In Deutschland und den meisten anderen Industrieländern werden immer mehr Menschen alt oder sogar sehr alt. Die mittlere Lebenserwartung bei Geburt nimmt in Deutschland um etwa 2,5 Jahre pro Dekade zu und beträgt aktuell 77,2 Jahre für Männer und 82,4 Jahre für Frauen [1]. Gleichzeitig wächst der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung, wofür neben der steigenden Lebenserwartung auch die anhaltend geringe Geburtenhäufigkeit verantwortlich ist. Bevölkerungsvorausberechnungen gehen davon aus, dass der Anteil der Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter an der Gesamtbevölkerung bis zum Jahr 2050 von gegenwärtig 26% auf 40% ansteigen wird. Bezüglich des Anteils der Kinder und Jugendlichen unter 20 Jahren wird für den gleichen Zeitraum ein Rückgang von 19% auf 14% prognostiziert [2].

Diese Umwälzung im Altersaufbau der Bevölkerung, die auch als Alterung der Bevölkerung oder demografisches Altern bezeichnet wird, stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Aus Sicht der Medizin und Gesundheitspolitik ergeben sich diese vor allem durch das vermehrte Auftreten chronischer Krankheiten und Beschwerden sowie daraus resultierenden Funktionseinschränkungen im höheren Alter. Im Mittelpunkt der Diskussion steht deshalb nach wie vor die Frage der medizinischen und pflegerischen Versorgung älterer Menschen sowie der Finanzierung des Gesundheitswesens unter der Voraussetzung einer immer älter werdenden Bevölkerung.

Für eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation im höheren Alter reicht aber nicht aus, Krankheiten, Beschwerden und Funktionseinschränkungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Seit Langem wird darauf verwiesen, dass es zuvorderst darum gehen muss, Krankheiten und Gesundheitsprobleme zu vermeiden beziehungsweise deren Manifestation so lange wie möglich hinauszuzögern. Da viele der im Alter auftretenden chronischen Krankheiten fortschreitend und nur eingeschränkt therapierbar sind, erscheint dies umso dringlicher [3, 4].

Zur Vermeidung von Krankheiten sind sowohl die Primärprävention als auch die Gesundheitsförderung von Bedeutung. Während die Primärprävention auf den Ausschluss bekannter Risikofaktoren zielt, geht es der Gesundheitsförderung um die Stärkung von Schutzfaktoren und Ressourcen der Gesundheit. Primärpräventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen können in jedem Alter wirksam sein. Besondere Bedeutung kommt aber der Kindheit und Jugend zu, da viele Krankheiten und Beschwerden, auch wenn diese erst im mittleren oder höheren Erwachsenenalter auftreten, auf Risikofaktoren zurückgeführt werden können, die sich bereits früh im Leben entwickeln und später nur noch schwer beeinflussbar sind. Ebenso gilt für viele Schutzfaktoren und Ressourcen der Gesundheit, dass sie sich oftmals schon in frühen Jahren ausbilden und im weiteren Lebenslauf als sehr stabil erweisen [5, 6].

Vor diesem Hintergrund kann angenommen werden, dass eine früh ansetzende Prävention und Gesundheitsförderung nicht nur die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen verbessert, sondern zugleich auch die Gesundheitschancen künftiger Erwachsenen- und Altengenerationen erhöht. Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und die Möglichkeiten der Prävention und Gesundheitsförderung in dieser Altersgruppe sollten deshalb auch in der Diskussion über die voranschreitende Alterung der Bevölkerung und die damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen eine wichtige Rolle spielen [4].

Ausgehend von dieser Überzeugung wird im vorliegenden Beitrag die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen anhand aktueller Daten beschrieben. Dabei wird der Schwerpunkt auf Aspekte gelegt, die aufgrund vorhandener Erkenntnisse als frühe Weichenstellungen für die Gesundheit im mittleren und höheren Lebensalter erachtet werden können. Um diese Befunde in einen Lebensphasen übergreifenden Betrachtungszusammenhang einordnen zu können, werden vorab die zentralen Perspektiven der epidemiologischen Lebenslaufforschung beschrieben, die sich zunächst in Großbritannien etablierte [7], mittlerweile aber auch in Deutschland zunehmend mehr Beachtung erfährt [8, 9].

Perspektiven der epidemiologischen Lebenslaufforschung

Die epidemiologische Lebenslaufforschung betrachtet die Gesundheit als Ergebnis langfristiger biologischer, psychischer und sozialer Prozesse. Richtungsweisend für diese Forschungsdisziplin waren Studien aus den 1980er- und 1990er-Jahren, die einen Zusammenhang zwischen Entwicklungsrisiken und -defiziten in früher Kindheit und dem Auftreten chronischer Krankheiten im mittleren und höheren Erwachsenenalter aufzeigten. Diese Studien bedeuteten eine Erweiterung der lange einseitig verfolgten Erklärung der Entstehung chronischer Krankheiten über Risikofaktoren im Erwachsenenalter, wie zum Beispiel der Risikofaktormodelle für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In den letzten 20 Jahren hat die epidemiologische Lebenslaufforschung erheblich an Bedeutung gewonnen, begünstigt durch eine verbesserte Datenlage, insbesondere durch die in Großbritannien durchgeführten Geburtskohortenstudien. Mit Blick auf die Bedeutung der Kindheit und Jugend für die Gesundheit im späteren Leben lassen sich, ausgehend von den Erkenntnissen der epidemiologischen Lebenslaufforschung, mehrere Perspektiven entwickeln, die nachfolgend unter Bezugnahme auf ausgewählte Forschungsergebnisse beschrieben werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die dargestellten Prozesse nicht unabhängig voneinander verlaufen, sondern sich gegenseitig beeinflussen können. Die vorhandenen Daten reichen allerdings häufig nicht aus, um die Komplexität der Prozesse und ihrer Wechselwirkungen aufzuzeigen (vergleiche [7, 8]).

Modell kritischer Perioden

Im Zentrum des Modells kritischer Perioden steht die Annahme, dass bestimmte Phasen der physiologischen Entwicklung mit einer erhöhten organischen Vulnerabilität einhergehen. Ein besonderer Stellenwert wird dabei der Schwangerschaft beigemessen, aber auch im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter gibt es Phasen raschen Wachstums und eine damit verbundene hohe Verletzbarkeit des Organismus. Störungen des Wachstums können dazu führen, dass sich die Organe im vorgegebenen Zeitfenster nicht vollständig entwickeln und daher in ihren Funktionen eingeschränkt sind [7, 10]. Diese Defizite können später zumeist nicht oder nur teilweise kompensiert werden, weshalb auch von „biologischer Programmierung“ gesprochen wird [11]. Schwerwiegende organische Schädigungen können bereits im Kindes- und Jugendalter zu Krankheiten führen. Häufig manifestiert sich eine Krankheit aber erst im weiteren Lebenslauf, ausgelöst zum Beispiel durch zusätzliche Risikofaktoren oder wenn die mit dem biologischen Altern verbundenen Abbauprozesse die organischen Kapazitätsreserven weiter verringern [12].

