Demografischer Wandel bedeutet eine Veränderung der Alterszusammensetzung der Bevölkerung, die auf Veränderungen der Fertilität oder Mortalität oder auf Migration zurückzuführen ist. Der säkulare Rückgang der Geburtenrate sowie der zeitliche Aufschub des durchschnittlichen Alters von Erstgebärenden haben den Altenquotienten, also das Zahlenverhältnis zwischen der ruheständigen und der arbeitenden Bevölkerung, in den letzten Jahrzehnten verschlechtert. Der gleichzeitige Rückgang bei der Sterblichkeit, der im ruheständigen Alter besonders stark ausgeprägt war, hat den Altenquotienten noch deutlicher nach oben gedrückt. In die entgegengesetzte Richtung wirkte zwar die Zuwanderung von vornehmlich jungen Menschen aus dem Ausland. Dieser Effekt ist aber vergleichsweise gering, da die Zahl der Zuwanderer bezogen auf die gesamte Bevölkerung klein ist.

Eine Erhöhung des Altenquotienten hat zunächst Auswirkungen auf die Finanzierung der Krankenversicherung. Wenn diese wie in Deutschland über Lohnbeiträge finanziert ist, muss der Beitragssatz an die gesetzliche Krankenversicherung steigen; darunter leidet wiederum die Beschäftigung. Auch kommt es aufgrund des in der gesetzlichen Krankenversicherung angewandten Umlagefinanzierungsverfahrens zu einer intergenerativen Umverteilung auf Kosten der jungen Bevölkerung. Dies wirkt sich ebenfalls negativ auf den Arbeitsmarkt aus und hemmt zusätzlich den Aufbau von Vermögen. Die negative Auswirkung des demografischen Wandels auf die Bemessungsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung beschäftigt die Politik bereits heute, da sie einen weiteren dramatischen Anstieg der Sozialbeiträge in den nächsten 30 bis 40 Jahren verhindern möchte.

Im vorliegenden Beitrag steht die Wirkung des demografischen Wandels auf die Gesundheitsausgaben im Vordergrund. Dabei sind die Konsequenzen einer Veränderung der altersspezifischen Fertilitätsrate sowie der altersspezifischen Zuwanderung für die Gesundheitsausgaben vergleichsweise leicht zu charakterisieren. Sie wirken sich auf die Besetzung der verschiedenen Altersklassen aus und können mit dem Altersprofil der Gesundheitsausgaben verrechnet werden. Bei einer Reduktion der Fertilität und einem Anstieg der Zuwanderung ist mit einem (leichten) Rückgang der Gesundheitsausgaben zu rechnen.

Weniger eindeutig ist jedoch die Wirkung des Mortalitätsrückgangs auf die Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist in der Literatur umstritten, ob ein Anstieg der Lebenserwartung aufgrund sinkender Mortalität überhaupt zu steigenden Gesundheitsausgaben führt. Gemäß der sogenannten Red-Herring-Hypothese ist der Anstieg der Gesundheitsausgaben im hohen Alter einzig darauf zurückzuführen, dass die Mortalität mit dem Alter zunimmt; dabei sind die medizinischen Ausgaben im letzten Lebensjahr besonders hoch. Weil diese sogenannten „Sterbekosten“ zudem mit dem Alter abnehmen, könnte es gemäß dieser Hypothese sogar sein, dass die Gesundheitsausgaben im Zuge steigender Lebenserwartung abnehmen.

Nachfolgend beschäftigen wir uns zunächst mit der Veränderung der altersspezifischen Mortalität und der Frage, ob neben der Mortalität auch die Morbidität ins hohe Alter verschoben und komprimiert worden ist. Anschließend wird der Zusammenhang zwischen steigender Lebenserwartung und Gesundheitsausgaben diskutiert, und es wird die Rolle, die dabei den Ausgaben in den letzten Lebensjahren zukommt untersucht. Danach adressieren wir die Richtung der Kausalität zwischen steigender Lebenserwartung und Gesundheitsausgaben und deren Implikation für die empirische Forschung. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst.

