Die erfolgreiche Behandlung kritisch kranker Patienten stellt nicht nur eine große Herausforderung in der Medizin dar, sondern auch einen nicht unerheblichen volkswirtschaftlichen Kostenfaktor. Grunderkrankung und intensivmedizinische Interventionen führen zu physiologischen, psychischen und sozialen Veränderungen beim Patienten. Der bekannte Intensivmediziner und Lungenspezialist John E. Heffner drückte es sehr prägnant aus: „You can’t get something for nothing“ [24]. Schlafentzug, Schmerz, Depression, Agitation und Delirium können der Preis sein, den die Patienten zu zahlen haben. Es ist von wesentlicher Bedeutung für alle Teammitglieder einer Intensivstation, sich solcher massiven Veränderung der internen Homöostase oder des Wohlbefindens bewusst zu sein und diagnostische sowie therapeutische Interventionen entsprechend zu adaptieren. Schlaf ist möglicherweise ein guter Indikator, um physiologische, psychische und soziale Ungleichgewichte zu detektieren. Schlaf ist aber auch notwendig, um Heilungsprozesse zu unterstützen. Schlaf ist ein wichtiger Teil eines umfassenden Patientenkomfortkonzeptes in der Intensivmedizin. Dieser Übersichtsartikel ist daher der zentralen Bedeutung des Schlafes für kritisch kranke Patienten gewidmet.

Schlaf bei Gesunden

Definition des Schlafes

Schlaf ist als ein unbewusster Zustand, der jederzeit in einen bewussten Zustand konvertiert werden kann, definiert. Die verschiedenen Schlafstadien und der Schlaf-Wach-Zyklus sind Folge eines komplexen Zusammenspiels zahlreicher neuronaler Netzwerke. Dabei spielen folgende Neurotransmitter möglicherweise eine bedeutsame Rolle: Noradrenalin, Serotonin, Acetylcholin, Dopamin, Histamin, γ-Aminobuttersäure (GABA) und Adenosin. Dem Neurohormon Melatonin wird eine wichtige regulierende Rolle im Schlaf-Wach-Zyklus zugeschrieben.

Monitoring des Schlafes beim Gesunden

Der Schlaf unterliegt einer Hierarchie mit 2 prinzipiellen Phasen:

  • orthodoxer oder „Non-rapid-eye-movement- (Non-REM-)Schlaf“ und

  • paradoxaler oder „Rapid-eye-movement- (REM-)Schlaf“.

Der orthodoxe Schlaf wird in 4 Stadien unterteilt: Stadium 1 und 2 entsprechen oberflächlichen Schlafstadien (etwa 50% des Schlafes), Stadium 3 und 4 entsprechen Tiefschlafstadien oder „Slow-wave-Schlaf“ (etwa 25% des Schlafes). Der REM-Phase werden ca. 20% des Schlafes zugeordnet. Eine detaillierte Analyse des Schlafes erfolgt mithilfe der Polysomnographie. Dazu werden parallel vier Hirnstromableitungen [Elektroenzephalogramm (EEG); F4-Cz, T3-Cz, T4-Pz, O2-Pz], das Elektrookulogramm (EOG) über einem Auge, eine submentale elektromyographische Ableitung (EMG), eine Elektrokardiogramm- (EKG-)Ableitung und eine nasale ventilatorische Messung oder eine Messung der ventilatorischen Thoraxexkursion abgeleitet (Abb. 1). Die Signale werden zeitgleich aufgenommen und auf einem Hochleistungsrechner gespeichert. Eine automatische Schlafanalyse erfolgt in Zeitintervallen von 30 s. Die Artefaktkontrolle wird visuell von speziell geschultem Personal durchgeführt. Diese Art der Analysen erlaubt die Identifikation der verschiedenen Schlafstrukturen und -stadien nach international akzeptierten Schlafparameternormen [62].

Abb. 1
figure 1

Das Elektroenzephalogramm (EEG) ist die Aufzeichnung von elektrischen Hirnströmen, das Elektrookulogramm (EOG) von elektrischen Strömen, die durch Augenbewegungen entstehen, und das Elektromyogramm (EMG) von Strömen, die die Muskelspannung widerspiegeln. (Aus: http://www.unizh.ch/phar/sleep/buch/KAP2.htm; mit freundlicher Genehmigung von Prof. Borbély, Pharmakologie, Universität Zürich)

Die Polysomnographie erlaubt die Berechnung der in Infobox 1 aufgeführten Grundparameter.

Abb. 2
figure 2

Die Schlafstadien werden aus Stromkurven bestimmt, die vom Gehirn, den Augen und den Muskeln abgeleitet werden. Mit zunehmender Vertiefung des Non-REM-Schlafes (von Stadium 1–4) werden die Hirnstromkurven (EEG) größer und langsamer; die Muskelspannung (EMG) nimmt ab. Während des Einschlafens (Stadium 1) treten langsame, pendelförmige Augenbewegungen auf. Im REM-Schlaf ähnelt das EEG dem Stadium 1, während das EOG die typischen raschen Augenbewegungen anzeigt. Die Muskulatur ist, abgesehen von gelegentlichen Zuckungen, vollständig entspannt. (Aus http://www.unizh.ch/phar/sleep/buch/KAP2.htm; mit freundlicher Genehmigung von Prof. Borbély, Pharmakologie, Universität Zürich)

Physiologische Bedeutung des Schlafes

Über Jahrzehnte ist man von einer vorwiegend reparativen Bedeutung des Schlafes als passives Geschehen eines sich erholenden Organismus ausgegangen. In jüngeren Untersuchungen wurde zunehmend die wissenschaftliche Evidenz erbracht, dass Schlaf einen vorwiegend aktiven Prozess darstellt. Auf wesentliche Aspekte, die im Zusammenhang mit kritisch kranken Patienten von großer Relevanz sein könnten, soll im Folgenden hingewiesen werden.

