National wie international gilt es inzwischen als hinreichend empirisch belegt, dass Menschen mit einem höheren sozioökonomischen Status (das heißt zum Beispiel mit höherer Bildung, höherem beruflichen Status und/oder höherem Einkommen) zumeist länger leben, gesünder sind, sich gesünder verhalten und über Gesundheit und Gesundheitsversorgung besser informiert sind als Menschen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status [1, 2, 3, 4, 5, 6]. In Deutschland wurde bisher jedoch kaum untersucht, ob neben dieser Statuszugehörigkeit auch die Zugehörigkeit zu einer Gesetzlichen (GKV) beziehungsweise Privaten Krankenversicherung (PKV) einen bedeutsamen Einfluss auf den Zugang zur gesundheitlichen Versorgung und auf den Gesundheitszustand hat. Die diesbezüglich vorhandenen Forschungsergebnisse sind zudem sehr verstreut, und ein zusammenfassender Überblick über diese Arbeiten liegt bisher noch nicht vor [7, 8, 9, 10, 11].

Die folgende Arbeit will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Sie beschäftigt sich daher vor allem mit der Frage, ob und in welchem Ausmaß im deutschen Gesundheitswesen größere Ungleichheiten zwischen gesetzlich und privat Versicherten mit Blick auf die Gesundheit und die Gesundheitsversorgung bestehen. Eine wichtige Frage ist dabei, ob auch bei den Kindern PKV- beziehungsweise GKV-versicherter Eltern ein Unterschied in der Gesundheit und Gesundheitsversorgung zu beobachten ist. Sollte dies der Fall sein, bestände ein besonders deutliches Problem bei der Chancengleichheit und Gerechtigkeit, da Kinder nicht zwischen einer PKV- beziehungsweise GKV-Versicherung wählen können (auch bei den Eltern ist eine solche Wahl nur selten möglich [12]).

Bei einem Leistungsvergleich zwischen GKV und PKV ist auch zu bedenken, dass es sich hier um zwei grundlegend unterschiedliche Systeme mit verschiedenen Strukturen und Mechanismen handelt [12, 21]. Diese systemimmanenten Unterschiede müssen daher bei der Diskussion empirisch belegbarer Leistungsunterschiede zwischen GKV und PKV berücksichtigt werden, um eine angemessene Bewertung der Ergebnisse vornehmen zu können. Die wesentlichen Unterschiede zwischen GKV und PKV lassen sich wie folgt zusammenfassen:

GKV:

  • Finanzierung erfolgt solidarisch und einkommensbezogen [12, 16],

  • Kontrahierungszwang für alle sozialversicherungspflichtigen Personen (SGB V) [17],

  • Staat gibt Vorgaben zur Leistungserbringung und zum Leistungskatalog; dann Festlegung der konkreten Leistungen durch die gemeinsame Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen (gemeinsamer Bundesausschuss, g-BA) [16, 17],

  • Überprüfung des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit medizinischer Leistungen durch ein unabhängiges Gremium (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit, IQWiG) [16, 51],

  • medizinische Leistungen müssen das Gebot der Wirtschaftlichkeit (§ 70 1 SGB V) erfüllen [17],

  • ärztliche Vergütung auf Basis von Punktwerten, deren Eurowert jährlich ausgehandelt wird [18].

PKV:

  • auf Gewinn ausgerichtete, privatwirtschaftliche Unternehmen [12],

  • Finanzierung erfolgt risikobezogen [12],

  • Personen über der Sozialversicherungspflichtgrenze können sich privat versichern,

  • Versicherungsunternehmen können Antragsteller aufgrund ihrer gesundheitlichen Risiken ablehnen [17],

  • kaum staatliche Vorgaben bezüglich der zu erbringenden medizinischen Leistungen; keine einheitlichen und transparenten Leistungskataloge [12, 14],

  • ärztliche Vergütung basiert auf Eurobeträgen mit sogenannten Aufschlagsfaktoren [15].

Daneben gilt es zu klären, ob sich GKV- und PKV-Versicherte bereits vor der Nutzung des Gesundheitswesens in ihren Gesundheitschancen und Gesundheitsrisiken bedeutsam voneinander unterscheiden. Es kann vermutet werden, das GKV-Pflichtversicherte – im Gegensatz zu Privatversicherten mit einem Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze – aufgrund ihrer schlechteren sozioökonomischen Stellung auch kränker sind (entsprechend der empirisch häufig belegten Aussage, dass niedriger sozialer Status oft mit erhöhter Morbidität und Mortalität verbunden ist; siehe oben) [1, 2, 3, 4, 5, 6, 21]. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, dann ließe sich daraus folgern, dass die GKV-Versicherten durch umfassendere medizinische und psychosoziale Leistungen die Möglichkeit zur Kompensation ihrer sozioökonomisch bedingten Benachteiligung erhalten sollten [11, 20, 22].

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen systematischen Überblick über den aktuellen Stand der empirischen Forschung zu den Unterschieden zwischen GKV- und PKV-Versicherten hinsichtlich Gesundheit und Gesundheitsversorgung in Deutschland zu geben. Er soll auch verdeutlichen, welche Bereiche bisher noch nicht untersucht worden sind. Ein vergleichbarer Überblick liegt unseres Wissens bisher noch nicht vor.

Methode: Vorgehen bei der Literaturrecherche

Zunächst wurde eine ausführliche Literaturrecherche in den Datenbanken Medline (Literaturdatenbank des deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information; DIMDI) und PubMed durchgeführt. Ziel ist es, einen Überblick über Publikationen zu erhalten, die sich mit der gesundheitlichen Versorgung sowie der Morbidität beziehungsweise dem Gesundheitszustand von gesetzlich im Vergleich zu privat Versicherten in Deutschland auseinandersetzen. Der Begriff „gesundheitliche Versorgung“ umfasst dabei die ambulante und stationäre ärztliche Versorgung (präventive, akute und rehabilitative; alle Facharztgruppen) sowie die Arznei-, Heil- und Hilfsmittelversorgung. Morbidität beschreibt die Krankheitslast der Versicherten und beinhaltet alle akuten und chronischen Erkrankungen. Artikel, die sich mit besonderen Aspekten der gesundheitlichen Versorgung beschäftigen (beispielsweise psychosoziale Versorgung, Patientenzufriedenheit, Gesundheitsverhalten, Wartezeiten), werden ebenfalls in dieser Arbeit berücksichtigt, da diese unter anderem auch als Indikatoren für die Qualität der gesundheitlichen Versorgung herangezogen werden können [31]. Der Versichertenstatus beinhaltet vor allem die Unterscheidung zwischen gesetzlich und privat Versicherten. Studien, die weitere Unterteilungen vorgenommen haben (zum Beispiel in privat Zusatzversicherte, Beihilfeberechtigte, freiwillig Gesetzlich Versicherte, Gesetzlich Pflichtversicherte), werden nach Möglichkeit ebenfalls mit einbezogen.

