Hohe Beanspruchungen durch überlange Arbeitszeiten, steigende Patientenzahlen und viele zu fällende Entscheidungen in kurzer Zeit lassen vermuten, dass Anästhesisten und Intensivmediziner überdurchschnittlich gefährdet sind, ein Burn-out-Syndrom (BOS) zu entwickeln. Auch hohe emotionale Anforderungen, z. B. durch Therapieentscheidungen am Lebensende, sollen maßgeblich das Erkrankungsrisiko beeinflussen. Beeinträchtigen die erwähnten berufsbedingten Anforderungen das Privatleben, kann dieser Konflikt ebenfalls eine Rolle spielen. International wird das Burn-out-Risiko für Anästhesisten mit etwa 25–50% beziffert. Konkrete Zahlen aus Deutschland lagen bislang nicht vor.

Hintergrund

Aktuelle Studien vermuten ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Erkrankungen, wie Burn-out, Depressionen oder Suizid bei Anästhesisten und Intensivmedizinern [6, 11]. Für Deutschland gibt es bisher jedoch kaum Zahlen, sodass sich Aussagen zum konkreten Berufsrisiko für psychische Erkrankungen bei Anästhesisten nicht machen lassen [20]. Als beruflich assoziierte psychische Störung gilt hauptsächlich das BOS, für das allerdings keine allgemein akzeptierte Begriffsbestimmung existiert [16]. Kern der meisten bisherigen Definitionsversuche ist die chronische, subjektiv empfundene Erschöpfung, die sich auf ein breites Spektrum individuell unterschiedlicher Konstellationen und beruflich belastender Faktoren beziehen kann [20]. Demnach kann Burn-out als Ergebnis einer komplexen Interaktion zwischen persönlichen und strukturellen Momenten der Arbeitssituation angesehen werden [2].

Burn-out ist als chronische, subjektiv empfundene Erschöpfung definiert

Die Problematik des BOS im anästhesiologischen Berufsumfeld wurde jüngst durch 2 Arbeiten von Michalsen u. Hillert [20, 21] ausführlich dargelegt. Zahlen aus verschiedenen Ländern wurden präsentiert und Schlussfolgerungen für die Situation der Anästhesie in Deutschland gezogen. Insgesamt werten die Autoren die Daten sehr vorsichtig, denn vielen zitierten Studien fehlen geeignete Vergleichsgruppen aus anderen Berufen. Sie sind deshalb nur eingeschränkt interpretierbar, da Beanspruchungen und Stress nicht nur bei im Gesundheitssystem Tätigen, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft zugenommen haben. Darüber hinaus erscheint die Darstellung konkreter Zahlen aus Deutschland für die Diskussion hierzulande notwendig, da die Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems für Stress und Burn-out ein nicht zu unterschätzender Faktor sind [4]. Folglich ist die Übertragbarkeit ausländischer Studien auf Deutschland im Kontext berufsbedingter psychischer Störungen nicht ganz unproblematisch.

International wird das Burn-out-Risiko für Anästhesisten mit etwa 25–50% beziffert [5, 8, 12, 14, 19]. Häufig werden hohe Beanspruchungen durch überlange Arbeitszeiten, steigende Patientenzahlen und viele zu fällende Entscheidungen in kurzer Zeit (hohe kognitive Arbeitslast) für die Prävalenz des BOS verantwortlich gemacht. Aber auch hohe emotionale Anforderungen, z. B. durch Therapieentscheidungen am Lebensende, sollen maßgeblich das Erkrankungsrisiko beeinflussen. Beeinträchtigen die erwähnten berufsbedingten Anforderungen das Privatleben, spielt dieser Konflikt ebenfalls eine Rolle. So sollen Frauen, bedingt durch stärkere private Anforderungen, und auch jüngere Ärzte (< 40 Jahre) mehr gefährdet sein als Männer oder ältere Kollegen [13, 19, 24].

Neben geschlechts- und altersbedingten Risikofaktoren beeinflussen möglicherweise auch die Dienststellung sowie die Art und der Ort der Tätigkeit das Burn-out-Risiko. In einer Studie im Einzugsbereich der Hamburger Landesärztekammer zwischen 1997 und 2007 trugen im Gegensatz zu anderen Untersuchungen [11, 15] nicht die jüngeren Assistenz-, sondern die Oberärzte das größte Burn-out-Risiko [26]. Darüber hinaus gab es im Beobachtungszeitraum widersprüchliche Befunde im Vergleich unterschiedlicher Krankenhäuser. Während die Autoren 1997 das größte Burn-out-Risiko für Ärzte an Universitätskliniken fanden, ließ sich dieser Befund 2007 nicht mehr reproduzieren. Auch für Chefärzte werden die Burn-out-Risiken in der Literatur unterschiedlich dargestellt. Zumeist wird ihnen eine geringere Burn-out-Gefährdung attestiert [26]. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass insbesondere Führungskräfte akademischer Einrichtungen durch Burn-out gefährdet sein könnten [6]. Ob es Unterschiede im Burn-out-Risiko zwischen freiberuflichen oder ambulant tätigen Anästhesisten im Vergleich zu im Krankenhaus beschäftigten Anästhesisten gibt, wurde bisher noch nicht untersucht.