Schlaf und Immunsystem

Aus experimentellen Untersuchungen an Ratten ist bekannt, dass vollständiger Schlafentzug zum Tod führt. Tiere, die „nur“ einem selektiven Entzug an REM-Schlaf ausgesetzt wurden, verstarben nach 4–5 Wochen. Der vollständige Schlafentzug führte bereits nach 3 Wochen zum Tod [63]. Die Tiere steigerten ihre Nahrungszufuhr exzessiv, verloren dennoch an Gewicht und wurden zunehmend hypotherm. Letztendlich verstarben die Ratten an einer generalisierten Infektion. Als Ursache wurde eine bakterielle Migration im gastrointestinalen Trakt bei verminderter Immunantwort in den gastrointestinalen Lymphknoten nachgewiesen. Die immunologischen Veränderungen unter Schlafdeprivation sind bei Ratten komplex und in ihrer Bedeutung bisher nicht vollständig verstanden [18]. Es gilt daran zu erinnern, dass Ratten nachtaktive Tiere sind und deshalb diese tierexperimentellen Resultate mit Vorsicht zu interpretieren sind.

Bei Probanden wurde gezeigt, dass bereits moderater Schlafentzug zu einer verminderten Immunantwort bei Vakzination führt. So konnte nachgewiesen werden, dass 10 Tage nach einer Grippeimpfung der Anstieg des Anti-Influenza-IgG-Antikörpers halbiert war, wenn Probanden ihre Schlafzeit für eine Woche auf 4 h reduzierten. Erst nach 3–4 Wochen fanden sich keine signifikanten Unterschiede zur Kontrollgruppe [80]. Lange et al. konnten in ihrer Untersuchung nachweisen, dass die spezifische Antikörperproduktion auf eine Hepatitis-A-Vakzination nach einer Nacht mit Schlafentzug auch nach 4 Wochen im Vergleich zur Kontrollgruppe auf die Hälfte reduziert war [40].

Schlaf und Gedächtnisfunktion

Es gibt eine zunehmende Evidenz in der wissenschaftlichen Literatur, dass Schlaf eine wesentliche Rolle bei der Verarbeitung und Konsolidierung von Gedächtnisinhalten spielt [87]. Jede Art von Schlafentzug führt zu Störungen dabei. Die Gedächtniskonsolidierung findet in unterschiedlichen Schlafstadien statt [61, 77, 81]. Es konnte gezeigt werden, dass eine Assoziation zwischen größeren Lernfortschritten bei kontinuierlichem Training und einer Zunahme des REM-Schlafes in der Nacht vorhanden ist. Während des Schlafes findet auch eine Restrukturierung der neuronalen Präsentation des Gedächtnisses (neuronale Plastizität) statt [87]. Kürzlich fassten Graves et al. in einer Übersichtsarbeit den derzeitigen Stand der Forschung über Gedächtnis und Schlaf auf der Basis einer molekularen Perspektive zusammen [23]. Die Gedächtniskonsolidierung könnte durch neurochemische Änderungen des cholinergen Systems im Hippocampus bedingt sein. Dieses cholinerge System scheint auch für die Schlaf-Wach-Rhythmen und die REM-Phasen einen entscheidenden Mechanismus darzustellen.

In Abhängigkeit von der Art der Aufgaben variiert die kognitive Leistungsfähigkeit nach Schlafentzug. Typischerweise sind bei Freiwilligen die Testergebnisse für repetitive und monotone Aufgaben stärker beeinträchtigt, während komplexe Aufgaben weniger durch Schlafentzug beeinflusst werden [6, 43]. Ärzte im Nacht und Schichtdienst sind besonders von dieser reduzierten, kognitiven und psychomotorischen Leistungsfähigkeit betroffen. Reduktion der Arbeitszeit von im Mittel 85 auf 65 Arbeitstunden verlängerte den Schlaf um 6 h/Woche und reduzierte die Konzentrationsfehler um mehr als die Hälfte [44]. Bei Verminderung der Arbeitszeit ging auch die Anzahl der seriösen medizinischen Irrtümer zurück [39].

Schlaf und respiratorische Muskelkraft

Insbesondere der REM-Schlaf stellt eine Phase der supprimierten Regelkreise des respiratorischen Systems und der verminderten Muskelaktivität dar. Sowohl in den oberen Atemwegen als auch in den Bronchien steigen die Widerstände an. Ob und wie weit Schlafentzug die respiratorische Muskulatur schwächt, wurde nie hinreichend untersucht. Es gibt aber Hinweise, dass die maximale kardiopulmonale Leistung auf dem Fahrradergometer nach Schlafentzug vermindert ist, jedoch die Ausdauerleistung erhalten bleibt [7]. Der hypoxische Atemantrieb scheint, im Gegensatz zum hyperkapnischen Atemantrieb, nach Schlafentzug vermindert zu sein [79, 89].

