Im zwanzigsten Jahrhundert haben sich die Behandlungsmöglichkeiten in der Medizin in rasanter Geschwindigkeit erweitert. In Deutschland ist die Lebenserwartung in diesem Zeitraum um mehr als 30 Jahre angestiegen [1]. Insbesondere die Entwicklung und breite Anwendung von Antibiotika ließ die Menschen bereits Mitte des letzten Jahrhunderts hoffen, dass alle Krankheiten heilbar sind. Ziel der Medizin in einer von Fortschrittsglauben geprägten und nach Wohlstand strebenden westlichen Welt war es, den Tod zu verdrängen und Krankheiten zu besiegen; den Menschen zu heilen. Im ärztlichen Berufsethos wurde der Tod durch Krankheit als Niederlage ärztlichen Handelns bewertet [2].

In Deutschland leben derzeit etwa 1,4 Mio. Menschen bei denen in den letzten fünf Jahren eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde [3]. Die Zahl der Neuerkrankungen liegt jährlich bei mehr als 400.000. Mehr als 200.000 Todesfälle pro Jahr sind direkt auf eine Krebserkrankung zurückzuführen.

Der isolierte Blick auf die Heilung ließ zwar die durchschnittliche Lebenserwartung und die Überlebensdauer nach Erstdiagnose einer Krebserkrankung ansteigen, andere Aspekte einer schweren Erkrankung, wie zum Beispiel die Veränderung des sozialen Umfeldes, die Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, die Auseinandersetzung mit körperlichem Abbau, Sterben und Tod, das Aufkommen von Ängsten, aber zeitweise auch die Behandlung von Nebenwirkungen einer aggressiven Tumortherapie und von Schmerzen traten in den Hintergrund und wurden dem Ziel der Heilung untergeordnet.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die Palliativversorgung seit Anfang der 1980er-Jahre in Deutschland, angestoßen durch die Arbeit von Cicely Saunders in England, die nach langjähriger Vorlaufzeit 1967 in der Gründung des St. Christopher’s Hospice in London mündete.

Der Begriff „palliare“ leitet sich aus dem lateinischen „pallium“ (der Mantel) ab und kann mit „schützen, ummanteln“ übersetzt werden. In der Palliativversorgung werden Patientinnen und Patienten mit unheilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankungen behandelt, betreut und begleitet. Ziel der Bemühungen ist nicht Heilung, sondern Symptomkontrolle und Verbesserung der Lebensqualität, um jedem Patienten eine würdevolle, individuelle und so weit als möglich selbstbestimmte letzte Lebensphase zu ermöglichen. Hierbei sind nicht nur medizinische, pflegerische und physiotherapeutische, sondern auch soziale, psychische und spirituelle Aspekte zu berücksichtigen. Die Einbindung, Betreuung und Begleitung der Angehörigen sind weitere wesentliche Bestandteile eines ganzheitlichen Konzepts in der Palliativversorgung.

Auch wenn Tumorpatienten derzeit den weitaus größten Teil der Versorgten ausmachen, sollten, gerade in einer Gesellschaft mit stetig zunehmenden chronischen Erkrankungen, viele weitere Patientengruppen von palliativen Maßnahmen profitieren [4]. Beispielhaft seien an dieser Stelle Patienten mit Aids, chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, chronischen Nieren- oder Herzerkrankungen, neurologischen Erkrankungen wie spinaler Muskelatrophie, komplexen geriatrischen Krankheitsbildern oder Patienten mit schwerwiegenden Spätschäden eines Diabetes mellitus genannt.

Neben der Einrichtung von Palliativstationen, stationären Hospizen und den ersten Lehrstühlen für Palliativmedizin haben sich in den letzten Jahren verschiedene Organisationsformen der ambulanten Palliativversorgung entwickelt.

1997 wurden durch die seinerzeit tätigen Protagonisten in der Palliativversorgung Forderungskataloge zusammengestellt, deren Umsetzung für die Weiterentwicklung der Palliativmedizin in Deutschland von entscheidender Bedeutung sein sollte [5, 6]. Auf europäischer Ebene wurde durch das Ministerkomitee des Europarats im Jahr 2003 eine Empfehlung zur Strukturierung der Palliativversorgung in den Mitgliedsstaaten abgegeben [7]. Viele dieser Forderungen und Empfehlungen sind nur durch gesetzgeberisches und regulatorisches Handeln, strukturelle Veränderungen im Gesundheitswesen sowie Anpassungen in den Weiterbildungsordnungen der Ärztekammern umsetzbar.

