Eine algorithmusbasierte Gerinnungstherapie nach kardiochirurgischen Eingriffen mit EKZ kann den Transfusionsbedarf (EK, GFP und TK) und den Verbrauch an Gerinnungsfaktoren verringern sowie die Rethorakotomierate reduzieren [1, 2, 3, 4, 5]. Der Einsatz moderner POC-Diagnostik erleichtert zeitnah die wesentliche Differenzierung zwischen chirurgischer und diffuser nichtchirurgischer Blutung. Insbesondere die thrombelastographiegesteuerte Gerinnungsdiagnostik scheint der konventionellen Gerinnungsdiagnostik überlegen zu sein [1, 2, 3, 5, 6]. Sie ist jedoch aufgrund des logistischen und kurzfristig finanziellen Mehraufwands vorerst nicht regelhaft einsetzbar.

Präoperative Blutungsanamnese

Die präoperative Blutungsanamnese sollte die Grundlage jeglicher klinischer Algorithmen sein. Koscielny et al. [7] konnten zeigen, dass bereits präoperativ bestehende Gerinnungsstörungen überwiegend die primäre Hämostase betreffen. Eine Routinebestimmung von Quick, aPTT und Thrombozytenzahl kann diese Störungen nicht erfassen. Der Verdacht auf eine Thrombozytenfunktionsstörung muss aus der Anamnese geschlossen werden. Gerade Patienten vor herzchirurgischen Eingriffen erhalten standardmäßig eine antiaggregatorische Medikation. Ein etabliertes Monitoring dieser Substanzen im Bezug auf die Thrombozytenfunktion gibt es bis heute nicht. Die Einführung einer standardisierten Blutungsanamnese ermöglicht einerseits, die Patienten zu identifizieren, bei denen eine erweiterte Gerinnungsdiagnostik und ggf. Substitutionstherapie präoperativ notwendig werden, anderseits liefert sie wertvolle Hinweise auf therapeutische Implikationen bei unerwarteter perioperativer Blutung.

Auswahl des Antifibrinolytikums

Die prophylaktische Gabe der Antifibrinolytika Aprotinin, Tranexamsäure und ε-Aminokapronsäure senkt den Blutverlust, den Fremdblutbedarf und die Rethorakotomierate bei herzchirurgischen Eingriffen mit extrakorporaler Zirkulation (EKZ; [8]). Es ist bislang jedoch unklar, ob diese Medikamente in ihrer Effektivität vergleichbar sind. Die Metaanalyse von Carless et al. [9] zeigte einen geringeren Blutverlust nach Aprotinin im Vergleich zu Tranexamsäure. Der Transfusionsbedarf und die Rethorakotomierate waren jedoch nicht unterschiedlich. Leider bestanden herzchirurgischen Maßnahmen der eingeschlossenen Untersuchungen in der Mehrzahl aus ACVB-Operationen, sodass Patienten mit einem hohen Risiko für perioperative Blutungskomplikationen in der Metaanalyse unterrepräsentiert sind. Auch ist die direkte Vergleichbarkeit der Effektivität der Einzelsubstanzen eingeschränkt, da die Dosierungen innerhalb der eingeschlossenen Untersuchungen erheblich variieren. Eine aktuelle Analyse von Eingriffen mit hohem Transfusionsrisiko vergleicht den Transfusionsbedarf von 449 Patienten, die mit Aprotinin behandelt wurden, mit 449 (aus einem Pool von 10870) „gematchten“ Patienten, die mit Tranexamsäure behandelt wurden. Die Autoren fanden, dass Tranexamsäure eine dem Aprotinin vergleichbare fremdbutsparende hämostatische Potenz besitzt [10]. Eine Vergleichsuntersuchung zwischen Aprotinin und Tranexamsäure gibt es bei komplexen Eingriffen mit dem potenziell höchsten Blutungsrisiko (komplexe Aortenchirurgie mit tiefer Hypothermie, Herzklappeneingriffen bei Endokarditiden, schwere Thrombozytopathien) nicht. Es liegen in der Literatur jedoch Hinweise darauf vor, dass die fibrinolyseinduzierte Thrombozytenfunktionsstörung während der EKZ durch Aprotinin effektiver verhindert wird als durch alle anderen Antifibrinolytika [11]. Bei Tranexamsäure scheint die minimale effektive Dosis von 10 mg/kgKG Bolus mit anschließender Infusion von 1 mg/kgKG/h ([12]; in der Regel eine Gesamtdosis von 1–2 g) den höheren Dosen bis zu 10 g bei Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko unterlegen zu sein. Bei Aprotinin ist die Dosis-Wirkungs-Beziehung nach den Daten aus der „Multicenter Repeat CABG Study“ gut belegt [13]. Sowohl die volle als auch die halbe Hammersmith-Dosis ist wirksamer als die „Pump-prime-only“-Dosis von 2 Mio. KIU. Die höheren Dosen gehen aber auch mit einer höheren Inzidenz von Nebenwirkungen einher.