Es wurden sowohl empirische Arbeiten (das heißt prospektive und retrospektive Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien, Querschnittsstudien, randomisierte Studien) als auch Reviews in die Sammlung aufgenommen. Eine zeitliche Beschränkung mit Blick auf das Publikationsdatum bestand nicht. Die Recherche fand in den Monaten September und Oktober 2009 statt. Die ausgewählten Suchbegriffe wurden nur im Titel und im Abstract der jeweils verzeichneten Publikationen gesucht, da sich die Suche im Volltext als zu undifferenziert herausstellte. Weiterhin mussten die Artikel in deutscher oder englischer Sprache verfasst sein.

Da sich die vorliegende Arbeit mit der versicherungsbedingten Versorgungsungleichheit und Morbidität in Deutschland auseinandersetzt, wurde die Literaturrecherche in der deutschen Datenbank Medline begonnen. Anschließend wurde sie mit den gleichen Suchbegriffen in der amerikanischen Datenbank PubMed weitergeführt. Zur Literatursuche in den beiden Datenbanken wurden beispielsweise folgende Suchbegriffe verwendet (entweder einzeln oder in Kombination): GKV, Private Krankenversicherung, PKV, Gesundheitszustand, gesundheitliche Versorgung (beziehungsweise statutory sickness fund, private health insurance, privately insured, insurance status, health status, health care, Germany).

Die Recherche in beiden Datenbanken ergab insgesamt vier relevante Treffer. Ein Treffer wurde in Medline erzielt. Diese Arbeit war auch in der Datenbank PubMed verzeichnet [36]. Zwei weitere Treffer in Medline mussten aus der Überblicksarbeit ausgeschlossen werden, da sie nur einen sehr kurzen Abriss zum Thema geben und weder in die Kategorie „Review“ eingeordnet werden können noch eine eigenständige empirische Arbeit darstellen [40, 41]. Bei der Literatursuche in PubMed fanden sich insgesamt vier Artikel zum gesuchten Thema. Einer von ihnen wurde auch in Medline gefunden [36].

Da die systematische Recherche in Medline und PubMed insgesamt nur vier Treffer erzielte, erfolgte eine weitere Suche bei folgenden deutschen Instituten, Verbänden und Stiftungen, die sich in der Vergangenheit intensiver mit dem Thema Sozialstatus und Krankenkassenzugehörigkeit in Deutschland beschäftigt haben:

  • Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie der Universität zu Köln (IGKE),

  • Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen,

  • Wissenschaftliches Institut des Verbands privater Krankenversicherungen (WIP),

  • Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdo),

  • „Gesundheitsmonitor“ der Bertelsmann Stiftung,

  • Projekte der GKV, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zur Versorgungsforschung.

In einem weiteren Schritt wurden die Quellenverzeichnisse aller eingeschlossenen Artikel systematisch nach weiteren geeigneten Publikationen durchsucht. Dabei wurden gezielt Veröffentlichungen mit dem Thema „Unterschiede bei Morbidität und in der Gesundheitsversorgung zwischen gesetzlich und privat Versicherten“ ausgewählt.

Ergebnisse der Literatursuche

Wie Tab. 1 zeigt, lieferte die Literaturrecherche insgesamt 18 einschlägige empirische Arbeiten. Davon wurden vier Publikationen über die systematische Suche in den Literaturdatenbanken Medline und PubMed gefunden. 14 weitere Arbeiten konnten erst über die weiterführende Recherche außerhalb der Datenbanken erfasst werden. Der Verbund aus GKV, BMBF sowie BMG zur Versorgungsforschung hat unseres Wissens bisher offenbar keine Projekte zu GKV/PKV-Unterschieden durchgeführt [52, 53]. Ein Review wurde nicht gefunden.

Tab. 1 Übersicht über jeweils zusätzlich gefundene Publikationen

In Tab. 2 werden diese 18 Studien ausführlicher vorgestellt, unterteilt nach folgenden Themen:

  • Arzneimittelversorgung (fünf Studien),

  • Wartezeiten (vier Studien),

  • Vergütungsunterschiede (zwei Studien),

  • Morbidität und spezielle Aspekte der gesundheitlichen Versorgung (sieben Studien).

Tab. 2 Studien über versicherungsbedingte Unterschiede bei der Morbidität und der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland

Die Zuordnung zu einem dieser vier Themenbereiche ist nicht immer ganz trennscharf möglich. In drei Artikeln aus der letzten Gruppe (Morbidität und spezielle Aspekte der gesundheitlichen Versorgung) werden zum Beispiel auch Fragen der Arzneimittelversorgung oder Wartezeiten [35, 37, 38] angesprochen. Die Gruppierung ist jedoch hilfreich für die weitere Diskussion.

Eine detailliertere Betrachtung der Arbeiten zeigt, dass sich lediglich eine empirische Untersuchung auf Kinder bezieht (das heißt auf den Vergleich zwischen Kindern von GKV- beziehungsweise PKV-versicherten Eltern) [25].

Arzneimittelversorgung

In der GKV wurde im Zuge der steigenden Arzneimittelausgaben festgelegt, dass nach Ablauf des Patentschutzes auf neue Medikamente sogenannte „Nachahmerprodukte“ (Generika) hergestellt werden sollten, die die gleichen Wirkstoffe enthalten (das heißt die gleiche Wirkung besitzen) wie das Originalpräparat. Die Generika sollen bei der Verordnung von Arzneimitteln dann den Vorzug vor den (in der Regel teureren) Originalpräparaten erhalten [16]. Diese Regelung gibt es so in der PKV nicht.

Die fünf Studien zur Arzneimittelversorgung wurden zwischen 2004 und 2009 publiziert. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass erst in den letzten Jahren das wissenschaftliche Interesse an diesen Fragestellungen erwacht ist. Lediglich eine Untersuchung (Krobot et al.) wendet ein multivariates Analyseverfahren an, um für mögliche Confounder statistisch zu kontrollieren [23].