Nachfolgend wollen wir die Weiterentwicklung der Palliativversorgung in Deutschland im Hinblick auf diese Aspekte beschreiben und bewerten. In welcher Weise haben Gesetze, Verordnungen und Richtlinien, die Einrichtung von Lehrstühlen, die Implementierung der Palliativmedizin ins Curriculum sowie Maßnahmen der Bundes- und Landesärztekammern die Weiterentwicklung der Palliativversorgung ermöglicht, gefördert oder auch behindert. Die Hospizarbeit, die als bedeutender Teil der Palliativversorgung zu sehen ist, soll in diesem Beitrag nicht berücksichtigt werden.

Ärztliche Aus- und Weiterbildung

Als 1983 in Köln die erste Palliativstation eröffnet wurde, existierte noch keinerlei systematische ärztliche Ausbildung in diesem Fach. Die Entwicklung von Ausbildungs- und Weiterbildungsgrundsätzen und -inhalten basierte zunächst auf der Initiative Einzelner und orientierte sich am englischen Vorbild [8]. Innerhalb der Einrichtungen konnte eine Qualitätssicherung nur mithilfe von Teambesprechungen, Visiten und gegebenenfalls externer Beratung aus anderen Einrichtungen erfolgen. Bei noch fehlender wissenschaftlicher Begleitung basierten auch die Inhalte der ersten Qualifizierungsmaßnahmen auf den Erfahrungen und dem Wissen der praktisch tätigen Referierenden [9].

Mit Herausgabe des „Curriculum Palliativmedizin für Medizinstudenten und Ärzte in Palliativmedizin“ wurden in Deutschland 1996 erstmals systematische Empfehlungen zur palliativmedizinischen Ausbildung veröffentlicht, die auf den Erfahrungen einiger europäischer Staaten, Kanadas und den ersten Erfahrungen aus Deutschland beruhten [10]. Das Curriculum konnte sich zunächst nur an Interessierte in der Palliativversorgung richten, da auch zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei systematische Strukturen für eine palliativmedizinische Ausbildung existierten. Nur sehr zögerlich boten Universitäten Ausbildungsmöglichkeiten für Studierende an. Selbst im Jahr 2001 führten lediglich 45% der Universitäten Seminare in Palliativmedizin durch [11]. Nicht nur, dass Angebote fehlten, die bestehenden Angebote wurden auch nicht wahrgenommen. Insgesamt nahmen 2001 weniger als 1% der Studierenden an den freiwilligen Praktika in Palliativmedizin teil. Immerhin waren 2008 schon in 34 von 36 medizinischen Fakultäten in Deutschland palliativmedizinische Inhalte in Pflichtveranstaltungen des Studiums integriert, in sechs Universitäten wurden sogar spezifische Pflichtveranstaltungen in Palliativmedizin durchgeführt [12].

Im Jahr 2003 führte die Bundesärztekammer die (Muster-)Weiterbildungsordnung für Palliativmedizin ein, die von den einzelnen zuständigen Landesärztekammern weitgehend unverändert übernommen wurde [13]. Mit der Weiterbildung kann die Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“ erworben werden, wenn bei bestehender Facharztkompetenz innerhalb einer zwölfmonatigen Weiterbildungszeit bei einem Weiterbildungsbefugten oder durch Absolvieren einer 40-Stunden-Kurs-Weiterbildung in Palliativmedizin und nachfolgend 120 Stunden Fallseminare inklusive Supervision die fachliche Kompetenz in der Palliativmedizin erlangt wird. Mit Einführung der Zusatzweiterbildung haben die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin ein Curriculum für Ärzte herausgegeben, dessen Inhalt auf den Lehrerfahrungen in Deutschland und dem europäischen Ausland basiert [14]. Bis zum 31.12.2008 hatten in Deutschland 2356 Ärztinnen und Ärzte die Zusatzweiterbildung Palliativmedizin erlangt [15]. Inzwischen verfügen etwa 5000 Ärztinnen und Ärzte über diese Qualifikation [16]. Dies ist ein deutlicher Beleg für das zunehmende Interesse an einer Weiterbildung in Palliativmedizin, insbesondere nachdem der Rechtsanspruch auf eine entsprechende Versorgung gesetzlich verankert wurde.

