Vorbemerkungen

Frakturen der distalen Tibia am metadiaphysären Übergang unterscheiden sich in der Behandlung klar von den eigentlichen Pilonfrakturen mit artikulärer Impaktion als auch von den rein diaphysären Frakturen [1]. Während komplexe Pilonfrakturen eine offene anatomische Reposition und Osteosynthese mit absoluter Stabilität im artikulären Bereich verlangen, werden Schaftfrakturen im mittleren Drittel mit intramedullärer Marknagelung in relativer Stabilität versorgt. Die im Folgenden dargelegte minimal-invasive Plattenosteosynthese am distalen Tibiaschaft bewegt sich dementsprechend im Grenzbereich der Plattenosteosynthese versus Marknagelung und unterliegt nicht zuletzt der individuellen Erfahrung des Operateurs. Daneben hängt die Behandlung hauptsächlich von Charakteristika der Patienten (Tabakkonsum, Diabetes mellitus, Steroide), den Weichteilverhältnissen sowie der „Persönlichkeit der Fraktur“ ab. Die traditionelle offene Plattenosteosynthese kann durch Schädigung der vaskulären Integrität an Periost und Knochen sowie der Weichteile zu hohen Raten an postoperativen Wundinfekten, „delayed union“ (verzögerte Frakturheilung) und „non-union“ (Nichtheilung) führen [10, 14]. Minimal-invasive Verfahren können die periosteale Durchblutung und das osteogene Frakturhämatom erhalten [3, 4]. Insbesondere die Rate an postoperativen Wundinfekten ist bei der minimal invasiven Plattenosteosynthese (MIPO) geringer als in der klassischen offenen Technik [7, 9, 11]. Auch die Rate an Malunion (Fehlheilung), „delayed union“ und non-union“ ist in unserer Erfahrung im Vergleich zur offenen Plattenosteosynthese insgesamt tief [11, 12, 13].

Bei einfachen Frakturen muss eine möglichst anatomische Reposition angestrebt werden, da reine Überbrückungen der Metaphyse mit residueller Spaltbildung von mehr als 2–3 mm zur verzögerten Frakturheilung neigen [6]. Daher muss gelegentlich die MIPO-Technik mit einer formal (limitiert) offenen Reposition kombiniert werden. Anders verhält es sich bei der osteosynthetischen Versorgung von komplexen Frakturen, wo Achse, Länge und Rotation korrekt eingestellt werden müssen und residuelle Spaltbildungen nicht zu vermehrter „delayed union“ neigen. Daher muss bei der Versorgung distaler Tibiafrakturen in MIPO-Technik hinsichtlich der Operationstaktik zwischen einfachen und komplexen Frakturen differenziert werden. Grundsätzlich können Frakturen mit geringem Weichteiltrauma (geschlossenes Weichteiltrauma nach Oestern-Tscherne Grad 0–II respektive offenes Weichteiltrauma nach Gustilo-Anderson Grad I) häufig primär versorgt werden, während solche mit höhergradigem Weichteilschaden (Oestern-Tscherne Grad III respektive Gustilo-Anderson Grad II–III) bevorzugt zweizeitig versorgt werden sollten.

Operationsprinzip und -ziel

Minimal-invasive Plattenosteosynthesen eignen sich zur Versorgung distaler extraartikulärer Tibiafrakturen oder solcher mit einfacher Gelenksbeteiligung durch Frakturausläufer von Torsionsfrakturen. Gleichzeitig ergibt sich durch die minimal-invasive Technik eine nur limitierte zusätzliche Schädigung des oftmals beträchtlich traumatisierten Weichteilmantels über der distalen Tibia.

Vorteile

  • Geschlossene Frakturreposition (indirekt oder direkt über perkutan angelegte Repositionszange)

  • Minimale Kompromittierung der Weichteile und der Blutversorgung

  • Partieller Erhalt des osteogenen Frakturhämatoms

  • Reduktion der postoperativen Wundkomplikationen

Nachteile

  • Anspruchsvolle Technik

  • Verletzungsgefahr von N. saphenus und V. saphena magna

  • Achsabweichung kann auftreten

  • Mangelende Compliance mit zu früher Belastung kann zu Implantatversagen mit Malunion oder „delayed union“ bzw. „non-union“ führen

