Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • kennen Sie die Drei-Pfeiler-Klassifikation der Tibiaplateaufrakturen und können diese anwenden.

  • wissen Sie, bei welchen Indikationen eine offene Reposition und Osteosynthese mit freien subchondral eingebrachten Schrauben sinnvoll ist.

  • kennen Sie alle notwendigen präoperativen Vorbereitungen und wissen, welches Material Sie zur operativen Versorgung benötigen.

  • kennen Sie die einzelnen Operationsschritte, um eine Osteosynthese von lateralen Tibiaplateaufrakturen mit Impression der Gelenkfläche erfolgreich mit freien subchondralen 2,7-mm-Verriegelungsschrauben durchzuführen.

  • wissen Sie, welche spezifischen Komplikationen auftreten können und wie Sie darauf reagieren.

Vorbemerkungen

Tibiaplateaufrakturen können chirurgisch eine Herausforderung darstellen, insbesondere, wenn eine ausgeprägte Impression oder Zertrümmerung der Gelenkfläche vorliegt. Frakturen der proximalen Tibia machen insgesamt ungefähr 1–2 % aller Frakturen aus, bei Älteren sogar bis zu 8 % [1, 2]. Häufige Ursachen sind Verkehrsunfälle, Stürze aus großer Höhe oder Sportverletzungen. Im geriatrischen Patientengut entstehen sie eher im Rahmen von Bagatellunfällen.

Zur Beurteilung des Frakturverlaufs, Klassifikation der Fraktur und Operationsplanung eignet sich sehr gut die Drei-Pfeiler-Klassifikation [3], die den Tibiakopf anhand der präoperativen Computertomographie (CT) in drei definierte Pfeiler einteilt und so ein zuverlässiges Planungsinstrument für den Chirurgen darstellt. Je nach Unfallmechanismus (Varus- oder Valgus-Extensionstrauma oder -Flexionstrauma) entstehen Frakturen des medialen, lateralen oder dorsalen Pfeilers. Eine Pfeilerfraktur ist definiert als Impression der Gelenkfläche mit Unterbrechung der Pfeilerwand, dem Kortex. Eine Null-Pfeiler-Fraktur bezeichnet eine Impression der Gelenkfläche ohne Unterbrechung des Kortex. Die ursprüngliche Drei-Pfeiler-Klassifikation wurde leicht angepasst, um Frakturen, die sowohl den lateralen als auch den hinteren Pfeiler betreffen, besser zu erfassen, wobei laterale Pfeilerfrakturen, die in die posterolaterale Ecke auslaufen, als extended“ laterale Pfeilerfrakturen klassifiziert werden (Abb. 1a). Diese Frakturen können gut durch einen erweiterten anterolateralen Zugang behandelt werden. Mit den neueren Platten mit variabler Winkelstabilität (VA-LCPs) ist es möglich, die Schrauben schräg nach hinten in die posterolaterale Ecke zu richten und so die hinteren Frakturanteile zu stabilisieren [4].

Abb. 1
figure 1

a Angepasstes Drei-Pfeiler-Modell. b ORIF („open reduction and internal fixation“). Von links nach rechts: Arthrotomie, Osteotomie und Wegklappen laterale Kondyle, Reposition und Fixierung

Essenziell für ein gutes funktionelles Langzeitergebnis von lateralen Pfeiler-Tibiaplateaufrakturen ist die exakte anatomische Reposition der Gelenkfläche, die stabile Fixation der intraartikulären Fragmente sowie die dauerhafte Wiederherstellung der korrekten mechanischen Beinachse [5, 6, 7, 8, 9].

Indirekt kann die Gelenkfläche mit Hilfe eines Stößels oder breitflächig über eine Ballonosteoplastie reponiert und anschließend mit Schrauben und/oder einer Platte abgestützt werden [10, 11, 12].