Mit Änderung des § 27 Abs. 1 der Approbationsordnung im Jahr 2009 wurde für die Zulassung zum 2. Abschnitt der ärztlichen Prüfung das Erbringen von Leistungsnachweisen im Querschnittsfach Palliativmedizin Pflicht, sodass ab 2013 Studenten zum praktischen Jahr nur zugelassen werden, wenn ein solcher Nachweis vorgelegt wurde [17]. Ab 2014 muss damit jeder Medizinstudent, der die Approbation erhält, eine palliativmedizinische Ausbildung erlangt haben.

Derzeit werden an den Universitäten entsprechende Lehrveranstaltungen in den studentischen Ausbildungsplan implementiert. Auch wenn die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin das Curriculum für Medizinstudenten in einer aktualisierten Fassung zur Verfügung gestellt hat, ist davon auszugehen, dass die Umsetzung in den Unterrichts- und Prüfungskonzepten an den einzelnen Universitäten sehr heterogen sein wird [18, 19]. Da es sich um ein Querschnittsfach handelt und die Lehrinhalte somit in unterschiedliche medizinische Fachdisziplinen integriert werden können, werden die Lehrpläne für palliativmedizinische Inhalte – je nach Schwerpunktsetzung der Universitäten – völlig unterschiedlich sein. Eine qualitätsgesicherte Etablierung von Unterrichtsinhalten würde wesentlich erleichtert, wenn an allen 36 medizinischen Fakultäten ein Lehrstuhl für Palliativmedizin eingerichtet und dadurch ein abgestimmtes Vorgehen ermöglicht würde. Bisher existieren lediglich sechs Lehrstühle für Palliativmedizin, in Aachen, Bonn, Erlangen, Göttingen, Köln und München, drei weitere (in Freiburg, Lübeck und München) befinden sich in Vorbereitung. Zudem gibt es zwei Lehrstühle für Kinderpalliativmedizin in Münster und München sowie jeweils eine Professur für „Spiritual Care“ und für „Soziale Arbeit“ am Lehrstuhl für Palliativmedizin in München. Erste Initiativen zu einer breit abgestimmten Entwicklung von Lehrinhalten – unter Einbindung der Studierenden – finden sich sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, wie die Münchner Erklärung zum neuen Querschnittsbereich Palliativmedizin und die Athener Resolution der European Medical Students‘ Association zeigen [20, 21].

Zur Qualitätssicherung der palliativmedizinischen Aus- und Weiterbildung, aber auch um ihre Akzeptanz und Implementierung im Gesundheitssystem insgesamt zu verbessern, ist zudem eine Erweiterung der Forschung in der Palliativversorgung notwendig [22]. Mit der Einrichtung von Lehrstühlen für Palliativmedizin wurden erste Strukturen geschaffen, um eine eigenständige Forschung zu ermöglichen. Die besonderen Rahmenbedingungen in der Palliativversorgung – unter anderem die begrenzte Lebenserwartung der Patienten und der Anspruch, Patienten durch zusätzliche Maßnahmen, die in der strukturierten Forschung oft erforderlich sind, nicht zu belasten – erfordern die Entwicklung einer speziellen Forschungsmethodik. Bislang basieren viele wissenschaftliche Veröffentlichungen in der Palliativmedizin auf retrospektiven Auswertungen von Daten, die beispielsweise zur Symptomkontrolle auf Palliativstationen erhoben wurden.

Ausbildung von Pflegekräften

Im Krankenpflegegesetz wird seit 2003 unter § 3 auf palliative Maßnahmen als Ausbildungsinhalt hingewiesen [23]. Auch wurden diese Inhalte in der Prüfungsverordnung für Krankenpflege berücksichtigt [24].

Eine differenzierte Darstellung der Erfordernisse in der Ausbildung, um den besonderen Anforderungen der Palliativversorgung in der Pflege nachzukommen, liegt jedoch nicht vor. Von einer standardisierten Ausbildung von Pflegekräften in der Palliativversorgung kann deshalb nicht gesprochen werden [25].

