Traumata sind derzeit weltweit die führende Todesursache für Patienten bis zum 36. Lebensjahr [34]. Massive Blutungen sind für 40% der traumabedingten Todesfälle verantwortlich, damit steht die Hämorrhagie nach Schädel-Hirn-Verletzungen an zweiter Stelle der Letalitätsstatistik polytraumatisierter Patienten [52]. Bei Patienten, die das Krankenhaus lebend erreichen, im Verlauf dann aber sterben, ist die unkontrollierbare Blutung die häufigste vermeidbare Todesursache [35]. Bundesweit gibt es jährlich etwa 30.000 Schwerstverletzte, die intensivmedizinische Versorgung benötigen [50]. Der „typische“ Polytraumapatient in der Bundesrepublik ist männlich und hat bei einem Verkehrsunfall ein stumpfes Trauma erlitten. In gut der Hälfte der Fälle ist auch der Kopf betroffen. Beim Eintreffen des Notarztes zeigen 23% der Betroffenen einen Schockzustand und 37% der Patienten sind bewusstlos. Bei der Ankunft in der Klinik sind im Mittel bereits 72 min seit dem Unfall vergangen [50].

Traumainduzierte Koagulopathie

Aufgrund der vielfältigen Wechselwirkung zwischen Gerinnung und Inflammation kann eine gestörte Hämostase nicht nur für das Verbluten, sondern durch den begleitenden Schock auch für das Versagen verschiedener Organe verantwortlich sein. Die Koagulopathie des traumatisierten Patienten wird in der aktuellen Literatur als eigenständige Erkrankung angesehen und als „traumainduzierte Koagulopathie“ bezeichnet [34]. Bei rund einem Viertel der schwerverletzten Traumapatienten ist eine solche Koagulopathie bereits bei der Aufnahme in den Schockraum festzustellen [8, 34].

Das alte Konzept, wonach die Koagulopathie beim Trauma durch Verlust/Verdünnung bedingt und durch Acidose sowie Hypothermie verstärkt wird, kann die traumainduzierte Koagulopathie nicht vollständig erklären. Stattdessen scheint die frühe Koagulopathie auch durch antikoagulatorische und fibrinolytische Pfade bedingt [8, 10] und damit ein primäres und nicht ein sekundäres Phänomen zu sein [58].

Die Existenz einer frühen Koagulopathie konnte in mehreren Studien an über 20.000 Patienten, u. a. auch in der Bundesrepublik [60], nachgewiesen werden [9, 75]. Sie ist unabhängig mit einer 3- bis 4-fach erhöhten Gesamtletalitäts- [57] und 8-fach erhöhten Letalitätsrate innerhalb von 24 h [60] korreliert. Patienten, die bei Aufnahme in den Schockraum koagulopathisch sind, bleiben länger auf der Intensivstation und im Krankenhaus, haben ein höheres Risiko für Niereninsuffizenz und Multiorganversagen, müssen länger beatmet werden und zeigen einen vermehrtem Trend zum Lungenversagen [9, 60].

Querschnittleitlinie zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten

Die Bundesärztekammer (BÄK) hat in der vierten Auflage ihrer „Querschnittleitlinie zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten“ [13] Empfehlungen für viele perioperative Blutungen veröffentlicht, die Grundlage dieses Artikels sind. Einen Überblick über die Entstehung der Querschnittleitlinen und die dafür benutzte Systematik zur Beurteilung der Evidenz gibt Abb. 1. Wenngleich die pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen den geschilderten Therapieoptionen und der gestörten Gerinnung schlüssig und folgerichtig darstellbar sind, fehlt doch für praktisch alle Empfehlungen (insbesondere der perioperativen, akuten Massenblutung) eine Bestätigung durch randomisierte, kontrollierte Studien. Die Grundlagen für diese Empfehlungen liegen in Fallbeobachtungen und nichtrandomisierten Studien. Somit kann nur ein „Evidenzlevel C“ vergeben werden (Abb. 1). Aus diesem Grund und auch wegen der teilweise erheblichen Kosten der geschilderten Substitutionen muss betont werden, dass die, in diesem Artikel genannten Grenzwerte keinesfalls als Aufruf zur „Laborkosmetik“ angesehen werden sollten.

Abb. 1
figure 1

Hintergrund der Querschnittleitlinen der Bundesärztekammer und die dafür benutzte Systematik zur Beurteilung der Evidenz [13]

Die Indikation zur Substitution mit den genannten Medikamenten ist ausschließlich im Fall von massiven, vital-bedrohlichen Blutungen gegeben.

Neues Gerinnungsmodell

Entscheidend für das Verständnis des aktuellen Konzepts der traumatischen Koagulopathie ist die Abkehr von dem alten „kaskadenförmigen“ Modell der Gerinnung. Die gegenwärtige Vorstellung der physiologischen Gerinnung ist „zellbasiert“. Im Zentrum steht die zelluläre Matrix [38], d. h. die Gewebefaktor („tissue factor“, TF) exprimierende Zelle und der Thrombozyt (Abb. 2). Für die plasmatische Gerinnung sind drei Schritte notwendig:

  • Initiation: Der „Gewebefaktor“ ist der physiologische Initiator der Gerinnung. Es ist ein integrales Membranprotein, das physiologisch praktisch auf allen Zellen vorhanden ist, die keinen direkten Kontakt mit fließendem Blut haben. Nichtaktivierte Thrombozyten exprimieren somit keinen Gewebefaktor. Bei Entzündung ist TF auch auf Monozyten und Endothelzellen nachweisbar. Der Faktor (F)VIIa/TF-Komplex und aktivierte Thrombozyten sind die „Zündung“ der Gerinnung. Das Ergebnis ist die Bildung einer geringen Menge Thrombins (FIIa).

  • Amplifikation: Die Aktivierung der Thrombozyten erfolgt durch Kontakt mit subendothelialen Zellen. Geringe Mengen von Thrombin, das von gewebefaktorexprimierenden Zellen gebildet wurde, verstärken die Thrombozytenadhäsion, aktivieren die Thrombozyten vollständig und aktivieren FV, FVIII und FXI.

  • Propagation: Es folgt die Aktivierung des „Prothrombinase-“Komplexes auf der Oberfläche der Thrombozyten; die Verbindung Xa/Va führt dann zu starker Thrombingeneration („burst“).

Abb. 2
figure 2

Aktuelles Modell der „zellbasierten“ Gerinnung (nach [38]) und Wirkorte des ionisierten Kalziums. Die Faktoren sind durch ihre römische Nummer gekennzeichnet. Ca ++ ionisiertes Kalzium, GP Glykoproteinrezeptor auf der Thrombozytenoberfläche, TF „tissue factor“, vWF Von-Willebrand-Faktor

Die entstehenden großen Mengen an Thrombin spalten Fibrinogen (FI) in Fibrinmonomere, die ihrerseits durch FXIII quervernetzt und somit stabilisiert werden. Ein Überschuss an Fibrinogen ist also Voraussetzung für den Erfolg der Wechselwirkung von Faktoren und Thrombozyten. Somit ist Fibrinogen einerseits das Substrat der plasmatischen Blutgerinnung, andererseits aber auch ein wesentlicher Ligand bei der Thrombozytenaggregation über die Glykoprotein- (GP)IIb-IIIa-Rezeptoren auf der Plättchenoberfläche. Fibrinogen ist ein Akut-Phase-Protein, das z. B. bei Infektionen oder postoperativ innerhalb von wenigen Stunden bis auf Werte über 10 g/l Plasma ansteigen kann [13].

