Zusammenfassung
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1.
Für die Bewegung der Wimpern ist das Stokessche Widerstandsgesetz (Widerstand proportional zur ersten Potenz der Geschwindigkeit) zutreffend, eventuell in der nach Oseen modifizierten Form.
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2.
Als Folge des Stokesschen Gesetzes kann durch rudernde Bewegung starrer (beliebig geformter), dauernd im Wasser befindlicher Wimpern keine Verschiebung des Wimperträgers bewirkt werden, auch wenn die Geschwindigkeit des Vorschlags größer als die des Rückschlags ist.
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3.
Damit eine Verschiebung erzielt wird, muß sich die Wimper während des Rückschlags ihrer Anheftungsmembran anschmiegen. Der durch solch „angeschmiegten“ Rückschlag bewirkte Rücktrieb ist deshalb kleiner als der durch den Vorschlag erzeugte Vortrieb, weil 1. die Wimper während des Rückschlags im Mittel weniger weit von der Anheftungsmembran absteht und weil 2. hierbei der größte Teil der Wimper sich möglichst parallel zu ihrer Längsachse durchs Wasser bewegt. Von beiden Gründen ist der erste der ausschlaggebende.
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4.
Die charakteristische Form des angeschmiegten Rückschlags der tatsächlichen Wimperbewegung, bezüglich der alle neuen Beobachtungen übereinstimmen, entspricht genau der Form desjenigen Rückschlags, der unter den obwaltenden Bedingungen der vom energetischen Standpunkt für die Wimper optimale ist.
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5.
Die drei Unterschiede von der gewöhnlichen Ruderbewegung: daß die Wimper sich auch beim Rückschlag im Wasser befindet, daß das Stokessche Gesetz gilt und daß nicht nur die Ruderendfläche, sondern das ganze Ruder sich im Wasser befindet, bedingen es, daß der Nutzeffekt der Wimperbewegung (= Verhältnis der Nutzleistung zum Gesamtaufwand) ein sehr geringer ist. Er beträgt beim bewegten Wimperträger (Infusor) weniger als 1, im Mittel vielleicht 1/2%, beim Flimmerepithel etwa 2%, beides im maximalen Falle. Im einzelnen sind die den Nutzeffekt herabdrückenden Faktoren: 1. daß der Rückschlag einen wesentlichen Teil des durch den Vorschlag bewirkten Vortriebes aufhebt, 2. daß auch für den Rückschlag Energie aufgewendet werden muß, 3. daß zwischen zwei Vorschläge eingeschaltete (hier durch Rückschläge ausgefüllte) Pausen die zur Erzeugung eines bestimmten Vortriebes nötige Leistung um so mehr erhöhen, je größer die Pausen sind.
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6.
Das optimale Zeitenverhältnis zwischen Vor- und Rückschlagdauer (T1∶T2) ergibt sich für den bewegten Wimperträger zu 1∶2–3, in Übereinstimmung mit den Befunden an Paramecium, beim Flimmerepithel zu zwischen 1∶1 und 1∶2.
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7.
Der Betrag der einer Ciliatenzelle zur Verfügung stehenden Energie ist so hoch, daß er die für Flimmerung zu verausgabende Energie, selbst im Falle eines Nutzeffektes von 1/2%, im Mittel um das 100fache, bei maximaler Flimmerung um das 12,5fache übertrifft.
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8.
Dieser hohe Energiekonsum der Ciliatenzelle ist keine Anpassung an die Flimmerbewegung, sondern eine natürliche Eigenschaft dieser Zelle. Je kleiner die Zelle, um so extremer ist das Verhältnis zwischen verfügbarer und für Lokomotion verausgabter Energie. — Auch der normale Energiekonsum einer aktiven Metazoenzelle reicht bei weitem für die Energieproduktion einer Flimmerepithelzelle aus.
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9.
Die Übereinstimmung des tatsächlichen mit dem theoretisch als optimal konstruierten Wimperschlag gibt die Möglichkeit, über die innere Mechanik der Cilienbewegung eine Hypothese auszusprechen (Kapitel 4 f).
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10.
Es wird die Ansicht vertreten, daß auch bei der Geißelbewegung die nicht rotierenden Bewegungstypen die vorherrschenden sind.
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11.
Der respiratorische Quotient von Paramecium wurde zu knapp unter 1 bestimmt.
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Ludwig, W. Zur Theorie der Flimmerbewegung (Dynamik, Nutzeffekt, Energiebilanz). Z. f. vergl. Physiologie 13, 397–504 (1930). https://doi.org/10.1007/BF00338171
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