Das Burn-out-Syndrom hat in den letzten Jahren durch Veröffentlichungen der Krankenkassen, durch Darstellungen in Massenmedien und durch eine Reihe von Publikationen [1, 2, 3, 4] öffentliche Aufmerksamkeit erzielt. In Medizinportalen wird das Burn-out-Syndrom sogar als Volkskrankheit bezeichnet [5].

Unter Burn-out wird überwiegend ein arbeitsbezogenes Syndrom verstanden, das durch die Dimensionen emotionale Erschöpfung, Depersonalisation oder Zynismus sowie verminderte Leistungsfähigkeit charakterisiert ist. Geprägt wurde der Begriff 1974 von dem New Yorker Psychoanalytiker Herbert Freudenberger, der anhand eines Symptomkatalogs Erschöpfungssymptome von Angestellten beschrieb. Die Psychologinnen Christina Maslach und Susan E. Jackson haben 1981 vor allem für professionelle Helfer einen Fragenkatalog entwickelt, bekannt als Maslach-Burnout-Inventar (MBI), mit dem sie die individuelle Reaktion auf externe Anforderungen und intensiv empfundene emotionale Belastungen zu erfassen versuchen. In Erweiterung der psychodynamischen Perspektive von Freudenberger und Maslach wird Burn-out seit Beginn der 1990er-Jahre nicht nur bei helfenden und sozialen Berufen mit hoher emotionaler Belastung, sondern auch bei zahlreichen anderen Berufsgruppen festgestellt. So wird es unter anderem von Politikern, Sportlern, Eheleuten, Forschungsmitarbeitern und Langzeitpflegenden kranker Angehöriger berichtet.

Anhand der geschätzten Anzahl Betroffener und der damit zusammenhängenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen lässt sich die erhebliche medizinische, ökonomische und politische Relevanz dieses Syndroms ablesen. Informationen zur Anzahl der Betroffenen werden aus der Vergabe der dreistelligen ICD-10 Zusatzdiagnose Z-73: „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“ abgeleitet. Der Barmer GEK-Arztreport weist aus, dass niedergelassene Ärzte im Jahr 2008 von den rund 8 Mio. Versicherten der Barmer GEK 1309 Versicherte mit der Z-73-Diagnose arbeitsunfähig geschrieben haben. Die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit beläuft sich auf 26,8 Tage [6]. Nach einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) werden von 1000 Mitgliedern der AOK im Jahr 2010 3,95 mit der Diagnose Z-73 arbeitsunfähig geschrieben. Im Durchschnitt beträgt die Arbeitsunfähigkeit 18,3 Tage pro AOK-versichertem Arbeitnehmer aufgrund eines Burn-out-Syndroms. Die Berufsgruppen mit den meisten Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund der Z-73-Diagnose sind Heimleiter, Sozialpädagogen, Telefonisten, Sozialarbeiter, Sozialpfleger, Helfer in der Krankenpflege, Krankenschwestern, -pfleger und Hebammen [7]. Rechnet man diese Daten auf die mehr als 34 Mio. gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmer in Deutschland hoch, so bedeutet dies, dass knapp 100.000 Menschen mit insgesamt mehr als 1,8 Mio. Fehltagen im Jahr 2010 wegen eines Burn-out-Syndroms arbeitsunfähig geschrieben worden sind.

Die gesundheitspolitische Bedeutung dieser Krankschreibungen besteht nicht nur in der Dimension der Fehltage oder der therapeutischen Behandlung, sondern auch in der Tatsache, dass die Diagnostik des Burn-out-Syndroms unklar ist. Dieses Problem ist in dem vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) 2010 herausgegebenen HTA-Bericht „Differentialdiagnose des Burnout-Syndroms“ ausführlich beschrieben worden, dessen Ziel es ist, evidenzbasierte Diagnoseinstrumente für das Burn-out-Syndrom zu identifizieren, zu diskutieren und daraus Empfehlungen für das deutsche Gesundheitswesen abzuleiten. Die zentralen Ergebnisse dieses HTA-Berichts werden im Folgenden komprimiert dargestellt.