Pathophysiologie posttraumatischer Gerinnungsstörungen

Bisher wurden Verlust, Verbrauch und Verdünnung als wichtigste pathophysiologische Ursachen einer traumaassoziierten Gerinnungsstörung angesehen [71]. Nach aktuellem Kenntnisstand ist dies jedoch zu einfach. Eine Übersicht über die Abläufe bei der traumainduzierten Koagulopathie stellt Abb. 3 dar: Schock und Minderperfusion sind die treibenden Kräfte der frühen Koagulopathie. Mit beginnender i.v.-Volumentherapie wird die Störung der Hämostase durch Dilution verstärkt. Eine begleitende Hypothermie und die schockbedingte Acidose aggravieren die Koagulopathie. Schock als Traumafolge initiiert eine Hyperfibrinolyse, die die traumainduzierte Koagulopathie verstärkt. Auch die traumabedingte Inflammation steigert die Koagulopathie. Weitere Einflussgrößen sind patientenspezifisch: Vorerkrankungen, Vormedikation und genetische Faktoren. Somit ist die entstehende Koagulopathie eine Störung des Organsystems „Gerinnung“.

Abb. 3
figure 3

Einflussgrößen, die zur Ausbildung einer traumainduzierten Koagulopathie (TIC) führen können. DIC disseminierte intravasale Gerinnung. (Mod. nach [34])

Da es in der Frühphase eines Traumas nicht zu einer intravasalen Gerinnung und Thrombose kommt, handelt es sich bei diesem Krankheitsbild auch nicht um eine disseminierte intravasale Gerinnung („disseminated intravascular coagulation; DIC; [26]).

Folgende sechs Faktoren scheinen für das Auftreten einer traumainduzierten Koagulopathie hauptverantwortlich zu sein:

  1. 1.

    Gewebeverletzung,

  2. 2.

    Schock,

  3. 3.

    Verdünnung,

  4. 4.

    Hypothermie,

  5. 5.

    Acidose und

  6. 6.

    Inflammation.

Welche dieser Faktoren nun im Einzelfall dominieren, hängt von der Art der Verletzung, der Schwere der physiologischen Schädigung und den (ungewollten) Nebeneffekten der medikamentösen Therapie ab [34].

Gewebeverletzung

Jede Verletzung des Endothels führt zur Freilegung von subendothelialem Typ-III-Kollagen und Gewebefaktor, die den Von-Willebrand-Faktor (vWF), Thrombozyten und den aktivierten FVII binden. Durch die folgende FIX vermittelte Verstärkungsreaktion (Amplifikation) ist die dafür notwendige Menge an Gewebefaktor minimal. Die Endothelverletzung führt auch zur direkten Freisetzung von Gewebeplasminogenaktivator („tissue plasminogen activator“, t-PA).

Die Häufigkeit der frühen Koagulopathie korreliert mit der Schwere der Verletzung [60]: Bei einem Injury Severity Score (ISS) über 30 erleiden mehr als 40% der Patienten eine frühe Koagulopathie [11]. Somit ist die Gewebeverletzung als Startpunkt anzusehen, der isoliert, aber selten zu einer ausgeprägten Koagulopathie führt. Trotz hoher ISS-Werte haben Patienten ohne Schock meist normale Gerinnungsparameter [9].

Schock und Hyperfibrinolyse

Schock und Minderperfusion können unabhängig vom Gewebetrauma zu einer beträchtlichen Gerinnungsstörung führen. Je ausgeprägter der Schockzustand und damit die Hypoperfusion des Gewebes, desto schwerwiegender ist die Koagulopathie [9].

Brohi et al. [10] konnten zeigen, dass eine enge Korrelation zwischen negativem Basenexzess (BE) und pathologischen Standardgerinnungstests [Quick-Test, Bestimmung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT)] vorliegt und dies von der Verletzungsschwere unabhängig ist: Nur Patienten mit einem BE negativer als −6 mmol/l zeigten pathologische Standardgerinnungstests.

Pathophysiologisch wurde das in Abb. 4 dargestellte Modell der schockinduzierten Gerinnungsstörung postuliert. Die Hypoperfusion führt zu einer verstärkten endothelialen Expression von Thrombomodulin. Der Thrombin-Thrombomodulin-Komplex aktiviert Protein C, das zusammen mit Protein S die Akzeleratoren FVa und FVIIIa inhibiert. Große Mengen von Protein C vermindern auch den Plasminogenaktivatorinhibitor- (PAI) 1. Damit wird der wichtigste Antagonist von t-PA ausgeschaltet und eine Hyperfibrinolyse getriggert.

Abb. 4
figure 4

Schockinduzierte Gerinnungsstörung. Thr Thrombin, Tm Thrombomodulin, aPC aktiviertes Protein C, PS Protein S, PAI 1 Plasminogenaktivatorinhibitor 1, t-PA Gewebeplasminogenaktivator. (Mod. nach [8, 9])

Ein weiterer Mechanismus, der eine bestehende Fibrinolyse verstärkt, ist die im Schock deutlich eingeschränkte Leberdurchblutung. Die Leber kann ihrer Klärfunktion nicht mehr in vollem Umfang nachkommen; t-PA wird unzureichend aus der Zirkulation entfernt. Die Fibrinolyse ist ein an sich sinnvoller Mechanismus, um durch Thromben verursachte Mikrozirkulationsstörungen nach Aktivierung der Gerinnung rasch wieder zu beseitigen. Eine überschießende Fibrinolyse kann jedoch schwerwiegende Blutungen nach sich ziehen. Hyperfibrinolysen scheinen bei Polytraumata mit mehr als 20% [4] häufiger zu sein als bislang angenommen.

Verdünnung

Zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden Gewebeperfusion ist ein Volumenersatz durch kristalloide und kolloidale Flüssigkeiten unumgänglich. Eine Dilution der verbleibenden Gerinnungsfaktoren ist somit ein oft nicht zu vermeidendes Problem der Therapie schwerer Blutungen.

Im Vergleich zu anderen Ländern erhalten Traumapatienten in Deutschland präklinisch relativ große Mengen Volumenersatzmittel [50]. Daten aus dem deutschen Traumaregister zeigen, dass 34% der verletzten Patienten bei Aufnahme in den Schockraum koagulopathisch waren; jeder Zweite hatte präklinisch >3 l Volumen erhalten [59]. Die BÄK weist darauf hin, dass es nach Infusion von Kolloiden zu einer Fibrinpolymerisationsstörung im Sinne einer klinischen Blutungsneigung kommen kann [13].

Die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (EK) kann diesen Verdünnungseffekt weiter aggravieren. Gleichzeitig kommt es zu einer Verschiebung von intrazellulärer und interstitieller Flüssigkeit nach intravasal, und auch dies steigert den Verdünnungseffekt. Damit ist die Verdünnung ein die Koagulopathie verstärkender Prozess. Eine traumainduzierte Koagulopathie kann somit schon auftreten, bevor eine umfangreiche Volumentherapie begonnen wurde [11, 41]. Die Problematik Verdünnung/Verbrauch trifft insbesondere auf Fibrinogen zu, das im Körper nur in kleinen Mengen bevorratet wird [36]. Gerade schwere Verletzungen führen jedoch zu einem exzessiven Verbrauch von Fibrinogen. Akute Hypofibrinogenämien korrelieren signifikant mit der 24-h- und der 7-Tage-Letalität [23].