Das Risiko einer anaphylaktoiden Reaktion auf Aprotinin liegt im Fall einer Reexposition bei ungefähr 3%, davon verlaufen ca. 9% tödlich [14]. Innerhalb der ersten (3–)6 Monate nach der ersten Aprotiningabe ist die Gefahr einer anaphylaktoiden Reaktion am höchsten. Der Nachweis von Aprotinin-spezifischen IgG-Antikörpern hat zwar einen niedrigen Vorhersagewert auf zukünftige anaphylaktoide Reaktionen, das Fehlen der Antikörper macht jedoch eine Hypersensitivität sehr unwahrscheinlich. Eine Testdosis von 10.000 KIU (1 ml) sollte grundsätzlich dem wachen Patienten mit liegender arterieller Kanüle i.v. appliziert werden, um den Eingriff im Fall einer schweren anaphylaktoiden Reaktion verschieben zu können. Ist es nicht möglich, sollte die Applikation der Testdosis erst zu einem Zeitpunkt stattfinden, wenn ein Anschluss an die EKZ in wenigen Minuten möglich ist. Dies kann je nach Operateur und Eingriff zu einem unterschiedlichen Fixpunkt des intraoperativen Ablaufes sein (z. B. nach erfolgter aortaler Kanülierung oder nach Eröffnung des Perikards).

Bezüglich der Nebenwirkungen scheint Aprotinin im Vergleich zu Tranexamsäure ein höheres Risikoprofil zu besitzen. Die derzeitige kritische Diskussion der Untersuchungen von Mangano et al. [15] und Karkouti et al. [10] stellt eine prophylaktische Applikation von Aprotinin wegen deren negativen Einflusses auf die Nierenfunktion sowie die Morbidität und die Letalität der Patienten infrage. Für eine endgültige Aussage bezüglich des Nebenwirkungsprofils von Aprotinin müssen die Ergebnisse des multizentrischen kanadischen „Blood Conservation using Antifibrinolytics in a Randomized Trial“ (BART; [16]) abgewartet werden. Die erneute FDA-Evaluierung vom Dezember 2006 weist ausdrücklich auf die Gefahr von Nierenfunktionsstörungen und anaphylaktischen Reaktionen bei der Verwendung von Aprotinin hin. Die Prophylaxe mit Aprotinin wird demnach ausschließlich bei herzchirurgischen Eingriffen mit erhöhtem Blutungsrisiko empfohlen [17]. Tranexamsäure ist für die Prophylaxe bei kardiochirurgischen Eingriffen formal nicht zugelassen (s. Abschn. „Ergänzung“).