Kompression von Mortalität und Morbidität

Jeder Versuch, den Effekt der Alterung auf die Gesundheitsausgaben zu messen, bedarf Annahmen über die künftige Entwicklung von Gesundheit und Lebenserwartung. Falls ein längeres Leben aus einem besseren Gesundheitszustand etwa aufgrund gesünderer Ernährung resultiert, werden künftige altersabhängige Gesundheitsausgaben überschätzt. In diesem Abschnitt werfen wir einen Blick zurück auf die Entwicklung der altersspezifischen Mortalität zwischen 1950 und 2000 in Deutschland und der Schweiz. Die Daten stammen von der Human-Mortality-Datenbank, die vom Max-Planck-Institut, Rostock, und der Universität von Kalifornien in Berkeley publiziert wird.

Tab. 1 zeigt die Veränderungen in der Lebenserwartung der Deutschen und Schweizer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterteilt nach Männern und Frauen (für weitere OECD-Länder, siehe [1]). 1950 wiesen die Schweizer Männer eine um fast fünf Jahre höhere Lebenserwartung auf als die deutschen. Bei den Frauen lag der Unterschied bei 2,1 Jahren. Diese Unterschiede haben sich deutlich verringert auf 1,7 Jahre bei den Männern und auf 1,6 Jahre bei den Frauen. Auch der Geschlechterunterschied bei der Lebenserwartung ist deutlich zurückgegangen.

Tab. 1 Lebenserwartung bei Geburt, 1950, 1975, 2000

Tab. 2 zeigt den Beitrag einer verringerten Sterblichkeit zum Anstieg der Lebenserwartung bei Geburt zwischen 1950 und 2000 nach Altersstufen gegliedert. In den ersten 25 Jahren trug die rückläufige Säuglings- und Kindersterblichkeit am meisten zur ansteigenden Lebenserwartung bei: Auf Verbesserungen in der Neonatologie und in der Pädiatrie entfallen bei den Männern 41% (Schweiz) respektive 56% (Deutschland) des Anstiegs. In den nächsten 25 Jahren verlangsamte sich der Rückgang der Sterblichkeit bei Neugeborenen und Kindern – der Beitrag zum Anstieg der Lebenserwartung betrug 14% (Schweiz) respektive 21% (Deutschland). Diese Entwicklung deutet auf abnehmende Grenzerträge auf einem bereits niedrigen Niveau der Sterblichkeit hin.

Tab. 2 Gewonnene Lebensjahre nach Altersstufen, Männer und Frauen, 1950 bis 2000

Die Sterblichkeit entwickelte sich deutlich anders bei älteren Menschen. Die rückläufige Sterblichkeit bei den über 55-Jährigen hat zwischen 1950 und 1975 zu 23% (Deutschland) respektive 38% (Schweiz) zur ansteigenden Lebenserwartung der Männer beigetragen. Im letzten Quartal des Jahrhunderts trugen die gewonnenen Lebensjahre bei den älteren Männern sogar zu 60% (Deutschland) respektive 70% (Schweiz) zur gestiegenen Lebenserwartung bei.

Diese Entwicklung in den letzten 50 Jahren führte zu einer Kompression der Mortalität. Tatsächlich wurde die Sterblichkeit in ein immer höheres Alter verschoben, weshalb die Überlebenskurve immer stärker die Form eines Rechtecks annahm. Für ein Neugeborenes liegt die Wahrscheinlichkeit, ein künftiges Alter von bis zu 60 Jahren zu erreichen, nahezu bei eins. Diese Überlebenswahrscheinlichkeit sinkt für höhere Alter leicht, bevor sie für Alter über 80 Jahre steil abfällt. Im Vergleich dazu, sank die Überlebenskurve vor 50 Jahren bereits ab dem 50. Lebensjahr kontinuierlich.

Um die Determinanten der Lebenserwartung besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Todesursachenstatistik. Dabei finden wir für die 1980er- und 1990er-Jahre, dass vor allem die rückläufige Sterblichkeit bei Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Lebenserwartung erhöht hat (Tab. 3). In der 1990er-Jahren ist die geringe Sterblichkeit nach Herzinfarkten, Schlaganfällen und anderen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems für über 50% der in diesem Jahrzehnt insgesamt dazugewonnenen Lebensjahre verantwortlich. Dies zeigt die Bedeutung neuer medizinischer Behandlungen für den Anstieg der Lebenserwartung (zu den Wirkungen der neuer Technologien und ihrer Diffusion siehe [2, 3, 4] für die USA und [5] für Deutschland).

