Eine rationale und intelligente Antibiotikaverordnung ist die Voraussetzung für ein optimales Verhältnis zwischen klinischem Behandlungserfolg und Nebenwirkungen bzw. Kosten ökonomischer und biologischer/ökologischer Art. Die vermeintlichen Regeln „viel hilft viel“ und „never change a winning team“ sind in diesem Sinne falsch. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass die Antibiotikaanwendungsdichte beim Menschen, beim Tier und in anderen biologischen Systemen mehr oder weniger schnell und in mehr oder weniger klarer Dosis-Wirkungs-Beziehung eine Resistenzentwicklung verursacht, die dann auch früher oder später zu einem klinisch relevanten Problem wird. Wir erleben dies heute als Krankenhausärzte täglich.

Zu berücksichtigen ist, dass bestimmte Entwicklungen hin zu einer vermehrten Antibiotikaresistenz über einen sehr langen Zeitraum persistieren und möglicherweise irreversibel sein können. Beispiele sind die hochgradige Aminoglykosidresistenz bei Enterokokken und die Resistenz von E. coli gegenüber Streptomycin, Sulfonamid bzw. Cotrimoxazol. Bei Untersuchungen in England wurden bei klinischen Isolaten diesbezüglich keine Veränderungen beobachtet, obwohl die Anwendung der genannten Substanzen in der Humanmedizin über die letzten 30 Jahre sehr stark zurückgegangen und zum Teil verschwindend gering ist, sodass von dieser Seite ein Selektionsdruck nicht mehr ausgehen kann [1]. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen in den bakteriellen genetischen Strukturen (Plasmiden, Integrons), in der Koselektion und im Einsatz entsprechender Antibiotika im Human- und/oder Veterinärbereich. Eine Restriktion und Mengenreduktion bestimmter Antibiotikaklassen in Teilbereichen des Gesamtsystems Humanmedizin, im Veterinärbereich/in der Lebensmittelproduktion als Reaktion auf problematische Entwicklungen bietet keine ausreichende Sicherheit zur Minimierung der Resistenzproblematik. Nachhaltige, rationale und intelligente Antibiotikaverordnungsstrategien – auch mit dem Begriff des „Antibiotic Stewardship“ (ABS) bezeichnet – sind unabdingbar [2, 3, 4].

Voraussetzung hierfür ist die Verfügbarkeit von Verbrauchs- und Resistenzdaten sowie einer Infrastruktur und von Personal, die es ermöglicht, diese Daten in Strategien und Bewertungen umzusetzen.

In der Humanmedizin sind hier der ambulante Bereich und der Krankenhaussektor zunächst separat anzusprechen, auch wenn die Schnittstelle zwischen beiden heute extrem wichtig geworden ist. Für bestimmte humanpathogene Mikroorganismen scheint allerdings die Antibiotikastrategie und Antibiotika-“Politik“ in der Veterinärmedizin und Lebensmittelproduktion fast noch kritischer. Die Erfolge einer rationalen und intelligenten Antibiotikaverordnung in der Humanmedizin oder die Effekte einer entsprechend veränderten Anwendung – wie oben dargestellt – können ohne Veränderungen im Veterinär- und Lebensmittelbereich mitunter nur gering und/oder nur kurzfristig ausfallen. In den neuen EU-Entschließungen wird dieser Tatsache Rechnung getragen [5]. ABS, speziell in der Humanmedizin, soll sich aber nicht zum nur mehr politischen Thema weiterentwickeln, sondern muss innerhalb der Ärzteschaft vermehrt thematisiert und verankert werden.

Antibiotikaverordnungsdichte

Ohne Messung der Antibiotikaverordnungsdichte sind eine Beurteilung der Qualität und eine Planung intelligenter Verordnungsstrategien nicht möglich. GERMAP – der deutsche Antibiotika-Verbrauchs- und -Resistenzatlas – ist der erste Versuch einer zusammenfassenden Darstellung u. a. von Antibiotikaanwendungsdichten in der Human- und Veterinärmedizin hierzulande. Bisher gibt es 2 Ausgaben: GERMAP 2008 und GERMAP 2010 [6, 7]. Mit GERMAP ist Deutschland in der Riege der Länder angekommen, die bereits eine Tradition im transsektoralen Verständnis und in der interdisziplinären Darstellung der Antibiotikaresistenzproblematik aufweisen: Dänemark, Niederlande, Schweden, Norwegen, Finnland. GERMAP ist in diesem Sinne ein erster Erfolg. Es ist aber längst nicht perfekt; die Schwächen zeigen zugleich auch die Herausforderungen für die Zukunft. Die aus Deutschland verfügbaren Daten sind teilweise spärlich, vor allem im Krankenhaussektor und Veterinärbereich. Die Datenbasis muss verbessert werden (s. unten). Verbessert werden müssen auch die Transparenz und die Bereitschaft, eigene Daten dort darzustellen. Mögliche Konsequenzen müssen diskutiert werden, das Fazit im Text muss Konsequenzen in der Praxis nach sich ziehen.

