Ziel dieses Beitrags ist es, einen Überblick über die Inzidenz, Stadieneinteilung, Pathophysiologie, Therapieoptionen und Prognose des sepsisinduzierten akuten Nierenversagens (ANV) zu geben. Das ANV, das häufig im Rahmen einer Sepsis auftritt, soll nicht als schicksalhafter Bestandteil des septischen Multiorgandysfunktionssyndroms angesehen werden. Durch Erläuterung der Pathophysiologie als Grundlage soll auf präventive diagnostische und therapeutische Ansätze hingewiesen werden, die ein ANV möglicherweise verhindern.

Epidemiologie, Definitionen

Das ANV ist als eine plötzliche, prinzipiell reversible Verschlechterung der glomerulären und tubulären Funktion definiert; hierbei reicht das Spektrum von minimalen Störungen bis zum vollständigen Verlust der Nierenfunktion. Im Jahr 2004 wurden in einer Konsensuskonferenz die bis dahin bestehenden Definitionen des ANV durch eine einheitliche Definition und Stadieneinteilung ersetzt, die RIFLE-Kriterien [“risk“, „injury“, „failure“, „loss“, „end stage renal disease“ (ESRD); [7]; Tab. 1], die eine Klassifikation anhand der Parameter Serumkreatinin und Harn-Zeit-Volumen vorschlugen. Eine Modifikation der RIFLE-Kriterien erfolgte 2007 durch das Acute Kidney Injury Network (AKIN); hierbei wurde ein 48-h-Fenster für die Definition von „akut“ vorgeschlagen (Tab. 1). Darüber hinaus wurde eine Änderung der Terminologie angeregt, die die Bezeichnung „acute renal failure“ durch „acute kidney injury“ mit 3 Schweregraden ersetzt [41]. Im Weiteren werden diese Begriffe synomym verwendet.

Tab. 1 Definition der akuten Nierenschädigung durch das Acute Kidney Injury Network. (Nach [41])

Zirka 60% aller ANV treten bei chirurgischen Patienten auf, 40% bei internistischen Patienten und 1–2% sind schwangerschaftsassoziiert. Die bislang umfangreichste Inzidenz und Outcome-Analyse von mehr als 16.000 Patienten auf 303 Intensivstationen zeigte, dass durchschnittlich 30% aller Patienten innerhalb von 48 h nach Aufnahme auf die Intensivstation eine akute Nierenschädigung entwickeln [29]. Während die durchschnittliche Letalitätsrate der Intensivpatienten ohne Nierenschädigung in dieser Studie 12% betrug, stieg diese mit dem Schweregrad der akuten Nierenschädigung kontinuierlich an und erreichte bei Patienten mit schwerer Nierenschädigung/Funktionseinschränkung Werte über 40%. Verglichen mit der anhand des Simplified Acute Physiology Score (SAPS) 3 prognostizierten Letalität war ein höherer Grad der Nierenschädigung mit einer deutlichen Übersterblichkeit verbunden. Innerhalb der ersten 48 h nach Aufnahme auf die Intensivstation erwiesen sich die RIFLE-Kriterien als robustes Klassifikationssystem mit einer etwas höheren Sensitivität als die AKIN-Einteilung. Während die RIFLE-Klassifikation von einer normalen Nierenfunktion vor der ersten Erhebung ausgeht, erfolgt die AKIN-Stadieneinteilung anhand gemessener Veränderungen innerhalb von 48 h [29]. Eine Schwäche beider Definitionen ist, dass sie bereits existente Nierenschädigungen nicht erfassen, z. B. bei Patienten, deren zweiter gemessener Kreatininwert unter Therapie gegenüber dem erhöhten Ausgangswert gefallen ist, da sie den akuten Nierenschaden prästationär erlitten haben.

Von der Definition des ANV als eine Krankheitssituation mit Notwendigkeit der Nierenersatztherapie muss man sich lösen.

Bereits geringere Einschränkungen der Nierenfunktion führen zu einer erheblichen Letalitätsratensteigerung.

Die neuen Diagnosesysteme mögen nicht optimal alle Verlaufsformen beschreiben, doch sind sie ein wesentlicher Fortschritt in der Definition des heterogenen Krankheitsbildes. Bei der Erarbeitung der AKIN-Klassifikation bestand der Anspruch, dass die Kriterien einfach und in nahezu jeder klinischen Situation bestimmbar sein sollten, sodass die AKIN-Einteilung heutzutage bei allen intensivmedizinischen Patienten zur Anwendung kommen sollte. Ein Verdienst der neuen Klassifikation ist, dass auch die „nichtdialysepflichtigen“ Schweregrade eingeordnet und adäquat bewertet werden können. So wurden vermeintlich geringfügige Anstiege des Serumkreatinins allgemein zu wenig als Ausdruck relevanter klinischer Probleme gewertet. Nun definiert man bereits einen Serumkreatininanstieg um 26,5 μmol/l (0,3 mg/dl) als Surrogatparameter für eine bedeutsame Schädigung.

Ätiologisch kann man die akute Nierenschädigung in ein prä,- intra- und postrenales ANV klassifizieren. Prä- und postrenales Nierenversagen gehen initial nicht mit strukturellen Veränderungen des Nierengewebes einher und sind deshalb zunächst als funktionell anzusehen. Erst bei einer prolongierten prärenalen Hypoperfusion/postrenalen Obstruktion manifestiert sich ein Gewebeschaden, sodass die exakte Anwendung der Definition des Krankheitsbilds sich auf das sog. renale ANV beschränkt. Das ANV in diesem Sinne wurde erstmalig im Verlauf des Zweiten Weltkriegs als „Crush-Syndrom“ beschrieben. Auf diese ursprünglichen Beschreibungen geht die klassische Einteilung des ANV in ein hämodynamisch-ischämisch und ein septisch-toxisch verursachtes Nierenversagen zurück (Abb. 1). Unter den hämodynamisch ausgelösten Nierenversagen werden alle durch Hypovolämie, Hypotension und kardiale Insuffizienz ausgelösten Störungen subsumiert. Die ein ANV auslösenden Toxine werden in exogene (bakterielle, pharmakologische und chemische Substanzen) sowie endogene (Zytokine, Hämolyse und Myolyse) eingeteilt. Eine exakte Zuordnung der Ursache eines ANV ist oft schwierig, da das ANV als singuläres Organversagen im klinischen Alltag eher selten ist. Oft sind die Nieren ein mitbetroffenes Organ, z. B. im Rahmen eines Multiorgandysfunktionssyndroms, und die Genese der Schädigung ist multifaktoriell.

Abb. 1
figure 1

Pathogenese des akuten Nierenversagens. ANP atrial natriuretisches Peptid, ET-1 Endothelin-1, NO Stickstoffmonoxid, NSAR nichtsteroidale Antirheumatika, PAF plättchen-aggregierender Faktor, PGE 2 Prostaglandin E2, PGI 2 Prostaglandin I2, Tx-A 2 Thromboxan A2

Die Sepsis ist die häufigste Ursache des ANV auf der Intensivstation

Die Sepsis ist die häufigste Ursache des ANV auf der Intensivstation [64, 66, 71]. So tritt ein ANV bei 19% aller Patienten mit Sepsis, 23% der Patienten mit schwerer Sepsis und bei ca. 50% aller Patienten mit septischem Schock auf. Eine neuere Arbeit zur Prävalenz des ANV bei schwerer Sepsis in Deutschland zeigte, dass mehr als 40% der septischen Patienten ein ANV erleiden [50]. Septische Patienten mit einem ANV müssen zudem aufgrund nonkardialer Lungenödeme häufiger mechanisch ventiliert werden als septische Patienten ohne ANV. Für die erhöhte Inzidenz nonkardialer Lungenödeme werden der Zusammenbruch der Endothelbarriere durch inflammatorische Mediatoren im Rahmen des „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS) und die erhöhte Flüssigkeitsbelastung durch die Olig-/Anurie verantwortlich gemacht. So vollzog sich über die letzten Jahre, beschleunigt durch die Initiative des AKIN, eine grundlegende Wandlung in der konzeptuellen Auffassung des ANV vom Einzelorganversagen hin zu einem Syndrom mit gravierenden systemischen Effekten. („Not only victim, but murderer.“)

Merke

Das ANV ist als eine plötzliche, prinzipiell reversible Verschlechterung der glomerulären und tubulären Funktion definiert. Pathophysiologisch sind ein hämodynamisch-ischämisch und ein septisch-toxisch verursachtes Nierenversagen zu unterscheiden. Die AKIN-Klassifikation sollte heutzutage bei allen intensivmedizinischen Patienten zur Anwendung kommen. Die häufigste Ursache eines ANV auf der Intensivstation ist die Sepsis. Das ANV stellt hierbei kein Einzelorganversagen, sondern ein Syndrom mit gravierenden systemischen Effekten dar.

Pathophysiologie des septischen akuten Nierenversagens

Die pathophysiologische Kaskade des septischen ANV ist in Abb. 2 zusammenfassend dargestellt.

Abb. 2
figure 2

Pathophysiologie des akuten Nierenversagens. GFR Glomeruläre Filtrationsrate

Systemische Ischämie

Im Rahmen des Sepsissyndroms werden proinflammatorische Zytokine [Tumor-Nekrose-Faktor- (TNF-)α, Interleukin- (IL-)1β, IL-6, Interferon- (IFN-)γ] abundant frei gesetzt. Insbesondere erfolgt eine exorbitante (auch durch Zytokine ausgelöste) Synthese von Stickstoffmonoxid (NO), katalysiert durch die Bildung der induzierbaren Isoform der NO-Synthase (NOS). Der ubiquitäre Überschuss an NO führt zu einer generalisierten Vasodilatation mit Abfall des systemischen vaskulären Widerstands (SVR), konsekutiver arterieller Hypotonie und Reduktion des renalen Blutflusses. Dieses Szenario ist kennzeichnend für den septischen Schock mit arterieller Hypotension trotz adäquater Flüssigkeitszufuhr, der zum Multiorganversagen führen kann [52]. Hierbei korreliert das Ausmaß der arteriellen Hypotension mit dem Ausmaß des „multiple organ dysfunction syndrome“ (MODS) und dieses wiederum mit der Mortalitätsrate. Deshalb ist das therapeutische Ziel mit höchster Priorität die Erhöhung des Perfusionsdrucks als Surrogatparameter für eine Kreislaufstabilisierung. Das etablierte Regime besteht aus einer aggressiven, adäquaten Volumensubstitution und Katecholaminenapplikation [56]; hierbei ist die vaskuläre Reaktivität auf Katecholamine während Sepsis deutlich eingeschränkt (Vasoplegie).

