Einleitung

Schmerzen werden als Symptom in einem Großteil der Einsätze des Rettungsdienstes angetroffen und stellen damit die Rettungsdienstmitarbeiter vor eine große Herausforderung. Im Konflikt stehen dabei der medizinische Handlungsdruck sowie Hilfeleistungswunsch mit den rechtlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgesetz. Dabei erscheint eine angemessene Schmerzbehandlung bereits aus mitmenschlichen Gesichtspunkten gegeben. Weiterhin ist die Anwendung von Analgetika in der Ausbildung des Notfallsanitäters (NotSan) verankert („Pyramidenprozess“, BV ÄLRD Deutschland e. V.). Schmerz wird üblicherweise mit der „Numeric Rating Scale“ (NRS, Bereich 0–10) gemessen [2]. Basierend auf international publizierten Standards wird eine Verringerung des Schmerzes (∆NRS) ≥2 oder ein NRS-Wert ≤4 am Ende eines Rettungsdiensteinsatzes klinisch als adäquate Verringerung der Schmerzschwere definiert [5, 10, 13, 20].

Im europäischen Ausland ist die Anwendung von opiathaltigen Substanzen zur Schmerzlinderung durch geschultes und zertifiziertes Rettungsdienstpersonal üblich (z. B. Schweiz, Niederlande), während in Deutschland aufgrund rechtlicher Regelungen durch das Betäubungsmittelgesetz derzeit zumindest die Verordnung durch einen Arzt erfolgen muss [23].

Hintergrund

Zu den häufigsten Symptomen, mit denen Rettungsdienstpersonal in Einsätzen konfrontiert werden, zählen Schmerzen. Sie begegnen ihnen in etwa 20–54 % ihrer Einsätze [6, 16, 18]. Allerdings muss die Betäubungsmittelgabe in Deutschland, bedingt durch die Rahmenbedingungen des Betäubungsmittelgesetzes, von einem Arzt verordnet werden. Somit ist der Schmerz auch für eine notärztliche Alarmierung als Symptom von großer Bedeutung [12]. Dabei wurde die kunstgerechte Schmerzlinderung im Rahmen der notfallmedizinischen Behandlung als selbsterklärend verstanden und bedürfe keiner Begründung [1]. Schmerzen als subjektive Wahrnehmung der Patienten sind ein wichtiger Indikator für die Zufriedenheit mit der Notfallversorgung [17]. Im Rahmen der Konkretisierung der Ziele in der Notfallsanitäterausbildung ist auch eine medikamentöse Schmerztherapie mit peripher- und zentralwirksamen Medikamenten gemäß lokalen „standard operating procedures“ (SOP) im Pyramidenprozess beschrieben [21]. Aus den vorgenannten Gründen wird deutlich, warum in Deutschland oftmals eine Opiatanwendung ausschließlich durch Notärzte vorgenommen wird und die Umsetzung der Empfehlung aus dem Pyramidenprozess für NotSan aus juristischen Gründen oftmals nicht angewendet wird. Eine interne qualitätssichernde Auswertung aus dem Jahr 2011 von über 13.000 Einsatzprotokollen mit und ohne Notarzt im Versorgungsbereich der Rettungsdienstkooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH) gGmbH hat ergeben, dass ca. 70 % der Patienten mit starken bis stärksten Schmerzen nur eine unzureichende oder keine Analgesie in der prähospitalen Versorgung erhalten haben und ohne Intervention in Krankenhäuser transportiert wurden. In der Folge wurde im Rettungsdienstbereich der RKiSH ein algorithmengestütztes Analgesiekonzept etabliert, dass neben umfangreichen Schulungs‑, Zertifizierungs- und qualitätssichernden Maßnahmen die Einführung eines speziellen ärztlichen Telefondienstes in einer Klinik beinhaltete. Dieser „Callback-Arzt“ legt in jedem Einzelfall die Indikation und Durchführung einer Morphin- oder Esketamin-Anwendung durch qualifiziertes und zertifiziertes Rettungsdienstpersonal auf der Grundlage bestehender Algorithmen fest. Diese wird in einer speziellen Dokumentation festgehalten und mit der Einsatzdokumentation (Einsatzprotokoll nach MIND und spezielles digitales Rückmeldeticket) des Rettungswagens zusammen durch die ärztliche Leitung ausgewertet. Alle Callback-Ärzte stammen aus der Anästhesieabteilung einer Klinik, sind Fachärzte oder haben den Facharztstandard, sind regelmäßig als Notärzte im Einsatz und haben mindestens 5 Jahre Erfahrung als Notarzt.