Hypothermie

Die Hypothermie ist ein starker, unabhängiger Prädiktor für die Mortalität von Traumapatienten [80]. Der schwere hämorrhagische Schock geht typischerweise mit einem Verlust der Thermoregulation einher. Verstärkt wird die Auskühlung nicht nur durch die Umgebungsbedingungen, sondern auch iatrogen durch die Entkleidung des Patienten in der Notaufnahme zu diagnostischen Zwecken. Ab einer Körperkerntemperatur ≤34°C ist mit einer deutlichen Beeinträchtigung der Gerinnung zu rechnen. Bis 33°C werden primär die Adhäsion und Aggregation der Plättchen behindert. Dies ist v. a. durch eine gestörte Wechselwirkung zwischen dem vWF und dem GPIb-IX-V-Komplex der Plättchen bedingt. Unterhalb von 35°C kommt es durch ein verstärktes „pooling“ in Milz und Leber zusätzlich zu einer Verminderung zirkulierender Thrombozyten [52]. Zwar reagieren die einzelnen Gerinnungsfaktoren unterschiedlich sensibel, aber unterhalb von 33°C wird ihre Aktivität in der Größenordnung von 10% pro°C-Temperaturabnahme reduziert [53, 54, 67]. Die Hypothermie beeinflusst dabei in erster Linie die Geschwindigkeit der initialen Thrombinbildung, weniger seine Festigkeit (Schweinemodell; [65]).

Acidose

Eine Acidose reduziert direkt die Aktivität der Gerinnungskaskade. Sie ist hauptsächlich Folge einer unzureichenden Gewebeperfusion und damit auch indirekte Ursache einer Koagulopathie. Der Serum-pH entspricht in der Regel nicht dem pH im hypoxischen, verletzten Gewebe, in dem die Gerinnselbildung ablaufen soll. Ein isolierter pH von ≤7,15 bzw. ein BE≤−12 mmol/l entspricht annähernd einer Halbierung der Faktorenaktivität. Auch die Thrombozyten werden sowohl quantitativ als auch qualitativ erheblich beeinträchtigt [53, 54].

Die typische Kombination von Hypothermie und Acidose führt zu einer zumindest additiven Beeinträchtigung der Gerinnung [54, 91]. Die Thrombinbildung wird durch Hypothermie in der Initiationsphase gebremst, während die Acidose die Gesamtmenge an gebildetem Thrombin vermindert. Außerdem beeinträchtigt eine Hypothermie die Bildung von Fibrinogen, während eine Acidose seinen Abbau beschleunigt (Schweinemodell; [66]).

Inflammation

Die Wechselwirkungen zwischen Entzündungsreaktion und Gerinnung sind erheblich ausgeprägter als bisher angenommen [29]. Aktivierte Gerinnungsfaktoren induzieren eine Inflammation durch proteaseaktivierte Rezeptoren auf Zelloberflächen, Komplementaktivierung und Freisetzung von Plättchengranula [34]. Eine klinische Beurteilung dieses Einflusses im Schockraum ist derzeit allerdings (noch) nicht möglich.

Diagnose einer Koagulopathie

Die Zeit für die primäre Diagnostik im Schockraum sollte so kurz wie möglich gehalten werden [76]. Unnötige Kälteexposition muss unbedingt vermieden werden. Die vollständige Entkleidung des Patienten ist zwar notwendig, gleichzeitig müssen aber noch im Schockraum Wärmemaßnahmen am Patienten durchgeführt werden.

Klinisches Bild

Die traumainduzierte Koagulopathie ist durch nichtchirurgische, diffuse Blutungen aus Schleimhaut, Serosa und Wundflächen gekennzeichnet. Typisch ist auch das Auftreten von Blutungen aus den Einstichstellen intravasaler Katheter und Blutungen aus liegenden Blasenkathetern oder Magensonden ([26]; Abb. 5). Der klinische Blick ist somit die schnellste Diagnose.

Abb. 5
figure 5

Neu aufgetretene, diffuse, koagulopathische Blutung aus einer Kathetereinstichstelle

Standardgerinnungstests

Eine Bestimmung folgender Gerinnungswerte gehört zur Routinediagnostik:

  • Quick-Wert/Prothrombinzeit (PZ),

  • aPTT,

  • Fibrinogenkonzentration

  • Thrombozytenzahl

  • HKT/Hb.

Sie bieten bereits im Schockraum eine erste grobe Orientierung über das vorhandene Gerinnungspotenzial des Patienten. Da eine Acidose die Gerinnung maßgeblich beeinflusst, sollte bereits bei Aufnahme in den Schockraum eine Blutgasanalyse durchgeführt werden.

Routinegerinnungstests zeigen bei Traumata eine Reihe von Schwächen und sollten deshalb kritisch betrachtet werden [16, 21, 46]. Da die „klassischen“ Gerinnungsparameter im Labor bei 37°C, gepuffert und im Ca++-Überschuss im Plasma bzw. Serum bestimmt werden, sind sie bei gestörten Rahmenbedingungen wenig hilfreich [53, 67]. Vor allem ermöglicht die Bestimmung von Quick-Wert und aPTT nur eine Aussage bis zum Beginn der Bildung eines Gerinnsels. Eine Angabe bezüglich seiner Stärke und Qualität, seiner Auflösung oder die Thrombozytenfunktion ist nicht möglich. Somit werden nur etwa 20–60 s eines Prozesses betrachtet, der in seiner ganzen Komplexität 15–30 min dauert [8]. Das Auftreten von mikrovaskulären Blutungen bei Verlängerung der Standardtests auf das 1,5- bis 1,8-Fache ist unzureichend validiert [16], und die Prädiktivität von Standardtests zur Vorhersage von Blutungen ist schlecht. Es besteht keine Korrelation zwischen Transfusionsbedarf und pathologischen Tests [96].

Für die Bestimmung von Fibrinogen sind in der Praxis hauptsächlich zwei Methoden gebräuchlich: das „abgeleitete (derived)“ Fibrinogen wird aus dem Quick-Wert bestimmt. Bei der photometrischen Methode nach Clauss wird die Trübung im Plasma gemessen. Das „abgeleitete Fibrinogen“ ist daher bei pathologischem Quick-Wert unzuverlässig und überschätzt den Wert im Vergleich zur Methode nach Clauss [56]. Die BÄK weist darauf hin, dass die Bestimmung nach Clauss bei Patienten, die Kolloide erhalten haben, signifikant falsch-erhöhte Fibrinogenwerte anzeigt [13, 37]. Diese Fehler sind insbesondere im kritischen Bereich um 1 g/l von Bedeutung; daher empfiehlt die BÄK hierbei eine Erhöhung des Grenzwertes auf 1,5–2,0 g/l [13].

Die International Normalised Ratio (INR) sollte zum Traumamonitoring nicht genutzt werden, da sie zur Standardisierung der Quick-Werte bei der Überwachung von Vitamin-K-Antagonisten entwickelt worden ist [67]. Aufgrund der epidemiologisch zunehmenden Anzahl älterer Patienten muss im Fall eines Traumas bei diesem Klientel jedoch mit einer Antikoagulation gerechnet werden. Eine INR >1,5 bei über 50 Jährigen ist dabei mit einer signifikant erhöhten Mortalitätsrate korreliert; dies gilt insbesondere bei Schädel-Hirn-Traumata [95].

Nach welcher Menge an Blutverlust die kritische Schwelle einer Gerinnungskomponente erreicht wird, ist vom Ausgangswert der jeweiligen Substanz abhängig [81]. Rechnerische Modelle („Nach Verlust von x% des Blutvolumens soll Substanz Y substituiert werden.“) sind daher bestenfalls als grobe Orientierungswerte zu nutzen.