In der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für den Beruf der Altenpflegerin und des Altenpflegers wird die Palliativversorgung nicht ausdrücklich erwähnt, jedoch ist über den Begriff der „umfassenden Begleitung Schwerkranker und Sterbender“ seit Langem ein Ausbildungsziel festgeschrieben, das auch Maßnahmen der Palliativversorgung umfassen kann [26, 27].

Fort- und Weiterbildung von Pflegekräften

Bereits 1996 wurde das erste Basiscurriculum „Palliative Care“ veröffentlicht, das auch heute noch Grundlage für die Weiterbildung von Pflegekräften in der Palliativversorgung ist [28]. Die deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin stellt Informationen zu anerkannten und registrierten Kursen zur Verfügung [29]. Die anerkannten Kurse umfassen eine Fortbildungszeit von 160 Stunden und entsprechen den Anforderungen des § 39a Sozialgesetzbuch (SGB). Diese Kurse können als qualitätsgesicherte, weitgehend standardisierte Weiterbildung angesehen werden und in Zukunft sowohl als Grundlage für einen staatlich anerkannten Weiterbildungsabschluss für Pflegekräfte als auch für eine differenzierte Darstellung der Ausbildungserfordernisse im Krankenpflege- und Altenpflegegesetz dienen. Zahlreiche Einrichtungen setzten die Palliative-Care-Weiterbildung als Qualifikation für die Mitarbeit in der Palliativversorgung voraus. Dies gilt insbesondere für Pflegekräfte in den Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Verordnung spezialisierter ambulanter Palliativversorgung sieht den Nachweis der Qualifikation ausdrücklich vor [30]. Inhaltlich wurde diese Vorbedingung in Musterverträge einzelner Bundesländer zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern zur Anerkennung von SAPV-Einrichtungen übernommen.

Laut Datenbasis des Palliativzentrums in Bonn sind derzeit etwa 15.000 Personen in „Palliative Care“ weitergebildet [31].

Fort- und Weiterbildung anderer Berufsgruppen

Die Palliativversorgung wurde von Beginn an nicht nur als medizinische Versorgung durch Ärzte und Pflegende verstanden. Zu einer umfassenden Versorgung gehörten und gehören ebenso die physiotherapeutische und psychologische Betreuung, die Sozialberatung von Patienten und Angehörigen und die Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse. Für Berufsgruppen aus psychosozialen Arbeitsfeldern wurden ebenfalls Curricula herausgegeben [32, 33]. Werden diese Berufsgruppen in SAPV-Teams eingeschlossen, so sollten auch diese nach den Richtlinien des GBA eine Weiterbildung nach den Kriterien der oben genannten Curricula vorweisen können.

Stationäre Organisationsformen der Palliativversorgung und rechtliche Rahmenbedingungen

Die stationäre palliativmedizinische Versorgung erfolgt in stationären Hospizen und auf Palliativstationen. Die Palliativstationen sind in der Regel Bestandteil eines Krankenhauses mit entsprechendem Zugang zur Diagnostik und Therapie relevanter Erkrankungen und Symptome. Ob in einem Krankenhaus eine Palliativstation eingerichtet werden kann, hängt unter anderem von den Bedingungen im Krankenhausplan des jeweiligen Bundeslandes ab. Nachdem anfänglich nur wenige Palliativstationen existierten, stieg ihre Zahl im Laufe der 1990er-Jahre deutlich an. Hierzu trug unter anderem das wissenschaftlich begleitete, vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Modellprojekt zur Verbesserung der Versorgung Krebskranker bei [34, 35]. Derzeit gibt es in Deutschland mehr als 240 Palliativstationen [36]. Während ein Teil dieser Einrichtungen als besondere Einrichtung über Tagessätze finanziert wird, rechnen andere über Fallpauschalen (G-DRG) und Zusatzentgelte (ZE60, komplexe Palliativversorgung) ab.

Als Alternative zur Einrichtung einer Palliativstation bietet eine zunehmende Zahl von Krankenhäusern eine palliativmedizinische Mitbehandlung in anderen Abteilungen des Krankenhauses an. Dazu werden Konsilteams mit palliativmedizinisch spezialisierten Ärzten und Krankenpflegekräften etabliert oder Mitarbeiter in den anderen Abteilungen qualifiziert.