Im Rettungsdienst der Stadt Aachen erfolgte eine Integration der morphingestützten Analgesie in das seit April 2014 in der Routine befindliche Telenotarztkonzept, das eine umfangreiche telemedizinische Überwachung und Behandlung von Patienten vorsieht [3, 4, 7, 8]. Die Analgesie erfolgt hier ebenfalls gemäß vordefinierten Algorithmen. Ziel ist eine Qualitätssteigerung der Patientenversorgung durch eine adäquate Analgesie.

Die hier untersuchten verschiedenen prähospitalen Analgesieversorgungskonzepte sind in ihren Rettungsdiensten fest etabliert. Bislang ist nicht bekannt, inwieweit die unterschiedlichen Konzepte eine Auswirkung auf die Patientensicherheit haben. Darüber hinaus liegen bislang keine vergleichenden Daten zur Effektivität der Analgesie vor. Daher ist es das Ziel dieser Arbeit, die prähospitale Anwendungssicherheit, Wirksamkeit und Verträglichkeit verschiedener algorithmenbasierter Analgesiekonzepte ohne Arzt vor Ort zu vergleichen.

Methode

Es wurde eine retrospektive Kohortenstudie an 2 Standorten durchgeführt. Innerhalb eines Beobachtungszeitraumes von 2 Jahren (RKiSH: 2016/2017; Rettungsdienst Stadt Aachen [RDAC]: 2015/2016) wurden jeweils alle prähospitalen Analgesiebehandlungen mit leicht unterschiedlichen Versorgungskonzepten ausgewertet:

Algorithmenbasierte Analgesiekonzepte

In der RKiSH kam eine algorithmenbasierte Analgesie mit Morphin, Esketamin und Metamizol durch Rettungsdienstpersonal nach Callback eines Telefonarztes zur Anwendung; im RDAC wurde eine algorithmenbasierte Analgesie mit Morphin, Ketamin und Metamizol durch Rettungsdienstpersonal unter Einbeziehung eines Telenotarztes verwendet.

In der RKiSH erfolgten der Telefonanruf des und die Übergabe an den Callback-Arzt gemäß SOP. Die SOP sah eine fraktionierte Morphinanwendung von 2 mg Morphin alle 5 min vor. Im RDAC erfolgte die Telenotarztkonsultation ebenfalls gemäß SOP, jedoch mit gleichzeitiger Übertragung von Echtzeitvitalparametern sowie bei Bedarf 12-Kanal-EKG, Fotos und Video aus dem Rettungswagen.

Einsatzspektrum

Es wurden die Rettungsdienst- bzw. Callback‑/Telenotarztprotokolle sowie die Leitstellendaten vollständig ausgewertet. Hierzu dienen als Kenngrößen das Einsatzspektrum, die Änderung in der gemessenen Schmerzskala, Änderungen der Vitalparameter, die verschiedenen Medikamentenkombinationen sowie die Nebenwirkungs- und Komplikationsrate. Dabei ist auch die Hypothese zu überprüfen, ob es im Hinblick auf die Patientensicherheit Unterschiede zwischen der algorithmenbasierten Morphingabe durch Rettungsdienstpersonal mit telemedizinischer und rein telefonischer ärztlicher Einbindung gibt.

Zur Erfassung der Sicherheit der Anwendungen wurden die gemäß ABCDE-Schema gemessenen und dokumentierten Vitalparameter ausgewertet. Die durch das Rettungsdienstpersonal gestellten Verdachtsdiagnosen wurden in beiden Konzepten durch den Arzt anhand der ihm übergebenen Informationen verifiziert.