Wir stellen hier die offene Reposition und stabile interne Fixation (ORIF , „open reduction and internal fixation“) der lateralen tibialen Gelenkfläche über eine laterale Arthrotomie und Tibiakondylenosteotomie dar. So kann die anatomische Reposition sehr gut kontrolliert werden. Die reponierten Frakturfragmente werden durch freie subchondrale 2,7-mm-Verriegelungsschrauben fixiert. Winkelstabile Schrauben sind hier geeignet, da die speziellen Schraubenköpfe im spongiösen Knochen versinken und die spätere Plattenpositionierung nicht behindern. Vom Prinzip der Winkelstabilität wird dabei kein Gebrauch gemacht. Durch die Verwendung von Schrauben zur Fixierung der Fragmente wird zum einen die interfragmentäre Kompression und Stabilität der Fragmentfixation verbessert, zum andern wird die interfragmentäre Stabilität erhöht, da die Schrauben in der subchondralen Fläche liegen und so die Gelenkfläche direkt unterstützen. Durch diese Position zwischen Gelenkoberfläche und den winkelstabilen Schrauben der Plattenosteosynthese wird die Stabilität der Fragmentfixation zusätzlich verbessert.

Unter direkter Sichtkontrolle kann eine stabile Fixierung und Absicherung der imprimierten Gelenkfläche erreicht werden, was durch eine alleinige abstützende Plattenosteosynthese mit bereits wieder zugeklappter Tibiakondyle technisch schwieriger sein kann (Abb. 1b).

Eine Migration des eingebrachten Materials, wie z. B. bei Kirschner-Drähten beobachtet, kann vermieden werden. Abschließend ergänzen wir eine abstützende Plattenosteosynthese. Frakturen mit Ausdehnung in die posterolaterale Ecke können bei einer Impression der Gelenkfläche von mehr als 5 mm ebenfalls nach der hier beschriebenen Methode über einen lateralen Zugang angegangen werden.

Operationsprinzip und -ziel

Anatomische Wiederherstellung und Fixation der imprimierten Gelenkfläche von lateralen Tibiaplateaufrakturen mit „freien“ subchondral eingebrachten 2,7-mm-Verriegelungsschrauben und abstützender Plattenosteosynthese.

Vorteile

  • Direkte offene anatomische Rekonstruktion der Gelenkfläche

  • Sehr stabile interne Fixation, dadurch Vermeidung eines sekundären Repositionsverlusts und Erleichterung der Knorpelheilung

  • Zusätzliche Stabilisierung der Metaphyse gegen axiale Kräfte durch intraossäre Schrauben bei gleichzeitiger weiterer Abstützung der Gelenkfläche durch die Plattenosteosynthese

  • Sofortige sichere funktionelle Nachbehandlung möglich

Nachteile

  • Offener Zugang

  • Devitalisierung des Knochens möglich

  • Eine spätere Knieendoprothese kann technisch schwieriger sein.

  • Die komplette Implantatentfernung, wie sie z. B. im Falle einer tiefen Infektion erforderlich ist, ist sehr invasiv. Ggf. ist eine erneute Osteotomie der lateralen Kondyle erforderlich, um die freien subchondralen Schrauben zu erreichen.

Indikationen

  • Mehrfragmentäre Tibiaplateaufrakturen mit Depression der Gelenkfläche und Beteiligung des lateralen Pfeilers

  • Mehr-Pfeiler- und Null-Pfeiler-Frakturen mit einer Impression der Gelenkfläche größer als 5 mm

Kontraindikationen

  • Kritische Weichteilverhältnisse

  • Offene Fraktur mit starker Kontamination

  • Hochgradige Osteoporose

Patientenaufklärung

  • Allgemeine Operationsrisiken

  • Frakturdislokation

  • Pseudarthrose

  • Bewegungseinschränkung

  • Implantatversagen wie Schraubenbruch, Ausbrechen der Platte, Schraubenperforation

  • Posttraumatische Arthrose

  • Verbleib von Osteosynthesematerial auch bei Entfernung der Platten

  • Ggf. Knochenentnahme vom Beckenkamm oder Risiken des Einsatzes von allogener Knochensubstanz.

