Übergewicht und Adipositas bei Kindern zählen zu den großen Herausforderungen westlicher Gesundheitssysteme, da nicht zuletzt resultierende Folgeerkrankungen mit hohen Kosten verbunden sind [1]. Nachhaltige Erfolgsrezepte zur Vermeidung von Übergewicht und Adipositas lassen sich jedoch trotz einer unüberschaubaren Anzahl durchgeführter Projekte und Maßnahmen nicht ausmachen [2]. Eine mögliche Ursache für die bislang inkonsistenten Ergebnisse kann die zumeist rudimentäre Berücksichtigung von Projektmanagement und Qualitätssicherung sein. Nur selten stützen sich die Maßnahmen auf eine systematische, auf Grundlage der besten verfügbaren Evidenz basierenden Planung, zielgruppenorientierten Durchführung, Ergebnissicherung mit anschließender Bewertung und Optimierung beziehungsweise Verstetigung. Von der Einführung und Berücksichtigung solcher Vorgehensweisen, die beispielsweise in der betrieblichen Gesundheitsförderung selbstverständlich sind, wird erhofft, langfristig zu verallgemeinerbaren Strategien für die Gesundheitsförderung und Übergewichtsprävention bei Kindern zu kommen. Verfügbare Qualitätssicherungssysteme bieten bereits vielfältige Hilfestellungen, die jedoch nicht auf die Übergewichtsproblematik zugeschnitten sind. Die „Qualitätskriterien für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen“ schließen diese Lücke und bieten in diesem Themenfeld eine systematische Anleitung, eine Maßnahme zu planen und sie kontinuierlich weiterzuentwickeln. Sie ermöglichen es, bestehende Maßnahmen entweder durch die Anbieter selbst oder von außen (zum Beispiel durch den öffentlichen Geldgeber beziehungsweise die Krankenkassen) zu beurteilen. Sie sollen zur Transparenz beitragen und zur Nachahmung erfolgreicher Maßnahmen (Good-Practice) anregen.

Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, diese Kriterien, deren Entstehung sowie den wissenschaftlichen Hintergrund vorzustellen und darüber hinaus einen Ausblick auf die Möglichkeiten der Nutzung durch die Akteure in der Gesundheitsförderung und Prävention zu geben.

Hintergrund

Prävalenz juveniler Adipositas – Status quo

Repräsentative Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) aus den Jahren 2003 bis 2006 zeigen, dass in Deutschland im Durchschnitt 8,7% der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis 17 Jahren übergewichtig und weitere 6,3% adipös sind. Ob die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas zugenommen hat, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit feststellen, da keine repräsentativen Vergleichszahlen existieren. Viele Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass die Zahl betroffener Kinder und Jugendlicher in den letzten 20 bis 30 Jahren zugenommen hat [3]. Neuere Daten aus Schuleingangsuntersuchungen in einigen Bundesländern in den letzten fünf bis zehn Jahren weisen auf einen Rückgang (Brandenburg) beziehungsweise eine Stagnation (Schleswig-Holstein) der Prävalenzzahlen hin. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) meldete im Rahmen der 5. Ministerkonferenz Gesundheit und Umwelt für die 27 untersuchten europäischen Länder ein Ansteigen der Raten von Übergewicht und Adipositas [4]. Für Jungen wie Mädchen aus Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich (England) wurden im Untersuchungszeitraum (2001 bis 2005) dagegen rückläufige Raten von Übergewicht und Adipositas festgestellt [5]. Bislang ist aber nicht genau bekannt, worauf der Rückgang beziehungsweise die Stagnation zurückgeführt werden können. Diskutiert werden einerseits die zahlreichen präventiven Maßnahmen mit der entsprechenden Wirkung auf die Öffentlichkeit, aber auch eine mögliche Fortentwicklung mit nur einem temporären Stillstand.