Schmerzreduktion durch Analgetikatherapie

Zusätzlich erfolgte eine Auswertung der Daten hinsichtlich der Wirksamkeit der Therapie (Reduktion der Schmerzen auf der NRS-Skala), der verabreichten Dosis und des Einsatzspektrums. Darüber hinaus wurden Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen sowie die Anzahl der eingesetzten Antiemetika (Ondansetron und Dimenhydrinat) erfasst. Weiterhin wurden Komplikationen sowie die frustrane Anlage eines i.v.-Zugangs ausgewertet. Es wurden nur vollständig anonymisierte Daten ausgewertet, die routinemäßig im Sinne länderspezifischer Anforderungen des Qualitätsmanagements erhoben wurden (Votum Ethik-Kommission Aachen EK 109/15).

Datenauswertung und Statistik

Die anonymisierte Analyse der erhobenen Daten erfolgte mit der Software SPSS Version 17.0 (SPSS Inc., Chicago, IL, USA). Signifikanztestungen in Bezug auf NRS, Vitalparameter und Medikamentendosierungen erfolgten mit dem Chi-Quadrat-Test. Unterschiede in der Anzahl von Medikamentengaben wurden mithilfe des Exakten Tests nach Fisher berechnet. Alle statistischen Testungen wurden mit einem 95 %igen Konfidenzintervall durchgeführt. Als statistisch signifikant wurde p ≤ 0,05 definiert.

Ergebnisse

Die retrospektive Auswertung der Daten erfasste alle Einsätze mit Delegation von Analgetika mittels Callback-Verfahren (RKiSH) bzw. mit Telekonsultation zur Analgesie (RDAC) innerhalb eines Beobachtungszeitraumes von jeweils 2 Jahren. Innerhalb des Beobachtungszeitraumes gab es im Bereich der RKiSH insgesamt 878 (2016: 428, 2017: 450), im RDAC 728 (2015: 226, 2016: 502) Analgetikagaben. Das Callback-Verfahren der RKiSH kommt signifikant häufiger bei traumatischer Schmerzursache zur Anwendung (p < 0,0001).

Einsatzspektrum

Während die Altersverteilung (p = 0,227) nicht signifikant unterschiedlich ist, zeigt die Geschlechterverteilung (p = 0,0004) einen signifikanten Unterschied zwischen den untersuchten Kohorten (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Patienten- und Einsatzspektrum. IQR Interquartilsabstand, RKiSH Rettungsdienstkooperation in Schleswig-Holstein, RDAC Rettungsdienst Stadt Aachen

Extremitätenfrakturen und -verletzungen machten mit 58 % (n = 510) in RKiSH und 45 % (n = 325) in RDAC in beiden Gruppen rund die Hälfte aller Einsätze aus. Jedoch kommt die Delegation von Analgetika auch bei nichttraumatischen Schmerzzuständen zum Einsatz: So erfolgte im RDAC die Analgesie bei 92 Patienten (12,6 %) mit kardial bedingten Schmerzereignissen (Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung + ST-elevation myocardial infarction; Abb. 1). Die Versorgungszeit vor Ort betrug in der RKiSH 42:00 min [32:00–54:00].

Vitalparameter

Die Vitalparameter vor und nach der Analgesie im Vergleich zeigt Tab. 1. Bei Herzfrequenz und systolischem Blutdruck kommt es in beiden Gruppen zu einer signifikanten Senkung (p < 0,0001), bei der Sauerstoffsättigung zu einer signifikanten Steigerung nach Analgesie (RKiSH: p = 0,0069; RDAC: p = 0,0023), wobei im Verfahren der RKiSH eine prophylaktische Sauerstoffgabe in der SOP beschrieben ist. Glasgow Coma Scale (GCS) und Atemfrequenz verbleiben im beschriebenen Normbereich.