Operationsvorbereitung

  • Gründliche klinische Untersuchung mit sorgfältiger Erhebung des neurovaskulären Status

  • Röntgenaufnahme des Kniegelenks in 2 Ebenen und präoperatives CT zur exakten Darstellung und genauen Klassifikation der Fraktur

  • Bei Luxationsfrakturen: Fixateur externe sowie sorgfältige Evaluation des neurovaskulären Status und ggf. Intervention in Zusammenarbeit mit Gefäßchirurgen

Instrumentarium und Implantate

  • Bildverstärker

  • Strahlendurchlässiger Operationstisch

  • Standardinstrumentarium (Großfragment und Kleinfragment) für die offene Reposition von Frakturen

  • Laterale proximale Tibiaplatten (z. B. 3,5 mm „Variable angle locking compression plate“, VA-LCP, Proximal Tibia Plate System, DePuySynthes, West Chester, PA, USA)

  • 1,0- bis 1,6-mm-Kirschner-Drähte zur temporären Fixation

  • Oszillierende Säge oder Osteotom für die laterale Tibiakondylenosteotomie

  • 2,7-mm-Verriegelungsschrauben zur subchondralen bleibenden Fixation

  • Eventuell sterile Oberschenkelblutsperre

Anästhesie und Lagerung

  • Vollnarkose oder Spinalanästhesie

  • „Single-shot“-Femoralis- und/oder Adduktorenkanalblock zur besseren postoperativen Schmerzkontrolle. Damit ist die klinische Kontrolle eines Kompartmentsyndroms gewährleistet.

Operationstechnik

(Abb. 2345678910111213)

Abb. 2
figure 2

Lagerung und Anatomie des Kniegelenks in Ansicht von lateral. Das Bein wird flach oder in leichter Flexion von ca. 20° mit einer kleinen Knierolle gelagert. Die relevanten anatomischen Landmarken Patella, Kniegelenkspalt, Tibiavorderkante, Fibulaköpfchen und die Schnittführung des anterolateralen Zugangs sind markiert. Anlegen einer Blutsperre. Diese wird bei Bedarf während der Operation geschlossen

Abb. 3
figure 3

Anterolateraler Zugang. Lateraler Hautschnitt von ca. 10–14 cm beginnend in Verlängerung der lateralen Epicondylus-femoris-Femurkondyle, 1–2 cm proximal des lateralen Kniegelenkspalts. Der Schnitt verläuft weiter an der Außenseite der Tuberositas tibiae entlang nach distal, mit einem Abstand von 2–3 cm zur Crista tibiae. Um Hautnekrosen zu vermeiden, ist darauf zu achten, dass der Hautschnitt nicht zu weit nach anterior geführt wird. Die tiefe Faszie wird anschließend in Faserrichtung gespalten, in Verlängerung der Vorderkante des Tractus iliotibialis

Abb. 4
figure 4

Im nächsten Schritt wird der Ursprung des M. tibialis anterior sowie ggf. der Tractus iliotibialis vom Tuberculum gerdii partiell abgelöst. Bei Frakturen, die sich in die posterolaterale Ecke erstrecken, kann der Zugang S‑förmig nach proximal und dorsal verlängert werden. In der Regel besteht keine Notwendigkeit einer Darstellung des N. peronaeus. Durchgezogene rote Linie: gerade Schnittführung anterolateraler Zugang; gestrichelte rote Linie: lazy‑S Schnittführung anterolateraler Zugang, wodurch eine bessere Einsicht des lateralen Plateaus bis weit nach posterolateral gelingen kann

Abb. 5
figure 5

Anschließend wird eine horizontale submeniskale laterale Arthrotomie ausgeführt. Der Außenmeniskus wird mit 2 Vicryl-Haltefäden der Stärke 1 angeschlungen und zur Inspektion der lateralen Gelenkfläche nach kranial angehoben

