Hintergrund und gesundheitspolitischer Problemaufriss

In gesundheitspolitischen Debatten über die Krebsfrüherkennung wird häufig die ungenügende Inanspruchnahme der gesetzlichen Krebsfrüherkennungsangebote beklagt. Daher wird nach Wegen gesucht, breite Bevölkerungsgruppen besser für die Früherkennung zu „mobilisieren“. Als probates Mittel bietet sich – u. a. vom Rat der Europäischen Union empfohlen [1] – die Einführung organisierter Krebsfrüherkennungsprogramme mit einem persönlichen Einladungswesen an, wie sie in Deutschland bislang für das Mammographie-Screening realisiert wurde. Ein anderer Ansatz ist die Schaffung von Anreizsystemen zur Steigerung der Teilnahmerate, wie sie im Sozialrecht der gesetzlichen Krankenversicherung in Form eines „Bonus für gesundheitsbewusstes Verhalten“ (§ 65 a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V) oder der inzwischen aufgehobenen sog. Malus-Regelung (§ 62 SGB V – alt) verankert wurden. Ein solcher Ansatz beinhaltet die Wertung, dass die regelmäßige Teilnahme an der Krebsfrüherkennung nicht nur Ausdruck eines individuell gesundheits- und verantwortungsbewussten Verhaltens ist, sondern gewissermaßen eine staatsbürgerliche Pflicht in einem solidarisch finanzierten Gesundheitswesen.

In einem gewissen Konflikt zu dem bevölkerungsmedizinischen Ziel einer möglichst hohen Teilnahmerate an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen stehen die gesundheitspolitischen Bemühungen um die Stärkung der Rolle von Patienten und Versicherten als gut informierte Nutzer des Gesundheitssystems. Gerade während der letzten Jahre haben sich nicht nur in der Fachwelt, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit das Wissen und das Bewusstsein dafür geschärft, dass auch bevölkerungsmedizinisch sinnvolle und empfehlenswerte Krebsfrüherkennungsmaßnahmen Risiken und Belastungen für die gesunde bzw. beschwerdefreie Person beinhalten. Dies unterstreicht die Bedeutung von ausgewogener Information der Bürgerinnen und Bürger über Nutzen und Risiken der Krebsfrüherkennung im Sinne einer „informierten Inanspruchnahme“. Neben den direkten Risiken der Untersuchung selbst (z. B. die möglichen Komplikationen einer Früherkennungskoloskopie) gehören hierzu indirekte Risiken, die sich aus falsch negativen oder falsch positiven Testbefunden, invasiven Abklärungsuntersuchungen sowie der möglichen Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen ergeben, von denen die Person ohne Früherkennung in ihrem Leben nie etwas gemerkt hätte (Überdiagnose und Übertherapie). Ferner müssen sich im Rahmen eines bevölkerungsbezogenen Screening-Programms naturgemäß sehr viele gesunde Menschen den Risiken und Belastungen einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung unterziehen, damit statistisch gesehen einige wenige Personen davon profitieren. Solche Belastungen und Risiken sind nicht Ausdruck von Behandlungs- und Systemfehlern, sondern dem Screening immanent. Sie lassen sich auch durch die bestmögliche Qualitätssicherung nicht vollständig vermeiden, sondern lediglich limitieren und kontrollieren, z. B. durch qualitätsgesicherte organisierte Programme. Hieraus folgt, dass eine aus bevölkerungsmedizinischer Sicht sinnvolle Krebsfrüherkennungsmaßnahme aus der Individualperspektive wenig lohnenswert erscheinen kann.

Hinzu kommt, dass der Nutzen einzelner Krebsfrüherkennungsmaßnahmen von einzelnen Experten und Institutionen sehr unterschiedlich dargestellt und interpretiert wird. So werden z. B. bei der Darstellung des Nutzens und der Risiken des Mammographie-Screenings – je nach den zugrunde gelegten Studien – teilweise sehr unterschiedliche Kennzahlen und Darstellungsweisen verwendet. Dementsprechend breit und heterogen ist das Meinungsspektrum. Auf der einen Seite gibt es Kritiker, die den Nutzen der Krebsfrüherkennung angesichts der in einem gewissen Umfang immer vorhandenen Risiken und Belastungen grundsätzlich infrage stellen. Auf der anderen Seite wird in den Medien von manchen Patientenorganisationen und ärztlichen Leistungserbringern der angeblich unzureichende und veraltete Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen beklagt, häufig im Zusammenhang mit Früherkennungsuntersuchungen, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten sind, sondern von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten als sog. individuelle Gesundheitsleistungen („IGeL“) angeboten werden. Hiermit verbunden sind in der Regel Forderungen an Kostenträger und Politik nach der Einführung zusätzlicher, häufig technisch aufwendiger Krebsfrüherkennungsleistungen wie der Magnetresonanztomographie zur Brustkrebsfrüherkennung.

