Hintergrund und Fragestellung

Nichtübertragbare Erkrankungen wie Krebs, Diabetes, Schlaganfall und Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems bestimmen maßgeblich die Krankheitslast in Deutschland [1]. Um dadurch bedingter vermeidbarer Morbidität und vorzeitigem Tod entgegenzuwirken, bedarf es eines breiten Bündels an präventiven Maßnahmen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht in der Bekämpfung nichtübertragbarer Erkrankungen ein zentrales aktuelles Handlungsfeld [2]. Das WHO-Regionalbüro für Europa schlägt eine umfassende präventive Gesamtstrategie vor, die Maßnahmen der Gesundheitsförderung ebenso umfasst wie Interventionen der Krankheitsprävention, die aufeinander abgestimmt an den Verhältnissen und den Verhaltensweisen ansetzen sollen [3]. Eine wichtige Rolle zur Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten kommt der bevölkerungsweiten Veränderung des Gesundheitsverhaltens, insbesondere in den Bereichen Ernährung und Bewegung [2, 4], aber auch der Entspannung [5] zu. Als Gesundheitsverhalten werden dabei alle Verhaltensweisen bezeichnet, „die nach wissenschaftlichen […] Erkenntnissen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Krankheiten vermieden werden oder die Gesundheit erhalten wird“ ([6], S. 311). Hierzu gehört auch die Nutzung (Inanspruchnahme) von Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung.

In Deutschland dominieren verhaltenspräventive Maßnahmen die Präventionslandschaft, insbesondere im Bereich der Primärprävention [7]. Verhaltenspräventive Maßnahmen sind Angebote, die ein spezifisches, individuelles Gesundheitsverhalten verbessern, unabhängig von der konkreten Lebenswelt, in der das Verhalten stattfindet (z. B. Schule oder Betrieb). Die Förderung des individuellen Gesundheitsverhaltens geschieht durch Information, Beratung und das Einüben neuer Verhaltensweisen. Für Erwachsene findet dies meistens in Form von Gruppenangeboten an Volkshochschulen, in Sportvereinen, Betrieben, von kommerziellen Anbietern wie Fitnessstudios sowie gesetzlichen Krankenkassen statt [7]. Die Angebote der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben dabei auch den Auftrag, einen Beitrag zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit nach § 20 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) zu leisten [8]. Als Einflussfaktoren für die Inanspruchnahme verhaltenspräventiver Leistungen zählen insbesondere Geschlecht, Alter, Sozialstatus, allgemeine Gesundheitseinstellungen und andere über die Nutzung der Präventionsangebote hinausgehende Gesundheitsverhalten sowie Selbstwirksamkeitserwartungen und soziale Unterstützung [9, 10, 11].

Im Folgenden wird anhand repräsentativer Daten für Deutschland gezeigt, welche Bevölkerungsgruppen verhaltenspräventive Maßnahmen zur Ernährung, Bewegung und Entspannung in Anspruch nehmen. Die Analysen beruhen auf einer Querschnittbetrachtung mit Daten aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS). Dabei soll, unterschieden nach Geschlecht, Altersgruppen, SES und Versicherungsstatus, die Teilnahme an verhaltenspräventiven Maßnahmen in den zentralen Präventionsfeldern Ernährung, Bewegung und Entspannung beschrieben werden. Eine Trendanalyse im Vergleich zum Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) [12] soll zeigen, ob sich die Inanspruchnahme in den letzten 10 Jahren erhöht hat.

