Zusammenfassung
Pharmakokinetische Modelle können in physiologisch basierte und empirische Modelle unterschieden werden. Traditionell erfolgt die Beschreibung der Pharmakokinetik volatiler Anästhetika mithilfe physiologisch basierter Modelle unter Verwendung der jeweiligen Gewebe-Blut-Verteilungskoeffizienten. Die Kompartimente des empirischen Modells weisen kein anatomisches Korrelat auf, sondern sind durch das mathematische Verfahren der Parameterabschätzung entstanden. Die endexspiratorische Konzentration von volatilen Anästhetika entspricht nahezu der arteriellen Konzentration, daher kommt der Beschreibung des Übertritts zwischen Plasma und Wirkort für volatile Anästhetika eine zentrale Rolle zu. Der wichtigste Parameter ist hierbei der ke0-Wert; dieser ist eine zeitliche Konstante und beschreibt die zeitliche Verzögerung beim Übergang zwischen dem zentralen Kompartiment und dem berechneten Effektkompartiment. Die ke0-Werte für Sevofluran und Isofluran unterscheiden sich nicht; der Konzentrationsausgleich zwischen dem Zentral- und dem Effektkompartiment bei Desfluran hingegen erfolgt doppelt so schnell. In der klinischen Praxis werden volatile Anästhetika in der Regel mit N2O und/oder Opioiden kombiniert. Dabei ergibt sich eine additive Interaktion von volatilen Anästhetika und N2O. Die Interaktion zwischen volatilen Anästhetika und Opioiden ist hingegen synergistisch. Für die klinisch weit verbreitete Dreifachkombination von volatilen Anästhetika, N2O und Opioiden liegen hingegen kaum Interaktionsuntersuchungen vor.
Abstract
Pharmacokinetic models can be differentiated into two groups: physiological-based models and empirical models. Traditionally the pharmacokinetics of volatile anaesthetics are described using physiological-based models together with the respective tissue-blood distribution coefficients. The compartments of the empirical model have no anatomical equivalents and are merely the product of the mathematical procedure for parameter estimation. The end expiratory concentration of volatile anaesthetics is approximately equal to the arterial concentration and, therefore, the description of the transition between plasma and effect site for volatile anaesthetics plays a central role. The most important parameter here is the ke0 value which is a time constant and describes the time delay for the transition from the central compartment to the calculated effect compartment. The ke0 values for sevoflurane and isoflurane are the same but the concentration balance between the end-tidal concentration and the effect compartment occurs twice as quickly with desflurane. In clinical practice volatile anaesthetics are normally combined with N2O and/or opioids. This results in an additive interaction between volatile anaesthetics and N2O but a synergistic interaction of volatile anaesthetics with opioids. However, there are relatively few investigations on the interactions between the clinically widely used combination of volatile anaesthetics, N2O and opioids.
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Einleitung
Eines der Hauptziele der Allgemeinanästhesie besteht in der Ausschaltung des Bewusstseins mit anschließender Amnesie für die Dauer der Operation. Dieses Ziel wird durch intravenöse Anästhetika wie z. B. Propofol oder durch volatile Anästhetika wie Desfluran, Sevofluran oder Isofluran erreicht. Für die Beschreibung der Pharmakologie dieser Anästhetika werden unterschiedliche pharmakokinetische Modelle verwendet, die sich vereinfacht in zwei Arten klassifizieren lassen: physiologische und empirische Modelle. Physiologische Modelle beruhen auf Kenntnissen der Physiologie und versuchen die menschliche Anatomie nachzubilden; hierbei repräsentiert jedes Kompartiment des Modells je einen Teil des Körpers wie z. B. Gehirn oder Fettgewebe [123, 126]. Im Gegensatz dazu haben die Kompartimente des empirischen Modells kein wahres anatomisches Korrelat, sondern sind virtuelle Größen, die durch das mathematische Verfahren der Parameterabschätzung bestimmt werden. Unter anderem wird dabei die sog. Effektkompartimentkonzentration berechnet; diese ist ein Ausdruck der Dynamik (EEG-Effekt) und beschreibt die Konzentration in einem virtuellen Kompartiment, dem Effektkompartiment. Die Berechnung der Effektkompartimentkonzentration erfolgt aus der Plasma- oder der endtidalen Konzentration mithilfe des ke0-Werts; dieser ist eine zeitliche Konstante und beschreibt die Zeitdauer beim Übergang vom zentralen Kompartiment in das Effektkompartiment [93].
In der klinischen Routine werden für intravenöse Anästhetika zunehmend empirische pharmakokinetische/pharmakodynamische (PK/PD) Modelle für eine optimierte Dosierung verwendet. Diese PK/PD-Datensätze [82, 105] stellen die Grundlage für „Target-controlled-infusion- (TCI)-Systeme“ dar und ermöglichen die Berechnung von Plasma- und Effektkompartimentkonzentrationen. Die Plasmakonzentration wird dabei zumeist auf der Grundlage eines Dreikompartimentmodells berechnet. Für moderne Propofol-Datensätze konnte eine Abweichung zwischen gemessener und berechneter Plasmakonzentration von lediglich 18% gezeigt werden [51, 57]. Aus der so berechneten Plasmakonzentration wird dann die Effektkompartimentkonzentration berechnet.
Für volatile Anästhetika werden derartige PK/PD-Modelle in der klinischen Routine noch nicht verwendet, stattdessen werden die gemessene endexspiratorische Konzentration und die minimale alveoläre Konzentration (MAC-Wert) herangezogen. Eine tatsächliche Beurteilung der hypnotischen Komponente der Allgemeinanästhesie ist mit diesen Werten allerdings nur bedingt möglich.
Eine Möglichkeit, die hypnotische Komponente am Erfolgsorgan zu erfassen, liegt in der Beurteilung des Narkoseelektroenzephalogramms (Narkose-EEG). Die Überwachung des Narkose-EEG galt bis Mitte der 1990er Jahre als unzuverlässig und zudem wenig praktikabel. Diese Situation hat sich erst in den letzten Jahren grundlegend geändert. Bedingt durch die Fortschritte der Computer- und Monitortechnologie, konnten kleine Kompaktgeräte entwickelt werden, die komplexe Rechenoperationen in Sekundenschnelle durchführen. Vor dem Hintergrund dieser technischen Möglichkeiten können nun verschiedene Indizes aus dem EEG berechnet werden, die dann unmittelbar am Narkosearbeitsplatz zur Verfügung stehen und dem Kliniker bei der Steuerung der Anästhesie nützliche Zusatzinformationen liefern können (für eine detaillierte Beschreibung der EEG-Grundlagen und der vorhandenen Monitor-Systeme s. [119]). Mithilfe dieser Indizes ist es nun für die verschiedenen Anästhetika möglich, empirische Dosis-Wirkungs-Kurven zu erstellen [65].
In der vorliegenden Arbeit sollen die Grundlagen der Pharmakokinetik und -dynamik von volatilen Anästhetika dargestellt und verschiedene PK/PD-Modelle auf der Grundlage der vorhandenen EEG-Indizes verglichen werden. Weiterhin werden Interaktion von volatilen Anästhetika mit N2O und Opioiden dargestellt. Aktuelle Forschungsprojekte und Entwicklungen zur Vereinfachung der Narkoseführung mit volatilen Anästhetika stellen den Abschluss dieser Übersicht dar.
Grundlagen physiologischer Modelle der Pharmakologie
Traditionell erfolgt die Beschreibung der Pharmakokinetik volatiler Anästhetika anhand eines Modells, das sich an der Physiologie des menschlichen Körpers orientiert. Das volatile Anästhetikum wird von dem Kompartiment Lunge aufgenommen und dann zu den anderen Gewebskompartimenten umverteilt: Niere, Hirn, Herz, Leber (einschließlich aller anderen gut durchbluteten Organe), Muskeln, Binde- und Fettgewebe (Abb. 1).
