Motivation

Der demografische Wandel führt zu steigenden Patientenzahlen und zunehmenden Komorbiditäten, wobei gleichzeitig die Zahl der zur Verfügung stehenden Ärzte und Pflegekräfte stagniert. Daraus folgen eine stetig zunehmende Arbeitsbelastung im Gesundheitswesen und eine drohende Qualitätsminderung in der Patientenversorgung. Der steigende Kostendruck zwingt die gesamte Gesundheitsbranche zum Umdenken. Sektorenübergreifende Pläne und Konzepte müssen entwickelt und evaluiert werden. Neben dem ökonomischen Druck einerseits, verändert sich andererseits auch der Bezug der Bevölkerung zu Gesundheitsleistungen. Elektronische Hilfsmittel, die teilweise aus dem Alltagsbereich stammen, wie beispielsweise Smartphones, intelligente Uhren oder Waagen, sind für jedermann verfügbar und relativ einfach bedienbar. Neben der freien Verfügbarkeit entsprechender Gesundheits-Apps ist auch die Beschaffung von weiteren Informationen mithilfe des Internets, z. B. in Foren oder anderen Webportalen, zunehmend einfacher. Das Einholen medizinischer Ratschläge mithilfe von Foren grenzt thematisch wiederum an das Feld der Telemedizin an, dessen Potenzial bereits für verschiedene Fachrichtungen und Einrichtungen identifiziert wurde. Es führte an mehreren (Uni-) Kliniken zur Gründung von Telemedizinzentren, deren Aufgabe es ist, telemedizinische Projekte zu bündeln und weiterzuentwickeln. Einer der zentralen Vorteile der Telemedizin ist die Möglichkeit, praktisch ohne Zeitverzug medizinische Kompetenz über beliebige Distanzen verfügbar zu machen. Aus diesem Grund haben diverse Fachbereiche das spezifische Potenzial der Telemedizin für sich entdeckt (Abb. 1).

Abb. 1
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Unter „Pubmed“ gelistete Veröffentlichungen zum Thema Telemedizin. Aufgeführt sind die unterschiedlichen verwendeten Suchbegriffe (Stand: 10/2014)

Eine stetig steigende Anzahl wissenschaftlicher Publikationen sind in einschlägigen Datenbanken (Pubmed, Google Scholar, IEEE Xplore) gelistet (Abb. 2). Die Umsetzung der Ideen und Konzepte ist in den verschiedenen Disziplinen allerdings unterschiedlich weit gediehen. Die Teleradiologie gehört zu der aktuell am weitesten verbreiteten und am häufigsten genutzten telemedizinischen Technologie, deren Nutzen in einer Vielzahl von Studien demonstriert wurde [3]. Es konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden, dass mithilfe von Telemonitoring der mittlere arterielle Blutdruck von Hypertonikern gesenkt [33] und der Anteil stationärer Einweisungen und die Gesamtsterblichkeit von Herzinsuffizienz-Patienten verringert werden konnte [10]. Alleine durch die kontinuierliche Überwachung des Herzrhythmus bzw. der Herzfrequenz konnte eine Reduktion der Sterblichkeit um 40 % erreicht werden [43].

Abb. 2
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Anzahl der Publikationen zu Telemedizin in den letzten 10 Jahren

Auch auf die Kernbereiche der Anästhesiologie (Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie) wirken sich der demografische Wandel sowie die damit verbundenen ökonomischen Rahmenbedingungen aus. Hier kann die Telemedizin z. B. Lücken in der Notfallversorgung in ländlichen Gebieten schließen oder aber Expertenwissen in intensivmedizinischen Kliniken der Grund- und Regelversorgung einbringen. Neben einer reinen Kompensation nicht ausreichender, qualifizierter Personalressourcen einerseits und einer effektiven Kostenreduktion andererseits kann der fach- und sachgerechte Einsatz von Telemedizin aber auch zur Qualitätsverbesserung bzw. Optimierung der Patientenbehandlung führen. Beispielsweise kann im Notfallmedizinbereich das sogenannte therapiefreie Intervall bei noch nicht am Einsatzort anwesendem Notarzt dadurch verkürzt werden, dass delegationsfähige ärztliche Maßnahmen durch die bereits vor Ort befindlichen Rettungsassistenten (bzw. Notfallsanitäter) durchgeführt werden [6].