GERMAP ist keine Aktivität primär für die Wissenschaft, sondern für die Wissenschafts- und Gesundheitspolitik und zur Strategieplanung von Fachgesellschaften, Leitliniengruppen und Verbänden. Es könnte zukünftig im Auftrag der neuen Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (KART) herausgegeben werden, muss aber wie bisher den Bereich der Veterinärmedizin umfassen und sollte weiterhin ein unabhängiger Bericht bleiben.

Messmethodik und Surveillance der Antibiotikaverordnungsdichte

Durchgesetzt hat sich als Maßeinheit in der Humanmedizin die Zahl der definierten Tagesdosen („defined daily doses“, DDD nach WHO-ATC) pro Einwohner (bzw. Versicherte) oder (im Krankenhaus) pro Patiententage (Pflegetage; http://www.whocc.no). Je nach Fragestellung sind hierbei aber Limitationen zu beachten. Im ambulanten sowie stationären Bereich sind bei Anwendung dieser Maßeinheit Aussagen zum Antibiotikaverbrauch speziell bei Kindern nur näherungsweise zu treffen, da für sie keine speziellen Dosisdefinitionen existieren. Hier können Angaben zu Verordnungen (Rezepte) helfen. Im stationären Bereich ist durch die Verkürzung der Verweildauer in den letzten 10 bis 20 Jahren teilweise ein Pseudoanstieg der mittels Tagesdosen pro Pflegetage dargestellten Verordnungshäufigkeit zu beobachten gewesen [8, 9]. Als Korrektur sind insofern Schätzungen der Anwendungsdichte bezogen auf den Krankenhausfall (pro Aufnahme) statt auf Pflegetage sowie Schätzungen der Gesamtmenge der verordneten Tagesdosen im Krankenhausbereich wichtig. In Ländern, in denen solche Schätzungen vorliegen, schwankt der Anteil der im Krankenhausbereich verordneten Antibiotikadosen an der in der Humanmedizin verordneten Gesamtmenge zwischen 10 und 25% [10].

DDD sind als Maßeinheit nicht unumstritten. Sie sind beispielsweise bei vielen parenteralen Penicillinen im Vergleich zu den tatsächlich im Krankenhaus verwendeten Dosen niedrig; weniger ausgeprägt ist diese Verzerrung bei Cephalosporinen und anderen Substanzen [9, 8, 10, 11, 12, 13]. Kliniken mit überwiegendem Einsatz von Penicillinen erscheinen daher bei Verwendung von DDD als Maßeinheit eher als Hochverbraucherbereiche, was zu sehr viel Verwirrung, ungerechtfertigten Hypothesen und Interventionen oder sogar Vorwürfen führen kann. Die Antibiotikaverbrauchs-Surveillance in deutschen Akutkrankenhäusern verwendet daher eine zweite Maßeinheit, die „recommended daily doses“ (RDD); hier ist die Abweichung von den tatsächlich gegebenen Dosen („prescribed daily doses“, PDD) geringer als bei DDD.

Es gibt keine nationale repräsentative Erhebung des Antibiotikaverbrauchs in Krankenhäusern in Deutschland, aber nationale Vollerhebungsdaten für den niedergelassenen GKV-Bereich (d. h. für rund 90% der Bevölkerung; [6, 7, 14]). Vollerhebungen des Antibiotikaverbrauchs im stationären Bereich finden sich meist nur in bevölkerungsmäßig kleineren Ländern (z. B. Dänemark, Schweden, Slowenien, Luxemburg). Ansonsten muss man sich in der Regel mit Erhebungen in (meist nicht repräsentativen) Stichproben begnügen.