Methoden

DEGS ist Bestandteil des Gesundheitsmonitorings des Robert Koch-Instituts (RKI). Konzept und Design von DEGS sind an anderer Stelle ausführlich beschrieben [13, 14, 15, 16, 17]. Die erste Erhebungswelle (DEGS1) wurde von 2008 bis 2011 durchgeführt und umfasste Befragungen, Untersuchungen und Tests [18, 19]. Zielpopulation war die in Deutschland lebende Bevölkerung im Alter von 18 bis 79 Jahren. DEGS1 hat ein Mischdesign, das gleichzeitig quer- und längsschnittliche Analysen ermöglicht. Hierbei wurde eine Einwohnermeldeamtsstichprobe durch ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des BGS98 ergänzt. Insgesamt nahmen 8152 Personen teil, darunter 4193 Ersteingeladene (Response 42 %) und 3959 ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des BGS98 (Response 62 %). 7238 Personen besuchten eines der 180 Untersuchungszentren, 914 wurden ausschließlich befragt. Die Nettostichprobe [17] ermöglicht für den Altersbereich von 18 bis 79 Jahren repräsentative Querschnittanalysen und Trendaussagen im Vergleich mit dem BGS98 (n = 7988, davon 7116 in Untersuchungszentren). Die Daten der erneut Teilnehmenden sind für Längsschnittanalysen nutzbar. Die Zusammensetzung der Stichprobe ist an anderer Stelle beschrieben [17]. Da aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen 126 Personen nur einen Kurzfragebogen erhielten und 55 Personen gar keinen Fragebogen ausfüllten, umfasst die für unsere Auswertung herangezogene Stichprobe 7807 Personen.

Im Selbstausfüllfragebogen wurde die aktualisierte Frage zu den Präventionsmaßnahmen aus dem BGS98 [20] eingesetzt: „Es gibt eine Reihe von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, die von verschiedenen Anbietern durchgeführt werden und die sich beispielsweise mit Ernährung, Bewegung, Entspannung und Sport oder Fitness befassen. Teilweise werden solche Maßnahmen von den Krankenversicherungen finanziert. Haben Sie an solchen Maßnahmen (Kurse, Übungen, Beratungen) in den letzten 12 Monaten teilgenommen? Wenn ja, bitte geben Sie an, welche Maßnahmen Sie in den letzten 12 Monaten besucht haben. Mehrfachantworten möglich“. Zur Auswahl standen unter anderem: „Gewichtsreduktion“, „gesunde Ernährung“, „Gymnastik“, „Entspannung oder Stressbewältigung“, „Fitness/Ausgleichssport“ und „sonstige Maßnahmen“. Für die Auswertung wurden die Antwortmöglichkeiten aus den gleichen Präventionsbereichen zu je einer Gesamtvariable „Ernährung“ bzw. „Bewegung“ zusammengeführt. Diese Zusammenfassung orientiert sich an der Einteilung, die im „Leitfaden Prävention“ der gesetzlichen Krankenkassen [8] verwendet wird, an dem die gesetzlichen Krankenkassen seit dem Jahr 2000 ihre Angebote orientieren. Darüber hinaus wurde die Variable „Teilnahme an mindestens einer verhaltensbezogenen präventiven Maßnahme in den letzten 12 Monaten“ gebildet (abgekürzt „mindestens eine Maßnahme“). Befragte, die die Teilnahme mehrerer Maßnahmen innerhalb der letzten 12 Monate angegeben haben, wurden hierfür nur einmal gezählt. Durch die Variable „mindestens eine Maßnahme“ kann so ermittelt werden, wie viele Personen tatsächlich von den Maßnahmen erreicht wurden.

Des Weiteren wurde gefragt, ob sich durch die Teilnahme an einer oder mehreren Maßnahmen der Gesundheitszustand oder das Befinden gebessert hat. Hier konnte mit „ja“ oder „nein“ geantwortet werden.