Eine deskriptive Verordnungsanalyse (Bessou et al.) [25] untersucht die Häufigkeit von Methylphenidat-Verordnungen bei Kindern und Jugendlichen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in Köln. Die Variable „GKV- beziehungsweise PKV-versicherte Eltern“ wird dabei als Hilfsvariable zur Erfassung des sozioökonomischen Status eingeführt. 23% (n=2729) aller Methylphenidat-Verordnungen erhalten Kinder PKV-versicherter Eltern. Dies deutet auf eine erhöhte Verordnung bei PKV-Versicherten hin, da nur zirka 10% der Bevölkerung in der PKV versichert sind (PKV-Vollversicherte inklusive Beihilfeempfänger; ohne GKV-Versicherte mit privater Zusatzversicherung) [42].

Die einzige retrospektive Kohortenstudie zur Erforschung der Versorgungsungleichheit in Deutschland, verfasst von Krobot et al. [23], beschäftigt sich mit der Wahrscheinlichkeit der Verordnung eines neuen, selektiv wirkenden Migränemittels (Sumatriptan) und vergleicht sie mit der Verordnung herkömmlicher Migränemittel. Nach statistischer Kontrolle weiterer Variablen (inzidente versus prävalente Migränebehandlung, Alter und Geschlecht des Patienten und des Arztes, Facharztgruppe, Art der Praxis, Standort der Praxis in Stadt/Land) ist die Wahrscheinlichkeit, Sumatriptan zu erhalten, für PKV-Versicherte mit einem Odds Ratio von 2,34 (95%-CI: 1,65–3,34) signifikant höher als für GKV-Versicherte. Auch kann gezeigt werden, dass mit zunehmendem Alter die diesbezügliche Ungleichheit zwischen GKV- und PKV-Versicherten deutlich ansteigt und beispielsweise bei einem 40- oder 60-Jährigen statistisch signifikant ist [20-Jähriger: OR=1,1 (95%-CI=0,4–2,9); 40-Jähriger: OR=2,1 (95%-CI=1,4–3,2); 60-Jähriger: OR=4,1 (95%-CI=2,5–6,6)].

Wild (2007) [26] diskutiert die Häufigkeit von Generika-Verordnungen bei GKV- im Vergleich zu PKV-Versicherten. Insgesamt sind bei PKV-Versicherten 41,1% aller Verordnungen Generika, im Vergleich zu 79,7% bei GKV-Versicherten. Die Studie kommt hier also zu einem ähnlichen Ergebnis wie die unten vorgestellte Arbeit von Ziegenhagen et al. [24]. Es gibt jedoch Ausnahmen: Für vier Wirkstoffe kann in der PKV ein höherer Generika-Anteil als in der GKV nachgewiesen werden (Enalapril 98,10% versus 96,80%, Tiaprid 33,87% versus 24,30%, Lamotrigin 24,71% versus 14,20% und Lansoprazol 6,65% versus 0,40%).

Eine weitere Studie von Wild aus dem Jahr 2009 [27] vergleicht die Verordnungen verschiedener Insuline zwischen GKV- und PKV-Versicherten. Es wird zwischen zwei Insulinarten (Humaninsulin versus Insulinanaloga) unterschieden. Da der Preis für Insulinanaloga um bis zu 30% höher ist als für Humaninsulin, sind damit auch ökonomische Fragen direkt angesprochen. Es ist daher interessant, dass in der PKV 56,0% aller Insulinverordnungen auf Insulinanaloga entfallen, während dieser Anteil in der GKV bei nur 33,1% liegt.

Ziegenhagen et al. [24] stellen in einer Studie von 2004 fest, dass PKV-Versicherte einerseits mehr Geld für ihre Arzneimittel bezahlen müssen als GKV-Versicherte (zum Beispiel bei Mitteln gegen Parkinson: zirka 120 versus zirka 60 Euro; bei Antibiotika/Antiinfektiva: zirka 60 versus zirka 30 Euro; jeweils Angabe der durchschnittlichen Kosten je Verordnung). Jedoch erhalten PKV-Versicherte andererseits seltener Arzneimittel-Generika als GKV-Versicherte (zum Beispiel des ACE-Hemmers Enalapril: 24,2 versus 87,8% oder des Betarezeptorenblockers Metoprolol: 15,1 versus 57,5%).

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Alle fünf Studien zur Arzneimittelversorgung [23, 24, 25, 26, 27] zeigen bivariat deutliche Unterschiede zwischen GKV- und PKV-Versicherten. Verglichen mit PKV-Versicherten erhalten GKV-Versicherte demnach häufiger Generika und seltener sogenannte innovative, patentgeschützte, das heißt teurere Arzneimittel. Das einzige multivariate Modell von Krobot et al. [23] bestätigt die bivariat festgestellten Unterschiede für die Verordnung des Arzneistoffes Sumatriptan.

Wartezeiten

Drei der vier Studien [29, 30, 31] zu den Wartezeiten auf einen Arzttermin (beziehungsweise auf einen Termin für eine bestimmte medizinische Maßnahme) wurden zwischen 2007 und 2009 publiziert (die etwas ältere Studie stammt aus dem Jahr 1996 [28]). Wie bereits im vorangehenden Abschnitt angemerkt, zeigt sich auch hier die lange Vernachlässigung des Themas „Unterschiede bei Morbidität und gesundheitlicher Versorgung zwischen GKV- und PKV-Versicherten“ in den Public-Health-Wissenschaften.

Lüngen et al. [30] untersuchten in einer randomisierten Studie den Einfluss des Versichertenstatus (GKV versus PKV) auf die Wartezeit auf fünf ausgewählte medizinische Interventionen (Allergie- und Lungenfunktionstest, Erweiterung der Pupille, Gastroskopie, Hörtest, MRT des Knies) bei den entsprechenden Fachärzten (Allergologe, Ophthalmologe, Gastroenterologe, Otorhinolaryngologe, Radiologe). Die Termine wurden telefonisch vereinbart und jedem Anrufer wurde der Versichertenstatus zufällig zugeteilt. Daher war mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% der Anrufer entweder GKV- oder PKV-Patient. Bei vier von fünf Fachärzten (Ophthalmologe, Gastroenterologe, Otorhinolaryngologe, Radiologe) erhielten PKV-Versicherte signifikant eher einen Termin als GKV-Versicherte. Bei der fünften Arztgruppe (Allergologie) zeigte sich ein ähnlicher, aber statistisch nicht signifikanter Unterschied (p=0,207). Nach statistischer Kontrolle weiterer Variablen (Fachgebiet des Arztes, Art der Intervention) lag die relative Differenz der Wartezeit bei durchschnittlich 3,08 Tagen (95%-CI=1,88–5,04).