Begriffsdefinition

Der Begriff der Telemedizin wird durch die deutsche Gesellschaft für Telemedizin definiert als die Erbringung konkreter medizinischer Dienstleistungen in Überwindung räumlicher Entfernungen durch Zuhilfenahme moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Das Bundesministerium für Gesundheit untermauert diese Definition und bietet zudem einen Ausblick in die Zukunft. In ihrer Definition heißt es: „Telemedizin ermöglicht es, unter Einsatz audiovisueller Kommunikationstechnologien trotz räumlicher Trennung Diagnostik, Konsultation und medizinische Notfalldienste anzubieten. In Zukunft kann Telemedizin vor allem für den ländlichen Raum ein Bestandteil der medizinischen Versorgung werden“ [9].

Technische Grundlagen

Bei der adäquaten Implementierung eines telemedizinischen Unterstützungssystems ist die Zuverlässigkeit und Robustheit der eingesetzten Informations- und Kommunikationstechnik ohne Zweifel von zentraler Bedeutung. Im Wesentlichen können hier drei Komponenten unterschieden werden: Patienten-Seite, Serversite/Backend und teleärztliche Seite, bzw. am Beispiel der Präklinik: Einsatzstelle, Serversite und Telenotarzt (Abb. 3). Das Backend bzw. die Serversite stellt die technische Komponenten dar, um die Daten- und Sprachkommunikation zwischen der Patienten-Seite und der teleärztlichen Seite sicherzustellen, indem zentrale Dienste und Server zur Verfügung gestellt werden, die über besonders geschützte Leitungen miteinander verbunden sind.

Abb. 3
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Telemedizinische Komponenten im Rettungsdienst

Im Bereich des Patienten kommt der eingesetzten Medizintechnik (Patientenmonitor, Beatmungsgerät, Spritzenpumpen etc.) und etwaig vorhandenen Informationssystemen (z. B. elektronische Dokumentationssysteme) eine besondere Bedeutung zu. Durch miteinander vernetzte Medizingeräte und Informationssystemen kann hier insbesondere im klinischen (z. B. intensivmedizinischen) Umfeld bereits für die Patientenversorgung ein erheblicher Vorteil entstehen.

Daten können aggregiert und ggf. bereits plausibilisiert mittels kommunikationstechnischer Systeme an eine Serverinfrastruktur zur weiteren Verarbeitung oder Archivierung gesendet werden. Auf diese Weise kann ein lückenloser Transport der Daten vom Patienten zur Leitstelle und/oder ins behandelnde Krankenhaus erfolgen.

Die Realisierung einer adäquaten Datenübertragung ist nicht trivial. Neben den Aspekten des Datenschutzes und der Datensicherheit kommt speziell im rettungsdienstlichen Einsatz hinzu, dass die Einsatzstelle in der Regel im Vorfeld nicht bekannt ist und man auf die Verfügbarkeit einer ausreichenden Mobilfunkabdeckung angewiesen ist. Trotz des stetigen Ausbaus der 2G-, 3G- und 4G-Mobilfunknetze ist eine 100 %ige Funkabdeckung, insbesondere innerhalb von Gebäuden und mit einer für telemedizinische Zwecke ausreichenden Bandbreite, durch keinen der verfügbaren Mobilfunkanbieter gegeben. Aufgrund der Komplementarität der Netzabdeckung kann aber durch eine intelligente Nutzung mehrerer Netze eine deutliche Erhöhung der Zuverlässigkeit bzw. Verfügbarkeit erreicht werden. Unabhängig vom Übertragungsweg müssen die Datenpakete zur Wahrung des Datenschutzes verschlüsselt und ggf. zusätzlich über eine geschützte Verbindung (z. B. VPN) an die Serversite übertragen werden. Je nach klinischem Kontext, eingesetzter Medizingeräte und Anspruch der Telekonsultation können hier ganz erhebliche Bandbreiten erforderlich werden.

Auf der anderen Seite der Serverinfrastruktur befindet sich der Telearzt-Arbeitsplatz, der die sensiblen, personenbezogenen Daten entschlüsseln und dem Arzt visualisieren muss. Bezüglich der kommunikationstechnischen Anbindung an die Serversite gelten die gleichen Voraussetzungen wie bei der patientennahen Schnittstelle. Da die Position des Telearzt-Arbeitsplatzes aber in der Regel bekannt und ortskonstant ist, entfallen die durch den Mobilfunk determinierten technischen Herausforderungen.