Für die Darstellung eines Trendvergleichs wurden die Daten aus dem Selbstausfüllfragebogen des BGS98 herangezogen [20]. Dort wurde mit kleinen Formulierungsunterschieden die gleiche Frage zur Teilnahme an präventiven Maßnahmen gestellt: Der Vorspann zur Frage enthielt nur bei DEGS1 den Hinweis, dass die Maßnahmen teilweise von den Krankenversicherungen finanziert werden. Des Weiteren unterschieden sich die Antwortmöglichkeiten im Bereich Bewegung: Im BGS98 wurde nach Rücken- oder Wirbelsäulengymnastik gefragt, in DEGS1 nach Angeboten zur Fitness- und Beweglichkeitsförderung, angelehnt an den aktuellen „Leitfaden Prävention“ [8]. Für den jetzigen Vergleich wurden die BGS98-Daten neu berechnet. Abweichend von der Erstpublikation von 1999 [20] wurden Mehrfachnennungen berücksichtigt, die Gewichtung aktualisiert sowie nur Personen ab 18 Jahren einbezogen.

Der SES wurde anhand eines Indexes bestimmt, in den Angaben zu schulischer und beruflicher Ausbildung, beruflicher Stellung sowie Haushaltsnettoeinkommen (bedarfsgewichtet) eingehen und der eine Einteilung in eine niedrige, mittlere oder hohe Statusgruppe ermöglicht [21]. Um die Krankenkassenmitgliedschaft zu ermitteln, wurde nach der eigenen Krankenversicherung gefragt, wobei zwischen privat und gesetzlich Versicherten unterschieden wurde. Die GKV wurde aufgrund der Größe der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) in AOK und „sonstige GKV“ unterteilt. In der Gruppierung „sonstige GKV“ befinden sich die Ersatzkassen, die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die zum Erhebungszeitpunkt als See-Krankenkasse/Knappschaft bezeichnete Kasse und die Landwirtschaftliche Krankenkasse.

Die Querschnitt- und Trendanalysen wurden mit einem Gewichtungsfaktor durchgeführt, der Abweichungen der Stichprobe von der Bevölkerungsstruktur (Stand 31.12.2010) hinsichtlich Alter, Geschlecht, Region und Staatsangehörigkeit sowie Gemeindetyp und Bildung korrigiert [17]. Bei der Berechnung der Gewichtung für die ehemaligen Teilnehmenden des BGS98 wurde die Wiederteilnahmewahrscheinlichkeit, basierend auf einem logistischen Modell, berücksichtigt. Für die Durchführung von Trendanalysen wurden die Daten des BGS98 auf den Bevölkerungsstand zum 31.12.2010 altersadjustiert. Eine Nonresponder-Analyse und der Vergleich einzelner erhobener Indikatoren mit Daten der amtlichen Statistik weisen auf eine hohe Repräsentativität der Stichprobe für die Wohnbevölkerung in Deutschland hin [17]. Um sowohl die Gewichtung als auch die Korrelation der Teilnehmenden innerhalb einer Gemeinde zu berücksichtigen, wurden die Konfidenzintervalle mit dem Verfahren für komplexe Stichproben von SPSS-20 bestimmt. Unterschiede werden als statistisch signifikant angesehen, wenn sich die jeweiligen 95 %-Konfidenzintervalle nicht überschneiden.

Ergebnisse

16,6 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an DEGS1 berichteten, in den letzten 12 Monaten vor der Befragung an mindestens einer verhaltenspräventiven Maßnahme teilgenommen zu haben. Die Teilnahmerate der Frauen (22,1 %) ist doppelt so hoch wie die der Männer (11,0 %). Dieser Unterschied ist in allen Altersgruppen statistisch signifikant, außer bei den 18- bis 29-Jährigen. Bei beiden Geschlechtern steigt die Teilnahmerate von den jüngeren zu den höheren Altersgruppen an. Die jüngste Altersgruppe, die 18- bis 29-Jährigen, nimmt etwa nur halb so häufig die Angebote in Anspruch wie die höchste Altersgruppe, die 65- bis 79-Jährigen (Tab. 1). Maßnahmen aus dem Bewegungsbereich (14,5 %; 95 %-KI: 13,4–15,5) werden am häufigsten in Anspruch genommen (signifikanter Unterschied zu den Bereichen Ernährung und Entspannung). Angebote zur Ernährung nutzen 2,9 % (95 %-KI: 2,4–3,4) der Befragten, und 2,8 % gehen zu Maßnahmen zur Entspannung/Stressbewältigung (95 %-KI: 2,4–3,3).