In dem vorgestellten Algorithmus wird die antifibrinolytische Prophylaxe bei primären kardiochirurgischen Eingriffen, einfacheren Doppeleingriffen (z. B. AKE mit ACVB) und Reoperationen demnach im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abwägung sowie nach dem heutigen Kenntnisstand über die Wirksamkeit der Medikamente mit Tranexamsäure durchgeführt (Infobox 2). Die dargestellte Dosierung ist nicht evidenzbasiert, sondern der Literatur entnommen und spiegelt die Erfahrung mehrerer herzchirurgischer Zentren wider. Bei Reoperationen innerhalb von 6 Monaten nach vorheriger Aprotiningabe, bei bekannter Allergie auf Aprotinin und bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz [Serum-Kreatinin-Wert >150 μmol/l (>1,7 mg/dl)] ist Aprotinin kontraindiziert. Eine antifibrinolytische Prophylaxe mit Aprotinin sollte nur bei Eingriffen erfolgen, bei denen das stark erhöhte Blutungsrisiko das potenzielle Risiko der renalen, kardialen und zerebralen Nebenwirkungen übersteigt. Infobox 2 zeigt die differenzierte Indikationsstellung und Dosierung für die antifibrinolytische Prophylaxe.

Algorithmus

Im Fall einer MVB (keine sichtbare Gerinnselbildung im Operationssitus und deutliche diffuse, nichtchirurgische Blutung) nach der primären Antagonisierung von Heparin sollten zunächst die Rahmenbedingungen für die Gerinnung entsprechend optimiert und die Konsequenzen aus der Medikamentenanamnese therapiert werden (Infobox 3). Die Therapie kann nach dem folgenden Algorithmus gesteuert werden (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Algorithmus für die Behandlung von diffuser mikrovaskulärer Blutung. Gestrichelte Linien Schritte zur Erfolgskontrolle. Fg Fibrinogen, Thr Thrombzyten

Zunächst müssen die ACT und, wenn möglich, bettseitig Quick-Wert, aPTT und Thrombozytenzahl bestimmt werden. Stehen diese diagnostischen Möglichkeiten nicht zur Verfügung, werden im Notfalllabor Quick-Wert, aPTT, AT, Fibrinogenkonzentration und ein kleines Blutbild bestimmt.

Suffiziente Antagonisierung von Heparin

Eine Repetitionsdosis von Protamin bei verlängerter ACT nach der primären Antagonisierung (ACT>135 s oder ACT>>ACTAusgang) sollte sehr vorsichtig titriert werden (2000–3000 IE). Vor einer erneuten Gabe sollte überprüft werden, ob nach der ersten Repetitionsdosis eine ACT-Verkürzung auch eingetreten ist [18]. Wenn das nicht der Fall ist, soll nach anderen Ursachen der ACT-Verlängerung gesucht werden. Bei Überdosierung kann Protamin selbst zu einer Verlängerung der ACT, zu einer Thrombozytenaggregationsstörung und so zu Blutungen führen [19]. Deshalb sollte die Gesamtdosis von Protamin 125% der initialen Heparindosis von 400 IE/kgKG nicht überschreiten (500 IE/kgKG). Bei Verfügbarkeit des ROTEM® (Pentapharm, München) kann ein Heparinüberschuss im HEPTEM-Ansatz sehr sensitiv nachgewiesen werden [20].

Behandlung plasmatischer Gerinnungsstörungen

Gefrorenes Frischplasma, Prothrombin-Komplex-Konzentrat und Antithrombin

Bei der Behandlung von plasmatischen Gerinnungsstörungen sollte die Therapie zunächst mit GFP in ausreichender Dosierung (mindestens 15 ml/kgKG) erfolgen. Sollte die errechnete Gesamtmenge zu einer Volumenüberladung des Patienten führen, ist eine Kombination mit PPSB möglich. Bei kritisch kranken Patienten mit erworbener Koagulopathie konnte die Gabe von 10 ml/kgKG GFP die kritisch erniedrigten Einzelfaktoren nur ungenügend anheben und so eine MVB-Neigung nicht ausreichend therapieren [21]. Eine prophylaktische Applikation von GFP ist nicht gerechtfertigt [22, 23]. Die Gabe von Antithrombin im Rahmen einer massiven Blutung ist nicht sinnvoll.