Methoden

Zur Ermittlung der relevanten Studien sind Suchbegriffe formuliert worden, die im März 2009 von Art & Data Communication im Auftrag des DIMDI in 36 elektronischen Literaturdatenbanken recherchiert wurden. Als Suchbegriffe wurden unter anderem verwendet „Burnout“, „Erschöpfung“, „Antriebsschwäche“, „Ausgebrannt sein“, „(Differential)Diagnostik“.

Berücksichtigt wurden Studien, die zwischen 2004 bis einschließlich 2009 auf Deutsch oder Englisch publiziert wurden. Zusätzlich zur systematischen Literaturrecherche durch das DIMDI ist von den Autoren eine Handrecherche durchgeführt worden. Die Literaturtitel und Abstracts, die anhand der Recherche identifiziert werden konnten, wurden systematisch durch zwei Gutachter unter Beachtung von Kriterien der evidenzbasierten Medizin (EbM) auf ihre Relevanz für das vorliegende Thema geprüft. Eingeschlossen wurden Metaanalysen, Reviews, randomisierte klinische Studien (RCT) und Kohortenstudien, die sich mit Burn-out-Diagnostik befassen. Ausgeschlossen wurden Studien, die nicht die Burn-out-Diagnostik als Zielparameter hatten. Bewertet wurden die Studien nach den Levels of Evidence des Oxford Center of Evidence-based Medicine. Dort wird Evidence anhand des Studientyps bestimmt. Ein Evidenzlevel von 1 A bedeutet beispielsweise, dass es sich um einen systematischen Review von RCTs handelt. Bei 2 A liegt ein systematischer Review von Kohortenstudien vor. Evidenzlevel 4 bedeutet, dass es sich um Fallserien, Kohortenstudien oder Fall-Kontroll-Studien handelt. Für die Beurteilung der Studien wurden unter anderem folgende Kriterien herangezogen: Auswahl, Zuordnung und Anzahl der Studienteilnehmer, valide und reliable Erfassung der relevanten Studienparameter, Outcome-Messung, Drop-out-Rate und Qualität der statistischen Datenanalyse.

Von 826 medizinischen Treffern erfüllen 25 die Einschlusskriterien.

Diagnostik des Burn-out-Syndroms

In der Vielzahl der unterschiedlichen Burn-out-Definitionen gibt es einige gemeinsame Kernelemente. Als Zeichen eines Burn-out werden überdurchschnittlich oft die Kernelemente körperliche, emotionale, geistige Erschöpfung, Entfremdung, Arbeitsbelastung, unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen, Desillusionierung sowie fehlgeschlagene Arbeitsanpassung aufgeführt. Darüber hinaus gibt es jedoch eine Vielzahl von Symptomen, die ein Burn-out-Syndrom kennzeichnen sollen; zum Beispiel Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit, Kopfschmerzen, Hyperaktivität, Begeisterungsverlust, Reizbarkeit, Zynismus, Aggressivität, Desinteresse, Arbeitsunzufriedenheit, Gefühl fehlender Anerkennung etc. Der Symptomkatalog ist so umfangreich, dass er jegliche differenzialdiagnostische Bedeutung verliert. Laut ICD-10 kann die Zusatzbedingung Z 73.0 „Ausgebranntsein, Burnout, Zustand der totalen Erschöpfung“ bei der Inanspruchnahme des Gesundheitswesens vergeben werden,

  • wenn keine Berufsunfähigkeit besteht oder

  • keine andere psychiatrisch definierte Krankheit wie Neurasthenie (F48.0), Panikattacke (F41.0) und keine allgemeine Ermüdung (R53), die nach schwerer Arbeit oder zu kurzem Schlaf auftritt, vorliegt.