Eine Verringerung des renalen Perfusionsdrucks hat einen Abfall des effektiven Filtrationsgradienten im Glomerulum zur Folge, was zu einer Reduktion der glomerulären Filtrationsrate (GFR) führt. Dies ist der Mechanismus des klassischen prärenalen Nierenversagens, da die Autoregulationsysteme der Nieren einen konstanten renalen Blutfluss bei einem arteriellen Mitteldruck unter 55 mmHg nicht mehr aufrechterhalten können.

Aus diesem Grund wurde NO als vasodilatorischem Molekül eine maßgebliche Rolle in der Pathogenese des septischen Kreislauf- und Nierenversagens zugeordnet [52]. Seit die Applikation von unspezifischen NOS-Inhibitoren in großen klinischen Multizenterstudien aber keine Verbesserung des Outcomes von septischen Patienten gezeigt hat [76] und eine internationale Phase-III-Studie, die den unselektiven NOS-Inhibitor „NG-monomethyl-l-arginine“ (L-NAME) bei septischen Patienten untersuchte, aufgrund der erhöhten Mortalität in der Verumgruppe vorzeitig beendet werden musste, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass weitere molekulare Signalwege an der Entstehung des sepsisinduzierten ANV beteiligt sind.

In jüngerer Zeit konnte gezeigt werden, dass neben dem NO-Signalweg ATP-gesteuerte K+-Kanäle (KATP-Kanäle) eine wichtige Bedeutung für die Pathogenese der sepsisassoziierten Vasodilatation haben, ohne dass sich aus diesen Erkenntnissen bisher relevante Therapieansätze ergeben hätten. Die KATP-Kanäle sind für die Regulation des Ruhemembranpotenzials mitverantwortlich [34]. Durch Gewebehypoxie und zelluläre Stoffwechseldefekte sinkt die ATP-Konzentration, die für die Regulation der KATP-Kanäle verantwortlich ist. Bei ATP-Mangel kommt es durch Öffnung der Kanäle zur Hyperpolarisation, die wiederum zur Schließung spannungsgesteuerter Kalzium- (Ca2+)-Kanäle führt [34]. Somit sinkt die intrazelluläre Ca2+-Konzentration, woraufhin sich die Gefäßmuskulatur relaxiert [35].

Neben diesen molekularen Signalwegen sind weitere Mechanismen an der Pathogenese des sepsisinduzierten ANV beteiligt, da es auch nach vollständiger Normalisierung des renalen Blutflusses es zu einer Reduktion der GFR unter septischen Bedingungen kommen kann.

An einem kleinen septischen Patientenkollektiv [13] konnte v. a. 48 h nach Sepsisinduktion sogar ein gesteigerter renaler Blutfluss gemessen werden. Als Bestätigung konnte in anderen Studien durch perkutane Anlage einer Thermodilutionssonde gezeigt werden, dass der renale Blutfluss und die medulläre Nierendurchblutung während eines septischen Krankheitsverlaufs ansteigen. Der reduzierte renale Blutfluss kann also nicht allein für den Abfall der GFR verantwortlich sein, sondern es müssen v. a. bei einer prolongierten Sepsis zusätzliche Pathomechanismen eine Rolle spielen. Man geht davon aus, dass die Reduktion der GFR während Sepsis einen biphasischen Verlauf hat. Innerhalb der ersten 48 h nach Sepsisinduktion scheinen Veränderungen der renalen vaskulären Aktivität für die Verschlechterung der GFR ausschlaggebend zu sein, danach scheinen insbesondere die im Folgenden erläuterten Faktoren zur Aggravierung der Nierendysfunktion beizutragen.

Lokale Ischämie

Glomeruläre Filtrationsrate

Durch die Imbalance des funktionsnotwendigen Gleichgewichts zwischen Vasokonstriktion und Vasodilatation der glomerulären Vasa afferentes und efferentes kommt es zu einem Abfall des glomerulären Widerstands und zu einer Reduktion des glomerulären effektiven Filtrationskoeffizienten. Die GFR hängt aber essenziell von dem Verhältnis des Vasotonus der afferenten und efferenten glomerulären Gefäße ab. Durch Vasokonstriktion des präglomerulären Gefäßes sinken der effektive Filtrationsdruck und somit auch die GFR. Bei Vasokonstriktion des afferenten Gefäßes und paralleler Dilatation des postglomerulären Gefäßes fällt der effektive Filtrationsdruck im Glomerulum noch weiter.

Dieses Ungleichgewicht wird durch verschiedene Pathomechanismen wie durch die Aktivierung des Renin-Angiotensin-II-Aldosteron-Systems (RAAS) sowie durch die Ausschüttung von Thromboxan A2, Endothelin und Adenosin mit konsekutiver Vasokonstriktion der präglomerulären Gefäße während Sepsis induziert [52]. Kommt es durch die übermäßige Bildung von vasodilatatorischen Mediatoren wie Prostaglandinen, plättchenaggregierendem Faktor, freien Radikalen und NO v. a. postglomerulär zu einer Reduktion des kapillären Vasotonus, verstärkt dies die Reduktion des effektiven Filtrationskoeffizienten (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Beeinflussung des lokalen prä- und postglomerulären Vasotonus durch Mediatoren und Substanzen. ANP atrial natriuretisches Peptid, NO Stickstoffmonoxid, PGE 2 Prostaglandin E2, PGI 2 Prostaglandin I2. (Mit freundl. Genehmigung Fresenius Medical Care Deutschland GmbH, Renal Pharma, http://www.fmc-renalpharma.com/the_kidneys.htm)

Weiterhin bewirkt die abundante NO-Bildung in der Frühphase der Sepsis einen progressiven Anstieg von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) im renalen Kortex. Nach 24 h fällt jedoch bei unveränderter Plasma-NO-Konzentration der cGMP-Spiegel verbrauchsbedingt ab. Da cGMP der „second messenger“ der NO-vermittelten arteriellen Vasodilatation ist, führt eine „down regulation“ dieses Enzyms zu einer weiteren Verstärkung der präglomerulären Vasokonstriktion [64], da der Antagonist der über das RAAS, Thromboxan A2, Endothelin und Adenosin vermittelten Vasokonstriktion wegfällt.

Deshalb geht man davon aus, dass während der ersten 24 h nach Sepsisinduktion die durch vasoaktive Hormone vermittelte glomeruläre vaskuläre Dysfunktion weitestgehend reversibel ist. Erst eine prolongierte v. a. präglomeruläre Vasokonstriktion führt zu irreversiblen renalen Veränderungen [64].

Tubulusdysfunktion

Neben der Reduktion der GFR spielt v. a. die akute tubuläre Schädigung bei der Pathogenese des manifesten ANV eine entscheidende Rolle. Verantwortlich ist eine Kombination aus prolongierter renaler Ischämie und toxischer Schädigung. Im Vergleich zur sehr gut durchbluteten Nierenrinde mit einem Sauerstoffpartialdruck von 50 mmHg ist das Nierenmark aufgrund seiner Gefäßarchitektur mit einem Sauerstoffpartialdruck von 10–20 mmHg bereits unter physiologischen Bedingungen an der Grenze zur Hypoxie. Die daraus resultierende geringe Hypoxietoleranz, die z. B. durch Sepsis schnell überschritten werden kann, verursacht eine Schwellung der Tubulusepithelzellen und Endothelzellen der peritubulären Gefäße. Es kommt zum hypoxiebedingten Kalziumeinstrom und durch eine Aktivierung von Proteasen und Phospholipasen zur Zytoskelettzerstörung. Morphologische Korrelate dieser Tubulusschädigung sind der Verlust des Bürstensaums und der „tight junctions“ der Tubulusepithelzellen (Abb. 4). Zwischen den geschädigten Tubuluszellen resultiert eine unselektive Rückdiffusion von Ultrafiltrat („back leak“) ins Interstitium. Die Vermutung, dass die GFR in geschädigten Nieren nur geringgradig eingeschränkt sein könnte, die Diurese aber durch das Back leak von Ultrafiltrat meist bis zur Oligurie reduziert ist, konnte sowohl durch zahlreiche Mikropunktionsuntersuchungen an Tiermodellen als auch durch „Clearance“-Studien an Patienten belegt werden (Infobox 1). Es folgt der Untergang einzelner Tubuluszellen durch Nekrose und Apoptose. Aufgrund der Translokation von Integrinen von der Zellbasis auf die apikale Zelloberfläche lösen sich Tubuluszellen von der Basalmembran ab und tragen so zur Bildung von Zylindern aus Zellmaterial sowie präzipitierten Proteinen und damit zur Obstruktion der Tubuli bei (Abb. 5). Wird die Ursache der renalen Ischämie rasch behoben, dehnen sich die verbleibenden vitalen Zellen auf der Basalmembran aus, was zu einer Abflachung des Epithels und zu einer Aufweitung des Tubuluslumens führt. Unter dem Einfluss von Wachstumsfaktoren proliferieren und redifferenzieren sich die Tubuluszellen, gewinnen wieder eine apikal-basale Polarität und bilden lumenseitig einen Bürstensaum. Dieser Ablauf von ischämischer Tubulusläsion, Nekrose und Reparation im Rahmen eines potenziell reversiblen ANV geht bei einer schweren, prolongierten Hypoxie des Nierenparenchyms in eine irreversible renale Schädigung über [69].

