Einleitung

Schwerverletztenbehandlung ist eine komplexe Teamaufgabe. Von daher erscheint es nur konsequent, dass für diese Aufgabe eine Leitlinie auf möglichst hohem Evidenzniveau existiert. Erstmalig im Jahr 2001 wurde von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) eine S1-Leitlinie zu dieser Aufgabe formuliert [4]. Im Weiteren wurde im Jahr 2011 unter Federführung der DGU und im Konsensusprozess mit 11 Fachgesellschaften die S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung (AWMF-Registernr. 012-019) erarbeitet [6]. Nach intensiver und mehrjähriger Überarbeitung, an der aktuell 20 Fachgesellschaften beteiligt waren, wurde im September 2016 die aktualisierte S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung (AWMF-Registernr. 012-019, Version 07/2016) publiziert [5]. Die ursprüngliche Gliederung in die 3 Hauptteile „Präklinik“, „Schockraum“ und „erste operative Phase“ wurde beibehalten. Für die folgende Neuauflage der Leitlinie in 5 Jahren wurden die Kapitel „Analgesie“, „Damage Control bei Gefäßverletzungen“ und das Thema „Training und Ausbildung“ avisiert und sollen in die Leitlinie aufgenommen werden. Der Themenkomplex Intensivtherapie bleibt leider in der aktuellen Version sowie in der zukünftigen Planung unberücksichtigt.

Wie in der Vorversion werden die Kernaussagen mit 3 unterschiedlichen Empfehlungsgraden (Grade of Recommendation/GoR), je nach Evidenz und Risiko-Nutzen-Abwägung, belegt. Neu in der aktuellen Version sind die sog. Good Clinical Practice Points (GPP), die für Empfehlungen, für die es keine ausreichende Evidenz gibt, welche aber den aktuellen klinischen Standard darstellen, ausgesprochen werden. Tab. 1 gibt einen Überblick über die ausgesprochenen Empfehlungsgrade.

Tab. 1 Darstellung der Bedeutung der Empfehlungsgrade der S3-Leitlinie Polytrauma. (Mod. nach AWMF [1])

Im Rahmen dieser Übersicht wird auf die wichtigsten Änderungen/Neuerungen, die für den Anästhesisten relevant sind, eingegangen. Da die Präklinik und die Schockraumversorgung wesentlicher Bestandteil des anästhesiologischen Wirkungsspektrums sind, werden die Änderungen für beide Themengebiet dargestellt. Aus dem Themenbereich erste operative Phase beschränkt sich der Artikel auf anästhesiologisch relevante Änderungen. Aus Tab. 2 sind die einzelnen Kapitel der Leitlinie und ihr Aktualisierungsstand ersichtlich.

Tab. 2 Kapitelübersicht der aktualisierten S3–Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung

Präklinik

Der größte Teil (8 Kapitel) der 10 Kapitel zum Themenbereich Präklinik wurden hinsichtlich Kernaussagen und Hintergrundtext aktualisiert. Bei den beiden Kapiteln Urogenitaltrakt und Massenanfall von Verletzten (MANV) wurden nur die Hintergrundtext aktualisiert, wobei es zum Thema MANV schon in der 2011er-Version keine Kernaussagen gab.

Atemwegsmanagement, Beatmung und Notfallnarkose

Mit dem „A“ für Atemweg und dem „B“ für Beatmung/Atemfunktion stellt das Kapitel „Atemwegsmanagement, Beatmung und Notfallnarkose“ einen wichtigen Anteil im Rahmen der Notfallversorgung von schwer verletzten Patienten dar. Dieser Abschnitt enthält die Kernaussagen 1.1–1.18. Für diesen Bereich wurden von den Kernaussagen 6 modifiziert und 2 neu entwickelt. An den grundlegenden Indikationen für eine Atemwegssicherung „Apnoe“ oder „Schnappatmung“ bestand kein Änderungsbedarf. Auch die GoR-B-Empfehlungen zur Durchführung bei Hypoxie trotz Sauerstoffgabe und nach Ausschluss eines Spannungspneumothorax, schwerem Schädel-Hirn-Trauma (GCS <9), traumaassoziierter persistierender hämodynamischer Instabilität und schwerem Thoraxtrauma mit respiratorischer Insuffizienz blieben unverändert. Die Kernaussagen für die Indikation zur Notfallnarkose, Intubation und Beatmung wurden dahingehend modifiziert, dass bei Kindern altersadaptierte Grenzwerte gelten. Im innerklinischen Versorgungsbereich soll die Notfallnarkose, endotracheale Intubation und Beatmung durch erfahrenes anästhesiologisches Personal und die erwartete schwierige Narkoseeinleitung und/oder Intubation durch einen anästhesiologischen Facharzt erfolgen (GoR A) [5], wobei die Ergänzung des anästhesiologischen Facharztes in der Revision 2016 neu ist. Für die Intubation soll innerklinisch eine Fiberoptik verfügbar sein (GoR A) [5] und nicht nur, wie in der 2011er-Empfehlung, als alternative Methode zur Atemwegssicherung. Diese Ergänzung ergibt sich auch aus den Vorgaben der S1-Leitlinie Atemwegsmanagement der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) [23]. Als eine wesentliche Neuerung ist die Modifizierung der ursprüngliche Empfehlung aus 2011 zu erachten, dass nun nicht mehr nach dem 3., sondern jetzt bereits nach dem 2. nicht erfolgreichen Intubationsversuch alternative Methoden zur Atemwegssicherung in Betracht gezogen werden sollen (GoR A). Diese Änderung ist den Ergebnissen internationaler Publikationen geschuldet [5]. Die Kapnographie soll im Rahmen der endotrachealen Intubation zur Lagekontrolle des Endotrachealtubus und zur Dislokations- und Beatmungskontrolle im Vergleich zur Empfehlung von 2011 jetzt implizit präklinisch und innerklinisch angewendet werden (GoR A) [5].

Wesentliche Neuerungen ergaben sich durch einen eigenen Abschnitt hinsichtlich der Videolaryngoskopie mit folgenden Kernaussagen:

Die Videolaryngoskopie sollte zur besseren Einstellbarkeit der Stimmbänder und Optimierung des primären Intubationserfolges präklinisch und innerklinisch großzügig in Betracht gezogen werden (GoR B) [5].

Die Videolaryngoskopie soll als Primär- bzw. Reserveverfahren prähospital und innerklinisch vorgehalten und eingesetzt werden (GPP) [5].

Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten zur Videolaryngoskopie ist es bisher noch nicht gelungen, einen Überlebensvorteil explizit für polytraumatisierte Patienten nachzuweisen. Daher wurde die Empfehlung zur Vorhaltung der Videolaryngoskopie als GPP formuliert [5].

Ganz allgemein empfiehlt sich zum Thema Notfallnarkose und Atemwegsmanagement die Lektüre der Handlungsempfehlungen der DGAI zum Thema „Prähospitale Notfallnarkose beim Erwachsenen“ [2] und „Präklinisches Atemwegsmanagement“ [30].

Volumentherapie

Der Themenbereich Volumentherapie fällt unter das Kürzel C – Circulation der gängigen Traumaalgorithmen. Hier werden die Kernaussagen 1.19–1.30 behandelt. In diesem Kapitel wurden 6 Kernaussagen modifiziert und 2 gestrichen. Die Empfehlungen zur Einleitung einer Volumentherapie wurden nicht geändert. Da ein venöser Zugang eine wichtige Voraussetzung einer medikamentösen Behandlung oder Volumentherapie darstellt, wurde die Empfehlung von 2011, dass ein venöser Zugang gelegt werden sollte (GoR B) [6], 2016 auf eine „Soll“-Empfehlung (GoR A) geändert. Wie bereits in der Empfehlung von 2011 sollten zur Volumentherapie kristalloide Lösungen und hier balancierte isotone Vollelektrolytlösungen eingesetzt werden (GoR B) [5]. Bei diesen Lösungen können Malat oder Acetat statt mit Lactat gepufferte Lösungen erwogen werden (GoR 0) [5]. Die GoR-B-Empfehlung aus 2011, dass isotone Kochsalzlösung (0,9 % NaCl) nicht zur Volumentherapie verwendet werden sollte, wurde 2016 in eine „Soll“-Empfehlung (GoR A) [5] überführt. Die Empfehlung zum Einsatz von HAES 130/0,4 aus 2011 wurde aufgrund der Negativergebnisse vieler Kolloidstudien und fehlender Überlegenheit gegenüber Kristalloiden gestrichen [9, 21, 22]. Trotz entsprechender Arbeiten zu hypertonen Infusionslösungen beim Trauma [18, 3234] wird in den aktuellen Leitlinien dem Einsatz dieser Lösungen beim penetrierenden Trauma, beim hypotensiven stumpfen Trauma und beim Schädel-Hirn-Trauma (SHT) nur mit einer „Kann“-Empfehlung (GoR 0) versehen. Hier bestand in der Leitlinienversion von 2011 noch eine GoR-B-Empfehlung für den Einsatz von hypertonen Lösungen beim penetrierenden Trauma. Unabhängig von der Evidenz sind zurzeit in Deutschland keine hypertonen Lösungen (7,5 %ige NaCl-Lösung) mit Zulassung in der Humanmedizin erhältlich. Die 2011er-Empfehlung, dass Antischockhosen nicht eingesetzt werden sollen, wurde vollständig gestrichen.

Thorax

Bei den Kernaussage 1.31–1.43 im Themenbereich Thorax gibt es kleinere Modifikationen bei 3 Kernaussagen und eine neue Empfehlung. Neben der Auskultation und der Bestimmung der Atemfrequenz gibt die Leitlinie für die Untersuchung des Thorax folgende Empfehlung:

Die Inspektion, die Palpation, die Perkussion des Thorax sowie die Pulsoxymetrie und, bei beatmeten Patienten, die Überwachung des Beatmungsdrucks und der Kapnographie können hilfreich sein (GoR 0) [5].

Im Vergleich zu 2011 wurde diese Empfehlung etwas gekürzt und die Überwachung der Kapnographie ist neu hinzugekommen. Ergeben sich bei der klinischen Untersuchung folgende Befunde: einseitig fehlendes Atemgeräusch bei Auskultation der Lunge (nach Kontrolle der korrekten Tubuslage) und dem zusätzlichen Vorliegen typischer Symptome, insbesondere einer schweren respiratorischen oder zirkulatorischen Störung, sollte die Verdachtsdiagnose Spannungspneumothorax gestellt werden (GoR B). Die in der Empfehlung von 2011 enthaltene obere Einflussstauung als Diagnosekriterium wurde gestrichen, da diese bei hypovolämen, spontan atmenden Patienten in weniger als 15 % der Fälle vorkommt [24].

Der Spannungspneumothorax ist die häufigste reversible Ursache des traumatischen Herz-Kreislauf-Stillstandes und soll in der Präklinik entlastet werden (GoR A, neue Empfehlung 2016 [5]).

Dabei sollte die Entlastung eines Spannungspneumothorax durch eine einmalige Nadeldekompression mit anschließender chirurgischer Eröffnung des Pleuraspaltes erfolgen, mit oder ohne Thoraxdränage (GoR B) [5]. Im Vergleich zur Empfehlung von 2011 wird hier nur noch eine einmalige Nadeldekompression erwähnt.

Schädel-Hirn-Trauma

Von den im Anschnitt enthaltenen Kernaussagen 1.44–1.50 wurden bis auf 2 Kernaussagen alle Empfehlungen modifiziert und es kam eine neue Empfehlung hinzu. Für die Vitalparameter gilt, dass bei Erwachsenen eine Normotension (RRsys >90 mmHg) angestrebt werden sollte, wobei für Kinder altersadaptierte Werte gelten und allgemein eine pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung (SpO2) unter 90 % vermieden werden sollte (GoR B) [5]. Neu an diesen Kernaussagen ist die Erwähnung pädiatrischer Patienten. Es soll wiederholt die Erfassung und Dokumentation der Bewusstseinslage, der Pupillenfunktion und der Glasgow-Coma-Skala (GCS) erfolgen (GoR A) [5]. In dieser Empfehlung wurden unter Bewusstseinslage die in 2011 noch separat verwendeten Begriffe Bewusstseinsklarheit, Bewusstseinstrübung und Bewusstlosigkeit zusammengefasst.

Bei Verdacht auf stark erhöhten intrakraniellen Druck, insbesondere bei Zeichen der transtentoriellen Herniation (Pupillenerweiterung, Strecksynergismen, Streckreaktion auf Schmerzreiz, progrediente Bewusstseinstrübung), können Hyperventilation, hypertone Kochsalzlösung und Mannitol angewendet werden (GoR 0) [5].