Organische Schädigungen des Fötus gehen zumeist auf eine Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen zurück. Eine Ursache hierfür kann eine Mangel- oder Fehlernährung der Mutter während der Schwangerschaft sein. Beispielweise kann eine dadurch hervorgerufene Schädigung der Bauchspeicheldrüse zu einer dauerhaften Störung der Insulinausschüttung führen und das Risiko für das Auftreten von Diabetes mellitus Typ 2 im späteren Leben erhöhen [13]. Auch der Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft kann erhebliche organische Schädigungen des Fötus nach sich ziehen. Am besten untersucht ist der Zusammenhang zwischen dem mütterlichen Rauchen und einem vermehrten Auftreten von Atemwegserkrankungen im mittleren und höheren Erwachsenenalter (wie zum Beispiel einer chronischen Bronchitis oder chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit) [14]. Außerdem erhöht das mütterliche Rauchen das Risiko einer Fehl-, Tot- oder Frühgeburt [15]. Als weitere bedeutsame pränatale Risikofaktoren, die mit dem Verhalten und der Gesundheit der Mutter in Zusammenhang stehen, haben sich Übergewicht und eine starke Gewichtszunahme während der Schwangerschaft, Bluthochdruck, Blutarmut, Harnwegsinfektion, Diabetes mellitus beziehungsweise Schwangerschaftsdiabetes sowie hohe Stressbelastungen erwiesen [6, 16].

Im Säuglings- und Kindesalter sind die Ernährung und das Bewegungsverhalten für die physiologische Entwicklung von grundlegender Bedeutung. Mit Blick auf die Ernährung ist unter anderem auf die protektive Wirkung des Stillens zu verweisen. Werden die Säuglinge, wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen, die ersten sechs Monate voll gestillt, treten weniger Infektionskrankheiten auf, und die Säuglingssterblichkeit sowie das Risiko des plötzlichen Kindstodes verringern sich. Außerdem ist von einer Risikoverminderung für Diabetes mellitus, Lymphome, Leukämien, Morbus Hodgkin, Übergewicht und Adipositas, Hypercholesterinämie sowie Allergien auszugehen [17, 18]. Auch das Bewegungsverhalten wirkt sich auf verschiedene Organsysteme aus. Wenn sich Kinder zu wenig bewegen und die organischen Kapazitäten nicht voll entwickelt werden, kann dies zu nachhaltigen Schäden führen. So können Haltungsschäden, Rückenschmerzen und eine verminderte motorische Leistungsfähigkeit Folgen eines nicht voll ausgebildeten Muskel-Skelett-Apparates sein. Ebenso sind Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System und die Atmungsorgane nachgewiesen [19].

Daneben gelten Passivrauchbelastung und Infektionen als bedeutsame Risikofaktoren für organische Fehlentwicklungen im Kindes- und Jugendalter und für Gesundheitsprobleme im späteren Leben. Eine regelmäßige Passivrauchbelastung kann bereits bei Kindern gesundheitliche Probleme hervorrufen, die von Störungen des Allgemeinbefindens (wie Husten, Heiserkeit und Schwindel) über akute und chronische Atemwegssymptome und -infektionen bis hin zum plötzlichen Kindstod reichen. Es sind auch Zusammenhänge zum Auftreten von Atemwegs-, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen im Erwachsenenalter nachgewiesen [20]. Auch für Infektionen wurden nachhaltige Auswirkungen auf die organische Entwicklung des Kindes und eine dadurch bedingte Krankheitsanfälligkeit im späteren Leben gezeigt. Beispiele hierfür sind Schädigungen des Nervensystems infolge einer Poliovirusinfektion [21] oder das erhöhte Risiko für Magenkrebs aufgrund einer Infektion mit dem Bakterium Helicobacter pylori [22]. Aber auch das Ausbleiben von Infektionen oder „überhygienische Verhältnisse“ in bestimmten Entwicklungsphasen können die spätere Gesundheit nachteilig beeinflussen. So deutet vieles darauf hin, dass sich dadurch zum Beispiel das Risiko für Asthma, Heuschnupfen, Non-Hodgkin-Lymphome und Diabetes Typ 1 erhöht [23].

Eine frühe Prägung ist aber nicht nur mit Blick auf die organische und physiologische Entwicklung anzunehmen. Auch für die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung werden die Weichen früh gestellt. Es kann davon ausgegangen werden, dass dabei bestimmte Zeitfenster von Bedeutung sind und Störungen während dieser Phasen langfristige Auswirkungen haben. Innerhalb dieser Zeitfenster müssen altersspezifische Entwicklungsaufgaben durchlaufen werden, deren Bewältigung über eine gelingende Sozialisation entscheidet. Daher wird bisweilen in Anlehnung an den Begriff der biologischen Programmierung von einer „sozialen Programmierung“ gesprochen [5]. Ein Beispiel ist die Entwicklung des Bindungsverhaltens. Die Bindung zu den Eltern oder zu anderen Bezugspersonen bietet dem Säugling, der seiner Umgebung vollkommen ausgeliefert ist, Schutz und ist eine wesentliche Voraussetzung für den Aufbau des Urvertrauens [24]. Entscheidend ist hier, inwieweit es den Eltern gelingt, auf die Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen und ihm Geborgenheit und Nähe zu vermitteln. Auch das Stillen kann sich positiv auf die Bindung zwischen Mutter und Kind auswirken und dazu beitragen, dass der Säugling sich sicher und geborgen fühlt. Längsschnittuntersuchungen zeigen, dass Kinder, die im ersten Lebensjahr sicher gebunden sind, später besser zurechtkommen, sich als kompetenter im sozialen Umgang erweisen und seltener psychisch oder verhaltensauffällig sind [25].

Ein zweites Beispiel für eine wichtige Entwicklungsphase im Kindes- und Jugendalter stellt die Pubertät dar. Zu den zentralen Entwicklungsaufgaben in der Pubertät zählen die Auseinandersetzung mit den umfassenden physiologischen Veränderungen, die allmähliche Loslösung vom elterlichen Einfluss, die Entwicklung von Beziehungen zu Gleichaltrigen, einschließlich sexueller Erfahrungen, die Entwicklung eines Selbstkonzeptes sowie einer eigenen Weltanschauung und Zukunftsperspektive [26]. Zu Beeinträchtigungen der Gesundheit kommt es vor allem dann, wenn diese Entwicklungsaufgaben nicht bewältigt werden oder dauerhafte Belastungen auftreten und kumulieren, zum Beispiel Probleme in der Schule, Konflikte in der Familie oder Störungen in den Beziehungen zu Gleichaltrigen [27]. Sie äußern sich insbesondere in psychosomatischen Beschwerden, wie zum Beispiel in Kopf-, Bauch-, Rückenschmerzen, Müdigkeit und Erschöpfung oder Einschlafproblemen [28], sowie in psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten [29]. Daneben kommt der Pubertät große Bedeutung für die Etablierung gesundheitsriskanter Verhaltensweisen, wie zum Beispiel Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum, zu. In dieser Lebensphase kommen die Heranwachsenden zum ersten Mal mit diesen Substanzen in Berührung, und es werden verschiedene Konsumgewohnheiten erprobt [30, 31]. Eine wichtige Rolle spielen dabei die auf den Substanzgebrauch bezogenen Einstellungen, Wahrnehmungen und Bewertungen, die eng an die ersten Konsumerfahrungen gekoppelt sind. Einstellungen und Konsumgewohnheiten, die sich im Jugendalter etablieren, werden häufig auch im Erwachsenenalter beibehalten und damit zu Risikofaktoren der Gesundheit im weiteren Lebenslauf. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Substanzkonsum von Jugendlichen nicht primär unter Gesundheitsaspekten gesehen und bewertet wird. Von Bedeutung ist vielmehr die Funktionalität im Zusammenhang mit der Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben und alltäglicher Anforderungen und Probleme [31].