Abb. 4
figure 4

Theoretischer Ablauf einer akuten Tubulusnekrose. 1 Normale Tubulusepithelzelle mit lumenseitigem Bürstensaum, 2 Verlust der Polarität mit Verlagerung der Adhäsionsmoleküle und Verlust des Bürsternsaums, 3 apoptotisch/nekrotisch bedingter Zelltod, 4 Ablösen von Zellmaterial mit intraluminärer Obstruktion, 5 Verbreiterung und Differenzierung vitaler Zellen, 6 Regeneration, Proliferation und Redifferenzierung von Tubulusepitherzellen (Mod. nach [69])

Abb. 5
figure 5

Mechanismus der tubulären Obstruktion. (Mod. nach [23])

Toxische Schädigung

Tubulussystem

Die tubulären Transportsysteme sind für die Harnkonzentrierung, Elektrolyt- und Flüssigkeitshomöostase verantwortlich. Tierexperimentelle Arbeiten zeigten kürzlich, dass die sepsisinduzierte renale Hypoperfusion für die Pathogenese der tubulären Dysfunktion eine untergeordnete Rolle spielt [62]. Von zentraler Bedeutung für die Pathogenese der tubulären Dysfunktion und bei der Sepsis soll hingegen eine über proinflammatorische Zytokine wie TNF-α, IL-1β oder IFN-γ-induzierte Herabregulation der Expression dieser tubulären Transportsysteme sein [62]. Die zytokinvermittelte Reduktion der Transportkapazität führt analog zum ischämisch-bedingten ANV zu einer Erhöhung der intraluminalen Natriumchlorid- (NaCl-)Konzentration, was in einer über den tubuloglomerulären Feedback-Mechanismus vermittelten Reduktion der GFR resultiert. Durch die erhöhte luminale NaCl-Konzentration kommt es zu einer über die Macula densa vermittelten Vasokonstriktion der Vasa afferentes und zu einer Verschlechterung der glomerulären Hämodynamik. Diese inverse Abhängigkeit zwischen tubulärer NaCl-Konzentration und GFR ist auch unter pathologischen Bedingungen erhalten. Nach neueren Untersuchungen scheint Adenosin – über den Adenosin-A1-Rezeptor vermittelt – der Hauptmediator des tubuloglomerulären Feedbacks zu sein. Genau genommen handelt es sich hierbei um einen physiologischen Regulationsmechanismus, der das Einzelnephron vor Hyperfiltration schützen soll und bei ANV „fälschlicherweise“ dadurch aktiviert wird, dass die NaCl-Resorption durch die tubuläre Schädigung stark beeinträchtigt ist (Infobox 1; Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Tubuloglomerulärer Feedback-Mechanismus. ADP Adenosindiphosphat, AMP Adenosinmonophosphat, ATP Adenosintriphosphat, Cl Chlorid, K Kalium, Na Natrium, VSMS glatte Gefäßmuskelzellen; 1 konzentrationsabhängige luminale Na+-, K+-, Cl-Aufnahme via den Na+-K+-2Cl-Kotransporter, 2 intra-, extrazelluläre Adenosinbildung, 3 Aktivierung des Adenosin-A1-Rezeptors mit konsekutiver Aufnahme der zytosolischen Ca2+-Konzentration, 4 Vasonkonstriktion afferenter präglomeruläer Gefäße durch die Ca2+-Zunahme. (Mod. nach [72])

Allgemeine toxische Effekte

Nephrotoxische Effekte im Rahmen einer Sepsis werden auch durch Protein-Plasma-Kaskaden aus polymorphkernigen aktivierten Granulozyten vermittelt. Dabei kommt dem Faktor XII, der zu einer Freisetzung von Bradykinin und Kallikrein führen kann, eine entscheidende Rolle zu. Er kann gleichzeitig sowohl die reguläre als auch die alternative Aktivierung der Komplementkaskade über die Komplementkomponenten C3a und C5a bewirken. Durch Komplementfaktoren oder durch Adhäsionsmoleküle aktivierte Granulozyten setzen Lysozym, saure Hydrolasen, proteolytische Enzyme und Wasserstoffsuperoxid (H2O2) frei. Das resultierende Ungleichgewicht zwischen Proteinasen und Proteinaseinhibitoren ist für die extra- und intrazelluläre Proteindegradation verantwortlich, die zu einer renalen Schädigung führt.

Merke

Proinflammatorische Zytokine spielen eine entscheidende Rolle bei der Induktion des septischen ANV. Insbesondere die Synthese von NO durch iNOS führt zu einer ausgeprägten Vasodilatation mit Reduktion des renalen Blutflusses. Dies bewirkt den Abfall des effektiven Filtrationsgradienten im Glomerulum und somit der GFR. Die Reduktion der GFR persistiert auch nach vollständiger Normalisierung des renalen Blutflusses, sodass die reduzierte renale Perfusion nicht allein für den Abfall der GFR verantwortlich sein kann. Die sepsisinduzierte Imbalance des Gleichgewichts zwischen Vasokonstriktion und Vasodilatation der glomerulären Vasa afferentes sowie efferentes spielt ebenso eines entscheidende Rolle.

Das RAAS, Thromboxan A2, Endothelin und Adenosin wirken präglomerulär vasokonstrigierend. Postglomeruläre Dilatation wird durch Prostaglandin, plättchenaggregierenden Faktor und NO hervorgerufen.

Hypoxiebedingt werden im Nierentubulus ein Kalziumeinstrom und eine Aktivierung von Proteasen und Phospholipasen mit Zerstörung des Zytoskeletts, Nekrose und Apoptose ausgelöst. Zytokinvermittelt kommt es außerdem zu einer Reduktion der tubulären Transportkapazität mit Verminderung der Elektrolytreabsorption.

Prognose

Die Prognose des ANV konnte durch die Einführung der Hämodialyse Anfang der 50er Jahre entscheidend verbessert werden. Seit diesem Zeitpunkt ist die ANV-assoziierte Letalitätsrate bis zum Beginn der 90er Jahre aber nicht weiter abgefallen, sondern kontinuierlich angestiegen und beträgt seitdem konstant 50–70%. Dies dokumentiert eine Metaanalyse aus 258 zum ANV publizierten Studien, in der die Letalitätsraten von über 30.000 Patienten zusammengefasst wurden [33]. Erst seit wenigen Jahren gibt es Anzeichen, dass dieser Anstieg stagniert oder sogar eine leichte Verbesserung der Prognose einzutreten scheint. Für diese hohe Letalität werden verschiedenste Faktoren wie Fortschritte der Intensivmedizin verantwortlich gemacht, durch die die Anzahl unkomplizierter ANV als singuläre Organdysfunktion abgenommen, während gleichzeitig aber die Anzahl komplexer ANV im Rahmen eines MODS zugenommen hat [33].

Sepsis ist die häufigste Ursache des ANV auf der Intensivstation [66, 71]. Erleiden septische Patienten im Rahmen einer Multiorgandysfunktion ein ANV, steigt die Letalitätsrate trotz eingesetzter Nierenersatztherapie auf bis zu 75% an [1]. Während jahrelang das ANV als unvermeidbare Komplikation des septischen Multiorganversagens hingenommen und für die Prognose als nichtwegweisend eingeschätzt wurde, zeigen verschiedene Untersuchungen der letzten Jahre mithilfe der Univarianzanalyse, dass das ANV einen unabhängigen, fundamentalen Risikofaktor für die Letalität des septischen Patienten darstellt [16].

Das ANV ist ein fundamentaler Risikofaktor für die Letalität des septischen Patienten

So haben Levy et al. [37] in einer retrospektiven Kohortenanalyse bei 183 Patienten nachgewiesen, dass Patienten, die ein ANV entwickelten, verglichen mit Patienten ohne komplizierendes ANV eine 6,5-fach gesteigerte Letalitätsrate aufweisen. Eine prospektive internationale Multizenterstudie zeigte zudem, dass ein ANV bei gleichem Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) Score die Letalitätsrate um mehr als 50% ansteigen lässt und die Dauer der intensivstationären Behandlung signifikant verlängert [17]. In einer Studie an 17.126 Intensivpatienten, von denen 839 ein ANV aufwiesen, war das Risiko zu versterben bei Patienten mit ANV 4-fach gegenüber Patienten mit gleichem Krankheitsschweregrad, aber ohne ANV erhöht [44].

Merke

Das ANV stellt einen unabhängigen, fundamentalen Risikofaktor für die Letalität des septischen Patienten dar. Patienten mit ANV haben eine 4- bis 6-fach höhere Letalitätsrate verglichen mit Patienten ohne ANV, und trotz eingesetzter Nierenersatztherapie ist die Sterblichkeitsrate septischer Patienten mit ANV bis zu 75% hoch.

Therapeutische Optionen

Nephroprotektion

In mehreren großen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass durch Beseitigung der septischen Grunderkrankung eine erfolgreiche Reduktion der sepsisassoziierten Letalitätsrate, verbunden mit einer verringerten Inzidenz des ANV, erreicht werden kann. Die Details zur Therapie der septischen Grunderkrankung sollen in diesem Beitrag nicht im Vordergrund stehen, sondern Ansätze einer potenziellen Nephroprotektion und die Therapie des ANV bei septischen Patienten.

Verbesserung der Nierenperfusion

Verbesserung der systemischen Hämodynamik

Beim sepsisinduzierten ANV konnte experimentell eindrucksvoll gezeigt werden, dass ein wesentlicher Teil des Nierenschadens Ausdruck einer prolongierten Ischämie ist [69].

Primäres Ziel bei der Prävention des septischen ANV ist die Optimierung der Hämodynamik in der Frühphase der Sepsis.