Bei dieser Empfehlung hat sich im Vergleich zu 2011 die Reihenfolge der Maßnahmen (Hyperventilation, Mannitol, hypertone Kochsalzlösung) geändert. Neu ist die GPP-Empfehlung, dass herausgeschlagene Zähne und Zahnfragmente aufgenommen, feucht gelagert und zur Replantation ins Traumazentrum mitgebracht werden sollten.

Wirbelsäule

Von den im Kapitel aufgeführten Kernaussagen 1.51–1.55 wurden 3 modifiziert und 2 gestrichen. Die Empfehlung zu den Kriterien, die eine instabile Wirbelsäulenverletzung ausschließen, und die Empfehlung, dass Akutschmerz als Hinweis auf eine Wirbelsäulenverletzung gewertet werden sollte, wurden gestrichen. Die 2011er-Empfehlungen zur Rettung unter Lebensbedrohung und zur technischen Rettung wurden in eine GPP-Empfehlung überführt:

Die Halswirbelsäule soll bei der schnellen und schonenden Rettung vor der eigentlichen technischen Rettung immobilisiert werden, wobei die Notwendigkeit zur Sofortrettung (z. B. Feuer/Explosionsgefahr) hier eine Ausnahme darstellt (GPP) [5].

Der Transport Wirbelsäulenverletzter soll möglichst schonend und unter Schmerzfreiheit erfolgen (GPP) [5].

Hier wurde in der aktuellen Leitlinie der Empfehlungsgrad von GoR B auf GPP geändert.

Patienten mit neurologischen Ausfällen und vermuteter Wirbelsäulenverletzung sollten primär in ein geeignetes Traumazentrum transportiert werden (GoR B) [5].

Bei dieser Empfehlung entfällt im Vergleich zu 2011 die Anmerkung „mindestens regionales Traumazentrum mit Wirbelsäulenchirurgie“.

Extremitäten

In diesem Kapitel werden die Kernaussagen 1.56–1.65 behandelt, wobei 2 Kernaussagen (1.62. und 1.64) modifiziert wurden sowie eine neue (1.63) hinzugekommen ist. Des Weiteren wurde die Empfehlung aus 2011 zur Hochlagerung einer verletzten Extremität in der aktuellen Version gestrichen.

Demnach sollen aktive (Extremitäten‑)Blutungen durch folgendes Stufenschema behandelt werden (GoR A):

  1. 1.

    Manuelle Kompression,

  2. 2.

    Kompressionsverband,

  3. 3.

    Tourniquet [5].

Zudem wurde die Indikation zum Einsatz des Tourniquets in den aktualisierten Empfehlungen weiter gefasst. So sollten Tourniquets sofort angewendet werden bei:

Lebensgefährlichen Blutungen/multiplen Blutungsquellen an einer Extremität; Nichterreichbarkeit der eigentlichen Verletzung; mehreren Verletzten mit Blutungen; schwerer Blutung der Extremitäten bei gleichzeitigem kritischen A‑, B‑ oder C‑Problem; Unmöglichkeit der Blutstillung durch andere Maßnahmen; schweren Blutungen an Extremitäten bei Zeitdruck unter Gefahrensituationen (GoR B) [5].

In diesem Zusammenhang sei auch auf die sehr detaillierte DGAI-Handlungsempfehlung zur prähospitalen Anwendung von Tourniquets hingewiesen [11]. In der aktualisierten Version neu hinzugekommen ist folgende Empfehlung:

Wenn vorausgegangene Maßnahmen (Stufenschema s. oben) nicht erfolgreich sind, dann können Hämostyptika ergänzend angewendet werden (GoR 0) [5].

Dies ist insbesondere in Regionen in Betracht zu ziehen, in denen Tourniquets nicht appliziert werden können (proximale Extremitäten).

Urogenitaltrakt

Die in diesem Kapitel enthaltene Kernaussage 1.66 behält ihre Gültigkeit von 2011. Der Hintergrundtext wurde aktualisiert.

Transport und Zielklinik

Es werden im Kapitel die Kernaussagen 1.67–1.70 aufgeführt, wobei 2 modifiziert und 2 neu hinzugekommen sind. Der primäre präklinische Einsatz der Luftrettung wurde von einer „Kann“-Empfehlung (GoR 0 in 2011) auf eine „Sollte“-Empfehlung (GoR B) angehoben, wobei hier einsatztaktische Gesichtspunkte und die Zeit berücksichtigt werden sollten. Schwer verletzte Patienten sollten primär in ein geeignetes Traumazentrum (2011 nur Traumazentrum) transportiert werden (GoR B) [5]. Seit 2016 sind folgende Empfehlungen neu in der Leitlinie enthalten:

„Bei penetrierendem Trauma des Thorax und/oder Abdomens sollte der schnellstmögliche Transport in das nächstgelegene Traumazentrum erfolgen (GPP)“ [5]. „Um Schnittstellenprobleme bei der Anmeldung, Übergabe bzw. Übernahme von schwer verletzten Patienten zu vermeiden, sollen geeignete und standardisierte Kommunikationsmethoden verwendet werden (GPP)“ [5].

Hier erscheint eventuell eine Übergabe anhand des gängigen ABCDE-Schemas sinnvoll.

Massenanfall von Verletzten (MANV)

Bereits in der Leitlinie von 2011 enthielt dieser Bereich keine Kernaussagen, da nach dem damaligen Kenntnisstand keine Literatur der Evidenzklasse 1 vorlag [6]. Gleiches gilt für 2016. In der vorliegenden Version der S3-Leitlinie erfolgte keine Weiterentwicklung des bisherigen Sichtungsalgorithmus, der bei nicht ausreichender Datenlage auf dem damaligen Konsensus basierte. Der Hintergrundtext zum Thema wurde jedoch deutlich überarbeitet.

Da sich terroristische Anschläge hinsichtlich der Verletzungsmuster aber auch der zeitlichen Entwicklung (mehrere Anschlagssorte zu unterschiedlichen Zeiten) und der möglicherweise weiter bestehenden Bedrohung auch des Rettungspersonals erheblich von anderen Ereignissen im taktisch-strategischen Vorgehen und der notwendigen medizinischen Behandlung unterscheiden, sollten Konzepte für die Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten neben den „klassischen“ Verletzungsmustern im Sinne von stumpfen Verletzungen auch penetrierende Verletzungen durch automatische Schusswaffen und spezifische Verletzungen durch unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen („improvised explosive devices“) beinhalten. Diese multidimensionalen Verletzungen stellen qualitativ eine besondere medizinische Herausforderung dar, da in Deutschland hierzu nur eine geringe Expertise besteht [2].