Gesundheitliche Folgen

Die bisher vorliegenden Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Übergewicht und potenziellen Komorbiditäten deuten darauf hin, dass mit steigendem Gewicht das Risiko für erhöhte Blutdruckwerte, erhöhte Triglyzeridspiegel, einen gestörten Kohlenhydratstoffwechsel, niedrige HDL-Werte sowie für orthopädische Störungen zunimmt [6, 7]. Darüber hinaus können bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen die körperliche Leistungsfähigkeit [8] und die Lebensqualität [9] sowie auch die psychische Gesundheit [10] beeinträchtigt sein. Problematisch ist, dass die kindliche Adipositas besonders bei familiärer Vorbelastung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter fortbestehen kann [11, 12, 13]. Hinzu kommt, dass die Adipositas bei Erwachsenen mit einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko verbunden ist. Dies ist gut belegt. Ein Body-Mass-Index (BMI) über 30 kg/m2 ist mit einer Vielzahl von Erkrankungen wie Diabetes mellitus II, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Fettstoffwechselstörungen et cetera assoziiert [14, 15].

Notwendigkeit präventiver Maßnahmen

Wegen der genannten möglichen Folgeerscheinungen gilt es, gesunde Lebensbedingungen zu fördern, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu führen, der Normalgewicht begünstigt. Diese Forderung wird von zahlreichen gesundheitspolitischen Institutionen und Organisationen mitgetragen. Auf der internationalen Ebene verabschiedete die WHO eine „Global Strategy on Diet, Physical Activity and Health“ [16], 2006 wurde mit der Unterzeichnung der Charta zur Bekämpfung der Adipositas für die europäische WHO-Region der Handlungsrahmen dafür formuliert [17]. Die Europäische Union legte 2005 das „Grünbuch – Förderung gesunder Ernährung und körperlicher Bewegung: eine europäische Dimension zur Verhinderung von Übergewicht, Adipositas und chronischen Krankheiten“ vor [18], dem 2007 das Weißbuch „Ernährung, Übergewicht, Adipositas: Eine Strategie für Europa“ [19] folgte.

Auf nationaler Ebene haben sich des Themas sowohl die deutsche Bundesregierung als auch die Fachgesellschaften angenommen. 2008 wurde vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Bundesministerium für Gesundheit der Nationale Aktionsplan „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ ins Leben gerufen [20]. Durch Schaffung von Strukturen, die es den Menschen ermöglichen sollen, einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu führen, soll bis 2020 das Ernährungs- und Bewegungsverhalten in Deutschland nachhaltig verbessert und ernährungsbedingten Erkrankungen vorgebeugt werden.

Dieses Ziel verfolgt auch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), die seit Wiedereinführung der Leistungen zur primären Prävention nach § 20 Absatz 1 SGB V ihr Engagement zur Förderung von Bewegung und gesunder Ernährung kontinuierlich gesteigert hat. Die von den Krankenkassen geförderten primärpräventiven und gesundheitsfördernden Leistungen, die vorzugsweise in Betrieben, Kindertagesstätten, Schulen und Gemeinden durchgeführt werden, entsprechen hohen Qualitätsanforderungen, die im GKV-Leitfaden Prävention vom 27. August 2010 definiert sind [21].

Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter fordert Präventionsmaßnahmen, die sich sowohl an die ganze Gesellschaft als auch an die einzelnen Individuen richten. In den Leitlinien für Diagnostik, Prävention und Therapie der Adipositas aus dem Jahr 2009 werden die bisherigen Erkenntnisse zu Präventionsaktivitäten dargestellt sowie Möglichkeiten aufgezeigt, wie langfristig die Prävalenz und die Inzidenz der Adipositas gesenkt werden können [22]. Optimal ist die Orientierung entsprechender Maßnahmen an Qualitätssicherungssystemen, um damit der oben geschilderten Problematik zu begegnen und möglicherweise so zu allgemeingültigeren Handlungsempfehlungen zu kommen.

Prozess des Experten/innen-basierten Ansatzes

Aufgrund dieser Forderung wurde eine erste Grundlage für Qualitätskriterien zur Prävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen von der Präventions-AG der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erarbeitetFootnote 1. Diese diente als Basis für das 1. Fachgespräch am 6.3.2008 in Köln, an dem ausgewiesene Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Gesundheitsförderung und Adipositasprävention unter Beteiligung des Bundesministeriums für Gesundheit sowie des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz teilgenommen haben. Im Rahmen dieser Sitzung wurde das gemeinsame Vorhaben beschlossen, Qualitätskriterien mit folgendem Geltungsbereich zu erarbeiten:

  • Maßnahmen, die zum Ziel haben, die Inzidenz und Prävalenz von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen zu senken (Primärprävention) sowie

  • Maßnahmen der Gesundheitsförderung, die die Einflussfaktoren für Übergewicht (zum Beispiel Ernährung, Bewegung, Elternkompetenz und so weiter) positiv beeinflussen.

