Berufung von Nationalen Referenzzentren

Im Jahr 1995 wurden verschiedene Maßnahmen zum Aufbau einer effizienten Infektionsepidemiologie in Deutschland getroffen [1, 2, 3]. Ein wichtiger Baustein war die Schaffung eines Systems von Nationalen Referenzzentren (NRZ) und Konsiliarlaboratorien (KL). Diese stellen wesentliche Elemente im Rahmen des Infektionsschutzes dar und ergänzen die infektionsepidemiologische Surveillance durch die mikrobiologische Überwachung bestimmter Erreger. Seit 1995 werden daher in Deutschland NRZ zur Überwachung wichtiger Infektionserreger benannt und durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) berufen und finanziell unterstützt. Der Entscheidung über die zu etablierenden NRZ liegen Überlegungen zur epidemiologischen Relevanz von ausgewählten Erregern oder Syndromen, zur Spezialdiagnostik, zu Resistenzproblemen und zu Maßnahmen des Infektionsschutzes zugrunde. Dabei muss beachtet werden, dass die große Zahl von Erregern, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften schwer in einer Rangfolge eingearbeitet werden können, eine große Herausforderung für die infektionsepidemiologische Forschung und den Infektionsschutz darstellen. Für einen sinnvollen Einsatz der begrenzten Ressourcen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) im Rahmen der epidemiologischen Forschung, des Infektionsschutzes und der Surveillance von Infektionskrankheiten ist es daher erforderlich, Infektionserreger nach Public-Health-Kriterien zu priorisieren. Dazu wurden international bereits in den zurückliegenden Jahren Versuche unternommen, Erreger anhand von standardisierten Abläufen und Kriterien zu priorisieren [4, 5, 6, 7, 8]. Auch die Abteilung für Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts (RKI) hat im Jahr 2004 begonnen, Erreger für Surveillance- und Forschungsstrategien zu priorisieren [9, 10, 11, 12, 13]. Diese Ergebnisse sollen ebenfalls in die Entscheidungen über die Etablierung von NRZ und KL einfließen.

Die letztendliche Entscheidung, für welche Erreger oder ausgewählte Syndrome ein NRZ etabliert wird, fällt ein Gremium, das aus Vertretern der Kommission Infektionsepidemiologie, des BMG und des RKI besteht. Fachliche Beratung erfolgt weiterhin von den Medizinischen Fachgesellschaften. Sofern die Schaffung eines NRZ als erforderlich angesehen wird, erfolgt eine Ausschreibung, um allen auf diesem Gebiet tätigen Spezialisten eine Bewerbung zu ermöglichen. Die Berufung erfolgt jeweils für eine dreijährige Periode in Abstimmung mit dem oben angeführten Gremium durch das BMG. Zum Ende der laufenden Berufungsperiode erfolgt eine Evaluation der NRZ, wobei zusätzlich zu den bereits genannten Experten entsprechend dem Aufgabenspektrum des jeweiligen NRZ von der Kommission Infektionsepidemiologie ausgewählte nationale und internationale Fachgutachter hinzugezogen werden. Auf Grundlage der Evaluation und nach fachlichen Erfordernissen wird entschieden, welche NRZ weitergeführt werden oder ob es erforderlich ist, neue NRZ zu etablieren. Die bisher durchgeführten Evaluationen führten unter anderem zu den Empfehlungen, die geografische Repräsentativität deutschlandweit zu gewährleisten sowie ausreichende Laborkapazität für die Bearbeitung von Ausbrüchen bereitzustellen. Weiterhin sollte eine enge Zusammenarbeit mit dem ÖGD, vor allem auch mit dem RKI, erfolgen. Auch die Erarbeitung internationaler Publikationen sollte einen besonderen Schwerpunkt darstellen.

Die Bewertung der NRZ orientiert sich insbesondere am allgemeinen Aufgabenkatalog für NRZ (siehe Übersicht  1). Darüber hinaus werden für die einzelnen NRZ spezifische Aufgaben definiert.

In der gegenwärtigen Berufungsperiode, die sich für die Mehrzahl der NRZ auf den Zeitraum von Januar 2008 bis Dezember 2010 erstreckt, sind insgesamt 18 NRZ aktiv (siehe Übersicht 2).