Schlaf und Schmerzwahrnehmung

Schlaf und Schmerz sind zwei zueinander in Beziehung stehende Phänomene. So kann Schmerz Schlafstörungen erzeugen, und Schlafmuster können den Schmerz beeinflussen. Nach 40-h-Schlafentzug war die mechanische Schmerzschwelle (gemessen mit einem elektronischen Druckdolorimeter) um 8% reduziert [55].

Schlafstörungen in der Normalpopulation

Prävalenz

Untersuchungen mithilfe von Fragebogen haben eine hohe Prävalenz der chronischen Schlafstörungen ergeben. In den westlichen Industrieländern sind ca. 15–20% der arbeitenden Bevölkerung betroffen. Dabei litten 13% der arbeitenden Bevölkerung unter schweren Schlafstörungen, die eine Schläfrigkeit am Tage zur Folge hatten. Die Ursachen der Schlafstörungen sind vielfältig:

  • psychisch (z. B. Depression und Angst, bis zu 50% aller Schlafstörungen),

  • Umweltdedingt (z. B. Lärm) und

  • somatisch [neurologisch (z. B. Parkinson-Krankheit), respiratorisch (z. B. Schlaf-Apnoe-Syndrom) oder infolge generalisierter Erkrankungen] [82].

In der geriatrischen Bevölkerung nimmt die Prävalenz der Insomnie deutlich zu und beträgt etwa 50% [47].

Formen der Schlafstörungen

Schlafstörungen werden nach der „International Classification of Sleep Disorders“ (http://www.absm.org/PDF/ICSD.pdf), wie folgt, eingeteilt:

  • Dyssomnien mit Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnie) oder Schläfrigkeit am Tage (Hypersomnie),

  • Parasomnien, d. h. Störungen, die den Schlafprozess unterbrechen,

  • Schlafstörungen bei physischen oder psychischen Erkrankungen und

  • sonstige, nicht näher klassifizierte Schlafstörungen.

Die Folgen schwerer Schlafstörung sind vorwiegend bei Patienten mit obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom bekannt. Bei dieser Erkrankung kommt es aufgrund der inkompletten oder kompletten Okklusion der oberen Atemwege im Schlaf infolge von Hypoxie zu Weckreaktionen (Arousals) und dadurch zu verminderter Schlafqualität [8]. Leitsymptome sind neben exzessiver Tagesschläfrigkeit Unruhegefühle, Reizbarkeit, Angst, Depressivität und Erschöpfung. Das Schlaf-Apnoe-Syndrom beeinträchtigt die körperliche Gesundheit nachhaltig und kann unbehandelt zu arterieller Hypertension und Linksherzinsuffizienz führen. Als Folge der eingeschränkten Leistungsfähigkeit und Vigilanzstörung verursacht etwa jeder achtzehnte Patient mit Schlaf-Apnoe-Syndrom einen Verkehrsunfall [42]. Ähnliche Vigilanzstörungen wurden auch bei Patienten mit zystischer Fibrose beobachtet, bei denen es infolge infektiöser Exazerbation zu ausgeprägter Schlaffragmentation kam [13].

Zeitlhofer et al. konnten in ihrer Untersuchung eine Korrelation zwischen subjektiver Schlafqualität und genereller Lebensqualität nachweisen [90]. Schlaf ist also ein guter Indikator, um physiologische, psychische und soziale Ungleichgewichte zu detektieren. Deshalb könnte wahrscheinlich die subjektive Schlafqualität als feiner Indikator für einen Krankheitsverlauf verwendet werden, ähnlich wie z. B. das C-reaktive Protein. Es gibt Hinweise, dass diese Assoziation bei chronischen Erkrankungen zumindest im Frühstadium vorhanden ist [28, 29]. Es fehlen wissenschaftliche fundierte Untersuchungen, die eine Relation zwischen subjektiver Beeinträchtigung der Schlafqualität und dem Schweregrad der akuten Krankheit oder des Traumas untersucht haben.

Schlafstörungen bei kritisch kranken Patienten

Evaluation und Monitoring des Schlafes beim kritisch Kranken

Selbst-/Fremdeinschätzung des Schlafes

Es stehen visuellen Analogskalen, Likert-Skalen und Fragebogen zur Selbst- bzw. Fremdeinschätzung des Schlafes zur Verfügung. Grundsätzlich handelt es sich hier um eine subjektive Beurteilung des Schlafes, entweder vom Patienten selbst oder vom behandelnden Therapeuten vorgenommen. Es besteht eine Kontroverse, ob der Schlaf auf diese Weise korrekt eingeschätzt werden kann [16, 20].

Der Richards-Campell Schlaffragebogen basiert u. a. auf 5 visuellen Analogskalen (Schlaftiefe, Einschlafphase, Wachphasen, Wiedereinschlafen und Schlafqualität) [65]. Dieser Fragebogen wurde mithilfe der Polysomnographie in 70 orientierten, männlichen und kritisch kranken Patienten validiert; hierbei wurde jedoch als einziger Parameter des Polysomnogramms der Schlaf-Effizienz-Index herangezogen. Die interne Konsistenzverlässlichkeit des Fragebogens betrug 0,9, wenn der Fragebogen zu verschiedenen Zeitpunkten im Verlauf eines Morgens vom gleichen Patienten beantwortet wurde.