Aus Alter, Körpergewicht, Größe und Geschlecht werden die physiologischen Parameter einschließlich Gewebevolumen, Blutvolumen, Herzzeitvolumen, Totraum, Alveolarraum und Tidalvolumen abgeleitet. Beispielhaft sind in Tab. 1 Volumen und Blutfluss für verschiedene Kompartimente wiedergegeben, wie sie von Lerou [75] verwendet wurden.
Allerdings besteht ein erheblicher Unterschied in den Angaben für Organvolumen und Kompartimentblutfluss zwischen verschiedenen Autoren [16, 12], ebenso in der Anzahl der Kompartimente, die für die Beschreibung des Modells verwendet wird. Verfeinerungen dieses physiologischen Basismodells ermöglichen die Modellierung des Einflusses der Anästhetikakonzentration auf das Herzzeitvolumen und auf den Kompartimentblutfluss, den Einfluss von peripheren Shunts [75] und Ventilations-Perfusions-Missverhältnissen [76]. Ein Basismodell für die Aufnahme und die Verteilung eines volatilen Anästhetikums unterteilt den Körper und den „closed anesthetic circuit“ in ein System mit verschiedenen Kompartimenten. Für jedes dieser Kompartimente wird Folgendes angenommen [75]:
Durch ein Kompartiment (W) mit dem Volumen (Vw) fließt mit dem Zeitvolumen (V/t) eine Flüssigkeit, die das volatile Anästhetikum mit der Konzentration (Cin) mit sich trägt. Die ausströmende Konzentration (Cout) entspricht dabei im Gleichgewichtszustand der Konzentration in dem Kompartiment (Cw). Qother entspricht einer zusätzlichen Menge an volatilem Anästhetikum, die pro Zeiteinheit in das Kompartiment gelangt und z. B. aus anderen Kompartimenten stammt. Dies ist in Abb. 2 schematisch und als mathematische Formel dargestellt.
Pharmakokinetik volatiler Anästhetika
Die chemische Struktur der modernen volatilen Anästhetika ist sich sehr ähnlich: Es handelt sich bei allen um halogenierte Methyläther. Desfluran unterscheidet sich von Isofluran z. B. nur in der Substitution von Chlor durch Fluor. Diese geringen Unterschiede in der chemischen Struktur führen allerdings zu erheblichen Unterschieden in der Pharmakokinetik und -dynamik.
Für eine Allgemeinanästhesie müssen die volatilen Anästhetika über die Lunge aufgenommen und dann im Blut gelöst werden. Anschließend erfolgen der Transport im Kreislauf und dann der Übertritt vom Blut zum Gehirn. Die Geschwindigkeit, mit der eine Veränderung der Anästhesietiefe erreicht werden kann, ist somit auch von der Löslichkeit des Inhalationsanästhetikums im Blut und den verschiedenen Geweben abhängig. Hier spielen nun die verschiedenen Verteilungskoeffizienten eine Rolle, die prinzipiell beschreiben, wie sich ein Stoff zwischen zwei Medien verteilt. Ein Blut-Gas-Verteilungskoeffizient von 0,65 für Sevofluran bedeutet, dass im Gleichgewichtszustand die Konzentration von Sevofluran im Blut 65% der Konzentration in der Alveolarluft entspricht. Die Verteilungskoeffizienten für Blut und Gas sowie Blut und Gewebe verschiedener Inhalationsanästhetika sind in Tab. 2 angegeben.
Ein hoher Blut-Gas-Verteilungskoeffizient geht mit einer vermehrten Aufnahme ins Blut einher, sodass sich ein Gleichgewichtszustand zwischen der Konzentration in den Alveolen und der Konzentration im Blut nur langsam einstellt. Hingegen führt ein geringer Blut-Gas-Verteilungskoeffizient, wie z. B. bei Desfluran, zu einem schnellen Anstieg der alveolären Konzentration während der Anflutung und zu einem raschen Abfall bei der Abflutung. Gleichzeitig bedeutet ein hoher Gewebe-Blut-Verteilungskoeffizient, dass es zu einer verzögerten Anreicherung im Gewebe kommt. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der Gehirn-Blut-Verteilungskoeffizient: Ein hoher Verteilungskoeffizient führt hier zu einem verzögerten Anstieg der Konzentration im Gehirn und damit zu einem verzögerten hypnotischen Effekt. Die Abflutung des Anästhetikums aus dem Gehirn bei Beendigung der Zufuhr ist entsprechend verzögert. Für eine schnelle Änderung der „Anästhesietiefe“ sind also sowohl ein niedriger Blut-Gas- als auch ein niedriger Gehirn-Blut-Verteilungskoeffizient ideal.
Der Fett-Blut-Verteilungskoeffizient ist von besonderer Bedeutung für das Abflachen der Anästhesie am Operationsende. Er beträgt für die gebräuchlichen Anästhetika zwischen 29 (Desfluran) und 52 (Sevofluran). Dieser Unterschied erklärt den Einfluss der Narkosedauer auf die Aufwachdauer. Bei einer längeren Anästhesiedauer kommt es zu höheren Konzentrationen im Fettgewebe und zu einer längeren Abgabe ins Blut. Dieser Effekt ist bei einem hohen Fett-Blut-Verteilungskoeffizient stärker ausgeprägt als bei einem niedrigeren. Daher ist der Unterschied in den Aufwachzeiten zwischen Sevofluran und Desfluran bei langen Eingriffen mit entsprechend langer Aufsättigung der Kompartimente ausgeprägter als bei kurzen Eingriffen.
Diese theoretischen Überlegungen konnten in verschiedenen Untersuchungen bestätigt werden. Der Ausgleich zwischen endexspiratorischer und inspiratorischer Konzentration ist bei Desfluran, dem volatilen Anästhetikum mit der geringsten Löslichkeit, sowohl bei der Anflutung als auch bei der Abflutung schneller als bei Sevofluran oder Isofluran (Abb. 3 und 4; [19, 20, 43, 120, 121]).
Klassische Beschreibung der Pharmakodynamik volatiler Anästhetika
Für den Vergleich der Wirksamkeit verschiedener volatiler Anästhetika und für die Steuerung der Narkose ist ein indirektes Maß für die Wirkstärke erforderlich. Üblicherweise wird dafür der MAC-Wert verwendet. Der MAC50-Wert eines Inhalationsanästhetikums ist die minimale alveoläre Konzentration, bei der 50% der Patienten auf einen Hautschnitt nicht reagieren. Die Bestimmung erfolgte mithilfe von Studienreihen [38, 46, 89, 103, 112], bei denen die Konzentration bei der Durchführung der Hautinzision schrittweise gesteigert und reduziert wurde, bis eine Reaktion genau bei 50% der Patienten auftrat. Der MAC-Wert wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, beispielsweise Kombination mit Opioiden und anderen Anästhetika, Alter der Patienten [69, 81, 85, 86, 89, 125], Körpertemperatur [4, 21] oder Alkoholabusus. Dagegen haben Geschlecht, Körpergröße und Körpergewicht keinen Einfluss auf den MAC-Wert. Neben der oben genannten MAC50-Definition wurden im Laufe der Jahre weitere MAC-Definitionen eingeführt. Der MACEI50 und der MACEI95 geben die alveoläre Konzentration an, bei der 50% bzw. 95% der Patienten auf die endotracheale Intubation nicht mit einer Bewegung der Extremitäten, mit Pressen oder mit Husten reagieren [13, 40, 41]. Der MACBAR50 („blocks autonomic responses“) und der MACBAR95 entsprechen derjenigen Konzentration des Inhalationsanästhetikums, bei der bei 50% bzw. 95% der Patienten die adrenerge Reaktion auf einen Hautschnitt unterdrückt wird [95]. Der MACawake-Wert gibt die Konzentrationen an, bei der 50% der Patienten auf Aufforderung die Augen öffnen.