Eine von der BZgA moderierte Arbeitsgruppe (Übersicht 1) wurde mit der Aufgabe betraut, einen Entwurf zu erstellen. Die Arbeitsergebnisse wurden mit den Experten regelmäßig diskutiert und entsprechend deren Anregungen und Vorschlägen präzisiert und ergänzt.

Auf Basis der Vorarbeiten und vorhandenen Kriterien erfolgte eine Fokussierung auf Gesundheitsförderung und Prävention von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Die vorhandenen Qualitätskriterien wurden von der Arbeitsgruppe auf ihren Stellenwert in diesem Kontext geprüft; entsprechend dem jeweiligen Kriterium wurden spezifische Reflexionsfragen für einen einfachen Transfer in die Praxis und Anleitungen für Akteure entwickelt. Der Fokus bei den Kriterien wurde darauf gelegt, dass bei allen Beteiligten ein gemeinsames Verständnis über Gesundheit vorliegt, dass sich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen an deren Ressourcen, statt an Risiken und Defiziten orientiert und dass die Entwicklung der Organisation immer mitgedacht wird.

Der Kriterienkatalog wurde anschließend einem Pretest unterzogen. Beteiligt wurden Akteure, die an der Planung oder Durchführung von elf unterschiedlichen Einzelprojekten in Kindergärten, Schulen und im Stadtteil beteiligt sind, sowie Verantwortliche beziehungsweise Förderer verschiedener Projektverbünde, die bundesweit Maßnahmen der Gesundheitsförderung anbieten. Alle Tester bescheinigten den Qualitätskriterien ihre Praxistauglichkeit und betonten ihre Bedeutung für die tägliche Arbeit. Die wertvollen Anregungen und Anmerkungen aus der Praxis wurden eingearbeitet.

Abschließend wurden die erfolgreich getesteten Qualitätskriterien mit einschlägigen Experten (Übersicht  2) intensiv diskutiert, überarbeitet und verabschiedet. Mit dem Expertenkonsens im Juli 2010 verfügen die hier vorgestellten Kriterien über die derzeit beste verfügbare Evidenz, den Evidenzgrad IV (Evidenz aufgrund von Berichten der Expertenausschüsse oder Expertenmeinungen und/oder klinischer Erfahrungen anerkannter Autoritäten) [24].

Methodik der Kriterienzusammenstellung und -bearbeitung

Als Basis für die Qualitätskriterien dienten Qualitätssicherungssysteme, die derzeit für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention eingesetzt werden. Dazu gehören das Qualitätsinformationssystem für Prävention und Gesundheitsförderung (QIP) der BZgA/UKE [25], Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten [20], European Quality Instrument for Health Promotion, EQUIHP [26], sowie quint-essenz [27].

Da die vorliegenden Qualitätskriterien nicht nur für Maßnahmen der Gesundheitsförderung, sondern auch für die der Adipositasprävention gelten sollen, wurden bei deren Erarbeitung auch die für diesen Bereich relevanten Aspekte berücksichtigt. Dies erfolgte durch eine Literaturrecherche, die das Ziel hatte, Erfolgsprädiktoren für primärpräventive Maßnahmen für Kinder und Jugendliche zu identifizieren. Es wurden aktuelle Metaanalysen und Übersichtsarbeiten [2, 29] sowie die HTA-Analyse [30] berücksichtigt. Aus den Übersichtsarbeiten, Metaanalysen und Reviews konnten keine eindeutigen Kriterien für dauerhafte Effekte der Adipositasprävention abgeleitet werden. Empfehlungen mit „proven evidence“ dazu, welche Art der Maßnahme für welche Zielgruppe im Hinblick auf die Übergewichts- oder Adipositasprävention am wirkungsvollsten ist, können aufgrund der heterogenen Studien nicht gegeben werden. Aus diesem Grund wurde beschlossen, Empfehlungen auf Basis der besten verfügbaren Evidenz (best evidence available) zu formulieren und diese anschließend mit dem Expertenkreis abzustimmen. Dieses Vorgehen entspricht den Empfehlungen der Autoren der HTA-Analyse. Um zukünftig besser Erfolgsprädiktoren formulieren zu können, sollen Maßnahmen nach heute bester verfügbarer Evidenz gut vorbereitet, entsprechend durchgeführt und systematisch dokumentiert werden.