Heinke et al. [10] haben im Rahmen einer Studie zur Arbeitszufriedenheit von Anästhesisten umfangreiche Daten erhoben. Um die Lücke der fehlenden Informationen für Deutschland zu schließen, wurden diese Datensätze mit dem Schwerpunkt Burn-out weiter ausgewertet und mit Daten anderer Berufe der deutschen Bevölkerung verglichen. Damit ist eine Einschätzung möglich, ob Anästhesisten tatsächlich ein im Berufsvergleich erhöhtes Burn-out-Risiko tragen und welche Personenkreise aus der Anästhesie besonders betroffen sind. Vor diesem Hintergrund sollten in der vorgestellen Studie die folgenden Hypothesen überprüft werden:

1. Anästhesisten haben ein im Vergleich zu anderen Berufen höheres Burn-out-Risiko.

2. Die Qualifikation bzw. Dienststellung beeinflusst das Burn-out-Risiko.

3. Anästhesistinnen tragen ein höheres Burn-out-Risiko als ihre männlichen Kollegen.

4. Je größer die quantitativen und emotionalen Belastungen, desto höher ist das Burn-out-Risiko.

5. Art und Ort der Tätigkeit (Krankenhausanästhesist vs. Freiberufler, Universitätsklinik vs. kommunales oder privates Krankenhaus) beeinflussen das Burn-out-Risiko.

Methode

Studienpopulation und Datenerhebung

Per E-Mail wurden im Herbst 2007 10.116 Anästhesisten mit Unterstützung des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) zur Teilnahme an einer Onlinebefragung zur Arbeitszufriedenheit eingeladen. Dabei wurden Daten von 3541 in Deutschland tätigen Anästhesisten erhoben. Soziodemografisch wurden das Alter, das Geschlecht, die beruflichen Qualifikationen sowie die Art und der Ort der Tätigkeit erfasst. Die Auswertung der Daten erfolgte anonymisiert. Eine Zuordnung der Datensätze zu einzelnen Personen oder Einrichtungen war nicht möglich (Details s. [10]).

Erhebungsinstrumente

Für die Erhebung des Burn-out-Syndroms (BOS) und der Anforderungen am Arbeitsplatz wurde der Copenhagen Psychosocial Questionaire eingesetzt (COPSOQ; [17, 22, 23]). Beim COPSOQ handelt es sich um ein breit angelegtes Testinstrument, das Belastungen am Arbeitsplatz bei möglichst geringer Itemzahl erhebt [17]. Der COPSOQ wurde von Nübling et al. [22, 23] für Deutschland weiterentwickelt und validiert, sodass für dieses Instrument mittlerweile deutsche Vergleichsdaten vorliegen. Hier wird nur auf die COPSOQ-Items zur Erfassung des BOS und spezifischer Anforderungen am Arbeitsplatz eingegangen, da diese Ergebnisse berichtet werden.

Die Daten zum BOS wurden mit dem Copenhagen Burnout Inventory (CBI) erhoben, dessen „Personal Burnout Scale“ Bestandteil der deutschen Standardversion des COPSOQ ist [18, 23]. Die Autoren des CBI definieren den Begriff des „personal burnout“ als den Grad der physischen oder psychischen Erschöpfung und Entkräftung einer Person. („Personal burnout is the degree of physical and psychological fatigue and exhaustion experienced by the person“ [18].) Im Kontext der vorgelegten Untersuchung wird darauf hingewiesen, dass mit der Personal Burnout Scale des CBI Anzeichen der emotionalen und körperlichen Erschöpfung für einzelne Personen, unabhängig von der Art des Berufs, erfasst werden (Tab. 1). Diese Berufsunabhänigkeit ist ein wesentlicher Grund für die Verwendung des CBI, denn im Gegensatz zu anderen Fragebogen, z. B. dem häufig eingesetzten Maslach Burnout Inventory, ermöglicht das CBI Burn-out-Symptome auch außerhalb der sozialen Dienstleistungsberufe zuverlässig zu erheben [18]. Insofern sind erst durch Verwendung des CBI die durchgeführten interprofessionellen Vergleiche möglich und in der Zukunft auch Vergleiche zu nichtberufstätigen Bevölkerungsgruppen denkbar. Ein weiterer Vorteil des CBI ist seine geringe Itemzahl, denn im Gegensatz zum Maslach Burnout Inventory werden Folgezustände oder „Coping“-Strategien des BOS nicht erfasst. Eine ausführliche Diskussion der Vorteile des CBI findet sich bei Kristensen et al. [18]. Zusammengefasst gilt das CBI als valides Testinstrument zur Erfassung von Burn-out [16, 18]. Vergleiche mit verschiedenen Berufengruppen sind möglich, da umfangreiche, mit dem CBI erhobene Daten in der Datenbank der Freiburger Forschungsstelle für Arbeit- und Sozialmedizin zugänglich vorliegen [22, 23].