Lange Zeit galt der MAC-Wert als Maß für die Anästhesietiefe. Allerdings konnten Rampil et al. [90, 91] in Versuchen an Ratten sowie Antognini u. Schwartz [3] an Ziegen zeigen, dass es sich bei einer Bewegungsantwort auf einen schmerzhaften Reiz nicht um eine kortikale, sondern um eine spinale Reaktion handelt: In den Tierexperimenten wurde der MAC-Wert vor und nach einer Dezerebration bestimmt; dabei zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Messungen. Die MAC-Werte spiegeln also kein Maß für die hypnotische Komponente einer Allgemeinanästhesie wider, sondern sind lediglich ein Maß für die Unterdrückung von spinalen Reaktionen.
Empirische Modelle für Inhalationsanästhetika
Effektkompartimentkonzentration und ke0-Wert
Wird der Effekt von Anästhetika mithilfe des EEG am Erfolgsorgan, dem Gehirn, bestimmt, ist es nicht ausreichend, allein die endtidale Konzentration zu betrachten. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass die Inhalationsanästhetika eine gewisse Zeit für den Konzentrationsausgleich zwischen der Lunge („endtidale Konzentration“) und dem Gehirn („Anästhesiewirkung“) benötigen. Diese zeitliche Verzögerung zwischen der maximalen endtidalen Konzentration und dem maximalen Effekt im EEG wird als Hysterese bezeichnet (Abb. 5).
In empirischen PK/PD-Modellen wird die Hysterese durch Hinzunahme eines fiktiven Kompartiments berücksichtigt; dieses wird als Effektkompartiment oder „effect site“ bezeichnet. Die Umverteilung vom zentralen Kompartiment in das Effektkompartiment wird durch eine zeitliche Konstante, den ke0-Wert, beschrieben. Jedes Anästhetikum hat einen eigenen spezifischen ke0-Wert; gleichzeitig besteht eine große interindividuelle Variabilität. Generell gilt eine umgekehrte Proportionalität zwischen dem ke0-Wert und der Hysterese: Je kleiner der ke0-Wert, umso größer ist die Hysterese, d. h. umso länger dauert der Konzentrationsausgleich zwischen den Kompartimenten.
Um individuelle ke0-Werte bestimmen zu können, wird die Anästhetikazufuhr standardisiert gesteigert und nach Erreichen eines maximalen EEG-Effekts wieder reduziert. Trägt man die endtidale Konzentration nun gegen den gemessenen EEG-Effekt auf, kommt es zur Ausbildung einer Schleife. Wie in Abb. 6 dargestellt, kann daher bei einer schnellen Veränderung der Dosierung von der endtidalen Konzentration nicht auf die „Anästhesietiefe“ geschlossen werden. Während der Anflutungsphase kann bei diesem Beispielpatienten bei einer endexspiratorischen Konzentration von 3 Vol.-% Sevofluran ein Narcotrend-Indexwert von 60 beobachtet werden; bei gleicher endexspiratorischen Konzentration während der Abflutung wird hingegen ein Indexwert von 10 ermittelt. Trotz der gleichen gemessenen endtidalen Konzentration wird ein erheblicher Unterschied im Narkose-EEG beobachtet, der sich durch die oben genannte Hysterese erklärt.
Durch die Berechnung der Effektkompartimentkonzentration (unter Zuhilfenahme des ke0-Werts) kollabiert die Schleife und ermöglicht so weitere Analysen (Abb. 7). Der ke0-Wert kann im Rahmen eines PK/PD-Modells oder modellunabhängig berechnet werden.
Mit der folgenden Formel kann mithilfe des ke0-Werts die endtidale Konzentration in die Effektkompartimentkonzentration umgerechnet werden:
Dabei ist Cet die endtidale Konzentration, und Ceff ist die Effektkompartimentkonzentration.
Die Berechnung des ke0-Werts erfolgt üblicherweise im Rahmen eines PK/PD-Modells in der Kombination mit einer Dosis-Wirkungs-Kurve. Eine modellunabhängige Berechnung ist ebenfalls möglich, indem die Fläche in der Hystereseschleife minimiert oder die Vorhersagewahrscheinlichkeit („prediction probability“, PK-Wert) maximiert wird.
Klassisches Emax-Modell
Die Beurteilung der klinischen Wirkung eines Medikaments erfolgt üblicherweise mit einer Dosis-Wirkungs-Kurve. Hierbei wird die berechnete Effektkompartimentkonzentration gegen den Effekt aufgetragen, bei Anästhetika beispielsweise gegen den EEG-Effekt. Dosis-Wirkungs-Kurven werden klassischerweise als sigmoidale, sog. Hill-Funktion beschrieben ([37]; Abb. 8).
Die Berechnung des Emax-Modells erfolgt mit der folgenden Formel:
Hierbei beschreibt der E0-Wert den Ausgangswert ohne EEG-Effekt, der Emax-Wert gibt hingegen den EEG-Indexwert bei einem maximalen Anästhetikumeffekt an. Der C50-Wert gibt die Anästhetikumkonzentration an, bei der 50% des maximalen EEG-Effekts gemessen werden. Der λ-Wert beschreibt die Steilheit der Dosis-Wirkungs-Kurve. Ceff ist die mit dem ke0-Wert berechnete Effektkompartimentkonzentration. Die sigmoidale Funktion hat hierbei den Vorteil einer generell großen Flexibilität.
Berechnung eines klassischen Emax-Modells
Zunächst wird bei mehreren Patienten und möglichst standardisierten Umgebungsbedingungen ein Inhalationsanästhetikum in einem klinisch relevanten Konzentrationsbereich zugeführt und parallel dazu der entsprechende EEG-Indexwert aufgezeichnet. Nach einer Wartezeit – die Wirkung der Einleitungsanästhetika muss abgeklungen sein – wird die Konzentration des Inhalationsanästhetikums standardisiert gesteigert und dann wieder reduziert; parallel dazu wird der EEG-Effekt beispielsweise mit einem BIS- oder einem Narcotrend-Monitor aufgezeichnet.
Die Berechnung der Dosis-Wirkungs-Kurve und des ke0-Werts erfolgt in der Regel in einem Schritt. In der Literatur werden dafür zwei verschiedene Verfahren verwendet, entweder für den individuellen Patienten oder als „population fit“ für alle Patienten einer Untersuchung.
Zur Erstellung einer für den individuellen Patienten optimierten Dosis-Wirkungs-Kurve werden der ke0-Wert und die Parameter der Dosis-Wirkungs-Kurve mathematisch so verändert, dass die Korrelation (R2) zwischen dem PK/PD-Modell und den gemessenen EEG-Indexwerten maximiert wird. Hierfür wird die mittlere quadratische Abweichung („squared error“) zwischen der gemessenen und der berechneten Konzentration minimiert; dies führt dann zu einer Maximierung des Korrelationskoeffizienten R2 („coefficient of determination“; [8]):
Hierbei gilt:
SSE–Summe der mittleren quadratischen Abweichung (sum of squared errors)= Summe der Quadrate der Differenz zwischen beobachteter (yi) und der durch das Modell vorhergesagten Konzentration
zu einem bestimmten Zeitpunkt.
SST – Gesamtsumme der Quadrate (total sum of squares)= Summe der Quadrate der Differenz zwischen jeder aktuellen Messung und dem Durchschnitt aller Messungen
.
Für die Interpretation der R2-Werte gilt: Ein Wert von 1 bedeutet, dass eine Veränderung des EEG-Parameters zu 100% durch eine Veränderung der Effektkompartimentkonzentration des Anästhetikums erklärt werden kann. Ein R2-Wert von 0 hingegen bedeutet, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Effektkompartimentkonzentration und dem EEG-Index gibt (Abb. 9).
Die Berechnung kann mit dem Software-Programm Excel (Microsoft) erfolgen. Mit der Solver-Funktion wird der R2-Wert maximiert, indem der ke0-Wert und die Parameter der Dosis-Wirkungs-Kurve in einem Schritt optimiert werden.
Eine weitere Möglichkeit, PK/PD-Modelle zu berechnen, besteht in der Verwendung des Software-Paketes NONMEM (GloboMax LLC, Hanover, USA). NONMEM steht für „nonlinear mixed effects modeling“ und basiert auf der Programmiersprache Fortran. Unter Verwendung eines additiven Fehlermodells können mit NONMEM PK/PD-Modelle für ein gesamtes Patientenkollektiv berechnet werden. Hierbei werden alle Parameter in einem Schritt so berechnet, dass der „Log-likelihood-Wert“ minimiert wird [110].
