Zum Umgang mit dem Ende des menschlichen Lebens sind unterschiedliche Handlungskonstellationen zu durchdenken, die aus den verschiedenen Formen von Sterbehilfe und Sterbebegleitung resultieren. Am 18.6.2009 hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschlossen, das speziell Patientenverfügungen betrifft. Als normative Grundlage des Gesetzes ist die Patientenautonomie beziehungsweise das Grundrecht jedes Einzelnen auf Freiheit und Selbstbestimmung maßgebend. Seit 2009 wird durch dieses Gesetz abgesichert, dass Erwachsene im Blick auf eine künftige Krankheit und das Sterben weitreichende Vorausverfügungen verfassen können. Für den Fall, einmal nicht mehr äußerungsfähig zu sein, können sie Behandlungsbegrenzungen, das Unterlassen von Weiterbehandlungen oder die Nichtaufnahme zusätzlicher medizinischer Interventionen verfügen sowie einen persönlichen Bevollmächtigten ernennen.

Das Gesetz erzeugt freilich auch Umsetzungs- und Anschlussfragen. Hierzu gehört ein Punkt, der in der Bundesrepublik Deutschland bislang wenig beachtet wurde. Im österreichischen Patientenverfügungsgesetz von 2006 wurde der Logik des Selbstbestimmungsrechtes gemäß festgelegt, dass man mit einer Patientenverfügung ebenfalls notfallmedizinische Reanimationen ausschließen kann. Im deutschen Gesetz fehlt hierzu die explizite Regelung, die das österreichische Gesetz in § 12 enthält. Zu einem anderen Einzelpunkt hat am 25.6.2010 nun der Bundesgerichtshof eine Klarstellung vorgenommen (Az.: 2 StR 454/09): Das Selbstbestimmungsrecht eines Patienten ist verbindlich, auch wenn es beim apallischen Syndrom um die Beendigung der künstlichen Lebensverlängerung durch „aktives Tun“ geht. Aufgrund des Patientenwillens ist ein aktives Handeln Dritter – in dem vor dem Bundesgerichtshof verhandelten Fall: das Durchtrennen des Schlauches der PEG-Sonde – zulässig und darf von der Pflegeeinrichtung nicht verhindert werden. Implizit hat der Bundesgerichtshof hiermit zugleich geklärt, dass auch katholisch getragene Pflegeeinrichtungen an den Patientenwillen gebunden sind. Sie werden künftig endgültig nicht mehr geltend machen können, dass die offizielle römisch-katholische Morallehre im Fall des apallischen Syndroms den Behandlungsabbruch ablehnt. Ethisch und rechtlich besitzt das persönliche Selbstbestimmungsrecht des Patienten den Vorrang vor der korporativen Religionsfreiheit, auf die sich katholische Institutionen berufen haben, wenn sie entsprechende Patientenverfügungen beiseite schoben (ausführlicher zu diesem Problem: [1], S. 263 ff).

Sedierung am Lebensende

Zu den Handlungsoptionen, die der Medizin angesichts des Lebensendes zur Verfügung stehen, gehört inzwischen ebenfalls die palliative Sedierung. In Kliniken und Pflegeeinrichtungen wird sie zunehmend eingesetzt, wohingegen sie in der Öffentlichkeit immer noch zu wenig bekannt ist. Bei diesem Verfahren werden Erkenntnisse der Palliativmedizin und der Schmerztherapie genutzt, um einen Patienten vor unerträglich gewordenem Leiden abzuschirmen und ihn schmerz- und symptomkontrolliert in den Tod gleiten zu lassen. Dies erfolgt allerdings um den Preis der Ausschaltung seines Bewusstseins und der Beendigung jeder Kommunikation. In den USA hatte man schon in den 1990er-Jahren über die palliative beziehungsweise die terminale oder finale Sedierung diskutiert. Eine Schwierigkeit besteht darin, wie sich dieses Verfahren von der Tötung auf Verlangen, die in Deutschland durch § 216 StGB strafrechtlich verboten ist, und vom ärztlich assistierten Suizid abgrenzen lässt. Im angloamerikanischen Schrifttum wurde die „terminal sedation“ dem „medical assisted suicide“ zugeordnet und der Einwand erhoben, sie sei missbrauchsanfälliger als die Suizidbeihilfe, weil die Gefahr bestehe, dass sie ohne vorherige Einwilligung des Patienten in Gang gebracht wird. Überdies beeinträchtige sie die eigenverantwortliche Kontrolle des Betroffenen über sein Sterben, sodass sie die Menschenwürde des Sterbenden bedrohen könne ([2], S. 111 f).