Modell kumulativer Prozesse

Das Modell kumulativer Prozesse geht davon aus, dass die Bedeutung bestimmter Risikofaktoren für die Gesundheit umso größer ist, je länger sie im Laufe des Lebens wirksam sind [32]. Neben der Dauer kommt auch der Intensität und dem Beginn der Risikoexposition ein hoher Stellenwert zu. Verdeutlichen lässt sich dies an den Gesundheitsgefahren, die mit dem Rauchen verbunden sind. Je länger geraucht wird, umso höher ist das Risiko zum Beispiel für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Atemwegserkrankungen und bestimmte Krebserkrankungen. Dabei zeigt sich, dass mit der Zahl der täglich gerauchten Zigaretten das Risiko für die Ausprägung dieser Krankheiten und daraus resultierend für eine vorzeitige Sterblichkeit steigt [33, 34]. Unabhängig von der Dauer und Intensität des Rauchens erhöht auch ein niedriges Einstiegsalter das Krankheitsrisiko. Dies gilt insbesondere, wenn bereits im Jugendalter mit dem Rauchen begonnen wird. Ein Grund hierfür ist, dass die Atmungsorgane in dieser Phase sehr vulnerabel sind und durch das Rauchen nachhaltig geschädigt werden können [35]. In dieser Hinsicht lässt sich also eine Verbindung zum Modell kritischer Perioden herstellen. Außerdem zeigen Studien, dass Personen, die früh mit dem Rauchen beginnen, später häufig zu den starken und nikotinabhängigen Rauchern zählen und seltener das Rauchen wieder aufgeben [36]. Auch für andere Risikofaktoren, wie zum Beispiel Mangel- und Fehlernährung, Übergewicht und Adipositas sowie geringe körperlich-sportliche Aktivität, wurde gezeigt, dass sie die Gesundheit umso stärker beeinflussen, je früher sie im Leben auftreten, je ausgeprägter sie sind und je länger sie wirken [37, 38].

Die meisten Krankheiten und Beschwerden sind nicht Folge des Wirkens einzelner Risikofaktoren, sondern resultieren aus dem Zusammenspiel mehrerer Risikofaktoren, die sich gegenseitig beeinflussen und verstärken können. Bedeutsame Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Krankheiten sind zum Beispiel Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte und Diabetes [39]. Treten diese gemeinsam auf, erhöht sich das Krankheitsrisiko. Dabei ist oftmals nicht von einem einfachen Additionseffekt, sondern von einem exponentiellen Zuwachs auszugehen. Beispielsweise konnte im Rahmen der prospektiven Framingham-Studie gezeigt werden, dass Raucher ein um den Faktor 1,6 erhöhtes Herzinfarktrisiko haben, das auf ein 6-fach erhöhtes Risiko steigt, wenn sie gleichzeitig erhöhte Blutfettwerte aufweisen. Bei Personen, die zudem noch unter Bluthochdruck leiden, ist das Herzinfarktrisiko sogar um das 16-Fache erhöht [40]. Ebenso gilt für Krebserkrankungen, Stoffwechselstörungen und andere chronische Krankheiten, dass sich die Effekte der bekannten Risikofaktoren kumulativ verstärken können [13, 41].

Gesundheitliche Risikofaktoren treten im Lebenslauf nicht immer gleichzeitig auf. Häufig folgen sie aufeinander, sind aber zumeist miteinander verknüpft. Ein Beispiel hierfür sind die im Modell kritischer Perioden angesprochenen frühen organischen Schädigungen, die häufig erst durch weitere, im Lebenslauf auftretende Risikofaktoren zur Manifestation einer Erkrankung führen. So konnte gezeigt werden, dass eine vorgeburtliche Beeinträchtigung der Atmungsorgane häufig erst dann zu schwerwiegenden Krankheiten, wie zum Beispiel zu einer chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit führt, wenn die betroffenen Personen mit dem Rauchen begonnen haben [42]. Ebenso konnte für das oben angesprochene Beispiel des Zusammenhangs zwischen mütterlicher Unterernährung während der Schwangerschaft, Schädigung der kindlichen Bauchspeicheldrüse und daraus resultierender Störung der Insulinausschüttung gezeigt werden, dass sich durch eine starke Gewichtszunahme des bei Geburt unterernährten Säuglings das Risiko für eine spätere Stoffwechselstörung stark erhöht [13]. Solche Beziehungen zwischen Risikofaktoren, die in zeitlicher Folge die Auftretenswahrscheinlichkeit für bestimmte Krankheiten beeinflussen, werden auch als „Risikoketten“ („chains of risks“) bezeichnet [6].

Das Modell kumulativer Prozesse legt den Schwerpunkt bislang auf die Wirkung von Risikofaktoren. Angesichts der aktuellen Public-Health-Forschung, die neben der Verringerung von Risikofaktoren die Stärkung von Gesundheitsressourcen betont, ist diese Sichtweise allerdings zu erweitern. Denn auch für Ressourcen gilt, dass sich diese im Lebenslauf entwickeln und sich ihre Wirkungen kumulativ verstärken können [6]. Dies lässt sich sowohl für Ressourcen annehmen, die als Bestandteil der Persönlichkeit verstanden werden können, wie zum Beispiel Selbstkompetenz, Kontrollüberzeugung oder Gesundheitswissen, als auch für Ressourcen, die im Zusammenhang mit dem sozialen Umfeld stehen, zum Beispiel soziale Unterstützung oder soziales Prestige. Die Persönlichkeitsbildung ist ein lebenslanger Prozess, der im Kindesalter einsetzt, im Jugendalter eine entscheidende Prägung erfährt, sich aber im Erwachsenenalter weiter fortsetzt. Bei bestimmten Persönlichkeitskonzepten, wie zum Beispiel Weisheit, ist auch im höheren Erwachsenenalter noch ein Zugewinn zu beobachten [43]. Auch für soziale Beziehungen und Netzwerke lässt sich feststellen, dass sie in allen Lebensabschnitten weiterentwickelt werden und sich ihre Bedeutung für die Gesundheit kumulativ verstärken kann. Ein Ausdruck findet dies in der großen Bedeutung, die soziale Beziehungen für das Leben und die Gesundheit älterer Menschen haben [44]. Das Modell kumulativer Prozesse sollte deshalb nicht nur auf Risikofaktoren, sondern ebenso auf Ressourcen bezogen werden, auch wenn Schnittstellen zum Modell kritischer Perioden aufgezeigt und diskutiert werden.