Rechtliche Grundlagen

Die rechtliche Beurteilung des Einsatzes von Telemedizin ist komplex und tangiert diverse Gesetze und andere Normen wie zum Beispiel das Medizinproduktegesetz, die Medizinproduktebetreiberverordnung, das Bundesdatenschutzgesetz, das Fernbehandlungsverbot der Berufsordnungen für Ärzte, ggf. die Rettungsdienstgesetze der Länder und nicht zuletzt das Strafgesetzt und die Arzthaftung (Zivilrecht).

Ausführliche Gutachten wurden von anerkannten Medizinrechtlern zum Thema „Telemedizin im Rettungsdienst“ erstellt [23]. Sie lassen sich grob so zusammenfassen, dass eine telemedizinisch unterstützte Versorgung von Patienten im Rettungsdienst unter bestimmten Rahmenbedingungen möglich ist. Durch die Verkürzung des therapiefreien Intervalls kann dem Patienten lediglich ein Vorteil entstehen. Eine Aufklärung des Patienten über den Einsatz von Telemedizin ist erforderlich, sofern dieser bei Bewusstsein ist und die medizinischen Gegebenheiten es zulassen. Im Rahmen der Delegation medizinischer Maßnahmen durch den Telearzt an nichtärztliches Personal übernimmt dieser die Gesamtverantwortung, während das nichtärztliche Personal die Durchführungsverantwortung trägt.

Telemedizin in der Anästhesie

Zum diesem Thema gibt es bislang nur sehr wenige Veröffentlichungen. Wong et al. publizierten bereits im Jahr 2004, dass eine Prämedikationsuntersuchung via audiovisueller Verbindung und unter Nutzung eines elektronischen Stethoskops prinzipiell möglich ist und die Beteiligten mit dem Ergebnis zufrieden waren [41]. In einer weiteren Publikation wurde eine Satellitenverbindung dazu genutzt, verschiedene anästhesiologisch relevante Daten wie präoperative Befunde, das Video einer Laryngoskopie, EKG, Messwerte der Pulsoximetrie, des Blutdrucks und der Kapnografie sowie Auskultationsgeräusche von Ecuador in die USA zu übertragen [11]. Dieses System wurde unter anderem dazu genutzt, dass Experten aus Philadelphia zwei Lebertransplantationen bei Kindern in Indien teleanästhesiologisch unterstützen konnten [18]. Auch wenn die Anästhesie nicht ohne gut trainierte manuelle Fertigkeiten auskommt, so können telemedizinische Systeme durchaus zur Unterstützung bzw. Supervision (beispielsweise durch Oberärzte) auch im OP eingesetzt werden.

Im Rahmen des BMBF-geförderten Projektes „OR.net – herstellerübergreifende Vernetzung in OP und Klinik“ beschäftigen sich Wissenschaftler der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen unter anderem mit der Implementierung einer Supervisionsplattform für den Anästhesisten [31].

Telemedizin in der Intensivmedizin

Die Komplexität der Therapieoptionen nimmt insbesondere in der modernen Intensivmedizin stetig zu und erfordert mitunter ein hohes Maß an Spezialisierung und eine enge interdisziplinäre Kooperation. Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung sind aufgrund knapper personeller, fachlicher und materieller Ressourcen bei der Diagnostik und Therapie Schwerstkranker teilweise limitiert und daher auf die Unterstützung größerer Zentren angewiesen. Für verschiedene Fragestellungen ist ggf. die körperliche Anwesenheit des Experten verzichtbar, sofern alle zur Verfügung stehenden Daten zur Anamnese, aktuellem körperlichen Befund und laufender Therapie zuverlässig und sicher telemedizinisch übermittelt werden können.