Thrombelastographie/-metrie

Eine vielversprechende patientennahe Testmethode zur raschen Gerinnungsanalytik stellen die Thrombelastographie und die Thrombelastometrie dar (TEG resp. ROTEM; [55]). Hiermit können, im Unterschied zu Standardgerinnungstests, nicht nur die Zeit bis zum Einsetzen der Gerinnung, sondern auch die Geschwindigkeit der Gerinnselbildung und die maximale Festigkeit des Gerinnsels erfasst werden. Diese Testverfahren können ohne Zeitverzögerung bereits im Schockraum durchgeführt werden. Therapieentscheidungen können somit rascher erfolgen [69, 75]. Einen weiteren wesentlichen Vorteil stellt das frühe Erkennen einer gesteigerten Fibrinolyse dar [4, 9, 60], dies wird auch von der BÄK bestätigt [13]. Hierfür gibt es aus dem Zentrallabor keine aussagekräftigen alternativen Laborparameter. Mehrere TEG-/ROTEM-basierte Algorithmen für die Traumaversorgung sind bereits publiziert (z. B. [28, 43, 47]).

Die Hauptlimitationen der TEG/ROTEM liegen in einer mangelhaften Standardisierung zwischen verschiedenen Kliniken und in Problemen der Qualitätskontrolle innerhalb der Kliniken. Lösungsvorschläge dazu sind bereits veröffentlicht [4]. Die Österreichische Fachgesellschaft für Anästhesiologie empfiehlt den Einsatz der TEG bei Polytraumata [3].

Prophylaxe und Therapie

Koagulopathische Traumapatienten sollten nach den Konzepten der „damage control surgery“ behandelt werden [49, 74, 83]. Dabei wird die definitive anatomische Versorgung temporär zugunsten einer Stabilisierung der lebensnotwendigen Physiologie zurückgestellt. Analog zur „damage control surgery“ wurde das Konzept der „damage control resuscitation“ zur Vermeidung der traumainduzierten Koagulopathie entwickelt [5] Oberste Priorität haben die Kontrolle und die Sicherung der Vitalparameter [48]. Die unmittelbare Therapie lebensbedrohlicher Schädigungen z. B. Intubation, Anlage von Thoraxdrainagen und die Kontrolle chirurgischer Blutungsquellen dürfen selbstverständlich nicht verzögert werden. Eine Auflistung von möglichen Prädiktoren für eine drohende Massivtransfusion und eine Anwendung der „damage control resuscitation“ bietet Infobox 1. Bei ausgeprägter Hypotension und fortbestehender starker Blutung ist frühzeitig die Transfusion von 0-, Rh.-negativen Blutkonserven und von Gerinnungskomponenten zu erwägen [48]. Es hat sich gezeigt, dass die Implementierung eines Massentransfusionsprotokolls für Polytraumata nicht nur zu einer Reduktion des Verbrauches von Blutprodukten, sondern auch zu einer signifikant reduzierten Letalitätsrate führt [17]. Auch wenn viele Traumapatienten keine operativen „Damage-control“-Verfahren oder Massentransfusionen benötigen, soll sich die initiale Therapie nach den im Folgenden beschriebenen Überlegungen richten.

Permissive Hypotension

Trotz größerer, insbesondere arterieller Verletzung oder Amputationen verhindert die Kombination aus Gefäßspasmus, Hypotension und physiologischer Gerinnung oft stärke Blutungen. Mit Beginn der Volumenersatztherapie und Erreichen „normaler“ Blutdruckwerte wird die Blutungsneigung wieder verstärkt. Dieser Zusammenhang war schon Ende des Ersten Weltkrieges bekannt [14]. Daraus entwickelte sich die Idee, bei tastbarem Radialispuls niedrige Blutdruckwerte zu tolerieren, solange keine chirurgische Blutstillung gewährleistet ist. Dies geschieht primär durch eine restriktive Volumengabe [33, 73]. Welche Flüssigkeit und ob Kristalloide oder Kolloide dabei benutzt werden sollen, ist derzeit nicht eindeutig zu klären [83]. Kristalloide Lösungen scheinen die Gerinnung weniger zu beeinflussen [8]. Fries et al. [27] zeigten in vitro, dass alle Kolloide, auch 6%ige Hydroxyäthylstärke (6% HAES 130/0,4), eine Störung der Fibrinpolymerisation erzeugen und so die Auswirkung von Hypothermie sowie Acidose verstärken. Dies wird in den aktuellen BÄK-Empfehlungen explizit betont [13]. Der Einfluss von 4 ml/kgKG hypertoner/hyperonkotischer HAES-Lösung auf die Gerinnselbildung war in einer thrombelastometrischen Studie mit Schweinen deutlich geringer als der von 6% HAES 130/0,4 oder 4%iger Gelatinelösung [31]. Um ein ausreichendes Sauerstoffangebot im Gewebe zu erreichen, sind die Zielwerte der Volumensubstitution ein mittlerer arterieller Druck („mean arterial pressure“, MAP) von ≥65 mmHg bzw. ein systolischer Druck von etwa 80–90 mmHg [39, 83]. Bei Schädel-Hirn-Verletzten sollte der Blutdruck zur Sicherung einer ausreichenden intrazerebralen Perfusion höher sein [83].

Erwärmung

Hypothermiebedingte Gerinnungsstörungen lassen sich nicht durch Applikation von Blut- und Gerinnungsprodukten, sondern ausschließlich durch Erwärmung therapieren [3, 52]. Intraoperativ ist eine Erwärmung polytraumatisierter Patienten aber sehr schwierig. Bereits der Notarzt muss daher durch passive Wärmemaßnahmen wie Isolierfolien, Decken, Entfernen nasser Kleidung und Aufheizen des Rettungswagens einem weiteren Auskühlen entgegenwirken. Die Nutzung von Wärmematten oder auch Wärmestrahlern, einem Heißluftgebläse u. ä. zur aktiven Erwärmung ist während des Transports problemlos möglich. Ihre Anwendung während der initialen Untersuchung und Diagnostik stößt aber regelmäßig auf technische Probleme. Die Energie, die der Körper benötigt, um 1 l bei 25°C gelagerte und in 1 h infundierte Kolloide zu erwärmen, ist größer als die Wärmezufuhr, die mit Wärmestrahlern, warmen Tüchern u. ä. innerhalb dieser Stunde appliziert werden kann [91]. Die Raumtemperatur sollte sowohl während der Diagnostik als auch später im OP möglichst hoch, am besten im thermoneutralen Bereich, also bei 28–29°C liegen [76, 83, 92]. Die initiale Flüssigkeitstherapie des Polytraumatisierten sollte ausschließlich mit gewärmten Infusionen erfolgen [5, 91]. Daher sollten mitgebrachte Infusionen im Schockraum durch neue, angewärmte ausgetauscht werden. Bei Raumtemperatur kühlt allerdings 1 l 37°C warme Flüssigkeit innerhalb von 15 min auf 32°C ab. Spätestens ab dem Schockraum erfolgt jegliche Volumentherapie ausschließlich über Infusionswärmer wie Hotline™ o. ä. mit einer Infusionstemperatur von 40–42°C [76, 91, 92]. Nach den aktuellen „Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten“ dürfen Blutkomponenten auf maximal +42°C erwärmt werden [12]. Auf 42°C gewärmte Flüssigkeiten erhöhen die Körpertemperatur durch Konduktion, die effektivste Form des Wärmetransfers [92]. Damit ist die Applikation von EK aus dem Kühlschrank und von gefrorenem Frischplasma (GFP), sobald es flüssig ist, möglich. Die hypothermiebedingte Thrombozytenfunktionsstörung ließ sich, zumindest in vitro, teilweise durch Infusion von Desmopressin (1-Desamino-8-D-argininvasopressin, DDAVP) in einer Dosierung von 0,3 µg/kgKG korrigieren („1 Amp./10 kgKG als Kurzinfusion“; [97]). Gemäß BÄK kann daher eine Begleittherapie mit Desmopressin indiziert sein [13].