In einigen Ländern hat man bei fehlenden bzw. unzureichenden Krankenhausverbrauchsdaten zur besseren Orientierung nationale Punktprävalenzerhebungen im Krankenhausbereich durchgeführt. In Frankreich beispielsweise ist dies gut gelungen (> 2000 beteiligte Institutionen bei einer entsprechenden Erhebung 2006 [15]). Das europäische Surveillance-System ESAC („European Surveillance of Antimicrobial Consumption“, inzwischen ESAC-Net genannt) hat solche Punktprävalenzerhebungen im Krankenhausbereich ebenfalls geplant. Allerdings fiel die bisherige freiwillige Beteiligung daran mit zuletzt rund 170 Kliniken, darunter ein einziges deutsches Krankenhaus, bescheiden aus [16, 17]. Der Vorteil einer solchen Erhebung ist vor allem die Verknüpfung der Daten mit den Indikationen und die Option, diese zu überprüfen. Für den Herbst 2011 hat die europäische Gesundheitsbehörde ECDC eine internationale Untersuchung mit der ESAC-Methodik im Sinne einer Punktprävalenzerhebung sowohl von nosokomialen Infektionen als auch der Antibiotikaverordnung in den entsprechenden Krankenhäusern geplant. In Deutschland wird diese vom NRZ für die Surveillance von Nosokomialen Infektionen, Charité, Berlin, koordiniert. Wir betrachten solche multizentrischen Punktprävalenzuntersuchungen als interessant, aber zumindest längerfristig mit ähnlichen Problemen behaftet wie die kontinuierliche Surveillance (Aufwand, Teilnehmer, Incentives, Repräsentativität, kritische Bedeutung von Feedback) und vor allem als Pilotstudien geeignet, um definierte Qualitätsindikatoren zu testen. Eine verbesserte elektronische Datenverarbeitung und Klinikinformationssysteme werden in Zukunft die Möglichkeiten einer Messung des stationären Antibiotikaverbrauchs in verschiedener Hinsicht erweitern.

Die Beteiligung an den beiden deutschen kontinuierlichen Antibiotikaverbrauchssurveillance-Systemen im Klinikbereich war bisher mäßig. Im bis 2006 vom BMBF geförderten Projekt „SARI“ melden inzwischen längerfristig rund 90 Intensivstationen ihren monatlichen oder jährlichen Antibiotikaverbrauch (http://www.nrz-hygiene.de/surveillance/sari). Im bis 2008 teilweise ebenfalls vom BMBF und inzwischen vom RKI/BMG unterstützten „ADKA-if-RKI“-Projekt werden kontinuierlich klinikweite Quartalsdaten erfasst und abteilungs-, fach- und stationsartbezogen ausgewertet (http://www.antiinfektiva-surveillance.de). Nach der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes 2011 ist die Beteiligung am zuletzt genannten System stark ansteigend (Abb. 1) und umfasst inzwischen > 100 Kliniken mit > 800 Normal- und > 200 Intensivstationen, von denen allerdings einige ihre Daten erst für 2012 liefern werden. Neben GERMAP ist dies ein weiterer bescheidener Erfolg.

Abb. 1
figure 1

Beteiligung an der Antibiotikaverbrauchssurveillance (ADKA-if-RKI-Projekt) für deutsche Akutkrankenhäuser (Stand 31.03.2012). Im Zusammenhang mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist die Bereitschaft zur Teilnahme im letzten Jahr deutlich gestiegen (http://www.antiinfektiva-surveillance.de)

Vorteil des Systems ist die Einbindung von Pharmazie, Infektiologie und öffentlichem Gesundheitswesen/Epidemiologie. Vorteil ist auch die fehlende Beschränkung der Datenerfassung und -auswertung auf Intensivstationen. Nur etwa 10–20% aller im Krankenhaus eingesetzten Antibiotika werden auf Intensivstationen verordnet [6, 7]. Interventionen werden Nicht-Intensivbereiche betreffen müssen, um nachhaltig wirksam zu sein.

Die aus dem ADKA-if-RKI-System inzwischen extrem schnelle Rückkoppelung (1 bis 2 Wochen) der Verbrauchsdaten in einer Form, die sowohl speziell für ABS-Teams, Arzneimittelkommissionen und vor Ort verantwortliche Apotheker und Infektiologen als auch für die klinischen Abteilungen selbst sehr hilfreich ist, wird die diesbezügliche Nachfrage noch weiter erhöhen. Es wird darauf ankommen, die Feedback-Funktionen noch weiter zu verbessern, Krankenhausvergleichsberichte zu automatisieren, das Einspielen der Daten weiter zu vereinfachen und Anwendertreffen durchzuführen, um die Bedürfnisse der Datenlieferanten und Nutzer noch leichter identifizieren zu können. Die Daten werden in Zukunft für die Einspeisung in europäische Surveillance-Systeme (ESAC-Net) und auch für Forschungsfragen extrem wertvoll sein.

Verfügbare Daten zur Situation in Deutschland – ambulant

Die Antibiotikaverordnungsdichte im ambulanten Bereich ist in den letzten 10 Jahren vergleichsweise konstant gewesen, und im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit ~14,5 DDD pro 1000 GKV-Versicherte und Tag (entsprechend ~5,3 DDD pro GKV-Versicherten und Jahr) nach wie vor im unteren Drittel – zusammen mit Ländern wie Dänemark, Schweden, Österreich u. a. (Abb. 2; [6, 7, 14, 18, 19, 20]). Es sollte erwähnt werden, dass die Antibiotikaverordnungsdichte in Deutschland um mehr als 50% über der in der Schweiz liegt. Hieraus ergibt sich theoretisch ein Einsparpotenzial von 50% für Deutschland.