Tab. 3 Gewonnene Lebensjahre nach Todesarten, Männer und Frauen, 1980 bis 2000

Todesfälle als Folge von schweren Unfällen, Mord- und Totschlag sowie Selbsttötung sind auch bei maximaler medizinischer Versorgung nicht auszuschließen. Dies bedeutet angesichts des sehr flachen Verlaufs der Überlebenskurve, dass Fortschritte, um die die Sterblichkeit im mittleren Altersbereich zu senken, kaum oder nur unter hohen Kosten zu erzielen sind. Eine weitere Reduktion der Sterblichkeit im hohen Alter ist jedoch möglich, insbesondere bei den Männern, da bei ihnen die Rektangularisierung der Überlebenskurve weniger weit fortgeschritten ist als bei den Frauen.

Neben der Kompression der Mortalität ist auch die Kompression der Morbidität zu testen. Fries [6] postuliert, dass der Anteil an behinderungsfreien Lebensjahren steigt, wenn primärpräventive Maßnahmen den Beginn einer chronischen Erkankung in ein höheres Alter verschieben. In einer Längsschnittanalyse finden Vita et al. [7], dass sich der Beginn chronischer Erkrankungen bei einer Gruppe mit geringem Erkrankungsrisiko im Vergleich zu einer Hochrisikogruppe um mehr als fünf Jahre verschiebt. Rauchen, der Body-Mass-Index und das Bewegungsmuster im mittleren und höheren Alter erweisen sich als gute Prädiktoren für künftige Behinderungen und sind entscheidend dafür, ob schwere Beschwerden aufgeschoben und komprimiert über wenige Jahre am Lebensende auftreten. Schließlich dokumentiert Fries [8], dass die Behinderungsrate und die Gesundheitsausgaben bei Individuen, die sich regelmäßig bewegen, um drei Viertel beziehungsweise um ein Viertel geringer sind als bei einer Kontrollguppe mit kaum Bewegung.

Crimmins [9] findet eine deutliche Reduktion von Behinderungen und Sterblichkeit bei älteren Personen in den USA während der 1990er-Jahre. Dieser Befund stimmt mit den Ergebnissen von Cai and Lubitz [10] überein, die ebenfalls eine Kompression der Morbidität feststellen. Zudem behaupten einige Autoren, dass die berichtete Morbidität aufgrund präventiver Maßnahmen im Vergleich zu früheren Zeiten weniger belastend ist ([11, 12, 13]). Dinkel [14] findet mithilfe deutscher Mikrozensusdaten, dass jüngere Kohorten (Jahrgänge 1919 und 1913) nach dem 60. Lebensjahr nicht nur länger lebten als der Jahrgang 1907, sondern sogar einen Zugewinn an Lebensjahren in guter Gesundheit erfuhren. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Verlauf der letzten Jahrzehnte sowohl die Mortalität als auch die Morbidität in ein immer höheres Alter komprimiert wurden.

Steigende Lebenserwartung und Gesundheitsausgaben: Der Einfluss der Sterbekosten

Sterbekosten – also die Gesundheitsausgaben im letzten Lebensjahr – sind etwa zehnmal höher als die jährlichen Gesundheitsausgaben von Überlebenden (vergleiche [15]) für die USA und [16] für die Schweiz). Der große Kostenunterschied bei der medizinischen Versorgung versterbender und überlebender Menschen hat Implikationen für den Zusammenhang zwischen der zunehmenden Lebenserwartung und den Gesundheitsausgaben für eine Bevölkerung. Dies wird unmittelbar klar, wenn man sich eine Welt vorstellt, in der die Gesundheitsausgaben über den Lebenszyklus mit Ausnahme des letzten Lebensjahrs immer bei null liegen. Eine steigende Lebenserwartung hat in einer solchen Welt keine Auswirkungen auf die Gesundheitsausgaben. Da jeder Mensch nur einmal stirbt, ist es für die Höhe der Ausgaben unerheblich, ob er – wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts – im Durchschnitt im 46. Lebensjahr oder – wie heute – im 78. Lebensjahr stirbt. Diese Zusammenhänge gelten abgeschwächt auch dann, wenn man nicht nur im letzten Lebensjahr zum Arzt geht, sondern über den gesamten Lebenszyklus Gesundheitsleistungen in Anspruch nimmt. Die massiv höheren Ausgaben in den letzten Lebensjahren bedeuten, dass sich die demografische Alterung weniger stark auf die Entwicklung der Gesundheitsausgaben auswirkt als gemeinhin erwartet wird.