Ambulante Organisationsformen der Palliativversorgung und rechtliche Rahmenbedingungen

Die palliativmedizinische Versorgungssituation im ambulanten Sektor wurde in den letzten fünf Jahren ganz wesentlich von neuen gesetzlichen Regelungen beeinflusst und ist damit sehr komplex geworden. Die Verbesserungen in der ambulanten Betreuung durch niedergelassene Ärzte und Pflegedienste und im zunehmenden Maße auch durch spezialisierte ambulante Palliativeinrichtungen haben – gemeinsam mit dem Ausbau der stationären Versorgung – dazu geführt, dass wesentlich mehr Patienten in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung sterben können [34].

Die allgemeine ambulante palliativmedizinische Versorgung wird von niedergelassenen Ärzten und Pflegediensten mit einer Basisausbildung in der Palliativversorgung erbracht. Gesetzliche Regelungen hierzu bestehen nicht. Die Erstattung der Leistungen erfolgt nach individuellen Vereinbarungen mit den Krankenkassen [37]. In der Gebührenordnung der GKV wird die allgemeine Palliativversorgung erst seit 2005 berücksichtigt. Die als „Palliativmedizinische Betreuung“ bezeichnete Gebührenposition 30001 kann jedoch lediglich mit etwa 40 EUR pro Patient und Quartal abgerechnet werden. Damit ist eine adäquate Finanzierung der Palliativversorgung nicht möglich. Durch Einzelverträge zur integrierten Versorgung nach § 140b SGB V können Leistungserbringer, hier insbesondere die niedergelassenen Ärzte, Vereinbarungen mit den Krankenkassen über eine adäquate Kostenerstattung schließen.

Im Juni 2005 legte die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ ihren Bericht zur „Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland durch Palliativmedizin und Hospizarbeit“ vor [38]. Eine zentrale Forderung der Kommission war der Ausbau der ambulanten Palliativversorgung und eine adäquate Finanzierung der erbrachten Leistungen.

Unter Berücksichtigung des Berichts wurden mit dem „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ 2007 die §§ 37b und 132d neu in das Sozialgesetzbuch (SGB) V eingeführt [39]. Für Versicherte besteht seitdem der bahnbrechende Rechtsanspruch auf ambulante palliativmedizinische Leistungen im Rahmen einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Mit dem § 37b Abs. 3 SGB V wurde der Gemeinsame Bundesausschuss aus Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Deutscher Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen direkt aufgefordert, das Nähere zu den Leistungen bis zum September 2007 zu regeln. Die entsprechende Richtlinie des GBA wurde im Dezember 2007 verkündet und trat im März 2008 in Kraft [30].

Aus dem dargestellten Rechtsanspruch lässt sich jedoch nicht ableiten, ob die Leistungen auch flächendeckend an jedem Ort zur Verfügung gestellt werden können. Entscheidend hierfür ist, dass ausreichend qualifizierte Leistungserbringer vorhanden sind, die mit den Krankenkassen nach § 132d SGB V Verträge abschließen können. In den Verträgen werden sowohl die Bedingungen für die Qualifikation der Leistungserbringer, der Umfang der bereitzustellenden Leistungen als auch die Erstattungen durch die Kostenträger geregelt. Nach den ersten drei Jahren seit Inkrafttreten der gesetzlichen Regelungen lässt sich feststellen, dass die Vertragsverhandlungen anfangs schwierig, langwierig und oft auch erfolglos waren. An beiderseitigen Vorwürfen mangelte es in der Folge nicht. Im Bericht des GBA über die Umsetzung der SAPV-Richtlinie für das Jahr 2009, der sich im Wesentlichen auf die Befragung der Krankenkassen stützt, kommen die Krankenkassen auf die Frage „Welche Gründe haben aus Ihrer Sicht gegebenenfalls den Abschluss weiterer Verträge bisher verhindert“ zu dem Schluss, dass die Leistungserbringer sehr häufig (56,9% der Antworten) nicht die geforderten Voraussetzungen (zum Beispiel Qualifikation, Personal, Organisation) erfüllen würden [15]. Die Arbeitsgemeinschaft SAPV wirft den Krankenkassen dagegen die Ausnutzung ihrer (starken) Position und die fehlende Transparenz vor [40]. Zudem fehle die Flexibilität, um unterschiedliche regionale Voraussetzungen und Vorarbeiten ausreichend berücksichtigen zu können. Im Nachhinein muss festgestellt werden, dass einige Leistungserbringer mit den juristischen und organisatorischen Vorbereitungen des Vertragsabschlusses überfordert waren. Die Krankenkassen schienen mit ihrer etablierten juristischen Fachkompetenz im Vorteil. Eine adäquate, sachgerechte und qualitätsgesicherte Palliativversorgung muss jedoch auch im Interesse der Krankenkassen liegen. Nach entsprechender Beratung von Leistungserbringern wurden in der Zwischenzeit mehr als 100 Einzelverträge geschlossen. Vereinfachungen wurden auch durch die Erstellung von Musterverträgen in einzelnen Bundesländern erreicht. Beispielhaft sei hier der Mustervertrag des Freistaates Bayern genannt, der eine adäquate Grundlage für die Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern darstellt [41].