Eng verknüpft mit der Frage des Nutzens und der Risiken sind Forderungen nach einer intensivierten Qualitätssicherung und Evaluation von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen und deren stärkere Ausrichtung am individuellen Erkrankungsrisiko im Sinne einer risikoangepassten Krebsfrüherkennung.

Vor dem Hintergrund dieser schwierigen fachlichen und gesundheitspolitischen Ausgangslage wurde das Thema der Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung in dem im Jahr 2008 initiierten Nationalen Krebsplan intensiv bearbeitet und diskutiert. Ergebnis der vom Bundesministerium für Gesundheit moderierten gesundheitspolitischen Initiative, an dem sich zentrale in der Krebsbekämpfung tätige Institutionen und Organisationen des deutschen Gesundheitswesens beteiligten, war ein Bündel von fachlich und gesundheitspolitisch abgestimmten Empfehlungen, die u. a. in das am 9. April 2013 in Kraft getretene „Gesetz zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister (Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz – KFRG)“ [2] Eingang gefunden haben. Der vorliegende Beitrag beschreibt die wichtigsten, die Krebsfrüherkennung betreffenden Änderungen durch das KFRG und beleuchtet den im Nationalen Krebsplan geführten fachlichen Diskussions- und Meinungsbildungsprozess.

Änderungen durch das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG)

Mit dem im April 2013 in Kraft getretenen KFRG werden im Sozialrecht der gesetzlichen Krankenversicherung (Sozialgesetzbuch V, SGB V) wichtige Änderungen im Bereich der Krebsfrüherkennung vorgenommen, die auf eine politische Neuorientierung und teilweise sogar einen Paradigmenwechsel hinauslaufen.Footnote 1

Die bisher in § 25 Absatz 2 SGB V gesetzlich vorgegebene maximale Häufigkeit und die geschlechtsbezogenen unteren Altersgrenzen für die Krebsfrüherkennung entfallen. Diese sollen künftig durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) flexibel an den jeweils aktuellen Stand des medizinischen Wissens angepasst werden. Der G-BA hat in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit, bei Vorliegen entsprechender wissenschaftlicher Evidenz für definierte Zielgruppen mit einem im Vergleich zur Gesamtbevölkerung stark erhöhten Krebsrisiko risikoadaptierte Maßnahmen zu konzipieren.

Der wichtigste und umfangreichste Bereich der Änderungen verpflichtet die gemeinsame Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zur Einführung von bevölkerungsbezogenen und organisierten Krebsfrüherkennungsprogrammen, sofern hierzu entsprechende, von der Europäischen Kommission veröffentlichte Europäische Leitlinien [3, 4] vorliegen (§ 25 a SGB V). Dem G-BA wird eine Frist von 3 Jahren zur näheren inhaltlichen Ausgestaltung der Krebsfrüherkennungsprogramme gegeben. Dies betrifft die existierenden Früherkennungsuntersuchungen für Gebärmutterhalskrebs und für Darmkrebs, die derzeit als „opportunistische“ Früherkennungsmaßnahmen angeboten werden. Ein flächendeckendes organisiertes Mammographie-Screening gemäß den Empfehlungen der Europäischen Leitlinien zur Qualitätssicherung des Brustkrebs-Screenings [5] wurde in Deutschland bereits auf der Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 28. Juni 2002 von der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zwischen 2004 und 2009 eingeführt.