Der Schweizer Psychosomatiker Roland von Känel hat einen Algorithmus zur Diagnosestellung eines Burn-out-Syndroms vorgelegt, der sich am Kardinalsymptom Erschöpfung orientiert. Im ersten Schritt sind somatische und psychiatrische Ursachen (zum Beispiel Neurasthenie, Depression) für einen Erschöpfungszustand auszuschließen. Im zweiten Schritt sollte eine Abgrenzung zum chronischen Fatigue-Syndrom erfolgen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Algorithmus zur Diagnosestellung eines Burn-out-Syndroms. (Quelle: von Känel [38])

Ergebnisse

Zentrales Ergebnis des HTA-Berichts zur Differenzialdiagnostik des Burn-out-Syndroms ist, dass es bisher kein standardisiertes, allgemeingültiges Vorgehen gibt, um eine Burn-out-Diagnose zu stellen. Wie auch in der zusammenfassenden Darstellung der Studienergebnisse (Tab. 1) ersichtlich, werden in den Studien bislang überwiegend nur schriftliche Selbstbeurteilungsbögen eingesetzt, vor allem das Maslach-Burnout-Inventar (MBI). Von insgesamt 26 Studien wird in 22 eine mehr oder minder abgewandelte Variante des MBI zur Erfassung von Burn-out eingesetzt. In den anderen Studien werden das Copenhagen-Burnout-Inventory (CBI), der Shirom-Melamed-Burnout-Questionnaire (SMBQ) oder das Schul-Burnout-Inventar (SBI) verwendet. In zwei Studien werden neben dem MBI das Oldenburg-Burnout-Inventar (OLBI) oder der Athlete-Burnout-Questionnaire (ABQ) benutzt, um Burn-out zu erfassen. Ob mit diesem Instrument Burn-out wirklich diagnostiziert werden kann, ist anhand der berücksichtigten Studien nicht verlässlich zu beantworten. Das MBI misst die drei Dimensionen emotionale Erschöpfung, Depersonalisation/Zynismus und Leistungsbereitschaft beziehungsweise -fähigkeit. Als durchgängiges Merkmal eines Burn-out zeigt sich die Dimension der emotionalen Erschöpfung. Die Bedeutung der Dimensionen Depersonalisation und Leistungsbereitschaft beziehungsweise -fähigkeit ist unklar, da die Studien hierzu teilweise recht unterschiedliche Ergebnisse zeigen. Nur vereinzelt werden Cut-off-Points definiert, ab denen ein Burn-out vorliegen soll. Diese Cut-off-Points erfüllen jedoch nicht den Anspruch der diagnostischen Gültigkeit, da die Generierung dieser Werte nicht der wissenschaftlichen Testkonstruktion entspricht [8]. Diese werden aber für die Differenzialdiagnostik sowie für die Entscheidung über angemessene therapeutische Vorgehensweisen benötigt und auch um die Kostenübernahme der Krankenkassen zu klären [9].

Tab. 1 Zusammenfassende Darstellung der Studienergebnisse

Grundsätzlich gilt, dass es bislang keine validen Diagnosekriterien gibt. Folglich liegt es gegenwärtig im ärztlichen Ermessen, Burn-out zu diagnostizieren und entsprechende Therapien einzuleiten.

Differenzialdiagnostisch wird innerhalb der ausgewerteten Studien der Zusammenhang zwischen Burn-out und Depression [25, 33] sowie zwischen Burn-out und Alexithymie [34] untersucht. Es zeigt sich, dass Burn-out möglicherweise ein Vorläufer oder als Prädiktor einer Depression zu sehen ist [24, 25] und dass Burn-out sowie Depression jeweils eigenständige Konstrukte sind [25]. Gleichzeitig kann ein Zusammenhang zwischen Burn-out und Alexithymie ausgemacht werden, wobei Alexithymie möglicherweise eine Coping-Strategie und/oder ein Risikofaktor eines Burn-out ist [34, 27].