Modifiziertes bisigmoidales Modell
In einer eigenen Studienreihe wurden die volatilen Anästhetika Desfluran, Sevofluran und Isofluran bei Patienten untersucht, die sich einer radikalen Prostatektomie unterziehen mussten [59, 61, 63, 65, 66]. Ziel der Untersuchungen war es, Dosis-Wirkungs-Kurven für den BIS- und den Narcotrend-Monitor zu erstellen und die ke0-Werte für die 3 verschiedenen volatilen Anästhetika zu berechnen. Um den EEG-Effekt der verwendeten Anästhetika ohne Interaktion mit einem Opioid untersuchen zu können, wurde bei allen Patienten ein Periduralkatheter angelegt, der intraoperativ mit 15 ml 0,5%igem Bupivacain beschickt wurde. Dadurch konnte intraoperativ eine vollständige Schmerzausschaltung sichergestellt werden, sodass der Einsatz von Opioiden nicht erforderlich war. Nach standardisierter Einleitung der Narkose erhielten alle Patienten im weiteren Verlauf lediglich das zu untersuchende Anästhetikum zur Bewusstseinsausschaltung. Nach einer Wartezeit von 45 min wurde während der Prostatapräparation die Anästhetikakonzentration 2-mal bis zum Auftreten von „Burst-suppression-Mustern“ im Roh-EEG gesteigert und anschließend wieder reduziert.
Bei der Analyse der Daten zeigte sich allerdings ein pharmakodynamisches Plateau: Bei geringen Effektkompartimentkonzentrationen kam es zu einem adäquaten Abfall, bei weiter ansteigender Dosierung konnte in einem begrenzten Konzentrationsbereich kein weiterer Abfall der BIS- bzw. Narcotrend-Indexwerte beobachtet werden. Erst im Bereich von zunehmender Burst-suppression-Aktivität kam es zu einem erneuten Abfall der Messwerte. Der Plateaueffekt wurde sowohl beim BIS als auch beim Narcotrend-Monitor beobachtet, obwohl sich die entsprechenden Interpretationsalgorithmen grundlegend unterscheiden [58, 60, 92, 106]. Aufgrund dieses Plateaus war die Erstellung einer Dosis-Wirkungs-Kurve auf der Grundlage des klassischen Emax-Modells nicht adäquat möglich; vielmehr war es notwendig, ein neues PK/PD-Modell zu entwickeln. In dieses neue Modell wurde das Plateau integriert, indem das klassische Modell um eine zweite sigmoidale Kurve ergänzt wurde (Abb. 10).
Die Berechung des bisigmoidalen Modells erfolgt mit der folgenden Formel:
Hierbei gilt:
Cplateau = Konzentration des Plateaus
Eplateau = EEG-Effekt im Bereich des Plateaus
C50noBSR/BSR = Konzentration, bei der 50% des maximalen Effekts vorliegen
λnoBSR/BSR = Steilheit der Dosis-Wirkungs-Kurve
BSR = Burst-Suppression-Ratio
Der Wechsel zwischen den beiden Kurven erfolgt in dem beobachteten Plateau und wird mit den Parametern Eplateau und Cplateau beschrieben. Dabei gibt Eplateau den EEG-Indexwert und Cplateau die entsprechenden Effektkompartimentkonzentration an. Für die Berechnung entspricht der Eplateau-Wert dem Emax-Wert der ersten und gleichzeitig dem E0-Wert der zweiten Kurve. Zusätzlich werden für beide Kurven jeweils ein C50- und ein λ-Wert berechnet. Für die bessere Unterscheidung zwischen den Kurven wurden die Parameter der ersten Kurve mit dem Zusatz „noBSR“ und die der zweiten Kurve mit dem Zusatz „BSR“ versehen.
Studiendaten
Verwendung des klassischen Emax-Modells
Rehberg et al. [93] untersuchten den Effekt von Sevofluran, Desfluran und Isofluran auf die SEF95 bei 39 Patienten. Der ke0-Wert für Desfluran (0,61 min−1) war in dieser Untersuchung doppelt so hoch wie für Isofluran und Sevofluran (0,29 min−1). Der C50-Wert lag bei 3,5 Vol.-% für Desfluran, 1,18 Vol.-% für Sevofluran und bei 0,66 Vol.-% für Isofluran. Olofson et el. [87] verglichen die ke0-Werte für Sevofluran und Isofluran mithilfe des BIS-Werts und der SEF95 bei 24 Patienten. Die ke0-Werte für Sevofluran und Isofluran waren wieder vergleichbar, sowohl für den BIS (0,20 min–1 bzw. 0,22 min–1) als auch für die SEF95 (0,23 min–1 bzw. 0,29 min–1).
Das Datex-Entropy-Modul wurde von 2 Arbeitsgruppen für ein Emax-Modell für Sevofluran verwendet. Die berechneten ke0-Werte unterschieden sich in den beiden Untersuchungen nur gering. Auf der Grundlage der „state entropy“ wurde ein ke0-Wert von 0,33 min–1 [30] bzw. 0,26 min–1 [84] berechnet. Für die „response entropy“ betrug der ke0-Wert 0,32 min–1 [30] bzw. 0,29 min–1 [84].
Verwendung des bisigmoidalen Modells
Unter Verwendung des neu entwickelten Modells konnte eine gute Korrelation zwischen der Effektkompartimentkonzentration der Anästhetika und den beiden EEG-Indizes gezeigt werden. Die mit NONMEM für den BIS-Index berechneten ke0-Werte betrugen 0,54 min–1 für Desfluran, 0,29 min–1 für Sevofluran und 0,20 min–1 für Isofluran, für den Narcotrend-Index 0,41 min–1 für Desfluran, 0,24 min–1 für Sevofluran und 0,22 min–1 für Isofluran. Die mit dem bisigmoidalen Modell ermittelten ke0-Werte waren für Isofluran und Sevofluran somit vergleichbar. Lediglich der ke0-Wert von Desfluran unterschied sich signifikant: Der Konzentrationsausgleich erfolgte nahezu doppelt so schnell wie bei Sevofluran oder Isofluran. Um eine bessere Vergleichbarkeit der Dosis-Wirkungs-Kurven der verschiedenen volatilen Anästhetika zu erreichen, erfolgt die Darstellung gegen den altersadaptierten MAC-Wert ([81]; Abb. 11).
Entstehung des Plateaueffektes
Ein Plateaueffekt im BIS – in einem begrenzten Konzentrationsbereich kommt es bei weiter ansteigender Dosierung zu keinem Abfall der EEG-Indexwerte – wurde von verschiedenen Autoren berichtet [9, 87]. Dieser Effekt tritt bei allen 3 volatilen Anästhetika und auch bei Propofol auf [67]. Obwohl sich die Interpretationsalgorithmen der verschiedenen Monitorsysteme grundlegend unterscheiden, konnte dieser Effekt auch beim Narcotrend-Monitor und – zumindest für Propofol – auch beim Entropy-Modul gezeigt werden [31].
Für die Entstehung des Plateaueffektes gibt es verschiedene mögliche Erklärungen:
-
Die vorhandenen Monitorsysteme bzw. ihre Interpretationsalgorithmen sind im Bereich des Plateaueffektes nicht sensitiv genug.
-
Das Plateau entsteht durch das Studiendesign mit den schnellen Veränderungen der Konzentration der Anästhetika.
-
Es handelt sich um ein physiologisches Plateau.
Um eine Erklärung für den Ursprung zu finden, wurden 2 EEG-Monoparameter untersucht, die in diesem EEG-Indexbereich in die Berechnung eingehen [34, 42, 92]: die relative δ-Power (Abb. 12) und die BSR (Abb. 13).