Wesentlichste Maßnahme in dieser Phase ist eine adäquate Volumensubstitution. So konnten Rivers et al. [56] eindrucksvoll demonstrieren, dass eine konsequente Therapie zur Kreislaufstabilisierung insbesondere mit ausreichender Volumensubstitution mit den Zielwerten einer zentralvenösen Sauerstoffsättigung >70%, eines arteriellen Mitteldrucks >65 mmHg, eines zentralvenösen Drucks 8–12 mmHg und der Diurese (>0,5 ml/kgKG/h) einen positiven Effekt auf die Verhinderung/Entwicklung eines MODS hat. Nachfolgende Analysen haben gezeigt, dass die protokollgesteuerte Therapie die Rate an ANV von 55 auf 38% senken konnte [38, 68].

Eine frühzeitige adäquate Volumentherapie ist der zentrale Baustein in der supportiven Therapie der Sepsis. Doch wie setzt man in der Praxis eine adäquate Volumentherapie um? In der Akutphase eines septischen Schocks kommt es in erster Linie darauf an, durch eine konsequente Volumentherapie analog der Rivers-Zielkriterien eine intravasale Euvolämie aufrechtzuerhalten. Nach Erreichen einer stabilen Hämodynamik verhindert jedoch die weitere Flüssigkeitszufuhr ein ANV nicht. Eine positive Volumenbilanz führt sogar zur Verschlechterung der Lungenfunktion und Erhöhung der Letalitätsrate [70]. Zur Steuerung der Volumentherapie und zur Beurteilung des Hydratationsstatus sowie der Volumenreagibilität können dynamische Vorlastparameter, das intrathorakale Blutvolumen, die Echokardiographie oder das „passive leg raising“ herangezogen werden. Klinische Untersuchungen (Hautturgor, trockene Schleimhäute) und der zentrale Venen- sowie pulmonalarterielle Verschlussdruck gelten trotz langer Tradition als nichtgeeignet.

Die Antwort auf die Frage nach der Art des geeigneten Volumenersatzmittels steht bisher aus. Kristalloide Lösungen spielen trotz ihrer raschen Verteilung in das extravasale Kompartiment eine essenzielle Rolle in der Prävention und Therapie des septischen ANV. Bei manifester Oligurie und systemischer Euvolämie sollte aufgrund der negativen Effekte auf die Gewebeoxygenierung und der Gefahr einer Flüssigkeitsüberladung die weitere Zufuhr von Kristalloiden aber limitiert werden. Trotz der unterschiedlichen Zusammensetzung der oft unphysiologischen Lösungen wurde bis heute für keine kristalloide Lösung ein signifikanter Vorteil in der Prävention des ANV gefunden [30, 70]. Nicht zuletzt aus theoretischen Überlegungen sollte in der klinischen Routine mit Blick auf den Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt balancierten Vollelektrolytlösungen der Vorzug gewährt werden.

Der Einsatz von kolloidalen Lösungen bei septischen Patienten mit ANV ist umstritten. Tierexperimentell gab es Hinweise, dass kolloidaler Volumenersatz gegenüber kristalloiden Lösungen bezüglich der Integrität der Mikrozirkulation von Vorteil ist [26]. Auf der anderen Seite wird über osmotische Nephrosen mit jahrelanger Speicherung von kolloidalen Lösungen in Tubuluszellen und Zellen des retikuloendothelialen Systems (RES) berichtet. Die im Detail nichtunumstrittene VISEP-Studie, die u. a. den kolloidalen Volumenersatz (Hydroxyäthylstärke, HAES) im Vergleich zur kristalloiden Substitution (Ringer-Laktat-Lösung) untersuchte, musste nach einer Interimsanalyse vorzeitig beendet werden, da Patienten mit kolloidalen HAES-Produkten (HAES 200/0,5) häufiger ein ANV entwickelten als die, die Ringer-Laktat-Lösung erhalten hatten [14]. Patienten in der HAES-Gruppe mussten zudem häufiger mit Nierenersatzverfahren behandelt werden. Auch war nach 90 Tagen in der HAES-Gruppe als Trend ein Anstieg der Sterberate erkennbar. Die Studienautoren leiteten aus den Ergebnissen die Empfehlung ab, auf HAES-Lösungen bei Sepsispatienten zu verzichten. Hierbei muss betont werden, dass die eingesetzten HAES-Präparate hyperonkotisch waren und die heutzutage in Deutschland verwendeten Drittgenerationsstärken weitestgehend isoonkotisch sind. Schortgen et al. [64] beobachteten ebenfalls bei Patienten mit hyperonkotischen künstlichen Kolloiden eine erhöhte Rate an ANV im Vergleich zu Patienten mit kristalloider Flüssigkeitszufuhr. Die Cochrane-Metaanalyse von Dart et al. [15] aus dem Jahr 2010 detektierte auch eine signifikant höhere Rate an Nierenersatzverfahren in der Gruppe septischer Patienten, die mit HAES behandelt worden waren. Jedoch stammten über drei Viertel der Patienten dieser Analyse aus der VISEP-Studie, und es wurde versäumt, Subgruppen der verwendeten HAES-Lösungen zu bilden.

Studien, die mittel- und niedermolekulare, mittel- und niedrigsubstitierte HAES-Lösungen bei septischen Patienten untersuchten, konnten jedoch bisher keinerlei negative Daten zur Nierenfunktion ermitteln, es zeigten sich sogar bei Drittgenerationsstärke (HAES 130/0,4) im Vergleich zu Humanalbumin eine bessere Oxygenierung und ein niedriger Acute Physiology And Chronic Health Evaluation (APACHE) II Score [11, 52].

Die Volumensubstitution mit 4%iger Gelatinelösung scheint sich nach neuesten Beobachtungen hinsichtlich der ANV-Rate nicht von der mit HAES 130/0,4 zu unterscheiden [60]. Der Einsatz von hyperonkotischen Humanalbuminlösungen ist jedoch mit einer erhöhten Rate an ANV und einer gesteigerten Letalitätsrate assoziiert. Als Fazit kann deshalb nur konstatiert werden, dass aufgrund der derzeitigen Datenlage aktuell keine konkreten Empfehlungen für die Art der Volumentherapie bei Sepsis abgegeben werden können. Konsequenzen, die aus den verfügbaren Studien gezogen werden können, sind lediglich:

1. Die primäre Volumensubstitution mit kristalloiden Lösungen bei Sepsispatienten ist vermutlich unbedenklich.

2. Hyperonkotische Kolloide (Zweitgenerationsstärke; Humanalbumin) sollten bei septischen Patienten nicht verwendet werden.

3. Ein Analogschluss von hyperonkotischen auf isoonkotische Präparate ist aufgrund chemischer Unterschiede und der verfügbaren Evidenz nicht möglich.

4. Drittgenerationsstärke sollte aufgrund der fehlenden Daten zur Unbedenklichkeit nur entsprechend der maximalen Tagesdosis (33 ml/kgKG/Tag) und unter Beachtung der Kontraindikationen angewendet werden.

Vasopressoren und Inotropika

Per Definition ist der septische Schock eine arterielle Hypotonie trotz adäquater Flüssigkeitszufuhr und folgend notwendigem Vasopressoreinsatz. Bei Patienten im septischen Schock resultieren als Folge der Applikation von Noradrenalin – als Katecholamin der Wahl – eine Erhöhung des arteriellen Mitteldrucks und dadurch ein Anstieg des effektiven Filtrationsgradienten im Glomerulum, der eine Verbesserung der GFR bewirken kann. Möglicherweise erfolgt der Einsatz von Katecholaminen gerade bei beginnendem ANV in der Sepsis aufgrund der „Lehrbuchdoktrin“, dass potente Vasopressoren wie Noradrenalin durch eine kritische Verminderung des Gefäßradius präkapillärer Arteriolen experimentell ein ANV hervorrufen können, häufig erst sehr spät.

Alternativ können auch andere Vasokonstriktoren wie das Vasopressinanalogon Arginin-Vasopressin (AVP) verwendet werden, für das ebenfalls in vivo und bei septischen Patienten eine Verbesserung der GFR und der fraktionellen Natriumexkretion nachgewiesen werden konnte. Zum einen stellt sich bei hohen AVP-Konzentrationen (durch exogene Applikation) zunehmend ein diuretischer Effekt ein, da AVP nicht mehr wie unter physiologischen Bedingungen auf Sammelrohrebene den Einbau von Aquaporinen in die luminale Membran bewirkt. Zum anderen kommt es im Glomerulum zu einer selektiven V1A-Rezeptor-vermittelten Konstriktion des Vas efferens bei dilatiertem Vas afferens. In diesem Zusammenhang stellten Landry et al. [35] fest, dass Patienten mit progredientem septischen Schock inadäquat niedrige AVP-Plasma-Konzentrationen aufweisen. Außerdem konnten Schmidt et al. [63] eine deutliche Herabregulation der Expression von V1A-Rezeptoren in den Nieren nachweisen, wodurch die vasokonstriktorische Potenz des endogenen AVP während Sepsis verschlechtert wird. In der Studie von Landry et al. konnten durch Infusion von niedrig dosiertem AVP (0,01 U/min) sowohl der arterielle Blutdruck als auch die AVP-Spiegel auf adäquate Werte erhöht werden [35]. Neuere klinische Untersuchungen konnten nach „Low-dose“-Vasopressinapplikation (0,01–0,03 U/min) in Kombination mit Kortikosteroiden eine verringerte Mortalitätsrate und eine Reduktion von Organdysfunktionen im Vergleich zur Noradrenalin plus Glukokortikoid detektieren [57]. Eine prospektive kanadische Studie fand aber keinen Unterschied in der Mortalitätsrate zwischen der Vasopressin- und Noradrenalingabe bei Patienten im septischen Schock [58]. In Anbetracht der Tatsache, dass AVP anders als Noradrenalin keinerlei positiv-inotrope kardiale Wirkung hat und gleichzeitig bei einigen Patienten zu einer zentralen Flüssigkeitsumverteilung mit einer massiven Vasokonstriktion im Splanchnikusgebiet führen kann, wird die Anwendung dieser Substanz bislang nur bei refraktären Schock empfohlen [16]. Im Zusammenhang mit einem „Low-output“-Syndrom erscheint Dobutamin zur Steigerung der renalen Perfusion geeignet [68], wobei bisherige Studien dennoch keinen positiven Effekt auf die GFR feststellen konnten. Optimistischer sind die Daten der LIDO-Studie, in der der „calcium sensitizer“ Levosimendan zu besseren Kreatininwerten oder zu einer besseren GFR führte [22].