Tab. 1 Sicherheitsparameter vor Analgesie und bei Übergabe/Ankunft in der Notaufnahme

Schmerzreduktion durch Analgetikatherapie

An beiden Standorten erfolgt eine adäquate Senkung der NRS um mindestens 4 Punkte, allerdings erfolgt im RDAC eine signifikant höhere Senkung der NRS (p < 0,0001). Wie Abb. 2 zu entnehmen ist, liegt die mit dem Erstbefund erhobene NRS vor Analgetikagabe in der RKiSH 1,25 Punkte im Mittel über der im RDAC und ist damit signifikant höher (p < 0,0001). Die stärksten Schmerzen sind mit NRS 9 [9–10] (n = 23) in RKiSH abdomineller Herkunft, im RDAC liegen sie mit NRS 9 [8–10] (n = 53) auf Platz 2. Im RDAC treten die stärksten Schmerzen mit 9 [8–10] (n = 54) bei Lumbalgien auf; in RKiSH liegen sie mit 9 [8–10] auf Platz 4. Die größte Schmerzreduktion (∆NRS) wird in RKiSH mit 4 [3–5] (n = 170) bei Frakturen der unteren Extremität erreicht. Die Plätze 2 und 3 belegen andere Extremitätenverletzungen wie z. B. Luxationen von Schulter oder Patella und Distorsionen und sonstige Schmerzereignisse (Lumbago oder internistische Krankheitsbilder) mit einem ∆NRS von 4 [3–5] (n = 91) bzw. 4 [3–5,75] (n = 102). Im RDAC erfolgt die größte Schmerzreduktion mit 5,5 [4–7] (n = 54) bei Lumbalgien. Auf Platz 2 und 3 sind Frakturen der unteren und der oberen Extremität mit einem ∆NRS von jeweils 5 [4–6] (n = 154 bzw. n = 58).

Abb. 2
figure 2

Schmerzintensität und Medikamentenkombinationen im Vergleich. IQR Interquartilsabstand, RKiSH Rettungsdienstkooperation in Schleswig-Holstein, RDAC Rettungsdienst Stadt Aachen

Medikamentenapplikation

Im RDAC wird signifikant häufiger Morphin in ähnlicher Dosierung wie in der RKiSH verabreicht (Tab. 2). In der RKiSH wird dagegen signifikant häufiger Midazolam in der Kombination mit Esketamin, in allerdings signifikant geringerer Dosierung als in Aachen, verabreicht. Die verabreichte Dosis von (Es)Ketamin unterscheidet sich in beiden Gruppen nicht. Allerdings wird in der RKiSH (Es)Ketamin in 25,1 % aller Fälle (n = 220) zusammen mit Midazolam eingesetzt (RDAC: 5,4 % (n = 39)), während im RDAC Ketamin in 16,6 % aller Fälle (n = 120) zusammen mit Morphin verwendet wird (RKiSH: 0,1 % (n = 1)) Abb. 2. Für die Auswertungen wurden die jeweiligen Dosierungen umgerechnet von (Es)Ketamin in Ketamin (Dosis ∙2; Tab. 2). Die häufigsten Verdachtsdiagnosen für die jeweiligen Kombinationen in den einzelnen Bereichen sind Extremitätenfrakturen. So sind es für eine Kombination von Midazolam und Ketamin in der RKiSH Frakturen der oberen (n = 35) und der unteren Extremität (n = 62). Im RDAC werden Morphin und Ketamin am häufigsten bei Frakturen der unteren Extremität (n = 53) sowie sonstigen Extremitätenverletzungen (n = 30) kombiniert.

Tab. 2 Art, Häufigkeit und Dosierungen verwendeter Analgetika
Abb. 3
figure 3

Nebenwirkungen und Komplikationen prozentual im Vergleich. RKiSH Rettungsdienstkooperation in Schleswig-Holstein, RDAC Rettungsdienst Stadt Aachen

Sauerstoffgabe

In der RKiSH erhielten 68 % (n = 596) aller Patienten bei einer Sauerstoffsättigung von 97,48 % im Durchschnitt 4 [3–6] l Sauerstoff/min, während im RDAC mit 19 % (n = 138) signifikant (p < 0,0001) weniger Patienten mit 3 [2–4] l Sauerstoff/min bei einer Sauerstoffsättigung von 96,03 % signifikant (p < 0,0001) weniger Sauerstoff erhielten.