Ein ebenfalls sehr bekannter, vielfach validierter und etablierter Fragebogen zur subjektiven Schlafqualität (mit Ausnahme in der Intensivmedizin) ist der „Pittsburgh sleep quality index“ (PSQI). Eine adaptierte Form dieses Fragebogens hat unsere Forschungsgruppe bei herzchirurgischen Patienten in der Intensivstation eingesetzt [19]. Bei Bestätigung der Validität des adaptierten PSQI in kritisch kranken Patienten durch andere Forschungsgruppen wäre dieses Instrument wegen der besseren Vergleichbarkeit zu bevorzugen.

Bei Patienten mit Schlaf-Apnoe-Syndrom wird die Tagesschläfrigkeit häufig mit dem Fragebogen des „Epworth sleepiness scale“ geschätzt [31]. Dieser Fragebogen wurde bisher allerdings nicht bei kritisch kranken Patienten benutzt.

Polysomnographie

Die Polysomnographie gilt als Goldstandard der Schlafmessung. Einschränkend für die Situation auf der Intensivstation ist zu vermerken, dass es häufig zu elektrischen Interferenzen zwischen bestehendem intensivmedizinischen Monitoring und der Polysomnographie kommt, die zu Artefakten führen. Es besteht ein erhöhtes Risiko für Diskonnektion der Elektroden, bedingt durch diagnostische oder therapeutische Maßnahmen. Die Polysomnographie hat sich bisher nicht als Routinemonitoring auf der Intensivstation durchgesetzt und ist in diesem Bereich weiterhin nur als Forschungsinstrument etabliert.

Prozessiertes Elektroenzephalogramm

In einer Pilotstudie wurden der Bispektral-Index (BIS) und die spektrale Eckfrequenz (SEF), also EEH Monoparametermessgeräte, mit der Polysomnographie verglichen [52]. Sowohl der BIS als auch die SEF waren bei Patienten mit einer milden Schlafapnoe/Hypopnoe bei zunehmender Schlaftiefe erniedrigt. Die Variabilität der EEG-Monoparameter war für die verschiedenen Schlafstadien ausgeprägt und zeigte eine beträchtliche Überlappung zwischen den einzelnen Schlafstadien. Zusätzlich war die Antwort des BIS langsam, d. h. der Patient konnte mit tiefen BIS-Werten nahe beim Erwachen sein. Für kritisch kranke Patienten sind derzeit vergleichende Daten zwischen EEG-Monoparametern und Polysomnographie nicht erhältlich.

Aktigraph

Der Aktigraph ist ein schmales Gerät, das wie eine Uhr am Arm getragen wird und Spontanbewegungen über einen Bewegungsdetektor erfasst. Der Aktigraph liefert verlässliche Resultate für die Schlafzeit [11]. Die Amercian Academy of Sleep Medicine empfiehlt die Aktigraphie für die Evaluation von Schlafstörungen aufgrund ungenügender Evidenz derzeit nicht in ihren Leitlinien [9]. Bei kritisch kranken Patienten wurde die Verlässlichkeit des Aktigraphen bisher nicht überprüft.

Melatonin

Die Sekretion des Hormons Melatonin in den Pinealzellen der Epiphyse folgt einem zirkadianen Muster. Die Freisetzung wird durch Dunkelheit mit einem Punktummaximum der Sekretion während der Nacht gefördert. Erste wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass der zirkadiane Rhythmus der Melatoninsekretion bei kritisch kranken Patienten gestört bzw. teilweise vollständig aufgehoben ist [21, 51, 54, 73]. In diesem Zusammenhang ist die Arbeit von Miyazaki et al. [50] sehr interessant: Bei Patienten nach Ösophagektomie, die eine Psychose entwickelten (29% aller Patienten), konnte eine deutlich irreguläre Rhythmik von Melatonin dokumentiert werden; bei Patienten, die keine Psychose entwickelten, fand sich meist eine zirkadiane Rhythmik (28 von 30 Patienten). Melatonin scheint ein viel versprechender Parameter zu sein, um Schlaf zu erfassen; es liefert allerdings keine Information über die Schlafqualität oder Schlafarchitektur.

Formen der Schlaflosigkeit beim kritisch Kranken

Über die Prävalenz von Schlafstörungen bei kritisch kranken Patienten liegen keine genauen Angaben vor, da eine große Kohortenstudie fehlt. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass sie sehr hoch ist. In einigen Patientenpopulationen, die aufgrund ihrer Grunderkrankung oder der operativen Intervention Intensivpflege benötigen, sind Schlafstörungen dezidierter beschrieben: Dazu gehören Patienten nach kardiochirurgischen Eingriffen, Patienten mit Sepsis, akutem Lungenschaden, chronisch obstruktiver Pneumopathie („chronic obstructive pulmonary disease“, COPD), chronischer Herzinsuffizienz, Schlaganfall oder Epilepsie [10, 14, 32, 45, 51, 56, 76, 88].

Die ersten Berichte über massive Schlafstörungen, d. h. über das polysomnographisch gesicherte Fehlen von REM-Schlaf bei verminderten Slow-wave-Tiefschlafphasen, bezogen sich auf Patienten nach herzchirurgischen Eingriffen [32, 56]. Diese Berichte über Schlafstörungen nach Herzchirurgie wurden durch erneute Untersuchungen in den 1990er-Jahren bestätigt [15]. Schlafstörungen nach Herzchirurgie können bis zu 6 Monate persistieren und u. a. durch chronische Inzisionsschmerzen oder Nykturie bedingt sein [69].