Angesichts derart gravierender Bedenken ist es unerlässlich, für eine medizinethisch vertretbare Anwendung der palliativen Sedierung tragfähige Kriterien zu entwickeln. Im Jahr 2009 legte nun die European Association for Palliative Care (EAPC) Rahmenrichtlinien vor [3]; die deutsche Fassung wurde 2010 publiziert [4]. Darüber hinaus wurden 2010 Empfehlungen veröffentlicht, die von der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft „Ethik am Lebensende“ in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) stammen [5]. Die Empfehlungen der AEM-Arbeitsgemeinschaft bilden nachfolgend den Bezugspunkt. Die Überschrift, unter die sie gestellt wurden – „Sedierung am Lebensende“ –, ist treffsicherer als der in Deutschland übliche Terminus „palliative Sedierung“. Sie setzen sich damit auseinander, dass eine am Lebensende durchgeführte Sedierung in manchem mit dem ärztlich assistierten Suizid und der Tötung auf Verlangen vergleichbar ist. Daher klären sie, worin die Unterscheidungsmerkmale bestehen und wie es sich verhindern lässt, dass unter dem Vorwand einer Sedierung in verdeckter Form aktive Sterbehilfe durchgeführt wird. Entscheidend sei jeweils das intendierte Handlungsziel. Bei der Sedierung dürfe dies „nur eine Linderung der Symptome, nicht aber eine Beschleunigung des Sterbens“ sein ([5], S. 141).

Darüber hinaus legen die Empfehlungen dar, wann eine Sedierung überhaupt infrage kommt: therapieresistente körperliche Symptome, zum Beispiel extreme, nicht linderbare Schmerzzustände, schwere Atemnot, Übelkeit; unter Umständen auch psychiatrische oder psychische Symptome, etwa Unruhezustände, Delir, existenzielles Leid. Wichtig ist, dass eine Sedierung erst als Ultima Ratio in Betracht gezogen werden darf, nachdem alle sonstigen Maßnahmen ausgeschöpft sind und lebenserhaltende Therapien nicht mehr möglich beziehungsweise nicht mehr indiziert sind, weil sie das Leiden und Sterben des Patienten nur verlängern würden.

Die Empfehlungen bezeichnen die Leidenslinderung als das „Therapieziel“, das durch die Sedierung zu erreichen sei. Damit folgen sie einem inzwischen eingebürgerten, auch von der Bundesärztekammer verwendeten Sprachgebrauch: Sofern eine Lebensverlängerung sinnlos geworden sei, dürfe ein Arzt auf kurative Maßnahmen verzichten, stattdessen passive Sterbehilfe praktizieren, den Patienten also sterben lassen und hierdurch eine „Änderung des Therapieziels“ vornehmen [6]. Sachgemäßer und weniger missverständlich ist es freilich, in diesem Zusammenhang gar nicht mehr von „Therapie“, sondern neutral von „Behandlung“ zu sprechen. Denn unter „Therapie“ versteht man seit der Antike die „Heilung“, das „Heilverfahren“ [7]. Eine gesundheitliche Stabilisierung oder Heilung ist in der Nähe zum Tod jedoch nicht mehr möglich. Die Sedierung kommt gerade dann in Betracht, wenn „Therapieresistenz“ beziehungsweise „therapierefraktäre“ Symptome vorliegen ([5], S. 140, vgl. [3], S. 586; [4], S. 117). Es würde der Klarheit dienen, wenn die Begriffe „Therapie/Therapieziel“ für den Behandlungsabbruch und für die Sedierung am Lebensende künftig vermieden würden.

Medizinische und ethische Gesichtspunkte

Hiervon abgesehen, enthalten die Empfehlungen wichtige Klarstellungen. Sie nennen zwei Sedierungsstufen: Maßnahmen der Sedierung, die reversibel sind, sodass der Patient wieder zum Bewusstsein gelangt (Stufe I); die tiefe kontinuierliche Sedierung, die gewollt irreversibel ist und andauert, bis der Tod eingetreten ist (Stufe II). Auf lebenserhaltende oder -verlängernde Begleitmaßnahmen wird bei Stufe II verzichtet, da sie den Sterbeprozess verlängern würden. Die Empfehlungen zählen technische Qualitätskriterien der Sedierung auf und betonen die Notwendigkeit der Schulung des Personals. Zusätzlich hätten sie noch explizit auf die Dokumentationspflichten des Arztes hinweisen sollen.