Bei der Analyse der δ-Power-Werte als Population fit zeigte sich eine maximale relative δ-Leistung von 62% bei einer Sevofluraneffektkompartimentkonzentration von 1,64 Vol.-%. Der ke0-Wert betrug 0,11 min–1. In der folgenden Abbildung sind die Population fits für den BIS, den Narcotrend-Index, die relative δ-Leistung und die BSR bei Sevoflurananästhesien zusammengefasst (Abb. 14).
Der Vergleich der verschiedenen Dosis-Wirkungs-Kurven erlaubt den Rückschluss, dass der Plateaueffekt im Bereich der maximalen δ-Leistung, beim Übergang zum Anstieg der BSR liegt. Eine Verkleinerung des Plateaus im BIS und im Narcotrend-Index wäre möglich, wenn eine geringe BSR stärker in den Interpretationsalgorithmus implementiert würde. In derzeitigen Version des BIS-Monitors ist der BIS-Wert folgendermaßen von der BSR abhängig: Für BIS-Werte von 0–30 ist der BIS-Wert nur von der Höhe der „burst suppression ratio“ abhängig (BIS=50, burst suppression ratio/2; [10, 65]).
Modellunabhängige Bestimmung des ke0-Werts
Die Problematik des Plateaueffektes und die Notwendigkeit eines modifizierten PK/PD-Modells führt zur Überlegung, den ke0-Wert modellunabhängig zu bestimmen. Hierfür gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten:
-
die Minimierung der Fläche in der Hystereseschleife und
-
die Optimierung des PK-Werts.
Minimierung der Fläche in der Hystereseschleife
Der Zusammenhang zwischen der endtidalen Konzentration des volatilen Anästhetikums und den EEG-Indexwerten kann als Fläche dargestellt werden. Eine Möglichkeit, den ke0-Wert zu bestimmen, liegt nun darin, diese Fläche zu minimieren (Abb. 15).
Die Berechnung der ke0-Werte mit diesem Verfahren führte zu den folgenden Ergebnissen: für den BIS-Index 0,29 min–1 für Desfluran, 0,14 min–1 für Sevofluran und 0,13 min–1 für Isofluran. Die Werte für den Narcotrend-Index waren vergleichbar: 0,28 min–1 für Desfluran, 0,15 min–1 für Sevofluran und 0,15 min–1 für Isofluran.
PK-Wert-Optimierung
Der PK-Wert gibt die Vorhersagewahrscheinlichkeit von EEG-Indizes für die Effektkompartimentkonzentration an [104]. Der PK-Wert ist ein nichtparametrischer Wert und von der Skalierung der zu untersuchenden Werte unabhängig [111]. Ein PK-Wert von 1 würde eine 100%ige Vorhersagewahrscheinlichkeit der Indexwerte für die Effektkompartimentkonzentration bedeuten, ein PK-Wert von 0,5 entspricht einer 50/50-Chance. Der PK-Wert kann aber auch zur Bestimmung der Effektkompartimentkonzentration bestimmt werden, indem der PK-Wert für verschiedene ke0-Werte berechnet wird. Trägt man den PK-Wert gegen den ke0-Wert auf, kommt es zu einem Anstieg des PK-Werts bis zu einem Maximum und einem anschließenden Abfall (Abb. 16).
Die so ermittelten ke0-Werte betragen im Durchschnitt 0,19 min–1 für Isofluran, 0,23 min–1 für Sevofluran und 0,33 min–1 für Desfluran auf der Grundlage des BIS-Index, für den Narcotrend 0,23 min–1 für Isofluran, 0,21 min–1 für Sevofluran und 0,34 min–1 für Desfluran [7, 29].
Vergleich der ke0-Werte der verschiedenen Anästhetika und EEG-Indizes
In der folgenden Tab. 4 sind die ke0-Werte für die verschiedenen volatilen Anästhetika und die verwendeten EEG-Indizes zusammengefasst.
Die berechneten ke0-Werte sind nicht nur vom verwendeten volatilen Anästhetikum abhängig, sondern auch vom EEG-Index und dem Berechnungsverfahren. Trotzdem kann generell festgestellt werden, dass sich die ke0-Werte für Sevofluran und Isofluran nicht unterscheiden und der Konzentrationsausgleich zwischen der endtidalen Konzentration sowie dem Effektkompartiment bei Desfluran im Vergleich zu den beiden anderen volatilen Anästhetika doppelt so schnell erfolgt.
Interaktionsmodelle
Interaktion zwischen volatilen Anästhetika, N2O und Opioiden
Die Interaktion zwischen volatilen Anästhetika, N2O und Opioiden ist für die sog. balancierte Anästhesie von grundlegender Bedeutung. Die gleichzeitige Zufuhr der Substanzen führt zu einer ausreichenden Hypnose mit Amnesie und einer ausreichenden Analgesie mit hämodynamischer Stabilität und – je nach Substanzwahl – auch zu kurzen Aufwachzeiten sowie minimalen Residualeffekten. Dies ist insbesondere bei der sog. Tages- oder ambulanten Chirurgie von Bedeutung. Die wissenschaftliche Literatur lässt sich bezüglich der untersuchten Endpunkte und Substanzen in folgende Hauptgruppen einteilen:
-
Interaktionen zwischen volatilen Anästhetika und N2O,
-
Interaktionen zwischen volatilen Anästhetika und Opioiden und
-
Dreifachinteraktionen aller dieser Substanzen.
Die Endpunkte, die zur Beurteilung der Interaktion herangezogen werden, beruhen entweder auf dem MAC-Wert [17, 65], dem MACbar [95], auf einem bestimmten Kalibrationsstimulus wie Ansprechbarkeit (MACawake), Intubation (MACintubation) bzw. Reagieren oder auf prozessierten Messgrößen des EEG wie Median und spektrale Eckfrequenz des Powerspektrums, BIS-Index oder Entropy. Sowohl MAC als auch EEG-basierte Endpunkte erlauben die Klassifikation der Interaktion und die Abschätzung der Potenz der interagierenden Medikamente:
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Infraadditiv: Weniger als additive Wirkung; bei der gleichzeitigen Gabe mehrerer Anästhetika ist der Gesamteffekt geringer als die Summe der Effekte der einzelnen Anästhetika.
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Additiv: Bei der gleichzeitigen Gabe mehrerer Anästhetika entspricht der Gesamteffekt der Summe der Effekte der einzelnen Anästhetika.
-
Supraadditiv/synergistisch: Mehr als additive Wirkung; bei der gleichzeitigen Gabe mehrerer Anästhetika ist der Gesamteffekt größer als die Summe der Effekte der einzelnen Anästhetika.
Es ist bekannt, dass die korrekte Messgröße für die Beurteilung der Wirkung volatiler Anästhetika der jeweilige Partialdruck ist. Da die Klinikstandorte in Deutschland weitestgehend unter 1000 m liegen, sind alle Konzentrationsangaben in Vol.-% bei einem Umgebungsdruck von 1 atm angegeben (Standardeinheit).
Die wichtigsten Interaktionsstudien mit volatilen Anästhetika sind in Tab. 5 systematisch zusammengefasst.
Die Interaktion von volatilen Anästhetika mit Propofol wurde ebenfalls untersucht und als additiv beurteilt [36].
Interaktion zwischen volatilen Anästhetika und N2O bezüglich „MAC-Reduktion“ bzw. Unterdrückung einer dichotomen Antwort auf einen „Kalibrationsstimulus“
Sowohl die Kombination der Medikamente als auch die pharmakodynamischen Endpunkte waren bereits 1970 bekannt [26]; die Versuchsdurchführung hat nur minimale Änderungen über die letzten 40 Jahre erfahren. Mit Ausnahme von Ansprechbarkeit (MACawake) [45] wurde die Interaktion für alle anderen Kalibrationsstimuli wie Hautschnitt (MAC), Einlage einer Larynxmaske und Intubation durchweg als additiv beurteilt.
Das vereinfacht die mathematische Behandlung der Interaktion wesentlich:
Eine Isobole (Summe aller Konzentrationspaare von 2 Medikamenten, die eine identische Wirkung hervorrufen) für additive Interaktionen ist eine Gerade (Abb. 17).