Modell sozialstruktureller Einflüsse

Sowohl beim Modell kritischer Perioden als auch beim Modell kumulativer Prozesse ist zu berücksichtigen, dass die dort beschriebenen Einflüsse und Prozesse wesentlich durch die Lebensbedingungen der Menschen bestimmt werden. Diese haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts kontinuierlich verbessert, was sich unter anderem am höheren allgemeinen Wohlstand, der Bildungsexpansion, dem Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und dem medizinischen Fortschritt festmachen lässt. Einen Ausdruck findet diese Entwicklung darin, dass die ehemals hohe Säuglings-, Kinder- und Müttersterblichkeit stark verringert werden konnte. Außerdem werden heute viele Krankheiten früher erkannt und besser behandelt, und es wird durch rehabilitative Maßnahmen ein Zugewinn an Lebensqualität erreicht.

Aber auch ein Wohlfahrtsstaat wie Deutschland ist durch eine soziale Ungleichheit der Lebensbedingungen und Lebenschancen charakterisiert. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass Menschen besser oder schlechter leben, sondern kommt auch in der Gesundheit und Lebenserwartung zum Ausdruck [45, 46]. Eine nach sozialen Merkmalen ungleiche Verteilung lässt sich bereits für organische Schädigungen während der fötalen Entwicklung belegen. Eine ungesunde Ernährungsweise, Rauchen, Stressbelastungen und Krankheiten sind bei Schwangeren mit niedrigem sozialem Status deutlich häufiger anzutreffen als bei Schwangeren mit mittlerem oder hohem sozialem Status [47]. Daraus resultiert im Sinne des Konzeptes der biologischen Programmierung, dass Kinder, die in nachteilige Lebensumstände hineingeboren werden, ein höheres Risiko für organische Schädigungen haben und im Erwachsenenalter einem höheren Krankheits- und vorzeitigen Sterberisiko unterliegen. Ebenso lässt sich für frühkindliche Risikofaktoren der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung ein enger Zusammenhang zum sozialen Status der Herkunftsfamilie annehmen. Die Konzepte der biologischen und sozialen Programmierung bieten damit Anknüpfungspunkte für die Beantwortung der aktuell rege diskutierten Frage, wie sich gesundheitliche Ungleichheit im Lebenslauf aufbaut und auswirkt [5, 9].

Auch das Modell kumulativer Prozesse liefert Erklärungsansätze für die ungleiche Verteilung der Gesundheitschancen. Beispielsweise kann für verhaltenskorrelierte Risikofaktoren gezeigt werden, dass diese in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen deutlich häufiger anzutreffen sind [45, 48]. Das Gesundheitsverhalten hängt nicht nur von individuellen Einstellungen, Wahrnehmungen und Präferenzen ab, sondern wird entscheidend durch die Lebensumstände der Menschen geprägt. So verweisen Studien darauf, dass es Menschen deutlich schwerer fällt, das Rauchen aufzugeben oder zumindest einzuschränken, wenn sie psychosozialen Belastungen, wie zum Beispiel finanziellen Sorgen, familiären Konflikten oder berufsbedingten Stresserfahrungen, ausgesetzt sind. Auch für andere Verhaltensänderungen, zum Beispiel bezüglich der Ernährung, der körperlich-sportlichen Aktivität und der Inanspruchnahme von Präventionsangeboten, zeigt sich, dass die individuelle Absicht und Bereitschaft ein notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung ist, um diese umzusetzen, und nachteilige sozioökonomische und psychosoziale Lebensumstände häufig ein Grund für das Scheitern beabsichtigter Verhaltensänderungen darstellen. Für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen lässt sich aber nicht nur feststellen, dass sozioökonomische, psychosoziale und verhaltensbezogene Risikofaktoren häufiger zusammentreffen und sich kumulativ verstärken können. Ebenso zeigt sich, dass sie über geringere personale und soziale Ressourcen verfügen, die sich unmittelbar positiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken oder aber zur Verringerung und Bewältigung von Belastungen und damit verbundenen Gesundheitsgefahren beitragen können [49].

In diesem Betrachtungszusammenhang ist außerdem auf die Bedeutung der Lebensumstände für die Verkettung und zeitliche Abfolge von Risikofaktoren hinzuweisen. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass nachteilige Lebensbedingungen die Dynamik von Risikoketten und das Risiko für Krankheiten verstärken können. Ein viel zitiertes Beispiel ist die Raucherkarriere: Das Risiko für eine organische Schädigung durch mütterliches Rauchen ist bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien deutlich erhöht. Dem folgt oftmals eine Passivrauchexposition im Säuglings- und Kindesalter, ein früher Beginn der eigenen Raucherkarriere, wobei auch das negative Vorbild der Eltern eine wichtige Rolle spielt, verbunden mit einer größeren Schwierigkeit, das Rauchen später aufzugeben [9]. Für das Risiko einer Adipositasausprägung werden die Weichen ebenfalls früh und sozial ungleich gestellt: Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben häufiger übergewichtige oder adipöse Mütter. Dies wirkt sich auf die fötale Entwicklung aus und kommt in einem höheren Geburtsgewicht zum Ausdruck, dem häufig eine übermäßige Gewichtszunahme in den ersten Lebensmonaten und die Entwicklung von Adipositas im Kindes- und Jugendalter folgt, die sich im Erwachsenenalter fortsetzt und verstärkt [37]. Auch bezüglich der sozialen Entwicklung kann eine Verkettung von Risikofaktoren ausgemacht werden. So haben Kinder, die in Armut aufwachsen, nachweislich geringere Bildungschancen, was sich nicht nur in niedrigen formalen Schul- und Ausbildungsabschlüssen zeigt, sondern auch hinsichtlich der Entwicklung sozialer Kompetenzen [50, 51]. Daraus resultieren geringere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt und ein erhöhtes Risiko, die Erfahrung von Arbeitslosigkeit und Armut zu machen. Dieser Zusammenhang, der im Einklang mit den Annahmen des Konzeptes der sozialen Programmierung steht, wird in der Lebenslaufforschung auch als „Vererbung des Armutsrisikos“ bezeichnet, um die langfristigen, oftmals mehrere Generationen übergreifenden Konsequenzen für die Lebens- und damit verbundenen Gesundheitschancen zu unterstreichen [52].