Die Koordination der Zusammenarbeit des Rettungsdienstes mit anderen Organisationen (z. B. Feuerwehr, Polizei, THW, Katastrophenschutz, Bundeswehr) sollte in die lokalen Überlegungen zu Triagesystemen einbezogen werden [29].

Schockraum

Im Kapitel Schockraum wurden von den ursprünglich 17 Themengebieten 6 hinsichtlich der Kernaussagen und 8 bezüglich des Hintergrundtextes aktualisiert. 3 Themenbereiche behielten ihre Gültigkeit und ein neuer Themenbereich (Bildgebung) ist hinzugekommen. Insgesamt gibt es für den Bereich Schockraum 135 Kernaussagen.

Hintergrund

Im Schockraum gehen Versorgungskonzepte für Präklinik, Schockraumversorgung und die erste klinische Operationsphase fließend ineinander über. Zur Unterstützung des Behandlungsteams zur Bewältigung der hochkomplexen Prozesse existieren strukturierte Ausbildungs- und Versorgungskonzepte wie Advanced Trauma Life Support® (ATLS®) und European Trauma Course® (ETC®). Durch eine klare Hierarchie der Behandlungsabläufe und eine gemeinsame Sprache werden die Prozesse automatisiert und verbessert [14, 16]. Die Schockraumphase hat eine sehr hohe Relevanz für die Überlebenswahrscheinlichkeit von Schwerverletzten. Mathematische Modelle zeigen, dass etwa zwei Drittel der erklärbaren Varianz eines Modells unter Einschluss der patientenimmanenten Faktoren, der Präklinik und der Schockraumphase auf die Schockraumphase entfallen [12].

Die Etablierung von SOPs (Standard Operating Procedures) und innerklinischen Qualitätszirkeln erscheint sinnvoll, um die Patientenversorgung zu verbessern und eventuelle Schwachstellen aufzudecken. Zur Leitung des Schockraumteams gibt es mehrere funktionsfähige Konzepte. Als relevant werden Absprachen im Vorfeld erachtet [3].

Thorax

In diesem Themenbereich werden die Kernaussagen 2.9–2.26 behandelt, wobei eine neue Empfehlung hinzugekommen ist. Die Bedeutung der Auskultation der Lunge im Schockraum steigt und sie wurde bezüglich des Empfehlungsgrades GoR B von 2011 („sollte“) auf GoR A („soll“) angehoben.

Wenn ein Thoraxtrauma nicht ausgeschlossen werden kann, soll eine radiologische Diagnostik in der Schockraumphase erfolgen (GoR A; 2011 nur Schockraum) [5].

Eine Ultraschalluntersuchung des Thorax im Rahmen der eFAST (extended Focused Assessment with Sonography in Trauma) sollte durchgeführt werden, falls kein initiales Thorax-Spiral-CT mit Kontrastmittel bei Patienten mit klinischen Zeichen eines Thoraxtraumas durchgeführt wird (GoR B) [5]. Im Vergleich zur Empfehlung von 2011 liegt hier der Fokus auf eFAST. Der Empfehlungsgrad für ein 12-Kanal-EKG bei Patienten mit V. a. eine stumpfe Myokardverletzung stieg von einer „Sollte“-Empfehlung (GoR B, 2011) auf eine „Soll“-Empfehlung (GoR A).

Die „Kann“-Empfehlung (GoR 0) von 2011 zur Bestimmung von Troponin I bei diesen Patienten wurde 2016 dahingehend modifiziert, dass jetzt kein bestimmtes Isoenzym, sondern das Troponin allgemein untersucht werden kann. Die 2011er-Empfehlung zur Bevorzugung einer großlumigen Thoraxdränage (GoR B) wurde dahingehend modifiziert, dass nun 2016 die Größe mit 24–32 Ch konkretisiert wurde (GoR B). Als neue Empfehlung für den Bereich Thorax kam als GPP hinzu:

Bei hämodynamisch instabilen Patienten mit Thoraxtrauma sollte eine eFAST-Untersuchung zum Ausschluss einer Perikardtamponade erfolgen [5].

Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

Von den im Themenbereich SHT enthaltenen Kernaussagen 2.34–2.42 wurde eine modifiziert, die anderen sind in der Version von 2011 gültig. Als Modifikation erhielt die Kernaussage

Beim Erwachsenen sollte eine arterielle Normotension mit einem systolischen Blutdruck nicht unter 90 mmHg (altersadaptierte bei Kindern) angestrebt werden (GoR B) [5],

den Verweis auf die altersentsprechenden Unterschiede bei Kindern.

Becken

In diesem Kapitel werden die Kernaussagen 2.43–2.47 während der „Schockraumphase“ behandelt, wobei in der aktualisierten Version lediglich 2 Kernaussagen der Empfehlungen von 2011 modifiziert wurden.

So wurde die Empfehlung

Bei instabilem Beckenring und hämodynamischer Instabilität sollte eine mechanische Notfallstabilisierung vorgenommen werden (GoR B) [6]

auf den Empfehlungsgrad „soll“ (GoR A) angehoben. Die Anwendung eines industriellen Beckengurtes wird im Hinblick auf die erreichte mechanische Stabilität dem ventralen Fixateur externe und der Beckenzwinge als deutlich unterlegen, aber in der Notfallsituation als eine effektive temporäre Notfallmaßnahme bewertet. Die bisherige Empfehlung einer chirurgischen oder angiographischen Embolisation im Falle der persistierenden Beckenblutung (GoR B) wurde in der aktuellen Version dahingehend modifiziert, dass

bei persistierender Blutung eine chirurgische und/oder selektive Angiographie mit anschließender Angioembolisation erfolgen sollte (GoR B) [5].

Reanimation

Da das Überleben eines traumatisch bedingten Kreislaufstillstandes eine neurologisch günstigere Prognose hat als die meisten anderen Ursachen, wurde dieses Thema, wie schon in den ERC-Leitlinien 2015, grundlegend neu bewertet. Mit den Kernaussagen 2.84–2.96 wird diesem komplexen Thema Rechnung getragen. 2 Empfehlungen behielten ihre Gültigkeit, 4 wurden modifiziert und 7 sind neu hinzugekommen.