Nebenwirkungen und Komplikationen

Komplikationen (A-, B‑, C- oder D‑Probleme mit Interventionsbedarf bzw. 2 frustrane Versuche der Anlage eines i.v.-Zugangs) traten in der RKiSH in 12,9 und im RDAC in 19,8 % auf (Abb. 3), alle jedoch nicht lebensbedrohlich sowie am häufigsten in Form der Nebenwirkung Übelkeit und Erbrechen mit 6 % (n = 49) vs. 12 % (n = 87). Diese trat in den meisten Fällen (n = 40 vs. 87) nach Morphingabe auf. Insgesamt erhielten in der RKiSH signifikant weniger Patienten eine antiemetische Therapie als im RDAC (112 vs. 643 Patienten; p < 0,00001) Technische Komplikationen im Sinne einer gestörten Telefonverbindung bzw. auch Datenverbindung traten in 5 (0,6 %) (RKiSH) bzw. 15 Fällen (2,1 %) (RDAC) auf, in keinem Fall war jedoch eine Konsultation gänzlich unmöglich.

Diskussion

In dieser Kohortenuntersuchung wurde die Gabe von Analgetika – speziell auch von Morphin – durch Rettungsdienstpersonal mit Telekonsultation eines Arztes über einen Zeitraum von 2 Jahren ausgewertet. Diese stellt sich als sicher und wirksam in der Anwendung dar, wenn eine algorithmenbasierte Anwendung mit ärztlicher Unterstützung entweder durch ein Callback-Verfahren oder durch Konsultation eines Telenotarztes durchgeführt wird.

Einsatzspektrum

Die ungleiche Verteilung der Einsatzspektren zugunsten des Traumas in der RKiSH beruhen darauf, dass das Callback-Verfahren ausschließlich zur isolierten Schmerztherapie gedacht ist, während im RDAC ein umfassendes Telemedizinsystem zur Verfügung steht, welches bei sämtlichen Verdachtsdiagnosen in Anspruch genommen wird. So stellen beispielsweise in der RKiSH kardiale Notfälle eine Notarztindikation dar, bei welcher es nicht zur Inanspruchnahme des Callback-Verfahrens kommt. Im RDAC hingegen wird auch bei dieser Indikation eine Schmerztherapie über den Telenotarzt durchgeführt, da alle Vitalparameter samt 12-Kanal-EKG übertragen werden.

In der RKiSH wurden die meisten Fälle ohne Notarzt vor Ort durchgeführt, da das Callback-Verfahren nur dann eingesetzt wurde, wenn die Voraussetzungen laut SOP dafür gegeben waren. Im Bereich der RKiSH wurde in 41 Fällen (4,6 %) ein Notarzt wegen unzureichender Analgesie nachgefordert. Im RDAC kam es in 47 Fällen (6,5 %) zu einer Notarztnachforderung, da häufig vor Anlage eines i.v.-Zugangs konsultiert wurde und diese sich als frustran herausstellte. Weitere Notarztnachforderungen lassen sich durch das breite Konsultationsspektrum erklären, es handelte sich hierbei also nicht nur um Nachforderungen zur Schmerztherapie. Keine Notarztnachforderung erfolgte aufgrund eines lebensbedrohlichen Zustands des Patienten. Die Applikationen von Morphin sowie Nichtopiatanalgetika konnten dementsprechend in beiden Gruppen sowohl bei traumatischen als auch bei nichttraumatischen Schmerzzuständen sicher durch Rettungsdienstpersonal mit Konsultation eines Arztes durchgeführt werden.

