Zusammenfassung
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1.
Fische besitzen allgemein die Fälligkeit, feste Körper mittels Wasserbewegungen in einiger Entfernung wahrzunehmen. Die Reize werden lokalisiert. Bewegte Körper werden nach ihrer Größe und Annäherungsgeschwindigkeit unterschieden.
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2.
Eine biologische Bedeutung dieses „Ferntastsinnes“ hat sich bei geblendeten Fischen nach mehreren Seiten gezeigt; so besonders beim Auffinden von Beutetieren und bei der Flucht vor Feinden, ferner für das Ausweichen von Hindernissen und in einem Fall für die Beziehungen zwischen Artgenossen.
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3.
Ausschaltung der Seitenorgane hebt das Fernwahrnehmungsvermögen für feste Körper auf. Bei partieller Ausschaltung ist der operierte Teil unempfindlich, während die Empfindlichkeit der intakten Abschnitte nicht herabgesetzt wird. Das Seitenorgansystem wäre seiner biologischen Aufgabe gemäß mit dem Ausdruck „Ferntastorgan“ zu bezeichnen.
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4.
Neben den Sinnesorganen in Kanälen persistieren bei allen Fischen zeitlebens freie Sinneshügel. Sowohl freie Organe als Kanalorgane dienen dem Ferntastsinn, indem sie von den schwachen Strömungsbzw. Druckreizen erregt werden, die bei der Bewegung und Annäherung fester Körper entstehen.
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5.
Den oberflächlichen, freien Sinneshügeln sitzen säulchenförmige „Cupulae“ auf, die die Sinneshaare umgeben und etwa senkrecht ins Wasser hinausragen. Von äußeren Strömungen werden sie passiv abgebogen, um vermöge ihrer Elastizität wieder in die gestreckte Ausgangsstellung zurückzukehren. Dies konnte am lebenden Fisch beobachtet werden.
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6.
Die Reizung der Kanalorgane erfolgt in prinzipiell ähnlicher Weise. Von den äußeren Strömungen werden wahrscheinlich nur die beim Auftreffen auf den Fischkörper erzeugten, lokalen Druckdifferenzen wahrgenommen, die momentane und geringe örtliche Verschiebungen des Kanalinhalts und somit Bewegungen der (auch hier vorhandenen) Cupulae bewirken müssen.
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7.
Feine Wasserstrahlen können von den Seitenorganen wahrgenommen werden, jedoch kann der Hauttastsinn an der Wahrnehmung beteiligt sein. Das ist der Fall, wenn die Strahlen aus geringer Entfernung auftreffen und eine gewisse Stärke besitzen; der untere Schwellenwert wurde vor und nach Ausschaltung der Seitenorgane zahlenmäßig bestimmt.
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8.
Die rheotaktische Einstellung der Fische gegen gerade Ströme stützt sich fast ausschließlich auf die sinnliche Verbindung mit der festen Umgebung. Neben dem Auge ist — durch Tangorezeption des Untergrundes — der Hauttastsinn von wesentlicher Bedeutung. Eine direkte Wahrnehmung von Strömungsreizen mittels der Seitenorgane spielt nur in beschränkten Fällen eine Rolle und kann keine dauernde Einstellung gewährleisten. Die Bedeutung der Seitenorgane für die Rheotaxis bleibt hinter der von Auge und Tastsinn bei weitem zurück. Das Labyrinth ist nicht beteiligt.
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9.
Die Einstellung gegen Kreisströme von kleinem Durchmesser wird dagegen stark vom Labyrinth (Drehungssinn) geleitet. Ferner kann, wie beim geraden Strom, neben dem Auge der Tastsinn von Bedeutung sein. Die Seitenorgane sind (im homogenen Kreisstrom) unbeteiligt.
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10.
Die Seitenorgane sind an der Kontrolle der Fortbewegung nicht beteiligt. Ihr Aufgabenbereich ist auch sonst von dem des Labyrinthes scharf geschieden. Die genetische Verwandtschaft beider Organe drückt sich physiologisch nur in der Ähnlichkeit des Erregungsvorganges aus.
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11.
Fische sind an allen Stellen der äußeren Haut empfindlich für Berührung mit festen Körpern. Das Organ des Tastsinnes sind freie Nervenendigungen in der Haut. Der Tasteindruck wird lokalisiert.
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12.
Die Bartgrundel (Nemachilus barbatulus) besitzt in der Haut des ganzen Rumpfes Schmeckvermögen, das seinen Sitz in den (von einem Ast des Facialis innervierten) Endknospen hat. Auch Geschmackseindrücke können lokalisiert werden.
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Dykgraaf, S. Untersuchungen über die Funktion der Seitenorgane an Fischen. Z. f. vergl. Physiologie. 20, 162–214 (1933). https://doi.org/10.1007/BF00340757
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