Zusammenfassung
Elektronenmikroskopische Untersuchungen des Herzmuskels von Siebenschläfern (Myoxus glis, Glis glis glis L.) am Ende der Aktivitätsperiode bzw. nach einer verlängerten Aktivitätsperiode (in Winterschlafbereitschaft), während des Winterschlafes und nach vorzeitiger Unterbrechung des Winterschlafes mit anschließendem Hunger und Durst sowie gleichlaufende lichtmikroskopische Untersuchungen des Herzmuskels, der Leber, der Nieren, der Nebennieren, der Milz und der Lungen führten zu folgenden Ergebnissen:
-
1.
Die allgemeine submikroskopische Morphologie des Herzmuskels vom Siebenschläfer stimmt grundsätzlich mit der des Herzmuskels von den bisher untersuchten Vertebraten überein. Der Herzmuskel zeigt einen zellulären Aufbau. Die Herzmuskelzellen enthalten sehr viele Mitochondrien. Das transversale System des Sarkoplasmaretikulums, das aus fingerförmigen Einstülpungen des Sarkolemms in Höhe der Z-Streifen hervorgeht, ist beim Siebenschläfer im Vergleich zu den bisher untersuchten Tieren am besten entwickelt. Auch die Perimembran des Sarkolemms ist beim Siebenschläfer deutlicher ausgeprägt als etwa bei der Ratte. Die Protomembranen der Herzmuskelzellen und die Zellmembranen der Capillarendothelien zeigen das Phänomen der Membranvesikulation.
-
2.
Während des Winterschlafes kommt es trotz der auf etwa 1/10 des Normalwertes herabgesetzten Stoffwechselintensität des Herzmuskels nicht zu einer Verminderung der Mitochondrien in den Herzmuskelzellen. Die Zahl der Mitochondrien geht hier also der Stoffwechselkapazität und nicht der jeweiligen Stoffwechselgröße parallel. Dagegen hängt die Form der Mitochondrien offensichtlich von der Stoffwechselintensität ab: Bei den wachen Siebenschläfern lassen die Mitochondrien der Herzmuskelzellen als Ausdruck einer regen Funktion nicht selten kleinste fleckige Aufhellungen ihrer Matrix erkennen; bei den lethargischen Tieren zeigen sie eine kontrastreiche, im elektronenmikroskopischen Bild dunkelgraue Matrix und sehr dichtgepackte, unregelmäßige, häufig „fingerabdruckartig“ angeordnete Innenmembranen (Cristae), d. h. als Ausdruck der stark herabgesetzten Stoffwechselintensität kommt es zu einer Speicherung von Substrat und zu einer Zunahme des Fermentmaterials in den Mitochondrien, ohne daß ihre Größe dabei zunimmt. Die Mitochondriengranula sind bei den lethargischen Tieren vermehrt, und zwar um so mehr, je länger der Winterschlaf gedauert hat. Die Bedeutung der Mitochondriengranula ist noch nicht endgültig geklärt; es könnte sich bei ihnen um Vitamin K1, um Substratpartikelchen (Fettsubstanz) oder um Ansammlungen von Kationen handeln.
-
3.
Die Zahl der kleinen Cytogranula (Paladesche Granula) des Sarkoplasmas der Herzmuskelzellen nimmt bei den lethargischen Tieren mit der Dauer des Winterschlafes zu. Nach vergleichenden histochemischen Untersuchungen scheinen diese Granula eher Kohlenhydrate zu enthalten als Ribonukleinsäure. Die Frage der Entstehung von Kohlenhydraten aus Fett im Herzmuskel wird erörtert.
-
4.
Der Golgi-Apparat, der normalerweise in den Herzmuskelzellen nur spärlich entwickelt ist, vergrößert sich während des Winterschlafes, so daß fast in allen Schnittpräparaten, die einen Kernanschnitt enthalten, in der Nähe des Zellkernes auch Anteile des Golgi-Apparates zu finden sind.
-
5.
Die Abwandlung der Membranvesikulation während des Winterschlafes wird besonders an den Endothelzellen der Blutcapillaren des Herzmuskels deutlich. Bei den lethargischen Siebenschläfern sind als Ausdruck des hochgradig herabgesetzten Stoffwechsels und der damit verbundenen Verlangsamung der Stoffaustauschvorgänge die Einstülpungen, Invaginationen und Abschnürungen der Zellmembran deutlich vermehrt, während die Zahl der schon abgeschnürten, das Cytoplasma durchwandernden Bläschen im Vergleich zu den wachen Tieren stark vermindert ist.
-
6.