Wegweisend sind die Empfehlungen darin, dass sie psychosoziale und zwischenmenschliche Aspekte der Sedierungsentscheidung und des Sedierungsvorgangs thematisieren. Die Entscheidung, eine Sedierung vorzunehmen, braucht in aller Regel nicht kurzfristig und eilig getroffen zu werden. Nur in Ausnahmefällen – zum Beispiel terminale, unstillbare Blutungen aus der Lunge, nicht mehr beeinflussbare Erstickungszustände – kann es gerechtfertigt sein, eine Sedierung kurzfristig einzuleiten. Weil eine Sedierung auch für die Angehörigen sehr belastend ist, sollten diese in den ärztlich-pflegerischen Entscheidungsprozess, der zur Sedierung führt, frühzeitig einbezogen werden. Mit ihnen sollte schon im Vorhinein besprochen werden, was die Sedierung für sie selbst bedeutet, zum Beispiel dass mit dem Sedierten keine Kommunikation mehr möglich ist und dass ein vorweggenommener, vorverlegter Abschied ratsam ist, bevor der Patient in die Bewusstlosigkeit gleitet. Nach seinem endgültigen Tod sollte ihnen eine Nachbesprechung und Begleitung angeboten werden.

So sehr zu betonen ist, dass Angehörige in die Entscheidungsabläufe einzubinden sind, muss andererseits jedoch das Selbstbestimmungsrecht des betroffenen Patienten selbst in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Arbeitsgemeinschaft der AEM greift dies auf, indem sie festhält, die Entscheidung eines Arztes für oder auch gegen eine Sedierung habe „orientiert an Indikationsstellung und Patientenwillen“ zu erfolgen. Sofern ein Patient aufgrund seines Krankheitszustandes nicht mehr entscheidungsfähig sei, könne eine Patientenverfügung für den Arzt „eine große Entscheidungshilfe darstellen“ ([5], S. 146, 147). Vor allem die letztere Formulierung ist allerdings zu vage und zu schwach ausgefallen. Wie eingangs erwähnt wurde, haben der Gesetzgeber und höchste Gerichte inzwischen klargestellt, dass präzis formulierte Patientenverfügungen verbindlich sind. Sogar der sogenannte mutmaßliche Wille, der nicht schriftlich dokumentiert wurde, ist unhintergehbar. Dass es bei der Sedierung am Lebensende auf den Patientenwillen ankommt, hat die europäische Rahmenrichtlinie nachdrücklicher hervorgehoben, als es in den Empfehlungen der AEM-Arbeitsgruppe der Fall ist. Die europäische Richtlinie nennt präzise Einzelkriterien, die der Wahrung des Patientenwillens zugutekommen sollen, und unterstreicht angesichts von Patienten, die nicht mehr entscheidungsfähig sind, zu Recht die Verbindlichkeit ihrer Patientenverfügung ([4], S. 115–116).

Gesellschaftliche Auswirkungen des Angebots der Sedierung

Beachtung verdienen die Denkanstöße, die die Arbeitsgruppe der AEM unter der Überschrift „Gesellschaftlicher Kontext“ vorträgt. Es geht hier erneut um das Missbrauchspotenzial, das sich mit der Sedierung verknüpft. Abgesehen davon, dass einer verdeckt praktizierten aktiven Euthanasie Vorschub geleistet werden könne, sei vorstellbar, dass auf Dauer ein überzogenes Bedürfnis nach prinzipieller Leidfreiheit des Sterbeprozesses entsteht und Patienten die Last, das Sterben zu bewältigen, auf ihre Ärzte überwälzen. Patienten könnten zur verstärkten Nachfrage nach einem „schmerzlosen Sterben im Schlaf“ verleitet werden. Nochmals zugespitzt: „Möglicherweise wird sogar ein vermeintlicher Rechtsanspruch erhoben, in suizidaler Absicht unter Sedierung die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit einstellen zu können“ ([5], S. 145).

Der zitierte Satz berührt eine sehr sensible Problematik. Zu ihr ist zunächst hervorzuheben: Auf eine wirksame Schmerztherapie haben schwerkranke und sterbende Patienten nicht nur moralisch, sondern sogar rechtlich einen Anspruch. Juristisch resultiert dies aus dem Behandlungsvertrag und aus den Behandlungspflichten, die der Arzt dem Stand des medizinischen Wissens gemäß zu erfüllen hat [8]. Verfassungsrechtlich und ethisch ist überdies das Recht des Patienten auf den Schutz seiner Gesundheit und auf angemessene gesundheitliche Versorgung in Anschlag zu bringen. Dies schließt die Schmerztherapie ein ([1], S. 283–286). Allerdings besitzt kein Patient einen Anspruch darauf, dass sein Arzt so weit geht, Beihilfe zum Suizid zu leisten, selbst wenn solche Beihilfe in der Bundesrepublik Deutschland straffrei ist [9]. Erst recht besteht kein Patientenrecht auf Suizidbeihilfe, die der Arzt unter dem Mantel einer terminalen Sedierung verschleiern soll.