Verbesserung der renalen Imbalance zwischen Vasokonstriktion und -dilatation

Es gibt eine Reihe von Versuchen, pharmakologisch durch Induktion einer Dilatation der Vasa afferentes des Glomerulums einem sepsisassoziierten ANV vorzubeugen. Wesentliches Merkmal all dieser klinischen Untersuchungen ist, dass ihnen in der Regel gute experimentelle Studien vorausgegangen sind, bei denen eine Effektivität des jeweiligen Therapieprinzips im Tiermodell nachgewiesen werden konnte. Im Tierexperiment konnte eine solche Nephroprotektion für Dopamin und Dopaminagonisten, atriales natriuretisches Peptid (ANP), Adenosinantagonisten, Endothelinantagonisten und einige andere Substanzen gezeigt werden [29]. Allerdings haben diese pathophysiologisch orientierten und experimentell gut dokumentierten Therapieansätze ihre Wirksamkeit in der klinischen Praxis nicht bestätigt.

Atrial natriuretisches Peptid

Atrial natriuretisches Peptid führt durch selektive Dilatation der Vasa afferentes und gleichzeitige Konstriktion der Vasa efferentes zu einer deutlichen Erhöhung der GFR. Außerdem ist aus Untersuchungen an Probanden bekannt, dass es zu einer ausgeprägten Natriurese kommen kann. Experimentell stellt ANP den potentesten Antagonisten aller lokal wirksamen Vasokonstriktoren dar. Beispielsweise wird das RAAS inhibiert, indem die Freisetzung sowohl von Renin als auch Aldosteron reduziert wird. Es verursacht durch Aktivierung von membranständigen Guanylatzyklasen einen Anstieg der intrazellulären cGMP-Konzentration. Zyklisches Guanosinmonophosphat aktiviert die cGMP-abhängige Proteinkinase, die durch Phosphorylierung ATP-abhängige Kalziumpumpen in der Zellmembran antreibt. Kalziumionen werden vermehrt aus der Zelle transportiert, wodurch es zur Relaxation der glatten Muskulatur kommt. Auch dieses theoretisch wirksame Therapieprinzip konnte bei klinischem Einsatz in größeren Studien seine Wirkung nicht bestätigen. Nesiritide, ein synthetisch hergestelltes „brain natriuretic peptide“, zeigte in einer Metaanalyse sogar eine erhöhte ANV-Rate [59]. In anderen Studien konnten mit Ausnahme von marginalen Verbesserungen in einzelnen Untergruppen bei kardiochirurgischen, abdominal-chirurgischen Patienten und bei Patienten nach Kontrastmittelapplikation keine Unterschiede in der Prophylaxe eines ANV gegenüber Placebo festgestellt werden [2].

Endothelinantagonisten

Endothelin spielt beim sepsisassoziierten ANV eine maßgebliche Rolle [29]. Die Endotheline I–IV sind zumindest im Tierexperiment die potentesten Vasokonstriktoren und Hauptmediatoren in der Pathophysiologie des chronischen Nierenversagens, aber auch des ANV. Diesen Erkenntnissen entsprechend konnte experimentell mithilfe von Endothelinrezeptorantagonisten in verschiedenen Modellen ein ANV verhindert werden. Klinische Untersuchungen zum Einsatz von Endothelinrezeptorantagonisten waren jedoch nicht erfolgreich. In einer prospektiv randomisierten Studie zur Prophylaxe des kontrastmittelassoziierten ANV wiesen Patienten, die den Endothelinrezeptorantagonisten SB 290670 erhielten 24 und 48 h nach Kontrastmittelapplikation einen deutlich erhöhten Kreatininwert im Vergleich zu der Placebogruppe auf [75].

Adenosinantagonisten

Theophyllin als bekanntester Adenosinantagonist ist im Experiment in der Lage, die adenosinvermittelte präglomeruläre Vasokonstriktion zu reduzieren und dadurch auch den tubuloglomerulären Feedback-Mechnanismus zu blockieren. Dementsprechend wurde die Substanz in verschiedenen Untersuchungen zur Prophylaxe des durch Kontrastmittel ausgelösten ANV eingesetzt. Die Datenlage ist jedoch nicht konsistent. Während in einigen Untersuchungen eine Reduktion der kontrastmittelassoziierten Nephropathie gezeigt werden konnte [20], wurden diese Daten in einer Metaanalyse nicht bestätigt [28]. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung von Huber et al. [28], in der Patienten, bei denen eine ausreichende Volumensubstitution nicht möglich ist – wie im Fall eingeschränkter kardialer Leistungsbreite – von der Theophyllinapplikation profitierten.

Dopamin und Dopaminagonisten

Seit Jahren ist bekannt, dass Dopamin in einer Dosis von 0,5–2 µg/kgKG/min zu einer intrarenalen präglomerulären Dilatation über die Dopamin-I-Rezeptoren führt. Dies steigert den renalen Blutfluss, die Natriumausscheidung und die Diurese. Aufgrund dieser Daten wurde auf vielen Intensivstationen Dopamin in der „Nierendosis“ bei septischen Patienten mit drohendem ANV appliziert. Diese Praxis wurde beibehalten, obwohl bereits in den frühen 90er Jahren potenzielle Nebenwirkungen auch dieser geringen Dopamindosis wie kardiale Nebenwirkungen, Reduktion des Atemantriebs, Immunsuppression und endokrinologische Dysfunktionen beschrieben wurden (z. B. Low-T3-Syndrom; [29]). Im Jahr 2000 konnte eine Wiener Arbeitsgruppe bei 126 schwer kranken Patienten (>50% mit septischen Komplikationen) dokumentieren, dass Dopamin keinerlei Effekt im Vergleich zu Placebo auf die Entwicklung eines ANV hat [36]. Endgültig wurde der Beweis der fehlenden Wirksamkeit von Dopamin in „Nierendosis“ durch eine australische Studie geführt. Es erhielten 328 Patienten mit Sepsis und beginnendem ANV entweder Dopamin oder Placebo. Die beiden Gruppen wiesen bezogen auf Letalität, Diurese, Dialysenotwendigkeit und Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation keinerlei Unterschiede auf [9]. Für Dopaminagonisten wie z. B. für das Phenoldopam [48] konnte in klinischen Studien ebenfalls kein positiver Effekt auf die Nierenfunktion festgestellt werden.

Merke

In der Frühphase des septischen Schocks ist die Erhaltung einer intravasalen Euvolämie durch Flüssigkeitszufuhr entscheidend. Eine Hypervolämie ist nicht geeignet, ein ANV zu verhindern, sondern birgt das Risiko einer pulmonalen Beeinträchtigung und Erhöhung der Letalitätsrate. Die primäre Volumensubstitution von septischen Patienten mit kristalloiden Lösungen ist vermutlich als unbedenklich anzusehen. Aufgrund der unzureichenden Datenlage und der potenziellen nephrotoxischen Wirkung kolloidaler Substanzen sollten hyperonkotische Kolloide bei septischen Patienten vermieden und Drittgenerationsstärke unter Berücksichtigung der maximalen Tagesdosis angewendet werden. Ist die sepsisinduzierte arterielle Hypotension trotz adäquater Flüssigkeitszufuhr nicht therapierbar, sollte zur Erhöhung des mittleren arteriellen Drucks Noradrenalin als Katecholamin der Wahl verabreicht werden. Alternative Vasopressoren wie AVP werden bisher nur bei refraktärem Schock empfohlen. Substanzen zur Verbesserung der Nierenperfusion wie ANP, Adenosin- und Endothelinantagonisten konnten in klinischen Studien bisher keinen positiven Effekt auf die Nierenfunktion zeigen, und Dopamin in „Nierendosis“ sollte aufgrund des fehlenden Benefits und des Nebenwirkungsspektrums nicht verwendet werden.

Intrarenale Modulation

Vermeidung des Reperfusionsschadens

Analog eines postischämischen Reperfusionssyndroms kann es im Zusammenhang mit der Wiederherstellung einer normalen lokalen renalen Durchblutung auch zur Entwicklung eines Reperfusionsschadens kommen. Dieser wird durch inflammatorische Mediatoren wie Proteasen, Interleukine und Sauerstoffradikale verursacht. Für verschiedene Sauerstoffradikalfänger wie z. B. Pentoxifyllin oder N-Acetylcystein konnte im Tierexperiment eine Reduktion des Reperfusionsschadens und der lokalen Inflammation erreicht werden. Pentoxifyllin wurde in diesem Zusammenhang in der Behandlung der Sepsis und/oder des MODS untersucht, mit dem Ergebnis, dass die Applikation dieser Substanz für das klinische ANV in der Sepsis keinen positiven Effekt hat. N-Acetylcystein hingegen ist nicht nur ein Radikalfänger, sondern auch ein wesentliches Substrat in der Synthese von Glutathion. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass N-Acetylcystein im Tierexperiment zu einer Verbesserung des medullären Blutflusses führt. In der initialen Studie von Tepel et al. [67] führte eine oral applizierte Dosis von 2-mal 600 mg N-Acetylcystein vor und am Tag der Kontrastmittelapplikation zu einer signifikanten Reduktion der Anzahl von kontrastmittelassoziierten ANV. Bei weiteren Untersuchungen zur Prophylaxe der Kontrastmittelnephropathie fanden sich Hinweise, dass diese Substanz einen positiven Effekt hat, was in der Metaanalyse von Kelly et al. [32] bestätigt werden konnte. Der Einsatz von N-Acetylcystein bei septischen Patienten ist trotz einer hochrangig publizierten Metaanalyse und fehlenden Nebenwirkungen in der untersuchten Dosis immer noch umstritten, v. a. aufgrund der GFR-unabhängigen Beeinflussung des tubulären Kreatininmetabolismus durch N-Acetylcystein, die in falsch-niedrigen Serumwerten münden kann. Außerdem sind alle Studien zum N-Acetylcystein durch die nichtausreichende Patientenzahl limitiert, die keine statistisch sicheren Aussagen erlaubt. Neben N-Acetylcystein gehören Glutamin und Selen ebenfalls zu den Substraten des Glutathionsystems. Für beide Substanzen konnte bei septischen Patienten bisher nur in einer Studie eine signifikante Reduktion der Notwendigkeit der Nierenersatztherapie gezeigt werden [3]. Deshalb können N-Acetylcystein, Selen und Glutamin in der Behandlung von septischen Patienten mit ANV aktuell noch nicht mit relevanter Evidenz empfohlen werden.