Um zu Kriterien mit „promising evidence“ für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen zu kommen, wurde eine weitere Literaturrecherche durchgeführt, die die Einflussfaktoren auf Übergewicht und Adipositas im Blick hatte. Dabei wurden Beobachtungsstudien, Gesundheitsberichterstattungen sowie Leitlinien und Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften berücksichtigt.

Die Qualitätskriterien basieren somit auf den Qualitätsdimensionen der aktuellen Qualitätssicherungssysteme; die Kriterien zur inhaltlichen Ausrichtung der Maßnahmen setzen bei Faktoren an, die die Gewichtsentwicklung beeinflussen können.

Aufbereitung der Qualitätskriterien als Fachheft

Das von der Arbeitsgruppe erarbeitete Papier wird in der Fachheftreihe der BZgA „Gesundheitsförderung konkret“ erscheinen. Das Fachheft wird einen ausführlichen einführenden Text mit aktuellen Daten zu Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen sowie Grundlagen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht enthalten. Es werden laufende internationale und nationale Strategien zur Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen sowie der Stand der Forschung zur Wirksamkeit von Maßnahmen vorgestellt. Die Faktoren, die das Körpergewicht beeinflussen (Ernährung, körperliche Aktivität, Stress und psychische Gesundheit sowie der Konsum elektronischer Medien), werden einen wichtigen Platz einnehmen, da diese die inhaltlichen Bausteine von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention darstellen.

Nach dem einleitenden Teil werden die Qualitätskriterien in Form einer Checkliste dargestellt (Tab. 1). Im Anschluss daran folgt ein Kapitel, in dem jedes Kriterium erläutert wird. Jedem Kriterium sind Reflexionsfragen angefügt, die dem Praktiker helfen, seine Aktivitäten systematisch zu überdenken.

Tab. 1 Checkliste der Qualitätskriterien für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen

Das Fachheft kann voraussichtlich Anfang 2011 über die Internetseite www.bzga.de eingesehen und bestellt werden.

Qualitätsorientierter Ablauf einer Maßnahme

Die Qualitätskriterien orientieren sich in ihrem Aufbau am Public Health Action Cycle [31, 32] und folgen damit einem systematischen Verlauf einer Maßnahme (Abb. 1). Durch dieses Vorgehen werden alle wichtigen Schritte – von der Planung über Durchführung bis hin zur Verstetigung einer Maßnahme – berücksichtigt.

Abb. 1
figure 1

Gesamtverlauf von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen (Arbeitsgruppe der BZgA: M. Cremer, C. Goldapp, C. Graf, D. Grünewald-Funk, R. Mann, U. Ungerer-Röhrich, C. Willhöft)

Gemeinsames Verständnis entwickeln

Die Verständigung über Gesundheit, Gesundheitsförderung und einen gesunden Lebensstil ist eine Grundvoraussetzung für das Gelingen einer Maßnahme. Die Beteiligung aller für die Maßnahme wichtigen Personen (sowohl Multiplikatoren als auch die Zielgruppen) bereits in dieser Phase stellt sicher, dass alle die gleichen Werte, Einstellungen und Vorstellungen über das gemeinsame Vorhaben haben. Ein gemeinsames Verständnis ist besonders in Bezug auf das Körpergewicht bedeutsam. Viele Vorurteile führen dazu, dass Menschen mit Übergewicht häufig negativ begegnet wird. Und das gilt bereits für Kinder und Jugendliche. Um dem entgegenzuwirken, ist eine positive Grundhaltung allen Menschen gegenüber – ob mit Unter-, Normal- oder Übergewicht – wichtig. Dem Grundgedanken der Salutogenese [33] folgend, ist der Blick darauf zu richten, was den Menschen gesund erhält, welche Schutzfaktoren dazu notwendig sind und wie diese gefördert werden können.