Ausgehend von dieser Beobachtung wurde in zahlreichen Studien untersucht, welche Bedeutung der sozialen Herkunft und den frühkindlichen Lebensbedingungen im Vergleich zum sozialen Status und den Lebensumständen im Erwachsenenalter für die Gesundheitschancen im Lebenslauf zukommt. Diese Studien zeigen eindrücklich, dass die soziale Herkunft häufig einen unabhängigen Effekt auf die Gesundheit im mittleren und höheren Erwachsenenalter hat, wobei die relative Bedeutung allerdings mit dem betrachteten Gesundheitsoutcome variiert [6, 53]. Beispielsweise konnte im Rahmen der britischen Geburtskohortenstudien ein Einfluss der sozialen Herkunft auf das Mortalitätsrisiko im mittleren Lebensalter belegt werden, der sich auch nach Adjustierung für den aktuellen sozialen Status als signifikant erwies. Ähnliche Ergebnisse wurden für die Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes und das Risiko für koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und Magenkrebs erzielt. Für Lungenkrebs und Atemwegserkrankungen ergaben sich hingegen keine signifikanten Effekte der sozialen Herkunft, wenn gleichzeitig der aktuelle soziale Status betrachtet wurde. Die zentralen Risikofaktoren für beide Erkrankungen scheinen demnach im Erwachsenenalter angesiedelt zu sein, wobei insbesondere dem Rauchen große Bedeutung zukommen dürfte [6].

Zur Erklärung der vielfach belegten sozialen Unterschiede im Krankheits- und Sterbegeschehen sind neben den kritischen Perioden und kumulativen Prozessen auch gesundheits- beziehungsweise krankheitsbedingte Selektionsprozesse zu berücksichtigen. Kinder und Jugendliche, die von schwerwiegenden Krankheiten oder Behinderungen betroffen sind, haben oftmals geringere Bildungs- und Ausbildungschancen und folglich schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt [54]. Ebenso können Beeinträchtigungen der Gesundheit, die sich erst im Erwachsenenalter offenbaren, die Erwerbschancen mindern. Zahlreiche Studien und Statistiken belegen, dass gesundheitlich beeinträchtigte Erwerbspersonen einem erhöhten Risiko unterliegen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und größere Schwierigkeiten haben, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren [55, 56]. Die Arbeitslosigkeit kann einen sozialen Abstieg nach sich ziehen, der zum Beispiel an Einkommenseinbußen, Ansehensverlusten oder einem verminderten Lebensstandard, festgemacht werden kann. Dies gilt auch in Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland, die spezifische Förderprogramme zur Ausbildung und Integration für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen und eine vergleichsweise gute soziale Absicherung im Krankheitsfall vorsehen. Nationale und internationale Forschungsbefunde legen zwar nahe, die Bedeutung der gesundheits- beziehungsweise krankheitsbedingten Selektion nicht zu hoch zu bewerten [57, 58]. Dennoch sollte berücksichtigt werden, dass sich die gesundheitliche Ungleichheit nicht allein über Einflüsse in kritischen Perioden und über die Kumulation und Verkettung von Risikofaktoren im Lebenslauf erklärt. Besonders mögliche Wechselwirkungen zwischen Verursachungs- und Selektionsprozessen sind mitzudenken, die sich durchaus in Einklang mit dem Modell kumulativer Prozesse bringen lassen. So können während der fötalen Entwicklung aufgetretene Schädigungen und daraus resultierende Gesundheitsprobleme zu verminderten Bildungschancen führen, die dann wiederum die Gesundheitschancen beeinträchtigen. Ebenso können Krankheiten und Beschwerden, die zu einem Verlust des Arbeitsplatzes geführt haben, sich aufgrund der mit der Arbeitslosigkeit verbundenen Nachteile und Belastungen verfestigen oder sogar verschlimmern und die Rückkehr in die Arbeitswelt erschweren (vergleiche [8, 59]).

Empirische Befunde zur gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland

In Deutschland mangelt es bislang an Daten, um die skizzierten Perspektiven und Fragestellungen der epidemiologischen Lebenslaufforschung empirisch zu untersuchen. Dazu wären Längsschnittuntersuchungen wie die britischen Geburtskohortenstudien erforderlich, die eine langfristige Beobachtung der Studienteilnehmer vom Kindes- und Jugendalter bis in das Erwachsenenalter erlauben. Im Folgenden wird sich deshalb darauf beschränkt, die gesundheitliche Situation der heranwachsenden Generation auf Basis aktueller Querschnittsdaten zu beschreiben. Dazu wird zuvorderst auf Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) zurückgegriffen, der vom Robert Koch-Institut im Zeitraum von 2003 bis 2006 durchgeführt wurde. In der KiGGS-Studie wurden bundesweit repräsentative Informationen zu fast allen relevanten Facetten der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 17 Jahren erhoben [60, 61]. Daneben werden vor allem Ergebnisse der internationalen Studie „Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)“ und der Repräsentativbefragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vorgestellt. In der HBSC-Studie, die in Deutschland zuletzt im Jahr 2006 stattfand und an der sich aktuell fünf Bundesländer (Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen, Berlin und Hamburg) beteiligen, werden die psychosoziale Gesundheit und das Gesundheitsverhalten von 11- bis 15-jährigen Jugendlichen untersucht [62, 63]. Die Repräsentativbefragungen der BZgA legen den Schwerpunkt auf den Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum im Jugend- und jungen Erwachsenenalter und werden bereits seit den 1970er-Jahren durchgeführt, sodass auch Aussagen über zeitliche Entwicklungen und Trends möglich sind [64, 65]. Darüber hinaus werden Einzelbefunde aus weiteren Erhebungen berichtet, zum Beispiel aus den Einschulungsuntersuchungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), die der Feststellung der Schulfähigkeit der Einschüler dienen, und aus der Deutschen Perinatalerhebung, einer Vollerhebung aller Krankenhausgeburten in Deutschland. Für die Auswahl der Forschungsergebnisse war ausschlaggebend, inwieweit diese aus Sicht der epidemiologischen Lebenslaufforschung als frühe Weichenstellungen für die Gesundheit im späteren Leben begriffen werden können.

Perinatale Einflussfaktoren

Mit den Daten der KiGGS-Studie sind unter anderem Aussagen über perinatale Einflussfaktoren auf die Gesundheit im späteren Leben möglich, zum Beispiel über den Tabakkonsum der Mutter während der Schwangerschaft. Demnach haben 18% der Mütter, deren Kinder zwischen 1986 und 2005 geboren wurden, auch während der Schwangerschaft geraucht. Dabei lässt sich im Vergleich der einzelnen Geburtsjahrgänge ein Rückgang von 22% auf 16% feststellen. Auch wenn dieser nicht kontinuierlich verlaufen ist, so deuten diese Zahlen doch an, dass heute weniger werdende Mütter rauchen als vor 20 Jahren. Der Vergleich mit dem aktuellen Rauchstatus der Mütter spricht dafür, dass etwa die Hälfte der Mütter während der Schwangerschaft das Rauchen ausgesetzt hat, aber sehr viele von ihnen später wieder mit dem Rauchen angefangen haben [16]. Nach den Ergebnissen der Deutschen Perinatalerhebung rauchten im Jahr 2005 rund 12% der schwangeren Frauen. Im Vergleich zum Jahr 2001 bedeutet dies einen Rückgang um 1 Prozentpunkt. Im Durchschnitt rauchten diese Frauen während der Schwangerschaft zehn Zigaretten am Tag und setzten ihr ungeborenes Kind damit einer erheblichen Gefahr aus [66].

