Methoden

Die klinische Studie, an der insgesamt 18 akademische Zentren in Deutschland teilnahmen, wurde in einem Zeitraum von ca. 2 Jahren (April 2003 bis Juni 2005) durchgeführt. Insgesamt wurden 488 bzw. 537 Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock, deren Krankheitsverlauf innerhalb der letzten 24 h vor oder 12 h nach Aufnahme auf der Intensivstation begonnen hat, aufgenommen. Die Studienpatienten wurden jeweils 2 Behandlungprotokollen zugeordnet [strikte (80–110 mg/dl) vs. konservative (180–200 mg/dl) Blutzuckereinstellung bzw. Volumentherapie mit Ringer-Laktat- vs. Ringer-Laktat-Basisinfusion plus niedermolekularer (200/0,5) HES-Lösung (Hemohes®, 10%ig; B.Braun Melsungen AG)]. Die studienbezogene Behandlungsperiode endete spätestens nach 21 Tagen oder bei Entlassung des Patienten von der Intensivstation. Als primäre Studienziele wurden die Effekte der 4 Therapiemodalitäten auf die Schwere des Multiorgandysfunktionssyndroms [Sepsis-related Organ Failure Assessment (SOFA-)Score] sowie die 28- bzw. 90-Tage-Mortalität untersucht.

Ergebnisse

Die Studie musste aus Sicherheitsgründen nach der Aufnahme von 488 (Insulinprotokoll) bzw. 537 Patienten (Volumenprotokoll) vorzeitig abgebrochen werden. In der Gruppe der intensivierten Insulintherapie konnte zwar die mittlere Morgenblutzuckerkonzentration auf einen Mittelwert von 112 mg/dl (6,2 mmol/l) verglichen mit 151 mg/dl (8,4 mmol/l) in der konservativen Therapiegruppe gesenkt werden (p<0,001). Allerdings kam es bei fehlenden Unterschieden in den primären Studienendpunkten bei den mit einem intensivierten Insulinschema behandelten Patienten deutlich häufiger zu schweren hypoglykämischen Episoden (17 vs. 4,1%, p<0,001). Es bestand kein statistischer Unterschied zwischen den beiden Gruppen in der mittleren Gesamtenergiezufuhr oder der enteral verabreichten Kilokalorienmenge.

Im Vergleich zu einer ausschließlich Ringer-Laktat-basierten Flüssigkeitsbehandlung war die Volumentherapie mit HES zur Aufrechterhaltung definierter hämodynamischer Zielvorgaben häufiger mit einem akuten Nierenversagen (34,9 vs. 22,8%; p=0,002), einer Nierenersatztherapie (31 vs. 18,8%, p=0,001) sowie niedrigeren Thrombozytenzahlen (180 vs. 224 G/l, p<0,001) assoziiert. Zwischen den beiden Volumenregimen fand sich kein Unterschied in der 28-Tage-Mortalität oder dem mittleren SOFA-Score. Allerdings bestand ein Trend zu einer höheren Sterblichkeit nach 90 Tagen in der mit HES behandelten Gruppe. Ebenso wie die Häufigkeit des akuten Nierenversagens erschien dieser Effekt wesentlich von der kumulativ verabreichten HES-Menge abhängig zu sein.

Kommentar und Schlussfolgerungen

Den Autoren und allen teilnehmenden Studienzentren muss ein großes Lob für die Durchführung und die hochwertige Publikation dieser wichtigen Multizenterstudie bei einer komplexen Patientenpopulation ausgesprochen werden.

Ein Hauptproblem klinischer Studien in der Intensivmedizin scheint generell die weit verbreitete Annahme zu sein, durch Einzelinterventionen die Morbidität oder die Mortalität von kritisch kranken Patienten statistisch signifikant verändern zu können. Unglücklicherweise wird der Verlauf der kritischen Erkrankung jedoch durch viele und zeitgerecht durchgeführte Interventionen (z. B. chirurgische Maßnahmen, frühe und adäquate Antibiotikatherapie, Analgosedierungsregime, respiratorisches sowie hämodynamisches Management u.v.m.) beeinflusst. Zahlreiche Einzelmaßnahmen, die korrekt indiziert und zum richtigen Zeitpunkt durchgeführt werden, wirken sich in ihrer Summe möglicherweise nicht nur additiv, sondern synergistisch auf den Erkrankungsverlauf des Patienten aus. Zentrumspezifische Unterschiede im Ausmaß und in der zeitlichen Abfolge von verschiedenen Therapiemaßnahmen sind selbst mit den raffiniertesten statistischen Methoden nicht adäquat zu erheben.