Ernennung von Konsiliarlaboratorien

Um für ein möglichst breites Spektrum von Krankheitserregern fachliche Kompetenz bereitzustellen, werden neben den NRZ zusätzlich KL zu weiteren gesundheitsrelevanten Infektionserregern und erregerbedingten klinischen Syndromen mit besonderer infektionsepidemiologischer Bedeutung ernannt. Die Entscheidung über die Etablierung eines KL trifft das RKI in Abstimmung mit den entsprechenden Medizinischen Fachgesellschaften sowie Vertretern des BMG und der Kommission Infektionsepidemiologie. Die Ernennung zum KL erfolgt durch den Präsidenten des RKI für einen dreijährigen Zeitraum. Gegenwärtig existieren 47 KL. Im Gegensatz zu den NRZ, die finanziell gefördert werden, leisten die KL bereits langjährig ihr Beratungsangebot ohne finanzielle Unterstützung. Erst seit dem Jahre 2008 steht ein bestimmter Grundbetrag zur Verfügung, der zur Förderung von Projekten genutzt wurde. Diese finanzielle Unterstützung konnte jedoch nicht an alle KL vergeben werden. Im Jahre 2009 wird daher neben der Förderung von Projekten, die insbesondere die Zusammenarbeit im Rahmen der Netzwerke widerspiegeln sollen, erstmalig für jedes KL ein finanzieller Grundbetrag zur Verfügung gestellt. Die KL ergänzen das bestehende Netz der NRZ, der Einrichtungen des ÖGD sowie der einschlägigen Universitätsinstitute in spezifischer Weise. Das Beratungsangebot steht hier im Vordergrund. Es sollte insbesondere dann in Anspruch genommen werden, wenn über die Routine hinausgehende Fragen beantwortet werden müssen. Zusätzlich werden spezielle diagnostische Leistungen angeboten. Als KL kommt ein Labor infrage, das alle oder eine bestimmte Auswahl von Aufgaben erfüllt (siehe Übersicht  3).

Eine wesentliche Rolle der NRZ und KL besteht in der Zusammenarbeit mit dem ÖGD. Dabei sind sie auch für das RKI sehr wichtige Kooperationspartner, zum Beispiel bei der Erstellung der Falldefinitionen, die im Rahmen der Übermittlung meldepflichtiger Erreger und Krankheiten gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) erarbeitet wurden, bei der Erarbeitung von Ratgebern/Merkblättern für Ärzte sowie bei Ausbruchsuntersuchungen und infektionsepidemiologischen Studien.

Die Koordination und fachliche Abstimmung zwischen den NRZ und KL erfolgt innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) durch die Ständige Arbeitsgemeinschaft der NRZ und KL. Als Vorsitzender dieser Arbeitsgemeinschaft fungiert Herr Prof. Dr. M. Kist.

Eine Übersicht, für welche gesundheitsrelevanten Infektionserreger und klinische Syndrome KL ernannt wurden, ist in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Konsiliarlaboratorien in Deutschland, 2009

Das Verzeichnis der NRZ und KL mit dem ausführlichen Leistungsangebot ist im Internet veröffentlicht und kann unter „http://www.rki.de>Infektionsschutz>Nationale Referenzzentren, Konsiliarlaboratorien“ abgerufen werden.

Etablierung eines Referenznetzwerkes

Seit dem Aufbau einer Infektionsepidemiologie im Jahre 1995 haben die NRZ und KL wertvolle wissenschaftliche Leistungen erbracht. Sie stellen sowohl national als auch international bedeutsame Ansprechpartner in Fachkreisen dar. Dies wird auch durch eine Vielzahl nationaler und internationaler Publikationen belegt. Bisher basierte die Arbeit der NRZ und KL jedoch zu häufig auf der Grundlage einer eingeschränkten Auswahl von Einsendern, und dabei wurde zu selten die Zusammenarbeit mit anderen thematisch naheliegenden NRZ und KL gesucht. Durch Bildung entsprechender Netzwerke könnten hier mehr als bisher Synergien genutzt werden.

Aus diesem Grund hat die Kommission Infektionsepidemiologie gemeinsam mit dem RKI begonnen, den Aufbau von Netzwerken innerhalb der NRZ und KL zu initiieren.

Ziel dieser Netzwerke ist es, den Erfahrungsaustausch von NRZ und KL zu diagnostischen Methoden und Präventionsansätzen zu fördern und die Ausstrahlung der Referenzstruktur in die Fläche zu verbessern. Außerdem sollte Laborkapazität auch für epidemiologische Fragestellungen, insbesondere im Falle großräumiger Ausbrüche, erweitert werden. Eine weitere wesentliche Aufgabe besteht darin, innerhalb der Netzwerke noch effizienter erregerübergreifende Fragestellungen zu bearbeiten. Innerhalb der Europäischen Union (EU) besteht der Anspruch auf gleichwertige Lebensbedingungen. Dabei spielt der Gesundheitsschutz eine wichtige Rolle. Vor allem Maßnahmen zum Schutz vor Infektionskrankheiten können schnell grenzüberschreitende Dimensionen entwickeln. Dies erfordert vielfältige Aktivitäten und Regelungen der EU, die den Informationsaustausch und die Koordination im Bereich des Infektionsschutzes zum Ziel haben [14, 15, 16, 17].