Tab. 1 Teilnahme an verhaltenspräventiven Maßnahmen in den letzten 12 Monaten

Die überwiegende Mehrheit der Befragten gab an, durch die Teilnahme an der Präventionsmaßnahme eine Verbesserung des Befindens oder des Gesundheitszustands wahrgenommen zu haben (81,8 %; 95 %-KI: 79,2–84,1). Es treten dabei keine statistisch signifikanten oder auffallenden Unterschiede zwischen Frauen und Männern oder zwischen verschiedenen Altersgruppen auf (ohne Darstellung).

Bei Hinzuziehung des SES in die Analyse zeigt sich, dass nur etwas mehr als jede/r Zehnte mit niedrigem SES (11,5 %; 95 %-KI: 9,4–14,1) an mindestens einer Maßnahme teilnimmt, aber fast jede/r Fünfte mit mittlerem (17,4 %; 95 %-KI: 16,0–18,8) oder hohem SES (19,1 %; 95 %-KI: 17,1–21,2). Dieser signifikante Unterschied bleibt auch bei der geschlechtsspezifischen Betrachtung erhalten: Frauen mit niedrigem SES nehmen ein Angebot seltener in Anspruch als Frauen mit mittlerem oder hohem SES. Bei Männern ist der gleiche signifikante Unterschied zwischen den SES-Gruppen zu beobachten. Bei der zusätzlichen Berücksichtigung des Alters findet sich bei den Frauen nur bei den 45- bis 64-Jährigen ein signifikanter Unterschied und bei den Männern in keiner Altersgruppe (Tab. 2). Die Analysen nach SES wurden aufgrund geringer Fallzahlen nicht für die einzelnen Präventionsbereiche Ernährung, Bewegung und Entspannung ausgewertet.

Tab. 2 Teilnahme an mindestens einer verhaltenspräventiven Maßnahme in den letzten 12 Monaten

Die Teilnahme an mindestens einer verhaltenspräventiven Maßnahme ist hinsichtlich der Kassenart unterschiedlich. Den höchsten Anteil an Teilnehmerinnen und Teilnehmern unter den GKV-Versicherten hat die Gruppe, die hier unter „sonstige GKV“ summiert ist. Insgesamt nimmt ca. ein Fünftel dieser Versicherten die Präventionsmaßnahmen in Anspruch (18,9 %; 95 %-KI: 17,4–20,5). Von den AOK-Versicherten nutzen 13,7 % ein präventives Angebot (95 %-KI: 11,7–15,9). Die private Krankenversicherung (PKV) hat den niedrigsten Anteil an präventiv Aktiven mit 11,5 % (95 %-KI: 9,5–13,9). In allen Kassenarten ist das Inanspruchnahmeverhalten der Frauen höher als das der Männer derselben Kassenart und Altersgruppe. Aber Frauen, die bei der AOK versichert sind, haben eine niedrigere Beteiligung als Frauen in anderen gesetzlichen Krankenkassen (signifikanter Unterschied). Bei Männern fällt der Unterschied nicht so deutlich aus. Signifikante Unterschiede zwischen den Altersgruppen finden sich insbesondere bei „sonstigen GKV-Versicherten“. Die 65- bis 79-jährigen Frauen und Männer nehmen jeweils die Angebote doppelt so häufig in Anspruch wie die jüngste Altersgruppe (Tab. 3). Die Analysen nach Art der Krankenversicherung wurden aufgrund geringer Fallzahlen nicht für die einzelnen Präventionsbereiche Ernährung, Bewegung und Entspannung ausgewertet.