Die hohen Sterbekosten können auch erklären, weshalb die Gesundheitsausgaben im Querschnitt der Bevölkerung mit dem Alter ansteigen. Mit zunehmendem Alter steigen die Sterberate und damit auch der Anteil der Personen, die sich im letzten Lebensjahr befinden. Die hohen Gesundheitsausgaben in der Gruppe der alten Menschen sind somit eine Folge hoher Sterbekosten und großer Sterblichkeit. Berücksichtigen wir zusätzlich die Rektangularisierung der Überlebenskurve, so kann man folgern, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Ausgabenprofile versteilert haben. Die steilen Altersprofile der Gesundheitsausgaben, die uns aus vielen heutigen Abbildungen bekannt sind, spiegeln in erster Linie nicht das Alter wider, sondern die ins hohe Alter verschobene Sterblichkeit.

Diese These ist in einer Reihe neuerer empirischer Arbeiten untersucht worden [17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24]. Dormont et al. [25] zerlegen mittels ökonometrischer Methoden die Altersprofilveränderungen bei den Behandlungskosten zwischen 1992 und 2000 im ambulanten und stationären Sektor sowie im Arzneimittelbereich in einen Morbiditätseffekt, einen Praxiseffekt (Behandlungsintensität) sowie ein Residuum, das insbesondere die Inanspruchnahme erfasst. Da die Autoren anhand von Individualdaten unmittelbar für Morbidität kontrollieren können, muss in diesem Fall nicht auf die Sterbekosten zurückgegriffen werden. Dennoch stimmen die Ergebnisse überein. Eine auf Basis der erstellten Altersprofile durchgeführte Simulation (siehe [25], Tab. 1) ergibt, dass (i) der Anstieg der Gesundheitskosten auf Makroebene nur zu einem geringen Teil auf Veränderungen in der Bevölkerungsgröße und Altersstruktur zurückzuführen ist, wobei (ii) eine im Zeitablauf verminderte Morbidität den demografischen Effekt deutlich überkompensiert. Als Kostentreiber (iii) werden insbesondere eine gestiegene Behandlungsintensität im Arzneimittelbereich sowie die gestiegene Zahl an Behandlungen im stationären Bereich identifiziert.

Die nachfolgenden Ergebnisse entstammen einer Arbeit mit Schweizer Krankenkassendaten. Dieser Datensatz umfasst die Gesundheitsausgaben von 5000 Versicherten, die zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2004 verstarben, sowie von 57.000 Versicherten, die diese Periode überlebten. Das Ziel der ökonometrischen Arbeit bestand darin, zu untersuchen wie wichtig im Vergleich zum chronologischen Alter die Nähe zum Tod für die Gesundheitsausgaben ist. Wir untersuchten die Gesundheitsausgaben im Jahre 1999 und maßen die Nähe zum Tod in Monaten. Dabei wurde ein sogenanntes Two-Part-Model angewendet, das die Wahrscheinlichkeit positiver Gesundheitsausgaben und die Höhe der bedingt positiven Gesundheitsausgaben unabhängig voneinander schätzt (vergleiche im Detail [26]).

Das Ergebnis der Schätzungen für Frauen zeigt Abb. 1 a: Sechs mehr oder weniger parallele Kurven zeigen die geschätzten Gesundheitsausgaben nach Alter für die Überlebenden (unterste Kurve; S) und in aufsteigender Reihenfolge für die Personen vier, drei, zwei, ein Jahr und weniger als ein Jahr vor dem Tod. Die siebte Kurve (N) ist das Ergebnis einer naiven Schätzung, die die Todesvariablen (Nähe zum Tod und Überlebensstatus) nicht einbezieht. Diese Kurve hat einen deutlich höheren Altersgradienten als die anderen. Bei den Schätzungen mit den Todesvariablen ist der Altersgradient sogar über weite Altersbereiche nicht-positiv.