In den letzten Jahren wurden einige Untersuchungen auch bei anderen kritisch kranken Patienten durchgeführt. In einer prospektiven Kohortenstudie wurden 20 mechanisch ventilierte Patienten mit mildem bis moderatem akuten Lungenschaden über 24 h mithilfe der Polysomnographie untersucht [10]. Keiner der Patienten wies ein normales Schlafmuster auf. Bei nur 8 Patienten ließ sich überhaupt elektrophysiologisch eine Schlafarchitektur identifizieren. Dabei fanden sich Schlafepisoden sowohl am Tag wie auch in der Nacht. In der Nacht wurde ein großer Anteil von Stadium-1-Non-REM-Schlaf (40±28% der totalen Schlafzeit) bei reduziertem Anteil von REM-Schlaf (10±14% der totalen Schlafzeit) registriert. Es wurde ein schwere Schlaffragmentation infolge einer hohen Anzahl von Arousals (20±17/h) und Erwachen (22±25/h) beobachtet. Bei weiteren 5 Patienten fand sich ein gemischtes Bild; hierbei wies das EEG sowohl vereinzelte Schlafstadien als auch Charakteristika, die typisch für ein Koma gelten, auf. Sieben Patienten zeigten vorwiegend ein EEG mit den typischen Merkmalen des Komas (>50% δ- oder τ-EEG-Aktivität; Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Schematische Darstellung der Schlafstadien in der Nacht vor der Operation und in der ersten postoperativen Nacht. Es kommt zum vollständigen Verlust der tiefen Schlafstadien und des REM-Schlafes in der Nacht nach der Operation. (Mod. nach Cooper et al. [10]; mit freundlicher Genehmigung der Autoren)

Bei Intensivpatienten mit respiratorischer Insuffizienz zeigte der Aktigraph das Fehlen von normalem Schlafverhalten an [73]. Nur gelegentlich fielen die Patienten in eine Art Kurzschlaf („Nickerchen“). Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (Patienten auf einer peripheren medizinischen Station) zeigten die Intensivpatienten eine flache Kurve der Melatoninsekretion. Ein nächtliches Maximum, wie es unter physiologischen Bedingungen zu finden ist, fand sich nur bei 2 der Intensivpatienten, die nicht mechanisch beatmet wurden.

Faktoren, die Schlafstörungen fördern

Operative Interventionen

Seit langem ist bekannt, dass nach operativen Eingriffen die Schlafarchitektur stark gestört sein kann [32, 35, 37, 56]. So konnte mithilfe der Polysomnographie bei 10 Patienten, die sich einer elektiven Herniotomie unterzogen, in den ersten beiden postoperativen Nächten ein massiver Verlust des REM-Schlafes sowie der Schlafstadien 3 und 4 bei vermehrten Wachphasen nachgewiesen werden. Ähnliches wurde an Patienten, die sich Cholezystektomien oder Eingriffen am Magen unterzogen, beschrieben.

Inflammation

Systemische Inflammation führt zu einen Krankheitsverhalten („sickness behavior“), das, wie folgt, gekennzeichnet ist: allgemeines Unwohlsein, verminderte Aktivität, verminderte soziale Interaktion, verminderte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, Gewichtsverlust, Schlafbeeinträchtigung und Fieber [36, 41, 60]. Dieses Krankheitsverhalten konnte mit experimentell und peripher applizierten Zytokinen gut belegt werden. Proinflammatorische Zytokine passieren die Blut-Hirn-Schranke oder aktivieren endogenes Interleukin-1 (IL-1). Wahrscheinlich wird das Krankheitsverhalten durch gegenseitige Beeinflussung („cross talk“) zwischen Zytokinrezeptoren und Rezeptoren für Neurotransmitter ausgelöst. In diesem Rahmen reagiert das Schlaf-Wach-Verhalten auf Aktivierung dieser immunologischen Prozesse sehr sensibel. An 17 gesunden Probanden konnte exemplarisch in einer placebokontrollierten Untersuchung gezeigt werden, dass nach Injektion von Endotoxinen (Lipopolysaccharide 0,4–0,8 µg/kgKG), die über periphere Monozyten proinflammatorische Zytokine freisetzt, initial die REM-Schlafphasen unter Zunahme des Stadiums 2 des Non-REM-Schlafes unterdrückt wurden [83]. Die Veränderungen der Schlafstadien scheinen von der quantitativen Zytokinfreisetzung abzuhängen: Je größer die Freisetzung, desto mehr Veränderungen der Schlafstadien. Welche Rolle indes Zytokinausschüttungen bei Intensivpatienten auf den Schlaf ausüben, ist bisher ungeklärt.

Lärm

Lärm ist eine wesentliche Ursache für Insomnie kritisch kranker Patienten in der Intensivstation [53]. Lärmquellen sind Monitore, Ventilatoren und Pumpen, insbesondere deren Alarme, klingelnde Telefone, Unterhaltung des Pflegepersonals, Klimaanlagen und vieles mehr. Lang anhaltende Alarme stellen insbesondere ein Problem dar, wenn keine Beziehung zwischen einer potenziellen vitalen Bedrohung des Patienten und der Lautstärke der Alarme besteht. Dazu kommen häufige Fehlalarme [5, 48].

Auf einer chirurgischen Intensivstation haben die Autoren Spitzenwerte von 75 dB gemessen; dies entspricht dem Lärmpegel in einem geschäftigen Restaurant [85]. In einer kleinen Fallstudie wurde eine gute Korrelation zwischen Lärmspitzen und Arousals aus dem Schlaf beobachtet [1].