Die AEM-Arbeitsgemeinschaft hat wichtige Problemhinweise dieser Art aufgelistet. Sie sollten im Licht der Erfahrungen aufgearbeitet werden, die mit der Sedierung künftig gesammelt werden. Da neue medizinische Angebote stets bestimmte Erwartungen und Bedürfnisse wecken, ist im Auge zu behalten, gegebenenfalls Grenzziehungen zu nennen. Dies gilt auch für die Sedierung am Lebensende.

Interkulturelle Anschlussfragen

Ein zentrales Anliegen der Empfehlungen sind kommunikative Aspekte. In Gesprächen mit dem Sterbenden, aber auch mit seinen Angehörigen soll die Entscheidung zur Sedierung sorgfältig vorbereitet werden. Sobald die Sedierung begonnen hat und die Angehörigen mit den realen Folgen der Entscheidung konfrontiert sind, müssen sie psychosozial begleitet werden. Die Empfehlungen heben überdies den Stellenwert spiritueller, religiös-weltanschaulicher Begleitung hervor.

Über derartige religiös-weltanschauliche Sachverhalte wird in Zukunft noch genauer nachzudenken sein, als es in den vorliegenden Empfehlungen entfaltet werden konnte. Denn in unserer Gesellschaft nimmt der Grad der weltanschaulichen Pluralisierung stetig zu. Der Anteil der Konfessionslosen beträgt zurzeit circa ein Drittel der Bevölkerung. Weil er weiter ansteigt, ist zusätzlich zu den kirchlichen Angeboten künftig die Frage einer weltanschaulich humanistischen Begleitung zu beachten. Zudem ist die religiöse Begleitung sterbender islamischer Patientinnen und Patienten zu erörtern. Da der Islam die Allmacht Gottes und die Ergebung des Menschen in Gottes Willen betont, herrscht bei Muslimen oft große Skepsis, ob eigenständige, selbstbestimmte Entscheidungen über das Ende des Lebens, auch über den Behandlungsabbruch oder den Therapieverzicht religiös überhaupt statthaft sind. Ein Suizid ist für sie absolut untersagt [10]. Dennoch findet es unter Muslimen allmählich Akzeptanz, wenn in Todesnähe passive Sterbehilfe und sogar eine palliative Sedierung praktiziert werden [11]. Konkret kann es für den Patienten und seine Angehörigen hilfreich sein, dass ein religiöses Rechtsgutachten (fatwa) eingeholt wird, welches eine Sedierungsentscheidung religiös absichert. Für Ärzte resultiert hieraus allerdings neuer Klarstellungsbedarf. So darf ein Arzt die Krankheitsinformationen, die für die religiöse Urteilsfindung eines Imam relevant sind, nur mit Zustimmung des Patienten oder seines Stellvertreters weitergeben. Konfliktpotenzial bricht auf, sobald türkischen oder islamischen Traditionen gemäß nicht der Patient, sondern die Familie oder das Familienoberhaupt den Vorrang bei der Entgegennahme ärztlicher Informationen sowie die Letztentscheidung über die „End-of-life issues“ beanspruchen. Dies steht im Gegensatz zur deutschen Rechtslage.

Noch ein weiterer Problempunkt ist zu erwähnen. Er betrifft die religiös-weltanschauliche Einstellung von Ärzten selbst. Pflegende oder Ärzte mit Migrationshintergrund vermögen es aufgrund ihrer kulturellen oder religiösen Überzeugungen möglicherweise nur schwer nachzuvollziehen, dass die inländische Rechtsordnung angesichts des Sterbens die Patientenautonomie und den Patientenwillen in den Mittelpunkt rückt. Bislang ist empirisch weitgehend unerforscht geblieben, wie sich die persönlichen religiösen Überzeugungen von Ärzten auf ihr Verhalten gegenüber Sterbenden, auf ihre Information und Beratung der Patienten und auf ihre medizinischen Behandlungsvorschläge eigentlich auswirken (einige bemerkenswerte Gesichtspunkte hierzu: [12]). Dies berührt dann auch den ärztlichen Umgang mit der Sedierung. Im Fazit ist festzuhalten: Nicht nur zu den medizinischen, sondern auch zu den gesellschaftlichen, psychosozialen, weltanschaulichen und interkulturellen Fragen, die sich mit der Sedierung am Lebensende verbinden, ist weiterer Diskussionsbedarf vorhanden.