Abb. 1
figure 1

Geschätztes Altersprofil bei den Gesundheitsausgaben: mit und ohne Pflegekosten – Verstorbene und überlebende Schweizer Frauen, 1999. a Gesundheitsausgaben mit Pflegekosten. b Gesundheitsausgaben ohne Pflegekosten. D_0: im letzten Lebensjahr, D_1: im vorletzten Lebensjahr, D_2: im drittletzten Lebensjahr, D_3: im viertletzten Lebensjahr, D_4: im fünftletzten Lebensjahr, S Überlebende (Personen, die mindestens noch fünf Jahre überlebten), N alle Personen (das heißt unabhängig vom Überlebensstatus)

Die gesetzliche Krankenversicherung der Schweiz deckt im Gegensatz zur deutschen auch die Pflegekosten. Bei den Ausgaben für Pflege ist ein weit stärkerer Altersbezug zu erkennen als bei den kurativen Ausgaben. Bei den verstorbenen 95-Jährigen machen die Pflegekosten drei Viertel der Gesamtausgaben für die medizinische Versorgung aus und bei den Überlebenden derselben Altersklasse sogar noch beinahe 50% [23]. Bei den unter 65-Jährigen sind die Ausgaben für die Pflege dagegen praktisch vernachlässigbar. Ähnliche Resultate finden Spillman und Lubitz [27] für die Medicare-Versicherten in den USA. Häcker und Hackmann [28] weisen für Deutschland bei den Pflegekosten unter Berücksichtigung der Sterbekosten einen Alterseffekt nach. Allerdings verringert sich der Grad der Pflegebedürftigkeit über die Zeit, ein Ergebnis, das die Autoren nicht nur auf einen verbesserten Gesundheitszustand, sondern auch auf ein verändertes politisches Umfeld zurückführen.

Abb. 1 b zeigt für die Schweiz das geschätzte Altersprofil bei den Gesundheitsausgaben ohne Berücksichtigung der Pflegekosten. Danach sinken die Ausgaben mit zunehmendem Alter in den letzten fünf Jahren vor dem Tod. Auch Untersuchungen für Deutschland, die Schweiz und die USA finden, dass insbesondere im hohen Alter die Sterbekosten zurückgehen (vergleiche [29, 30, 31]). Das Ausgabenprofil der Überlebenden ist für kurative Leistungen deutlich weniger steil als für die Gesamtausgaben, und auch der Unterschied zur naiven Schätzung fällt kleiner aus.

Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass die Nähe zum Tod einen signifikant positiven Einfluss auf die Höhe der Gesundheitsausgaben hat und die Erklärungskraft des chronologischen Alters zurückdrängt. Es bleibt die Frage nach dem verbleibenden Einfluss der demografischen Alterung auf die Gesundheitsausgaben, wenn man die Sterbekosten berücksichtigt. Wir geben eine indirekte Antwort mithilfe eines Experiments, das die Entwicklung der Gesundheitsausgaben mit und ohne Berücksichtigung der Sterbekosten hochrechnet (vergleiche dazu im Detail Breyer und Felder [32]).

Das Experiment kombiniert zwei Datensätze: Die geschätzten Ausgabenprofile für die Verstorbenen und Überlebenden der obligatorischen Krankenversicherung der Schweiz einerseits und die mittlere Prognose für die deutsche Bevölkerung bis 2050 andererseits. Dabei wird ein s-Modell, das Sterbekosten und Ausgaben von Personen in den fünf letzten Lebensjahren berücksichtigt, von einem n-Modell unterschieden, das eine naive Status-quo-Hochrechnung der Gesundheitsausgaben ausschließlich auf Grundlage der Alters- und Geschlechtsverteilung in der Bevölkerung vornimmt. Durch einen Vergleich der beiden Schätzungen ist es ferner möglich, die Überschätzung der Gesundheitsausgabenentwicklung durch das naive Modell einzugrenzen.