Mit dem Gesetz werden die essenziellen Bestandteile und Mindestanforderungen an organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme vorgegeben. Hierzu gehören Anforderungen an die regelmäßige Einladung der Versicherten zur Früherkennungsuntersuchung, die umfassende Information der Versicherten über Nutzen und Risiken der jeweiligen Untersuchung sowie die Festlegung der Zielgruppen, der Untersuchungsmethoden, der Abstände zwischen den Untersuchungen, des Vorgehens zur Abklärung auffälliger Befunde und der Qualitätssicherung durch den G-BA. Gesetzlich vorgegeben ist die Verpflichtung zur systematischen Erfassung, Überwachung und Verbesserung der Qualität der Krebsfrüherkennungsprogramme sowie die systematische Erfolgskontrolle der Krebsfrüherkennungsprogramme unter besonderer Berücksichtigung der Teilnahmeraten, des Auftretens von Intervallkarzinomen, falsch positiver Diagnosen und der Sterblichkeit an der betreffenden Krebserkrankung unter den Screening-Teilnehmenden. In diesem Zusammenhang regelt das Gesetz die für die Durchführung organisierter Krebsfrüherkennungsprogramme notwendigen und möglichen Datenerhebungen, -verarbeitungen und -nutzungen für das Einladungswesen, die Qualitätssicherung und die Erfolgskontrolle. Hierzu ist auch die Mitwirkung insbesondere der epidemiologischen Krebsregister der Länder vorgesehen.

Das Gesetz gibt dem G-BA die Möglichkeit, einzelne organisatorische Elemente eines organisierten Krebsfrüherkennungsprogramms zu erproben, falls ihm hierzu die notwendigen Erkenntnisse fehlen. Hiermit ist nicht eine umfassende Evaluation der Effektivität und des Nutzens des Screening-Programms gemeint, sondern die praktische Erprobung einzelner Komponenten, z. B. der Ausgestaltung des Einladungsverfahrens.

Um eine ausreichende Transparenz über die Ergebnisse der Screening-Programme zu gewährleisten, wird der G-BA verpflichtet, alle 2 Jahre einen Bericht über den Stand der Qualitätssicherung und der Erfolgskontrolle zu veröffentlichen. Die hierbei erhobenen Daten können in anonymisierter Form von externen Personen und Institutionen zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung verwendet werden.

Im Hinblick auf die „informierte Inanspruchnahme der Krebsfrüherkennung“ ist es bedeutsam, dass das Gesetz die Selbstverwaltung ausdrücklich zu einer umfassenden und verständlichen Information der Versicherten sowohl über den Nutzen als auch die Risiken und möglichen negativen Konsequenzen der jeweiligen Krebsfrüherkennung verpflichtet. Die angemessene Information – auch über Risiken und mögliche negative Konsequenzen des Screenings – wird somit nicht als selbstverständlich vorausgesetzt, sondern explizit eingefordert. Hierbei ist auch die Aufhebung der sog. Malus-Regelung in § 62 SGB V bedeutsam, die bislang die Gewährung einer reduzierten Belastungsgrenze im Fall einer Krebserkrankung, für die eine gesetzliche Krebsfrüherkennungsuntersuchung besteht, an deren regelmäßige Inanspruchnahme geknüpft hatte. Mit der Verpflichtung zu einer besseren und ausgewogeneren Information der Versicherten und der Streichung der Malus-Regelung macht der Gesetzgeber deutlich, dass das Ziel der informierten individuellen Entscheidung dem bevölkerungsmedizinischen Ziel der Steigerung der Teilnahmerate übergeordnet wird.

Der Nationale Krebsplan (NKP)

Letztlich handelt es sich bei dem KFRG um eine seitens des Bundesgesetzgebers konsequent vollzogene Umsetzungsmaßnahme der im Nationalen Krebsplan (NKP) erarbeiteten und verabschiedeten Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung. Die mit dem KFRG vorgenommenen Änderungen wären in dieser Tiefe und Grundsätzlichkeit in einem so schwierigen und kontroversen Bereich wie der Krebsfrüherkennung ohne den im NKP geführten umfassenden Diskussions- und Konsensbildungsprozess nicht möglich gewesen. Der breiten fachlichen und politischen Akzeptanz der gesetzlichen Änderungen ging ein mühsamer, mehrjähriger fachlicher Abstimmungsprozess in insgesamt 5 multidisziplinär besetzten Arbeitsgruppen des NKP voraus. In diesen Arbeitsgruppen waren u. a. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Selbstverwaltung und Patientenorganisationen vertreten, darunter sowohl Befürworter als auch Kritiker der Krebsfrüherkennung. Die von den Arbeitsgruppen formulierten Umsetzungsempfehlungen wurden von der Steuerungsgruppe, dem politischen Lenkungsgremium des NKP, angenommen. Der Steuerungsgruppe gehören mehr als 20 für die onkologische Versorgung maßgebliche Institutionen und Organisationen an, u. a. Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren, Länder, Krankenkassen, Rentenversicherung, Leistungserbringer, Wissenschaft und Patientenverbände.