Das Copenhagen Burnout Inventory gilt als valides Testinstrument zur Burn-out-Erfassung

Tab. 1 Untersuchte Items des Copenhagen Psychosocial Questionaire

Die Personal Burnout Scale des CBI erhebt 6 Items (Tab. 1). Da quantitative und emotionale Anforderungen am Arbeitsplatz und die davon beeinflusste Balance zwischen Arbeit und Privatleben für die Entwicklung eines BOS eine Rolle spielen, gingen diese Daten mit insgesamt 12 Items zusätzlich in die Auswertung ein (Tab. 1). Antwortmöglichkeiten auf die Items der Tab. 1 bestanden auf einer 5-stufigen Likert-Skala mit:

  • 1: nie oder fast nie (bzw. in sehr geringem Maß),

  • 2: selten (bzw. in geringem Maß),

  • 3: manchmal (bzw. zum Teil),

  • 4: oft (bzw. in hohem Maß) und

  • 5: immer (bzw. in sehr hohem Maß).

Datenanalyse

Berechnet wurde der Anteil der Teilnehmer der gesamten Studienpopulation und verschiedener Subpopulationen, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines BOS tragen. Dazu wurde die Stichprobe nach Geschlecht (männlich, weiblich), beruflicher Qualifikation bzw. Funktion (Assistenzarzt, Facharzt, Oberarzt, Chefarzt) sowie Art und Ort der Tätigkeit (niedergelassene, freiberufliche, angestellte Tätigkeit, Universitätsklinik, öffentliche Klinik, private Klinik) gruppiert.

Bei den erhobenen Antworten der Teilnehmer auf der Likert-Skala handelt es sich um Daten einer Ordinalskala. Im Rahmen der Auswertung der Daten wurde von einer „Äquidistanz“ der verschiedenen Merkmalsausprägungen auf der Likert-Skala ausgegangen, sodass die Daten als intervallskaliert betrachtet wurden. Die Daten wurden dementsprechend in eine metrische Skala mit den Werten 0:  nie bzw. fast nie, 25:  selten, 50:  manchmal, 75:  oft, 100:  immer, transformiert, sodass die Berechnungen von Mittelwerten (MW) und Standardabweichungen (SD) möglich waren. Dieses Vorgehen war erforderlich, denn ein Ziel der Studie war der Vergleich der erhobenen Daten mit bereits vorliegenden Daten einer Stichprobe aus Deutschland [22, 23]. Da diese Vergleichsdaten intervallskaliert behandelt worden waren, wurden die im Rahmen dieser Studie erhobenen Daten in derselben Weise ausgewertet, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen.

Aus den so berechneten MW der Antworten wurden Skalen-Scores für einzelne Personen und Summen-Scores für die gebildeten Gruppen berechnet. Bei einem Skalen-Score von  ≥ 50 auf der Personal Burnout Scale kann nach Angaben der Autoren des CBI das Vorliegen eines BOS angenommen werden („high burnout“; http://www.arbejdsmiljoforskning.dk/da/projekter/puma/saadan-maales-udbraendthed/cbi-in-english sowie [3]) und demnach über den Anteil der Personen mit einem Score  ≥ 50 die Prävalenz des BOS für die Gruppen abgebildet werden. Kritisch muss zu diesem, von den Autoren des CBI vorgeschlagenen, Vorgehen angemerkt werden, dass durch Setzen eines „Cut-off“-Werts Informationen verloren gehen. Darüber hinaus bleibt es willkürlich, ob tatsächlich, wie von den Autoren des CBI vorgegeben, ein BOS vorliegt. Deshalb wird im Folgenden nicht von der Burn-out-Prävalenz oder von „high burnout“ [3], sondern bei Vorliegen eines Scores  ≥ 50 von einem hohen bzw. erhöhten Burn-out-Risiko berichtet. Angegeben wird folglich der Anteil von Studienteilnehmern, der nach seinem errechneten Score ein hohes Burn-out-Risiko trägt.