Die Tab. 4 zeigt die hypothetischen Werte der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben des Jahres 2002 und bei einem unterstellten demografischem Wandel in den Jahren 2002 bis 2050 differenziert nach dem n- und s-Modell. Dabei würden die Ausgaben im Extremfall um 23,9% höher liegen als heute, und zwar bei 3217 EUR im Jahr 2050. Unter Berücksichtigung der Ausgaben am Lebensende ermäßigt sich dieser Anstieg auf 19,5% beziehungsweise auf ein Niveau von 3102 EUR im letzten Jahr. Das Verhältnis der beiden Steigerungsraten beträgt 0,815, das heißt. ausgehend von einer naiven Hochrechnung, senkt die Berücksichtigung der Ausgaben am Lebensende den Gesundheitsausgabenanstieg im s-Modell um 18,5%, also um knapp ein Fünftel.

Tab. 4 Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben 2002 (in EUR) und demografischer Wandel in den Jahren 2002 bis 2050 mit und ohne Sterbekosten

Nach diesen Zahlen ist das rein demografisch, das heißt allein durch den Anstieg der Lebenserwartung und den Rückgang der Geburten bedingte Wachstum der Gesundheitsausgaben pro Kopf nicht dramatisch. Die These, dass die Alterung als solche überhaupt keinen nennenswerten Anstieg der Gesundheitsausgaben bewirkt, da die Entwicklung der individuellen Ausgaben in erster Linie durch die Nähe zum Tod bestimmt wird, wird jedoch auch nicht bestätigt: Die explizite Aufteilung der Ausgaben für Sterbende und für Überlebende reduziert den prognostizierten Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben nur um ein Fünftel.

Diese Rechnung geht von konstanten Preisen und einer unveränderten Technik der Medizin aus. Berücksichtigt man in der hypothetischen Ausgabenberechnung den Fortschritt in der Medizin, der nach einer Schätzung von Breyer und Ulrich [33] für Deutschland im Zeitraum von 1970 bis 1995 ungefähr 1% pro Jahr ausgemacht hat, so steigen die Pro-Kopf-Ausgaben von 2002 bis 2050 um den Faktor 2,2 auf 5455 EUR. Der Fehler der n-Schätzung macht nunmehr nur noch einen kleinen Teil (gut 6%) des gesamten Ausgabenanstiegs aus (Tab. 5). Der Einfluss der demografischen Alterung auf die Gesundheitsausgaben bleibt somit weit hinter dem des hier als moderat unterstellten technischen Fortschritts der Medizin zurück.

Tab. 5 Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben 2002 (in EUR), demografischer Wandel bis 2050 und technischer Fortschritt

Steigende Lebenserwartung und Gesundheitsausgaben: Umgekehrte Kausalität?

Eine Schwäche fast aller Studien zur Red-Herring-Hypothese ist, dass sie auf Querschnittsdaten beruhen. Insbesondere sollte nicht übersehen werden, dass eine höhere Lebenserwartung nicht nur bedeutet, dass das durschnittliche Todesalter in 30 Jahren steigen wird, sondern auch, dass eine Person in einem bestimmten Alter, zum Beispiel von 70 Jahren, im Durchschnitt noch länger leben wird, als eine heute 70-jährige Person. Dies führt dazu, dass künftige Ärzte einen 75-jährigen Patienten anders einschätzen werden als heutige Ärzte, weil sich die Vorstellung über eine „normale Lebenspanne“ nach oben verschoben haben wird. Dieser Effekt ist konsistent mit der ethischen Begründung für eine altersspezifische Rationierung von Gesundheitsleistungen [35] und mit der einschlägigen empirischen Literatur, die zeigt, dass einige Ärzte tatsächlich das Alter als Rationierungskriterium bei der Zuteilung knapper Ressourcen verwenden [36].