Fibrinogenkonzentrat

Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass das Fibrinogen im Rahmen eines Blutverlustes und der damit verbundenen Hämodilution seine kritische Konzentration von 1 g/l viel früher als andere Gerinnungsfaktoren und die Thrombozyten erreicht [24]. Die Toleranz niedriger Transfusionstrigger für Hämoglobin kann dazu führen, dass die Notwendigkeit zur Fibrinogensubstitution vor dem Erreichen des kritischen Hämatokrits eintritt [25]. Es ist bislang nicht kontrolliert untersucht, ob eine Fibrinogensubstitution bei koagulopathischen Patienten den Blutverlust senken kann. Die klinische Erfahrung mit der Substitution von Fibrinogen im Rahmen massiver Blutungen erscheint vielversprechend [26]. Jedoch gibt es bislang nur tierexperimentelle Arbeiten, die eine Verbesserung der Hämostase mit einer Reduktion des Blutverlustes und Verbesserung des Überlebens durch Fibrinogensubstitution belegen [27].

Durch 1000 ml GFP (4 Einheiten) werden ca. 2 g Fibrinogen zugeführt. Diese relativ kleine Menge in dem großen Volumen führt v. a. bei isovolämischen Patienten häufig zu einem unzureichenden Anstieg der Fibrinogenkonzentration. So führte die Gabe von 30 ml/kgKG GFP (10 Einheiten bei 80 kgKG) bei 22 Intensivpatienten zu einem durchschnittlichen Anstieg der Fibrinogenkonzentration um 1 g/l. Nach der Gabe von 10 ml/kgKG (3 Einheiten bei 80 kgKG) betrug der durchschnittliche Anstieg nur 0,40 g/l [21]. Ein ausreichender Anstieg der Fibrinogenkonzentration ist allein durch GFP-Gabe somit nicht immer möglich.

Die Interpretation der gemessenen Fibrinogenkonzentration mit der Trübungsmethode wird dadurch erschwert, dass Kolloide in der Messprobe durch zusätzliche Trübung falsch-hohe Werte liefern [28]. Eine ROTEM®-Analyse (MCF im FIBTEM) erfasst möglicherweise den funktionellen Fibrinogengehalt genauer und sollte v. a. vor einer Fibrinogensubstitution durchgeführt werden [29]. Bei einer MCF<10 mm im FIBTEM sollte bei einem blutenden Patienten Fibrinogen substituiert werden.

Zusammenfassend erscheint eine Fibrinogensubstitution im Rahmen einer MVB nicht nur beim Unterschreiten der kritischen Grenze von 1 g/l sinnvoll, sondern ist unabhängig davon auch in ausgewählten klinischen Situationen gerechtfertigt. Persistiert eine MVB auch nach chirurgischer Blutstillung, Optimierung der Rahmenbedingungen, suffizienter Heparinantagonisierung, Einsatz von Antifibrinolytika sowie Optimierung der Thrombinbildung (Quick-Wert >50%, aPTT <50 s) und der thrombozytären Gerinnungsstörungen, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein klinisch relevanter Fibrinogenmangel vor. Durch Dilution, Verlust und Verbrauch entwickelt sich ein solcher insbesondere bei einer präoperativen Fibrinogenkonzentration von unter 2,5g/l relativ schnell: Hier sollten 30 mg/kgKG Fibrinogen substituiert werden.