In einer retrospektiven Erhebung in den USA wurde festgestellt, dass zwischen 2003 und 2010 ein rasanter Anstieg der Zahl von Krankenhäusern mit telemedizinscher Anbindung von 0,4 auf 4,6 % zu verbuchen war [21]. Trotz der Zunahme der Anzahl telemedizinisch angebundener Betten sind die Ergebnisse bzgl. Outcome-Verbesserung heterogen. Diverse Studien konnten nachweisen, dass Aufenthaltsdauer und Letalität auf der Intensivstation durch Telemedizin signifikant gesenkt werden konnten [24, 25]. Darüber hinaus kann die Implementierung von Telemedizin auch dazu eingesetzt werden, Qualität zu überwachen bzw. zu steigern, indem die Adhärenz zu vorhandenen medizinischen Leitlinien geprüft wird. Auch die protektive Lungenbeatmung mit der Folge einer signifikant reduzierten Beatmungsdauer und Letalität kann mittels Telemedizin besser überwacht werden [22]. Im Vergleich hierzu konnten Boots et al. keinen eindeutigen Nutzen einer telemedizinischen Unterstützung in ihrem Übersichtsartikel feststellen. Lediglich eine sichere Anwendung konnte propagiert werden [7]. Auch Nassar et al. kamen zu dem Schluss, dass Telemedizin die Mortalität oder Aufenthaltsdauer nicht reduziert [30]. Dieses muss allerdings nicht der Telemedizin an sich geschuldet sein. Vielmehr ist es so, dass kein technischer oder sonstiger Fortschritt Vorteile bringt, solange er nicht regelrecht genutzt und vom Personal akzeptiert wird [24]. Begleitende Schulungen und Training nehmen im Rahmen des sogenannten „Change Managements“ immer eine elementare Stellung ein.

An einem in der Uniklinik der RWTH Aachen durchgeführten Projekt mit dem Titel „Tele-Intensivmedizin“ oder kurz „TIM“ werden Patienten anderer Intensivstationen kleinerer Krankenhäuser auf Wunsch rund um die Uhr zusätzlich telemetrisch überwacht und bei Bedarf von einem Experten der Uniklinik unterstützend „visitiert“. Dieses Projekt wird vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert [38].

Telemedizin in der Notfallmedizin

In der Notfallmedizin kann der Einsatz von Telemedizin maßgeblich zur Qualitätssicherung und Optimierung der Patientenbehandlung beitragen. Eine Vielzahl von Studien konnte den Nutzen einer telemedizinischen Anbindung beispielsweise bei der notfallmedizinischen Schlaganfallversorgung nachweisen. Bei einem akuten Schlaganfall (Stroke) sind die Prognose und damit das Outcome des Patienten wesentlich von der „Time-to-needle“ bzw. der „Time-to-CT“ abhängig. Hiermit wird die Zeitspanne bezeichnet, in welcher eine Thrombolyse-Behandlung im Rahmen einer Stroke-Unit-Therapie begonnen werden sollte. Da eine Stroke-Unit jedoch nur in spezialisierten Zentren anzutreffen und damit mitunter schwer und nur mit zeitlicher Latenz erreichbar ist, verzögert sich der Therapiebeginn teilweise erheblich. Zahlreiche Studien mit unterschiedlichen Studiendesigns konnten eine Optimierung der Patientenbehandlung mittels telemedizinischer Anbindung demonstrieren. So konnte gezeigt werden, dass es zu einer Verbesserung des Outcomes von Stroke-Patienten in Krankenhäusern ohne spezialisierte Stroke-Unit kommt, wenn diese durch akademische Zentren via Telemedizin in der initialen Behandlungsphase unterstützt werden [2]. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass eine telefonische oder telemedizinische Unterstützung nicht-spezialisierter Krankenhäuser durch spezialisierte Zentren, unter anderem zu einer Zunahme der Anzahl korrekter Entscheidungen bezüglich des Therapiebeginns mit Thrombolyse führt [14]. Eine weitere Untersuchung zeigte, dass die Konsultation mittels audiovisueller Telemedizin im Vergleich zu einer reinen telefonischen Beratung eine statistisch signifikante höhere Rate an korrekten Entscheidungen bezüglich eines Thrombolysebeginns zur Folge hat [29]. Weiterhin konnte demonstriert werden, dass sowohl durch den Einsatz webbasierter telemedizinischer Systeme [19] als auch durch die Implementierung einer „Stroke-Code-Box“ [20] ein zügiger und sicherer Einsatz der Thrombolyse in ländlichen Gebieten gefördert werden kann.