Reduktion des Sauerstoffbedarfs im Nierenmark

Wie im Abschn. „Tubulussystem“ erwähnt, steht diese Region bereits unter physiologischen Bedingungen infolge des hohen Sauerstoffbedarfs und durch den relativ niedrigen Sauerstoffpartialdruck infolge der Gefäßarchitektur im äußeren Mark am Rande der Hypoxie. Im Zusammenhang mit den Veränderungen im ANV führt dies zur Unterschreitung der kritischen Sauerstoffversorgung. Deshalb erscheint die Applikation von Substanzen, die den Sauerstoffverbrauch in diesem Bereich reduzieren, wie z. B. die Schleifendiuretika Furosemid und Torasemid, sinnvoll. Zirka zwei Drittel der Schleifendiuretikadosierung werden in den Nieren sowohl durch glomeruläre Filtration als auch tubuläre Sekretion ausgeschieden. Da Schleifendiuretika ihre Wirkung nur auf der luminalen Seite des Tubulus entfalten können, müssen sie sich im Primärharn befinden. Während die glomeruläre Filtration von Schleifendiuretika durch ihre starke Bindung an Plasmaproteine gehemmt wird, können sie als schwache organische Säuren im proximalen Tubulus über organische Anionentransporter (OAT) sezerniert werden. Letzteres kann durch andere organische Säuren, wie z. B. nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) vermindert sein, was die Wirksamkeit beeinträchtigt und die systemische Halbwertszeit erhöht. Die Tatsache, dass mit Furosemid bei einigen Patienten sehr wohl eine Steigerung der Diurese erzielt werden kann, und die Tatsache, dass das nichtoligurische ANV eine bessere Prognose als das oligurische besitzt, haben dazu geführt, Schleifendiuretika im ANV häufig und auch in Überdosen einzusetzen. In einer Untersuchung von herz- und thoraxchirurgischen Intensivmedizinern verwendeten 11 von 38 Zentren Schleifendiuretika zur Nephroprotektion und 34 von 38 applizierten Schleifendiuretikaboli bei Beeinträchtigung der Nierenfunktion. Trotz des verbreiteten Einsatzes und der allgemeinen Akzeptanz als nephroprotektive Substanz konnte bisher keine Studie zeigen, dass Schleifendiuretika einen positiven Einfluss auf die Nierenfunktion oder das Outcome des Patienten haben. In Kombination mit anderen nierenschädigenden Substanzen werden deren Nebenwirkungen auf die Nieren sogar aggraviert. Allerdings führen Schleifendiuretika über eine Steigerung der Urinproduktion und Verbesserung der Bilanzierungsmöglichkeit zu einem möglichen Nutzen extrarenaler Organe [31, 65]. Dagegen zeigten Mehta et al. [41] in einer viel beachteten retrospektiven Analyse, dass die Applikation von Furosemid bei 552 Intensivpatienten zu einer erhöhten Letalitätsrate und zu einer Verlängerung der Dauer des ANV führt. Eine weitere Metaanalyse (62 Studien), die den Einsatz von Schleifendiuretika im ANV untersuchte, konnte zudem keine Reduktion der Dialysehäufigkeit und keine Verbesserung des Patientenoutcomes durch Schleifendiuretika feststellen [4]. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Furosemid ab einer Dosierung von 1 g/Tag direkt tubulotoxisch ist. Außerdem kann nach Schleifendiuretikagabe – ebenso wie nach Hydrochlorthiazidapplikation – eine akute, nichtinfektiöse interstitielle Nephritis im Sinne einer Hypersensitivitätsreaktion auftreten.

In der klinischen Praxis erscheint eine Orientierung an der Vorgehensweise einer kanadischen Studie sinnvoll: die Applikation von Furosemid in einer Dosis von 250 mg über 4 h oder 750 mg/Tag bei beginnender Olig-/Anurie nach Ausgleich eines Volumendefizits. Wenn es hierunter zu einer deutlichen Steigerung der Diurese kommt, ist die Furosemidtherapie meist fortgesetzt effektiv. Gelingt es durch diesen einmaligen Therapieversuch über maximal 24 h nicht, einen Diureseanstieg zu erzielen, sollte das Schleifendiuretikum abgesetzt werden [65]. Zu beachten hierbei ist jedoch, dass der Grad der Tubulusschädigung bestimmt, wie aussichtsreich die Behandlung mit Diuretika bei Oligurie ist: Ein diuretischer Effekt ist nicht mehr zu erwarten, wenn die Zielstruktur von Furosemid – der Na+-K+-2 Cl-Kotransporter (NKCC-2) im aufsteigenden Ast der Henle-Schleife – bereits im Rahmen der sepsisinduzierten Tubulusnekrose geschädigt ist [30].

Hemmung der tubulären Obstruktion

Wie erläutert, zeigen experimentelle Daten, dass die tubuläre Obstruktion eine wesentliche Rolle in der Entwicklung des ANV spielt. Unstrittig ist, dass die Flüssigkeitssubstitution im Vordergrund steht. Einige Autoren favorisieren die Applikation von Furosemid in diesem Zusammenhang, ohne dass hier eine echte Therapieempfehlung gegeben werden kann. Ob die theoretisch sinnvolle Alkalisierung des Urins effektiv ist, bleibt letztendlich auch nicht geklärt. Die Applikation von höheren Dosen Natriumbikarbonat sollte gerade bei kritisch kranken septischen Patienten aufgrund der erhöhten CO2-Produktion nur unter Beachtung der pulmonalen Situation erfolgen. Allerdings kann, wie gerade in den letzten Monaten eine Studie zeigte, durch die Anwendung von Bikarbonatlösung eine Kontrastmittelnephropathie vermieden werden [43]. Laut einer Metaanalyse mit 2633 erfassten Patienten, von denen 1327 vor einer Kontrastmitteluntersuchung Natriumbikarbonat erhielten, entwickelten nur 109 ein ANV mit einer „number needed to prevent“ von 16 [42].

Merke

Der Einsatz von N-Acetylcystein bei septischen Patienten als Radikalfänger ist immer noch umstritten. Die Gabe von N-Acetylcystein ist im Hinblick auf die fehlenden Nebenwirkungen eine fakultative Maßnahme, kann aber aufgrund der Studienlage mit nichtausreichenden Patientenzahlen momentan nicht mit relevanter Evidenz empfohlen werden. Bikarbonatlösungen zur Alkalisierung des Urins werden routinemäßig nicht empfohlen. Schleifendiuretika steigern zwar die Urinproduktion und führen über eine Verbesserung der Bilanzierungsmöglichkeit zu einem möglichen Nutzen für extrarenale Organe, bewirken aber keine Nierenfunktions- oder Outcomeverbesserung. Schleifendiuretika sind möglicherweise sogar mit Nierenschädigungen und einer erhöhten Letalitätsrate bei septischen Patienten mit ANV assoziiert, da Diuretika eine direkte, konzentrationsabhängige tubulotoxische Wirkung haben und deshalb nach einmaligem frustranen Therapieversuch abgesetzt werden sollten.

Nierenersatzverfahren (extrakorporale Therapiemöglichkeiten)

Hämodialyse und Hämofiltration

Ziele der Nierenersatzverfahren beim ANV sind die Elimination harnpflichtiger Substanzen und der Ausgleich des Flüssigkeits- sowie Elektrolythaushalts. Als extrakorporale Verfahren stehen die Hämodialyse und die Hämofiltration, die auch kombiniert sowohl intermittierend oder kontinuierlich durchgeführt werden können, zur Verfügung. Der diffusive Stofftransport ist hervorragend zur Elimination kleinmolekularer Substanzen wie z. B. Kalium, Kreatinin oder Harnstoff geeignet, da die Diffusionsgeschwindigkeit von der Größe des Moleküls abhängig ist. Die Trennung bei der Konvektion erfolgt ebenfalls an einer semipermeablen Membran; hierbei werden im Vergleich zur Hämodialyse bei der Hämofiltration alle Moleküle unabhängig vom Molekulargewicht bis zur Trenngrenze der eingesetzten Membran gleich gut entfernt. Der konvektive Stofftransport zeichnet sich gegenüber dem diffusiven Stofftransport durch seine günstigeren Eliminationseigenschaften für „Mittelmoleküle“, z. B. β2-Mikroglobulin, Myoglobin oder Zytokine, aus. Bei Patienten mit septischem ANV sind konvektive und diffusive Verfahren prinzipiell als gleichwertig anzusehen; je nach Indikation des Nierenersatzverfahrens ist das eine oder andere von Vorteil. Letztendlich ist es die Aufgabe des behandelnden Arztes, das Verfahren einzusetzen, das zugeschnitten auf den Patienten und die aktuelle Indikation die größtmöglichen Vorteile bietet (Tab. 2; [8]).