Sauerland et al. [31] untersuchten – ebenfalls in einer randomisierten Studie – den Einfluss des Versichertenstatus (GKV versus PKV) auf den Zugang zu bestimmten stationären Interventionen bei drei ausgewählten Krankheitsbildern (Weber-B-Fraktur, Stenose, Konisation) beziehungsweise zur fachärztlichen Versorgung (Chirurgie, Kardiologie, Gynäkologie). Die konsultierten Krankenhäuser wurden zufällig ausgewählt. Bezogen auf die Krankenhäuser, die den Versichertenstatus aktiv abfragten, wurde gezeigt: Insgesamt (das heißt bei Betrachtung aller Diagnosen) liegt die Wartezeit für GKV-Versicherte durchschnittlich bei 10,55 Tagen, während PKV-Versicherten 8,97 Tage warten müssen (zweiseitig p<0,05; einseitig p<0,01). Eine differenziertere Analyse nach verschiedenen Facharztgruppen zeigte, dass PKV-Patienten zwar signifikant eher einen Termin beim Kardiologen und Chirurgen erhalten (zweiseitig p<0,05; einseitig p<0,10 beziehungsweise 0,05), jedoch nicht beim Gynäkologen.

In einer Untersuchung des Gesundheitsmonitors verglich Schellhorn [29] die Unterschiede in den Wartezeiten auf einen Termin zwischen GKV- und PKV-Versicherten beim Haus- oder Facharzt und die Wartezeiten in der jeweiligen Praxis. Bei statistischer Kontrolle weiterer Variablen (selbst eingeschätzter Gesundheitszustand, Einschränkungen bei den täglichen Aktivitäten, Hausarzt/Facharzt- und Praxistyp, Grund für Hausarzt- beziehungsweise Facharztbesuch, soziodemografische Merkmale) unterscheiden sich die Wartezeiten auf einen Termin bei Hausärzten zwischen GKV- und PKV-Versicherten nicht signifikant voneinander. PKV-Versicherte erhalten jedoch durchschnittlich zweieinhalb Tage eher einen Termin beim Facharzt (p≤0,001). In der Praxis warten GKV-Versicherte sowohl beim Hausarzt als auch bei Fachärzten signifikant (p≤0,001) länger als PKV-Versicherte (32 Minuten versus 21 Minuten und 39 Minuten versus 22 Minuten). Bei diesen Analysen konnte aus methodischen Gründen nicht für andere Variablen (siehe oben) statistisch kontrolliert werden.

Silber et al. [28] untersuchten die Unterschiede bei den Wartezeiten auf eine koronare Bypass-Operation. Betrug 1994 die mittlere Wartezeit für eine koronare Bypass-Operation bei GKV-Patienten noch 39,5 (±39,1) und bei PKV-Patienten 19,1 (±16,2) Tage, reduzierte sie sich bis 1996 bei GKV-Patienten auf 22,7 (±16) Tage, während sie bei PKV-Patienten mit 17,2 (±12,6) Tagen über die Jahre hinweg relativ konstant blieb. Die Ungleichheit zwischen GKV- und PKV-Versicherten lag 1996 also nach wie vor vor, ist aber etwas geringer geworden als 1994.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Offenbar erhalten PKV-Versicherte in der ambulanten Versorgung – auch nach statistischer Kontrolle auf mögliche Confounder [30, 29] – in der Regel häufiger einen kurzfristigen Termin beim Arzt als GKV-Versicherte. Für die stationäre Versorgung kann diese Aussage bisher nur auf Basis bivariater Analysen bestätigt werden. Jedoch zeigen sich die Unterschiede in den Wartezeiten (ambulant und stationär) nicht bei allen (Fach-)Arztgruppen beziehungsweise gesundheitlichen Problemen. Für die verschiedenen Aspekte des Themas „Wartezeiten“ sind daher jeweils gesonderte Analysen erforderlich.

Vergütungsunterschiede in der ambulant ärztlichen Versorgung

Zu ambulant ärztlichen Vergütungsunterschieden zwischen GKV und PKV liegen unseres Wissens nur zwei Arbeiten vor. Auch sie wurden erst vor wenigen Jahren publiziert. Für den Vergleich der Vergütungen wurde die für die PKV relevante „Gebührenordnung für Ärzte“ (GOÄ) dem für die GKV relevanten „Einheitlichen Bewertungsmaßstab“ (EBM) gegenübergestellt. In der GKV regelt der Gesetzgeber im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) den Leistungsumfang. Der EBM, der von den Mitgliedern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen (Bewertungsausschuss des g-BA) ausgearbeitet wird, beinhaltet eine Aufschlüsselung aller abrechnungsfähigen ambulant ärztlichen Leistungen und deren Punktwerte. Die GOÄ wird von der Bundesregierung erlassen und erlaubt den Ärzten, feste Punktwerte für medizinische Leistungen mit sogenannten Aufschlagsfaktoren zu versehen. Diese Aufschlagsfaktoren erreichen maximal den Faktor 3,5 [12, 15, 16, 17, 32].

Niehaus [33] untersuchte die Entwicklung der Vergütungsunterschiede in den Sektoren Arzthonorare, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel von 2004 bis 2007. Insgesamt (alle Sektoren: Arzthonorare, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, zahnmedizinischer Bereich und stationärer Bereich) stiegen die Vergütungsunterschiede (Differenz aus den Ausgaben der PKV-Versicherten und den hypothetischen Ausgaben der PKV-Versicherten, wenn diese Mitglieder der GKV wären) zwischen 2004 und 2007 von 9,535 Mrd. Euro auf 10,480 Mrd. Euro und vergrößerten sich somit um 9,77%. Die größte Zunahme bei den Vergütungsunterschieden wurde im stationären Bereich festgestellt. Sie belief sich auf insgesamt 42,66%. Im Jahr 2004 lagen die Vergütungsunterschiede im stationären Bereich noch bei 722 Mio. Euro und erhöhten sich bis 2007 auf 1,021 Mrd. Die Vergütungsunterschiede im stationären Sektor resultieren aus der Abrechnung zusätzlicher Leistungen (zum Beispiel Ein- oder Zweibettzimmer, Chefarztbehandlung), das heißt aus sogenannten „Hotelleistungen“ im privat ärztlichen Bereich. [12].

Walendzik et al. [32] thematisieren die „Aufschlagsfaktoren“. Diese geben an, um welchen Faktor die ambulant ärztliche Vergütung für die jeweils gleiche Leistung bei PKV-Versicherten höher ist als bei GKV-Versicherten. Die Untersuchung macht deutlich, dass bei Radiologen (Aufschlagsfaktor 2,99), Hausärzten (2,64), Kinderärzten (2,45), Fachärzten für innere Medizin (2,40), Frauenärzten (2,13) und Urologen (2,10) die höchsten Aufschlagsfaktoren bei der Vergütung ambulanter ärztlicher Leistungen zu verzeichnen sind. Durchschnittlich werden die gleichen Leistungen (GKV-Leistungsniveau) bei Privatpatienten 2,28-mal höher berechnet als bei gesetzlich Versicherten. „Mit anderen Worten: Der behandelnde Arzt erhält im Durchschnitt für eine medizinisch im Grundsatz gleiche Leistung bei einem privat versicherten Patienten mehr als die doppelte Vergütung als für einen gesetzlich versicherten Patienten“ [32].