Die von den einzelnen Arbeitsgruppen erarbeiteten Ergebnispapiere zu den Zielen des Handlungsfelds Krebsfrüherkennung des NKP, die im Volltext auf der Internetseite des BMG zugänglich sind [6], können aufgrund ihres Umfangs und ihrer Komplexität an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden. Für die gesundheitspolitische Standortbestimmung und teilweise Neuorientierung in der Krebsfrüherkennung erwiesen sich folgende Aspekte als wesentlich:

  • Verankerung einer informierten Inanspruchnahme der Krebsfrüherkennung und einer ausgewogenen und differenzierten Aufklärung sowohl über die positiven als auch negativen Aspekte einzelner Krebsfrüherkennungsmaßnahmen,

  • Verzicht auf Anreizmodelle, die die Nicht-Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen negativ sanktionieren, z. B. in Form eines „Malus“,

  • Vorrang des Ziels einer informierten Entscheidung über das Ziel einer möglichst hohen Teilnahmerate,

  • Einführung von organisierten qualitätsgesicherten Screening-Programmen auch für Gebärmutterhalskrebs und Darmkrebs unter Berücksichtigung der von der Europäischen Kommission publizierten Europäische Leitlinien zur Qualitätssicherung [3, 4],

  • Schaffung der notwendigen datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung von organisierten Krebsfrüherkennungsprogrammen (Einladungswesen, Qualitätssicherung, Evaluation, Nutzung der epidemiologischen Krebsregister der Länder),

  • keine vorschnelle und unkritische Ausweitung von wissenschaftlich nicht hinreichend validierten Maßnahmen einer risikoadaptierten Krebsfrüherkennung angesichts noch ungelöster fachlicher, rechtlicher, sozialer und ethischer Probleme,

  • erheblicher Forschungsbedarf zur informierten Inanspruchnahme, deren praktische Umsetzung, valide Messung und Effekte.

Umsetzung der Empfehlungen des Nationalen Krebsplans

Die im NKP zum Handlungsfeld Krebsfrüherkennung formulierten Empfehlungen lassen sich im Wesentlichen 3 Klassen zuordnen:

  • gesundheitspolitische Umsetzungsempfehlungen normgeberischer oder regulatorischer Art, die sich insbesondere an die Normverantwortlichen auf Bundes-, Landes- und Selbstverwaltungsebene richten,

  • forschungsbezogene Umsetzungsempfehlungen, insbesondere zur Durchführung von anwendungsorientierten Forschungsvorhaben, deren Ergebnisse als Erkenntnisgrundlage für die Umsetzung bzw. Erreichung der Ziele des NKP dienen sollen,

  • fachlich komplexe Umsetzungsempfehlungen, die häufig Ziele aus verschiedenen Handlungsfeldern berühren und eine abgestimmte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Institutionen erfordern.

Um die Umsetzung der gesundheitspolitischen Empfehlungen des NKP voranzutreiben, wurde von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr am 8. Februar 2012 ein „Gesundheitspolitischer Umsetzerkreis (GEPUK)“ ins Leben gerufen, dem u. a. die Normverantwortlichen auf Landes- und Selbstverwaltungsebene angehören. Die Mitglieder des GEPUK haben sich in einer „Gemeinsamen Erklärung“ [7] darauf verständigt, den gesundheitspolitischen Umsetzungsprozess in prioritären Bereichen gemeinsam voranzutreiben und die jeweiligen Umsetzungsempfehlungen eigenverantwortlich umzusetzen. Die Empfehlungen des NKP zur Krebsfrüherkennung, die sich an den Bund als Normverantwortlichen richten, wurden mit dem KFRG umgesetzt. Die forschungsbezogenen Empfehlungen zur Krebsfrüherkennung konnten teilweise in dem vom BMG eingerichteten Förderschwerpunkt „Forschung im Nationalen Krebsplan“ aufgenommen werden [8]. Gefördert werden derzeit noch laufende Projekte u. a. zu den Themen der risikoadaptierten Krebsfrüherkennung und der informierten Entscheidung zur Krebsfrüherkennung. Ergebnisse werden für 2015 erwartet.