Leone et al. [26] zeigen, dass sich das Konzept der anhaltenden beruflichen Erschöpfung zu einem großen Teil mit dem Burn-out-Konzept überschneidet. Ein phasenhafter Zusammenhang einzelner Konstrukte ist denkbar. Ebenso wird Burn-out mit einem Anstieg von Entzündungsmarkern im Blut in Verbindung gebracht. In die gängigen Burn-out-Messinstrumente MBI, SMBQ, OLBI, CBI, SBI sind keine differenzialdiagnostischen Screeningtools integriert. Die Burn-out-Messinstrumente erfassen größtenteils verlässlich ein dreidimensionales Burn-out-Konstrukt, wenn sie für die jeweilige Population berufsspezifisch und sprachlich-kulturell modifiziert werden.

Diskussion

Zwischen den Burn-out-Konzepten verschiedener Autoren finden sich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede [10, 11, 12]. Im Kern herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass Burn-out eine umfassende arbeitsbezogene Erschöpfung darstellt [13]. Ebenso wird vom überwiegenden Teil der Wissenschaftler das Burn-out-Syndrom als das akzeptiert, was das MBI misst: ein Syndrom, bestehend aus Erschöpfung, Depersonalisation/Zynismus und verringerter Leistungsbereitschaft beziehungsweise -fähigkeit [14].

In der Forschungspraxis sowie in der klinischen Diagnostik werden die definitorischen Unschärfen und Unterschiede des Burn-out-Konzepts größtenteils vernachlässigt beziehungsweise ausgeblendet. Die Schwierigkeit besteht einerseits darin, etwas zu messen, das nicht eindeutig definiert ist, und andererseits, etwas von anderen Krankheitsphänomenen abzugrenzen, das bisher nicht standardisiert gemessen werden kann.

Anhand der analysierten Studienergebnisse ist ersichtlich, dass beinahe jedes eingesetzte Burn-out-Instrument (ABQ, CBI, MBI, OLBI, SBI, SMBQ) in jeder Population ein Phänomen valide und verlässlich messen kann, das sich aus drei Dimensionen bildet; vorausgesetzt, das Messinstrument wird der Population entsprechend angepasst und die Ergebnisse werden adäquat statistisch aufbereitet (wie in der gängigen Forschungspraxis üblich).

Die für jeden Kultur- und Sprachkreis und auch für jede Berufs- beziehungsweise Tätigkeitsgruppe vorgenommenen Modifikationen der Testinstrumente stellen die Konstruktvalidität des Burn-out und die Möglichkeit einer einheitlichen validen Diagnostik und Differenzialdiagnostik infrage. Zwar zeigt sich in den untersuchten Studien die Tendenz, dass sich eine bessere Validität des MBI erzielen lässt, wenn die Anzahl der Items reduziert wird [15, 16, 17, 18, 19]. Die sich als problematisch erweisenden Items variieren jedoch von Studie zu Studie.