Bedarf und Bestand ermitteln

Die Gesundheit zu fördern ist für alle Kinder und Jugendlichen wichtig. Diese wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die je nach Lebensbedingungen unterschiedliche Rollen spielen. Die Bedarfsermittlung wird für alle Formen der Gesundheitsförderung gefordert, unabhängig von der Zielsetzung. Bei Maßnahmen, die die Förderung einer normalen Gewichtsentwicklung anstreben, ist der Fokus auf die Faktoren zu richten, die das Körpergewicht beeinflussen. Dazu gehören Ernährung, körperliche Aktivität, psychische Belastungen, Medienverhalten sowie das Rauchen/Nichtrauchen in der Schwangerschaft. Vor Beginn jeder Maßnahme ist zu prüfen, für welche Zielgruppe welche Aspekte der Gesundheit besonders relevant sind. Eine beeinträchtigte motorische Entwicklung von Kindern in einer Region kann beispielsweise auf den Bedarf an besseren Bewegungsräumen hinweisen. In einer anderen Region oder Organisation kann dagegen eher die Verbesserung der Schulverpflegung erforderlich sein. Die für die Ermittlung des Bedarfs erforderlichen Daten und Informationen können über das örtliche Gesundheitsamt, die Krankenkasse oder einen Erfahrungsaustausch zwischen relevanten Akteuren beziehungsweise im Austausch mit der Zielgruppe eingeholt werden.

Die Bestandsermittlung betrifft die gesundheitsförderlichen Strukturen in der Einrichtung beziehungsweise in der Region. Im Sinne eines ökonomischen Ressourceneinsatzes bedeutet das, auf erfolgreichen bereits bestehenden Aktivitäten aufzubauen oder den Fokus auf Bereiche zu legen, in denen Lücken bestehen. Doppelstrukturen sollten vermieden werden.

Zielgruppe bestimmen und Ziele setzen

Die Bestimmung der Personengruppe(n), an die sich eine Maßnahme, ein Kurs oder eine Kampagne richtet, sowie die Festlegung dessen, was erreicht werden soll, gehören zum Kernstück des Qualitätssicherungsprozesses in der Gesundheitsförderung und Prävention. Geht es um die Gewichtsentwicklung von Kindern und Jugendlichen, so sind unterschiedliche Zielgruppen denkbar. Maßnahmen können sich direkt an diese Zielgruppe richten, es kann aber auch sinnvoll sein, das soziale Umfeld wie Familie, Betreuungspersonen oder auch Peers anzusprechen. Viele Studien sprechen dafür, dass das Gesundheitsverhalten am stärksten von der Familie geprägt wird [34]. Dieser Einfluss beginnt mit dem Ernährungszustand der Mutter sowie der Gewichtszunahme während der Schwangerschaft [35, 36, 37] und bleibt über das Säuglings-, Kindes- und Jugendalter bestehen. Dies betrifft das Ernährungs-, Bewegungs- und Medienverhalten auf der einen sowie das Familienklima durch emotionale Unterstützung, Ermutigung und Bestärkung und Akzeptanz auf der anderen Seite [38, 39, 40]. Mit zunehmendem Lebensalter gewinnt der Lebensstil der gleichaltrigen Freunde (Peers) immer mehr an Bedeutung [41], sodass diese auch eine Zielgruppe von Maßnahmen sein können, zum Beispiel über den sogenannten „Peer-Education-Ansatz“.

Bei der Festlegung der Zielgruppe ist es von Bedeutung, ihre Besonderheiten im Blick zu haben. Geschlecht, Alter, religiöse Orientierung, ethnisch-kulturelle Merkmale sowie Sozialstatus bestimmen die gesundheitsrelevanten Werte, Einstellungen, Erfahrungen und Verhalten und können damit die Effekte von Maßnahmen beeinflussen. Da Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatuts sowie Kinder mit Migrationshintergrund häufiger übergewichtig sind, gilt es, die Zugangs- und Vermittlungswege so zu gestalten, dass diese Zielgruppen teilnehmen und profitieren können.