Abb. 2
figure 2

Antibiotikaverbrauchsdichte im niedergelassenen Bereich in europäischen Ländern im Jahr 2009. Die Verbrauchsdichte ist angegeben als Tagesdosen (DDD) pro 1000 Einwohner/Versicherte (inhabitants) und Tag (day; „DID“). Die Daten stammen aus dem europäischen Antibiotikaverbrauchserfassungssystem ESAC (neue Bezeichnung ESAC-Net) [19]

Kinder erhalten (ambulant) häufiger Antibiotika als Erwachsene und Betagte [6, 7]. Eine aktuelle Auswertung von 1,67 Mio. GEK-Versicherten aus dem Jahr 2009 ergab eine Antibiotikaverordnungsprävalenz von 33% bei Erwachsenen und 38% bei Kindern und Jugendlichen [21].

Die im ambulanten Bereich am häufigsten verordneten Antibiotika (Einzelsubstanzen) im Jahr 2010 waren Amoxicillin (~74 Mio. DDD), gefolgt von Doxycyclin (~53 Mio. DDD) und Cefuroximaxetil (~37 Mio. DDD; [20]). Die Betalactamantibiotika stehen so seit über 10 Jahren an führender Position (> 50% aller verordneten Antibiotikatagesdosen), gefolgt von Tetrazyklinen, Makroliden und Fluorchinolonen (Tab. 1). Ungewöhnlich und durch Behandlungsleitlinien nicht erklärbar ist der starke Anstieg der Verordnungen von Oralcephalosporinen (zu > 50% handelt es sich dabei um Cefuroximaxetil; [7, 20]). Dies ist ein mögliches Qualitätsproblem mit vermutlich relevanten Auswirkungen auf die Antibiotikaresistenz: Eine Vorbehandlung mit Cefuroxim und anderen Oralcephalosporinen wurde als Risikofaktor für Infektionen mit Nachweis von ESBL-Bakterien, MRSA, C. difficile und multiresistenten Pneumokokken beschrieben [22, 23, 24, 25].

Tab. 1 Ambulante Antibiotikaverordnungen 2008 und 2010 im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen [Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), GKV-Arzneimittelindex [7, 20]] in Form von verordneten Tagesdosen nach der ATC-WHO-Definition (DDD)

Eindrucksvoll sind die regionalen Unterschiede im Antibiotikaverbrauch (die allerdings bisher nicht alters- und geschlechtsstandardisiert vorliegen), die mit erstaunlicher Konstanz zu beobachten sind [6, 7, 14]. Relative Hochverbraucherregionen sind seit Jahren die KV-Bereiche Pfalz, Saarland und Nordrhein. Niedrigverbraucherregionen sind vor allem die neuen Bundesländer, wobei die regionalen Unterschiede bei Kindern deutlich weniger bzw. teilweise gegensätzlich ausgeprägt sind, d. h. Erwachsene und Kinder unterschiedlich betreffen [21, 26]. Die Ursachen für diese Befunde sind bis heute nicht geklärt und vermutlich vielschichtig.

Neben den Unterschieden in der altersgruppenbezogenen Verschreibungsmenge gibt es zwischen den Regionen auch einige interessante qualitative Unterschiede. Insbesondere in den neuen Bundesländern werden die „alten“ Antibiotika (Basispenicilline, Tetrazykline) im Vergleich zu den westlichen Bundesländern weniger intensiv rezeptiert. Die diesbezüglichen Unterschiede bei den „modernen“ Antibiotika (neuere Makrolide und Fluorchinolone) sind hingegen gering [6, 7]. Auch hier müssen die Angaben altersstandardisiert weiter analysiert werden – eine dringliche Aufgabe für die nahe Zukunft.

Verfügbare Daten zur Situation in Deutschland – stationär

Daten für den stationären Bereich – soweit im geeigneten Format vorhanden – eignen sich derzeit – wie oben erwähnt – nur zur internen Qualitätssicherung, kaum aber für externe Vergleiche und Bewertungen. Aus den vorliegenden Daten lässt sich ableiten, dass die Antibiotikaverbrauchsdichte in Krankenhäusern der Akutversorgung in den letzten Jahren – mindestens entsprechend der Verweildauerverkürzung – angestiegen ist [6, 7]. Im Median ist das Verbrauchsniveau auf Intensivstationen in etwa doppelt so hoch wie auf Allgemeinstationen (außer in der Hämatologie-Onkologie; Tab. 2), hat sich aber in den letzten 10 Jahren wohl nur wenig verändert [6, 7, 27, 28]. Jedoch wurde für die Breitspektrum-Cephalosporine, Carbapeneme und Fluorchinolone ein z. T. deutlicher Anstieg des Verbrauchs ermittelt. Cephalosporine scheinen im stationären Bereich inzwischen die Top-Substanzen zu sein – ein mögliches Qualitätsproblem mit Auswirkungen auf die Antibiotikaresistenz [6, 7].