Bei der Behandlung des traumatologisch bedingten Herz-Kreislauf-Stillstandes soll beachtet werden, dass dieser eine andere Pathophysiologie als der nicht traumatologisch bedingte Herz-Kreislauf-Stillstand hat und sich das Vorgehen daher grundlegend unterscheidet (GoR A) [5].

Mit der kardiopulmonalen Reanimation soll bei fehlenden Lebenszeichen, bei Unsicherheit im Nachweis eines Pulses oder anderen klinischen Zeichen, die einen Herz-Kreislauf-Stillstand wahrscheinlich machen, unverzüglich begonnen werden (GoR A) [5]. Die Diagnose eines Kreislaufstillstandes wird im Vergleich zu 2011 spezifiziert. Dem Standard-ERC-Algorithmus zur Versorgung des Herzkreislaufstillstandes soll gefolgt werden, wenn der Kreislaufstillstand beim Traumapatienten vermutlich nichttraumatischer Natur ist (GPP). Bei traumatisch bedingtem Herz-Kreislauf-Stillstand sollen während der kardiopulmonalen Reanimation leitliniengerecht traumaspezifische, reversible Ursachen (Atemwegsobstruktion, ösophageale Fehlintubation, Spannungspneumothorax, Perikardtamponade und Hypovolämie) diagnostiziert, ausgeschlossen und/oder therapiert werden (GoR A) [5]. Die Priorisierung der Behandlung reversibler Ursachen bildet insbesondere beim traumatic cardiac arrest (TCA) die wesentliche Grundlage der Therapiekonzepte, die mit 4 neuen Empfehlungen in die Leitlinie aufgenommen wurde:

Wird ein Spannungspneumothorax vermutet, soll bei dem Patienten mit traumabedingtem Herzkreislaufstillstand eine beidseitige Entlastung mittels Minithorakotomie vorgenommen werden (GPP) [5].

Zur Diagnose traumaspezifischer reversibler Ursachen des Herzkreislaufstillstandes kann in der Präklinik und soll im Schockraum die eFAST eingesetzt werden (GPP) [5].

Thoraxkompressionen sollen die Maßnahmen zur Behebung reversibler Ursachen des traumabedingten Herzkreislaufstillstandes durch stumpfes Trauma nicht verzögern (GPP) [5].

Vor Abbruch der Reanimationsmaßnahmen sollen alle potenziell reversiblen Ursachen eines traumatischen Herz-Kreislauf-Stillstandes ausgeschlossen oder behandelt sein (GPP) [5]. Sind alle reversiblen Ursachen ausgeschlossen, soll die Reanimation bei frustranem Verlauf abgebrochen werden (GoR A) [5].

Auch bei der Notfallthorakotomie zur Behandlung reversibler Ursachen folgt die S3-Leitlinie der ERC-Leitlinie mit der 4‑E-Regel und empfiehlt die Durchführung bei penetrierenden Verletzungen, insbesondere nach kurz zurückliegendem Beginn des Herz-Kreislauf-Stillstandes, und initial bestehenden Lebenszeichen (GOR B) [31].

Aktuellen Fallberichten zum ECLS(Extracorporeal Life Support System)-Einsatz folgend kann im Einzelfall bei polytraumatisierten Patienten mit therapierefraktärem Kreislaufstillstand eine extrakorporale Zirkulation und Oxygenierung erwogen werden (GoR 0) [5].

Gerinnung

Eine massive Blutung ist für 30–40 % der Traumasterblichkeit verantwortlich [13]. Die Kernaussagen 2.97–2.116 enthalten 10 neue Aussagen und 9 Modifikationen. Ein spezifisches Massivtransfusions- und Gerinnungstherapieprotokoll sollte etabliert sein und einen eskalierenden Algorithmus beinhalten, der an lokale Gegebenheiten im Detail angepasst ist und vordefinierte Interventionstrigger enthält (GoR B). Ausgehend von a) einer zellulären Minderperfusion mit dem klinischen Bild eines Schocks und b) einer ausreichend schweren Gewebeschädigung entwickelt sich über eine Vielzahl verschiedener Mechanismen das eigenständige Krankheitsbild der „traumainduzierten Koagulopathie (TIK)“ (s. Abb. 1). Da die TIK deutlichen Einfluss auf das Überleben der Patienten hat, ist der frühestmögliche Beginn (spätestens im Schockraum) von Diagnostik und Therapie essenziell. Eine visuelle Diagnostik wird durch das Auftreten von nichtchirurgischen, diffusen Blutungen aus Schleimhaut, Serosa und Wundflächen ermöglicht. Die Basisdiagnostik soll durch frühzeitige und wiederholte Messungen von BGA, Quick (Prothrombinzeit, möglichst mit INR), aPTT, Fibrinogen und Thrombozytenzahl sowie eine Blutgruppenbestimmung erfolgen (GoR A).

Abb. 1
figure 1

Pathophysiologie der TIK. (Aus S3-Leitlinie Polytrauma [5])

Im Rahmen der Schockraumversorgung von Schwerverletzten sollte zusätzlich der frühzeitige Einsatz viskoelastischer Testverfahren durchgeführt werden (GPP).

Basierend auf den Ergebnissen eines kürzlich veröffentlichten Expertenkonsensus [17] werden Zielbereiche für die ROTEM-A5-Werte angegeben, sodass eine Diagnostik bereits 6–7 min nach Beginn der Messung möglich wird. Bis zur chirurgischen Blutstillung sollte bei aktiv-blutenden Erwachsenen eine permissive Hypotonie (mittlerer arterieller Druck ~65 mmHg, systolischer arterieller Druck ~90 mmHg, altersadaptiert bei Kindern) angestrebt werden (GoR B). Bei der Kombination von hämorrhagischem Schock und Schädel-Hirn-Trauma (GCS <9) und/oder spinalem Trauma mit neurologischer Symptomatik sollte der MAP 85–90 mmHg betragen (GoR B). Ein niedrigerer MAP um 50 mmHg kann angestrebt werden, wenn sowohl eine ZNS-Verletzung als auch eine KHK ausgeschlossen ist (GoR 0). Durch wiederholte Messung von Basenüberschuss und/oder Laktat soll eine ausreichende Perfusion gesichert werden.

Die Rahmenbedingungen der Gerinnung (pH, Temperatur, ionisiertes Kalzium) [15] sollten mit dem Ziel von Normwerten angestrebt werden (jeweils GoR B). Klinische Kriterien, der Verletzungsgrad, das Ausmaß des Blutverlustes, die Kreislaufsituation und die Oxygenierung bedingen die individuelle Indikation zur Transfusion.