Für den Versicherten kann sich aus der fehlenden Flächendeckung die Problematik ergeben, dass er aus dem Krankenhaus entlassen wird und zur weiteren Versorgung eine Verordnung über Leistungen der SAPV erhält, die Leistungen aber nicht erbracht werden können, da kein Leistungserbringer vor Ort ist oder kein SAPV-Vertrag in der Region abgeschlossen wurde. Engelhardt weist zutreffend darauf hin, dass die unzureichende Umsetzung des Versorgungsauftrags aus 37b Abs. 1 SGB V durch die Krankenkassen nicht dazu führen kann, dass dem Versicherten notwendige Leistungen der SAPV vorenthalten bleiben [42]. In zahlreichen Fällen haben die Krankenkassen die Kosten für Leistungen der SAPV auch ohne vorliegenden Vertrag des Leistungserbringers übernommen, um dem gesetzlichen Auftrag nachzukommen. Wie das Landessozialgericht (LSG) NRW in seinem Beschluss vom 30.03.2009 feststellt, kann der Versicherte aber nicht den Vertragsabschluss zwischen Leistungserbringer und Krankenkassen rechtlich einfordern [43]. Erstattet die Krankenkasse die Kosten nicht, bleibt dem Versicherten nur die Möglichkeit, die Leistung selbst zu finanzieren und Kostenerstattungsansprüche mit Bezug auf § 13 Abs. 3 SGB V gegenüber den Krankenkassen geltend zu machen. Insbesondere auch mit Blick auf die bei den betroffenen Patienten bestehenden Erkrankungen mit einer Lebenserwartung von Tagen, Wochen, höchstens Monaten ist diese Situation für die Versicherten unzumutbar.

Neben den Schwierigkeiten bei der Vertragsgestaltung ergeben sich aus der Praxis der SAPV neue Probleme, die sich zum Beispiel auf die adäquate Versorgung der Patienten in Notfallsituationen auswirken können.

Ziel der SAPV und auch der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung ist es, Krankenhauseinweisungen möglichst zu verhindern und gleichzeitig die bestmögliche Therapie in der häuslichen Umgebung zu gewährleisten. Dies gilt auch in Notfallsituationen, wie zum Beispiel bei plötzlicher starker Schmerzzunahme, Luftnot oder akuter Verschlechterung des Allgemeinzustands. Hierfür ist der schnelle Zugriff auf Arzneimittel erforderlich, die für die Erstversorgung in Notfallsituationen benötigt werden. Hierzu zählen auch unterschiedliche Betäubungsmittel, die in adäquater Menge und in geeigneten Darreichungsformen zur Verfügung stehen müssen. Mit Einführung des § 5c in die Betäubungsmittel-Verschreibungs-Verordnung (BtMVV) mittels der 25. Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung (BtMÄndV) wird es den SAPV-Einrichtungen und Hospizen ermöglicht, einen Vorrat an Betäubungsmitteln anzulegen beziehungsweise bereitzuhalten, um daraus Arzneimittel für den Notfall zu entnehmen [44]. Die Arzneimittel stehen somit jederzeit kurzfristig zur Verfügung. Eine Verschreibung muss nicht erfolgen, lediglich eine lückenlose Dokumentation über die Aufnahme von Arzneimitteln in den Vorrat und die Entnahme zur Anwendung am Patienten. Auf diese Weise wurde die Palliativversorgung in Notfallsituationen mit minimalem bürokratischem Aufwand verbessert. Ob diese Regelungen ausreichen, um in jeder Notfallsituation eine schnelle, wirksame und nachhaltige Therapie anbieten zu können, wird sich in der praktischen Umsetzung zeigen müssen.