  • Malunion durch nichtanatomische Fixation

  • „Delayed union“ bzw. „non-union“ durch Fixation in Distraktion

  • „Delayed union“ bzw. „non-union“ durch zu flexible Fixation einer einfachen Fraktur

Indikationen

  • Distale Tibiaschaftfrakturen (AO 42-A–C), vor allem geeignet sind lange Spiralfrakturen (auch bei Osteoporose)

  • Extraartikuläre distale (metaphysäre) Tibiafrakturen (AO 43-A)

  • Einfache, distale intraartikuläre Tibiafrakturen (AO 43-C1/-C2)

  • Mit Marknagel nicht zu versorgende distale Tibiafrakturen (enger oder deformierter Markkanal, einliegende Knieprothese etc.)

Kontraindikationen

  • Komplexe, intraartikuläre, distale Tibiafrakturen (Pilonfrakturen; AO 43-B2, -B3, -C3)

  • Offene Frakturen Grad II–III nach Gustilo-Anderson, bei denen das Implantat nicht gedeckt wäre

Patientenaufklärung

  • Allgemeine Operationsrisiken

  • Je nach Weichtteilsituation (starke Schwellung, geschlossenes Weichteiltrauma nach Oestern-Tscherne Grad II–III, offenes Weichteiltrauma nach Gustilo-Anderson Grad II–III) temporäre Bettruhe unmittelbar postoperativ

  • Mobilisation postoperativ unter Teilbelastung an Gehstützen für 6–8 Wochen

  • Belastungssteigerung ab 8. Woche entsprechend dem radiologischen Konsolidationsgrad

  • Keine zusätzliche äußere Ruhigstellung

  • Implantatversagen

  • Malunion

  • „Delayed union“ oder „non-union“

  • Optionale Implantatentfernung bei Weichteilirritationen nach abgeschlossener Knochenbruchheilung

Operationsvorbereitungen

  • Genaue Beurteilung der Weichteilverhältnisse (Schwellung, Kontusion, Läsionen, Blasen, offene Wunden, Kompartmentsyndrom)

  • Konventionelle Röntgenaufnahme des gesamten Unterschenkels inklusive Kniegelenk in 2 Ebenen

  • Konventionelle Röntgenaufnahme des Sprunggelenks in a.-p.- und lateraler Projektion

  • Bei Frakturausläufern ins Gelenk sind ggf. Schnittbildaufnahmen indiziert (Computertomographie)

  • Präoperative Planung von Zugang, Reposition und Fixation anhand Planungsfolien oder digitaler Planungssoftware

  • Präoperative Antibiotikaprophylaxe, z. B. Cefazolin 2 g i.v.

  • Thromboseprophylaxe gewichts- und risikoadaptiert mit niedermolekularem Heparin

Instrumentarium und Implantate

  • Mediale distale LCP-Tibiaplatte „Low Bend“ 3,5 mm (Synthes GmbH, Oberdorf, Schweiz)

  • Alternatives Implantat bei Frakturausdehnung in die mittlere bis proximale Tibiadiaphyse: LCP-Metaphysenplatte für distale mediale Tibia 3,5/4,5/5,0 mm (Synthes GmbH, Oberdorf, Schweiz)

  • Kleinfragment-LCP-Instrumentenset (Synthes GmbH, Oberdorf, Schweiz)

  • LCP-Drittelrohrplatten 3,5 mm (Synthes GmbH, Oberdorf, Schweiz)

  • Alternativ: winkelstabile Formplatten anderer Hersteller

Anästhesie und Lagerung

  • Regional- oder Allgemeinanästhesie

  • Rückenlagerung mit angehobenem und im Kniegelenk leicht flektiertem Bein (Unterschenkel horizontal) auf strahlendurchlässigem Operationstisch (Abb. 1, Abb. 2)

  • Gefaltetes Tuch unter dem ipsilateralen Gesäß verhindert Außenrotation des Beins

  • Optional unsterile Oberschenkelblutsperre, nicht insuffliert

  • Platzieren des C-Bogens von der kontralateralen Seite

  • Desinfektion und sterile Abdeckung bis oberhalb Kniegelenk

Abb. 1
figure 1

Rückenlagerung auf strahlendurchlässigem Operationstisch mit angehobenem und im Kniegelenk leicht flektiertem Bein (Unterschenkel horizontal). Ein gefaltetes Tuch unter dem ipsilateralen Gesäß verhindert die Außenrotation des Unterschenkels. Platzieren des C-Bogens von der kontralateralen Seite in 90° zur Beinachse