Abb. 6
figure 6

Osteotomie der lateralen Tibiakondyle mit einer oszillierenden Säge oder dem Osteotom. Sie sollte auf der Höhe der Basis der Metaphyse, ca. 4 cm (Pfeil) distal der Gelenkfläche beginnen und muss eine ausreichende Darstellung der Fraktur gewährleisten. Ist die Osteotomie zu schmal, wird die Durchblutung der Tibiakondyle gefährdet. Dabei ist darauf zu achten, das dorsale Periost intakt zu lassen, um die Durchblutung der dorsalen Fragmente nicht zu gefährden. Am Periost kann das Osteotomiefragment daraufhin türflügelartig nach dorsal weggeklappt werden. Die Gelenkfläche wird unter direkter Sicht mit einem Raspatorium anatomisch reponiert. Zusätzlich radiologische Kontrolle. Oft kann auch ein Frakturfragment als bereits bestehende „natürliche Osteotomie“ nach dorsal geklappt werden und ermöglicht einen guten Einblick auf die Fraktur und Gelenkfläche

Abb. 7
figure 7

Das Repositionsergebnis wird temporär mit 1,0- oder 1,6-mm-Kirschner-Drähten gehalten. Bei sehr osteoporösem Knochen oder sehr kleinen Frakturfragmenten können 1,0 mm starke Kirschner-Drähte unter Umständen auch zur permanenten Fixation eingesetzt werden. Die Gelenkfläche wird vor allem bei mehrfragmentären Frakturen in mehreren Schritten aufgebaut, um sicher eine gute Kongruenz der Gelenkfläche wiederherzustellen

Abb. 8
figure 8

Metaphysäre Knochendefekte empfehlen wir, mit autologem oder allogenem Knochenmaterial aufzufüllen. Im dargestellten Fall wurden zwei Blöcke von bestrahltem Spongiosa-Allograft von ca. 2 × 1 × 0,5 cm Größe verwendet. Bei sehr großen Defekten kann auch ein gefriergetrockneter Femurkopf eines Spenders eingesetzt werden. Wir präferieren bei jungen Patienten autologes Material und bei älteren Patienten allogenes Material

Abb. 9
figure 9

a Fixation der stufenfrei reponierten Gelenkfläche mit freien winkelstabilen 2,7-mm-Verriegelungsschrauben, die subchondral eingebracht werden. Dies sind isolierte, nicht durch die Platte eingebrachte Schrauben, die die Reposition absichern. Die Verwendung von winkelstabilen Schrauben bietet sich an, da der Schraubenkopf leichter im Knochen versinkt als bei herkömmlichen Schrauben. b Röntgenkontrolle der Schraubenlage. Die zwei Schrauben liegen subchondral und fixieren die intraartikulären Fragmente. Werden die Schrauben zu dicht unter der Gelenkfläche platziert, können sie den darüberliegenden Knorpel beschädigen oder dessen Heilung negativ beeinflussen. Die Kirschner-Drähte, welche zur temporären Fixierung verwendet wurden, können nun entfernt werden

Abb. 10
figure 10

Zurückklappen der lateralen Tibiakondyle und temporäre Fixation mit einem Kirschner-Draht. Die intakte mediale Kondyle dient als Referenz für die Höhe des lateralen Plateaus. Kontrolle der Reposition des fixierten Gelenkfragments mit dem Bildwandler im korrekt seitlich und a.-p. eingestellten Strahlengang

Abb. 11a,b
figure 11

Über den eingebrachten Kirschner-Draht wird nun die laterale VA-LCP-Platte angelegt. Intraoperative Lagekontrolle und Kontrolle der Fraktur mit dem Bildwandler. Die Osteotomie wurde mit weißen Pfeilen gekennzeichnet

Abb. 12
figure 12

Die Platte wird metaphysär mit einer Kortikalisschraube fixiert. Metaphysär erfüllt die Platte eine Abstützfunktion, die die axialen Kräfte auffängt, auf das distale Fragment überleitet und dadurch die Gelenkfläche trägt. Diese Funktion wird durch die proximalen Schrauben („rafting“) unterstützt. Bei Diastase von Frakturfragmenten kann proximal durch eine Plattenzugschraube oder durch den Einsatz einer Repositionszange zusätzlich Kompression erreicht werden. Bevor der Meniskus (an den Haltefäden) wieder fixiert wird, kann erneut direkt visuell die Lage der intraartikulären Fragmente überprüft werden