Eine „Methode“, die Bedürfnisse der Zielgruppen nicht aus den Augen zu verlieren, ist Partizipation, das heißt ihre Beteiligung an der Planung und Durchführung einer Maßnahme. Je stärker die Zielgruppe einbezogen wird, desto höher ist die Chance, dass sie die Maßnahme akzeptiert.

Die Formulierung von (übergeordneten) Haupt- und Teilzielen ist für jede Maßnahme von entscheidender Bedeutung. Zum einen, weil sie die Grundlage für die konkreten Maßnahmeschritte darstellen, zum anderen weil sie Voraussetzung für einen Wirkungsnachweis (Zielerreichung) sind. Eine „SMARTe“-Formulierung ist dabei von Vorteil: Das heißt, Ziele sollten: s = spezifisch, m = messbar, a = anspruchsvoll, r = realistisch und t = terminiert sein. Für Maßnahmen zur Primärprävention von Übergewicht sind die Ziele in den das Körpergewicht beeinflussenden Bereichen zu definieren. Dazu gehören die Unterstützung eines gesundheitsfördernden Ernährungsverhaltens, das Stillen im ersten Lebenshalbjahr, Förderung der körperlichen Aktivität, kontrollierte Mediennutzung, Umgang mit Stress und Nichtrauchen in der Schwangerschaft sowie die Schaffung jeweils entsprechender Rahmenbedingungen.

Konzept erstellen

Ein Konzept enthält in schriftlicher Form alle wichtigen Aspekte, die bereits in der Planungsphase bedacht waren. Dazu gehören die Ausgangslage und der Bedarf, die Zielgruppe und ihre Besonderheiten, Ziele und Teilziele mit Prioritätensetzung, inhaltliche Bausteine der Maßnahme (zum Beispiel Stillen, Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung/Entspannung), Beschreibung der Maßnahme, Gestaltung der Abläufe (Projektplan), erforderliche Rahmenbedingungen (Materialien, Räumlichkeiten, Personal, Zeitbedarf, finanzielle Mittel), notwendige beziehungsweise mögliche Strukturen (Kooperationen und Vernetzungen mit anderen Akteuren vor Ort), Dokumentations- und Evaluationsschritte, Darstellung der Verstetigungsstrategie. Die Verschriftlichung hilft, bereits im Vorfeld alle Aspekte zu bedenken. Sie macht die Maßnahme für alle beteiligten Akteure verbindlich und für Geldgeber beziehungsweise Förderer transparent.

Maßnahme in die Praxis umsetzen

Bei der Umsetzung des Maßnahmenkonzeptes sollte darauf geachtet werden, Nebenwirkungen sowie Stigmatisierungen zu vermeiden. Zu potenziellen Nebenwirkungen von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht können Störungen des Körperbildes, gestörtes Essverhalten, Untergewicht oder Verstärkung von Übergewicht et cetera gehören [42, 43]. Menschen mit Übergewicht werden häufig diskriminiert. Studien zeigen, dass die negative Bewertung von Übergewicht die Selbstwahrnehmung des eigenen Gewichtes so beeinflussen kann, dass selbst normalgewichtige Kinder und Jugendliche sich für zu dick halten, was deren Lebensqualität und das Selbstwertgefühl stark mindern kann [3]. Um das zu vermeiden, sollten Präventionsprogramme das Übergewicht nicht zum Hauptthema machen, sondern die Fähigkeiten und die Stärken der Zielgruppen in den Vordergrund stellen.

Der Lebensstil der Kinder wird zu einem großen Teil von äußeren Verhältnissen beeinflusst – von der Familie, dem Stadtteil, dem Kindergarten, der Schule oder dem Sportverein. Die dort herrschenden Rahmenbedingungen, zum Beispiel das Vorhandensein von Bewegungsmöglichkeiten oder eines guten und regelmäßigen Verpflegungsangebots, prägen das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der dort lebenden Menschen. In Deutschland herrschen zurzeit Rahmenbedingungen, die das Übergewicht begünstigen: Auf der einen Seite stehen immer und überall Nahrungsmittel zur Verfügung, auf der anderen Seite ist der Medienkonsum hoch, und die zunehmende Technisierung macht körperliche Bewegung immer weniger notwendig. Untersuchungen zeigen, dass Maßnahmen, die auf das Umfeld, also auf die Verhältnisse, in denen die Menschen leben, abzielen, besonders nachhaltig sind [44, 45]. Daher sollen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen immer auch einen verhältnispräventiven Ansatz verfolgen [21].