Acidoseausgleich

Der negative Effekt einer Acidose mit einem pH≤7,15 auf die Gerinnung ist zweifelfrei belegt [3, 54]. Ein endgültiger Ausgleich der Acidose wird beim Polytraumatisierten erst mit erfolgreicher chirurgischer Blutstillung und Beendigung der Hypoperfusion gelingen. Die hohe Konzentration an Wasserstoffionen beeinträchtigt u. a. die kalziumabhängige Wechselwirkung der Gerinnungsfaktoren mit den ebenfalls negativ geladenen Phospholipiden. Interventionen, die eine Acidose verstärken können, wie z. B. Hypoventilation oder Kochsalz- (NaCl-)Infusion, sollten vermieden werden [5]. Auch eine Massivtransfusion gelagerter EK kann die Acidose deutlich verstärken [84]. Der BE frischer EK liegt bei −20 mmol/l, nach 6 Wochen aber bei −50 mmol/l [54].

Im Schweinemodell konnte Natriumbikarbonatgabe zwar pH und BE ausgleichen, aber weder den Fibrinogenspiegel noch die beeinträchtigte Thrombinbildung normalisieren. Trishydroxymethylaminomethan (TRIS, THAM) verhinderte ebenfalls nicht die Abnahme von Fibrinogen, stabilisierte im Schweinemodell jedoch die Kinetik der Thrombingeneration [66]. Welche der beiden Substanzen zur Pufferung aus hämostaseologischen Gründen besser geeignet ist, ist derzeit nicht abschließend zu beurteilen [54]. Eine Puffertherapie führt offensichtlich als Einzelmaßnahme zu keiner Verbesserung der Koagulopathie [8]. Somit scheint die Pufferung auf pH-Werte von ≥7,2 aus hämostaseologischer Sicht erst in Kombination mit der Applikation von Gerinnungspräparaten sinnvoll [22, 30].

Substitution gerinnungsaktiver Präparate

Die Transfusion von „Vollblut“ entspricht der pathophysiologischen Überlegung, dem Patienten das zurückzugeben, was er verloren hat. Einige Publikationen deuten daraufhin, dass dieses Vorgehen einen Überlebensvorteil bei Massivtransfusionen bringen kann [72]. Vollblut steht allerdings derzeit nicht zur Verfügung. Daher ist die Transfusion von mehreren Einzelkomponenten weiterhin notwendig. Da die Bildung von Fibrin vom Vorhandensein ausreichender Mengen an Thrombozyten und Fibrinogen abhängt, ist eine frühzeitige Substitution bei der Behandlung einer Koagulopathie notwendig. Eine anhaltende, massive Blutung wird bei einer Applikation von Antithrombin (AT)III nur verstärkt werden; diese kann daher nicht empfohlen werden [1, 3, 83]. Auch wenn dadurch keine Senkung der Letalitätsrate nachgewiesen werden konnte, empfiehlt die BÄK eine „Off-label“-Anwendung von ATIII nur bei nachgewiesener DIC mit nachgewiesenem ATIII-Mangel [13].

Das kumulative Risiko weiterer Inflammation oder Infektion durch Erythrozyten, Plasma und Thrombozyten ist bei massiv verletzten und massiv transfundierten Patienten um zwei Zehnerpotenzen niedriger anzusetzen als das Risiko einer Koagulopathie [40].

Die im Folgenden gemachten Dosierungsangaben sind Orientierungswerte und sollten bis zum Sistieren der akuten Blutung fortgeführt werden.

Kalzium

Kalzium als FIV ist für die meisten Reaktionsabläufe der Gerinnung essenziell (Abb. 2). Das freie, ionisierte Kalzium (Cai ++) ist dabei entscheidend und entspricht mit einem Normwert um 1,2 mmol/l etwa 50% des Gesamtkalziums. Die Reduktion des Cai ++ nach Transfusionen ist durch das als Antikoagulans benutzte Zitrat in den Konserven bedingt und bei GFP-Gabe besonders ausgeprägt. Dabei ist die Abnahme des Cai ++ umso deutlicher, je schneller die Konserven transfundiert werden. Dies gilt insbesondere bei einer Transfusionsgeschwindigkeit >50 ml/min [13]. Spätestens unterhalb einer Cai ++-Konzentration von 0,9 mmol/l ist mit einer deutlichen Beeinträchtigung der Gerinnung zu rechnen [54]. Für die Substitution auf Werte >0,9 mmol/l ist auf die einzelnen pharmakologischen Präparationen zu achten (Tab. 1; [53]).

Tab. 1 In der Bundesrepublik erhältliche Kalziummonopräparate zur i.v.-Applikation und jeweiliger Kalziumionengehalt [53]

Spätestens nach der Gabe von 4 GFP sollten 2 g Kalzium appliziert werden; die weitere Therapie erfolgt nach Laborbefund.

Fibrinogen

Fibrinogen (FI) ist das Substrat der Gerinnung. Es ist nicht nur für die Bildung des Fibrinnetzwerkes essenziell, sondern auch Ligand für den GPIIb-IIIa-Rezeptor an der Thrombozytenoberfläche und somit für die Thrombozytenaggregation verantwortlich. Im Rahmen einer Dilution oder bei schweren Blutungen scheint Fibrinogen von allen Gerinnungsfaktoren der vulnerabelste zu sein und erreicht als Erster seine kritische Konzentration. Sinkt der Fibrinogenspiegel unter 1 g/l, ist eine suffiziente Gerinnselbildung nicht mehr gewährleistet; bei starker Blutung ist der Grenzwert bei 1,5 g/l zu setzen [13]. Das einzige in Deutschland im Handel verfügbare Konzentrat enthält als wirksamen Bestandteil Humanfibrinogen (Anteil des gerinnbaren Proteins >80%) und Humanalbumin als Stabilisator [13].

Da ein Fibrinogenmangel bei schweren Traumen zumeist schon im Schockraum nachweisbar ist, sollte eine frühzeitige Substitution auf ≥1,5 g/l [13] erwogen werden. Zusätzlich kann die Applikation von Fibrinogen die kolloidbedingte Beeinträchtigung der Fibrinpolymerisation verbessern. Stinger et al. [88] konnten an 252 Patienten, die während der Kampfhandlungen im Irakkrieg verletzt wurden, eine hochsignifikante Korrelation zwischen verabreichter Fibrinogenmenge und dem Überleben zeigen. Verletzte, die weniger als 1 g Fibrinogen/5 EK erhielten, zeigten ein Letalitätsrate von 52% gegenüber 24%, wenn mehr als 1 g/5 EK appliziert worden war.

Ein Anheben der Fibrinogenkonzentration in den Normbereich ist mit GFP-Gabe nur verzögert sowie begrenzt möglich und lässt sich mit Fibrinogenkonzentraten effektiver sowie schneller realisieren. Einem Patienten mit 70 kgKG müssen etwa 3–4 g Fibrinogen verabreicht werden, um den Fibrinogenspiegel im Plasma um 1 g/l anzuheben. Singbartl et al. konnten nachweisen, dass der maximal erlaubbare Blutverlust bis zum Erreichen des kritischen Fibrinogenwerts von dem Ausgangswert abhängig ist ([81]; Abb. 6). Dieser ist bei der initialen Versorgung in der Notaufnahme aber in der Regel nicht bekannt. Somit ist eine frühzeitige Bestimmung des Fibrinogens bei Ankunft in der Notaufnahme essenziell.