Behandlung thrombozytärer Gerinnungstörungen

Thrombozytenkonzenrate

Kardiochirurgische Patienten sind meistens mit Thrombozytenaggregationshemmern vorbehandelt. Zudem führt die EKZ zu einer multifaktoriellen Thrombozytenfunktionsstörung: Die Thrombozyten werden mechanisch geschädigt und durch den Fremdoberflächenkontakt aktiviert. Gesteigerte Fibrinolyse und Hypothermie induzieren eine zusätzliche Thrombozytenfunktionsstörung [11]. Auch die Gabe von Heparin führt zu einer unspezifischen Aktivierung und somit zum Verbrauch der Thrombozyten. Eine routinemäßige und v. a. bettseitige Untersuchung der Thrombozytenfunktion ist momentan klinisch noch nicht etabliert. Die Impedanzaggregometrie mit dem Multiplate® (Dynabyte, München) kann diese Lücke möglicherweise in der Zukunft füllen [30, 31], allerdings sind hierfür noch weitere Evaluationsstudien notwendig. Der von der Bundesärztekammer empfohlene Grenzwert von 50/nl für die Thrombozytensubstitution erwies sich in der Kardiochirurgie als nicht ausreichend. Nach dem vorliegenden Algorithmus sollte bei weiterhin bestehender diffuser Blutungsneigung und bereits optimierter plasmatischer Gerinnung bei einer Thrombozytenzahl von unter 80/nl Thrombozyten substituiert werden. Die Thrombozytengabe sollte beim blutenden Patienten auch unabhängig von der Thrombozytenzahl in Erwägung gezogen werden, falls der Verdacht auf eine schwere Thrombozytenfunktionsstörung besteht (z. B. Clopidogreleinnahme bis zu 4 Tagen vor dem Eingriff).

Desmopressin

Desmopressin setzt Von-Willebrand-Faktor und FV III aus dem Endothel der Lebersinusoide frei und verbessert dadurch die primäre Hämostase [32]. Eine prophylaktische Anwendung von Desmopressin bei allen herzchirurgischen Patienten zeigte keinen Nutzen [33]. Bei Patienten mit Leberzirrhose [34], Urämiepatienten [35] und Patienten mit ASS-Vorbehandlung bis zum Operationstag [36] ist die Desmopressingabe jedoch wirksam. Ein Therapieversuch mit Desmopressin bei diffus blutenden Patienten mit schwerer Aortenklappenstenose ist sinnvoll, weil ca. 30% dieser Patienten ein erworbenes Von-Willebrand-Syndrom haben [37]. Die Dosis beträgt 0,3 µg/kgKG über 30 min am Ende der EKZ und kann frühestens 6 h später wiederholt werden [38]. Eine dritte Gabe ist aufgrund einer Erschöpfung der Speicher nicht mehr sinnvoll. Eine zu rasche Infusion kann eine Hypotonie verursachen. Hohe Desmopressindosen können zu antidiuretischen Nebenwirkungen mit Wasserretention und Hyponatriämie führen [32]. Desmopressin bewirkt durch die Freisetzung von tPA aus den Endothelzellen initial eine geringfügige Aktivierung der Fibrinolyse [39]. Daher kann in einer Blutungssituation die gleichzeitige Gabe eines Antifibrinolytikums sinnvoll sein; dies ist in der Kardiochirurgie meist ohnehin der Fall.

Rekombinanter aktivierter Faktor VII

Das zugelassene Indikationsspektrum von rFVIIa ist sehr eng und erstreckt sich im Wesentlichen auf Hämophiliepatienten, Glanzmann-Thrombasthenie und angeborenen Faktor-VII-Mangel. In den vergangenen Jahren wächst die Anzahl der Berichte und Studien, in denen rFV IIa bei nichthämophilen Patienten mit massiven nichtbeherrschbaren Blutungen erfolgreich eingesetzt worden ist („Off-label“-Einsatz). Bei den meisten Veröffentlichungen handelt es sich um Fallberichte, Fallserien und retrospektive Analysen mit historischen Kontrollgruppen. Diese haben keine klaren Einschlusskriterien, keine echten Kontrollgruppen und sind nicht randomisiert [40, 41]. Eine Sicherheitsanalyse und die Durchführung einer validen Statistik sind im Rahmen solcher Arbeiten nicht möglich. Schließlich sind Fallberichte mit einem „publication bias“ behaftet. Die randomisierten kontrollierten Studien zum Off-label-Einsatz von rFV IIa konnten nicht den gleichen Erfolg wie die unkontrollierten Kohortenstudien aufweisen [42]. Die Untersuchung von Diprose et al. hat zwar eine Reduktion des Transfusionsbedarfes bei komplexen nichtkoronarchirurgischen Eingriffen mit der EKZ zeigen können, das Kollektiv war jedoch sehr klein (n=19; [43]).