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Unterschiede zwischen dem GOÄ-System der PKV und dem EBM-System der GKV führen dazu, dass gleiche ärztliche Leistungen bei GKV-Versicherten erheblich geringer vergütet werden als bei PKV-Versicherten. Es ist daher kaum erstaunlich, dass PKV-Versicherte bevorzugt behandelt werden.

Morbidität und spezielle Aspekte der gesundheitlichen Versorgung

In der letzten Gruppe werden sechs empirische Arbeiten zusammengefasst, die sich nicht eindeutig einer der bereits oben genannten Gruppen zuordnen lassen; sie wurden zwischen 2005 und 2007 publiziert.

Kriwy und Mielck [36] untersuchten den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten (Rauchen) von PKV- im Vergleich zu GKV-Versicherten, bei statistischer Kontrolle weiterer Variablen wie Alter, Schulausbildung, Haushaltsnettoeinkommen, Wohnort, Urbanität, Body-Mass-Index und Rauchen. Demnach haben PKV-versicherte Männer weniger Krankheiten („Welche der folgenden Krankheiten hatten Sie jemals?“; 42 Antwortkategorien) (Regress-Koeff. –0,55; p<0,001) und sie fühlen sich auch gesünder („Wie würden Sie Ihren Gesundheitszustand im Allgemeinen beschreiben?“; fünfstufige Antwortskala) (Regress-Koeff. −0,97; p<0,05) als ihre GKV-versicherten Geschlechtsgenossen. Bei Frauen kann dagegen weder bei den Krankheiten (Regress-Koeff. −0,37) noch bei der subjektiven Einschätzung der Gesundheit (Regress-Koeff. −0,10) ein signifikanter Unterschied gefunden werden. Nach Aufnahme der Beihilfeberechtigten in die Gruppe der PKV-Versicherten wird bei Männern der Unterschied in Bezug auf den Gesundheitszustand nicht mehr statistisch signifikant. Hinsichtlich des Rauchens kann kein signifikanter Unterschied zwischen GKV- und PKV-Versicherten entdeckt werden.

Lüngen et al. [34] befassten sich in ihrer empirischen Untersuchung mit den Unterschieden in der Morbidität und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zwischen GKV- und PKV-Versicherten. Sie zeigten zum Beispiel, dass die Morbidität bei GKV-Versicherten häufig höher ist als bei PKV-Versicherten. Bei GKV-Versicherten ist die Zwölf-Monats-Prävalenz für chronische Bronchitis/Asthma (zum Beispiel 65-Jährige: 12% versus 8%) und für Diabetes (zum Beispiel 65-Jährige: 9% versus 5%) höher als bei PKV-Versicherten. Die Prävalenzen von Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei GKV- und PKV-Versicherten dagegen nahezu identisch. Auch die grafische Darstellung des Inanspruchnahmeverhaltens nach Altersgruppen (unterteilt in sechs Gruppen) lässt darauf schließen, dass PKV-Versicherte durchschnittlich gesünder sind als GKV-Versicherte (zum Beispiel 25-Jährige: durchschnittliche Anzahl von Krankheitstagen pro Jahr 4,0 versus 5,5; mehr als sechs Wochen im Jahr krank 2% versus 3%) und dass sie auch seltener Ärzte konsultieren als GKV-Patienten (zum Beispiel 25-Jährige: durchschnittliche Anzahl von Besuchen beim Allgemeinarzt pro Jahr 2,0 versus 2,5).

Lüngen, Siegel und Lauterbach [39] analysierten die in Deutschland durchgeführten Transplantationen. PKV-Versicherte erhalten demnach 14,96% aller transplantierten Organe, obwohl diese Bevölkerungsgruppe nur 10,25% der Gesamtbevölkerung repräsentiert. Überrepräsentiert sind sie auch mit Blick auf bestimmte Organtransplantationen (zum Beispiel Herztransplantate: 18,49%; Lunge-Herz-Transplantate: 20,69%; Lebertransplantate: 17,53%). Auf der Warteliste für bestimmte Organe sind die PKV-Versicherten ebenfalls überrepräsentiert (zum Beispiel Lunge: 22,87%, Lunge-Herz: 25,36%, Pankreas-Niere: 14,22%). Auch tragen sie überdurchschnittlich oft (15,97%) den Dringlichkeitsstatus „High Urgent“ (HU).

Mielck und Helmert [35] analysierten in ihrer Studie ebenfalls die Unterschiede in der Morbidität und gesundheitlichen Versorgung (Inanspruchnahme, Patientenzufriedenheit, finanzielle Belastungen durch Zuzahlungen, Akzeptanz des Solidaritätsprinzips). Die bivariaten Analysen verdeutlichen, dass in allen Bereichen signifikante Unterschiede zwischen GKV- und PKV-Versicherten bestehen. Die folgenden Beispiele mögen die Ergebnisse veranschaulichen (jeweils Angabe der Prävalenz, zuerst für die GKV- und dann für die PKV-Versicherten): „zurzeit chronisch krank“: 24% versus 12%; „Kontakt mit praktischem Arzt oder Arzt für Allgemeinmedizin im letzten Jahr“: 81% versus 63%; „Zuzahlungen sind zu hoch“: 77% versus 48%; „Einnahme rezeptpflichtiger Medikamente, die in der Apotheke selbst bezahlt werden müssen“: 8% versus 2%; „Regelung, dass die Reichen die Armen unterstützen, ist vollkommen gerecht“: 45% versus 24% Obwohl diese Unterschiede nach Kontrolle weiterer Einflussfaktoren wie Alter (unterteilt in sechs Altersgruppen), Geschlecht und Pro-Kopf-Einkommen (unterteilt in fünf Einkommensgruppen) sich leicht verringern, bleiben die Odds Ratios dennoch bei allen untersuchten Dimensionen statistisch signifikant. Für die oben angegebenen Beispiele ergeben sich für die GKV- (verglichen mit PKV-)Versicherten folgende Odds Ratios: „zurzeit chronisch krank“: OR=1,80; „Kontakt mit praktischem Arzt oder Arzt für Allgemeinmedizin“: OR=1,98; „Zuzahlungen sind zu hoch“: OR=2,68; „Einnahme rezeptpflichtiger Medikamente, die in der Apotheke selbst bezahlt werden müssen“: OR=3,81; „Regelung, dass die Reichen die Armen unterstützen, ist vollkommen gerecht“: OR=2,09.