Zusätzlich wurden Summen-Scores für einzelne Gruppen berechnet, die für Populations- oder Gruppenvergleiche aussagekräftiger sind, als die Prävalenz bzw. der Anteil Burn-out gefährdeter Personen. Zudem ermöglichte die Berechnung von Summen-Scores den Vergleich der erhobenen Daten mit Daten anderer Berufsgruppen, wie einer repräsentativen Querschnittstichprobe der deutschen Bevölkerung und einer Stichprobe von Krankenhausärzten, die mit dem gleichen Testinstrument erhoben wurden [22, 23]. Diese Vergleiche wurden mithilfe des Student’s t-Test vorgenommen, da für die Gruppen „Krankenhausärzte“ und „deutsche Querschnittstichprobe“ lediglich die statistischen Kennzahlen MW, SD und Stichprobenumfang vorlagen [22, 23].

Für die erhobenen beruflichen Anforderungen wurden lediglich die Summen-Scores der Gruppen berechnet, da sich aus der Berechnung individueller Scores kein definiertes Krankheitsbild ableiten lässt.

Alle Gruppenvergleiche von 2 Gruppen wurden mit dem Student’s t-Test vorgenommen. Um die MW mehrerer Untergruppen auf signifikante Unterschiede zu untersuchen, wurde eine „analysis of variance“ (ANOVA) mit anschließendem Post-hoc-Test gerechnet. Hierzu wurden zunächst die Normalverteilung der jeweiligen abhängigen Variable mithilfe eines Histogramms und die Varianzhomogenität mithilfe des Levene-Tests bestätigt. Während das hauptsächlich untersuchte Merkmal „CBI“ beide Voraussetzungen erfüllt, liegt für das untersuchte Merkmal „Konflikt zwischen Arbeits- und Privatleben“ zwar eine Normalverteilung vor; eine Varianzhomogenität erscheint aufgrund eines signifikanten Ergebnisses im Levene-Test jedoch unwahrscheinlich. Da die Varianzanalyse mithilfe des F-Tests bei hohen Fallzahlen als robust gegenüber Verletzungen der Testvoraussetzungen gilt, kam diese aufgrund der hohen Fallzahl (n = 3541) dennoch zur Anwendung. Die MW-Unterschiede wurden post-hoc mit dem Scheffe-Test überprüft.

Um einzuschätzen, ob die Anforderungen am Arbeitsplatz für die Entwicklung von Burn-out von Bedeutung sind, wurden die COPSOQ-Skalen CBI, quantitative Anforderungen, emotionale Anforderungen und „work-privacy conflict“ durch Berechnung des Korrelationskoeffizienten nach Pearson für die Gesamtpopulation der Anästhesisten auf mögliche Korrelationen untersucht. Vorab war mithilfe eines Histogramms die vorausgesetzte Normalverteilung der untersuchten Merkmale bestätigt worden.

Ergebnisse

Soziodemografische Daten

Von den 10.116 zur Teilnahme an der Studie gebetenen Anästhesisten sind Daten von 3541 Teilnehmern in die Auswertung eingegangen (35%; Details s. [10]). Die zwischen 26 und 75 Jahre alten Teilnehmer der Umfrage (mittleres Alter: 44 ± 8,5 Jahre) verteilen sich entsprechend des Bevölkerungsanteils auf die verschiedenen Bundesländer [10]. Die Altersverteilung der Teilnehmer entspricht der Altersstatistik der Bundesärztekammer für Anästhesisten (http://www.bundesärztekammer.de), sodass diesbezüglich eine repräsentative Stichprobe ausgenommen werden kann. Knapp ein Drittel der Befragten ist weiblich; es sind 18,6% der Befragten Assistenzärzte (männlich 66,1%), 43,6% Fachärzte (männlich 56,2%), 27,7% Oberärzte (männlich 78,8%) und 10,1% Chefärzte (männlich 92,4%).

Anteil der Teilnehmer mit einem hohen Burn-out-Risiko

Es haben 40,1% der Studienteilnehmer einen Score  ≥ 50 auf der Personal Burnout Scale des CBI und dementsprechend ein hohes Risiko für das Vorliegen eines BOS. Unterschiede im Risiko für die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines BOS finden sich nach Geschlecht, Funktion, Art der Tätigkeit (Krankenhaus vs. niedergelassen/freiberuflich, p < 0,01), nicht aber nach der Art des Krankenhauses (p > 0,05; Tab. 2).