Um nun die entscheidende Frage zu beantworten, ob die steigende Lebenserwartung einen Einfluss auf die Gesundheitsausgaben hat, muss die ökonometrische Schätzung der Determinanten der Gesundheitsausgaben modifiziert werden. Erstens werden Längsschnittdaten benötigt und zweitens muss die Restlebenserwartung als Bevölkerungsdurchschnitt mit einbezogen werden. Dieser Ansatz wurde bisher von drei Studien verfolgt. Die erste Studie von Zweifel et al. [37] beschäftigt sich mit dem „Sisyphus-Syndrom“ im Gesundheitswesen, also mit der wechselseitigen Verstärkung der Alterung der Bevölkerung und der öffentlichen Gesundheitsausgaben für die alte Bevölkerung. Es zeigt sich für die OECD-Länder, dass eine mit der Restlebenserwartung verwandte Variable signifikant und positiv auf die Gesundheitsausgaben wirkt. Damit wurde die Hypothese, dass die demografische Alterung die Gesundheitsausgaben erhöht, bestätigt. Jedoch unterscheidet sich die Begründung von der vorangehenden naiven Interpretation: Nicht der medizinische Bedarf, sondern das politische Gewicht erklärt, weshalb eine älter werdende Gesellschaft mehr öffentliche Gesundheitsausgaben nachfragt. Ähnlich finden Bech et al. [38] für die OECD-Länder, dass die Restlebenserwartung im Alter von 65 Jahren positiv mit den Gesundheitsausgaben korreliert.

In einer neuen, noch nicht veröffentlichten Arbeit verwenden Breyer et al. [39] einen Pseudo-Panel-Datensatz für die gesetzliche Krankenversicherung und berechnen, um wie viel die Gesundheitsausgaben höher wären, wenn die deutsche Bevölkerung von 2009 die Struktur der des Jahres 2050 aufweisen würde. Bei einer gleichzeitigen Berücksichtigung von Alter, Mortalität sowie Fünf-Jahres- und Zehn-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeiten berechnen sie um den Faktor 1,56 höhere Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben. Dies ist im Verlgeich zum s-Modell in Tab. 5 ein dreimal so hoher Anstieg der Gesundheitsausgaben, der auf den demografischen Wandel zurückzuführen ist.

In welchem Umfang gibt es eine umgekehrte Kausalität zwischen Gesundheitsausgaben und Alterung der Bevölkerung, das heißt in anderen Worten: Wie viel vom beobachteten Anstieg der Lebenserwartung lässt sich auf die Höhe und das Wachstum der Gesundheitsausgaben zurückführen? Eine Antwort gibt die Studie von Zweifel et al. [37] für die OECD-Länder. Die Autoren regressieren die Restlebenserwartung im Alter von 65 Jahren auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP), auf die jährlichen Gesundheitsausgaben der letzten zehn Jahre und auf andere Variablen. Sie finden einen umgekehrt U-förmigen Verlauf der Wirkung von Gesundheitsausgaben auf die Lebenserwartung. Dabei tritt das Maximum weit jenseits der beobachteten durchschnittlichen Gesundheitsausgaben auf. Wir können also davon ausgehen, dass es einen positiven Effekt der Gesundheitsausgaben auf die Alterung der Bevölkerung gibt. Eine neuere Arbeit von Fonseca et al. [40] kommt zum gleichen Ergebnis. Hall und Jones [41] erkären für die USA den simultanen Anstieg der Gesundheitsausgaben pro BIP sowie der Lebenserwartung im Rahmen eines numerisch kalibrierten Lebenszyklusmodells als optimale Reaktion auf das simultane Einkommenswachstum.

Felder et al. [24] adressieren die Endogenität der Lebenserwartung in ihrem Datensatz mit Gesundheitsausgaben überlebender und verstorbener Personen. Sie zeigen, dass die Endogenitätsproblematik keine Auswirkungen auf die Wirkung des Alters auf die Gesundheitsausgaben hat.

Die Ausführungen im Kapitel „Kompression von Mortalität und Morbidität“ zu den Veränderungen bei der altersspezifischen Sterblichkeit legen nahe, dass vom technischen Fortschritt in der Medizin in der jüngsten Vergangenheit vor allem die alten Altersgruppen profitieren. Eine Möglichkeit, um dies zu testen, ist zu untersuchen, ob sich das Altersprofil über die Zeit unter Berücksichtigung der veränderten Mortalität versteilert. Buchner und Wasem [42] haben diese Frage mithilfe von Gesundheitsausgaben von Versicherten einer großen deutschen privaten Versicherung für den Zeitraum von 1976 bis 1996 untersucht. Dabei zeigte sich, dass der Anstieg der Gesundheitsausgaben bei den über 65-Jährigen größer war als bei den unter 65-Jährigen. Dies könnte allerdings auf die Verschiebung der Mortalität in ein höheres Alter zurückzuführen sein, was die Autoren nicht näher untersuchen. Felder und Werblow [43] finden keine systematische Versteilerung der Ausgabenprofile in den 26 Schweizer Kantonen für die Jahre 1997 bis 2007, wenn sie für die Veränderung der altersspezifischen Mortalitätsraten korrigieren. Um diese Frage abschließend klären zu können, bräuchte man allerdings Daten über einen längeren Beobachtungszeitraum.