Der Zusammenhang der Burn-out-Dimensionen untereinander sowie die Bedeutung und Konsistenz der zweiten Burn-out-Dimension Depersonalisation und der dritten Burn-out-Dimension Leistungsbereitschaft ist unklar, da hierzu sowohl ähnliche als auch unterschiedliche Ergebnisse erlangt werden. Kitaoka-Higashiguchi et al. [20] können zum Beispiel nur eine geringe Abhängigkeit zwischen den Dimensionen emotionale Erschöpfung und Depersonalisation sowie keinen Zusammenhang zwischen der Dimension persönliche Leistungsbereitschaft und den anderen beiden Dimensionen ausmachen. Worley et al. [21] zeigen anhand der Ergebnisse ihres Reviews, dass emotionale Erschöpfung und Depersonalisation in der Regel deutlich positiv miteinander korrelieren, während die Dimension der persönlichen Leistungsbereitschaft in Richtung und Ausprägung ihres Zusammenhangs mit den anderen Dimensionen stark variiert. Die Resultate der Studien von Taris [13] sowie Kim und Ji [16] deuten darauf hin, dass Depersonalisation eine dysfunktionale Bewältigungsstrategie ist, was die Theorie eines Burn-out-Phasenmodells unterstützt. Gleichfalls ist die Bedeutung der Skala professionelle Wirksamkeit/Leistungsbereitschaft unklar, da beispielsweise Bresó et al. [22] sowie Schaufeli und Salanova [23] zeigen, dass eine „Ineffizienz-Skala“ Burn-out besser erfassen kann. Erschöpfung zeigt sich insgesamt als die belastbarste Burn-out-Dimension [18]. Es werden nur in fünf der vorliegenden Untersuchungen Cut-off-Points [24, 25, 26, 27, 28] angegeben. Drei dieser Studien [24, 25, 27] orientieren sich dabei an den Empfehlungen von Kalimo et al. [29] und von Kalimo und Toppinen [30] zitiert nach [24, 25, 27], wonach die Burn-out-Dimensionen des 22-Item-MBI zur Errechnung eines Gesamtindizes unterschiedlich gewichtet werden (0,4 × emotionale Erschöpfung, 0,3 × Zynismus, 0,3 × professionelle Wirksamkeit) und die Einteilung in Burn-out-Kategorien folgendermaßen erfolgt: kein Burn-out = 0–1,49, mildes Burn-out = 1,50–3,49, schweres Burn-out = 3,50–6. Die Gewichtung basiert auf einer diskriminanten Faktorenanalyse (N = 3300, finnische Arbeiter), in der die Burn-out-Dimensionen als abhängige Variablen behandelt werden. Die Einteilung der Burn-out-Kategorien wird nach der Häufigkeit des Auftretens der Symptome vorgenommen [29]. Demnach bedeutet zum Beispiel ein Wert zwischen 1,50 und 3,59, dass Burn-out-Symptome ein paar Mal im Monat bis hin zu wöchentlich in Erscheinung treten [29]. Eine externe Validierung der Zuordnung zu den drei unterschiedlichen Schweregraden unterbleibt jedoch.

Leone et al. [26] messen Burn-out mit einem 15-Item-MBI-GS und gehen nach den Empfehlungen des niederländischen Burn-out-Handbuchs vor ([31], zitiert nach [26]). Eine Burn-out-Diagnose erfolgt, wenn die Werte an Erschöpfung in der untersuchten Population höher sind als das 75. Perzentil an Erschöpfung (Werte > 2,4, Leone et al. [26]) und/oder die Zynismus-Werte höher sind als das 75. Perzentil (> 2,25, Leone et al. [26]) oder die Werte der professionellen Wirksamkeit unter dem 25. Perzentil (< 3,5, Leone et al. [26]) liegen. In einer anderen Studie erfolgt ein Cut-off zwischen geringem und schwerem Burn-out, gemessen mithilfe des SMBQ [28]. Diese Klassifizierung wird durch eine quartile Aufteilung der Burn-out-Werte innerhalb der Stichprobe erreicht, wonach in der untersuchten Population geringes Burn-out mit SMBQ-Indexwerten ≤ 2,20 und schweres Burn-out mit SMBQ-Indexwerten von ≥ 3,90 angegeben wird. Darüber, wie die beiden mittleren Burn-out-Kategorien definiert werden, erfährt der Leser nichts. Die wissenschaftliche Fundierung dieser Kategorisierungen ist unklar, da hierzu keine nähere Erläuterung geliefert wird.

Generell ist anzumerken, dass diese Vorgehensweisen nicht der wissenschaftlichen Testkonstruktion entsprechen. Die so ermittelten Zuordnungen zu Burn-out-Schweregraden und Prävalenzermittlungen sind daher von geringer Validität. Zu beachten ist zudem, dass auch Verzerrungen der Prävalenz, wie zum Beispiel der Healthy-Worker-Effekt, zu berücksichtigen sind (Karasek und Theorell [32], zitiert nach [9]).