Die Datenlage hinsichtlich innerhospitaler telemedizinischer Unterstützung ist eindeutig. Eine Zunahme der Qualität in der Patientenversorgung konnte mehrfach belegt werden. Jedoch konnte auch ein Nutzen nachgewiesen werden, wenn die telemedizinische Unterstützung von Stroke-Patienten präklinisch im Rettungsdienst angewendet wurde. Auch hier zeigte sich ein problemloser, sicher durchführbarer mobiler telemedizinischer Support in der Therapie des Stroke [5, 42]. Der wesentliche Nutzen resultiert aber bereits daraus, dass durch die differenzierte und detaillierte Vorabinformation der weiterbehandelnden Klinik die nachfolgenden innerklinischen Prozesse deutlich optimiert werden [44].

Bei einem akuten ST-Hebungsinfarkt (STEMI) verbessert sich das Outcome des Patienten signifikant, wenn eine perkutane Koronarintervention innerhalb der ersten beiden Stunden nach Symptombeginn erfolgt. Die American Heart Association fordert gar eine „door-to-balloon time“ von unter 90 min, welche gerade in abgelegenen ländlichen Bereichen selten erreicht wird. Dhruva et al. konnten nachweisen, dass durch eine prähospitale EKG-Übertragung an die Notfallambulanz zur EKG-Diagnostik bzw. Triagierung, bevor der Patient überhaupt eintrifft, eine deutliche Reduktion der „door-to-intervention-time“ beobachtet werden kann [17]. Studien mit ähnlichem Studiendesign können diese Schlussfolgerung untermauern. So konnten Adams et al. eine eindeutige Reduktion der „door-to-reperfusion-time“ bei prähospital durchgeführter EKG-Übertragung erzielen [1]. Sejersten et al. demonstrierten eine signifikante Abnahme der Latenz bis zur Durchführung einer perkutanen Koronarintervention, wenn das prähospitale 12-Kanal-EKG direkt an einen Kardiologen weitergeleitet und die Patienten somit unverzüglich einem geeigneten Zentrum zugeführt wurden [34]. Mit der zunehmenden technischen Entwicklung konnten neben dem EKG im Verlauf auch Vitalparameter und sogar Bilder des Patienten übermittelt werden. Dies konnte 2003 bereits durch Kyriacou et al. beschrieben werden [27]. Rasmussen et al. zeigten kürzlich, dass die Telemedizin zur prähospitalen Diagnose und Bewertung bezüglich der Notwendigkeit eines Katheterlabors machbar ist und zudem eine zügige Katheterintervention binnen 120 min erlaubt, selbst wenn die Patienten mehr als 95 km entfernt von einem Katheterzentrum leben [32].

Die aktuelle Studienlage zeigt eine klare Präferenz für eine prähospitale Bewertung mittels Telemedizin bei einem ST- Elevationsinfarkt. Patienten können zügig Krankenhäusern der Maximalversorgung zugewiesen und damit ein positiver Einfluss auf das individuelle Outcome erzielt werden. Darüber hinaus konnten auch ökonomische Vorteile belegt werden [8].

Nicht nur bei kardiovaskulären und neurologischen Erkrankungen konnte mittels Telemedizin ein klarer Trend hinsichtlich eines besseren Behandlungsergebnisses in den letzten Jahren nachgewiesen werden. Auch andere klinisch spezialisierte Bereiche, welche nicht ubiquitär in den Krankenhäusern vorhanden sind, können mittels Telemedizin Krankenhäuser in ländlichen Gebieten unterstützen. In einer retrospektiven Studie an 234 Patienten konnte gezeigt werden, dass eine telemedizinische Unterstützung nicht-spezialisierter Kliniken durch pädiatrische Zentren zu einer Minimierung der Fehlmedikation bei kritisch kranken Kindern im Vergleich zu einer telefonischen oder keiner Konsultation führt [15]. In einer weiteren Untersuchung der gleichen Arbeitsgruppe konnte belegt werden, dass die Qualität der Akutversorgung deutlich höher war, wenn eine telemedizinische Konsultation erfolgte. Dieses beruhte am ehesten auf einer höheren Anzahl an diagnostischen und therapeutischen Änderungen der Therapieansätze durch Kontakt zu Fachpersonal und führte zudem zu einer größeren Zufriedenheit der Eltern [16]. Eine weitere zukünftige Einsatzmöglichkeit bietet die Telemedizin in der Übertragung sonografischer Bilder nach lebensbedrohlichen Verletzungen im Rahmen eines Traumas. So konnten Song et al. an einem Phantom mit Hämatoperitoneum demonstrieren, dass prähospitaler Ultraschall durch nicht-ärztliches Personal mit telemedizinisch übermitteltem Bildmaterial zur Diagnostik eines Hämatoperitoneums herangezogen werden kann. Es wurde eine Sensitivität von 90 % bei einer Spezifität von 85,3 % erreicht [36].

Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie im deutschen Rettungsdienst wurde nachgewiesen, dass die Echtzeit-Übertragung von Vitalparametern, 12-Kanal-EKG und Bildern begleitend zu einer adäquaten Sprachverbindung via Mobilfunk hinreichend möglich ist und durchgehend eine zufriedenstellende Qualität erreicht [4, 37]. Skorning et al. unterstützen diese These mittels einer Simulationsstudie. Sie zeigten eine Verbesserung der Behandlung und eine Optimierung der Sicherheit, wenn eine telemedizinische Assistenz angefordert war [35]. Weiterhin wurde in einer multizentrischen Studie dargestellt, dass mittels telemedizinischer Konsultation eine signifikante Verkürzung der therapiefreien Zeit erreicht wird. Zudem können die Rettungsassistenten durch den Einsatz innovativer Informations- und Kommunikationstechnik in der Diagnostik und Therapie nicht-lebensbedrohlicher Erkrankungen unterstützt werden [6, 13].

Nach mehreren erfolgreich verlaufenden Forschungsprojekten konnte im April 2014 der sogenannte „Telenotarzt“ fest in den Rettungsdienst implementiert werden. In einem 24/7-Betrieb kann er von allen in Aachen verfügbaren Rettungswagen des kommunalen Rettungsdienstes per Knopfdruck kontaktiert werden und Hilfe bei der Diagnostik und Therapie leisten.

Telemedizin in der Schmerztherapie

Eine adäquate Schmerztherapie erfordert in der Regel ein multimodales Konzept und intensive Personalressourcen. Neben einer effektiven Pharmakotherapie sind Werkzeuge zur Messung und Überwachung der Schmerzintensität sowie des Wohlbefindens des Patienten von Bedeutung. Neben der Entwicklung von Software zur Dokumentation und Qualitätssicherung in der Akutschmerztherapie mithilfe implementierter Checklisten und Algorithmen [12] wurden bereits erste Arbeiten zur telemedizinischen Unterstützung bei der Behandlung chronischer Schmerzpatienten publiziert. Durch eine regelmäßige Erhebung der Schmerzintensität via Telefon oder Internet konnte in einer randomisiert kontrollierten zweiarmigen Studie im Vergleich zu einer Vergleichsgruppe der im Mittel geäußerte Schmerzscore reduziert und die Zufriedenheit der Patienten in der Überwachungsgruppe verbessert werden [26]. Appel et al. konnten belegen, dass Patienten, die telefonisch und per Videoanweisung angeleitet wurden, die Steuerung ihrer Analgesie genauso effektiv verbessern konnten wie eine persönlich anwesende Fachkraft [39]. In einer an über 100 Fibromyalgie-Patienten durchgeführten Studie konnte durch den Einsatz einer webbasierten „Selbstmanagement-Plattform“ eine Outcome-Verbesserung belegt werden [40].

Auch wenn es bis heute noch keine große Zahl an Studien bzw. etablierter Systeme im Bereich Schmerztherapie gibt, sind diverse Applikationen vorstellbar und durchaus als sinnvoll zu betrachten [28].

Allgemeine Herausforderungen und Ausblick

Der Einsatz von Telemedizin birgt auch für die Anästhesiologie und Intensivmedizin viele zukunftsträchtige Möglichkeiten, führt aber an verschiedenen Stellen auch zu Herausforderungen – nicht nur juristischer Art.