Abb. 6
figure 6

Abhängigkeit des maximal erlaubbaren Blutverlustes zum Erreichen der kritischen Fibrinogenschwelle von 150 mg/dl (1,5 g/l) vom Ausgangswert an Fibrinogen. (Mod. nach [64] mit freundlicher Genehmigung)

Zur Therapiekontrolle sollte eine entsprechende Labordiagnostik mithilfe des ROTEM [3] oder der Bestimmung von Fibrinogen nach Clauss erfolgen. Wird die Fibrinogenkonzentration nach Clauss gemessen, sollten Werte von 1,5–2 g/l erreicht werden [13]. Trotz der zumindest in der Bundesrepublik Deutschland relativ hohen Kosten von Fibrinogenkonzentrat ist das Medikament ein essenzielles Mittel zur suffizienten Therapie massiver Blutungen. Bisher gibt es keine Hinweise auf eine Infektion, Mutagenität oder Onkogenität durch die Applikation von Fibrinogen.

Zur initialen Therapie eines massiv blutenden Erwachsenen können 2–4 g Fibrinogen appliziert werden. Als Ziel wird ein Fibrinogenwert von ≥1,5 g/l (150 mg/dl) angestrebt. Bei Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse ist vorher ein Antifibrinolytikum (z. B. 2 g Tranexamsäure) zu geben.

Prothrombinkomplexpräparate

Bei der traumainduzierten Koagulopathie kann der Mangel an Prothrombinkomplex (PPSB, Prothrombin: FII, Prokonvertin: FVII, Stuart-Faktor: FX und antihämophiles Globulin B: FIX) so ausgeprägt sein, dass trotz Transfusion von GFP zusätzlich [77] eine Substitution mit PPSB erforderlich ist. Prothrombinkomplexpräparate enthalten weder Fibrinogen noch FV oder FVIII [77] und sind nur hinsichtlich des FIX-Gehaltes standardisiert [13]. Bei bedrohlichen bzw. ausgedehnten Blutungen aus großen Wundflächen empfiehlt die BÄK hohe initiale Dosen von 25 bis zu 40 IE/kgKG. Bei Patienten unter Vitamin-K-Antagonisten ist die Antagonisierung der Wirkung hiermit möglich; PPSB wird von der BÄK und der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie in diesem Zusammenhang schon zur Prophylaxe empfohlen [3, 13]. Eine PPSB-Applikation bei DIC ist nur dann indiziert, wenn eine manifeste Blutung besteht, die durch einen Mangel an Prothrombinkomplexfaktoren mitbedingt ist, und wenn die Ursache der DIC behandelt wird. Bei DIC sollten PPSB-Präparate nicht ohne Kontrolle und ggf. Normalisierung des AT-Spiegels appliziert werden [13]. Vereinzelt gibt es Hinweise auf thrombembolische Ereignisse nach PPSB; ein Kausalzusammenhang ließ sich jedoch bisher nicht sichern [77].

Zur initialen Therapie eines anhaltend massiv blutenden Erwachsenen könnten 1200–2400 IE (20–25 IE/kgKG) PPSB appliziert werden.

Gefrorenes Frischplasma

Der Inhalt in Millilitern eines GFP-Beutels variiert in Abhängigkeit von der Herstellung; meist sind es ca. 300 ml; der genaue Inhalt ist aber auf dem Beutel angegeben. Selbst hohe Mengen an GFP bewirken lediglich einen moderaten Anstieg der Aktivitäten der Gerinnungsfaktoren und Inhibitoren beim Empfänger. Die eigentlichen Hauptbestandteile von GFP sind neben Wasser Albumin (40–50 g/l) und andere Plasmaproteine, während die Konzentration an Fibrinogen und Gerinnungsfaktoren eher gering ausfällt und entsprechend der interindividuellen Variabilität erheblich schwankt [13, 26]. Die Plasmaspiegel variieren bei den Akut-Phase-Proteinen Fibrinogen und FVIII besonders stark [13]. Ist bereits infolge eines Blutverlustes ein ausgeprägter Mangel an Faktoren und zellulären Komponenten eingetreten, kann eine ausreichende Hämostase auch mit großen Volumina GFP allein nicht erreicht werden. Gemäß BÄK gibt es folgende Indikationen für eine GFP-Transfusion:

  • anhaltender Blutverlust über 100 ml/min,

  • anhaltender Substitutionsbedarf von mehr als 2 EK/15 min und

  • Verhütung bzw. Sistieren von mikrovaskulären Blutungen.

Eine effektive Therapie einer Gerinnungsstörung mit GFP setzt eine ausreichend hohe, möglichst AB0-gleiche Dosis von mindestens 20–30 ml/kgKG voraus [15], die schnell appliziert werden muss [3, 13].

Das optimale Verhältnis von EK zu GFP ist unbekannt. In der aktuellen Literatur mehren sich Berichte, dass ein Verhältnis von 1:1 bis 1:2 zu einer geringeren Letalitätsrate beiträgt [36, 39, 41, 45]. Während die 1:1-Ratio im militärischen Bereich einen deutlichen Überlebensvorteil bewirkte [7], wird dies bei zivilen Traumata widersprüchlich beurteilt [42, 45, 59, 79]. Daher ist die Identifikation von Patienten, die von einer frühzeitigen Applikation von GFP profitieren, von großer Bedeutung. Für zwei Gruppen ist dies bisher gelungen: Traumata, die Massivtransfusionen benötigen, und rupturierte Bauchaortenaneurysmata [35]. Der Trauma Associated Severe Hemorrhage (TASH) Score des Deutschen Trauma-Registers ist eine Möglichkeit für den zivilen Bereich, zuverlässig eine Massivtransfusion vorherzusagen. Er beinhaltet die Faktoren systolischer Blutdruck, Hb, BE, Herzfrequenz, freie intraabdominelle Flüssigkeit, Becken- bzw. Oberschenkelfraktur und männliches Geschlecht [98]. Hess et al. [35] schlagen zur Vorhersage einer Massivtransfusion folgende Parameter bei Aufnahme in den Schockraum vor (Infobox 1):

  • INR ≥1,5,

  • Thrombozytenzahl <100.000/µl,

  • HKT<30%,

  • Fibrinogenkonzentration <1 g/l,

  • BE ≤−6 mmol/l und

  • systolischer Blutdruck <80 mmHg.

Zweifellos beinhaltet die Transfusion von GFP eine Reihe von erheblichen Risiken. Neben der transfusionsbedingten, akuten Lungenschädigung („transfusion-related acute lung injury“, TRALI; [19]) konnte bei internistischen Intensivpatienten nach der Transfusion von GFP eine deutliche Verschlechterung der Lungenfunktion nachgewiesen werden [18]. Daneben ist auch bei Polytraumata das Risiko für eine erhebliche Volumenbelastung in Abhängigkeit von der kardialen Leistungsfähigkeit nicht unerheblich. Die transfusionsassoziierte Immunsuppression konnte mittlerweile auch für GFP gezeigt werden [78].

Zur initialen Therapie eines schweren akuten Blutverlustes mit manifesten oder drohenden mikrovaskulären Blutungen sollten 20–30 ml/kgKG GFP appliziert werden.