Ausblick und Herausforderungen

Der aufwendige Umsetzungsprozess der mit dem KFRG vorgenommenen Änderungen im Bereich der Krebsfrüherkennung steht noch an. Dies betrifft insbesondere die nähere inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung der gesetzlichen Anforderungen an organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme für Gebärmutterhalskrebs und Darmkrebs durch Richtlinien des G-BA, für die der Gesetzgeber eine dreijährige Frist vorgegeben hat. Falls der G-BA eine Erprobung einzelner Bestandteile eines organisierten Krebsfrüherkennungsprogramms für notwendig erachtet, womit z. B. für den Bereich der Gebärmutterhalskrebsfrüherkennung zu rechnen ist, könnte sich der Prozess der flächendeckenden Implementierung um maximal weitere 5 Jahre verlängern.

Bei der Konkretisierung der Inhalte der organisierten Krebsfrüherkennungsprogramme gemäß den gesetzlichen Vorgaben wird der G-BA wahrscheinlich nicht umhin können, sich auch mit der Bewertung von Früherkennungsmethoden auseinanderzusetzen, die bislang noch nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen sind. In diesem Zusammenhang wird aktuell u. a. diskutiert, welcher Stellenwert dem HPV-Test in der Gebärmutterhalskrebsfrüherkennung gegenüber dem klassischen Gebärmutterhalsabstrich nach Papanicolaou zukommen soll, welches Gewicht die Stuhltests auf okkultes Blut in der Darmkrebsfrüherkennung im Vergleich zu der Koloskopie haben sollen und inwieweit in absehbarer Zeit der immunologische Stuhltest auf Darmkrebs den bisherigen Guajak-basierten Test als Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen ablösen soll. Diese Fragen können nicht durch die Politik oder den Gesetzgeber geklärt werden, sondern liegen in der Zuständigkeit des G-BA.

Die im KFRG vorgesehene Mitwirkung der epidemiologischen Krebsregister bei der Qualitätssicherung und Erfolgskontrolle der organisierten Krebsfrüherkennungsprogramme bedarf der Umsetzung durch die Länder und ggf. einer Anpassung der landesrechtlichen Regelungen.

Die Diskussionen im NKP haben gezeigt, dass die geforderte „informierte Inanspruchnahme der Krebsfrüherkennung“ derzeit noch eher den Charakter eines theoretischen Konstrukts als eines praktisch erprobten Ansatzes hat. Wie soll man große, heterogene Bevölkerungsgruppen mit teilweise sehr unterschiedlichem Bildungshintergrund und Erfahrungen in geeigneter Weise über Nutzen und Risiken von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen informieren? Die vorliegenden Informationsmaterialien zur Krebsfrüherkennung, auch von seriösen Anbietern und Institutionen, erfüllen bislang nur unzureichend die Qualitätsstandards im Hinblick auf Inhalt, Form, Ausgewogenheit und Verständlichkeit. Wie lässt sich eine vernünftige Balance zwischen dem Anspruch einer möglichst vollständigen und quantifizierenden Nutzen-Risiko-Information und der Vermeidung einer informationellen Überfrachtung oder Überforderung der Zielgruppen erreichen? Die bei der Kommunikation von Nutzen und Risiken von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen empfohlene Nutzendarstellung in Form von absoluten Zahlen anstelle relativer Risikoreduktionen wurde beispielsweise mit dem offiziellen Merkblatt zur Einladung der Frau zum Mammographie-Screening umgesetzt [9]. Gleichwohl hat eine vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte und von der Frauenselbsthilfe nach Krebs e.V. und der Women’s Health Coalition e.V. durchgeführte repräsentative Befragung ergeben, dass die Teilnehmerinnen am Mammographie-Screening den Nutzen der Maßnahme deutlich überschätzen [10]. Antworten auf diese Fragen sollen u. a. ein im Rahmen des Förderschwerpunkts des NKP sowie ein weiteres vom Bundesministerium für Gesundheit gefördertes Projekt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geben. Aber selbst optimierte schriftliche Informationsmaterialien werden alleine nicht ausreichen, um eine informierte Entscheidung für alle Zielgruppen zu gewährleisten, zumal viele Menschen anstelle oder ergänzend zu schriftlichen Informationen nach wie vor durch die Ärztin bzw. den Arzt ihres Vertrauens persönlich informiert und beraten werden wollen.