Peters [35] kann innerhalb seines Forschungsvorhabens feststellen, dass mithilfe des MBI Burn-out-Simulanten sehr sicher entlarvt werden können. Demnach sind Werte, die zwei Standardabweichungen über den Normalwerten emotionale Erschöpfung und Zynismus sowie zwei Standardabweichungen unter den Normalwerten der professionellen Wirksamkeit liegen, als Indiz für eine Burn-out-Simulation zu sehen [35]. Es bleibt unklar, wie Burn-out-Normalwerte definiert sind.

Die Aussagekraft der meisten Studien verringert sich dadurch, dass es sich bei ihnen nicht um Langzeitstudien handelt. Folglich können keine zeitlichen Zusammenhänge beziehungsweise Entwicklungsphasen eruiert werden. Auch werden in nur zwei Studien psychische Störungen (neben der schriftlichen Befragung – Selbstangabe) mithilfe eines klinisch-psychologischen Gesprächs erfasst [18, 25]. Roelofs [18] kann anhand seiner Untersuchung nachweisen, dass die Gruppe der Personen mit klinisch-psychologisch diagnostiziertem Burn-out signifikant stärker unter emotionaler Erschöpfung (gemessen mit dem MBI-DV) leidet als Personen ohne Burn-out. Ahola et al. [25] können eine Verbindung zwischen steigenden Burn-out-Werten und dem sich gleichzeitig erhöhenden Risiko einer depressiven Störung ausmachen.

Fazit

Die Studien zeigen, dass es bisher kein standardisiertes, allgemein- und international gültiges Vorgehen gibt, um eine Burn-out-Diagnose zu stellen:

  • Die Mehrzahl der Studien ist deskriptiv und explorativ,

  • es überwiegen Selbstbeurteilungsinstrumente. Objektive Daten wie Gesundheitsdaten, Gesundheitsstatus, Krankmeldungen und Beurteilungen durch Dritte werden extrem selten herangezogen,

  • die Sample-Auswahl ist meist zufällig, nicht repräsentativ und enthält oft niedrige Rücklaufraten,

  • die meisten Studien sind Querschnittstudien, es gibt kaum Langzeitstudien,

  • es fehlen fast vollständig klinische Daten,

  • es ist eine einseitige Verwendung des MBI nach dem Kriterium „mehr vom Gleichen“ festzustellen,

  • das MBI liefert eine zu einseitige und simple Definition von Burn-out, die keine theoretische Fundierung enthält (Burn-out ist, was das MBI misst),

  • wie ein „ausgebrannter“ Behandler auf Klienten und Patienten zurückwirkt, ist bisher viel zu wenig berücksichtigt worden,

  • es gibt keine validen Informationen darüber, welche Kosten die unscharfe Diagnosestellung beim Burn-out bei den Betroffenen, Krankenkassen und der Gesellschaft insgesamt verursacht.

Auch andere Autoren haben bereits auf vergleichbare Mängel in der Burn-out-Forschung hingewiesen [12, 36, 37].

In der klinischen Praxis scheint es offenbar weitestgehend im ärztlichen Ermessen zu liegen, wie Burn-out diagnostiziert wird. Dabei ist unscharf definiert, was Burn-out eigentlich ist und – differenzialdiagnostisch bedeutsam – was Burn-out nicht ist. Bisher wirkt dieses Phänomen nebulös und vielfältig – mit fraglichem Krankheitswert. Gleichzeitig scheint das Burn-out-Syndrom primär mit hohen individuellen, gesellschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Belastungen und Beeinträchtigungen verbunden zu sein, die sich auch finanziell äußern. Gleichfalls fehlen bisher aussagekräftige Studien, die sich mit den finanziellen Auswirkungen des Burn-out beschäftigen.

Die Evidenz der medizinischen und ethischen Studien zur Diagnostik des Burn-out-Syndroms ist überwiegend gering. Die Ergebnisse liefern keine eindeutigen Belege zur Brauchbarkeit des MBI für die Diagnosestellung des Burn-out. Des Weiteren kann die Eignung eines schriftlichen Selbstbeurteilungsbogens ohne klinische Fremdbeurteilung für eine Burn-out-Diagnose nicht ausreichend belegt werden.