Faktor XIII

Der aktivierte Faktor XIII (fibrinstabilisierender Faktor) ist eine Transglutaminase, die in Gegenwart von Kalziumionen Fibrin kovalent quervernetzt und damit mechanisch so stabilisiert, dass ein festes dreidimensionales Fibrinnetz gebildet wird, das die definitive Blutstillung bewirkt. Ein Mangel wird mit den Globaltests nicht erfasst. Typisch für einen postoperativen FXIII-Mangel sind diffuse Nachblutungen einige Stunden nach dem Operationsende bei intraoperativ unauffälliger Blutstillung. Bei einer traumainduzierten Koagulopathie kann infolge des gesteigerten Umsatzes (erhöhter Blutverlust, Hyperfibrinolyse, DIC) und Verbrauches (bei großen Operationen) ebenfalls ein relevanter FXIII-Mangel entstehen. Die kritische Grenze bei FXIII-assoziierten Blutungen ist unklar, liegt aber vermutlich bei 50–60% der Norm [13]. Wenn eine FXIII-Testung nicht zeitnah möglich ist, sollte – besonders bei schweren akuten Blutungen – die FXIII-Blindgabe erwogen werden. Als mögliche Dosis werden 10–20 IE/kgKG empfohlen [3, 13]. Da das Konzentrat aus Humanplasma hergestellt wird, kann ein Restrisiko für eine Infektion nicht ausgeschlossen werden.

Eine FXIII-Substitution zur Therapie hämorrhagischer Diathesen sollte erfolgen, wenn diese durch einen erworbenen Mangel an FXIII bedingt oder mitbedingt sind (initial 1250 IE bzw. 10–20 IE/kgKG).

Korpuskuläre Elemente

Erythrozytenkonzentrate

Der Inhalt in Millilitern eines EK-Beutels variiert in Abhängigkeit von der Herstellung; meist sind es ca. 300 ml, der genaue Inhalt ist aber auf dem Beutel angegeben. Um den Bedarf an Sauerstoffträgern zu sichern, ist die Transfusion von EK notwendig. Die Zahl transfundierter EK korreliert mit der Mortalität und Morbidität. Eine steigende Zahl von Veröffentlichungen aus den Bereichen Trauma und Intensivtherapie verdeutlicht den negativen Einfluss der EK-Gabe auf das Überleben (Übersicht beispielsweise bei [5]). Die Sicherheit einer restriktiven Transfusionsstrategie von EK bei hämodynamischer Stabilität konnte durch eine Reihe von Untersuchungen nachgewiesen werden [41]. Bei einer traumainduzierten Koagulopathie kann ein solcher Ansatz jedoch ungünstig sein [67], da sich signifikante Beeinträchtigungen der Gerinnung deutlich vor einer Beeinflussung der Oxygenierung entwickeln [53, 54]. Daher empfiehlt die BÄK, aufgrund der günstigen Effekte höherer HKT-Werte auf die primäre Hämostase [54] bei massiver, nichtgestillter Hämorrhagie bis zum Sistieren der Blutung Hb-Konzentrationen im Bereich von 6,2 mmol/l (10 g/dl) und einen Hämatokrit von 30% anzustreben [3, 13]. Bei kritisch kranken Patienten mit Trauma unter Intensivbehandlung und in der postoperativen Situation zeigten einige Studien eine Assoziation zwischen der Lagerungsdauer transfundierter EK (>14 Tage) und der Letalität, der Infektionshäufigkeit sowie der Liegedauer [13, 94]. Auch in Industrienationen muss davon ausgegangen werden, dass mehr als 30% der EK länger als 3 Wochen gelagert wurden [70].

Bei der Therapie eines massiv blutenden Erwachsenen sollen ein Ziel-Hb-Wert von 6,2 mmol/l (10 g/dl) und ein HKT von 30% bis zum Sistieren der Blutung angestrebt werden.

Thrombozytenkonzentrate

Thrombozytenkonzentrate (TK) werden entweder aus Vollblutspenden oder durch Thrombozytenapherese von gesunden Blutspendern gewonnen. Es stehen zwei Präparate zur Verfügung. Das Pool-TK enthält in Abhängigkeit von der Anzahl gepoolter Einheiten (von 4–6 Spendern) 240×109 bis 360×109 Thrombozyten in 200–350 ml Plasma oder einer Plasmaersatzlösung. Das Apheresethrombozytenkonzentrat enthält in der Regel 200×109 bis 400×109 Thrombozyten in etwa 200–300 ml Plasma eines Einzelspenders. Sie können bei 20–24°C unter gleichförmiger Bewegung bis zu 5 Tage aufbewahrt werden [13].

Auch TK sollten nicht blind nach einem bestimmten Schlüssel verabreicht werden. Thrombozyten werden bei akutem Verlust initial vermehrt aus Knochenmark und Milz freigesetzt. Bei elektiven Eingriffen konnte daher gezeigt werden, dass sie erst nach dem Verlust des 2,5-fachen Blutvolumens die Grenze von 50.000/µl unterschritten hatten [61]. Nach Transfusion von TK verteilen sich die übertragenen vitalen Thrombozyten im Blut und in der Milz. Die Wiederfindungsrate im peripheren Blut liegt deshalb nur bei etwa 60–70%. Eine DIC verringert die „recovery rate“ weiter [13]. Besteht aufgrund eines massiven Blutverlustes oder der Lokalisation (intrazerebrale Blutung) eine akute Gefährdung des Patienten, wird die Substitution von Thrombozyten von der BÄK beim Unterschreiten eines Wertes von 100.000/μl empfohlen [3, 13]. Außer den plättchenspezifischen Antigenen („human platelet antigen“, HPA) und den „Human-leucocyte-antigen“- (HLA-)Merkmalen der Klasse 1 tragen Blutplättchen AB0-Blutgruppen-Merkmale; deshalb sollte die Blutgruppe bei der Auswahl der TK, wenn möglich, berücksichtigt werden [13].

Bei der Therapie von akuten, bedrohlichen Blutungen könnte prophylaktisch eine Thrombozytenzahl von ≥100.000/µl bis zum Sistieren der Blutung angestrebt werden.

Hämostatisch wirksame Medikamente

Antifibrinolytika

Wird eine Hyperfibrinolyse diagnostiziert, kann sie mit Tranexamsäure behandelt werden [3, 99]. Tranexamsäure ist ein Lysinanalogon, das die Lysinbindungsstelle von Plasminogen und damit dessen Aktivierung hemmt. Aprotinin wurde kürzlich wegen erheblicher Nebenwirkungen nach kardiochirurgischen Eingriffen vom Markt genommen [24]. Der Wirkungseintritt von Tranexamsäure ist im Vergleich zu Aprotinin verzögert, da freies Plasmin weiterhin wirksam ist [51]. Trotz eines theoretischen Risikos für thrombembolische Ereignisse sind nur vereinzelte Fallberichte für Tranexamsäure publiziert [82], und ein Kausalzusammenhang ist bisher nicht gesichert [25]. Steht kein ROTEM zur Verfügung, sollte beim Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse eine kalkulierte Therapie mit Tranexamsäure gestartet werden. Als initiale Dosis können 2–3 g appliziert werden. Auch wenn eine Hyperfibrinolyse bei mehr als 20% aller Polytraumata anzutreffen ist [4], liegen klare Therapierichtlinien oder randomisierte Studien zur antifibrinolytischen Therapie beim Polytrauma nicht vor [90].

Bei der initialen Therapie eines massiv blutenden Erwachsenen und Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse sollte ein Antifibrinolytikum (z. B. 2 g Tranexsamsäure) vor der Infusion von Fibrinogen appliziert werden.