Ein weiteres Problem liegt in der oft deutlichen Heterogenität der untersuchten Patientenpopulation, die auch durch strenge Ein- und Ausschlusskriterien oft nur ungenügend verhindert werden kann. Vergleichen wir z. B. das Blutzuckermanagement bei einem normalgewichtigen, durchschnittlich sportlichen Patienten mit dem eines adipösen unsportlichen Gleichaltrigen im septischen Schock: Bei Ersterem ist ein Normalisieren erhöhter Blutzuckerwerte meist einfach und komplikationslos zu erreichen und kann ein therapeutisch sinnvolles, sicher zu überwachendes Behandlungsziel darstellen. Beim adipösen Patienten mit wahrscheinlich jahrelang bestehendem latentem Diabetes ist dieses Ziel, wenn überhaupt, nur unter Einsatz sehr hoher Insulindosen zu erreichen und möglicherweise häufiger mit Therapiekomplikationen verbunden. Es stellt sich daher die Frage, ob bei letzteren Patienten andere Blutzuckerziele angestrebt werden sollten.

Bezüglich der beschriebenen negativen, dosisabhängigen Effekte einer Volumentherapie mit einer hyperonkotischen HES-Lösung erfahren wir als Leser nicht wirklich viel Neues [5]. Allerdings zeigt die VISEP-Studie auch nicht, dass die Verwendung einer 10%igen niedermolekularen HES-Lösung bis zu einer Tageshöchstmenge von 20 ml/kgKG beim Patienten ohne vorbestehendem Nierenschaden nachteilig ist. Ein möglicher Kritikpunkt des Studiendesigns ist, dass ein HES-Präparat untersucht wurde, das zumindest in Europa zunehmend durch neuere, modifizierte Lösungen ersetzt wird [6].

Aus dem bisher Gesagten erscheint es daher nicht verwunderlich, dass kürzlich der Wert randomisierter, kontrollierter Multizenterstudien zum Nachweis mortalitätssenkender Therapieinterventionen in der Intensivmedizin kritisch hinterfragt wurde [7]. Von insgesamt 72 untersuchten klinischen Studien mit dem Endziel Mortalitätssenkung zeigten lediglich 10 einen positiven Effekt, 55 keine Mortalitätssenkung, und 7 Studien wiesen eine Erhöhung der Mortalität nach.

Fazit für die Praxis

Trotz der ernüchternden Feststellung, dass die wenigsten intensivmedizinischen Therapien in der klinischen Praxis einen „evidenzbasierten Hintergrund“ haben, ist es in den letzten 15 Jahren gelungen, die Mortalität kritisch kranker Patienten in den meisten Institutionen drastisch zu senken [8]. Die VISEP-Studie zeigt eindrücklich, dass das strikte Festhalten an normoglykämischen Blutzuckerzielen beim Intensivpatienten gefährlich sein kann. Allerdings widerlegt sie auch nicht, dass bestimmte Patienten von einer strikten Blutzuckerkontrolle profitieren könnten. Bezüglich der unter Intensivmedizinern seit Jahrzehnten bestehenden Kontroverse über das „optimale“ Volumenmanagement bestätigt die Studie neuerlich den überlieferten Ausspruch von Paracelsus (1493–1541): „Dosis sola venenum facit“ (Allein die Menge macht das Gift).

Angesichts der zunehmend erkannten Komplexität der meisten Erkrankungsbilder des kritisch kranken Patienten scheint es an der Zeit zu sein, im Rahmen von Studien nicht mehr den Einfluss von Einzelinterventionen, sondern die Effekte von Gesamttherapiekonzepten (z. B. „early goal directed therapy“; [9]), basierend auf klinischen, tierexperimentellen sowie physiologischen Grundlagen, auf Morbidität und Mortalität zu untersuchen. Das deutsche Kompetenznetzwerk Sepsis (SepNet) würde dafür eine hervorragende und breite Basis bilden.