Die winterschlafbereiten wachen Siebenschläfer zeigen eine deutliche feintropfige Verfettung der Herzmuskelzellen. Bei den lethargischen Tieren ist die Verfettung nur sehr gering, während sie nach vorzeitiger Unterbrechung des Winterschlafes mit anschließendem Hunger und Durst gut doppelt so stark ist wie bei den wachen Tieren. Die Fetttropfen liegen frei im Sarkoplasma, aber in enger Nachbarschaft zum Sarkoplasmaretikulum und zu den Mitochondrien. Die nähere Differenzierung dieser Lagebeziehungen erlaubt es, eine Speicherform und eine Abbauform des Herzmuskelfettes zu unterscheiden. Bei der Speicherform, die bei den winterschlafbereiten wachen Tieren vorherrscht, findet man auf Längsschnitten die Fetttropfen jeweils zwischen einem Tubulus des transversalen Systems und einem Mitochondrion gelegen; der unmittelbare Kontakt zwischen Fett und Mitochondrion ist nur sehr gering. Bei der Abbauform sind die Fetttropfen unter Wahrung ihrer engen Lagebeziehungen zu den Tubuli des transversalen Systems des Sarkoplasmaretikulums allseitig sehr dicht von Mitochondrien umgeben und umschlossen, so daß der überwiegende Teil des Umfanges eines Fetttropfens in innigem Kontakt mit Mitochondrienmaterial steht. Diese Abbauform herrscht während des Winterschlafes sowie nach vorzeitig unterbrochenem Winterschlaf mit anschließendem Hunger und Durst vor, d. h. bei den Tieren, die das in die Herzmuskelzellen eingebrachte Fett zur Energiegewinnung sofort verbrennen müssen. Die Fettresorption geht im Herzmuskel wahrscheinlich nach dem Modus der lipolytischen Theorie (Verzár) vor sich, d. h. das Fett wird vor dem Durchtritt durch die Exomembranen (Sarkolemm) der Herzmuskelzellen bzw. die Membranen der Tubuli des transversalen Systems des Sarkoplasmaretikulums hydrolysiert und anschließend sofort wieder resynthetisiert. Da das Fett am Ort der Resynthese von den Mitochondrien erreicht und bei Bedarf abgebaut werden kann, ist ein weiterer Fetttransport innerhalb der Herzmuskelzelle nicht notwendig.
-
7.
Lichtmikroskopisch ließen die lethargischen Siebenschläfer selbst nach einem 8 Monate währenden Winterschlaf gegenüber den wachen Tieren keine nennenswerte Atrophie der Herzmuskelfasern erkennen. Elektronenmikroskopisch fand sich bei den lethargischen Tieren eine geringe, mit der Dauer des Winterschlafes etwas zunehmende Vermehrung von Lipofuscin in den Herzmuskelzellen.
-
8.
Die lichtmikroskopische Untersuchung von Leber und Milz ergab eine Siderose, die bei den wachen Siebenschläfern stärker war als bei den lethargischen. In den Nieren zeigten die Epithelzellen der Tubuli contorti I eine feinkörnige Eisenspeicherung, und die Epithelzellen der Tubuli contorti II sowie der rindennahen Tubuli recti enthielten fettarmes Lipofuscin; diese Pigmentbefunde waren ebenfalls bei den wachen Tieren deutlicher als bei den lethargischen. Die Nebennieren zeigten nach sechswöchigem Winterschlaf eine Verbreiterung der Zona glomerulosa. Nach 3 1/2monatigem Winterschlaf fand sich eine diffuse Verbreiterung der Rinde, die nach 8monatigem Winterschlaf wieder zurückgegangen war. Die Milz zeigte während des Winterschlafes eine Vergrößerung der Follikel, insbesondere der Keimzentren.
-
9.
Wird der Winterschlaf bei Siebenschläfern auf länger als 12 Monate ausgedehnt, so sterben die Tiere.
Article PDF
Avoid common mistakes on your manuscript.
Literatur
Aron, M., et Ch. Kayser: Le phénomène de l'adaptation thermique et sa relation avec l'activité thyrodienne appréciée d'après l'examen histologique chez quelques hibernants. C. R. Soc. Biol. (Paris) 130, 395–397 (1939).
Bargmann, W.: Über die Struktur der Blutkapillaren. Dtsch. med. Wschr. 1958, 1704–1710.
Bargmann, W., u. A. Knoop: Über die Morphologie der Milchsekretion. Licht- und elektronenmikroskopische Studien an der Milchdrüse der Ratte. Z. Zellforsch. 49, 344–388 (1959).
Benedict, F. G., and R.C. Lee: Hibernation and marmot physiology. Carnegie Inst. Publ. No 497. Washington 1938.
Bennett, H. S.: The sarcoplasmic reticulum of striped muscle. J. biophys. biochem. Cytol. 2, Suppl., 171–174 (1956).