Ein hohes Risiko für ein Burn-out-Syndrom haben 40,1% der Studienteilnehmer

Tab. 2 Anteil der Studienteilnehmer mit einem hohen Risiko für ein Burn-out-Syndrom (BOS)

Zusätzlich wurde der Anteil der Teilnehmer mit einem hohen Risiko für das Vorliegen eines BOS getrennt nach Geschlechtern für die Assistenz-, Fach-, Ober- und Chefärzte berechnet. Gemessen mit dem CBI haben 55,2% der Assistenzärztinnen (Männer 41,4%), 45,8% der Fachärztinnen (Männer 38,8%), 40% der Oberärztinnen (Männer 37,5%) und 25,9% der Chefärztinnen (Männer 29,7%) ein hohes Risiko für das Vorliegen eines BOS.

Summen-Scores für Burn-out-Syndrom

Der BOS-Summen-Score entspricht der Ausprägung des Merkmals auf einer Skala von 0–100 und ermöglicht Gruppenvergleiche. Alle Anästhesisten zusammengefasst, also weder nach Geschlecht oder anderweitig gruppiert, erreichen auf der Burn-out Scale einen Score von 42,3 ± 19,5 (MW ± SD). Für die gebildeten Gruppen gilt:

a) Die höchsten Summen-Scores auf dem CBI erreichen die Assistenzärzte (46 ± 18,5), gefolgt von den Fachärzten (42,9 ± 19,7), den Oberärzten (41,2 ± 19,3) und den Chefärzten (36 ± 18,8). Die univariate Varianzanalyse zeigt hierbei Unterschiede zwischen den Gruppen [F(3,3529) = 22,28; p < 0,001]. Der post-hoc durchgeführte Scheffe-Test ergab keine Unterschiede zwischen den Gruppen der Assistenz- und Fachärzte (p = 0,09) sowie der Fach- und Oberärzte (p = 0,20). Alle anderen Gruppen unterscheiden sich signifikant (p < 0,001).

b) Die Art des Krankenhauses hat keinen Einfluss auf den BOS-Summen-Score. Für die Universitätskliniken beträgt er 43,8 ± 19,8; für öffentliche Kliniken 42,9 ± 19,1 und für Kliniken in privater Trägerschaft 42,4 ± 18,7.

c) Krankenhausanästhesisten weisen im Vergleich zu nicht im Krankenhaus angestellten Anästhesisten (niedergelassene und freiberuflich tätige Anästhesisten) einen höheren BOS-Summen-Score auf [43 ± 19,2 vs. 38,1 ± 20,5; t(3531) = 5,0; p < 0,001].

d) Im Vergleich der Geschlechter haben Frauen einen Score von 45,4 ± 19,7 und Männer einen Score von 40,8 ± 19,2 [t(3520) = 6,6; p < 0,001; Abb. 1].

e) Unterschiede im Burn-out-Risiko zwischen den Geschlechtern lassen sich für Assistenz- [t(655) = 3,5; p < 0,01] und Fachärzte [t(1534) = 4,0; p < 0,001], nicht aber für Ober- [t(971) = 1,3; p = 0,2] und Chefärzte [t(354) = 0,36; p = 0,7] belegen.

Abb. 1
figure 1

Scores für Burn-out-Syndrom (± SD) getrennt nach Geschlecht. Unterschiede finden sich im Geschlechtervergleich Total (t(3520) = 6,6; p < 0,001), für Assistenzärzte (t(655) = 3,5; p < 0,01), und Fachärzte (t(1534) = 4,0; p < 0,001). Keine Unterschiede finden sich für den Geschlechtervergleich der Oberärzte bzw. Chefärzte

Vergleich mit anderen Berufen

Daten einer repräsentativen Stichprobe von Krankenhausärzten (n = 616) erreichen mit 49 ± 19 genau wie eine deutsche Querschnittstichprobe aus einem breiten Berufsmix (n = 4709) mit 44 ± 19 einen im Vergleich zum Summen-Score aller Anästhesisten (42,3 ± 19,5) höheren Burn-out-Score. Vergleicht man die Untergruppen, haben lediglich anästhesiologische Assistenzärzte (46,0 ± 18,5) und Anästhesistinnen (45,4 ± 19,7) einen höheren Burn-out-Score als die deutsche Querschnittstichprobe (Student’s t-Test, p < 0,01 für Unterschiede in den Gruppenvergleichen).