Diese Gerade kann mit folgender Gleichung beschrieben werden:
mit:
Cvol, CN2O: Konzentrationen von volatilem Anästhetikum und N2O zur Erzielung des gewünschten Effektes (z. B. Immobilität auf Hautschnitt bei 50% der Patienten, 1 MAC),
C0vol, C0N2O: Konzentration von volatilem Anästhetikum oder N2O, mit der der gewünschte Effekt in Abwesenheit des Interaktionspartners erzielt wird.
Die klinische Bedeutung dieser Gleichung besteht in ihrer Anwendbarkeit auf das klassische „MAC-Reduktion-Problem“. Sind die Potenzen der Einzelsubstanzen bekannt, kann aus der potenzkorrigierten Summe der Konzentrationen die Wirkstärke unmittelbar errechnet werden.
Für diese Betrachtung ist es allerdings unabdingbar, die jeweilige C0 zu identifizieren. Die MAC-Werte (C0) der gängigen volatilen Anästhetika sind aus Messungen bei Atmosphärendruck bekannt. Die Potenz von N2O (sein „MAC-Wert“ oder in obiger Gleichung der C0N2O) wurde von Hornbein et al. [38] in einer Überdruckkammer experimentell an 7 Freiwilligen ermittelt (Kalibrationsstimulus: tetanische Reizung des N. ulnaris) und mit 1,04 atm (104 Vol.-% bei Atmosphärendruck) angegeben. Russell et al. [101] ermittelten Werte zwischen 110 und 180% an 8 Freiwilligen unter ähnlichen experimentellen Bedingungen. Es ist ebenfalls möglich, den Wert aus „MAC-Reduktion-Studien“ mit volatilen Anästhetika zu extrapolieren. Diese Werte schwanken – je nach Kalibrationsstimulus und Studienkollektiv – zwischen 130 Vol.-% (Hautschnitt bei Erwachsenen, Alter 18–80 Jahre [32]), ca. 140 Vol.-% (Einführen einer Larynxmaske bei Kindern bei Kindern im Alter von 1–9 Jahren [55]) und ca. 175 Vol.-% (Intubation von Kindern im Alter von 1–7 Jahren [114]). Die Zufuhr von 60%igem N2O spart also theoretisch je nach Wahl von C0N2O 33–60% volatiles Anästhetikum. Klinisch beläuft sich der Wert allerdings auf lediglich 25% (Isoflurannarkosen bei Erwachsenen, supplementiert mit 230 μg Fentanyl über 3 h Operationsdauer [24]). Legt man das additive Modell zugrunde, so berechnen sich für 1,3 MAC, abhängig von C0N2O, mögliche Ersparnisse zwischen 26–44%. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Einsparungseffekt von N2O für den intraoperativen Einsatz durch naiv interpretierte „MAC-Reduktion-Betrachtungen“ überbewertet wird und darüber hinaus vom untersuchten Kalibrationsstimulus und der benötigten Narkosetiefe abhängt.
Interaktion zwischen volatilen Anästhetika und N2O bezüglich des prozessierten EEG
Im unstimulierten Zustand des Patienten korrelieren vom EEG abgeleitete Parameter weder mit der Konzentration noch mit der klinischen Wirkung von N2O [1, 2]. Intraoperativ allerdings korreliert ein Median von 2–3 Hz mit einer klinisch adäquaten Narkose [108]. Für diesen Wert wurden mit N2O und entweder Enfluran [98], Isofluran [99], Sevofluran und Desfluran [100] Isobolen erstellt. Ebenso wie bei den „MAC-Reduktion-Studien“ fand man eine additive Interaktion zwischen volatilen Anästhetika und N2O. Interessanterweise beträgt die C0N2O für die Erhaltung eines intraoperativen Medianwerts von 2–3 Hz in der gepoolten Analyse 174% (153–202%) [100]. Dies deutet, bezogen auf das intraoperative EEG, auf eine maximale Einsparung von volatilen Anästhetika von ca. 35% durch den Einsatz von 60% N2O hin.
Interaktion zwischen volatilen Anästhetika und Opioiden bezüglich MAC-Reduktion
Bei der Untersuchung der Interaktion von volatilen Anästhetika und Opioiden ist es unabdingbar, dass die Messungen unter konstanten Opioidkonzentrationen im Effektkompartiment durchgeführt werden. Dies lässt sich durch die Anwendung einer TCI bewerkstelligen. Da TCI-Systeme erst seit Anfang der 1990er Jahre breiter verfügbar waren, wurden alle diese Studien vor relativ kurzer Zeit durchgeführt. Alle Ergebnisse weisen auf eine supraadditive/synergistische Interaktion hin [35]. Dabei führen bereits relativ geringe Opioidkonzentrationen zu einer Halbierung des MAC-Werts. Eine weitere Erhöhung der Opioidkonzentration führt aber zu immer geringeren Einsparungen an volatilem Anästhetikum, sodass zumindest im therapeutisch relevanten Bereich kein Schnittpunkt der Isobole mit der Opioidachse existiert, d. h., dass Opioide nicht in der Lage sind, das volatile Anästhetikum vollständig zu ersetzen. Eine Auflistung der verfügbaren C50-Werte verschiedener Opioide für MAC-Reduktion ist der Tab. 6 zu entnehmen.
Da sich die volatilen Anästhetika ausschließlich in ihrer Pharmakokinetik und in ihrer Potenz, vermutlich aber nicht in ihrem Wirkmechanismus unterscheiden, können diese Werte unabhängig vom verwendeten volatilen Anästhetikum zu Berechnungen benutzt werden. Die klinische Bedeutung dieser Erkenntnisse muss nicht näher ausgeführt werden; der kombinierte Einsatz von Opioiden und volatilen Anästhetika ist alternativloser Standard in der balancierten Anästhesie. Die rationale Optimierung des Verhältnisses zwischen volatilen Anästhetika und Opioiden wird im Abschn. „Klinische Relevanz der präsentierten Untersuchungsergebnisse“ ausgeführt.
Interaktion zwischen volatilen Anästhetika und Opioiden im EEG
In Abwesenheit eines operativen Stimulus haben Opioide im therapeutischen Konzentrationsbereich kaum Einfluss auf das prozessierte EEG [88]. In Anwesenheit eines operativen Stimulus gibt es bisher keine systematischen Interaktionsstudien. Man kann davon ausgehen, dass die Interaktion intraoperativ der synergistischen von Propofol mit einem Opioid entspricht [100].
Interaktion zwischen volatilen Anästhetika, N2O und Opioiden sowie MAC-Reduktion
Katoh et al. [48] untersuchten die Interaktion zwischen Sevofluran, Fentanyl und keinem bzw. 66%igem N2O. Die Gegenwart von N2O linearisierte die MAC-Isobole, jedoch nicht die MACBAR-Isobole von Sevofluran vs. Fentanyl. Darüber hinaus wurde in Gegenwart von 66%igem N2O bei Fentanylkonzentrationen von mehr als 5 ng/ml keinerlei Sevofluran benötigt, um die Bewegungs- und Kreislaufantwort auf Hautschnitt zu unterdrücken. Da nur eine Konzentration von N2O verabreicht wurde, die Parameter der logistischen Regressionsanalyse nicht angegeben sind und die Interaktion von N2O und Fentanyl nicht explizit statistisch behandelt wurde, ist die Interpretation der Dreifachinteraktion aus dieser Studie überaus schwierig.
Zwischenstand
Sowohl aus „MAC-Reduktion“ als auch aus auf den intraoperativen EEG-basierten Isobolenstudien ergibt sich eine additive Interaktion zwischen volatilen Anästhetika und N2O. Aus beiden Studienansätzen ergibt sich eine maximale Ersparnis von 33% an volatilen Anästhetika während klinischer Narkosen durch den Einsatz von 60%igem N2O in Abwesenheit von Opioiden. Ob dies den Einsatz von N2O unter Berücksichtigung der damit einhergehenden limitierten FIO2 im Zeitalter rasch wirksamer und metabolisierenden Opioide rechtfertigt, muss jeder Anästhesist für sich entscheiden [24, 107]. Die Interaktion zwischen volatilen Anästhetika und Opioiden ist synergistisch. Bis heute fehlt allerdings eine den gesamten klinischen Konzentrationsbereich umfassende wissenschaftlich akzeptable Beschreibung der „triple interaction“ zwischen volatilen Anästhetika, N2O und Opioiden.