Abb. 2
figure 2

Der Operateur steht lateral des verletzten Unterschenkels, der Assistent steht am Ende des Operationstischs. Je nach Situation kann die Position auch gewechselt werden, gelegentlich ist ein Operieren von der Gegenseite her, über das gesunde Bein hinweg, von Vorteil

Operationstechnik

(Abb. 3, Abb. 4, Abb. 5, Abb. 6, Abb. 7, Abb. 8, Abb. 9, Abb. 10, Abb. 11, Abb. 12, Abb. 13, Abb. 14, Abb. 15, Abb. 16)

Abb. 3
figure 3

Zugang. Der anteromediale Zugang stellt den Standard für die MIPO-Technik dar. Bei traumatisierten Weichteilen anteromedial kann alternativ auch ein anterolateraler Zugang verwendet werden. Hautinzision 3–5 cm lang, gerade oder leicht gekurvt bis auf die Spitze des medialen Malleolus. Die Durchtrennung des Subkutangewebes erfolgt bis zum Periost unter Vermeidung der Bildung von Weichteillappen. Hierbei muss die V. saphena magna und der N. saphenus schonend mit einem stumpfen Haken (z. B. Lidhaken) nach ventral weggehalten werden. Mit dem Raspatorium wird entlang der Facies medialis der distalen Tibia epiperiostal schonend das Plattenlager in den unteren Abschnitten bis zur Fraktur vorbereitet

Reposition und Fixation bei einfachen Frakturen

Abb. 4
figure 4

Bei einfachen Frakturen der distalen Tibia (AO 42-A oder 43-A) ist die anatomische Reposition ohne Spaltbildung anzustreben. Eine persistierende Spaltbildung von 2–3 mm kann zur verzögerten oder ausbleibenden Knochenbruchheilung („delayed union“ oder „non-union“) führen. Dies wird am besten durch eine perkutan durchgeführte direkte Reposition mit spitzen Repositionszangen erreicht (Weber-Repositionszange, kollineare Repositionsklemme). Bei begleitender Fibulafraktur kann die Reposition der Tibia durch eine primäre Reposition und Fixation der Fibula erleichtert werden.

Abb. 5
figure 5

Lage der Repositionszange. Um eine anatomische Reposition durch Anlegen einer perkutanen Repositionszange zu erreichen, ist es essentiell, die Ausrichtung der Zange in 90° zur Frakturebene in der Frontal- und Sagittalebene zu planen. In beiden radiologischen Projektionen soll die korrekte Position der beiden Zangenspitzen vorgängig geplant werden. Liegt die ideale Position der medial gesetzten Spitze, wie in diesem Beispiel, in der Frontalebene proximaler als lateral (a, b) und zeigt sich in der Sagittalebene, dass die proximaler zu liegende Spitze posterior sein muss (c, d), so muss die Zange von medial-proximal-posterior nach lateral-distal-anterior angebracht werden. Dementsprechend müssen die Stichinzisionen gewählt werden, da dieses Manöver ansonsten nicht gelingt und bei unsorgfältiger Ausführung zu zusätzlichen Weichteilverletzungen führen kann

Abb. 6
figure 6

a, b Retentionssschraube. Um die Reposition zu halten, empfiehlt es sich, die Repositionszange durch eine Retentionsschraube zu ersetzen. Hierzu wird eine 3,5-mm-Kortikalisschraube in klassischer Zugschraubentechnik durch Bohren eines Gewindelochs von 2,5 mm sowie eines Gleitlochs von 3,5 mm parallel zur Repositionszange eingebracht. Die Retentionsschraube soll nach Fixation der Brückenplatte wieder entfernt werden, da durch die Verwendung einer langen Platte im Frakturspalt keine Neutralisation der Kräfte an der Schraube erreicht werden kann und diese damit potenziell früh versagen könnte

Abb. 7
figure 7

Einbringen der Platte. Eine anatomische mediale, distale LCP-Tibiaplatte kann nun vom anteromedialen Zugang distal über dem Innenknöchel nach proximal epiperiostal eingeschoben werden. Erleichtert wird dies durch eine in ein distales Plattenloch eingedrehte LCP-Gewindebohrbüchse als Handgriff. (Nach [15])