Obwohl die Telemedizin in den vergangenen Jahren auch in der Ärzteschaft zunehmend an Akzeptanz gewonnen hat, sind durchaus Kritiker vorhanden, die verschiedene Gefahren ansprechen. Einerseits könne die Telemedizin dazu eingesetzt werden, einen weiteren Stellenabbau im medizinischen Sektor zu betreiben, andererseits wird die Gefahr gesehen, dass die „persönliche Leistungserbringung“ durch den Arzt unterminiert wird bzw. die Behandlungsqualität sinkt. Diese Aspekte sollten auf jeden Fall kritisch betrachtet werden. Grundsätzlich birgt jedes neue System nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. In diesem Zusammenhang ist die konkrete Intention, die hinter der Einführung eines telemedizinischen Systems steckt, entscheidend. Ein sinnvoller Einsatz von Telemedizin ist aus unserer Sicht grundsätzlich dann gegeben, wenn das Ziel einer Qualitätsverbesserung verfolgt wird. Dabei kann es sich z. B. um eine grundsätzlich verbesserte Überwachung des Patienten handeln, die ohne Telemedizin bisher nicht möglich ist, eine bequeme Konsultation eines Spezialisten im Sinne einer Zweitmeinung oder auch die (temporäre) Überbrückung fehlender Personalressourcen.

An den „Telearzt“ werden besondere Ansprüche gestellt, die in Abhängigkeit des Tätigkeitsschwerpunktes mit unterschiedlichen Risiken verbunden sind. Er muss sich auf die Richtigkeit der verfügbaren Informationen verlassen – Kommunikationsprobleme, falsch übermittelte Daten oder Tatsachen sowie unzureichende Informationen müssen bestmöglich vermieden werden. Die Supervision durch einen erfahrenen Kollegen, z. B. einen Oberarzt, kann zur Qualitätssteigerung der Beratungs- und Behandlungsleistungen führen, ebenso ein etabliertes Qualitätsmanagement-System und spezifische Aus- und Weiterbildungen. Trotz der unterstützenden Maßnahmen ist nicht jeder ärztliche Kollege – unabhängig von der medizinischen Qualifikation – gleichermaßen dazu geeignet, eine Telekonsultation durchzuführen.

Auch an die Technik werden besondere Herausforderungen gestellt. Das System muss vor allem zuverlässig und robust sein. Bei der Realisierung telemedizinischer Lösungen muss das Ziel verfolgt werden, einen einheitlichen technischen und organisatorischen (Qualitäts-) Standard – nach dem aktuellen Stand der Technik – zu etablieren. Neben adäquaten Qualitätsansprüchen sollte die Interoperabilität der telemedizinischen Systeme mit bestehenden Geräten, Krankenhausinformationssystemen, Patientendatenmanagement-Systemen und sonstigen Dokumentationssystemen (Rettungsdienst, Notarztdienst, Stroke Unit, Notaufnahme, Intensivstation, OP etc.) angestrebt werden.

Zur Verstetigung der mitunter sehr guten Forschungsansätze und Ideen ist schließlich eine Finanzierung durch die Kostenträger notwendig. Der Gesetzgeber hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung und den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetzes (SGB V § 87, Absatz 2a) dazu aufgefordert zu prüfen, welche ärztlichen Leistungen ggf. mithilfe geeigneter Telemedizinanwendungen sinnvoll erbracht werden können. Ein hierfür notwendiges Kriterium ist, dass die telemedizinische Leistung der bestehenden mindestens gleichwertig ist. Telemedizinische Abrechnungsziffern sind bis zum heutigen Tage allerdings noch nicht vorhanden.

Fazit für die Praxis

Die aktuelle Studienlage zeigt, dass Telemedizin ein sicheres Verfahren darstellt, welches enorme Potenziale auch für Bereiche der Anästhesiologie birgt. Der zunehmend verstärkte Einsatz von Telekommunikationstechnologien kann flächendeckend eine optimale Patientenversorgung nach neuesten Standards gewährleisten. Die medizinische Versorgung gerade in ländlichen Bereichen wird hierdurch sichergestellt auf der Basis eines effektiven und effizienten Einsatzes vorhandener Ressourcen. Diese Vorteile schließen die gleichzeitig mögliche Kostenreduktion nicht aus, welche dem steigenden Kostenaufkommen in der gesamten Gesundheitsbranche entgegenwirken könnte. Sicher müssen noch weitere Studien den Nutzen telemedizinischer Konsultationen untermauern, jedoch zeigt sich aktuell bereits, dass die Telemedizin eine vielversprechende Technologie darstellt.