Desmopressin

Desmopressin (DDAVP, z. B. Minirin®) setzt vWF und FVIII aus dem Endothel der Lebersinusoide frei und verbessert dadurch die primäre Hämostase. Zusätzlich bewirkt es eine unspezifische Thrombozytenaktivierung. Neben der klassischen Indikation beim Von-Willebrand-Syndrom Typ 1 (quantitativer Mangel) zeigt DDAVP auch bei Patienten mit eingeschränkter Plättchenfunktion aufgrund von Acetylsalicylsäure- (ASS-)Einnahme, bei urämischen Patienten und bei Patienten mit Lebererkrankungen gute Wirksamkeit [62]. Hypothermiebedingte Störungen der Hämostase lassen sich zumindest in vitro teilweise mit DDAVP korrigieren [97]. Kontrollierte Studien bei Traumapatienten liegen augenblicklich nicht vor. Aus pathophysiologischer Überlegung kann bei diffus blutenden Patienten mit Verdacht auf Thrombozytopathie ein Therapieversuch mit DDAVP in Erwägung gezogen werden [3]. Die Dosierung beträgt 0,3 µg/kgKG über 30 min. Eine Repetitionsdosis sollte nach frühestens 6 h verabreicht werden. Da DDAVP auch geringe Mengen von t-PA aus dem Endothel freisetzt und damit eine geringgradige Fibrinolyse triggern kann, empfehlen manche Experten, zeitgleich auch 1–2 g Tranexamsäure zu verabreichen. Bei rascher Infusion wurden Blutdruckabfälle aufgrund einer Prostazyklinfreisetzung aus dem Endothel beschrieben [19]. Eine Wasserretention mit beträchtlicher Hyponatriämie ist nach Applikation von DDAVP beschrieben.

Bei der initialen Therapie eines massiv blutenden Erwachsenen kann zur unspezifischen Thrombozytenaktivierung und zur Freisetzung von „vWF“ Desmopressin in einer Menge von etwa 1 Amp. (4 µg)/10 kgKG langsam appliziert werden.

Rekombinater Faktor VIIa

Rekombinanter Faktor VIIa (rFVIIa) ist augenblicklich nur für Blutungen bei Hemmkörperhämophilien (Antikörper gegen die FVIII oder FIX), Glanzmann-Thrombasthenie (angeborene Dysfunktion des Thrombozyten-GPIIb-IIIa-Rezeptors) und bei angeborenem FVII-Mangel zugelassen. In supraphysiologischer Dosierung bindet rFVIIa an den aktivierten Thrombozyten und bewirkt dort einen „thrombin burst“, der zur Bildung eines äußerst stabilen Fibringerinnsels führt [26]. Auf aktivierten Thrombozyten kann rFVIIa die Thrombingeneration auch gewebefaktorunabhängig ermöglichen [93]. Eine weitverbreitete „Standarddosierung“ für den „off label use“ liegt bei 90 µg/kgKG [93]; die notwendige Dosis ist aber weiterhin unklar [83]. Aufgrund der sehr kurzen Halbwertszeit kann eine Repetitionsdosis nach 2 h erwogen werden [85].

Die Ansprechrate bei stark blutenden Patienten wird mit 7% [44], 33% [2] oder 75% [20] sehr unterschiedlich angegeben. Insbesondere bei der Anwendung an Patienten außerhalb der zugelassenen Indikationen sind thrombembolische Ereignisse im arteriellen und venösen Gefäßsystem bzw. in perioperativ oder traumatisch geschädigten Gefäßen aufgetreten [13]. In einer multizentrischen, randomisierten und placebokontrollierten Untersuchung zeigte sich eine Reduktion des Transfusionsbedarfes nur in der Gruppe der Patienten mit stumpfem Trauma [6]. Die Letalitätsraten in beiden Gruppen waren nicht unterschiedlich. Die verabreichte Gesamtdosis war in dieser Untersuchung mit kumulativ 400 µg/kgKG extrem hoch. Eine Studie an verletzten Soldaten konnte einen Überlebensvorteil durch die Verabreichung von rFVIIa zeigen. Allerdings hatte die Gruppe der Überlebenden auch kumulativ deutlich mehr Fibrinogen erhalten [86].

Wenn es zum Einsatz von rFVIIa kommt, müssen vorher optimale Rahmenbedingungen für seine Wirkung geschaffen werden [32]. Voraussetzungen für eine erfolgreiche rFVIIa-Wirkung sind ein Fibrinogenwert von ≥10 g/l, ein Hb-Wert ≥4,3 mmol/l (≥7 g/dl), eine Thrombozytenzahl ≥50.000/μl (besser ≥100.000/µl), eine Cai ++-Konzentration ≥0,9 mmol/l, eine Körperkerntemperatur ≥34°C, ein pH-Wert ≥7,2 sowie der Ausschluss einer Hyperfibrinolyse oder eines Heparineffektes [3, 13, 26, 68, 83, 89].

Eine abschließende Beurteilung der Effektivität von rFVIIa als Therapieoption bei koagulopathischen Traumapatienten ist aufgrund der aktuellen Datenlage nicht möglich. Die BÄK verweist in ihren Leitlinien auf den Übersichtsartikel von Mannucci u. Levi [63]. Dessen Schlussfolgerung lautet, dass rFVIIa kein Wundermittel ist, aber bei Patienten mit Trauma und exzessiver Blutung, die auf andere Therapieoptionen nicht ansprechen, Wirksamkeit besitzt. Es handelt sich allerdings um eine Therapie außerhalb der Zulassungsindikation, mit einer Substanz, die ein hohes prothrombotisches Potenzial aufweist. Eine kritische Indikationsstellung ist auf jeden Fall notwendig.

Bei der Therapie eines massiv blutenden Erwachsenen kann im Einzelfall die Applikation von 90 µg/kgKG rFVIIa erwogen werden. Diese Therapie liegt außerhalb der Zulassungsindikation.

In Infobox 2 wird eine Übersicht über mögliche Therapieschritte zur Behandlung einer traumainduzierten Koagulopathie gezeigt.

Fazit für die Praxis

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse ermöglichen eine bessere Einsicht in die Pathophysiologie traumaassoziierter Gerinnungsstörungen. Bei etwa einem Viertel aller Schwerverletzten ist mit einer solchen Koagulopathie zu rechnen. Im Zentrum dieses Modells stehen die 6 Faktoren Gewebeverletzung, Schock, Verdünnung, Hypothermie, Acidose und Inflammation. Die Prophylaxe dieses Krankheitsbildes ist einfacher als seine Therapie.

Während die pathophysiologischen und pharmakologischen Zusammenhänge der geschilderten Therapieoptionen eindeutig und nachvollziehbar sind, fehlt jedoch weiterhin für die meisten eine evidenzbasierte Bestätigung durch randomisierte, kontrollierte Studien. Zu dem notärztlichen und anästhesiologischen Konzept der „damage control resuscitation“ gehören die Begrenzung der Infusion von kristalloidem und kolloidalem Volumenersatz auf einen MAP von ≥65 mmHg (bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma höher), ein aktives Wärmemanagement, die Verhinderung bzw. der Ausgleich einer Acidose auf einen pH>7,2 bzw. ein BE≤−6mmol/l, das Anstreben eines Hb um 6,2 mmol/l (10 g/dl) bzw. eines HKT um 30% sowie die frühzeitige und ausreichende Applikation von gerinnungsaktiven Medikamenten, in erster Linie von Fibrinogen (Ziel: >1,5 g/l), GFP (20–30 ml/kgKG) und Thrombozyten (Zielzahl: ≥100.000/µl). Prothrombinkomplexpräparate können bei schweren Blutungen zur Optimierung der Thrombingenerierung hilfreich sein. Da eine Hyperfibrinolyse nach schwerem Trauma häufiger als bislang angenommen ist, sollte insbesondere bei kreislaufinstabilen Patienten an den Einsatz von Tranexamsäure gedacht werden. Bei diffus blutenden Patienten mit Verdacht auf Thrombozytopathie kann ein Therapieversuch mit DDAVP in Erwägung gezogen werden. Weiterhin anhaltende Blutungen könnten von FXIII profitieren. Unter strenger Indikationsstellung stellt im Einzelfall rFVIIa eine Therapieoption dar.