Vitalparameter

Durch die Schmerztherapie kam es zu einer Senkung von Herzfrequenz und Blutdruck. Als Ursache kann zum einen Schmerzlinderung und zum anderen eine damit verbundene Stressreduktion angenommen werden. Es kam in keinem Fall zu einer analgesiebedingten interventionsbedürftigen Vigilanzminderung. Die leicht niedrigere GCS bei Übergabe in der Callback-Gruppe kommt am ehesten durch die sedierende Wirkung von Midazolam in der Kombination von Midazolam und Ketamin zustande, während diese im RDAC durch die Kombination von Morphin mit niedrigdosiertem Ketamin geringer ausfällt. Dadurch bleibt der Patient während des gesamten Einsatzes kontaktierbar.

Unterschiede in der Numeric Rating Scale

Die höheren Initialwerte der NRS in der RKiSH lassen sich u.U. dadurch erklären, dass eine gewisse Hemmschwelle zum Anruf des Callback-Arztes bestehen könnte. Um sicherzustellen, dass die Indikation für eine Schmerztherapie erfüllt ist, könnte aus diesem Grund eine höhere NRS als erforderlich (NRS ≥6) angegeben werden. Weiterhin ist auf der visuellen Analogskala in den SOP der RKiSH unterhalb der Zahl 8 „sehr starker Schmerz“ abgedruckt, was zu einer Beeinflussung führen könnte. Ebenfalls für die höhere initiale NRS in der RKiSH könnte der höhere Anteil an Traumata sprechen. Insgesamt sind jedoch die diagnosebezogenen Schmerzstärken genauso wie die diagnosebezogene Schmerzreduktion in beiden Gruppen vergleichbar.

Medikamentenapplikation

Die adäquate sowie signifikante Schmerzreduktion in beiden Gruppen beweist ebenfalls die Wirksamkeit der Schmerztherapie. Die Schmerzreduktion bei Extremitätenfrakturen ist bei der Kombination von Midazolam und Ketamin höher als bei der Kombination von Morphin und Ketamin. Einzig bei nichttraumatischen Rückenschmerzen (Lumbago, Bandscheibenvorfall) kann mit Morphin und Ketamin eine höhere Schmerzreduktion erreicht werden. Dies könnte durch den damit einhergehenden Dauerschmerz erklärbar sein, während durch Midazolam und Ketamin vermutlich v. a. die mobilisationsbedingten Schmerzspitzen abgedeckt werden können. Der häufigere Einsatz von Metamizol im RDAC zeigt, dass dort gemäß SOP die Konsultation des Telenotarztes mit Schmerztherapie niedrigschwellig angesetzt ist und bereits bei mäßigen Schmerzen stattfindet.

Sauerstoffgabe

In keiner der beiden Gruppen kam es trotz Gabe von Morphin, Midazolam und Ketamin zu einem relevanten Abfall der Sauerstoffsättigung. Die hohe Anzahl an Sauerstoffgaben in der RKiSH ist durch die Vorgabe in der SOP zu erklären und hat prophylaktischen Charakter.

Nebenwirkungen und Komplikationen

Das sehr geringe Auftreten von Komplikationen in beiden Gruppen zeigt, dass Opiate auch durch Rettungsdienstpersonal mit Konsultation eines Arztes sicher verabreicht werden können. Im RDAC ist die prophylaktische Gabe des Antiemetikums Ondansetron vor Opiatgabe in der SOP verankert. Dennoch kam es häufiger zu Übelkeit nach Gabe von Morphin. Dies ist am ehesten durch die direkte Gabe von 0,1 mg/kgKG ab einer NRS von 7 zu erklären. In der RKiSH dagegen erfolgt die Gabe von Morphin in 2‑mg-Schritten alle 5 min unter Einhaltung vorgegebener Zeitintervalle. Somit wird eine Korrelation zwischen dem Auftreten von Übelkeit und der Schnelligkeit der Gabe bzw. der Höhe der Initialdosis von Morphin bestehen. Um auch den wenigen Patienten, bei denen ein i.v.-Zugang nicht etabliert werden konnte, schnellstmöglich helfen zu können, müssen auch bei der Analgesie alternative Zugangswege zur Anwendung kommen. Dies könnten z. B. die nasale Applikation oder aber in der taktischen Medizin zur Anwendung kommende Fentanyl-Lutscher [22] sein. Die SOP müssten diesbezüglich ergänzt werden. Die nasale Gabe ist trotz „off-label use“ bereits durch eine gesonderte SOP geregelt.