In diesem Zusammenhang werden auch das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) und die EU-Kommission Europäische Referenzzentren einrichten. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher NRZ und KL muss daher innerhalb der EU gestärkt werden. Dabei stellen bereits bestehende Netzwerkerfahrungen eine wesentliche Voraussetzung dar. In Zukunft wird auch die Akkreditierung der Labore eine unabdingbare Voraussetzung sein.

Im Rahmen der Vorbereitung der Etablierung von Netzwerken ist es daher sinnvoll, die bereits existierenden Erfahrungen anderer europäischer Länder zu nutzen. Aus diesem Grund wurde im Oktober 2008 am RKI ein internationaler Workshop organisiert, auf dem mit Vertretern Frankreichs, Großbritanniens, Schwedens und der Niederlande die nationalen Systeme von Referenzzentren in den einzelnen Ländern diskutiert wurden. Die Erfahrungen dieses Workshops wurden von den Mitgliedern der Kommission Infektionsepidemiologie ausgewertet und stellten die Grundlage für die Erarbeitung eines Konzeptes dar, mit dem das System der NRZ und KL den europäischen Anforderungen angepasst werden soll.

Der von der Kommission Infektionsepidemiologie erarbeitete Vorschlag für ein Netzwerk koordinierender NRZ mit assoziierten KL wurde auf der Sitzung der Ständigen DGHM-Arbeitsgemeinschaft NRZ/KL im Februar 2009 in Stuttgart mit den NRZ und KL diskutiert. In den Diskussionen wurde von den Teilnehmern der Tagung die Etablierung von Netzwerken nachdrücklich befürwortet. Jedes der vorgeschlagenen Netzwerke hat einen Sprecher gewählt. Die Aufgaben der Sprecher bestehen vor allem in der Organisation von Netzwerktreffen und in der Koordinierung gemeinsamer Projekte. Weiterhin sind sie Ansprechpartner für die Fragestellungen, die das gesamte Netzwerk betreffen. Bei krankheitsspezifischen oder erregerspezifischen Fragestellungen sind jedoch die jeweiligen NRZ oder KL weiterhin die direkten Ansprechpartner.

Eine finanzielle Förderung der Netzwerke kann in begrenztem Umfang durch das RKI erfolgen. Diese Förderung kann vor allem für die Finanzierung von Forschungsprojekten der Netzwerke und für Reisemittel im Rahmen von Netzwerktreffen eingesetzt werden.

Nach Beratung und Diskussion innerhalb der Netzwerke wurden in Stuttgart von jedem projektierten Netzwerk in einer Präsentation grundsätzliche Aufgaben und Projekte vorgestellt.

Auf Basis der Tagung in Stuttgart wurde das nachfolgend aufgeführte Netzwerkkonzept erarbeitet, das in Übersicht 4 dargestellt ist. Dabei wurde berücksichtigt, dass NRZ und KL auch gleichzeitig in mehreren Netzwerken tätig sein können. Sie können dabei sowohl als „feste Mitglieder“ in das Netzwerk integriert als auch im Rahmen bestimmter Projekte als „zusätzliche Teilnehmer“ tätig sein. Die Struktur der Netzwerke soll jedoch einen dynamischen Charakter behalten, sodass auch in Zukunft, abhängig von Aufgaben und Projekten, neue Zuordnungen möglich sind.

Evaluierung und zukünftige Förderungsmöglichkeiten der Referenznetzwerke

Die Kommission Infektionsepidemiologie wird die Arbeit der Netzwerke engmaschig beobachten und evaluieren und gegebenenfalls steuernd eingreifen. Mit zunehmender Leistungsfähigkeit der Netzwerke wird angestrebt, auch längerfristige Projekte zu finanzieren. Dadurch sollen die NRZ und KL weiter gestärkt und international wettbewerbsfähig gemacht werden. Die Kommission Infektionsepidemiologie wird die Modalitäten der Förderung ausarbeiten, um die wissenschaftliche Arbeit der KL sowie die Zusammenarbeit zwischen NRZ und KL zu unterstützen und den Erfordernissen auf nationaler und internationaler Ebene anzupassen.