Neben dem Risiko für thromboembolische Komplikationen [44] ist die Substanz auch sehr teuer und ihr Einsatz damit Ausnahmesituationen vorbehalten.

Zusammenfassend sollte ein Off-label-Einsatz von rFV IIa nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn alle bisher erläuterten Therapiemaßnahmen optimiert sind und eine massive diffuse Blutung weiterhin besteht. In solchen Fällen sollte der Einsatz auf eine interdisziplinäre Entscheidung zwischen Anästhesisten, Herzchirurgen und – sofern verfügbar – Hämostaseologen beruhen. Die Dosis sollte 90 μg/kgKG betragen. Repetitionsdosen können bei nichtausreichender Wirkung nach 1–3 h verabreicht werden.

Ausblick

Ein bedeutsamer Schritt der momentanen Entwicklung im Gerinnungsmanagement ist die Verlagerung der perioperativen Diagnostik in den POC-Bereich.

Zweifelsohne ist die schnellste Methode zur Gerinnungsdiagnostik immer noch der „Blick über das Tuch“. Die Ergebnisse der Blutgasanalyse, die Thrombozytenzahl (wenn bettseitig bestimmt wird) und ACT stehen innerhalb von 10 min zur Verfügung (Abb. 2). Die Werte aus dem Zentrallabor erreichen den Arzt in der Regel nicht früher als 45 min nach der Blutentnahme. Dazwischen liegt die kritische Phase für die Patienten, in der im klinischen Alltag häufig „blind“ nach dem „Trial-and-error“-Prinzip therapiert wird. Das heißt, es werden unterschiedliche Blutprodukte und Gerinnungsfaktoren appliziert, bis die Blutung steht. Dadurch wird der Patient unnötig potenziellen oder tatsächlichen Nebenwirkungen und Risiken ausgesetzt, und es entstehen zusätzliche Kosten. Deshalb ist es notwendig, die Ursache der Gerinnungsstörung möglichst präzise und schnell zu verifizieren. Die POC-Methoden können in dieser kritischen Phase wichtige Informationen für die Therapie liefern (Abb. 2). Insbesondere ROTEM® und Multiplate® haben eine differenzierte Aussagekraft und können die sich mitunter sehr schnell entwickelnden Veränderungen des Hämostasepotenzials bei akuten und massiven Blutverlusten einfach, schnell und umfassend aus dem Vollblut darstellen.

Abb. 2
figure 2

Zeitbedarf der verschiedenen Methoden zur Gerinnungsdiagnostik. Stellenwert der POC-Analyse (Erläuterungen im Text). BB Blutbild, BGA Blutgasanalyse, Thr Thrombozytenzahl

Diese Entwicklung impliziert einerseits, dass sich Anästhesisten mehr als zuvor mit der Pathophysiologie und Therapie von Gerinnungsstörungen auseinandersetzen müssen. Andererseits ist eine standardisierte Interpretation der Ergebnisse der POC-Methoden in Verbindung mit der klinischen Situation Grundvoraussetzung für die Ermöglichung einer zielgerichteten Therapie der Gerinnungsstörung. Schließlich sollten mit den neueren POC-Methoden Therapiealgorithmen erstellt und diese klinisch prospektiv evaluiert werden.