In einem weiteren Vergleich zwischen GKV- und PKV-Versicherten beschäftigten sich Mielck und Helmert [38] mit dem Gesundheitszustand und dem Arzt-Patienten-Verhältnis zwischen GKV- und PKV-Versicherten. Bei den multivariaten Analysen wurde dabei für die folgenden Variablen statistisch kontrolliert: Alter (unterteilt in sechs Altersgruppen), Geschlecht, Pro-Kopf-Einkommen (unterteilt in fünf Einkommensgruppen), Gesundheitszustand. Die Analyse ohne die statistische Kontrolle dieser Variablen zeigte, dass bei den folgenden Kategorien ein signifikanter Unterschied (p≤0,05 oder p≤0,01) zugunsten der PKV-Versicherten erkennbar ist: besserer Gesundheitszustand, kürzere Wartezeiten, bessere Aufklärung durch den Arzt, besseres Eingehen des Arztes auf den Patienten. Nur bei der Kategorie „allgemeine Zufriedenheit mit dem Arzt“ fand sich kein signifikanter Unterschied. Diese Ergebnisse wurden in der multivariaten Analyse weitestgehend bestätigt.

Thode et al. [10] analysierten in ihrer Untersuchung auf Grundlage des Verhaltensmodells von Andersen et al. [54] drei Kategorien verschiedener Einflussfaktoren („Predisposing Characteristics“, „Enabling Resources“ und „Need“) auf die ambulant ärztliche Inanspruchnahme in Deutschland (Anzahl Arztkontakte, Anzahl kontaktierter Fachgruppen, Anzahl Kontakte bei Allgemeinmedizinern, Kontaktwahrscheinlichkeit/Anzahl Kontakte bei Internisten). Bivariat (es wird jeweils der Median berichtet) kann festgestellt werden, dass GKV-versicherte Männer und Frauen vier beziehungsweise sieben Arztkontakte (alle Facharztgruppen) in einem Jahr haben, während PKV-versicherte Männer und Frauen drei- beziehungsweise sechsmal im Jahr den Arzt aufsuchen [55]. Weiterhin zeigte sich, dass gesetzlich versicherte Männer und Frauen deutlich häufiger einen Allgemeinmediziner innerhalb eines Jahres in Anspruch nehmen als ihre GeschlechtsgenossenInnen in der PKV (zwei Kontakte versus einem Kontakt). Hinsichtlich der Anzahl der kontaktierten Facharztgruppen und des Aufsuchens eines Internisten zeigten sich bivariat kaum Unterschiede zwischen GKV- und PKV-Versicherten. [10, 55]. Nach statistischer Kontrolle weiterer Einflussfaktoren hat die Versicherungsart jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die Kontaktwahrscheinlichkeiten bei Ärzten [10].

Zok [37] beschrieb Unterschiede zwischen GKV- und PKV-Versicherten mithilfe der folgenden Dimensionen: Gesundheitszustand, Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, Wartezeiten (als Merkmal für den Zugang zur medizinischen Versorgung), Patientenzufriedenheit. GKV-Versicherte schneiden demnach in all diesen Dimensionen schlechter ab als PKV-Versicherte: Sie fühlen sich in allen Altersgruppen (<30; 30 bis 39; 40 bis 49; 50 bis 59; ≥60 Jahre) gesundheitlich häufiger schlecht (zum Beispiel in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen: 2,0% versus 0,9%), sie weisen in allen Altersgruppen (siehe oben) einen höheren Anteil an chronisch Erkrankten auf (zum Beispiel in der Altersgruppe 30 bis 39 Jahre: 35,4% versus 21,1%), sie nehmen durchgängig mehr Gesundheitsleistungen in Anspruch (zum Beispiel durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche in den letzten zwölf Monaten bei der Altersgruppe 30 bis 39 Jahre: 6,1 versus. 3,7), und sie sind häufiger mit der Wartezeit bei Ärzten unzufrieden (alle Altersgruppen: 33,5% versus 14,7%).

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Sowohl bivariat als auch multivariat [35, 36, 38] weisen alle Studien übereinstimmend darauf hin, dass die GKV-Versicherten zumeist kränker sind als die PKV-Versicherten. Einschränkend ist zu betonen, dass Ausnahmen auch hier die Regel bestätigen (das heißt, dass dieser Zusammenhang nicht bei allen Indikatoren des Gesundheitszustandes gefunden wird). Bezogen auf die gesundheitliche Versorgung deutet zumindest bei bivariater Betrachtung [10, 35, 37] vieles darauf hin, dass die GKV-Versicherten häufiger als die PKV-Versicherten zum praktischen Arzt oder zum Arzt für Allgemeinmedizin gehen. Die Untersuchung von Thode et al. (2005) zeigt nach statistischer Kontrolle ausgewählter Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme von Ärzten jedoch ein anderes Ergebnis: Hier kann kein bedeutender Unterschied zwischen GKV- und PKV-Versicherten festgestellt werden [10]. Eine Benachteiligung der GKV-Versicherten deutet sich zum Beispiel bei Organ-Transplantationen an, bei der finanziellen Belastung durch Zuzahlungen, bei den Wartezeiten und beim Eingehen des Arztes auf den Patienten.

Diskussion

In allen Studien konnte bivariat gezeigt werden, dass ein deutlicher Unterschied zwischen den GKV- und den PKV-Versicherten besteht, nicht nur beim Gesundheitszustand, sondern auch bei der gesundheitlichen Versorgung. Multivariat können –bis auf die Arbeit von Thode et al. [10] – diese Ergebnisse weitestgehend bestätigt werden. Insgesamt liegen nur relativ wenige Studien vor, und einige weisen erhebliche methodische Schwächen auf (siehe unten). Unter Beachtung dieser Einschränkungen lassen sich diese Ergebnisse etwas vereinfacht formuliert wie folgt zusammenfassen: PKV-Versicherte erhalten häufiger innovative, patentgeschützte Medikamente und seltener Generika [23, 24, 25, 26, 27], sie müssen nicht so lange auf einen Arzttermin warten [29, 30, 31], sie gehen seltener zu einem praktischen Arzt (beziehungsweise Arzt für Allgemeinmedizin) [34, 35, 36, 37, 38], sie werden bei Organtransplantationen offenbar bevorzugt [39], sie können Zuzahlungen finanziell besser verkraften [35], und sie fühlen sich vom Arzt besser verstanden [38]. Streng genommen, handelt es sich hier zumeist um Hypothesen, die in weiteren Studien noch eingehender überprüft werden sollten. Schon jetzt lässt sich jedoch mit einiger Sicherheit sagen, dass die PKV-Versicherten häufig bevorzugt werden. Diese Aussage gewinnt auch dadurch an Plausibilität, dass die Ärzte an gleichen Leistungen bei PKV-Versicherten erheblich mehr verdienen können als bei GKV-Versicherten [12, 15, 16, 18].