Schlussfolgerungen

Es gibt drei bekannte Hypothesen zum Einfluss der gestiegenen Lebenserwartung auf die Gesundheitsausgaben:

  1. a)

    Die Status-quo-Hypothese geht davon aus, dass altersspezifische Pro-Kopf-Ausgaben nur vom Stand der medizinischen Technik abhängen und somit stabil bleiben, wenn Letztere kontrolliert wird. Unter dieser Annahme kann der Einfluss der Lebenserwartung dadurch berechnet werden, dass aktuelle Altersausgabenprofile auf künftige Altersverteilungen der Bevölkerung angewandt werden.

  2. b)

    Die Medikalisierungsthese basiert auf der beobachteten Mulitmorbidität vieler betagter Patienten. Sie postuliert, dass neue Möglichkeiten zur Behandlung spezifischer Erkrankungen – zum Beispiel in der Kardiologie – das Leben der Patienten verlängern, ohne jedoch deren Gesundheitszustand entscheidend zu verbessern, sodass zusätzliche Behandlungen erforderlich werden. Der Haupteffekt des medizinischen Fortschritts sei daher die Lebensverlängerung von Patienten die so krank sind, dass sie ohne die neuen Behandlungen sterben würden. Das Ergebnis ist eine zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustands der Bevölkerung über die Zeit. Dies erklärt Krämers Dictum ([44], S. 31), dass „wir den größten Teil der gewonnenen Lebensjahre im Siechtum verbringen“.

  3. c)

    Die Hypothese der hohen Gesundheitsausgaben am Lebensende basiert auf der Vermutung, dass der in Querschnittsdaten beobachtete Unterschied bei den Gesundheitsausgaben zwischen Jung und Alt nicht in erster Linie eine Ursache des Alters, sondern der unterschiedlichen Nähe zum Tod ist: In den hohen Altersgruppen befindet sich ein größerer Anteil von Personen in den letzten Lebensjahren, in denen die Gesundheitsausgaben zur Vermeidung des nahenden Todes besonders hoch sind. In dieser Situation führt ein Anstieg der Lebenserwartung – verursacht durch den medizinischen Fortschritt oder einfach durch einen gesünderen Lebensstil – zu sinkenden Sterblichkeitsraten, sodass in jeder Altersgruppe weniger Personen im letzten Lebensjahr stehen. Eine strengere Version dieser Theorie beruft sich auf die Kompressionsthese von Fries [6], die eine Kompression der Morbidität hin zum Todeszeitpunkt postuliert, wenn immer mehr Menschen die natürliche Grenze der Lebensspanne erreichen.

Während die Medikalisierungsthese reklamiert, dass eine naive Simulation künftiger Gesundheitsausgaben auf Grundlage heutiger Altersprofile das wahre Wachstum der Gesundheitsausgaben unterschätzt, suggeriert die Hypothese hoher Ausgaben am Lebensende gerade das Gegenteil. Die These einer Kompression der Morbidität am Lebensende impliziert schließlich, dass die Pro-Kopf-Ausgaben sogar sinken werden.

Von diesen drei Thesen über den Einfluss des Anstiegs der Lebenserwartung auf die Gesundheitsausgaben hat sich in der empirischen Literatur die (schwache) Kompressionsthese bestätigt: Die explizite Berücksichtigung der Sterbekosten führt – verglichen mit der Status-quo-Hypothese – zu einer Korrektur der Wirkung der demografischen Alterung auf die Gesundheitsausgaben nach unten. Die Hypothese, dass die Zunahme der Lebenserwartung ganz ohne Einfluss auf die Gesundheitsausgaben pro Kopf ist, wird aber auch nicht bestätigt: Berücksichtigt man die Sterbekosten, bleibt dennoch ein Ausgabenanstieg übrig, wenn man die heutigen altersspezifischen Ausgaben auf die Verhältnisse der Zukunft anwendet.