Die KiGGS-Daten geben außerdem Aufschluss über den Alkoholkonsum während der Schwangerschaft und über das Stillverhalten der Mütter. Dass sie zumindest gelegentlich während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben, trifft auf 14% der Frauen zu, wobei sich anders als beim Rauchen keine bedeutsamen Veränderungen im Zeitverlauf feststellen ließen [16]. Von den zwischen 1986 und 2005 geborenen Kindern wurden nach Auskunft der Mütter 77% gestillt. Im Vergleich der Geburtsjahrgänge stieg der Anteil der gestillten Kinder von 74% auf 82% an. Allerdings stillte nur rund ein Drittel der Mütter, die jemals gestillt haben, ihr Kind gemäß den aktuellen Empfehlungen mindestens sechs Monate lang. Bezogen auf alle Mütter waren dies lediglich 22%, sodass wie beim Tabak- und Alkoholkonsum von weiterhin vorhandenen Präventionspotenzialen während der Schwangerschaft ausgegangen werden kann [18].

Körperliche und psychische Gesundheit

Rückschlüsse auf Entwicklungsverzögerungen und -störungen im frühen Kindesalter lassen die Einschulungsuntersuchungen des ÖGD zu. So wurden zum Beispiel bei 45% der Brandenburger Kinder, die zum Schuljahr 2004/05 eingeschult wurden, medizinisch relevante Befunde erhoben und bei 15% eine Überweisungsempfehlung ausgesprochen. Es handelte sich dabei häufig um frühförderrelevante Auffälligkeiten, die für den späteren Schulerfolg als sehr bedeutsam erachtet werden können und bei rechtzeitiger Behandlung positiv beeinflussbar sind, zum Beispiel Sprach- und Sprechstörungen, Sehstörungen, Hörstörungen, psychomotorische Störungen sowie intellektuelle Entwicklungsverzögerungen [67].

Das Krankheitsspektrum im Kindes- und Jugendalter wird von akuten Erkrankungen wie Erkältungen, Bronchitis und Magen-Darm-Infekten dominiert, die ebenso wie die meisten Kinderkrankheiten in aller Regel gut ausheilen und keine langfristigen Auswirkungen haben. Aus Sicht der epidemiologischen Lebenslaufforschung sind früh auftretende chronische Krankheiten als problematischer anzusehen, da sich diese häufig im Erwachsenenalter fortsetzen, in vielen Fällen mit einem progredienten Verlauf. Nach den KiGGS-Daten ist die häufigste chronische Krankheit im Kindes- und Jugendalter mit einer Lebenszeitprävalenz von über 13% die obstruktive Bronchitis. Relativ häufig sind auch die atopischen Erkrankungen Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma mit Lebenszeitprävalenzen von 13%, 11% und 5%. Die Lebenszeitprävalenzen anderer chronischer Krankheiten schwanken zwischen 0,1% bei Diabetes mellitus und 3,6% bei Krampfanfällen/epileptischen Anfällen [68]. Psychosomatische Beschwerden, die keine organischen Ursachen haben, sondern im Zusammenhang mit psychosozialen Belastungen stehen, kommen nach den Daten der HBSC-Studie bei 21% der Jugendlichen im Alter von 11 bis 15 Jahren fast täglich vor, 4% der Jugendlichen sind täglich sogar von drei oder mehr Symptomen betroffen. Am häufigsten treten Gereiztheit, Einschlafschwierigkeiten und Kopfschmerzen auf, aber auch Bauch- und Rückenschmerzen, Niedergeschlagenheit, Nervosität und Schwindel sind unter den Heranwachsenden weit verbreitet [69].

In der Lebenslaufperspektive ist außerdem das frühe Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten von großer Bedeutung, weil von nachhaltigen Konsequenzen für die psychische und psychosoziale Gesundheit ausgegangen werden kann. Nach den KiGGS-Daten sind 7% der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren als verhaltensauffällig einzustufen, bei weiteren 8% finden sich Anhaltspunkte hierfür. Am häufigsten fallen Kinder und Jugendliche durch aggressives und dissoziales Verhalten auf, gefolgt von Problemen mit Gleichaltrigen, Ängstlichkeit und Depressivität sowie Unaufmerksamkeit und motorischer Unruhe [29, 70].

Ernährung, Bewegung und Übergewicht

Frühe Weichenstellungen für die Gesundheit im späteren Leben ergeben sich außerdem durch das Ernährungs- und Bewegungsverhalten im Kindes- und Jugendalter und das damit im Zusammenhang stehende Risiko für Übergewicht und Adipositas. Die KiGGS-Daten zeigen, dass sich viele Kinder und Jugendliche, gemessen an den aktuellen Empfehlungen [71], ungünstig ernähren. Beispielsweise verzehren von den 6- bis 11-jährigen Kindern lediglich 19% die empfohlenen Mengen Obst und nur 6% die empfohlenen Mengen Gemüse. Auch in der Gruppe der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen erreicht nur etwas mehr als ein Fünftel die empfohlenen Verzehrmengen. Außerdem werden zu wenig Lebensmittel verzehrt, die reich an komplexen Kohlenhydraten sind, wie zum Beispiel Brot, Getreideprodukte und Kartoffeln. Entsprechendes gilt für Milch und Milchprodukte. Der Fleisch- und Wurstkonsum hingegen ist deutlich zu hoch. Außerdem konsumieren die Heranwachsenden zu viele Süßwaren, Knabberartikel und Limonaden [72]. Das oftmals ungünstige Ernährungsverhalten lässt sich aber nicht nur am Lebensmittelverzehr und der Nährstoffzufuhr festmachen, sondern auch an Ernährungsroutinen und Störungen des Essverhaltens. In der KiGGS-Studie fanden sich bei 22% der Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren Hinweise auf ein essgestörtes Verhalten, wobei das eingesetzte Screeninginstrument insbesondere auf die Feststellung von Symptomen der Magersucht und Bulimie zielte [73].

Auch beim Bewegungsverhalten sind bei einem Teil der Kinder und Jugendlichen Defizite auszumachen. Die Ergebnisse einer Untersuchung des Instituts für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe zeigen, dass Grundschüler im Alter von sechs bis zehn Jahren im Durchschnitt etwa neun Stunden am Tag im Sitzen verbringen, neun Stunden im Liegen, fünf Stunden stehend und lediglich eine Stunde in Bewegung [74]. Damit im Einklang stehen die Ergebnisse eines bundesweiten Bewegungs-Check-Ups des Wissenschaftlichen Instituts der Ärzte in Deutschland (WIAD), der für den Zeitraum von 1995 bis 2000 bei 10- bis 14-jährigen Schülern einen Rückgang der allgemeinen Fitness um mehr als 20% belegte. Am stärksten waren die Einbußen in den Bereichen Ausdauer und Koordination, denen für die körperliche wie geistige Entwicklung im Kindes- und Jugendalter große Bedeutung zukommt [75]. Nach den Daten der KiGGS-Studie treiben immerhin drei Viertel der Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren mindestens einmal in der Woche Sport, mehr als ein Drittel ist sogar dreimal oder häufiger in der Woche sportlich aktiv. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass ein Viertel der Kinder aus dieser Altersgruppe keinerlei sportlicher Aktivität nachgeht [76]. Die Ergebnisse des an die KiGGS-Studie angeschlossenen Motorik-Moduls (MoMo) zeigen darüber hinaus, dass die sportliche Aktivität im Jugendalter abnimmt und dies auf eine geringere Sportausübung in Vereinen zurückzuführen ist. Die aktuellen Empfehlungen zum Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen, die zu einer täglichen, mindestens 60 Minuten andauernden körperlich-sportlichen Aktivität bei moderater bis hoher Intensität raten [77, 78], werden nach den MoMo-Daten lediglich von 15% der Kinder und Jugendlichen im Alter von vier bis 17 Jahren erreicht [79].