Methodische Schwächen zeigen sich vor allem bei elf der insgesamt 18 Untersuchungen [24, 25, 26, 27, 28, 31, 32, 33, 34, 37, 39], da bei ihnen keine statistische Kontrolle weiterer Variablen wie Alter, Geschlecht und Einkommen vorgenommen wurde. Zwar liegen bei fünf dieser Arbeiten [25, 28, 31, 34, 37] Daten zu möglichen „Störfaktoren“ vor, dennoch wenden die Autoren kein multivariates Analyseverfahren an. Auch werden nur in einer der elf Studien [31] statistische Tests zur Kontrolle von Zufallsfehlern angewendet.

In den verbleibenden sieben Studien [10, 23, 29, 30, 35, 36, 38] werden sowohl statistische Tests durchgeführt, als auch Regressionsmodelle (zum Beispiel multiplikative Risikoregression, Intervallregression, logistische Regression, GLM) zur statistischen Kontrolle möglicher „Störvariablen“ wie Alter, Schulbildung und Einkommen eingesetzt. Dies ist von großer Wichtigkeit, um den tatsächlichen Effekt der Zugehörigkeit zu einer Krankenversicherung auf die Morbidität und die gesundheitliche Versorgung bestimmen zu können. In zwei der sieben Studien [23, 30] wird jedoch weder für das Einkommen noch für die Schulbildung der Probanden kontrolliert. Die Kontrolle dieser Variablen wäre jedoch wichtig, um die Effekte der GKV- beziehungsweise PKV-Zugehörigkeit von den Effekten des individuellen sozialen Status trennen zu können.

Ein weiterer methodisch wichtiger Punkt ist die unterschiedliche Qualität der zur Verfügung stehenden Datenquellen zur Untersuchung des Inanspruchnahmeverhaltens in der GKV beziehungsweise PKV (zum Beispiel einheitlicher, standardisierter Arzneiverordnungsreport in der GKV versus einzelne Datenquellen in den unterschiedlichen PKVen). Während in der GKV eine nahezu lückenlose Dokumentation der Versorgung erfolgt, die als Datengrundlage für vergleichende Studien verwendet werden kann, ist dies in der PKV nicht der Fall [32]. Weiterhin zeigt sich, dass einige Arbeiten (zum Beispiel [23, 24, 25, 26]) die gefundenen Unterschiede hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung kaum im Kontext der systembedingten Unterschiede zwischen GKV und PKV diskutieren; dies kann schnell zu einer unangemessenen Vereinfachung der Aussagen führen. Hingewiesen werden muss auch auf die Möglichkeit eines systematischen „Publikations-Bias“: Die Gefahr, dass „positive“ Studienergebnisse publiziert und „negative“ nicht publiziert werden, ist vermutlich dann besonders groß, wenn wirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt stehen. Besonders kritisch sollten daher die Studien gelesen werden, die darauf hinweisen, dass die gesundheitliche Versorgung in der PKV besser ist als in der GKV.

Auffällig ist auch, dass sich nur eine Arbeit [25] auf Kinder konzentriert (das heißt auf die Kinder von GKV- beziehungsweise PKV-versicherten Eltern). Weiterhin behandelt keine der hier vorgestellten Studien konkret die spezifische gesundheitliche Versorgungssituation Erwachsener im höheren Lebensalter (zum Beispiel ab 65 Jahre). Zwar werden zumindest bei zwei Arbeiten [34, 37] PKV/GKV-Vergleiche für unterschiedliche Altersgruppen berichtet, jedoch gibt keine dieser Arbeiten spezifische Empfehlungen für die Praxis bezogen auf die jeweiligen Altersgruppen.

Einschränkend ist zu betonen, dass unser Überblick über den Stand der Forschung vermutlich lückenhaft ist. Eine Arbeit, in der die Variable „PKV/GKV-Versicherung“ lediglich als Kontroll-Variable verwendet wird, ist nur schwer zu finden, zumal die Ergebnisse zum PKV/GKV-Unterschied in diesen Arbeiten dann zumeist nicht näher diskutiert werden.

Empfehlungen für die Forschung

Nicht jeder Unterschied in der gesundheitlichen Versorgung ist automatisch auch ein gesundheitspolitisches Problem; erforderlich ist die Differenzierung zwischen den „wichtigen“ und den „weniger wichtigen“ Unterschieden. Um diese Differenzierung zu ermöglichen, sollte aus wissenschaftlicher Sicht jetzt vor allem die folgende Frage untersucht werden: Welche Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung (zum Beispiel häufigere Verordnung sogenannter innovativer Arzneimitteln bei PKV-Versicherten) üben welchen Einfluss auf den Gesundheitszustand der PKV- beziehungsweise GKV-Versicherten aus? Wichtig wäre aber auch die Beantwortung der Frage, welche sozialen Probleme aus dem Unterschied zwischen einer PKV- und GKV-Versicherung entstehen können (zum Beispiel bezogen auf die finanzielle Belastung der Versicherten oder auf die Solidarität in der Gesellschaft [19, 20, 49]).

Abgesehen von diesem relativ pauschal formulierten Forschungsbedarf lässt sich eine ganze Reihe etwas konkreter formulierter Forschungsaufgaben unterscheiden, wie zum Beispiel:

  • Benötigt werden mehr Studien speziell für Kinder und Jugendliche. Kinder können die Versicherungsart nicht frei wählen (auch ihre Eltern häufig nicht [12]). Sollten die Kinder GKV-versicherter Eltern schlechter versorgt werden als die PKV-versicherter Eltern und sollten diese Unterschiede „wichtig“ sein, wäre dies ein besonders eklatantes Beispiel für ein gesundheitspolitisches Problem.

  • Benötigt werden mehr Studien speziell für ältere Personen (das heißt zum Beispiel für Personen ab einem Alter von zirka 65 Jahren). Da die gesundheitliche Versorgung im höheren Alter immer wichtiger wird, werden hier vermutlich auch die GKV/PKV-Unterschiede an Bedeutung gewinnen.