Anästhesiologische Assistenzärzte und Anästhesistinnen sind gefährdeter als der deutsche Querschnitt

Da das Auftreten von Burn-out häufig mit hohen quantitativen und emotionalen Anforderungen in Verbindung gebracht wird, wurden die entsprechenden Scores berechnet und für die einzelnen Gruppen dem Burn-out-Score gegenübergestellt (Abb. 2). Die Unterschiede in der Ausprägung der in Abb. 2 dargestellten Merkmale „quantitative Anforderungen“ und „emotionale Anforderungen“ sind ebenfalls signifikant (Student’s t-Test; p < 0,01).

Abb. 2
figure 2

Vergleich der COPSOQ-Skalen Burn-out (BOS), emotionale Anforderungen und quantitative Anforderungen (Summen-Score ± SD) zwischen Anästhesisten (n = 3533), deutschen Krankenhausärzten (KH-Ärzte, n = 616) und einer deutschen „Normstichprobe“ (n = 4709; p < 0,01 für alle Unterschiede, Student’s t-Test)

Konflikt zwischen Beruf und Privatleben

Die Ausprägung des Konflikts zwischen Berufs- und Privatleben ist in Abb. 3 dargestellt. Die univariate Varianzanalyse zeigt MW-Unterschiede auf der entsprechenden Skala für Beschäftigte an Universitätskliniken, öffentlichen Krankenhäusern, Privatkliniken sowie freiberuflich und niedergelassen tätigen Anästhesisten [F(4,3535) = 45,91; p < 0,001]. Die Post-hoc-Analyse mithilfe des Scheffe-Tests ergibt keine signifikanten Unterschiede zwischen den Beschäftigten an Universitäts- und Privatkliniken (p = 0,76), den Beschäftigten an öffentlichen Krankenhäusern und Privatkliniken (p = 0,99) sowie zwischen den niedergelassen und freiberuflich tätigen Anästhesisten (p = 0,99). Alle anderen MW-Unterschiede sind signifikant (p < 0,01; Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Vergleich der COPSOQ-Scale „Konflikt zwischen Beruf- und Privatleben“ nach der Art der Klinik und Tätigkeit (Summen-Score ± SD, p-Werte s. Text, n-Werte s. Tab. 2)

Die Gegenüberstellung von im Krankenhaus angestellten Anästhesisten (Universitätsklinik, Privatklinik und öffentliches Krankenhaus gruppiert, MW = 68,7 ± 22,8) und den freiberuflich bzw. niedergelassen tätigen Anästhesisten (gruppiert, MW = 53,9 ± 28,2) zeigt signifikant höhere Ausprägungen des Konflikts zwischen Berufs- und Privatleben im Vergleich zu den im Krankenhaus angestellten Anästhesisten (t(3538) = 12,9; p < 0,001).

Korrelation Copenhagen Burnout Inventory und berufliche Anforderungen

Die Berechnung der Korrelation zwischen den Skalen CBI und quantitative Anforderungen ergab einen Korrelationskoeffizienten nach Pearson von + 0,34 (p < 0,001), die Korrelation CBI und emotionale Anforderungen von  + 0,33 (p < 0,001) und die Korrelation CBI und Work-privacy conflict von  + 0,49 (p < 0,001).

Diskussion

Interpretation der Ergebnisse

Die eingangs gestellte Frage, ob in Deutschland ein Problem mit Burn-out in der Anästhesie und Intensivmedizin besteht, bedarf einer differenzierten Betrachtung. Nach den erhobenen Daten sind 40,1% der Teilnehmer der Erhebung Burn-out gefährdet. Dies gilt insbesondere für Frauen (46%) und für Assistenzärzte (46,7%). Dass fast die Hälfte aller weiblichen und jüngeren Kollegen ein hohes Burn-out-Risiko hat, ist mit Blick auf dessen Folgen, wie vorzeitige Berufsaufgabe, krankheitsbedingte Fehltage und die Entwicklung weiterer psychischer Störungen von sozialmedizinischer Bedeutung [9]. Das errechnete Burn-out-Risiko ordnet sich in Ergebnisse von Studien aus anderen Ländern ein, die eine Burn-out-Gefährdung für Anästhesisten und Intensivmediziner zwischen 25 und 50% fanden [5, 8, 12, 14, 19]. Damit scheinen die länderspezifischen Rahmenbedingen der jeweiligen Gesundheitssysteme nur einen geringen Einfluss auf die Entwicklung eines BOS bei Anästhesisten zu haben.