Nach Stabilisierung sollte eine Normovolämie angestrebt und der Hb-Wert auf mindestens 7–9 g/dl [4,4–5,6 mmol/l] angehoben werden (GoR B).

Die Gabe von FFP sollte bei Patienten ohne substanzielle Blutung vermieden, bei (erwarteten) Massivtransfusionen jedoch möglichst frühzeitig durchgeführt werden (GoR B). Eine Adaptation der Ergebnisse des PROPPR-Trials [10] auf deutsche Verhältnisse sollte zu einem Verhältnis von FFP:EK:TK im Bereich von 4:4:1 führen (GoR B).

Wird die Gerinnungstherapie bei Massivtransfusionen mit Faktorenkonzentraten durchgeführt, sollte dies mit geeigneten Verfahren gesteuert erfolgen (GPP).

Das Antifibrinolytikum Tranexamsäure ist bei Traumpatienten mit schwerer Blutung indiziert. Es soll möglichst frühzeitig, kann schon prähospital und sollte nicht mehr als 3 h nach dem Trauma (sofern keine Hyperfibrinolyse nachgewiesen wurde) appliziert werden. Trotz vorhandener Anhaltspunkte dafür, dass eine Fibrinogenkonzentration von ≥2 g/l für Traumapatienten mit akuter Blutung sinnvoll sein kann [8, 26], führten Kostengründe und fehlende randomisierte Multicenterstudien zum Nachweis eines Überlebensvorteils bei einem höheren Zielwert von Fibrinogen, im Gegensatz zu internationalen Empfehlungen [28], zum Beibehalten der Indikation zur Substitution von Fibrinogen bei Werten <1,5 g/l (150 mg/dl; GoR B; mehrheitliche Zustimmung).

Die TIK beinhaltet obligat eine dritte, prothrombotische Phase:

Innerhalb von 24 Stunden nach Blutungsstopp soll über Art und Beginn der Thromboseprophylaxe entschieden werden (GoR A).

In einer aktualisierten Tabelle (s. Tab. 3) wurden die geschilderten medikamentösen eskalierenden Therapieoptionen koagulopathischer Blutungen dargestellt. Zusätzlich wurde eine GPP zur Diagnostik von NOAK (nicht-Vitamin-K-antagonistische orale Antikoagulantien) im Schockraum und zu Möglichkeiten der Antagonisierung gebräuchlicher Antithrombotika im Text ergänzt. Währen der Text der aktualisierten S3-Leitlinie sich auf die 3. Auflage der Europäischen Traumaguidelines bezieht [28], ist mittlerweile bereits die 4. Version erschienen [25].

Tab. 3 Eskalierende Therapieoptionen bei der TIK. (Aus S3-Leitlinie Polytrauma [5])

Interventionelle Blutungskontrolle

Das angiographisch interventionelle Vorgehen bei relevantem Blutverlust wird in diesem Kapitel beschrieben. Dieses wird in den Kernaussagen 2.117–2.120 dargelegt. Von diesen 4 Empfehlungen sind 2 modifiziert worden und 2 haben ihre Gültigkeit von 2011 behalten. Die Empfehlung 2.118 lautet:

Bei Vorliegen einer Intimadissektion, Gefäßzerreißung, AV-Fistel, eines Pseudoaneurysmas oder einer traumatischen Aortenruptur soll primär eine endovaskuläre Therapie angestrebt werden (GoR A) [5].

Im Vergleich zu 2011 liegt der Fokus nun auf „primär“ und der in der alten Empfehlung enthalten Terminus „Stent/Stentprothese“ wurde allgemein durch „endovaskuläre Therapie“ ersetzt. In der Empfehlung heißt es:

Bei kreislaufinstabilen Patienten kann in extremis temporär eine endovaskuläre Ballonokklusion durchgeführt werden (GoR 0) [5].

Dieses auch als REBOA (Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta) bekannte Manöver findet mittlerweile vermehrt im Schockraum oder auch im präklinischen Bereich (z. B. bei schweren Becken- oder Amputationsverletzungen der unteren Extremität), wenn der Patient anderweitig zu verbluten droht, seinen Einsatz [19, 27].

Bildgebung

Auf dem Gebiet der Bildgebung haben sich seit der Veröffentlichung der Leitlinie in 2011 bedeutende Entwicklungen vollzogen. Die Durchführung der Ganzkörpercomputertomographie (GKCT), auch ohne konventionelle Radiographie, hat sich in vielen Zentren etabliert und es gab eine Reihe von hochrangigen Publikationen, die die Bearbeitung dieses Themas in einem eigenen Kapitel rechtfertigen.

Das Kapitel Bildgebung ist daher neu und war in der Version von 2011 nicht enthalten. Es umfasst die Kernaussagen 2.121–2.135, welche im Folgenden aufgeführt werden. Inhaltlich werden die Möglichkeiten der Bildgebung beim Erwachsenen und beim Kind abgehandelt.

Erwachsene

Eine zentrale Rolle spielt die Anwendung der GKCT. Eine erste Empfehlung richtet sich an die Lokalisation eines Computertomographen. Dieser sollte im oder zumindest nahe am Schockraum lokalisiert sein (GoR B).

Zur Durchführung der GKCT wird sogar eine „Soll“-Empfehlung ausgesprochen:

Im Rahmen der Diagnostik von Schwerverletzten soll eine zeitnahe Ganzkörpercomputertomographie (Kopf bis Becken, natives CCT) mit traumaspezifischem Protokoll durchgeführt werden (GoR A) [5].

Die Indikationsstellung zur GKCT ist viel diskutiert, da bei zu großzügiger Indikationsstellung die negativen Nebenwirkungen einer unnötigen Strahlenexposition überwiegen. In der aktuellen Version der Leitlinie werden daher zur genauen Indikationsstellung zur Durchführung einer GKCT entsprechende Kriterien genannt, nach denen die Indikation gestellt werden sollte. Hier wird eine GoR-B-Empfehlung formuliert:

Bei Vorliegen folgender Kriterien sollte eine GKCT durchgeführt werden: Störung der Vitalparameter (Kreislauf, Atmung, Bewusstsein), relevanter Unfallmechanismus, mindestens zwei relevant verletzte Körperregionen (GoR B) [5].