Abb. 8
figure 8

ac Nach Ausrichten des distalen Plattenendes zentral und höhenkorrekt oberhalb des medialen Malleolus ist es wichtig, die Platte zuerst distal mit einer ersten konventionellen Schraube präliminär zu fixieren, damit die Platte satt auf dem Knochen bzw. Periost zu liegen kommt. Dies vermeidet zukünftige Irritationen des in diesem Bereich meist dünnen Weichteilmantels

Abb. 9
figure 9

Über dem perkutan palpierten proximalen Plattenende wird ein weiteres Weichteilfenster durch eine 1–2 cm lange Inzision der Haut/Subkutis angelegt und eine LCP-Gewindebohrbüchse in das am weitesten proximale Plattenloch eingedreht. Die Bohrbüchse dient als Handgriff, um die Platte am Tibiaschaft zu zentrieren. Nun wird ein 2,8-mm-Bohrer oder alternativ ein Kirschner-Draht durch diese Bohrbüchse gesetzt und die Platte dadurch proximal präliminär fixiert. Durch die distal eingebrachte Schraube und durch einen temporären Fixationspunkt proximal (eingedrehter Bohrer) können Feinkorrekturen des sagittalen Alignement, sofern nötig, noch vorgenommen werden (Details s. Abb. 14)

Abb. 10
figure 10

Bei korrekter Reposition werden jetzt, bei in situ liegendem Bohrer proximal, weitere Schrauben proximal und distal gesetzt. Als letzter Schritt wird der liegende Bohrer proximal durch eine Verriegelungsschraube ersetzt

Abb. 11
figure 11

Ausgewogene Fixation („balanced fixation“). Um die gewünschte sekundäre Knochenbruchheilung zu erreichen, sollten für die Versorgung distaler Tibiaschaftfrakturen lange Platten verwendet werden, welche eine flexible Fixation in relativer Stabilität erlauben (> 2- bis 3 -mal Frakturlänge bei komplexen Frakturen, > 8- bis 10 -mal Frakturlänge bei einfachen Frakturen). Im Weiteren ist auf eine ausgewogene Fixation zu achten. Hierzu sollten im diaphysären Fragment mindestens 3 bikortikale Kopfverriegelungsschrauben gesetzt werden. Dabei sollten 2 Schrauben frakturnah und 1 Schraube frakturfern eingebracht werden. Metaphysär müssen 5–6 Verriegelungsschrauben in optimaler Länge verwendet werden. Bei schlechter Knochenqualität muss die Schraubenanzahl pro Hauptfragment erhöht werden. (Nach [5])

Abb. 12
figure 12

Um die gewünschte relative Stabilität in der Frakturzone zu erzielen, entspricht es unserem Vorgehen, am Schluss der osteosynthetischen Versorgung die Retentionsschraube zu entfernen

Reposition und Fixation bei komplexen Frakturen

Abb. 13
figure 13

Bei der Versorgung von komplexen Frakturen des distalen Tibiaschafts kann die Reposition über die Platte erreicht werden. Hierzu wird die Platte über einen kurzen Zugang am medialen Malleolus auf dem Periost eingeschoben und mit einer konventionellen Kortikalisschraube distal über dem oberen Sprunggelenk an die Tibia präliminär fixiert. Um die anschließenden indirekten Repositionsmanöver nicht zu behindern, sollte die Schraube nicht vollständig angezogen werden. Über eine zweite kurze Inzision am proximalen Plattenende wird eine LCP-Bohrbüchse in das am weitesten proximal gelegene Loch eingedreht. Diese LCP-Bohrbüchse dient nun als Handgriff für die indirekte Reposition der Achse, Länge und Rotation unter Bildwandlerkontrolle im a.-p.-Strahlengang

Abb. 14
figure 14

ac Bei korrekter Achse, Länge und Rotation im a.-p.-Strahlengang wird durch die proximale LCP-Bohrbüchse ein 2,8-mm-Bohrer bikortikal gesetzt. Dabei ist auf eine zentrierte Lage der Platte am Schaft zu achten. Anschließend wird die konventionelle Kortikalisschraube distal festgezogen. Im seitlichen Strahlengang wird nun das korrekte Alignement in der Sagittalebene überprüft. Ein allfälliges Rekurvatum bzw. Antekurvatum kann problemlos wie dargestellt manuell korrigiert werden. Bei korrektem Alignement in der Sagittalebene werden analog dem Vorgehen bei einfachen Frakturen frakturnah bzw. frakturfern Verriegelungsschrauben im Sinne einer „balanced fixation“ gesetzt