Um Aussagen über die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas in der heranwachsenden Generation zu treffen, kann erneut auf Daten der KiGGS-Studie zurückgegriffen werden. Demnach sind 15% der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis 17 Jahren übergewichtig. Darin eingeschlossen sind 6% der Heranwachsenden, bei denen sich bereits eine Adipositas entwickelt hat. Unter Hinzuziehung von Vergleichsdaten, die in den Jahren 1985 bis 1999 erhoben wurden, kann gezeigt werden, dass sich der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen im Zeitverlauf um etwa 50% erhöht hat. Der Anteil der adipösen Heranwachsenden hat sich sogar verdoppelt [80].

Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum

Aussagekräftige Daten zum Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum im Jugendalter werden unter anderem durch die Repräsentativbefragungen der BZgA bereitgestellt. Diese weisen darauf hin, dass die Prävalenzen für Rauchen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind. Während im Jahr 2001 noch 28% der Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren rauchten, waren es im Jahr 2008 nur noch 15%. Parallel dazu hat auch der Anteil der täglichen und starken Raucher, gemessen an einem Konsum von zehn oder mehr Zigaretten am Tag, abgenommen. Aktuell rauchen etwa 6% der Jugendlichen täglich und 3% stark. Aus Sicht der Prävention ist von besonderer Bedeutung, dass der Anteil der Jugendlichen, die gar nicht erst mit dem Rauchen beginnen, in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat. Im Jahr 2001 traf dies lediglich auf 41% der Jugendlichen zu, im Jahr 2008 hingegen schon auf über 60% der Heranwachsenden [64].

Der Alkoholkonsum ist gemäß Daten der BZgA über die Zeit rückläufig. Zurückzuführen ist dies auf einen geringeren Bier- und Weinkonsum. Der regelmäßige Konsum von Spirituosen und alkholhaltigen Mischgetränken ist hingegen nahezu unverändert geblieben. In den letzten Jahren werden allerdings Bier und bier- beziehungsweise weinhaltige Mischgetränken wieder etwas mehr konsumiert. Dafür ist seit dem Jahr 2004 ein deutlicher Rückgang bei den in den Vorjahren sehr populären Alkopops zu verzeichnen. Besonders negative Entwicklungsaspekte sind das in den letzten Jahren sukzessiv gesunkene Einstiegsalter in den regelmäßigen Alkoholkonsum sowie die starke Verbreitung riskanter Konsummuster. So zeigen die Daten aus dem Jahr 2008, dass 20% der Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren im letzten Monat vor der Befragung mindestens einmal fünf oder mehr Gläser bei einer Trinkgelegenheit konsumiert haben. Bezieht man dieses sogenannte „Binge Drinking“ auf die vorausgegangene Woche, liegt die Prävalenz bei 6% [65].

Der Konsum illegaler Drogen ist unter Jugendlichen zwar weniger verbreitet als der Tabak- und Alkoholkonsum, er ist aber aufgrund der erheblichen Konsequenzen für die soziale und gesundheitliche Entwicklung der Heranwachsenden nicht zu vernachlässigen. Nach den Daten der BZgA ist Cannabis die von Jugendlichen mit Abstand am häufigsten konsumierte Droge. In den 1980er- und 1990er-Jahren hat der Cannabiskonsum kontinuierlich zugenommen. Für den Zeitraum von 2004 bis 2008 lässt sich allerdings eine Umkehr dieser Entwicklung beobachten, was sich an einem Rückgang der Prävalenz bei den 12- bis 17-jährigen Jugendlichen von 15% auf unter 10% festmachen lässt. Der Anteil der regelmäßigen Cannabiskonsumenten, die im zurückliegenden Jahr mindestens zehnmal Cannabisprodukte geraucht haben, hat sich von 1,7% auf 1,1% reduziert [65].

Einfluss des sozialen Status

Die in Deutschland vorhandenen Datenquellen liefern eine Vielzahl von Belegen für sozialstrukturelle Einflüsse auf die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen. So rauchen werdende Mütter mit niedrigem Sozialstatus während der Schwangerschaft etwa viermal häufiger als Schwangere mit hohem Sozialstatus [16, 66]. Auch während der Stillzeit und dem gesamten Kindes- und Jugendalter sind die Heranwachsenden aus der niedrigen Statusgruppe einer höheren Passivrauchexposition ausgesetzt [81]. Außerdem werden Kinder aus der niedrigen Statusgruppe seltener und im Durchschnitt kürzer gestillt. Der Anteil der Kinder, die über einen Zeitraum von sechs Monaten voll gestillt werden, ist in der niedrigen im Vergleich zur hohen Statusgruppe um das 1,6-Fache geringer [18].

Zum Zeitpunkt der Einschulung werden Entwicklungsverzögerungen und -störungen bei Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern etwa dreimal häufiger festgestellt. Besonders groß sind die statusspezifischen Unterschiede bei frühförderrelevanten Befunden wie Sprach- und Sprechstörungen, psychomotorische Störungen sowie intellektuelle Entwicklungsverzögerungen [67]. Vergleichsweise geringe soziale Unterschiede zeigen sich bei körperlichen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Außerdem sprechen die Ergebnisse nicht immer für eine höhere Betroffenheit sozial benachteiligter Kinder. Beispielsweise kommen allergische Erkrankungen vermehrt bei Kindern und Jugendlichen aus Familien mit hohem Sozialstatus vor [67, 68]. Im Gegensatz dazu sind Kinder und Jugendliche aus sozial schlechter gestellten Familien häufiger von psychosomatischen Beschwerden betroffen [82]. Gleiches gilt für Verhaltensauffälligkeiten, die bei Kindern und Jugendlichen aus der niedrigen Statusgruppe etwa viermal häufiger zu beobachten sind [83].

Der Einfluss des sozialen Status findet darüber hinaus im Gesundheitsverhalten und damit verbundenen Risikofaktoren einen deutlichen Niederschlag. Zu verweisen ist unter anderem darauf, dass Kinder und Jugendliche aus der niedrigen Statusgruppe seltener Sport treiben, wobei die Unterschiede gegenüber den Gleichaltrigen aus den höheren Statusgruppen vor allem beim Vereinssport zutage treten [76, 79]. Außerdem ist das Risiko für Übergewicht und Adipositas bei ihnen um mehr als das Doppelte erhöht [83], und auch Hinweise auf Essstörungen finden sich bei ihnen signifikant häufiger [73]. Beim Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum sind die vorliegenden Ergebnisse inkonsistent. Bezüglich des Rauchverhaltens und des riskanten Alkoholkonsums sind soziale Unterschiede festzustellen, die sich allerdings weniger an der sozialen Herkunft als am besuchten Schultyp festmachen lassen. Beispielsweise rauchen Jugendliche, die eine Hauptschule besuchen, drei- bis viermal häufiger als Jugendliche auf Gymnasien. Beim Cannabiskonsum lassen sich hingegen keine sozialen Unterschiede feststellen [31, 81].