Tab. 3 Teilnahme an mindestens einer verhaltenspräventiven Maßnahme in den letzten 12 Monaten

Um die Entwicklung der Inanspruchnahme im letzten Jahrzehnt in Deutschland zu untersuchen, wurden die Ergebnisse des BGS98 für eine Trendanalyse herangezogen. Der Vergleich macht einen deutlichen Anstieg sichtbar. Im BGS98 hatten insgesamt 9,1 % der Befragten mindestens eine verhaltenspräventive Maßnahme genutzt (95 %-KI: 8,2–10,0), Frauen signifikant häufiger als Männer (Frauen: 11,8 %; 95 %-KI: 10,6–13,1; Männer: 6,3 %; 95 %-KI: 5,4–7,4). Der Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an präventiven Maßnahmen in DEGS1 ist damit im Vergleich zum BGS98 insgesamt um 7,5 Prozentpunkte gestiegen: bei Frauen um 10,3 Prozentpunkte, bei Männern um 4,7 Prozentpunkte. Die Zunahme bleibt auch nach Berücksichtigung der veränderten Altersstruktur in der Bevölkerung seit 1998 statistisch signifikant: Gewichtet man die Daten des BGS98 auf die Bevölkerungsstruktur von 2010, so liegt die damalige Teilnahmerate an verhaltenspräventiven Maßnahmen bei 9,3 % (95 %-KI: 8,4–10,3), also um 7,3 Prozentpunkte niedriger als in DEGS1 (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Teilnahme an mindestens einer verhaltenspräventiven Maßnahme in den letzten 12 Monaten [nach Geschlecht; Anteil in Prozent; Datenbasis: DEGS1 und BGS98 (DEGS nungewichtet = 1405, BGS98 nungewichtet = 663)]

Diskussion

Aktuelle Inanspruchnahme

Etwa ein Sechstel der Befragten von DEGS1 nahm an mindestens einer verhaltenspräventiven Maßnahme in den letzten 12 Monaten teil: Frauen doppelt so häufig wie Männer und in den jüngeren Altersgruppen seltener als in den höheren Altersgruppen. Die Teilnahme von Personen mit niedrigem SES ist um ein Drittel niedriger als mit hohem SES, wobei der signifikante Unterschied bei Berücksichtigung des Alters weitgehend verschwindet.

Die Ergebnisse von DEGS1 bestätigen im Wesentlichen die Erkenntnisse, die mit den Daten des Surveys „Gesundheit in Deutschland aktuell“ aus dem Jahr 2009 (GEDA09) mit einer mehr als doppelt so großen Stichprobe gewonnen wurden [22]. Bei GEDA09 wurde die gleiche Frage zur Prävention gestellt, allerdings im Rahmen eines telefonischen Interviews und nicht wie bei DEGS1 als Bestandteil eines selbstständig, schriftlich auszufüllenden Fragebogens. Die Antwortmöglichkeiten zur Bewegung unterschieden sich bei GEDA09 hinsichtlich der Wortwahl zu DEGS1 nur geringfügig. Angebote der körperlichen Aktivität waren bereits zusammengefasst zu Maßnahmen „zur Verbesserung der körperlichen Fitness oder Beweglichkeit“ [23], während bei DEGS1 die Angaben zur „Gymnastik“ und „Fitness/Ausgleichssport“ im Rahmen der Berechnungen zu einer Variablen zusammengeführt wurden.

Für einen Vergleich der Inanspruchnahme von DEGS1 mit den Erhebungen der gesetzlichen Krankenkassen für das Jahr 2009 können deren absolute Fallzahlen [24] bezogen auf die GKV-Versicherten – und damit den Großteil der Bevölkerung – herangezogen und hochgerechnet werden. Die auf dieser Grundlage geschätzte bevölkerungsweite Teilnahmerate fällt deutlich geringer aus [23] und weist damit darauf hin, dass die Befragten in DEGS1 (und ebenso in GEDA09) wahrscheinlich auch über Angebote berichteten, die nicht von den gesetzlichen Krankenkassen durchgeführt werden, wie beispielsweise Sportangebote der Sportvereine, oder eine tertiärpräventive Zielsetzung haben, sich also an bereits erkrankte Personengruppen wenden, wie z. B. Herzsportgruppen oder Diabetesschulungen [23].