Besonderheiten

Abb. 15
figure 15

Fibulafraktur. Bei den meisten distalen Tibiaschaftfrakturen liegen gleichzeitig auch ipsilaterale Fibulafrakturen vor. Wir empfehlen die Versorgung der Fibula in den folgenden 3 Situationen: 1. Kombinationsverletzung distale Tibiaschaftfraktur (AO 42) mit Malleolarfraktur (AO 44). Beide Frakturen sind unabhängig voneinander zu versorgen. (a –f) 2. Zur Erhöhung der Stabilität bei sehr distalen Tibiaschaftfraktur mit schmalem Gelenkblock und entsprechend kritischer Fixation in der Tibiametaphyse. 3. Schlechte Compliance des Patienten mit zu erwartender Vollbelastung im früh postoperativen Verlauf. Hier kann durch Stabilisation der Fibula der drohenden sekundären Valgus-Fehlstellung durch Verbiegen der Tibiaplatte entgegengewirkt werden. Einfache Fibulafrakturen werden offen anatomisch reponiert und fixiert. Trümmerfrakturen hingegen können analog zur Tibia ebenfalls in MIPO-Technik versorgt werden [8]. Intraartikuläre Frakturausläufer der Tibia, was vor allem bei Torsionsfrakturen beobachtet wird, lassen sich durch 1–2 zusätzliche perkutane Zugschrauben stabilisieren. a, b Unfallbild a.-p. und laterale Projektion. c, d Postoperatives Röntgenbild a.-p. und laterale Projektion. e, f Postoperatives Röntgenbild a.-p. und laterale Projektion nach 2 Jahren

Abb. 16
figure 16

Nach Abschluss jeder osteosynthetischen Versorgung einer distalen Tibiafraktur – mit oder ohne distale Fibulafraktur – muss die Stabilität der Syndesmose unter dem Bildverstärker überprüft werden. Hierzu kann bei einem offenen Zugang über der distalen Fibula ein Ein-Zinkerhaken über der Spitze des lateralen Malleolus eingehakt und hierdurch die Fibula nach außen rotiert werden (Hakentest). Alternativ kann bei nicht operierter Fibula (z. B. bei hoher Fraktur) mit einem bimanuellen Pronationsaußenrotationsmanöver des Fußes gegenüber dem Unterschenkel die Syndesmosenstabilität geprüft werden. Kommt es dabei zur Verbreiterung des medialen und/oder lateralen Gelenkspalts im oberen Sprunggelenk (a), ist dies als pathologische Instabilität der Syndesmose zu werten und dementsprechend zu behandeln. Durch perkutanes Anlegen einer großen spitzen Repositionszange wird die Syndesmose in Neutralstellung des Fußes unter Bildwandlerkontrolle geschlossen reponiert und durch Einbringen von 1–2 fibulotibialen Stellschrauben (je nach Knochenqualität und erreichter Stabilität) retiniert (b). Posterolaterale Fragmente (Volkmann-Dreieck), sofern genügend groß (> ¼ Gelenksbeteiligung), können ebenfalls geschlossen anatomisch reponiert und mit perkutan eingebrachten anteroposterioren Zugschrauben fixiert werden (c, d)

Postoperative Behandlung

  • Passive und aktive Bewegungsübungen im Patientenbett

  • Lymphologische Behandlung durch die Physiotherapie

  • Erstmobilisation unter physiotherapeutischer Anleitung nach entsprechender Konsolidation der Weichteile in den ersten postoperativen Tagen

  • Teilbelastung von 10–15 kg an Unterarmgehstützen oder am Gehwagen

  • Einhalten der Teilbelastung für 6 Wochen

  • Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin bis zur Entlassung des Patienten bzw. bis zur Belastungssteigerung nach 6–8 Wochen bei Vorliegen von Risikofaktoren für venöse Thromboembolien (Stamm- und Astvarikose, venöse Thromboembolie in der Anamnese, maligne Erkrankung, BMI > 30 kg/m2, Östrogenmedikation, Thrombophilie)