Abb. 13
figure 13

Der laterale Meniskus wird mit langsam resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. PDS 3-0) an der Platte fixiert. Danach schichtweiser Wundverschluss. Die Faszie sollte zum Schutz vor Infektionen über der Platte geschlossen werden. Bei drohendem Kompartmentsyndrom oder bei Befürchtung eines sekundären Kompartmentsyndroms kann das distale Ende der Inzision in der Faszie offengelassen werden

Fallbeispiele

(Abb. 1415 und 16)

Abb. 14
figure 14

a–e Eine 23-jährige Patientin stürzte von einer Kletterwand aus ca. 4 m Höhe. Sie zog sich hierbei eine laterale Pfeilerfraktur mit Auslauf in die posterolaterale Ecke zu. Osteosynthese via anterolateralen Zugang mit subchondralen Schrauben und lateraler Plattenosteosynthese. Die einzelnen Schritte sind in der vorausgegangenen Darstellung der Operationsmethode gezeigt. f–j Das postoperative Resultat. Klinisch bestanden medial leichte Beschwerden als Folge des Valgustraumas. Mittlerweile ist die Patientin 6 Monate postoperativ beschwerdefrei

Abb. 15
figure 15

a–g Eine 56-jährige Patientin stürzte aus dem Stand heraus und erlitt eine Tibiaplateaufraktur. Die initialen Röntgen- und CT-Bilder zeigen eine Null-Pfeilerfraktur mit Impression der lateralen Gelenkfläche ohne begleitende Kortexunterbrechung. Die Osteotomie ist mit weißen Pfeilen markiert (Abb. 16e). h–j Intraoperative Röntgenbilder. Die Impression der Gelenkfläche wurde nach Osteotomie der lateralen Tibiakondyle stufenfrei reponiert und mit einer freien winkelstabilen 2,7-mm-Schraube subchondral fixiert. Zusätzlich abstützende Plattenosteosynthese mit einer VA-LCP-Platte „small bend“. k–m In der CT-Kontrolluntersuchung 3 Monate postoperativ zeigte sich ein gutes Repositionsergebnis. n–o In der Kontrolluntersuchung 7 Monate postoperativ zeigte sich eine vollständig konsolidierte Fraktur, das Knie war stabil, die Bewegung uneingeschränkt. Aufgrund leichter Schmerzen wurde 1 Jahr postoperativ eine Metallentfernung geplant, wobei die 2,7-mm-Schraube belassen wurde. Seither ist die Patientin beschwerdefrei

Abb. 16
figure 16

a–f 40-jährige Patientin stürzte beim Spazierengehen mit ihrem Hund. Sie erlitt ein Valgustrauma des Knies und zog sich eine laterale Pfeilerfraktur des Tibiaplateus zu. g, h Die intraoperative Röntgenkontrolle zeigt eine anatomische Reposition. i–m In der postoperativen Kontrolle ist im CT noch eine geringe Impression der posterolateralen Gelenkfläche zu erkennen

Besonderheiten

  • Die beschriebene Operationsmethode kann ebenfalls zur Versorgung von Tibiaplateaufrakturen mit Beteiligung des medialen Pfeilers angewendet werden. Dann empfiehlt sich ein direkt medialer oder posteromedialer Zugang, abhängig vom Frakturverlauf.

  • Die dargestellte Methode ist auch bei Zwei- oder Drei-Pfeiler-Frakturen in Kombination mit einer medialen und/oder dorsalen Plattenosteosynthese möglich (Abb. 17).