Tab. 2 Stationäre Antibiotikaverordnungsdichte 2010 in Form von verordneten Tagesdosen nach der ATC-WHO-Definition (DDD) bzw. empfohlenen Tagesdosen (RDD) pro 100 Pflegetage (Quelle: http://www.antiinfektiva-surveillance.de, unveröffentlichte Daten). Angegeben sind jeweils Mittelwert sowie Median mit (in Klammern) Interquartilbereich

Verordnungsqualität

Es gibt in Deutschland keine systematischen Messungen der Antibiotikaverordnungsqualität. Einige Versorgungsforschungsprojekte haben die Antibiotikaverordnungsqualität im Hausarztbereich thematisiert und dort durchaus Verbesserungspotenzial aufgezeigt [26, 29, 30, 31]. Indirekte Hinweise auf die Verordnungsqualität geben die – wie oben erläutert – ambulanten Verbrauchsanalysen, die aber in diesem Sinne bisher gar nicht an die Verordner kommuniziert werden – eine der Herausforderungen für die Zukunft.

Die von verschiedenen Verbänden bzw. Forschergruppen erarbeiteten Empfehlungen zu Qualitätsindikatoren – basierend auf substanzklassen- oder indikationsspezifischen Verordnungsdaten – für den ambulanten Bereich [19, 32] sind bisher hinsichtlich einer Anwendung in Deutschland nicht im Detail studiert und diskutiert worden. Im aktuellen Qualitätsindikatorenkatalog der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sind an infektiologisch relevanten Indikatoren 3 für den Bereich HIV/Aids und 4 für den Bereich Impfungen verzeichnet [33]. Es wird notwendig sein, geeignete Indikatoren für die Antibiotikaanwendung beim Hausarzt zu finden und entsprechende Zielbereiche für den ambulanten Sektor zu definieren.

Eine gute Entwicklung gibt es bei den Therapieempfehlungen speziell für den niedergelassenen Arzt. Hier sind vor allem einige Leitlinieninitiativen zu nennen sowie auch die Schriften und Fortbildungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und der KBV. Auch die neue elektronische „Arztbibliothek“ (http://www.arztbibliothek.de) verbessert die Verfügbarkeit von systematischen Übersichtsarbeiten und Leitlinien und ist zu begrüßen. Leider ist wenig über die Leitlinientreue der niedergelassenen Ärzte bei der Antibiotikabehandlung bekannt, und die weiter oben benannten regionalen Besonderheiten bei der Antibiotikaverordnung scheinen bisher im niedergelassenen Bereich nicht adressiert. Bei den Krankenkassen gibt es teilweise sog. Beratungsapotheker, die hier eine Funktion übernehmen könnten, bisher allerdings oft die wirtschaftliche Verordnungsweise zu sehr im Fokus haben.

Qualitätsbeurteilung im stationären Bereich

Auch im stationären Bereich gibt es in Deutschland derzeit keine systematischen Messungen der Antibiotikaverordnungsqualität. Schätzungen aus verschiedenen Arbeiten gehen von inadäquaten Verordnungen in der Größenordnung von 20–30% aus [34, 35, 36, 37, 38, 39]. Derzeit werden hierzulande im Rahmen der externen Qualitätssicherung für die Antibiotikaverordnungsqualität nicht relevante, wenig valide oder überholte Indikatoren abgefragt, jedoch sind hier einige Neuentwicklungen zu erwarten (s. unten).

Es bestehen aber vor allem strukturelle Defizite im Klinikbereich, die darauf hindeuten, dass die interne Qualitätssicherung auch auf diesem Gebiet kaum realisierbar ist. Der Blick zu Vergleichszwecken in die internationale Literatur sowie Umfragen bestätigen, dass es in erster Linie an Fachpersonal fehlt, und es in den Kliniken für den Bereich der rationalen Antiinfektivaverordnung außerhalb der Arzneimittelkommissionen keine übergeordnete Verantwortlichkeiten gibt [40, 41]. Es sind sehr wenig infektiologische Fachabteilungen in Deutschland eingerichtet. Die Dichte an Fachärzten für Infektiologie, die Patienten mit komplexen Infektionen betreuen oder als Konsiliarärzte mitbetreuen und bezüglich ABS strategisch tätig sind, liegt im europäischen und internationalen Vergleich im unteren Viertel [1, 2, 3, 42, 43, 44]. Fachärzte für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygieniker mit Verfügbarkeit und Expertise am Krankenbett und Fachapotheker für Klinische Pharmazie sind ebenfalls rar. Die meisten Kliniken in Deutschland werden von externen Laboratorien mit mikrobiologischen Laborleistungen versorgt [40, 41] – hier können durchaus ökonomische Interessenkonflikte entstehen. Die Weiterbildung sowohl von Mikrobiologen, Krankenhaushygienikern als auch Apothekern ist zudem nicht auf die Infektiologie und Antiinfektivaverordnungsqualität fokussiert.