  • Klinische und radiologische Kontrolluntersuchungen nach 6 Wochen mit Belastungssteigerung und Übergang auf stockfreie Vollbelastung nach 8–12 Wochen wenn beschwerdearm

  • Weitere Kontrollen nach 3, 6 und 12 Monaten

  • Metallentfernung nach 1–2 Jahren, fakultativ bei lokalen Beschwerden

Fehler, Gefahren, Komplikationen

  • Unsachgemäßer Umgang mit den Weichteilen kann zu Wundheilungsstörungen oder postoperativen Wundinfekten führen. Bei kritischen Verhältnissen muss daher eine ausreichende Konditionierung der Weichteile präoperativ abgewartet werden.

  • Ungenügende Reposition insbesondere bei einfachen Frakturen (Frakturspalt > 2–3 mm) führt oft zu einer verzögerten Heilung mit der Gefahr der Ausbildung einer Pseudarthrose.

  • Da die MIPO-Technik keine direkte Visualisierung der Frakturzone erlaubt und das korrekte Alignement nur durch den Bildverstärker überprüft wird, kann es zu axialen und rotatorischen Malalignements kommen (vergleichbar mit einer geschlossenen Marknagelung).

  • Eine vom Knochen abstehende Platte kann sowohl distal supramalleolär wie auch im Schaftabschnitt zu störenden Weichteilirritationen führen.

  • Schädigung des N. saphenus: Sensibilitätsstörung medialer Fußrist

  • Zu lange (d. h. bikortikale) Schrauben distal metaphysär können, wenn in Richtung der Fibula gesetzt, die Syndesmose irritieren und entsprechende Beschwerden verursachen.

Ergebnisse

Im Rahmen einer ersten prospektiven Untersuchung an unserer Klinik konnten zwischen 2001 und 2005 insgesamt 76 Patienten (39% Frauen, 61% Männer) mit einer distalen Tibiafraktur in MIPO-Technik versorgt werden. Die Frakturen wurden nach geschlossener Reposition unter Bildverstärkerkontrolle mit einer LCP-Metaphysenplatte (3,5/4,5/5,0 mm) in Brückenplattentechnik über kurze Inzisionen versorgt. In Fällen mit sehr distalen Tibiafrakturen oder schlechter Compliance wurden ipsilaterale Fibulafrakturen zur Erzielung einer erhöhten Stabilität mitversorgt (n=18). Nach funktioneller Nachbehandlung unter Teilbelastung von 10–15 kg ohne äußere Ruhigstellung konnte die Vollbelastung entsprechend der klinischen und radiologischen Frakturheilung nach 8–12 Wochen aufgenommen werden. Insgesamt 62 Patienten (82%) mit einem mittleren Alter von 42 Jahren (11–74 Jahre) konnten nach 6 und 12 Wochen sowie 1–2 Jahre postoperativ nachuntersucht werden. Insgesamt 54 der 62 nachkontrollierten Frakturen heilten radiologisch innert 4 Monaten, weitere 4 Frakturen heilten innert 8 Monaten. Infolge einer Valgus-Fehlstellung mussten 3 Patienten (> 10°) postprimär korrigiert werden. Zudem musste eine Spongiosaplastik bei „non-union“, eine Reosteosynthese bei „non-union“ ohne Spongiosaplastik sowie eine lokale Lappenplastik bei Hautnekrose durchgeführt werden. Unter den nachkontrollierten Frakturen fand sich kein postoperativer Infekt. Im Rahmen der Langzeitkontrolle (1–2 Jahre) zeigten sich alle Patienten zufrieden mit dem Ergebnis. Bis 2011 haben wir 205 Patienten mit distalen Tibiaschaftfrakturen in beschriebener Technik versorgt.

Die minimal-invasive Plattenosteosynthese stellt eine gute Technik zur Versorgung extraartikulärer, distaler Tibiafrakturen mit geringer postoperativer Komplikationsrate dar. Die neuen, anatomisch vorgeformten winkelstabilen Implantate erleichtern durch ihre systemimmanenten Eigenschaften die Anwendung der minimal-invasiven Osteosyntheseprinzipien. Allerdings stellt die geschlossene Repositionstechnik ohne direkte Visualisierung der Frakturzone höhere Anforderungen an den Operateur, um postoperative Fehlstellungen zu vermeiden [2].