Bedeuten diese Zahlen aber wirklich, dass Anästhesisten ein Problem mit berufsbedingtem Stress haben und deshalb überdurchschnittlich Gefahr laufen, ein BOS zu entwickeln? Nicht unbedingt, denn diese Frage darf nicht ausschließlich über das Schätzen des Risikos entschieden werden. Für die Ermittlung des Burn-out-Risikos wird beim Scoring der erhobenen Items überlicherweise ein Cut-off-Wert gewählt. Dadurch werden wertvolle Informationen „abgeschnitten“ und gehen verloren. Deshalb wurden in der vorgestellten Studie Burn-out-Scores berechnet und diese mit Berufsgruppen verglichen, deren Daten ebenfalls mit dem CBI erhoben worden waren und bereits vorlagen [22, 23]. Dieser Vergleich (Abb. 2) deutet darauf hin, dass Anästhesisten insgesamt eine geringe Burn-out-Gefährdung aufweisen. Lediglich männliche und weibliche Assistenzärzte und Fachärztinnen tragen ein vergleichsweise höheres Risiko (Tab. 2, Abb. 1, Abb. 2), sind aber nicht stärker gefährdet als Krankenhausärzte allgemein.

Die Vermutung einer überdurchschnittlichen Burn-out-Gefährdung von Anästhesisten kann nicht aufrechterhalten werden.

Das höhere Risiko von Weiterbildungsärzten fanden auch andere Untersucher [11, 15]. Damit bestätigt sich, dass die Gefahr, ein Burn-out zu entwickeln, bei Ärzten vom Weiterbildungsstand und der Stellung in der Hierarchie abhängt [15]. So weisen in der vorgestellten Studie Chefärzte für Anästhesie das geringste Burn-out-Risiko auf. Dieser Befund widerspricht der jüngst dargestellten hohen Burn-out-Gefährdung akademischer Führungskräfte der Anästhesie in den Vereinigten Staaten [6] und der beobachteten Burn-out-Entwicklung von Oberärzten im Einzugsbereich der Hamburger Landesärztekammer [26].

Warum sind gerade junge Ärzte so sehr gefährdet? Zu vermuten wären in erster Linie hohe arbeitsbedingte Anforderungen, da diese oft zu einem Konflikt zwischen Berufs- und Privatleben führen. Eine positive Korrelation zwischen der Burn-out-Gefährdung, den beruflichen Anforderungen und dem Konflikt zwischen Berufs- und Privatleben konnte nachgewiesen werden. Allerdings zeigen die Daten, dass die emotionalen Anforderungen in der Anästhesie im Vergleich gar nicht so hoch sind. Sowohl die Krankenhausärzte als auch andere Berufe scheinen emotional stärker belastet zu sein. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, da emotionale Anforderungen, z. B. durch Therapieentscheidungen am Lebensende, oft als Begründung einer besonderen Burn-out-Gefährdung von Anästhesisten, Intensivmedizinern oder Onkologen herangezogen werden [8, 12].

Quantitativ fühlen sich Anästhesisten stärker beansprucht als der durchschnittliche berufstätige Deutsche, aber weniger stark als der durchschnittliche Krankenhausarzt. Diese Anforderungen finden sich im Score für den Work-privacy conflict wieder: Er ist bei Krankenhausärzten am größten, gefolgt von den Anästhesisten und der Querschnittstichprobe verschiedener Berufe. In Abb. 3 wird verdeutlicht, dass bei im Krankenhaus angestellten Anästhesisten die „work-life balance“ am stärksten leidet, wohingegen Freiberufler und niedergelassene Kollegen von diesem Konflikt kaum mehr betroffen sind als der durchschnittlich deutsche Berufstätige. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Konflikt zwischen Berufs- und Privatleben bei Universitätsanästhesisten zwar am größten ist, sich dies aber nicht in höheren Burn-out-Scores niederschlägt. Dieser Befund ist ein Indiz für die Auffassung, dass hohe berufliche Anforderungen nicht allein für das Burn-out-Risiko verantwortlich gemacht werden können [20].

Durch die positive Korrelation zwischen der Ausprägung des Merkmals Burn-out mit den quantitativen und emotionalen Anforderungen braucht über den Zusammenhang zwischen hohen beruflichen Anforderungen und der Burn-out-Gefährdung nicht spekuliert zu werden. Dennoch glauben die Autoren, dass die beruflichen Anforderungen nur z. T. das hohe Burn-out-Risiko der Assistenzärzte erklären, sondern möglicherweise eine geringere Gratifikation (nicht nur finanzieller Art) und die vergleichsweise wenigen Möglichkeiten, auf den Arbeitsprozess Einfluss zu nehmen, weitere Ursachen sind [10, 13, 26].