Die vorliegenden Studien weisen darüber hinaus auf den hohen Stellenwert von Ressourcen für die gesundheitliche Situation im Kindes- und Jugendalter und auf die sozial ungleiche Verteilung der Gesundheitschancen in der heranwachsenden Generation hin. So begünstigen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, wie zum Beispiel ein hohes Selbstwertgefühl, eine optimistische Lebenseinstellung oder ein ausgeprägter Kohärenzsinn, die gesundheitliche Entwicklung der Heranwachsenden, was unter anderem an einem verminderten Risiko für Verhaltensauffälligkeiten und einer geringeren Affinität gegenüber dem Rauchen festgemacht werden kann. Ebenso können sich ein positives Familienklima und familiäre Unterstützung sowie positive Erfahrungen in der Gleichaltrigengruppe vorteilhaft auf die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten der Heranwachsenden auswirken [70, 82]. Diese protektiven Effekte sind in allen Statusgruppen festzustellen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass die Ressourcen ungleich verteilt sind und sie sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen im geringeren Umfang zur Verfügung stehen.

Ganz ähnliche Zusammenhänge lassen sich für die Schulbildung konstatieren. Im Allgemeinen gilt, dass Gymnasiasten bessere Gesundheitschancen haben als Real- und Gesamtschüler und insbesondere als Hauptschüler [84]. Wenn Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien den Sprung auf das Gymnasium schaffen, unterscheiden sich ihr Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten jedoch nicht wesentlich von dem der Mitschüler aus sozial besser gestellten Elternhäusern [48]. Die mit einer ungünstigeren sozialen Herkunft verbundenen Nachteile können also zumindest teilweise durch eine erfolgreiche Schullaufbahn kompensiert werden. Die Zugangschancen zum Gymnasium sind aber ungleich verteilt und für Kinder aus benachteiligten Familienverhältnissen um ein Vielfaches geringer [51].

Fazit

Die epidemiologische Lebenslaufforschung hat in den letzten Jahren zahlreiche Belege dafür erbracht, dass in der Kindheit und Jugend wichtige Weichenstellungen für die Gesundheit im späteren Leben erfolgen. Demnach sind Phasen eines raschen physiologischen Wachstums als kritische Perioden anzusehen, die mit einer erhöhten organischen Vulnerabilität einhergehen. Können sich die organischen Kapazitäten in diesen Phasen nicht voll ausbilden, kann dies zu irreversiblen Schäden führen, die im weiteren Lebenslauf das Risiko für zahlreiche Krankheiten erhöhen. Ebenso ist bei der sozialen, emotionalen und psychischen Entwicklung von kritischen Perioden auszugehen. Werden diese nicht angemessen durchlaufen, kann sich dies nachhaltig auf die gesundheitliche Situation im Erwachsenenalter auswirken. Diese Phasen lassen sich oftmals an spezifischen Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter festmachen, deren Bewältigung für die weitere Entwicklung der Heranwachsenden von entscheidender Bedeutung ist. Daneben ist die Kumulation von Risikofaktoren im Lebenslauf ein Ansatzpunkt, um das Auftreten von Krankheiten und Gesundheitsproblemen im mittleren und höheren Lebensalter zu erklären. Der Einfluss dieser Risikofaktoren ist umso größer, je früher sie im Leben auftreten und je länger die Risikoexposition andauert. Auch in Bezug auf Ressourcen kann von einer Kumulation über die Lebenszeit ausgegangen werden. Zu verweisen ist hier unter anderem auf die Persönlichkeitsbildung und die Entwicklung sozialer Beziehungen. Kritische Perioden wie auch kumulative Prozesse sollten dabei im Zusammenhang mit sozialstrukturellen Einflüssen gesehen werden. Nachteilige Lebensumstände in der Kindheit und Jugend bedeuten einen schlechten Start ins Leben. Sie können sich über frühkindliche Schädigungen und/oder die Kumulation von Risikofaktoren auf die Gesundheit im späteren Leben auswirken. Die Erkenntnisse der epidemiologischen Lebenslaufforschung sind damit auch aufschlussreich, um zu erklären, wie gesundheitliche Ungleichheit entsteht und in den verschiedenen Lebensphasen zum Ausdruck kommt.

Unter Berücksichtigung der beschriebenen Perspektiven lassen sich anhand der vorliegenden Daten zur gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen noch nicht ausreichend ausgeschöpfte Präventionspotenziale identifizieren. Dies gilt sowohl für perinatale Einflussfaktoren als auch für Risikofaktoren und Ressourcen der gesundheitlichen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter. Unter anderem ist auf Aspekte der psychischen und psychosozialen Gesundheit sowie des Gesundheitsverhaltens zu verweisen, die auch Schwerpunkte der aktuellen Bemühungen um die Prävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen darstellen. Auf die Forschungsbefunde zur Kinder- und Jugendgesundheit wird zunehmend zurückgegriffen, um gesundheitspolitische Programme und Strategien zu entwickeln beziehungsweise neu auszurichten. Beispielsweise sind die Ergebnisse der KiGGS-Studie eine wichtige Grundlage und Referenz für den Nationalen Aktionsplan „IN FORM“ [85], die Initiative „Leben hat Gewicht“ [86] und die „Strategie dar Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit“ [87]. Ebenso haben die KiGGS-Ergebnisse dazu beigetragen, die nationalen Gesundheitsziele für Kinder und Jugendliche weiterzuentwickeln [88, 89]. Für die Nutzung der KiGGS-Ergebnisse hat es sich als sehr vorteilhaft erwiesen, dass das RKI gemeinsam mit der BZgA ein politisches Transferkonzept erarbeitet hat, in dem die epidemiologischen Erkenntnisse mit dem vorhandenen Präventions- und Interventionswissen zusammengeführt wurden [72].

Um die Planungs- und Handlungsgrundlagen weiter zu verbessern, ist eine regelmäßige Verfügbarkeit aussagekräftiger Daten erforderlich. Die KiGGS-Studie, die aktuell im Rahmen des Gesundheitsmonitorings des RKI [90] als Kohortenstudie fortgeführt wird, bietet hierfür sehr gute Voraussetzungen. Wenn es gelingt, die KiGGS-Studie langfristig fortzusetzen und die Studienteilnehmer ins Erwachsenenalter zu begleiten, könnten wichtige Erkenntnisse über die gesundheitliche Entwicklung im Kindes- und Jugendalter und über frühe Weichenstellungen für die Gesundheit im späteren Leben gewonnen werden.