Klinische Relevanz der präsentierten Untersuchungsergebnisse
Wahl der „Narkosetiefe“, Adaptation an Kovariable
Die Diskussion um MAC, MACBAR und intraoperativ gemessene prozessierte EEG-Parameter ist mindestens ebenso verunsichernd wie hilfreich. Der MAC-Wert ist angeblich veraltet; viele EEG-Monitore sind unzureichend validiert. Unserer Meinung nach ist eine EEG-Überwachung der Narkosetiefe nicht bei allen Patienten obligatorisch.
Manche Narkosegeräte zeigen den MAC für das momentane „Gasgemisch“, berücksichtigen aber nicht die für den MAC extrem wichtige Interaktion mit dem verabreichten Opioid. Displaysysteme, die den Zeitverlauf des Opioids anzeigen und in die Abschätzung der Gesamtwirkstärke miteinbeziehen, befinden sich derzeit in der Erprobung.
Eine sehr leicht eruierbare und nachgewiesenermaßen den MAC bzw. MACawake beeinflussende Kovariable ist das Alter [44, 49, 75, 83, 86]. Weitere Kovariable sind selbstverständlich der Zustand des Patienten (Traumapatient, Schwangerschaft [33, 39]), vorangehender Substanzabusus und eine vorangehende, auch kurzzeitige, also mehrere Tage dauernde Schmerztherapie mit Opioiden. Das Geschlecht scheint den MAC-Wert nicht zu beeinflussen [25, 117].
Bezüglich der EEG-Monitore existieren Richtzahlen, die einer sog. adäquaten Narkosetiefe entsprechen, z. B. BIS- und Entropiewerte von 40–60. Hierzu muss angemerkt werden, dass diese Werte ausschließlich über die „Schlaftiefe“, nicht jedoch über die Reaktion auf Stimuli („Erweckbarkeit“) Auskunft geben [56] und in Abwesenheit eines Weckreizes wie „Manipulationen in der Bauchhöhle“ unzuverlässig Opioid-/N2O-Konzentrationen abbilden. In Abwesenheit eines einheitlichen Stimulationsniveaus muss der Anästhesist daher weitere Kriterien außer dem EEG-Parameter für die Dosierung von Analgetika berücksichtigen, z. B. den errechneten „Kombi-MAC-Wert“, der sehr wohl über die Wahrscheinlichkeit der Reaktion auf einen plötzlich auftretenden Stimulus Auskunft gibt und deutlich von Opioiden beeinflusst wird. Eine Empfehlung zur Beginn der Titration, die beide Messgrößen kombiniert, wäre somit z. B. ein BIS zwischen 40 und 60 bei errechnetem Kombi-MAC (volatiles Anästhetikum, Opioid, N2O) von 1,3. Die Konzentration des volatilen Anästhetikums sollte generell den alterskorrigierten MACawake-Wert nicht unterschreiten.
Wahl der volatilen Anästhetika (und der zusätzlich zugeführten Opioide)
Auf den ersten Blick ist diese Frage sehr rasch beantwortet: Desfluran hat die geringste Blut- und Gewebelöslichkeit, somit kann man mit der Substanz theoretisch kürzere Aufwachzeiten als mit Isofluran oder Sevofluran erzielen. Die geringe Löslichkeit führt auch zu einer raschen Äquilibration der Konzentration in den verschiedenen pharmakokinetischen Kompartimenten; dies ist für „Minimal-flow“-Narkosen vorteilhaft.
Eine differenzierte Betrachtung zeigt jedoch, dass der Unterschied in den Aufwachzeiten erst relevant wird, wenn ein Konzentrationsabfall von mehr als 50% von der Erhaltungskonzentration bei der Ausleitung angestrebt werden muss [6]. Dies ist bei klassischen Gasnarkosen der Fall (Differenz zwischen MAC und MACawake=66%), nicht jedoch, wenn gleichzeitig Opioide angewandt werden. Sobald es die zusätzliche Opioid- und evtl. N2O-Gabe erlauben, das volatile Anästhetikum zwischen 0,3 MAC (MACawake) und 0,5 MAC zu verabreichen, ist der Vorteil von Desfluran geringer. Dies hat aber insbesondere in Bezug auf die Aufwachzeit Auswirkungen auf die Wahl des Opioids. Deshalb kann die Auswahl des volatilen Anästhetikums nicht strikt von der des Opioids getrennt werden; man sollte daher besser von der Wahl der adäquaten Medikamentenkombination sprechen. Als Beispiele sollen die Simulationsergebnisse bezüglich der optimalen Kombination von Fentanyl/Isofluran, Remifentanil/Isofluran, Fentanyl/Desfluran und Remifentanil/Desfluran nach einer Verabreichungsdauer von 5 h dargestellt werden (Tab. 7). Zunächst wurden die Isobolen für 2 unterschiedliche Narkosetiefen (für 1,92 MAC=MACintubation und für 1 MAC) und für den MACawake (0,33 MAC) für die jeweiligen Kombinationen berechnet. Zur Bestimmung der optimalen Position auf der Isobolen wurde die Zeit vom Stopp der Medikamentenapplikation bis zum Erreichen der MACawake-Isobole mithilfe eines iterativen Verfahrens minimiert [Randbedingung: Schnittpunkt bei einer Opioidkonzentration, die Spontanatmung ermöglicht (2 ng/ml für Remifentanil und Fentanyl)].
Aus Tab. 7, Abb. 18 und 19 wird ersichtlich, dass die ideale Position auf der MACintubation/MAC-Isobolen sehr stark von der Wahl des Opioids abhängt. Würde nur Fentanyl zur Verfügung stehen, ergäbe sich eine eindeutige Überlegenheit von Desfluran gegenüber Isofluran.
Remifentanil führt bei der Anwendung von Desfluran nur zu geringeren Vorteilen als mit Isofluran. Sobald Remifentanil zusammen mit Isofluran verabreicht wird, erniedrigt sich der Unterschied zwischen Erhaltungskonzentration und Aufwachkonzentration so stark, dass sich die langsamere Kinetik des volatilen Anästhetikums kaum mehr in der Aufwachzeit niederschlägt. Bei optimaler Verabreichung wären die Kombinationen Isofluran und Remifentanil, Desfluran und Fentanyl sowie Desfluran und Remifentanil bezüglich der Aufwachzeit fast gleichwertig. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die wirkliche Erreichung dieser theoretisch optimalen Konzentrationskombinationen in der klinischen Praxis sehr schwierig ist und – bei sehr geringer Fehlerabweichung – bei Fentanyl zu deutlich schlechteren Aufwachzeiten führt (Abb. 19).
Dies erklärt sehr plastisch, warum die Kombination aus Remifentanil und Desfluran im klinischen Alltag die mit Abstand geringsten Aufwachzeiten garantiert – obwohl theoretisch auch optimierte Kombinationen anders möglich wären.
Diese Optimierungsrechnungen könnten von einem Computerprogramm, in das automatisch die endtidale Konzentration des jeweiligen volatilen Anästhetikums, der Frischgasfluss und das Atemminutenvolumen sowie die Dosierung des Opioids eingespeist werden, online im Operationssaal durchgeführt werden und dem Anästhesisten bei der Optimierung der Narkose helfen.
Derzeitige Forschungsprojekte zur Vereinfachung der Narkoseführung mit volatilen Anästhetika
Die Entwicklungen fokussieren derzeit auf die im Folgenden beschriebenen drei miteinander verknüpften Arbeitsbereiche.