Tab. 2 Vergleich intermittierender diffusiver (Hämodialyse, IHD) und kontinuierlicher konvektiver (Hämofiltration, CVVHF) Nierenersatzverfahren. (Nach [68])

Kontinuierliche versus intermittierende Nierenersatzverfahren

Wurde die Nierenersatztherapie in den Anfangsjahren vorwiegend intermittierend eingesetzt, so haben sich heute kontinuierliche Verfahren etabliert [61, 72]. Temperatur sowie Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt können zudem durch die kontinuierlichen Verfahren besser gesteuert werden [39]. Die Beurteilung, ob eine intermittierende oder eine kontinuierliche Therapie für den Patienten von prognostischem Vorteil ist, wird jedoch durch die uneindeutige Studienlage erschwert [10]. Eine große Metaanalyse hat kontinuierliche und intermittierende Verfahren miteinander verglichen, und es ergab sich kein Unterschied bezüglich des Überlebens im Krankenhaus, der hämodynamischen Stabilität, hypotensiver Phasen oder des Bedarfs an Vasopressoren zwischen intermittierenden und kontinuierlichen Verfahren [53]. Es gibt jedoch eine Tendenz, schwerstkranke Patienten mit einer kontinuierlichen Therapie zu behandeln [10], da eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse mit 1403 Patienten eine höhere Inzidenz von hämodynamischen Instabilitäten und eine größere kumulative Flüssigkeitsbilanz in der Gruppe der intermittierenden Nierenersatzverfahren aufzeigte, die aber keinen Einfluss auf die Mortalität und das Intervall der renalen Erholungsphase hatte [6]. Bislang konnte keine Überlegenheit des einen oder anderen Verfahrens sicher nachgewiesen werden. Auch die neueste Studie zu dieser Fragestellung nahm 360 Patienten mit ANV und Multiorganversagen auf, davon wiesen 69% in der intermittierenden Gruppe und 56% in der kontinuierlichen Gruppe eine Sepsis als Ursache für das ANV auf. Ein Unterschied bezüglich der Letalität fand sich zwischen den beiden Gruppen nicht [74]. Für die „slow extended daily dialysis“ (SLEDD) als neues extrakorporales Hybridverfahren zwischen kontinuierlicher und intermittierender Hämodialyse konnten bisher eine exzellente Kreislaufstabilität auch bei kritisch kranken Patienten, eine hohe Effizienz und eine Kosteneinsparung gezeigt werden [40]. Langzeitergebnisse bezüglich Morbidität und Letalität sowie prospektive randomisierte Studien stehen noch aus.

Therapiebeginn

Eine therapierefraktäre Acidose oder eine Hyperkaliämie stellen absolute sofortige Indikationen für ein extrakorporales Nierenersatzverfahren dar [10]. Die Nierenersatztherapie sollte jedoch früher als erst vor Eintreten einer akuten absoluten Indikation zum Nierenersatz begonnen werden (Infobox 2). Auf der anderen Seite hat die Nierenersatztherapie selbst negative Folgen wie die Aktivierung von neutrophilen Granulozyten oder die Auslösung von Blutungskomplikationen („Dialyt- oder Filtrationstrauma“ [19]). Der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer extrakorporalen Nierenersatztherapie ist immer noch unklar. Studien belegten, dass Patienten, bei denen ein extrakorporales Nierenersatzverfahren frühzeitiger begonnen wurde, höhere Survivalraten hatten [Serum-Harnstoff-Konzentration <21,6 mmol/l (<130 mg/dl); [10]]. Auch in der Studie von Ronco et al. [54] war die initiale Harnstoffkonzentration bei überlebenden Patienten mit 18,3 mmol/l (110 mg/dl) niedriger als bei den Nichtüberlebenden. Aus diesen Arbeiten kann abgeleitet werden, dass bei einem progredienten Anstieg der Harnstoffkonzentration im Serum über 16,7–23,3 mmol/l (100–140 mg/dl) die Therapie mit einem extrakorporalen Nierenersatzverfahren initiiert werden sollte. Jedoch konnte in einer Studie mit 106 Teilnehmern, die vornehmlich chirurgische Patienten mit einer sehr geringen Inzidenz an septischen Komplikationen und oligurischem ANV untersuchte, ein früher Beginn der kontinuierlichen Nierenersatztherapie die 28-Tage-Überlebensrate und die renale Erholungsrate der Patienten nicht verbessern [12]. In einer weiteren Studie stellte sich ebenso kein Vorteil eines „frühen“ Einsatzes heraus, wenn die Indikation zur extrakorporalen Nierenersatztherapie über Serum-Harnstoff-Werte gestellt wurde. Dagegen zeigte sich eine signifikant niedrigere Mortalität, wenn mit der extrakorporalen Nierenersatztherapie kurz nach Aufnahme auf die Intensivstation begonnen worden war. Patienten mit ANV, bei denen mit einem Nierenersatzverfahren erst nach dem zweiten Intensivstationstag begonnen wurde, hatten nicht nur eine höhere Mortalität, sondern auch einen längeren Krankenhausaufenthalt [5].

Die Serum-Harnstoff-Konzentration sollte nicht als einziger Marker für die Indikation zur extrakorporalen Nierenersatztherapie verwendet werden.

Dies wurde in einer deutschen Studie mit 156 Intensivpatienten bestätigt (Dialysebeginn bei Serum-Harnstoff-Konzentration 25,0 mmol/l (150 mg/dl) vs. 15,0 mol/l (90 mg/dl) [21]. Umgekehrt ist bei Vorliegen eines septischen Schocks ein rein „prophylaktischer“ Beginn einer Nierenersatztherapie bei Patienten nicht indiziert.

Dosierung

Entscheidend für die Effektivität eines extrakorporalen Nierenersatzverfahrens ist es, kleine und mittelgroße Moleküle aus dem Plasma zu entfernen [10]. Bei nichtseptischen Patienten konnte mit einer Dosierung von 35 vs. 20 ml/h•kgKG das Outcome signifikant verbessert werden. Eine Erhöhung der Ultrafiltrationsrate über 35 ml/h•kgKG zeigte jedoch keine Verbesserung des Überlebens [54]. Allerdings muss betont werden, dass in dieser Studie nur 12% der teilnehmenden Patienten eine Sepsis hatten. In der Arbeit von Palevsky et al. [51] war beispielsweise die Intensivierung der Dosis des Nierenersatzverfahrens nicht mit einer Letalitätsreduktion verbunden. Auch die noch nicht veröffentlichten Daten aus der RENAL-Studie lassen nicht auf einen Vorteil einer höheren Nierenersatzdosis schließen (40 vs. 25 ml/h•kgKG), jedoch scheint in dieser Arbeit das Kollektiv der septischen Patienten tendenziell von einer Dosissteigerung zu profitieren. Vermutlich profitieren septische Patienten v. a. in der Initialphase von deutlich höheren Dosierungen [10]; hierfür wird die Reduktion des überschießenden „Zytokin-Burst“ oder auch kardiodepressiver proinflammatorischer Mediatoren verantwortlich gemacht [7]. In Untersuchungen an Patienten im septischen Schock konnte durch eine hochvolumige Therapie mit 35-l-Ultrafiltration/4 h bei 50% aller Patienten eine deutliche Verbesserung der Hämodynamik, eine Reduktion der Katecholamintherapie und eine signifikant höhere Überlebensrate erreicht werden [27]. In weiteren Studien wurden diese Resultate bestätigt [29]. Ob septische Patienten Vorteile von einer noch hochvolumigeren Nierenersatztherapie haben, muss in größeren prospektiven, randomisierten Studien untersucht werden [10, 27]. In den bisherigen monozentrischen, nichtrandomisierten Studien konnte aber herausgearbeitet werden, dass es unter den septischen Patienten Responder und Nonresponder auf eine hochvolumige Nierenersatztherapie gibt, ohne dass prädiktive Parameter gefunden wurden, um die Responder herauszufiltern [27].

Merke

Das Auftreten absoluter klassischer Dialyseindikationen sollte bei septischen Patienten nicht abgewartet werden (Infobox 2). Die Indikation zum extrakorporalen Nierenersatz sollte anhand der Serum-Harnstoff-Konzentration (< 25,0 mmol/l, <150 mg/dl) und der Zeit auf der Intensivstation (<2 Tage nach Aufnahme) gestellt werden. Eine prophylaktische Nierenersatztherapie wird nicht empfohlen. Bei Patienten mit Sepsis und ANV sind kontinuierliche konvektive und intermittierende diffusive Verfahren prinzipiell als gleichwertig anzusehen. Abhängig von der Indikation des Nierenersatzverfahrens kann es jenseits der Studienlage auch aus Praktikabilitätsgründen Vorteile für ein Verfahren geben (Tab. 2). Als Dosisempfehlung kann eine Ultrafiltrationsrate von mindestens 20 ml/h•kgKG (kontinuierlich) oder Therapieintervall von mindestens 3-mal /Woche (intermittierend) gelten. Ob eine weitere Steigerung der Dosis bei septischen Patienten von Vorteil ist, muss abgewartet werden. Das SLEDD-Verfahren stellt als Hybridverfahren zwischen kontinuierlicher und intermittierender Nierenersatztherapie nach momentaner Studienlage eine weitere gute Alternative dar.