Ausbildung

Sowohl im RDAC als auch in der RKiSH wird Rettungsdienstpersonal umfangreich und detailliert geschult. Die RKiSH legt dabei besonderen Wert auf das algorithmengestützte Analgesiekonzept mit spezieller Schulung und Zertifizierung der Mitarbeiter im Rahmen der Jahresfortbildung und Einbindung des Callback-Arztes, während im RDAC die Mitarbeiter allgemein für die Zusammenarbeit mit dem Telenotarzt geschult werden.

Abschließend lässt sich feststellen, dass beide dargestellten Systeme gut strukturiert sind und durch regelmäßige Schulungen sowie einen hohen Ausbildungsstandard zu einer sicheren Applikation von Analgetika durch Rettungsdienstpersonal gemäß SOP führen. Dies bestätigt auch die Umfrage von Flentje et al. aus dem letzten Jahr [9]. Es ist davon auszugehen, dass die in den Rettungsdienstbereichen Marburg-Gießen, Landkreis Cuxhaven oder Main-Kinzig-Kreis etablierten Analgesiealgorithmen, inklusive einer Morphin‑/Opiatgabe durch RettAss/NotSan, ohne unmittelbare ärztliche Anwesenheit ähnlich effektiv sind. Dennoch würde eine Anpassung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) die Umsetzung derartiger Konzepte im Sinne des NotSanG § 4, Abs. 2, Z. 2c vereinfachen. Diese Forderung wird bestärkt durch die 2018 von Mann et al. durchgeführte bundesweite Onlineumfrage unter ärztlichen Leitern Rettungsdienst [15], in welcher diese einer Kompetenzerweiterung des Notfallsanitäters offen gegenüberstehen.

Die vorliegende Studie ergänzt und unterstützt die wenigen vorhandenen Studien über die Behandlungsqualität und Sicherheit der prähospitalen Analgesie durch Rettungsdienstpersonal in Deutschland. Während in der vorliegenden Studie 2 Konzepte ohne Anwesenheit eines Notarztes vor Ort verglichen werden, wurden in einer retrospektiven observationellen Studie von Lenssen et al. [14] sowie einer prospektiven interventionellen multizentrischen Studie von Brokmann et al. [5] durchgeführte Analgesien durch Rettungsdienstpersonal mit Telenotarzt und herkömmlichem Notarzt vor Ort verglichen. Dabei wurde die Effektivität (NRS-Score-Reduktion) und Sicherheit (keine Komplikationen) der telemedizinischen Behandlung durch die Betrachtung ähnlicher Parameter ebenfalls festgestellt. In beiden Studien wurde darauf hingewiesen, dass die Dokumentationsqualität in der telemedizinisch betreuten Gruppe signifikant besser war.

In der vorliegenden Studie wurden verschiedene Medikamentenkombinationen mit Konsultation eines Arztes verabreicht und können als sicher und effektiv eingestuft werden. Dies stimmt mit den Ergebnissen von Häske et al. [11] überein, die verschiedene Analgesien bei Traumapatienten mit einem systematischen Review und einer Metaanalyse untersucht haben. Das Auftreten von Nebenwirkungen kann ebenso als vergleichbar und beherrschbar gesehen werden. Die vorherrschende Meinung in der Literatur, dass eine adäquate analgetische Versorgung v. a. durch eine gute und regelmäßige Aus- und Weiterbildung des Rettungsdienstpersonals gelingen kann, trifft auch auf die Durchführung mit Konsultation eines Arztes zu. Selbst eine Vergleichsstudie zwischen Anästhesisten und Chirurgen von Schaller aus diesem Jahr [19] kommt zu dem Ergebnis, dass ein sicherer Umgang nur durch Training bzw. regelmäßige Anwendung erzielt werden kann.