Mechanische Beatmung

Unter mechanischer Ventilation ist der Schlaf im Vergleich zu dem unter Spontanatmung gestört. So beschrieben 35% der Patienten unter mechanischer Ventilation retrospektiv Schlafstörungen [2]. Ein auslösender Faktor scheint insbesondere die mangelnde Synchronisierung mit dem Beatmungsgerät zu sein. Darüber hinaus beeinflusst die Art der mechanischen Beatmung ebenfalls den Schlaf. So konnte gezeigt werden, dass während druckunterstützter Beatmung im Vergleich zur „Assist-control-Beatmung“ (eine fixe Anzahl von drucklimitierten, volumenkontrollierten Atemzügen wird appliziert, zusätzlich hat der Patient die Möglichkeit einen Atemzug auszulösen) eine vermehrte Schlaffragmentierung auftrat (vermehrte Arousals und Aufwachphasen/h) [59].

Medikamentöse Therapie

Eine Vielzahl von Medikamenten, die bei kritisch kranken Patienten eingesetzt werden, kann Schlafstörungen erzeugen. So können Medikamente, die REM-Schlafphasen reduzieren, zu Albträumen führen. Rundshagen et al. konnten in einer Studie zeigen, dass sich nach der Entlassung von der Intensivstation 9,3% der Patienten an Albträume und 6,6% an Halluzinationen erinnerten [68]. Medikamentös induzierte Reduktion von Slow wave sleep kann zu Gedächtnisstörungen führen und möglicherweise für die Entwicklung eines posttraumatischen Stresssyndroms prädisponieren [33]. Medikamente, die bei Intensivpatienten potenziell zu Schlafstörungen führen, sind in Tab. 1 aufgelistet. Zur detaillierten Übersicht wird die kürzlich erschienene Übersichtsarbeit von Bourne u. Mills [4] empfohlen.

Tab. 1 Pharmakologische Substanzen, die in der Intensivmedizin verwendet werden und den Schlaf modifizieren

Schmerz

Die Assoziation zwischen Schlafstörungen und Schmerz wurde in mehreren Observationsstudien aufgezeigt [69, 75]. Bisher fehlen randomisierte Studien, die eine konventionelle Schmerzbehandlung mit einer intensivierten Schmerzbehandlung vergleichen und den Schlaf als Verlaufsparameter evaluieren. In einer Qualitätsstudie, die die Implementation eines Schmerz-Reduktions-Programms in einer Intensivstation untersuchte, konnte allerdings gezeigt werden, dass eine verbesserte Schmerzbehandlung die Schlafstörungen reduziert [12].

Auswirkungen der Schlafstörungen bei kritisch kranken Patienten

Grundsätzlich wurde Schlaflosigkeit von Patienten auf der Intensivstation als starker Stressfaktor identifiziert [53, 67].

Als Vermutung liegt nahe, dass Schlaf für die Erholung von einer Krankheit wichtig sein könnte. Bisher gibt es keine fundierten wissenschaftlichen Studien an Intensivpatienten zu dieser Hypothese [38]. Inwieweit gestörtes Schlafverhalten bei kritisch kranken Patienten unabhängig von der zugrunde liegenden Pathologie die Immunantwort beeinträchtigt und beispielsweise das Auftreten von nosokomialen Pneumonien begünstigt, muss daher derzeit spekulativ bleiben.

Schlafdeprivation bei kritisch kranken Patienten wird als einer der Faktoren für kognitive Störungen angenommen, wie sie in einer Fallserie beobachtet wurden [25]. Schwere kognitive Beeinträchtigungen gehören zu den klinischen Symptomen, die das Delir kennzeichnen. Es gibt bisher keine große Observationsstudie, die die postulierte Assoziation zwischen Schlafdeprivation und Delir untersucht hat und eventuelle Kofaktoren, wie Genussmittelgebrauch, berücksichtigt hätte. Hingegen ist gut belegt, dass das Delirium während des Aufenthalts auf der Intensivstation per se ein Prädiktor für eine erhöhte 6-Monate-Mortalität ist [17].

Hypersomnie und der reduzierte Atemantrieb nach Schlafdeprivation könnten bei kritisch kranken Patienten die „Weaning-Dauer“ verlängern. Solche Hypothesen wurden mehrfach in der Literatur der Pflegewissenschaften aufgestellt [26, 30]. Durch den vermehrt vorkommenden REM-Schlaf in der Rekonvaleszenzperiode („Rebound-Phänomen“) kann es zu vermehrter Sympathikusstimulation und vermehrt unregelmäßiger Atmung kommen; dies könnte bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder knapp kompensierter Respiration erneut zu einer Verschlechterung führen.

Es ist bekannt, dass Schlafstörungen, einschließlich Parasomnien, nach Intensivtherapie andauern können und die Lebensqualität auch 6 Monate nach dem Aufenthalt auf der Intensivstation noch nachhaltig beeinträchtigen [27, 69, 70]. Ob diese Schlafstörungen im Rahmen der Grunderkrankung, des Traumas oder der Intensivtherapie zu sehen ist, oder ob sie allenfalls auch durch Medikamentenentzug erklärt werden könnten, ist nie detailliert untersucht worden.