Entwicklung der Inanspruchnahme im Zeitverlauf

Der Vergleich der DEGS1-Daten mit den Ergebnissen des BGS98 zeigt, dass sich die Inanspruchnahme im Laufe des letzten Jahrzehnts fast verdoppelt hat, auch bei Berücksichtigung der veränderten Altersstruktur in Deutschland.

Für diesen Vergleich wurden die BGS98-Daten neu berechnet, sodass die Gesamthäufigkeit um 1,4 Prozentpunkte niedriger ausfällt als bei der BGS98-Erstpublikation. Aber unabhängig von der Berechnungsweise bleibt der sehr deutliche Anstieg bestehen. Auch die Daten der Studie von Kirschner et al. [11] aus dem Jahr 1993/1994 – der ersten größeren Untersuchung über Präventionskurse der gesetzlichen Krankenkassen – bewegen sich in einer ähnlichen Größenordnung. Dennoch könnte ein Teil der Erhöhung der Teilnahmerate in den letzten 10 Jahren auf andere Antwortmöglichkeiten im BGS98 zurückzuführen sein. Die Daten wurden im BGS98 zwar ebenfalls schriftlich erhoben, aber in der Antwortmöglichkeit zur Bewegung war der Aspekt der Ausdauer- und Fitnessaktivitäten nicht ausdrücklich formuliert. Im BGS98 konzentrierte sich der Bereich Bewegung auf „Rücken- oder Wirbelsäulengymnastik (Rückenschule)“. Bei der Einzelbetrachtung der Angaben aus dem Bewegungsbereich zeigt sich, dass sich dieser Bereich in den letzten 10 Jahren um etwa die Hälfte von 6,2 auf 9,0 % erhöht hat und der Bereich „Fitness/Ausgleichssport“ in DEGS1 7,7 % umfasst (Mehrfachnennung möglich). Da im BGS98 wahrscheinlich ein Anteil der Fitnesskursteilnahmen in den Angaben zu „sonstige Maßnahmen“ enthalten sein dürfte, ist insgesamt davon auszugehen, dass die Teilnahmen an verhaltenspräventiven Maßnahmen im Vergleich zum Zeitraum um 1998 deutlich angestiegen sind, aber wahrscheinlich nicht in dem hier dargestellten Ausmaß. Denn es findet sich auch in der GKV-Statistik eine Erhöhung der Inanspruchnahme der individuellen präventiven Leistungen der GKV seit der Gesetzesnovellierung des § 20 SGB V im Jahr 2000 [24].

Gründe für die gestiegene Inanspruchnahme

Die verstärkte Nutzung von verhaltenspräventiven Maßnahmen liegt auch darin begründet, dass seit der Novellierung des § 20 SGB V im Jahr 2000 die GKV wieder den Auftrag zur primären Prävention erhielt. Die Bereiche Ernährung, Bewegungsgewohnheiten und Entspannung/Stressbewältigung gehören dabei zu den zentralen Handlungsfeldern der individuumsbezogenen Maßnahmen [8]. Überdies ist das Angebot gerade im Bereich der körperlichen Aktivität – dem Großteil der verhaltenspräventiven Maßnahmen – in den letzten Jahren angestiegen, insbesondere für höhere Altersgruppen [25]. Parallel hat sich ein gesellschaftlicher Wandel hin zu einem wachsenden Bewusstsein für ein Gesundheitsverhalten entwickelt [26], welches indirekt die Inanspruchnahme präventiver Angebote unterstützt.