Mediatorelimination

Grundlage des Einsatzes kontinuierlicher Nierenersatztherapieverfahren zur adjuvanten Therapie des septischen Multiorganversagens ist die Hypothese, dass durch die Reduktion des Zytokin-Burst und von Spitzenpegeln proinflammatorischer Mediatoren die Homöostase der Immunabwehr wiederhergestellt werden kann. Gestützt wird diese Hypothese durch tierexperimentelle Untersuchungen, bei denen durch Reinfusion septischen Ultrafiltrats in zuvor gesunde Tiere Symptome eines septischen Schocks induziert werden konnten [24]. Um diese Hypothese zu überprüfen und um die konvektiven, diffusiven und adsorptiven Eliminationseigenschaften konventioneller Hämofiltrationsmembranen zu optimieren, wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte vorgestellt [31]. Des Weiteren wurde eine Reihe alternativer Verfahren, wie die hochvolumige Hämofiltration oder der Einsatz von Endotoxinadsorbern (gute Elimination, aber schnell gesättigt; [12, 18, 55]) entwickelt, um eine Effizienzsteigerung zu erzielen, jedoch konnte keines dieser Verfahren einen signifikanten klinischen Erfolg nachweisen. Belegbare positive Effekte der Hämofiltration bei septischen Patienten beschränken sich auf eine hämodynamische Stabilisierung und einen Anstieg des SVR [24], jedoch kann man diese Effekte nicht zwangsläufig auf die Elimination septischer Mediatoren zurückführen, da beispielsweise allein durch den Kühlungseffekt des extrakorporalen Kreislaufs ein günstiger hämodynamischer Effekt erzielt werden kann. Der ausbleibende Erfolg dieser Konzepte liegt im Wesentlichen an den für die Elimination von Mittelmolekülen (proinflammatorische Mediatoren) nichtoptimierten Hämofiltrationsmembranen mit einem „cut-off point“ des Molekulargewichts (MG) zwischen 30.000 und 40.000. Deshalb wurden großporige Hämofilter mit einem vergrößerten Porendurchmessers (maximaler Cut-off ca. 100.000) und einer verbesserten konvektiven Clearance septischer Mediatoren in einem MG-Bereich zwischen 15.000 und 60.000 als neuer experimenteller Therapieansatz untersucht, und es konnte in tierexperimentellen Studien eine Letalitätsratenreduktion im Vergleich zur Verwendung konventioneller Hämofilter gezeigt werden [27]. Mit neuen „High-cut-off“-Membranen konnte in einer Phase-I-Studie gezeigt werden, dass mit einer Hämodialysetherapie [25] eine signifikante Reduktion der Plasma-Zytokin-Spiegel möglich ist (IL-1β, IL-6; [47]). Zudem wiesen septische Patienten, die mit High-cut-off-Filtern hämofiltriert wurden, in einer prospektiven randomisierten Studie von Morgera et al. [45] eine signifikante Reduktion der meisten Zytokine, der Noradrenalindosierung und des SAPS-2-Scores auf. Des Weiteren wurde eine immunmodulatorische Kompetenz (Reduktion der Phagozytose, Verbesserung der Proliferationseigenschaften von T-Lymphozyten) für die großporige Hämofiltration demonstriert. Inwiefern sich diese immunmodulatorischen Eigenschaften günstig auf den septischen Krankheitsverlauf auswirken, lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht sagen, da auch antiinflammatorische Mediatoren eliminiert werden. Ein Problem der High-cut-off-Filter stellt die Elimination von TNF-α dar, da aufgrund des hohen MG von TNF-α und des doch raschen Abfalls der Filterporengröße während der Hämofiltration eine effektive Elimination nicht gewährleistet ist. Persistierend hohe TNF-α-Spiegel in der Sepsis korrelieren jedoch mit einer erhöhten Mortalität. Ein weiteres Problem großporiger Hämofilter ist v. a. in der Initialphase der Albuminverlust, der in klinischen Studien ca. 8 g/Tag betrug und im Therapieverlauf dann sigmoidal abnahm (Dialyse < Filtration; [46]). Signifikante Verluste an essenziellen Gerinnungsfaktoren wurden jedoch nicht beobachtet [47]. Um Aussagen über den Einfluss der großporigen Hämofiltration auf das Outcome und die Morbidität septischer Patienten zu treffen, sind größere randomisierte Studien notwendig.

Antikoagulation

Die regionale Antikoagulation mit Zitrat bei extrakorporalen Nierenersatzverfahren gewinnt in der letzten Zeit zunehmend an Bedeutung, da sie gegenüber der systemischen Antikoagulation vermutlich das „Dialyttrauma“ verringert. Vorteile der Zitratantikoagulation in der Praxis sind eine bessere Antikoagulation im extrakorporalen Kreislauf, gepaart mit einem reduzierten systemischen Blutungsrisiko, längeren Filterlaufzeiten und dadurch einer Steigerung der Behandlungseffektivität sowie der Vermeidung einer frühzeitigen Thrombosierung des Hämofilters und somit eine Reduktion des Blutverlustes und der Therapiekosten [10]. In einer prospektiven Studie mit 215 Patienten konnte gezeigt werden, dass die Zitratantikoagulation sicherer als und ebenso effektiv wie die Heparintherapie ist und die renale Erholungsrate verbessert werden kann [49]. Es traten weniger metabolische Entgleisungen in dem Kollektiv mit Zitratantikoagulation als in der Kontrollgruppe auf. Außerdem gibt es Hinweise, dass Zitrat und/oder die extrakorporale Hypokalzämie antiinflammatorische Effekte besitzen, indem die Expression proinflammatorischer Mediatoren (IL-1β) „down“-reguliert und die Aktivierung des Gerinnungssystems sowie die Freisetzung von „tissue factor“ durch niedrigen ionisierte Kalziumkonzentrationen im extrakorporalen Kreislauf unterbunden werden. Außerdem spielt Zitrat gerade unter septischen Bedingungen, bei denen der Zitratzyklus durch die Inhibition der Pyruvatdehydrogenase signifikant beeinträchtigt ist, als Substrat für den mitochondrialen Zitratzyklus eine essenzielle Rolle.

Merke

Konventionelle Nierenersatzverfahren sind nicht geeignet, proinflammatorische Mediatoren zu eliminieren. Neue Techniken wie die großporige Hämofiltration zeigten an kleinen Kollektiven vielversprechende Ergebnisse; der Einfluss auf Outcome und die Morbidität septischer Patienten muss in großen randomisierten Studien erst untersucht werden. Die regionale Zitratantikoagulation stellt eine sichere und effektive Alternative zur systemischen Antikoagulation bei septischen Patienten mit Nierenersatztherapie dar.

Fazit für die klinische Praxis

Bei septischen Patienten tritt ein ANV häufig auf und stellt einen fundamentalen, unabhängigen Risikofaktor für die Letalität dar. Trotz der nicht eben optimistisch stimmenden Studienlage und wenig verfügbarer Evidenz für viele supportive und adjunktive Therapieansätze bei der Behandlung des ANV erleben wir doch immer wieder Erfolge in der Behandlung septischer Patienten mit Organinsuffizienzen. Das „bridging to recovery“ gelingt in der modernen Intensivmedizin insbesondere beim ANV häufig. Dass ein einziger Baustein der neuen Technologien und komplexeren Therapien zur „golden bullet“ wird, ist nicht zu erwarten. Die folgenden Empfehlungen und die in Infobox 3 zusammengefassten Therapieprinzipien sind die Quintessenz der nüchtern betrachteten publizierten Studien und sollen der Orientierung dienen:

1. Präventiv und therapeutisch steht die Optimierung der Hämodynamik durch ein ausreichendes Flüssigkeitsangebot unter entsprechendem Monitoring im Vordergrund.

2. Volumensubstitution kann bei septischen Patienten mit kristalloiden Lösungen erfolgen. Hyperonkotische kolloidale Lösungen sollten vermieden werden. Bei isoonkotischer Drittgenerationsstärke sollte die maximale Tagesdosis nicht überschritten werden. Hinsichtlich der Wirkung auf die Nierenfunktion scheint Gelatine (ohne obere Dosisbegrenzung) eine nebenwirkungsarme Alternative zur Drittgenerationsstärke zu sein.

3. Ist die septische arterielle Hypotension trotz Flüssigkeitszufuhr nicht therapierbar, sollte Noradrenalin eindosiert werden. Alternative Vasopressoren wie Vasopression werden bisher nur bei refraktärem Schock empfohlen. Ein Mindestwert eines Zielblutdrucks kann evidenzbasiert nicht empfohlen werden, jedoch wird oft auf bei Rivers et al. [56] definierte 65 mmHg MAP verwiesen (im Hinblick auf eine Prävention eines ANV nicht gesichert).

4. Zur Behandlung eines Reperfusionschadens gilt möglicherweise N-Acetylcystein auch bei Sepsis als therapeutische Option; hierbei kann der Einsatz von N-Acetylcystein aufgrund der aktuellen Studienlage momentan noch nicht empfohlen werden.

5. Schleifendiuretika steigern die Urinproduktion und führen über eine Verbesserung der Bilanzierungsmöglichkeiten zu einem möglichen Nutzen für extrarenale Organe. Schleifendiuretika verbessern jedoch weder die Nierenfunktion noch das Outcome, sondern sind mit Nierenschädigungen (direkt tubulotoxisch) und einer erhöhten Letalitätsrate assoziiert. Deshalb sollte nach frustranem Therapieversuch das Schleifendiuretikum abgesetzt werden.

6. Niedrig dosiertes Dopamin zur Prophylaxe des ANV ist nicht indiziert.

7. Nephrotoxische Substanzen wie Aminoglykoside, NSAR und Kontrastmittel sollten vermieden werden.

8. Die Indikation zum extrakorporalen Nierenersatzverfahren sollte anhand der Serum-Harnstoff-Konzentration (<25,0 mmol/l, <150 mg/dl) und der Zeit auf der Intensivstation (<2 Tage nach Aufnahme) gestellt werden. Klassische absolute Dialyseindikationen sollte nicht abgewartet werden (tendenziell eher früher als später!)

9. Bei Patienten mit Sepsis und ANV sind kontinuierliche konvektive und intermittierende diffusive Verfahren prinzipiell als gleichwertig anzusehen. Bei hämodynamisch instabilen Patienten in der Frühphase der Sepsis kann ein kontinuierliches Verfahren allerdings verträglicher sein und die Flüssigkeitsbilanzierung erleichtern.

10. Als Dosierungsempfehlungen können eine Mindestultrafiltrationsrate von ≥20 ml/h•kgKG (kontinuierlich) oder eine Therapieintervall von ≥3-mal/Woche (intermittierend) gelten.

11. Ob eine Steigerung der Dosis bis hin zur hochvolumigen Hämofiltration oder eine großporige Hämofiltration bei septischen Patienten in der Frühphase Vorteile bietet, muss noch untersucht werden.

12. Die regionale Zitratantikoagulation kann Blutungskomplikationen vermeiden, Filterstandzeiten verlängern und scheint antiinflammatorische Effekte zu haben.