Abb. 17
figure 17

Ein 41-jähriger Patient stürzte bei einem Gefängnisausbruch aus dem 3. Stock. a–e Im Röntgenbild und präoperativen CT zeigt sich eine Zwei-Pfeiler-Tibiaplateaufraktur mit Beteiligung des lateralen und posterioren Pfeilers. Im CT ist die Impression der lateralen Gelenkfläche sowie die laterale und dorsale Unterbrechung des Kortex deutlich sichtbar. Die Osteotomie der lateralen Tibiakondyle wurde mit weißen Pfeilen markiert (c). f, g Beide Pfeiler wurden operativ stabilisiert. Erst wurde der dorsale Pfeiler mit einer Abstützplatte von dorsal über einen umgekehrt L‑förmigen Zugang („reversed L‑shape approach“) fixiert. Danach reponierten wir die laterale Pfeilerfraktur mit der dargestellten Methode. Über einen anterolateralen Zugang hoben wir die Impression der lateralen Gelenkfläche anatomisch und fixierten sie stabil mit zwei freien subchondralen winkelstabilen 2,7-mm-Schrauben. Danach stützten wir die Fraktur mit einer VA-LCP-Platte ab. h–j CT-Kontrolluntersuchung 4 Monate postoperativ mit gutem Repositionsergebnis und minimaler Unregelmäßigkeit der lateralen Tibiagelenkfläche mit kleiner Spaltbildung (i)

Postoperative Behandlung

  • Antibiotikaprophylaxe mit Cefazolin bis 3‑mal 2 g über 24 h

  • Kryotherapie und Hochlagerung

  • Redondrainage nach eigener Einschätzung

  • Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin

  • Osteosynthese ist übungsstabil. Sofortige Mobilisierung ab dem 1. Tag postoperativ unter physiotherapeutischer Anleitung; Motorschienenbehandlung (CPM-Bewegungsschiene, „continous passive motion“)

  • Bei verbliebener ligamentärer medialer Instabilität kann eine Knieschiene zur Varus-Valgus-Stabilisierung in Erwägung gezogen werden.

  • Röntgenkontrolle in zwei Ebenen am 3. postoperativen Tag

  • Für 8 Wochen postoperativ 15-kg-Teilbelastung mit Bodenkontakt, danach progressiver Belastungsaufbau unter physiotherapeutischer Betreuung

  • CT zur Kontrolle der Konsolidierung, des Alignements und der Kongruenz der Gelenkfläche 3 Monate postoperativ

  • Eine Implantatentfernung ist in der Regel nicht notwendig, kann jedoch bei Beschwerden ab 9 Monaten postoperativ vorgenommen werden. Bei normalem Verlauf können Patienten bei Beschwerdefreiheit und vollständiger Konsolidierung der Fraktur zwischen 9 und 12 Monaten aus der Nachsorge entlassen werden.

  • Eine Arbeitsunfähigkeit besteht abhängig von der Arbeitssituation, der Mobilität und der physischen und psychischen Fähigkeiten des Patienten.

Fehler, Gefahren, Komplikationen

  • Wundheilungsstörungen können bei schlechter Ausgangssituation der Weichteile auftreten und bei zu früher chirurgischer Intervention: Bei ausgedehnten primären oder sekundären Weichteildefekten sollte die Operationsplanung inklusive plastische Deckung interdisziplinär mit dem plastischen Chirurgen vorgenommen werden.

  • Superfizielle und tiefe Infektion: Zeitnahes Débridement mit Gelenkspülung Die Gewinnung von Material zur mikrobiologischen Keimbestimmung und Resistenzprüfung ist für die gezielte Antibiotikatherapie zwingend erforderlich. Festsitzende Implantate können bei einem Frühinfekt belassen werden, im Falle einer Lockerung sollte das Fremdmaterial entfernt werden. Eventuell Anlegen eines Fixateurs externe bei instabiler Situation.

  • Kompartmentsyndrom: Regelmäßige klinische Kontrolle des betroffenen Beins, um ein Kompartmentsyndrom möglichst frühzeitig zu erkennen. Bei klinischem Verdacht müssen eventuell zeitnah alle vier Kompartimente gespalten werden.

  • Läsion des N. peronaeus: Regelmäßige neurologische Kontrolle und Verschreibung einer Fußheberorthese. Nach sonographischer Diagnose ist ggf. eine Revision des N. peronaeus erforderlich.