Im NKP und im KFRG wurde die informierte und freie individuelle Entscheidung dem Ziel einer möglichst hohen Teilnahmerate an der Krebsfrüherkennung vorgeordnet. Gleichwohl wird hierdurch der Konflikt zwischen diesen beiden Zielen nicht vollständig aufgehoben. Aus gesundheitspolitischer Sicht wäre es wünschenswert, wenn sich die gut informierte Person für die Inanspruchnahme von sinnvollen, in ihrem Nutzen belegten und in den Europäischen Leitlinien empfohlenen Krebsfrüherkennungsmaßnahmen entscheiden würde. Es ist im Rahmen des Konzepts einer informierten Entscheidung aber auch zu akzeptieren, wenn sich das gut informierte Individuum gegen die Inanspruchnahme einer empfohlenen Krebsfrüherkennungsleistung entscheidet. Derzeit ist noch nicht absehbar, wie sich die Umsetzung einer informierten Entscheidung auf die Nutzung von Krebsfrüherkennungsleistungen auswirken wird. Während die Teilnahmeraten verhältnismäßig einfach zu erfassen sind, ist in diesem Zusammenhang auch unklar, wie das Ziel einer informierten Inanspruchnahme überhaupt valide gemessen werden kann.

Erschwert wird die Umsetzung einer informierten Entscheidung durch die heterogene Einschätzung von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen durch die Fachwelt. Größe des Nutzens und der Risiken selbst der seit vielen Jahren international empfohlenen und etablierten Maßnahmen der Früherkennung von Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs und Darmkrebs werden – je nach Interpretation und Gewichtung der zugrunde gelegten wissenschaftlichen Evidenz –sehr unterschiedlich bewertet. Die hieraus resultierenden widersprüchlichen und konkurrierenden Analysen und Empfehlungen überfordern und verunsichern nicht nur medizinische Laien, sondern auch die ärztlichen Leistungserbringer und politischen Entscheidungsträger.

Um unter solchen Voraussetzungen die Bedingungen für eine informierte Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen zu verbessern, wird derzeit im Rahmen des NKP von einer Planungsgruppe die Einrichtung eines „Expertengremiums Informierte Entscheidung“ vorbereitet. In diesem Expertengremium sollen u. a. die maßgeblichen Organisationen und Institutionen vertreten sein, die sich in Deutschland mit der qualitätsgesicherten und evidenzbasierten Patienteninformation befassen. Ferner wurde im NKP eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit der Verbesserung der kommunikativen Kompetenz in der ärztlichen und pflegerischen Aus-, Weiter- und Fortbildung befasst. Ein Thema wird hierbei der auch für die Krebsfrüherkennung relevante Bereich der adäquaten ärztlichen Risikokommunikation sein.

Eine weitere Herausforderung besteht in der Weiterentwicklung wissenschaftlich, rechtlich, sozial und ethisch tragfähiger Maßnahmen einer risikoangepassten Krebsfrüherkennung, in die große Erwartungen gesetzt werden. In Deutschland existieren zwar Angebote für definierte Risikogruppen z. B. mit einem bekannten Risiko für einen familiären Brust- und Eierstockkrebs. Hingegen gibt es noch keine systematischen und mehrstufigen bevölkerungsweiten Maßnahmen der Risikostratifizierung im Sinne der Identifizierung von Personen, die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko aufweisen und daher früher einsetzender und intensivierter Maßnahmen der Krebsfrüherkennung bedürfen. Es lässt sich derzeit noch nicht absehen, wann und in welchem Umfang der G-BA von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch machen wird, für solche Gruppen entsprechende Maßnahmen einer risikoadaptierten Früherkennung vorzusehen.

Fazit

Mit dem Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz wurde die im Rahmen des Nationalen Krebsplans geforderte Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung im Hinblick auf die Einführung von organisierten Programmen, die verbesserte Information der Versicherten sowie eine stärkere Qualitäts- und Evaluationsorientierung auch politisch und rechtlich vollzogen. Hierbei wurde der informierten Entscheidung der Vorrang gegenüber dem bislang dominierenden gesundheitspolitischen Ziel der reinen Teilnahmesteigerung eingeräumt. Eine Herausforderung besteht darin, das derzeit noch eher theoretische Konzept der informierten Inanspruchnahme in praktikable und wirksame bevölkerungsbezogene Maßnahmen zu überführen. Die Auswirkungen der informierten Inanspruchnahme auf die Teilnahmeraten an der Krebsfrüherkennung sind noch nicht absehbar.