Als Fazit des HTA-Berichts ergibt sich somit, dass (1) weitere, vor allem hochwertige Studien notwendig sind, um das Burn-out-Phänomen zu erfassen, dass (2) systematisch und im gegenseitigen wissenschaftlichen Einverständnis eine einheitliche und international valide Definition des Burn-out gefunden werden muss, die sich nicht auf die Gemeinsamkeiten der bisherigen Definitionen beschränkt, dass (3) eine standardisierte, international valide und praktikable Variante der Burn-out-Diagnostik und Differenzialdiagnostik gefunden werden muss, dass (4) ein Fremdbeurteilungsinstrument des Burn-out entwickelt werden sollte und dass (5) die volkswirtschaftlichen Aspekte und die finanziellen Auswirkungen zu untersuchen sind.

Es wird daher empfohlen, eine hochwertige Kohortenstudie mit multimodalen Instrumenten (Befragung mündlich/schriftlich, Beobachtung, klinisch-psychologische Gespräche, körperliche Untersuchung) und kurz aufeinanderfolgenden Erhebungszeitpunkten mit einer ausreichend großen, national repräsentativen Stichprobe über einen Zeitraum von mehreren Jahren durchzuführen. Diese Untersuchung könnte dazu beitragen, das Phänomen genauer zu definieren, Wechselwirkungen und Überlappungen mit anderen Krankheiten zu verstehen und gleichzeitig körperliche sowie psychosomatische Symptome in die Diagnosestellung einzubeziehen. Ebenfalls kann dadurch erhofft werden, über den Krankheitswert beziehungsweise über mögliche Cut-off-Skalenwerte des Burn-out Klarheit zu gewinnen, den eventuell phasenhaften Zusammenhang und die Validität der Burn-out-Dimensionen zu verstehen und durch die Überprüfung der bisherigen Burn-out-Messinstrumente zu einem zunächst national validen Burn-out-Screeningtool und einer standardisierten validen Diagnostik zu gelangen. Eine Validierung müsste somit die Arbeitsbedingungen, die individuellen Reaktionen auf die Arbeitsbedingungen und Bewältigungsressourcen und die chronischen psychologischen und biologischen Folgen im zeitlichen Verlauf beinhalten. Außerdem können die Inanspruchnahme des Gesundheitswesens verfolgt und dementsprechend Anhaltspunkte zu den Kosten des Burn-out-Phänomens erzielt werden. Letzteres ist aufgrund der zahlreichen Leistungsanbieter sowie der gegenwärtig intransparenten Situation bei den Kostenzuordnungen und Kostenübernahmen von besonderer Bedeutung.

Beim Diskurs über die Burn-out-Diagnostik und die Auswirkungen des Burn-out-Syndroms ist nicht zu vergessen, dass das gesellschaftliche Phänomen „Burn-out“ aus einer für das Individuum dauerhaft hoch belastenden Arbeitssituation entsteht. Dies impliziert, dass die Burn-out-Forschung zukünftig auch stärker den Zusammenhang zwischen Burn-out und Arbeitsplatzstrukturen und -bedingungen im Blick haben sollte. Bei einer differenzialdiagnostischen Abklärung eines berufsbedingten Burn-out könnte beispielsweise wie bei der „Posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS) vorgegangen werden. Die Diagnose PTBS setzt 1. ein genau spezifizierbares Trauma voraus, 2. die individuell festgestellte erhebliche Belastung (stressor criterion) und 3. das chronische Syndrom, das aus fest definierten klinischen Kriterien besteht. Eine Burn-out-Diagnose, wenn es Burn-out denn als abgrenzbares Phänomen gibt, müsste zum Beispiel analog zu der PTBS entwickelt werden. Sonst bleibt Burn-out ein schwaches Konstrukt, das zu einer expansiven Verwendung geradezu einlädt.