Neben den bisher erwähnten Argumenten, die gegen die Vermutung sprechen, dass Anästhesisten einen größeren arbeitsbedingten Stress als andere Berufe haben, zeigt die Literatur, dass bereits Medizinstudierende ein höheres Risiko für psychische Probleme als altersentsprechende Vergleichsgruppen aufweisen. Bei einer Fragebogenerhebung mit dem Maslach Burnout Inventory an über 4000 amerikanischen Medizinstudenten wurden bei knapp 50% der Teilnehmer Symptome eines BOS festgestellt [7]. Zahlen von Medizinstudierenden von der Universität Würzburg legen sogar bei 65% der Studierenden eine Burn-out-Tendenz am Ende des Medizinstudiums nahe [1]. Von diesen Tendenzen sind insbesondere Absolventinnen der Medizin betroffen [25]. Bei Betrachtung dieser Zahlen im Vergleich mit den vorgelegten Daten kann mit dem Übertritt in das anästhesiologische Berufsleben keine Zunahme des Burn-out-Risikos konstatiert werden.

Vermutet werden auch Einflüsse durch die Trägerschaft einer Klinik [5]. Diese Idee wird durch die hier vorgestellten Daten nicht getragen. Die Unterschiede zwischen den Kliniken sind nur geringer Art. Dagegen spielt die selbstständige Tätigkeit des Anästhesisten eine große Rolle. Egal, ob im niedergelassenen Bereich oder in freiberuflicher Tätigkeit: Burn-out-Risiko, Burn-out-Score und das Ausmaß des Work-privacy conflict fallen geringer aus.

Limitationen der Studie

Einige Limitationen der Studie müssen diskutiert werden. Es ist denkbar, dass das Burn-out-Risiko durch die freiwillige Selbstauskunft falsch eingeschätzt wurde. Insbesondere könnte vermutet werden, dass gerade jene Anästhesisten teilgenommen haben, die besonders viel Stress beklagen. Demzufolge besteht die Gefahr, dass die Burn-out-Gefährdung überschätzt wurde. Da die Ergebnisse im Gegensatz zu anderen Studien [6, 11] aber ein vergleichsweise geringes Risiko für Anästhesisten vermuten lassen, wird der Hauptbefund, dass die Burn-out-Gefährdung von Anästhesisten nicht höher als für andere Berufsgruppen ist, keinesfalls infrage gestellt.

Eine weitere Limitation stellt das verwendete Testinstrument CBI dar, das ebenfalls zu einer Über- bzw. Fehleinschätzung des tatsächlichen Burn-out-Risikos geführt haben könnte. In der Tat liegt gegenwärtig kein allgemein akzeptiertes differenzialdiagnostisches Testinstrument zur Erfassung von Burn-out vor. Jedes bisher publizierte Testinventar hat verschiedene Vor- und Nachteile [16], sodass eine korrekte Diagnosestellung, insbesondere in Abgrenzung zu anderen psychiatrischen Krankheitsbildern (z. B. Depressionen) im Einzelfall nur durch ein fachärztliches Gutachten möglich ist. Die Autoren haben sich trotzdem für das CBI entschieden, da eine große Population gescreent werden sollte und gleichzeitig umfangreiche Vergleichsdaten für andere Berufsgruppen Deutschlands, die mit dem CBI erhoben worden waren, vorlagen.

Darüber hinaus können die Daten keine Antwort auf die Frage geben, ob die Stressbelastung in den vergangenen Jahren, wie oft vermutet, tatsächlich zugenommen hat. Dazu sind weitere Erhebungen in einem zeitlich angemessenen Abstand sinnvoll. Weiterhin muss angemerkt werden, dass die Burn-out-Gefährdung nur ein Ausdruck psychosozialer Belastungen am Arbeitsplatz ist und somit die Gesamtsituation nicht repräsentativ abbildet. Anästhesisten sind vielfältigen beruflichen Belastungen ausgesetzt, die nur durch eine sehr umfangreiche Zahl von Testinstrumenten vollständig erfasst werden können [10]. Unter dem Aspekt der sich rasch wandelnden Rahmenbedingungen für Ärzte ganz allgemein sowie speziell für Anästhesisten und Intensivmediziner (demografischer Wandel, Nachwuchsmangel) sind dringend umfangreiche Longitudinalerhebungen und weitere Vergleiche mit anderen Berufsgruppen in Deutschland erforderlich.

Fazit

Dass 40% der Studienteilnehmer ein hohes Burn-out-Risiko aufweisen, sollte ein grundsätzlicher Anlass für weitere Untersuchungen sein, um gezielte Interventionen abzuleiten. Insbesondere Berufsanfänger und Frauen scheinen Unterstützung zur Prävention vor Burn-out zu benötigen [13]. Trotz der hohen Burn-out-Gefährdung für Assistenzärzte und Frauen scheint das grundsätzliche Risiko für Anästhesisten, ein BOS zu entwickeln, nicht höher zu sein als für andere Berufsgruppen.