Um die Bereitschaft zur Teilnahme an einer Maßnahme zu erleichtern, ist darauf zu achten, den Zugang sowie die Ansprache möglichst an den Bedürfnissen der Zielgruppe zu gestalten. Richtet sich eine Maßnahme an Kinder oder Familien mit niedrigem sozialem Status oder mit Migrationshintergrund sind niederschwellige Angebote, zum Beispiel eine aufsuchende Gesundheitsförderung, unabdingbar. Eine rein kognitive Wissensvermittlung ist besonders bei Kindern und Jugendlichen wenig effektiv. Ein positiver Tenor, Spaß und Zufriedenheit sollten daher sowohl bei der Vermittlung von Ernährungskompetenzen als auch in Bewegungsprogrammen im Vordergrund stehen [46, 47].

Im Mittelpunkt des pädagogischen Konzeptes stehen das Wissen und der Glaube an die Fähigkeit, selbstbestimmt und selbstverantwortlich sein Leben zu gestalten. Dies verbessert die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen, sich gesundheitsbewusst zu verhalten (Empowerment). Dazu darf die Maßnahme nicht an den Defiziten, sondern sollte an den bereits vorhandenen Kenntnissen, Kompetenzen, familiären und sozialen Beziehungen der Zielgruppen – ihren personellen, familiären und sozialen Ressourcen – ansetzen [48]. Daten zeigen, dass die Schutzfaktoren bei adipösen Jugendlichen signifikant geringer ausgeprägt sind als bei normalgewichtigen Gleichaltrigen [49].

Für eine erfolgreiche Umsetzung einer Maßnahme sollte ausreichend Personal zur Verfügung stehen. Auch andere Mitwirkende aus dem Umfeld der Maßnahme können und sollten einbezogen werden, um deren Zielgruppen ohne unnötigen Zeitdruck und in wertschätzender Atmosphäre zu begegnen. Dabei ist es von Vorteil, wenn die Aufgaben und die Zuständigkeiten klar definiert sind. Die Qualifikation des Personals sollte sich an den Zielen, an den Zielgruppen und dem Setting der Maßnahme ausrichten.

Ein weiteres wichtiges qualitätssicherndes Merkmal gesundheitsfördernder und präventiver Projekte sind gute strukturelle und organisatorische Rahmenbedingungen. Das Vorhandensein von Räumlichkeiten, Zeit und Materialien, die gut zum Vorhaben passen, ist eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung und das Gelingen der Maßnahme. Maßnahmen, die den gesunden Lebensstil fördern, erfordern entsprechende Rahmenbedingungen in den Themenfeldern Ernährung (zum Beispiel Kochgeräte), Bewegung (zum Beispiel Sportplätze, Freizeiteinrichtungen), Stressregulation (zum Beispiel Rückzugsmöglichkeiten oder Körperwahrnehmungsübungen).

Gute Maßnahmen sind immer mit einem Kostenaufwand verbunden – für Personal, für Sachmittel oder für Betriebskosten. Dafür müssen finanzielle Mittel geplant und sichergestellt werden. Ein schriftlicher Finanzierungsplan macht sowohl für die Initiatoren als auch für potenzielle Geldgeber den finanziellen Aufwand transparent und sichert so die Nachhaltigkeit einer Maßnahme.