1. Closed-loop-Systeme zur Steuerung der endexspiratorischen Konzentration volatiler Anästhetika
Die Dosierung volatiler Anästhetika ist schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint. Der Anästhesist muss die Beziehung zwischen folgenden 4 Konzentrationen bzw. Partialdrücken herstellen:
-
im Frischgas applizierte Konzentration (Vaporeinstellung),
-
inspiratorische Konzentration,
-
endexspiratorische Konzentration und
-
Konzentration am Wirkort.
Diese Konzentrationen sind über mehrere Zeitkonstanten miteinander verbunden und mit Ausnahme der Konzentration im Frischgas in ihren Zeitverläufen stark vom Verhältnis von Atemminutenvolumen und Frischgasfluss abhängig. Es ist technisch möglich, anstelle der erwünschten Frischgaskonzentration die erwünschte endexspiratorische Konzentration, die bei jedem Atemzug gemessen wird, anzuwählen und den korrespondierenden Zeitverlauf der Frischgaskonzentration über einen Regelalgorithmus automatisch einstellen zu lassen. Dieses Prinzip ist bereits zur Marktreife gebracht und in die „Anaesthesia Workstation Zeus“ (Dräger, Lübeck) integriert worden. Da die Wirkortäquilibrationszeiten der gängigen Anästhetika bekannt sind [54, 87, 93], wäre es möglich, ähnlich wie bei den modernsten TCI-Systemen, den Wirkort direkt anzusteuern.
2. Closed-loop-Systeme zur Steuerung eines EEG-basierten Surrogatendpunkts für eine adäquate Narkosetiefe
In einem weiteren Schritt ist es vorstellbar, dass der Anästhesist nicht mehr die endexspiratorische oder Wirkortkonzentration anwählt, sondern dass eine „Anesthesia Workstation“ selbstständig beispielsweise den BIS-Wert bei 50 halten kann, um so eine adäquate Narkosetiefe anzusteuern. In dieser Konstellation würde ein Regelalgorithmus die anzustrebende Wirkortkonzentration des volatilen Anästhetikums für den gewählten BIS-Wert vorgeben, ein anderer den angeforderten Zielwert durch Manipulation der Frischgaskonzentration einregeln. Das System bestünde dann aus zwei „kaskadierten“ Regelkreisen, die auf zwei gemessenen Signalen basieren. Dies stellt sicherheitstechnisch und regulatorisch einen großen Vorteil gegenüber Closed-loop-TCI-Systemen dar, die nur mit dem EEG-Signal arbeiten, ohne dass ein Konzentrationssignal verfügbar ist. Ein derartiges System wurde erfolgreich klinisch erprobt und ist patentiert [77]. Eine kommerzielle Anwendung steht aus.
3. Expertensysteme („advisory systems“) zur Dosisoptimierung von volatilen Anästhetika und Opioiden
Die unter 1. und 2. erwähnten Entwicklungen haben zum Ziel, die Anwendung von volatilen Anästhetika zu erleichtern, helfen dem Anästhesisten aber nicht bei der Optimierung des Verhältnisses zwischen Opioid und Hypnotikum. Da die automatisierte Closed-loop-Verabreichung eines Opioids während der Narkose bei fehlendem sensitiven und spezifischen Endpunkt für die Opioidwirkung beim bewusstlosen und beatmeten Menschen außerordentlich schwierig ist, arbeiten die Autoren zur Lösung dieses Problems an einem „advisory system“ (Abb. 20).
Es ist ohne weiteres möglich, den Zeitverlauf der vorhergesagten Wirkortkonzentration eines Opioids zusammen mit der eines volatilen Anästhetikums darzustellen. Die Applikationsform (manuell, closed loop), des volatilen Anästhetikums ist hierfür bedeutungslos. Auf eine Isobolendarstellung projiziert, ist es unmittelbar ersichtlich, ob eine bestimmte Wirkortkonzentrationen für die Toleranz eines Kalibrationsstimulus im Populationsmittel ausreicht (vgl. Betrachtungen zur „MAC-Reduktion“). Benötigte Informationen sind die Dosierung des Opioids, das pharmakokinetische Modell des Opioids einschließlich Wirkortäquilibration, die endexspiratorische Konzentration des volatilen Anästhetikums einschließlich Wirkortäquilibration und ein pharmakodynamisches Interaktionsmodell für die Substanzen. Sobald das System zur Optimierung der Position auf der Isobolen und zur Minimierung der Aufwachzeit (Dosierungsvorschläge) eingesetzt werden soll, muss die Pharmakokinetik der volatilen Anästhetika in die Berechnungen und in die Vorhersage miteinbezogen werden. Zusätzliche zu messende Variablen wären die inspiratorische Narkosegaskonzentration und das Atemminutenvolumen, die unmittelbar aus dem Routinemonitoring der Narkose verfügbar sind. Mehrere pharmakokinetische Modelle der gängigen volatilen Anästhetika stehen ebenfalls zur Verfügung [5, 73, 122] und sind z. T. bereits praktisch erprobt [52, 53, 74]. Ein derartiges System ist patentiert, wurde als Prototyp 2005 präsentiert und steht derzeitig in Bern vor der klinischen Erprobung. In einer Weiterentwicklung ist geplant, die Anzeigeoberfläche nicht nur passiv, sondern als Benutzeroberfläche für die Medikamentendosierung auszulegen.
Praktische Umsetzbarkeit, Risiken, regulatorische Fragestellungen
Die persönliche Meinung der Autoren ist, dass die Ansteuerung der Effektkompartimentkonzentration für volatile Anästhetika unmittelbar implementierbar ist. Durch die mögliche Begrenzung der gemessenen endtidalen Konzentration wäre das Verfahren sicherer als die zurzeit kommerziell erhältliche Ansteuerung des Effektkompartiments bei TCI-Applikationen.
Die Regelung einer „adäquaten“ Anästhesietiefe mithilfe des EEG würde unmittelbar auf die Ansteuerung der Effektkompartimentkonzentration aufbauen und durch die „Kaskadenstruktur“ des Reglers sehr transparent sein. Ein solches System dürfte schon heute die Zulassungsbedingungen in Europa erfüllen, und die Marktreife könnte sehr rasch erreicht werden. Ein passives Displaysystem beeinflusst den Patientenzustand nicht unmittelbar und sollte aus diesem Grund ohne Weiteres auch in restriktiven Märkten zugelassen werden.
Fazit für die Praxis
Für den Vergleich der Wirksamkeit verschiedener volatiler Anästhetika und zur Steuerung der Narkose werden üblicherweise MAC-Wert und endtidale Konzentration verwendet. Allerdings repräsentiert der MAC-Wert lediglich die spinale Ebene, aber nicht den wirklichen Effekt im Gehirn. Für die Messung der hypnotischen Komponente von Allgemeinanästhesien sind kommerziell erhältliche EEG-Monitor-Systeme geeignet. Bei empirischen PK/PD-Modellen auf der Grundlage dieser EEG-Indizes konnte gezeigt werden, dass der Konzentrationsausgleich zwischen der endtidalen Konzentration und dem Effektkompartiment bei Desfluran doppelt so schnell wie bei Sevofluran und Isofluran erfolgt. In der Praxis werden häufig ein volatiles Anästhetikum und ein Opioid kombiniert, manchmal auch mit N2O. Ein möglicher Startpunkt für die Titration einer Narkose wäre ein berechneter „Kombi-MAC“ von 1,3. Dies entspricht der Gesamtwirkung aus Opioid, Inhalationsanästhetikum und evtl. N2O, bei der 95% aller Patienten nicht mehr mit Bewegung auf einen Hautschnitt reagieren. Systeme zur Vereinfachung der Steuerung von balancierten Anästhesien mit volatilen Anästhetika sind in der Entwicklung oder stehen kurz vor ihrer Markeinführung.
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Kreuer, S., Bruhn, J., Wilhelm, W. et al. Pharmakokinetische/pharmakodynamische Modelle für Inhalationsanästhetika. Anaesthesist 56, 538–556 (2007). https://doi.org/10.1007/s00101-007-1188-7
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