Die alternative Form (zur GKCT) der Diagnostik im Rahmen der Schockraumphase stellt die konventionelle Radiographie dar. Diese wird immer dann empfohlen, wenn unmittelbar keine CT-Untersuchung durchgeführt wurde und es unklar bleibt, ob die entsprechende Körperregion verletzt ist. Dies gilt für die Untersuchung des Thorax (GoR B) und für das Becken (GPP).

Die Indikation zur Sonographie wird bei der Diagnostik des Abdomens und des Thorax beschrieben.

Zur Diagnostik von freier Flüssigkeit nach stumpfem oder penetrierendem Abdominaltrauma sollte eine eFAST im Rahmen des primary survey durchgeführt werden (GoR B) [5].

Sonographische Wiederholungsuntersuchungen sollten im zeitlichen Verlauf erfolgen, wenn eine CT-Untersuchung des Körperstammes nicht zeitnah durchgeführt werden kann (GoR B) [5].

Zur Diagnostik eines Pneumo- oder Hämatothorax sollte eine transthorakale Ultraschalluntersuchung als Bestandteil des eFAST durchgeführt werden (GoR B) [5].

Zur Diagnostik des hämodynamisch instabilen Patienten heißt es in der Empfehlung:

Bei hämodynamisch instabilen Schwerverletzten kann unter bestimmten Voraussetzungen (Voraussetzungen hierfür sind ein hoher Organisationsgrad des Traumateams und die entsprechende Infrastruktur) unmittelbar ein Ganzkörper-CT mit Kontrastmittel durchgeführt werden (GoR 0) [5].

Kinder

Die Empfehlungen zur bildgebenden Diagnostik bei Kindern sind in besonderem Maße geprägt von der Abwägung zwischen den unerwünschten Wirkungen einer Strahlenexposition auf der einen Seite und dem Nutzen der Untersuchung auf der anderen Seite.

Für schwer verletzte Kinder wird die Durchführung einer GKCT empfohlen:

Im Rahmen der Diagnostik von schwer verletzten Kindern soll eine zeitnahe GKCT mit Trauma spezifischem Protokoll durchgeführt werden (GPP). (Aus strahlenhygienischen Gründen sollen diagnostische Referenzwerte für pädiatrische CT-Untersuchungen nicht überschritten werden. Es ist ein monophasisches i. v. Kontrastmittel-CT zu empfehlen) [5].

Bei stumpfem oder auch penetrierendem Abdominaltrauma heißt es:

Zur Diagnostik von freier Flüssigkeit nach stumpfem oder penetrierendem Abdominaltrauma beim Kind sollte eine eFAST im Rahmen des primary survey durchgeführt werden (Basisdiagnostik). Ein negatives Ergebnis schließt eine intraabdominelle Verletzung keineswegs aus. Es sollte eine Überwachung, ggf. eine ausführliche Wiederholungsuntersuchung oder eine CT-Untersuchung durchgeführt werden (GoR B) [5].

Im Hintergrundtext wird sehr detailliert beschrieben, wie anhand eines Algorithmus eine Risikoklassifizierung bei Kindern mit Abdominaltrauma vorgenommen werden kann.

Zur bildgebenden Diagnostik des Thorax liegt für die Indikation zur Durchführung einer konventionellen Radiographie keine hochwertige Literatur vor. Dementsprechend wird auch nur eine GPP-Empfehlung ausgesprochen:

Falls unklar bleibt, ob eine relevante thorakale Verletzung besteht und keine unmittelbare CT-Thorax durchgeführt wird, sollte eine Röntgenaufnahme des Thorax angefertigt werden (GPP) [5].

Gleiches gilt für die Diagnostik des Beckens und der HWS:

Falls unklar bleibt, ob eine relevante knöcherne pelvine Verletzung besteht und keine unmittelbare CT durchgeführt wird, soll eine Röntgenaufnahme des Beckens angefertigt werden (GPP) [5].

Falls unklar bleibt, ob eine relevante HWS-Verletzung besteht und keine unmittelbare CT durchgeführt wird, soll eine Röntgenaufnahme der HWS angefertigt werden (GPP) [5].

Für Indikationsstellung zur Durchführung einer cranialen Computertomographie (CCT) werden definierte Kriterien gefordert, die im Hintergrundtext entsprechend ausgeführt sind.

Die Indikation zur nativen cranialen Computertomographie (CCT) soll beim Kind mit Schädelhirntrauma nach definierten Kriterien gestellt werden (GPP) [5].

Anzumerken ist, dass in dem Kapitel Bildgebung eindeutige Zahlenwerte hinsichtlich der Dosis und damit der Strahlenbelastung durch die GKCT genannt sind. Diese, in der Leitlinie genannten niedrigen Werte sind jedoch bei genauerer Betrachtung kritisch zu hinterfragen und selbst von modernen Computertomographen und bei Dosisoptimierung kaum zu erreichen.

Kapitel ohne Änderungen der Kernaussagen

Bei den Kapiteln personelle und apparative Schockraumvoraussetzungen, Kriterien der Schockraumaufnahme, Abdomen und Extremitäten, wurde teilweise der Hintergrundtext aktualisiert. Die Kapitel Hand, Fuß, Unterkiefer und Mittelgesicht sowie Hals behalten ihre Gültigkeit in der Version von 2011.

Erste operative Phase

Im Rahmen der ersten operativen Versorgung spielt der Anästhesist nicht nur als „Narkosearzt“ eine entscheidende Rolle, sondern er ist als Teampartner bei der Entscheidung über die beste Versorgungsstrategie gefragt. Die Gesamtbeurteilung des Patienten durch das Behandlungsteam muss viele Faktoren (individuelle, wie z. B. Alter; traumaspezifische, wie z. B. Verletzungsschwere/-muster; physiologische, wie z. B. Metabolik, Gerinnung, Temperatur usw.) berücksichtigen, um die beste operative Versorgungsstrategie festzulegen. Instabile Patienten scheinen am ehesten von einem Damage Control mit kurzen OP-Zeiten zu profitieren, wohingegen bei stabilen Patienten eventuell eine definitive Versorgung möglich ist. Das Prinzip der Damage Control ist mittlerweile über 25 Jahre alt [7, 35] und konnte zeigen, dass eine Letalitätssenkung hierdurch erreicht wird [20]. Dem Damage-Control-Konzept entsprechend sollten Patienten im hämorrhagischen Schock durch operative Eingriffe nicht zusätzlich kompromittiert werden. Das Hauptaugenmerk in dieser Phase ist auf das Überleben des Patienten zu richten, thorakale, abdominelle oder unfallchirurgische Operationen sind auf ein Minimum zu reduzieren und es gilt der Grundsatz „Treat first what kills first“. Erst nach weiterer Stabilisierung des Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen sollten im zeitlichen Gefolge Revisionseingriffe oder definitive operative Maßnahmen durchgeführt werden [20].