Maßnahme dokumentieren, bewerten und reflektieren (Evaluieren)

Für die Nachhaltigkeit und damit auch für die Qualität jeder Maßnahme der Gesundheitsförderung und Primärprävention unerlässlich sind Dokumentation und Evaluation. Neben dem Festhalten aller Maßnahmenschritte, der verwendeten Methoden sowie der unerwarteten Ereignisse (Prozessdokumentation) ist auch die Dokumentation der Wirkungen der Maßnahme (Ergebnisdokumentation) erforderlich. Die Evaluation, also die Auswertung und Bewertung der erhobenen Daten, ist der nächste notwendige Schritt. Hier werden die angestrebten Ziele den Ergebnissen der Maßnahme gegenübergestellt, kritisch betrachtet und bewertet. Mithilfe der Evaluation werden nicht nur Stärken und Schwächen einer Maßnahme sichtbar, sie dient auch dazu, Prozesse und Abläufe in Organisationen zu optimieren. Für die meisten Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention ist der Nachweis ihrer Wirksamkeit schwierig. Daher sollten, um künftig leichter zu Modellen guter (und erfolgreicher) Praxis zu kommen, die Erfahrungen dokumentiert und ausgewertet werden.

Bei der Bewertung einer Maßnahme ist es wichtig, den finanziellen, personellen und zeitlichen Aufwand den erreichten Ziele gegenüberzustellen. Immer knapper werdende finanzielle Ressourcen machen diesen Schritt erforderlich.

Erfolgreiche Maßnahmen fortführen und verstetigen

Eine gute Möglichkeit, um mit Ressourcen ökonomisch umzugehen, ist die Pflege der Beziehungen zu Kooperationspartnern in der Kommune, in den Bildungseinrichtungen oder in Sportvereinen. Vernetzungen ermöglichen einen wertvollen Erfahrungsaustausch, führen zu Synergieeffekten und können damit die Effizienz von Maßnahmen erhöhen [50]. Dies erhöht nicht nur die Akzeptanz, sondern auch die Reichweite der Maßnahme.

Fazit

Die hier vorgestellten Kriterien sollen die Qualität einer Maßnahme von der Planung über die Durchführung bis zur Verstetigung sichern. Die Qualitätskriterien ermöglichen es Maßnahmenplanern und -anbietern sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, qualitativ hochwertige Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Die Kostenträger können sicher sein, dass ihre Mittel sinnvoll eingesetzt werden, und die Bevölkerung profitiert von einer Verbesserung der gesundheitlichen Situation und einer höheren Lebensqualität. Voraussetzung dafür ist, dass die Akteure die Qualitätskriterien systematisch und wiederkehrend auf die jeweilige Maßnahme anwenden. Dabei sollte die sukzessive Erfüllung aller Kriterien angestrebt werden.

Um das Instrument bei den Akteuren bekannt zu machen, wird es den Vertreterinnen und Vertretern von Berufsverbänden, Krankenkassen, wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Organisationen, deren Mitglieder zu den potenziellen Nutzern der Kriterien gehören, vorgestellt. Dies erfolgt in Fachgesprächen, Publikationen sowie Kongresspräsentationen. Darüber hinaus wird für Multiplikatoren, die gesundheitsfördernde und präventive Maßnahmen vorn Ort umsetzen, zum Beispiel für pädagogische Kräfte im Kindergarten oder Übungsleiterinnen und Übungsleiter im Sportverein eine anwenderorientierte Ausgabe der Kriterien vorbereitet. Hier wird die praktische Umsetzbarkeit der Kriterien im Vordergrund stehen, was unter anderem durch konkrete Beispiele, leicht verständliche Sprache und eine klare Gestaltung erreicht werden soll. Die Planung weiterer Schritte wie die Dokumentation und Evaluation der Anwendung und der Wirkung dieses Instrumentes ist vorgesehen.

Aber auch die politischen Entscheidungsträger sind gefordert. Sie müssen im Rahmen ihrer Entscheidungskompetenzen für eine größtmögliche Verbindlichkeit der Qualität bei den von ihnen gesteuerten politischen Prozessen sorgen, aber natürlich auch bei den selbst initiierten und verantworteten Maßnahmen und Kampagnen.

Das hier vorgestellte Instrument muss selbstverständlich in einem dynamischen Prozess immer weiter entwickelt werden. Neue Erkenntnisse zur Qualität und Wirksamkeit von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen müssen in die Weiterentwicklung der Kriterien einmünden. Voraussetzung dafür sind die systematische Dokumentation und Evaluation sowie größtmögliche Transparenz von durchgeführten Maßnahmen, wozu hier ausdrücklich aufgefordert wird.