  • Um verlässliche Aussagen über einen möglichen Zusammenhang zwischen GKV- und PKV-Zugehörigkeit und Gesundheit beziehungsweise Gesundheitsversorgung erhalten zu können, sollten bei zukünftigen empirischen Arbeiten vermehrt multivariate Analyseverfahren verwendet werden. Hierzu ist es erforderlich, alle relevanten „Störfaktoren“ (confounder, effect modifier) zu identifizieren und in die Analyse einzubeziehen. Die oben vorgestellten Arbeiten geben einen ersten Überblick über potenziell „wichtige“ Variablen.

  • Erforderlich ist in allen Studien die statistische Kontrolle von Angaben zum individuellen sozialen Status (zum Beispiel Bildung und Einkommen), da diese Variablen sowohl die GKV/PKV-Zugehörigkeit als auch den Gesundheitszustand beeinflussen können [1].

  • Bei künftigen Arbeiten sollte noch klarer differenziert werden zwischen Unterschieden in der Morbidität und Unterschieden in der Inanspruchnahme. Die Inanspruchnahme wird geprägt durch den Bedarf, das heißt durch den Gesundheitszustand. Um Unterschiede zwischen GKV- und PKV-Versicherten aufzeigen zu können sollte daher immer für den Gesundheitszustand statistisch kontrolliert werden. Dies ist jedoch nur bei einigen der oben genannten Publikationen der Fall [10, 36].

  • In den bisherigen Arbeiten wird der Begriff „Versichertenstatus“ oft nicht klar definiert. Dies erschwert einerseits den Vergleich zwischen den Studien, andererseits könnten durch nicht vorgenommene Differenzierungen die Effekte über- oder unterschätzt werden. Sinnvoll erscheint es auf jeden Fall, innerhalb der GKV- beziehungsweise PKV-Gruppe eine Unterteilung in die verschiedenen Subgruppen vorzunehmen (GKV-pflichtversichert, GKV-freiwillig versichert, PKV-vollversichert, PKV-zusatzversichert).

  • Unklar definiert werden häufig auch die Zielgrößen (zum Beispiel: „Gesundheitsstatus“ oder „Morbidität“ oder „gesundheitliche Versorgung“). Es sollte zum Beispiel klar zwischen relativ „objektiven“ Daten (zum Beispiel durch den Arzt erhobene Symptome und mithilfe des ICD-10 klassifizierte Gesundheitszustände) und „subjektiven“ Angaben (durch den Probanden vorgenommene Selbsteinschätzung) unterschieden werden.

  • Im Sinne eines multidimensionalen, biopsychosozialen Gesundheitsbegriffs sollte die Zielgröße „gesundheitliche Versorgung“ nicht nur medizinische Interventionen beinhalten (siehe zum Beispiel GKV-Leistungskatalog), sondern auch die folgenden Variablen: Arzt-Patienten-Verhältnis, Patientenzufriedenheit, Wartezeiten, Wegezeiten, finanzielle Belastungen für die Patienten zusätzlich zu den Krankenkassenbeiträgen [42, 43, 45, 46]. Erst wenige Studien thematisieren diese zusätzlichen Bereiche der gesundheitlichen Versorgung [35, 38, 50].

  • Nach Möglichkeit sollten auch die Effekte erfasst werden, die aufgrund der unterschiedlichen Vergütungssysteme GOÄ und EBM entstehen können. Die oben vorgestellten Arbeiten von Walendzik und Niehaus [32, 33] zeigen die deutlichen Vergütungsunterschiede zwischen GKV und PKV und die möglichen Effekte auf die gesundheitliche Versorgung. Erforderlich wäre jetzt eine detaillierte und kontinuierliche Analyse dieser Effekte.

  • Eine weitere wichtige Frage ist, ob es zwischen GKV und PKV größere Unterschiede im Leistungsangebot gibt, und welche gesundheitlichen Folgen damit für die Versicherten verbunden sein können. In der PKV gibt es kein standardisiertes Leistungsspektrum wie in der GKV [16, 17, 18]. Die verschiedenen PKVen bieten ihren Kunden individuelle Leistungsverträge an [12]. Lediglich sogenannte Musterbedingungen geben den einzelnen Versicherungsunternehmen eine grobe Orientierung bei der Gestaltung der Verträge hinsichtlich der Mindestanforderungen an die medizinische Versorgung [14]. Vergleiche der gesundheitlichen Versorgung zwischen GKV und PKV erfolgen daher meist indirekt über das Inanspruchnahmeverhalten der Versicherten. In künftigen vergleichenden Analysen sollte versucht werden, die Art der gesundheitlichen Versorgung direkter zu erfassen [43].

  • Erforderlich ist auch eine möglichst valide Erfassung von Merkmalen für die Qualität der gesundheitlichen Versorgung (Einhaltung von Richtlinien, gesundheitliche Folgen einer unzureichenden Versorgung etc.). Wenn hier Unterschiede zwischen GKV- und PKV-Versicherten deutlich werden sollten, dann ließen sich daraus sehr direkte Handlungsempfehlungen ableiten.

Fazit für die Praxis

Die Analyse und Bewertung der Unterschiede in der Morbidität und gesundheitlichen Versorgung zwischen GKV- und PKV-Versicherten darf sich selbstverständlich nicht auf die rein wissenschaftliche Ebene beschränken. Sie muss integriert werden in die Diskussion über die systemimmanenten Vorgaben (administrative Bestimmungen, das Nebeneinander von zwei unterschiedlichen Versicherungssystemen etc.) und über die sich verändernden gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen der gesundheitlichen Versorgung (demografischer Wandel, Zunahme der Arbeitslosigkeit, medizinisch-technischer Fortschritt, Finanzierungsprobleme in der GKV etc.) [12, 21, 45, 47, 48, 50]. So können zum Beispiel auch bestimmte administrative Regelungen (zum Beispiel Gatekeeper-Funktion) oder Leistungsbeschränkungen in der GKV zu einer Benachteiligung von GKV- gegenüber PKV-Versicherten führen [44].

Notwendig wäre eine breitere gesellschaftliche Diskussion zu den folgenden Fragen: Welche Vor- und Nachteile sind mit der jetzigen Unterscheidung zwischen GKV- und PKV-Versorgung verbunden? Wie lassen sich die Vorteile vergrößern und die Nachteile verringern? Welche Personengruppen sind von den Vor- beziehungsweise Nachteilen besonders stark betroffen? Führt die Unterscheidung zwischen GKV- und PKV-Versorgung zu so großen Problemen, dass die Unterscheidung abgebaut oder sogar ganz aufgehoben werden sollte? Es bleibt zu hoffen, dass die oben vorgestellten Forschungsergebnisse zu einer Intensivierung dieser gesellschaftlichen Diskussion beitragen.