Klinikweite spezialisierte Kommissionen oder multidisziplinäre Arbeitsgruppen mit Fachärzten und Fachapothekern (wie sie in Belgien in allen Krankenhäusern inzwischen verfügbar sind) oder zumindest mit speziell fortgebildetem Personal, die im Bereich der Antiinfektivaverordnung spezifisch Verantwortung übernehmen könnten und hierfür einen Auftrag (Mandat), Personalfreistellung (Deputat) und sonstige Ressourcen von der Klinikleitung erhalten, existieren wenige (Tab. 3), obwohl sie neben der Aus-, Fort- und Weiterbildung die Voraussetzung und der Schlüssel für einen diesbezüglichen Fortschritt darstellen sollten. Bisher werden in Deutschland entsprechende Entscheidungen in den weit verbreiteten Arzneimittelkommissionen getroffen – nicht selten unter Zuhilfenahme interner ärztlicher Kollegen, die Infektiologie als „Nebenfach“ und/oder „Hobby“, z. B. aus Sicht der Intensivmedizin, betreiben, und nicht selten nach Beratung durch externe Mikrobiologen oder Krankenhaushygieniker. Defizite gibt es auch bei der Datengrundlage für solche Entscheidungen. Beispielsweise verfügen die meisten Kliniken nicht über regelmäßige Antiinfektivaverbrauchsdaten im Format Tagesdosen pro Pflegetage (Tab. 2). Zwar ist die Verfügbarkeit von mikrobiologischen Daten besser, erreicht aber selbst in größeren Akutkliniken keinesfalls > 80% (Tab. 4). Bisher sind in Deutschland hierfür keine Standards definiert, und die Qualität ist entsprechend unzureichend. Die in Arbeit befindliche deutsch-österreichische Leitlinie zu ABS im Krankenhaus hat entsprechende Empfehlungen sowohl zur Struktur und zu den Voraussetzungen als auch zu den ABS-Aktivitäten formuliert, die weitgehend den bereits verfügbaren Leitlinien zu diesem Thema folgen.

Tab. 3 ABS-Programme und ABS-Infrastruktur im Krankenhaus im internationalen Vergleich entsprechend verschiedener Umfragen [40]. Es handelt sich nicht um Zufallsstichproben und damit um nicht-repräsentative Umfragen
Tab. 4 Ergebnisse einer Befragung von 134 Teilnehmern an ABS-Fortbildungskursen zur Verfügbarkeit von Surveillance-Daten zum Antiinfektivaverbrauch und zur Antibiotikaresistenz (Survey vor Fortbildungsbeginn/Kursteilnahme). (Quelle: http://www.antiinfektiva-surveillance.de [40])

Notwendige Erprobung von Qualitätsindikatoren im stationären Bereich

Es gibt eine Reihe von Beispielen für als valide betrachtete und teilweise bereits pilotierte Qualitätsindikatoren für ABS im Krankenhaus. Die Sektion Antibiotic Stewardship der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) und die deutsch-österreichische ABS-Leitliniengruppe haben basierend auf der Literatur einen Katalog solcher potenziellen Indikatoren (Struktur- und Prozessindikatoren) erarbeitet und diesen in Kooperation mit dem neu gegründeten ABS-Expertennetzwerk in einer ersten Runde bezüglich Relevanz und erwarteter Praktikabilität bewertet. Die Ergebnisse wurden beim diesjährigen Kongress für Infektiologie und Tropenmedizin vorgestellt und sind demnächst auch einsehbar (http://www.antibiotic-stewardship.de). Es wird notwendig sein, vor allem zu ihrer Praktikabilität eine multizentrische Pilotstudie in deutschen Akutkliniken durchzuführen und anschließend eine Neubewertung vorzunehmen – die Planungen zu dieser Pilotstudie haben bereits begonnen.