Zur gestiegenen Inanspruchnahme verhaltenspräventiver Maßnahmen im letzten Jahrzehnt könnte auch die vorgestellte positive Bewertung der Maßnahmen durch die Befragten beigetragen haben. Dies kann als ein Hinweis für einen individuellen Erfolg der Maßnahme angesehen werden, denn ein Drittel der Befragten gibt auch an, 2 und mehr Angebote wahrgenommen zu haben. Zusätzliche Längsschnittanalysen mit DEGS1- und BGS98-Daten könnten zeigen, ob zum Zeitpunkt von DEGS1 neue Personen für die Teilnahme an den Maßnahmen gewonnen wurden oder bereits Aktive ihr Gesundheitsverhalten aufrechterhalten haben.

Erreichte Bevölkerungsgruppen

Gleichzeitig besteht bei verhaltenspräventiven Maßnahmen das Risiko, dass lediglich die Bevölkerungsgruppen daran teilnehmen, die ohnehin ein ausgeprägtes Gesundheitsverhalten haben, während Personen, die den größten gesundheitlichen Nutzen von den Angeboten hätten, nicht erreicht werden (Präventionsdilemma) [27]. Dazu gehören sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die häufig einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen [28]. Besonders die GKV-Leistungen zur Primärprävention sollen den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen vermindern [24]. Ein Indikator für soziale Benachteiligung ist ein niedriger Sozialstatus. Die Verteilung des SES weist in DEGS1 – wie auch schon in GEDA09, im BGS98 und auch bei Kirschner et al. [11] – darauf hin, dass sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen die Angebote am wenigsten erreichen. Der Sozialstatus erklärt auch den deutlich geringeren Anteil der AOK-Versicherten an den Präventionsmaßnahmen, verglichen mit den anderen gesetzlichen Kassen: Die Versicherten der AOK haben in DEGS1 einen doppelt so hohen Anteil an Personen mit niedrigem Sozialstatus (Frauen: 35,6 %; 95 %-KI: 31,8–39,6, Männer: 35,1 %; 95 %-KI: 31,1–39,3) im Vergleich zu den „sonstigen gesetzlichen Kassen“ (Frauen: 14,9 %; 95 %-KI: 13,2–16,9, Männer: 15,4 %; 95 %-KI: 13,1–18,0).

Fazit

Sollen verhaltenspräventive Maßnahmen zur Ernährung, Bewegung und Entspannung bevölkerungsweit zu einer Reduzierung von nichtübertragbaren Erkrankungen beitragen, dann müssen weitere, darüber hinausgehende Strategien unternommen werden, damit mehr als lediglich ein Sechstel der Bevölkerung erreicht wird. Die besten präventiven Effekte versprechen Gesamtstrategien oder Mehrkomponenten-Interventionen, die präventive Angebote in formalen Organisationen wie dem Arbeitsplatz oder Schulen einbetten, die Einzelpersonen ansprechen und von medialen oder legislativen Aktivitäten begleitet werden [29, 30, 31, 32]. Damit Prävention nicht zur Verstärkung gesundheitlicher Ungleichheit beiträgt, wird dabei von allen gesundheitspolitischen Akteuren gefordert, verstärkt Strategien zu entwickeln, die sozial benachteiligte Gruppen erreichen [29, 33]. Es gibt erste Hinweise auf geringe, aber positive Effekte von Angeboten, die Effekte auch bei sozial Benachteiligten zeigen [34]. Die individuumsorientierten Angebote z. B. der GKV sollten dabei weniger als Marketinginstrument dienen [11], sondern verstärkt im Kontext von Settingansätzen (d. h. mit Maßnahmen im System der konkreten Lebenswelt wie Betrieb, Schule usw.) umgesetzt werden [35, 36]. Die Ergebnisse der oben genannten Mehrkomponenten-Interventionen weisen darauf hin, dass verhaltenspräventive Maßnahmen nur eine neben anderen Einflussfaktoren für eine Reduzierung von nichtübertragbaren Erkrankungen ist und dass sie einer Ergänzung durch verhältnispräventive Maßnahmen bedürfen [35], die die gesündere Entscheidung zur leichteren Entscheidung machen [3, 37].