Etwa einer von 6 Patienten ist aber ein sogenannter „Borderlinefall“, der weder der einen noch der anderen Gruppe zugeordnet werden kann. Gerade bei diesen Patienten ist das Abwägen der besten Versorgungsstrategie unter Einbeziehung des gesamten Behandlungsteams sehr wichtig. Für den Anästhesisten bedeutet dies, dass er mit seiner Expertise und Einschätzung der Gesamtsituation entscheidend zum Behandlungserfolg beitragen kann.

Thorax

In diesem Themengebiet sind die Kernaussagen 3.1–3.10 enthalten.

Bei klinischem Verdacht auf eine Verletzung des Tracheobronchialsystems sollte eine Tracheobronchoskopie zur Diagnosesicherung erfolgen (GoR B) [5].

Im Vergleich zu 2011 wurde aus der dort genannten Bronchoskopie die erwähnte Tracheobronchoskopie.

Abdomen

Das Kapitel Abdomen enthält die Kernaussagen 3.12–3.22.

Bei kreislaufinstabilen Patienten mit komplexen intraabdominellen Schäden sollte dem „Damage-Control-Prinzip“ (Blutstillung, Packing, temporärer Bauchdeckenverschluss/Laparostoma) gegenüber dem Versuch einer definitiven Sanierung der Vorrang gegeben werden (GoR B) [5].

Nach einem solchen Eingriff sollte binnen 24–72 h eine Second-Look-Operation erfolgen (GoR B), wobei hier in der Version von 2011 der Second Look binnen 48 h erfolgen sollte. Im Gegensatz zu den gerade genannten instabilen Patienten, sollte bei hämodynamisch stabilen Patienten mit stumpfer, isolierter Milz- oder Leberverletzung ein nichtoperatives Vorgehen angestrebt werden (GoR B – neue Empfehlung seit 2016), wie es bei Kindern seit Jahren üblich ist. Bei interventionspflichtigen Milz- bzw. Leberverletzungen am kreislaufstabilisierbaren Patienten sollte, wenn möglich, eine selektive Angioembolisation durchgeführt werden (GoR B).

Schädel-Hirn-Trauma

Die Messung des intrakraniellen Drucks bei bewusstlosen SHT-Patienten wurde von einer „Kann“-Empfehlung (GoR 0) in 2011 auf eine „Sollte“-Empfehlung (GoR B) angehoben. Als neue Empfehlung in diesem Themenbereich kam hinzu, dass die operative Dekompression und Duraerweiterungsplastik bei erhöhtem Hirndruck erfolgen kann (GoR 0).

Thermische Hautverletzungen und Verbrennungen

Dieses Kapitel ist in der aktuellen Leitlinienversion neu erstellt worden und alle Kernaussagen sind aufgrund der schwierigen Evidenzlage als GPP formuliert. Da die aufgeführten Empfehlungen mehr oder weniger alle eine gewisse Relevanz für den Anästhesisten haben, sind im Folgenden die Kernaussagen aufgeführt.

  • „Beim zusätzlichen Vorhandensein einer Brandverletzung beim Schwerverletzten gelten die gleichen präklinischen Behandlungsprioritäten (GPP)“.

  • „Verbrennungsverletzungen beim Schwerverletzten sollten nicht gekühlt werden (GPP)“.

  • „Der Schwerverletzte mit Brandverletzung sollte in das nächstgelegene Traumazentrum transportiert werden. Bei gleicher Erreichbarkeit ist ein Traumazentrum mit assoziiertem Brandverletztenzentrum vorzuziehen (GPP)“.

  • „Beim zusätzlichen Vorhandensein einer Brandverletzung beim Schwerverletzten sollen die gleichen Behandlungsprioritäten im Schockraum gelten (GPP)“.

  • „Bei Verbrennungen im Stammbereich, die die Atemmechanik beeinträchtigen, soll unverzüglich eine Escharotomie durchgeführt werden (GPP)“.

  • „Bei Verbrennungen der Extremitäten, die die Perfusion beeinträchtigen, soll zeitnah eine Escharotomie durchgeführt werden (GPP)“.

  • „Nach Stabilisierung der Vitalfunktionen und notwendiger operativer Erstversorgung soll der schwer brandverletzte Patient in ein Brandverletztenzentrum mit assoziiertem überregionalem Traumazentrum verlegt werden (GPP)“.

Kapitel ohne Änderungen der Kernaussagen

Bei den Kapiteln Zwerchfell, Urogenitaltrakt, Wirbelsäule, obere und untere Extremität, Hand und Fuß wurden nur die Hintergrundtexte aktualisiert. Die Kernaussagen behielten ihre Gültigkeit von 2011. Die Kapitel Hals sowie Unterkiefer und Mittelgesicht behalten ihre Gültigkeit in der Version von 2011.

Fazit für die Praxis

  • Die Revision der S3-Leitlinien Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung aus dem Jahr 2016 stellt einen Konsens aller beteiligten Fachgesellschaften in Deutschland über die „state of the art“ der Behandlung von Schwerverletzten dar.

  • Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin war im Rahmen der initialen Erstellung der S3 Leitlinie 2011 und der aktuellen Revision 2016 als Fachgesellschaft beteiligt und konnte somit wesentlich zur Gestaltung der Leitlinie beitragen.

  • Aus Sicht der Autoren ist es mit den formulierten Kernaussagen/Empfehlungen wieder gelungen die wichtigsten Punkte kurz und prägnant darzustellen.

  • Mit den Hintergrundtexten ist es dem Interessierten möglich, die detaillierte Evidenz und Begründung für die Formulierung der Kernaussagen nachzuvollziehen.

  • Die Anästhesiologie hat wesentlichen Anteil an der Traumaversorgung, sei es nun im Rahmen des Notarztdienstes, der Schockraumversorgung, während der operativen Phase oder auf der Intensivstation.

  • Ein intensives Studium der Leitlinie und vor allem der Hintergrundtexte möchten die Autoren allen Ärztinnen und Ärzten sehr ans Herz legen.

  • Berücksichtigung der Empfehlungen der Revision der S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung kann zu einer Versorgungsverbesserung von Schwerverletzten beitragen.