zwar nicht die Qualität der Stichprobe, erschwert aber die Integration der Daten in den europäischen Datenbestand.
Da die errechneten IDB-Inzidenzraten auf im Krankenhaus behandelten Fällen beruhen, stellt sich auch die Frage nach ihrer Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Gesundheitssystemen – z. B. aufgrund unterschiedlicher Zugangsschwellen bzw. Alternativen in Ländern mit unterschiedlichen Finanzierungssystemen. Diesem Problem wird mit der Definition von IDB-Verletzungsgruppen entgegengetreten (z. B. radiologisch zu verifizierende Fakturen), die mit hoher Wahrscheinlichkeit in jedem Gesundheitssystem im Krankenhaus behandelt und dadurch besser vergleichbar werden [9].
Eine Herausforderung ist auch die Erweiterung der geografischen Abdeckung der IDB (vgl. Kapitel „Methode“). Ziel des laufenden IDB-Projektes JAMIE ist es daher, in einem Konsortium mit den zuständigen Ministerien der Länder die Voraussetzungen für eine verpflichtende Teilnahme der EU-Mitgliedstaaten an diesem Datensystem zu schaffen und mit den 24 JAMIE-Konsortialstaaten (2013) schon vorweg eine deutliche erhöhte IDB-Länderzahl zu gewährleisten.
Eine Hürde zum Erreichen dieses Zieles bleibt die angespannte Budgetsituation vieler EU-Länder. Obwohl die Implementierungskosten für eine dauerhafte „Präventionsstatistik“ im Krankenhaus vergleichsweise gering sind, ist die Bereitschaft der zuständigen Behörden, entsprechende längerfristige Zusagen zu machen, zurzeit vielerorts gering. Es ist daher gerade jetzt ein starkes politisches Eintreten der zuständigen EU-Institutionen und der engagierten Behörden aus den Mitgliedstaaten erforderlich, um an den JAMIE-Zielen festhalten zu können.
Stärken und Chancen
Die Stärken der IDB liegen vor allem im Detailgrad der erhobenen Informationen und den Aufschlüssen, die daraus für die Prävention gezogen werden können. Die Detailtiefe der IDB wird durch den Stichprobencharakter der Erhebung ermöglicht; eine Vollerhebung, wie z. B. die Routinekrankenhausstatistik, könnte das aus Ressourcengründen nicht leisten.
Die IDB ist die einzige Quelle auf EU-Ebene über alle Unfallsektoren und Altersklassen hinweg, sodass in ihr auch zwischen Freizeit-, Sport- und Schulunfällen unterschieden werden kann. Eine weitere Stärke ist der Umstand, dass die IDB sowohl stationär als auch ambulant behandelte Unfälle umfasst.
Die gut dokumentierte Methodik und die vorhandenen Qualitätskriterien der EU-IDB [9] sind eine gute Voraussetzung dafür, das mittelfristige Ziel des IDB-Netzwerkes zu erreichen, die EU-IDB in das statistische System von Eurostat zu integrieren.
Entscheidend für die Zukunft der IDB wird es sein, wie wichtig der Gesundheitspolitik bzw. dem Konsumentenschutz im Bereich Produktsicherheit die Unfallprävention in Heim, Freizeit und Sport, speziell für Kinder und ältere Mitbürger, sein wird. Denn für gezielte und datenbasierte Präventionsmaßnahmen in diesen Unfallsektoren gibt es eigentlich keine Alternative zur IDB (oder zu ähnlichen krankenhausbasierten Datensystemen). Die im Straßenverkehr und am Arbeitsplatz in vielen EU-Ländern erzielten Fortschritte zeigen, dass Daten unabdingbar für eine erfolgreiche Senkung von Unfallzahlen sind.
Die angestrebte erweiterte und institutionalisierte EU-IDB ist kein Selbstzweck, sondern soll wesentlich zu einer erfolgreichen Unfall- und Verletzungsprävention in Europa beitragen. Die Berichtserie „Injuries in the European Union“ – das sichtbarste Ergebnis der EU-IDB-Datenerhebung – ist vor allem auch ein wichtiges und attraktives Einsatzmittel, um die Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit dieses Unterfangens zu kommunizieren.
Fazit
Die Stärken der IDB liegen im Detailgrad der erhobenen Informationen und den Schlüssen, die daraus für die Prävention gezogen werden können. Für die Unfallforschung und die Entwicklung gezielter Präventionsmaßnahmen im Heim-, Freizeit- und Sportbereich gibt es in der EU keine Alternative zur IDB als kontinuierliches statistisches System.
Dieses „Alleinstellungsmerkmal“ der IDB überwiegt die geschilderten Schwächen der aktuellen EU-IDB bei Weitem. Auch könnten diese Schwächen bei einem politischen Willen zur Etablierung der IDB relativ leicht behoben werden (und zumindest auf den Level vergleichbarer anderer Datensysteme in den Bereichen Verkehr und Arbeit gebracht werden).
Notes
„EU-27“ steht für die 27 Mitgliedstaaten, die der Europäischen Union (EU) mit Stand 2012 angehören. Alle Unfallzahlen in diesem Artikel, die sich auf die EU-Ebene beziehen, beziehen sich auf den Bevölkerungsstand dieser 27 Staaten.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. R. Bauer, M. Steiner, R. Kisser, S.M. Macey und D. Thayer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Bauer, R., Steiner, M., Kisser, R. et al. Unfälle in der EU. Bundesgesundheitsbl. 57, 673–680 (2014). https://doi.org/10.1007/s00103-014-1969-5
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00103-014-1969-5