Limitationen

Die größten Limitationen dieser Studie sind zum einen die Selektion von algorithmenbasierten Versorgungskonzepten in nur 2 Bereichen Deutschlands, während bereits andere Konzepte in weiteren Rettungsdienstbereichen Deutschlands implementiert wurden.

Zum anderen sind die Einsatzspektren in RKiSH und RDAC leicht unterschiedlich, da im RDAC auch internistische Krankheitsbilder ohne Notarzt vor Ort telemedizinisch behandelt werden oder die Behandlung bereits vom Rettungsdienstpersonal begonnen wird. Darunter fallen beispielsweise auch (lebensbedrohliche) Notfälle wie das akute Koronarsyndrom (NSTE-ACS + STEMI). Bei der RKiSH wird in diesen Fällen eine Analgesieanwendung mit Callback direkt durch das anrückende NEF durchgeführt und oftmals direkt durch die notärztliche Protokollierung dokumentiert. Da diese Fälle im RDAC so nicht vorkommen, stellt es einen Unterschied im Einsatzspektrum dar und erklärt die Veränderung der applizierten Medikamentenkombinationen. Mit der Subgruppenanalyse der rein traumatisch und lumbagoassoziierten Schmerzzustände wurde versucht, diesem Umstand entgegenzuwirken. Dennoch lässt sich nicht ausschließen, dass auch ein gewisser Anteil internistisch bedingter (Trauma‑)Einsätze mitausgewertet wurde und dies die Analysen beeinflusst hat. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass prähospital gestellte Verdachtsdiagnosen falsch sind und damit im Einsatzspektrum falsch eingeordnet wurden.

Des Weiteren bestehen Unterschiede in der Schulung und Ausbildung des Rettungsdienstpersonals. In der RKiSH sind ganztägige Fortbildungstage zu Schmerzentstehung, Schmerzmessung und Methoden der Schmerzbehandlung vorgesehen. Ihnen folgt eine sich jährliche wiederholende praktische Zertifizierung. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Schmerzmessung anhand der beigefügten numerischen Analogskala zur Ermittlung des Eintritts in den Analgesiealgorithmus (siehe Anhang).

Es wurde nicht analysiert, ob es qualifikationsbezogene Unterschiede in der Anwendung der Analgesie, bezogen auf Rettungsassistenten und Notfallsanitäter, gab. Zudem besteht kein direkter Vergleich zu einem rein notärztlich gestützten Analgesieverfahren, bezogen auf die untersuchten Parameter. Allgemein basieren die Analysen auf Daten, die eine gute Dokumentationsqualität als Grundlage benötigen.

Fazit für die Praxis

  • Die Applikation von Analgetika, insbes. Morphin, durch Rettungsdienstpersonal ist sicher anwendbar, wirksam sowie komplikationsarm.

  • Sowohl telemedizinisch als auch telefonisch ärztlich unterstützt ist somit eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung mit gleichzeitiger Ressourcenschonung sichergestellt. Die Analgetikaanwendung ist in ein System aus Schulung, Überprüfung, Auswertung und Betreuung zu integrieren.

  • Für die anwendenden Mitarbeiter gilt es, die Patienten und die Entwicklung der Anwendung kontinuierlich zu überwachen und den Verlauf zu dokumentieren. Mit der Anwendung von verschiedenen Analgesieverfahren scheint somit auch eine Weiterentwicklung des Anforderungsprofils an Rettungsdienstpersonal verbunden zu sein, da die o. genannten Punkte eher dem Charakter der Patientenversorgung als dem einer Transportleistung entsprechen.

  • Eine Anpassung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) würde die Umsetzung derartiger Konzepte im Sinne des NotSanG § 4, Abs. 2, Z. 2c dahingehend vereinfachen, dass eine Schmerztherapie durch Notfallsanitäter gemäß Vorgaben der ärztlichen Leitung Rettungsdienst ohne Konsultation eines Arztes durchgeführt werden dürfte.