Sehr viel Erfahrung mit ABS-Qualitätsindikatoren haben inzwischen die Franzosen. Hier wird der sog. ICATB („Indice composite de bon usage des antibiotiques“) erfasst, der in mehreren Kategorien (Infrastruktur, Personal, Kernaktivitäten) mit einer Leistungsbewertung nach Schulnotensystem arbeitet und die Kliniken dann in 5 Qualitätsgruppen A–E einordnet. Diese Selbstbewertung wird (mit anderen Indikatoren) veröffentlicht. Nach den vorliegenden Informationen befinden sich inzwischen 80% der französischen Akutkrankenhäuser in den Kategorien A oder B [45] – eine sehr deutliche Verbesserung gegenüber 2006 (Kategorien A oder B 30%; [46]). Die Verbesserung im Score ist allerdings nicht konsistent mit einem reduzierten Antibiotikaverbrauch in den Kliniken assoziiert. Das ausgegebene (quantitative) Ziel einer 10%-Reduktion wurde nicht erreicht [47]. Ein ähnliches, zunächst allerdings freiwilliges Qualitätssystem wird auch für Deutschland diskutiert (ABS-Expertennetzwerk). Als evtl. nationales Programm wird ein solches System aber erst nach der weiteren Bewertung von Qualitätsindikatoren und nach Diskussionen in der KART und in politischen Gremien umsetzbar sein.

Verbesserung der Verordnungsqualität: ABS-Fortbildung

Langfristig wird eine Verbesserung der Antibiotikaverordnungsqualität durch eine bessere Ausbildung, Fort- und Weiterbildung erreichbar sein. Wesentlich sind auch aktuelle spezifische Leitlinien und Hilfen in Form von Unterstützung und Beratung durch Fachpersonal auf verschiedenen Ebenen sowie die Beurteilung mittels Qualitätsindikatoren. Im Krankenhaus sind die hierfür erforderlichen Strukturen je nach seiner Größe und dem Versorgungsauftrag anders als im niedergelassenen Bereich. Viele Länder haben in Kampagnen investiert, die die Patienteninformation stärken. Die unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten optimale Strategie ist vor allem im niedergelassenen Bereich nicht definiert.

Im stationären Sektor sind vor allem die Verbesserung der spezifischen Infrastruktur und die Verfügbarkeit von Fachpersonal dringlich und kritisch, die es ermöglichen, ABS-Programme auch in die Praxis umzusetzen. Im Rahmen der Deutschen Antibiotikaresistenz-Strategie (DART 2008–2013, http://www.bmg.de) wurde nach intensiver Diskussion im Vorfeld über Optionen zur Verbesserung der Wissensdefizite im Bereich Antiinfektivaanwendung und Infektionsmanagement einerseits und nosokomiale Infektionsprävention und Krankenhaushygiene andererseits rasch klar, dass hier mit einer Interimslösung über Intensivfortbildungen bzw. curriculare Weiterbildungen gearbeitet werden musste, da die Instrumente Ausbildung (Medizinstudium) und konventionelle Weiterbildung (Facharzt- bzw. Fachapothekerwesen) nur langfristig greifen und dem dringenden Bedarf an Wissensvermittlung zu diesen Themen kurzfristig nicht nachkommen können [40, 48]. Die DGI hat in der Folge für den Bereich rationale Antiinfektivaverordnung/ABS ein Konzept erarbeitet, wie eine curriculare Fortbildung in diesem Bereich aussehen könnte.

ABS-Fortbildungsinitiative

Idee war es, dass ärztliche Kollegen und Apotheker (vor allem aus mittelgroßen Krankenhäusern) mit einer entsprechenden Fortbildung zum ABS-Experten die Qualität der Antiinfektivaverordnung deutlich verbessern können und man so die Zeit bis zum Greifen der Instrumente Aus- und Weiterbildung – zumindest teilweise und abhängig von weiteren Beschlüssen zur Weiterbildung – überbrücken können müsste. Die Beteiligung von Apothekern ist ideal – hierfür sprechen amerikanische und auch europäische Erfahrungen [45]. Das Kursprogramm besteht aus 4 Wochenkursen („ABS Basics“, „ABS Fellow“, „ABS Advanced“, „ABS Expert“). Dabei absolvieren die Teilnehmer zwischen den Kursteilen „ABS Advanced“ und „ABS Expert“ zusätzlich ein Praktikum zur Entwicklung, Einführung und Umsetzung erster ABS-Maßnahmen im eigenen Krankenhaus. Seine Ergebnisse werden im abschließenden ABS Expert-Kurs von den Teilnehmern vorgestellt und diskutiert. Das Fortbildungsprogramm umfasst damit insgesamt rund 160 Präsenzstunden plus 40 Praktikumsstunden. Das Abschlusszertifikat „ABS-Experte“ ist an die erfolgreiche Teilnahme an den 3 Aufbaukursen „ABS Fellow“, „ABS Advanced“ und „ABS Expert“ gebunden. Ein Kurs umfasst 20 bis maximal 30 Teilnehmer, die sich überwiegend aus klinisch tätigen Fachärzten (Innere Medizin, internistische Intensivmedizin, Anästhesiologie u. a.) und Medizinischen Mikrobiologen sowie aus Krankenhausapothekern zusammensetzen.