Deuel jr., H. J.: The lipids. Their chemistry and biochemistry. Vol. II.: Biochemistry, digestion, absorption, transport and storage. New York and London: Interscience Publ. 1955.
Dible, J. H.: Is fatty degeneration of the heart muscle a phanerosis? J. Path. Bact. 39, 197–207 (1934).
Dible, J. H., and W. E. Gerrard: The source of the fat in experimentally produced fatty degeneration of the heart. J. Path. Bact. 46, 77–84 (1938).
Dontcheff, L., et Ch. Kayser: La dépense d'énergie chez la marmotte en état d'hibernation. C. R. Soc. Biol. (Paris) 119, 565–567 (1935).
Eisentraut, M.: Winterstarre, Winterschlaf und Winterruhe. Eine kurze biologisch-physiologische Studie. Mitt. zool. Museum Berlin 19, 48–63 (1933).
—: Der Winterschlaf mit seinen ökologischen und physiologischen Begleiterscheinungen. Jena: Gustav Fischer 1956.
Feinschmidt, O., u. D. Ferdmann: Beiträge zur Biochemie des Winterschlafes. Biochem. Z. 248, 67–114 (1932).
Ferdmann, D., u. O. Feinschmidt: Der Winterschlaf. Ergebn. Biol. 8, 1 (1932).
Frazer, A. C.: Fat absorption and metabolism. Analyst 63, 308–314 (1938).
Frazer, A. C., J. H. Schulman, and H. C. Stewart: Emulsification of fat in the intestine of the rat and its relationship to absorption. J. Physiol. (Lond.) 103, 306–316 (1944).
Harman, J. W., and M. Feigelson: Studies on mitochondria. III. The relationship of structure and function of mitochondria from heart muscle. Exp. Cell Res. 3, 47–58 (1952).
Hensel, H.: Mensch und warmblütige Tiere. In Precht, Christophersen u. Hensel: Temperatur und Leben. Berlin-Göttingen-Heidelberg: Springer 1955.
Hort, W., u. H. Hort: Beiträge zur Histochemie der Blutgefäßendothelien und der Capillargrundhäutchen. Virchows Arch. path. Anat. 331, 591–615 (1958).
Horvath, A.: Einfluß verschiedener Temperaturen auf die Winterschläfer. Verh. phys.-med. Ges. Würzb. 15, 187–219 (1881).
Kayser, Ch.: La léthargie hibernale des mammifères et le mécanisme de sa genèse. Mammalia 14, 105–125 (1950).
Kayser, Ch., et G. Hiebel: L'hibernation naturelle et artificielle des hibernants et l'hypothermie généralisée expérimentale du rat et de quelques hibernants. Presse méd. 60, 1699–1702 (1952).
Leick u. Winckler: Die Herkunft des Fettes bei Fettmetamorphose des Herzfleisches. Naunyn-Schmiedeberg's Arch. exp. Path. Pharmak. 48, 163–169 (1902).
Leisering: Phosphorvergiftung bei Hühnern. Virchows Arch. path. Anat. 30, 478–479 (1864).
Lindner, E.: Die submikroskopische Morphologie des Herzmuskels. Z. Zellforsch. 45, 702–746 (1957).
—: Der elektronenmikroskopische Nachweis von Eisen im Gewebe. Ergebn. allg. Path. path. Anat. 38, 46–91 (1958).
Lindner, E., u. H.-J. Wellensiek: Elektronenmikroskopische Untersuchungen am Langendroff-Herzen unter normalen und abnormen Bedingungen. IV. Internat. Kongr. für Elektronenmikroskopie, Berlin, 10.-17. 9. 1958 (im Druck).
Lyman, C. P., and P. O. Chatfield: Physiology of hibernation in mammals. Physiol. Rev. 35, 403–425 (1955).
Lyman, C. P., and E. H. Leduc: Changes in blood sugar and tissue glycogene in the hamster during arousal from hibernation. J. cell comp. Physiol. 41, 471–488 (1953).
Martius, C.: Thyroxin und oxydative Phosphorylierung. Conférences et Rapports, 3. Congr. Internat. de Biochimie, Bruxelles, 1.–6. Août 1955, S. 1–9, Liège 1956.
- Die oxydative Phosphorylierung und ihre hormonale Steuerung. Klin. Wschr. 1957, 223–225.
- Der Wirkungsmechanismus der K-Vitamine. Dtsch. med. Wschr. 1958, 1701–1704.
Moore, D. H., and H. Ruska: The fine structure of capillaries and small arteries. J. biophys. biochem. Cytol. 3, 457–462 (1957).
Odor, D. L.: Uptake and transfer of particulate matter from the peritoneal cavity of the rat. J. biophys. biochem. Cytol. 2, Suppl., 105–108 (1956).