Fazit für die Praxis

Vor herzchirurgischen Eingriffen ist die Erhebung der detaillierten Blutungsanamnese wesentlich, um primäre Hämostasestörungen festzustellen. Eine prophylaktische antifibrinolytische Therapie sollte derzeit mit Tranexamsäure erfolgen. Im Fall einer anhaltenden diffusen Blutung nach der Heparinantagonisierung und erfolgter chirurgischer Blutstillung sollte GFP ggf. in Kombination mit PPSB appliziert werden. Bei einer Fibrinogenkonzentration unter 1 g/l oder bei dem klinischen Verdacht auf einen Fibrinogenmangel bzw. eine Fibrinpolymerisationsstörung sollte bei fortbestehender MVB Fibrinogen substituiert werden. Bei einer Thrombozytenzahl unter 80/nl oder dem Verdacht einer Thrombopathie sollten Thrombozytenkonzentrate verabreicht werden. Bei primären Hämostasestörungen im Rahmen einer bekannten Nieren- oder Leberinsuffizienz oder Dauermedikation mit ASS kann die Infusion von Desmopressin hilfreich sein. Der Einsatz von rFV IIa sollte für therapierefraktäre Blutungen trotz adäquater Substratsubstitution begrenzt werden. Für eine gezieltere Diagnostik und Therapie der diffusen, nichtchirurgischen Blutung stellen die ROTEM®- und Multiplate®-Analysen vielversprechende Methoden dar.

Ergänzung

Das BfArM hat für das Aprotinin am 05.11.2007 mit sofortiger Wirkung das Ruhen der Zulassung angeordnet. Diese Anordnung ist zunächst bis Ende März 2008 befristet. Nach den vieldiskutierten Ergebnissen der Arbeiten von Mangano et al. [15] und Karkouti et al. [10] wurde im Oktober 2007 zunächst ein Stufenplanverfahren zur Neubewertung des Nutzen-Schaden-Verhältnisses von Aprotinin durchgeführt. Eine Reanalyse der Studien durch das FDA konnte die negativen Effekte auf die Nierenfunktion bestätigen; dagegen wurden negative Auswirkungen auf zerebrovaskuläre, kardiovaskuläre Ereignisse und auf die Krankenhaussterblichkeit nicht signifikant demonstriert. Es wurden Änderungen der Produktinformation zu Trasylol veranlasst. Der Abschnitt Nebenwirkungen wurde mit Beeinträchtigung der Nierenfunktion und mit akutem Nierenversagen ergänzt. Die Indikation wurde eingeschränkt, dass Aprotinin ausschließlich bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für Blutverlust oder Bluttransfusionen eingesetzt werden darf. Ferner wurde entschieden, vor weitergehenden Maßnahmen die Ergebnisse der unabhängig vom pharmazeutischen Unternehmer durchgeführten, vom kanadischen Gesundheitsministerium geförderten randomisierten, kontrollierten, multizentrischen BART-Studie abzuwarten. In der Studie wurde Aprotinin gegen Tranexamsäure und ε-Aminokapronsäure hinsichtlich der Reduzierung von massiven Blutungen, dem Bedarfes an Bluttransfusionen sowie der Inzidenz von Komplikationen an ca. 2700 herzchirurgischen Hochrisikopatienten untersucht. Ende Oktober 2007 wurde die Studie vorzeitig beendet. Der primäre Endpunkt, eine Reduktion des absoluten Risikos für das Auftreten massiver postoperativer Blutungen um 3% und für die Notwendigkeit von Bluttransfusionen um 10% bei der Behandlung mit Aprotinin gegenüber den Vergleichsgruppen war bei einer geplanten Zwischenauswertung bereits erreicht worden. Gleichzeitig war die Mortalitätsrate der mit Aprotinin behandelten Patientengruppe im Vergleich zu Patienten, die mit Tranexamsäure oder mit ε-Aminokapronsäure behandelt wurden, erhöht. Nach Analysen durch das Data Safety Monitoring Board war das relative Risiko in der Aprotiningruppe gegenüber dem Arzneimittel B 1,5 (p=0,06) und dem Arzneimittel C 1,5 (p=0,08). Diese Ergebnisse haben zu der vorzeitigen Beendigung der BART-Studie geführt. Detaillierte Ergebnisse liegen derzeit noch nicht vor. Aus diesen Gründen steht in Deutschland momentan nur Tranexamsäure zur antifibrinolytischen Prophylaxe zur Verfügung.