Ziel war es, über einen Zeitraum von 4 bis 5 Jahren mindestens 200 ABS-Experten für eine Tätigkeit überwiegend an mittelgroßen Akutkliniken intensiv zu schulen und zu zertifizieren. Die enorme Nachfrage der seit Ende 2009 bis Anfang 2014 vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Fortbildungsinitiative und das ausgesprochen positive Feedback seit Kursbeginn im Februar 2010 zeigen den großen Bedarf an derartigen, industrieunabhängigen Fortbildungen deutlich auf. Die Kurse wurden durchweg als gut bis sehr gut evaluiert. Die durchschnittliche Evaluationsnote der bisher stattgefundenen Kurse lag bei 1,6. Die Einzelbenotungen der jeweiligen ABS-Kurse sind öffentlich zugänglich (http://www.antibiotic-stewardship.de). Mehr als zwei Drittel der Teilnehmer belegten zusätzlich als Einstieg den „ABS Basics“-Kurs, der keine Voraussetzung für die Zertifizierung als ABS-Experte ist [36].

Da der Bedarf an den Kursen einschließlich „ABS Basics“ ungebrochen sehr hoch ist, werden über die restliche Förderperiode ab 2012 insgesamt 13 Wochenkurse pro Jahr angeboten, sodass die ABS-Fortbildungsinitiative bis Ende 2012 fast 900 Anmeldungen von > 300 eingeschriebenen Fortbildungsteilnehmern zählen wird [36]. Bis zum Ende der Förderphase Anfang 2014 werden die meisten der > 300 Teilnehmer als ABS-Experte zertifiziert sein. Zum darüber hinaus gehenden Bedarf gibt es noch keine solide Einschätzung.

Die ABS-Fortbildungsinitiative wird mittels einer wissenschaftlichen Vorher/Nachher-Evaluation hinsichtlich Veränderungen der strukturellen und personellen Voraussetzungen in den Krankenhäusern der Kursteilnehmer vor und nach Durchlaufen der ABS-Kurse ausgewertet werden. Ziel ist es zu zeigen, dass sich Strukturen und Aktivitäten im Bereich ABS durch die Fortbildungsinitiative deutlich verbessert haben bzw. angestiegen sind. Zu berücksichtigen ist, dass nach unserer derzeitigen Auswertung 80–90% der Teilnehmer-Krankenhäuser mit Bettenzahlen von über 400 über eine hauseigene Apotheke, aber nur zu 56% über eine hauseigene mikrobiologische Diagnostik verfügen [40]. In Teilnehmer-Krankenhäusern mit weniger als 400 Betten liegt der Anteil an hauseigenen Apotheken nur bei 46% und der an einer hauseigenen mikrobiologischen Diagnostik bei 15% [36]. Hier bessere Voraussetzungen für erfolgreiche ABS-Aktivitäten zu schaffen ist nicht einfach. Die unerwartet hohe Zahl von Kursteilnehmern aus niedergelassenen mikrobiologischen Diagnostiklaboren ist möglicherweise als Vertretung vieler kleinerer Kliniken zu betrachten, die einen Teil der ABS-Aufgaben über ihre Laborärzte erledigt haben möchten oder müssen.

ABS-Expertennetzwerk

Die Möglichkeit, in wenigen Jahren neben Infektiologen und Medizinischen Mikrobiologen vermehrt Krankenhaushygieniker und 400 bis 500 ABS-Experten (die diese Funktion teilweise auch in Personalunion erfüllen können und werden) in Krankenhäusern verfügbar zu haben, ist eine hervorragende Gelegenheit zur Bildung eines Expertennetzwerkes moderner Art, d. h. mit eigener Internetplattform und Möglichkeiten zum Online-Austausch, bei Treffen und Veranstaltungen. Auch bietet sich auf diesem Weg die Möglichkeit, Hilfsmittel wie Broschüren, Kurzversionen lokaler Leitlinien, Unterrichtsmaterialien etc. verfügbar zu machen und unter Umständen auch in einer Praxisphase zu evaluieren. Der Wissenszuwachs an dieser Stelle wäre dann ein Vielfaches von dem, was in den Kursen an Wissensvermittlung leistbar ist. Dies gilt beispielsweise auch für die Erprobung von Prozessindikatoren zum Thema ABS. Die ersten ABS-Experten haben am 18.11.2011 in Freiburg ein solches Netzwerk gegründet (http://www.antibiotic-stewardship.de).