Therapiestrategien bei Schlafstörungen in kritisch kranken Patienten

Pharmakologische Behandlung

Am häufigsten haben pharmakologische Interventionen zum Ziel, eine verbesserte Entspannung und, insbesondere in der perioperativen Medizin, eine verbesserte Analgesie zu erreichen. Idealerweise sollte die Förderung des Schlafes zuerst mithilfe nichtpharmakologischer Interventionen versucht werden, da, wie bereits erwähnt, ein physiologischer Schlaf durch die klassischen Schlafmedikamente nicht herbeigeführt werden kann [4].

Angst und Stress reduzierende Pharmaka: Sedativa

Es ist gut etabliert, dass Benzodiazepine die Einschlafzeit und das nächtliche Erwachen reduzieren, während sie die Schlafdauer erhöhen (Tab. 2). Benzodiazepine wirken an Benzodiazepinrezeptoren, die eine Verstärkung der neuronalen Inhibition durch GABA bewirken. Die nichtselektiven Benzodiazepine verändern das normale Schlafmuster durch Verlängerung des oberflächlichen Schlafes und Reduktion der Tiefschlafphasen sowie des REM-Schlafes. Selektive Benzodiazepinrezeptoragonisten (Zolpidem, Zaleplon) scheinen die Schlafarchitektur weniger zu beeinflussen. Der Effekt der selektiven Benzodiazepinrezeptoragonisten wurde nicht an kritisch kranken Patienten untersucht.

Tab. 2 Einfluss verschiedener Schlafmedikationen auf den Schlaf

Die Entwicklung von Toleranz und das Auftreten einer Rebound-Insomnie beim Gebrauch der Benzodiazepine wird immer wieder diskutiert. In einer Metaanalyse, die Studien in Schlaflabors umfasste, wurden diese Effekte verschiedener Benzodiazepine mit denen benzodiazepinähnlicher Hypnotika verglichen. Die Analyse bestätigte, dass alle untersuchten Hypnotika die Latenz des Schlafbeginns um 15–20 min verkürzten und die totale Schlafzeit um 30–60 min verlängerten [78]. Toleranz nach 2- bis 4-wöchiger Behandlung wurde v. a. mit Trizolam beobachtet, in deutlich geringerem Ausmaß auch für Midazolam und Zolpidem. In kritisch kranken Patienten wurde für Midazolam allerdings eine ausgeprägte Toleranz beobachtet, die nahezu zur Verdopplung der Dosis nach einer Woche führte [72]. Das Entzugsrisiko von Benzodiazepinen scheint von der Dauer der Behandlung und der Höhe der Dosis abhängig zu sein: Je länger die Dauer und höher die Dosis, desto schwerere Symptome können auftreten. Bei kurzer Dauer und normaler Dosierung wurde eine Rebound-Insomnie nach Absetzen von Triazolam während der ersten 3 Nächte beschrieben. Schwächer ausgeprägt war dieses Phänomen nach Gabe von Zolpidem, Midazolam und Zopiclon. Bei hoher Dosierung, langer Dauer und Disposition des Patienten sind Agitation, Panikattacken und Konvulsionen beschrieben worden. Nicht zu unterschätzen ist die Gefahr, dass eine im Krankenhaus begonnene medikamentöse Behandlung langfristig weitergeführt wird.

Treggiari-Venzi et al. haben vorgeschlagen, Propofol zur Verbesserung des Schlafes bei kritisch kranken Patienten zu nutzen [84]. Es gibt keine polysomnographische Untersuchung für dieses therapeutische Konzept. Bei Freiwilligen, die eine Sedation mit Propofol durch den Tag erhielten, waren die Schlaflatenz und die Schlaflänge erhöht; die übrigen Schlafparameter waren nicht verändert, insbesondere waren die Tiefschlafperioden und der REM-Schlaf erhalten [57].

Clonidin und andere zentralwirksame α2-Agonisten wurden zur Behandlung von Schlafstörungen vorgeschlagen. Clonidin wird allerdings in der Psychiatrie als Medikament gebraucht, um REM-Schlaf-Suppression zu erreichen („clonidine REM suppression test“, CREST) und ist daher kaum für die Schlafbehandlung geeignet [71]. Diese REM unterdrückende Wirkung von Clonidin in therapeutischer Dosierung wurde mehrfach in Freiwilligenstudien bestätigt [22, 49]. Aufgrund dieser klaren Datenlage kann Clonidin nicht als Schlafmedikation bei Intensivpatienten empfohlen werden.

Antidepressiva

Angst und Depression sind in unserer Bevölkerung weit verbreitet und sehr häufig mit Schlafstörungen vergesellschaftet. Angst führt v. a. zu einer subjektiven Schlafstörung bei erhaltener Schlafarchitektur [58]. Depression führt zu verminderten Tiefschlafphasen und zum ungehemmten REM-Schlaf [3]. Auf einer amerikanischen Intensivstation konnten bei 24% der Patienten Angstzustände und bei 14% Depressionen nachgewiesen werden [66]. Deshalb wird der Gebrauch von Antidepressiva immer wieder auch für kritisch kranke Patienten erwogen. Auch hier gibt es kaum Literatur für die Effizienz der antidepressiven Therapie bei diesen Patienten in der Intensivstation. Trizyklische Antidepressiva, wie auch Monoaminooxidaseinhibitoren (MAOIs) vermindern den REM-Schlaf; selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer vermindern REM-Schlaf, totale Schlafzeit und Schlafeffizienz [46]. Weiter ist zu bedenken, dass der Haupteffekt der Antidepressiva erst nach Tagen beginnt. Potenziell interessante Antidepressiva sind Doxepin und Mirtazapin. Doxepin wurde von einer Forschungsgruppe mehrfach erfolgreich für die primäre Insomniebehandlung eingesetzt. Die vielleicht interessanteste antidepressive Substanz ist Mirtazapin. Sowohl bei Depressiven wie bei Gesunden wurde eine verbesserte Schlafarchitektur gefunden [46]. Eine randomisierte Studie mit dieser Substanz an kritisch Kranken wäre sehr wünschenswert, um die Effizienz auch in dieser Patientengruppe abzuschätzen zu können.