Fazit

Die Palliativversorgung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten rasant entwickelt und ist ein wichtiger Bestandteil des Gesundheitssystems in Deutschland geworden.

Gesetzliche Regelungen und Richtlinien zur strukturierten palliativmedizinischen ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung wurden eingeführt. Bestehende Inhalte der entsprechenden Aus-, Weiter- und Fortbildungsangebote müssen nun flächendeckend etabliert und im Sinne einer wissenschaftlichen Qualitätssicherung weiterentwickelt werden. Hierfür sind die Einrichtung weiterer Lehrstühle für Palliativmedizin und der Austausch zwischen allen medizinischen Fakultäten, unter Einbindung der Studierenden, erforderlich. Es ist auch in Zukunft nicht erforderlich, dass alle Ärztinnen und Ärzte dazu befähigt sein müssen, umfassende palliativmedizinische Maßnahmen durchzuführen – schließlich müssen sie ja auch nicht alle chirurgisch tätig sein können. Eine Basisausbildung muss jedoch vorhanden sein, um einfache Maßnahmen zur Linderung belastender Symptome durchführen zu können und um zu erkennen, wann es angezeigt ist, spezialisierte palliativmedizinische Dienste einzubinden.

Palliative Maßnahmen werden heute zwar teilweise als Bestandteil der Ausbildungsinhalte Pflegender berücksichtigt, diese Maßnahmen werden jedoch nicht genauer spezifiziert. Eine detaillierte Beschreibung der Inhalte in den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen wäre wünschenswert. Vor allem in Bereichen der spezialisierten Palliativversorgung ist die Ausbildung nach dem vorhandenen Curriculum der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin eine Voraussetzung für die Mitarbeit in den entsprechenden Einrichtungen, sodass hierüber eine Qualitätssicherung garantiert werden kann.

Die Weiterbildungsangebote für psychosoziale Berufsgruppen sind begrenzt und müssen dringend erweitert werden.

Mit dem Rechtsanspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung wurde dem immer größer werdenden Bedürfnis, auch bei schwerwiegenden Erkrankungen bis zum Lebensende in der gewohnten häuslichen Umgebung zu bleiben, Rechnung getragen. Nach anfänglichen Umsetzungsschwierigkeiten etablieren sich immer mehr Einrichtungen der SAPV. Wegweisend war hierfür auch die Entwicklung von Musterverträgen, die die anfangs zähen Bemühungen der Vertragspartner deutlich beschleunigt haben.

Eine Herausforderung in der SAPV ist in den nächsten Jahren sicherlich die Etablierung eines Systems zur Qualitätssicherung, das einerseits eine flächendeckende, qualitativ hochwertige Versorgung garantiert, andererseits regionale Besonderheiten ausreichend berücksichtigt.

Die BtMVV wurde den Bedürfnissen der sich weiter entwickelnden ambulanten Palliativversorgung angepasst. Gegebenenfalls sind weitere Anpassungen erforderlich. Dieses kann jedoch erst nach Umsetzung der jetzigen Anpassungen in die Praxis beurteilt werden.

Insgesamt haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen mit den wachsenden Bedürfnissen in der Palliativversorgung weiterentwickelt. Probleme entstehen eher in der Umsetzung, da zunächst flächendeckende geeignete Strukturen zur Palliativversorgung in Deutschland geschaffen werden müssen. Zusätzliche Hindernisse wurden durch rechtliche Bestimmungen nicht geschaffen, auch wenn schwierige Verhandlungen zwischen potenziellen Leistungserbringern der SAPV und den Krankenkassen die Etablierung der Einrichtungen verzögerten.