  • Bewegungseinschränkungen z. B. durch ungenügende postoperative Mobilisierung

  • Posttraumatische Gonarthrose durch verbliebene Instabilität, Gelenkstufen, Nachsintern der Fraktur, Achsabweichung, Infektion, Non-Union oder avaskuläre Nekrose

  • Pseudarthrose

  • Insuffiziente Osteosynthese, Implantatversagen, sekundäre Dislokation oder Achsabweichung durch nicht ausreichende präoperative Diagnostik oder ungenügender Reposition der Fraktur und/oder Fixation aller Fragmente

Ergebnisse

Seit Februar 2014 behandelten wir 14 weibliche und 9 männliche Patienten mit einer lateralen Tibiaplateaufraktur nach beschriebener Operationsmethode. Sechs Patienten wurden bei Verkehrsunfällen und einer bei einem Sturz aus großer Höhe verletzt. Zu den weiteren Unfallmechanismen gehörten Stürze aus dem Stand heraus (4), Skiunfälle (2), ein Quetschtrauma durch umfallende Paletten, ein Pferdetritt sowie ein Tritt gegen eine Tür. Zwei der Patienten erlitten Mehrfachverletzungen und wurden als Polytrauma (Injury Severity Score , ISS >16) eingeliefert. Die vorübergehende Stabilisierung der Tibiaplateaufraktur durch einen externen Fixateur war hierbei nicht notwendig. Jeweils 3 Patienten hatten begleitende Fibulafrakturen oder andere Frakturen. Bei einem Patienten war die Eminentia intercondylaris frakturiert. Insgesamt 4 Patienten sind innerhalb von 3 Monaten postoperativ aus dem Follow-up verloren gegangen. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Artikels war bei 2 Patienten das 3‑Monats-Follow-up noch nicht abgeschlossen. Insgesamt 11 Patienten gaben in der Kontrolluntersuchung subjektiv keine Beschwerden mehr an (einschließlich Patientenbeispiel, Abb. 14). Insgesamt 9 der 19 nachuntersuchten Patienten klagten noch über Schmerzen und Einschränkungen in unterschiedlichem Ausmaß. Einmal wurde eine Metallentfernung wegen leichter Schmerzen über der Platte komplikationslos durchgeführt; danach stellte sich ebenfalls Beschwerdefreiheit ein (Patientenbeispiel, Abb. 15). In einem Fall trat ein Monat postoperativ eine oberflächliche Infektion auf, die antibiotisch behandelt wurde, ohne die Notwendigkeit einer Implantatentfernung.

Ca. 3 Monate postoperativ zeigten 10 Patienten gute klinische Resultate mit vollständigem Bewegungsumfang. Bei 3 Patienten bestand eine Beschränkung der Kniebeugung von 30° oder mehr und bei 2 Patienten wurde eine leichte (+) mediale Bandinstabilität festgestellt. Bei der routinemäßigen CT-Kontrolle nach 3–4 Monaten zeigte sich bei 10 von 17 Patienten ein gutes Repositionsergebnis. Bei 7 Patienten lag eine Stufenbildung >2 mm und ein suboptimales Alignement (respektive 83 und 14° koronare und sagittale Tibiawinkel) vor. Als gut wurde das Repositionsergebnis bei intrartikulärer Stufenbildung unter 2 mm und wiederhergestellten Achsverhältnissen beurteilt (koronal: medialer proximaler Tibiawinkel 87 ± 5°; sagittal: posteriorer proximaler Tibiawinkel 9 ± 5°). Bei insgesamt 9 Patienten zeigte sich eine noch unvollständige knöcherne Konsolidation der Fraktur.

Eine primäre, direkt postoperative Perforation oder eine sekundäre Perforation der freien subchondralen Verriegelungsschrauben ins Gelenk wurde nicht beobachtet.

Zusammenfassend haben wir mit unserer Methode gute Ergebnisse erzielt. Ob unsere vorgestellte Operationstechnik tatsächlich besser ist als die derzeitigen Standardmethoden, muss sich im Langzeitverlauf und in der Zukunft durch randomisierte prospektive Studien noch ausweisen.