Schmerzreduzierende Pharmaka: Analgetika

Schlafuntersuchungen mithilfe der Polysomnographie während oder nach Morphingabe wurden spärlich publiziert. Nach dem Absetzen von Morphin in chirurgischen Patienten wurde ein Rebound des paradoxalen Schlafes in einer unkontrollierten Studie beobachtet [37]. Walder et al. untersuchten die Effekte von Tramadol auf die Schlafarchitektur in einer randomisierten doppelblinden Studie bei Freiwilligen. Sowohl 50 mg und auch 100 mg Tramadol erhöhten signifikant die Dauer der Schlafphase 2 und erniedrigten die Dauer der Schlafphase 4. Nur die höhere Dosis erniedrigte den paradoxalen Schlaf. Nach dem Absetzen kommt es mit der höheren Dosierung zu einem Rebound-Phänomen in der folgenden Nacht [86].

Schlafförderndes Pharmakon: Melatonin

In einer sehr kleinen, randomisierten Studie, die Patienten mit Exazerbation einer obstruktiven Lungenkrankheit und Pneumonie einschloß, fand sich nach Gabe von Melatonin eine Verlängerung der Schlafzeit und der Schlafqualität, gemessen mit einem Aktigraphen [74]. Aufgrund der kleinen Studiengröße und der limitierten Anzahl von Pathologien kann derzeit keine Empfehlung für oder gegen den Gebrauch von Melatonin abgegeben werden.

Nichtpharmakologische Behandlung

Guidelines zur Reduzierung des Nachtlärms und -lichtes sind wahrscheinlich wichtige Komponenten zur Verbesserung der Schlafqualität bei kritisch kranken Patienten. Die Autoren konnten bei kritisch kranken, chirurgischen Patienten zeigen, dass einfache Guidelines (u. a. reduzierte Alarme, abgestellte Telefonklingeln in den Patientenzimmern und organisatorische Maßnahmen) den Nachtlärm reduzieren konnten [85]. Kahn et al. erzielten nach der Einführung von Guidelines auf einer medizinischen und respiratorischen Intensivstation ähnliche Resultate [34].

Neben Interventionen im Bereich der Umwelthygiene gibt es eine gewisse Evidenz, dass Musik und Massage die Schlafqualität von kritisch kranken Patienten verbessern können. In einer vergleichenden Studie hatten Patienten mit Musik nach einem koronararteriellen Eingriff bessere Schlafscores als die Vergleichsgruppe. Auch wurde eine Reduktion der Schmerzen in der mit Musik behandelten Gruppe festgestellt [91]. Der Effekt der Massage ist mehr umstritten und wurde nur in einer randomisierten Studie in kritisch kranken Patienten untersucht; die Resultate waren nicht konklusiv [64].

Fazit für die Praxis

Schlaf ist ein essenzieller Bestandteil des Lebens. Die klinisch einfach verwendbaren Instrumente liefern rudimentäre Schlafanalysen. Schlaf in kritisch kranken Patienten wurde nur unzureichend wissenschaftlich untersucht. Dabei ist Schlaf ein Teil des Patientenkomforts wie Schmerzarmut, Pflege, Mobilisation und Ernährung. Große Kohorten und randomisierte Studien mit genügend langem Follow-up-Zeitraum sind notwenig, um beeinflussbare Risikofaktoren für Schlafstörungen bei kritisch Kranken zu identifizieren, die Nützlichkeit von regelmäßiger Schlafevaluation als Verlaufsmaß der Lebensqualität des Patienten und des Therapieerfolgs einzuschätzen, und um neue Schlafkonzepte zu testen.

Schlafmöglichkeiten bzw. umwelthygienische Maßnahmen für kritisch kranke Patienten müssen bewusst geschaffen werden. Diese Maßnahmen sollten ein klares Zeitfenster für Ruhe mit Alarmintensitätsreduktion, Verdunkelungsmöglichkeit, gedämpfte Kommunikation und Adaptation der mechanischen Ventilation umfassen. Nichtpharmakologische Maßnahmen, wie zur Entspannung Musik hören, können in der Einschlafphase hilfreich sein. Radio hören kann der Förderung des Zeitgefühls dienen und sollte sinnvoll in die pflegerische Behandlung integriert werden. Nach Ausschluss von Schmerzen kann eine symptomatische Therapie mit Benzodiazepinen über mehrere Tage versucht werden. Vorbestehende Insomnien, bedingt beispielsweise durch Schlaf-Apnoe-Syndrom, Parkinson-Krankheit, COPD, chronische schwere Herzinsuffizienz oder Depression, müssen in die Evaluation des Schlafes der kritisch kranken Patienten einfließen und entsprechend behandelt werden.