Oberling, Ch. et Ch. Rouiller: Les effets de l'intoxication au tétrachlorure de carbone sur le foie de rat. Ann. anat. path. 1, 401–427 (1956).
Palade, G. E.: A small particulate component of the cytoplasm. J. biophys. biochem. Cytol. 1, 59–68 (1955).
Poche, R.: Das submikroskopische Bild der Herzmuskelveränderungen nach Überdosierung von Schilddrüsenhormon. Beitr. path. Anat. 118, 407–420 (1957).
—: Submikroskopischer Beitrag zur Pathologie des Herzmuskels. Verh. dtsch. Ges. Path. 41, 351–355 (1958a).
—: Submikroskopische Beiträge zur Pathologie der Herzmuskelzelle bei Phosphorvergiftung, Hypertrophie, Atrophie und Kaliummangel. Virchows Arch. path. Anat. 331, 165–248 (1958b).
- Experimentelle Pathologie des Herzmuskels. IV. Internat. Kongr. für Elektronenmikroskopie, Berlin, 10.–17. 9. 1958c (im Druck).
Poche, R., u. E. Lindner: Untersuchungen zur Frage der Glanzstreifen des Herzmuskelgewebes beim Warmblüter und beim Kaltblüter. Z. Zellforsch. 43, 104–120 (1955).
Porter, K. R., and G. E. Palade: Studies on the endoplasmic reticulum. III. Its form and distribution in striated muscle cells. J. biophys. biochem. Cytol. 3, 269–300 (1957).
Rosenfeld, G.: Über die Herzverfettung des Menschen. Zbl. inn. Med. 22, 145–160 (1901).
Schiebler, Th. H.: Herzstudie. I. Histochemische Untersuchung der Purkinjefasern von Säugern. Z. Zellforsch. 39, 152–167 (1953).
Schulz, H.: Elektronenmikroskopische Untersuchungen der Lunge des Siebenschläfers nach Hibernation. Z. Zellforsch. 46, 583–597 (1957).
—: Elektronenmikroskopische Untersuchungen der Lunge des Siebenschläfers im Winterschlaf und der embryonalen Rattenlunge. Verh. dtsch. Ges. Path. 41, 342–344 (1958).
Sheldon, H., and H. Zetterqvist: Experimentally induced changes in mitochondrial morphology: Vitamin A deficiency. Exp. Cell Res. 10, 225–228 (1955).
—: An electron microscope study of the corneal epithelium in the vitamin A deficient mouse. Bull. Johns Hopk. Hosp. 98, 372–405 (1956).
Spector, W. G.: Elektrolyte flux in isolated mitochondria. Proc. roy. Soc. B 141, 268–278 (1953).
Suomalainen, P.: Über den Winterschlaf des Igels mit besonderer Berücksichtigung der Enzymtätigkeit und des Bromstoffwechsels. Ann. Acad. Sci. fenn. A 45, 1–115 (1935).
—: Über die Physiologie des Winterschlafes. S.-B. finn. Akad. Wiss. 1943, 163–179 (1944).
Verzár, F.: Fat metabolism. Ann. Rev. Biochem. 7, 163–188 (1938).
Vietinghoff-Riesch, A., Frhr, V.: Beiträge zur Biologie des Siebenschläfers (Glis glis L.). Bonner zool. Beitr. 3, 167–186 (1952).
—: Neuere Untersuchungen über die Biologie des Siebenschläfers [Glis glis glis (Linné 1758)], auf Grund von Freilandmarkierungen im Deister, Niedersachsen, und Beobachtungen im Tierhaus in Hannoversch-Münden. Säugetierkundl. Mitt. 3, 113–121 (1955).
Weiss, J. M.: The role of the Golgi complex in fat absorption as studied with the electron microscope with observations on the cytology of duodenal absorptive cells. J. exp. Med. 102, 775–782 (1955a).
—: Mitochondrial changes induced by potassium and sodium in the duodenal absorptive cell as studied with the electron microscope. J. exp. Med. 102, 783–788 (1955b).
Wotton, R. M., and M. E. Mosti: The direct absorption of previously stained fat in droplet form by the myocardium of the cat. Anat. Rec. 122, 39–47 (1955).
Wotton, R. M., and R. L. Zwemer: Studies on direct and visible ingestion of fat by differentiated body cells of cat. Anat. Rec. 75, 493–507 (1939).
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Poche, R. Elektronenmikroskopische Untersuchungen zur Morphologie des Herzmuskels vom Siebenschläfer während des aktiven und des lethargischen Zustandes. Z. Zellforsch. 50, 332–359 (1959). https://doi.org/10.1007/BF00319951
Received:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF00319951