Zusammenfassung
Der folgende Beitrag untersucht anhand der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS), weshalb sich Studienberechtigte mit Migrationshintergrund seltener für ein Lehramtsstudium entscheiden als diejenigen ohne Migrationshintergrund.
Die Befunde zeigen, dass sich Personen mit und ohne Migrationshintergrund in ihrer Studienwahl maßgeblich darin unterscheiden, welche beruflichen Ziele sie anstreben. Entsprechend den hohen Bildungsaspirationen unter Migrant*innen streben Studienberechtigte mit Migrationshintergrund prestigeträchtige Berufe an, die gute Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Zudem weisen sie eine deutlich höhere Risikobereitschaft im Rahmen ihrer Karriereplanung auf. Diese beruflichen Ziele und Merkmale wiederum wirken sich negativ auf die Wahl eines Lehramtsstudiums aus. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass sich schulische Misserfolgserlebnisse auf die Wahl des Lehrer*innenberufes innerhalb beider Vergleichsgruppen gegensätzlich auswirken.
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Notes
- 1.
Diese Initiative geht auf den Nationalen Integrationsplan aus dem Jahr 2007 zurück. Darin wurde erstmals das konkrete Ziel geäußert, die Rekrutierung von Lehrer*innen mit Migrationshintergrund gezielt zu unterstützen (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2007).
- 2.
Dem Statistischen Bundesamt zufolge weisen im Jahr 2016 mehr als ein Drittel der unter 15-jährigen Kinder einen Migrationshintergrund auf (BIB, 2018).
- 3.
Für einen Forschungsüberblick siehe Gülen (2021).
- 4.
Für die Einschreibung in ein Lehramtsstudium muss zunächst die Hochschulreife erlangt werden. Da dieser Aspekt bezüglich der Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund bereits umfassend untersucht ist, fokussiert sich der vorliegende Beitrag auf die Studienentscheidung von studienberechtigten Personen.
- 5.
- 6.
Die theoretischen Ausführungen beziehen sich auf die Erklärung des außergewöhnlichen Bildungserfolges von asiatischen Migrant*innen in den USA. Anhand von qualitativen Interviews legen die Autorinnen im Zuge der Beantwortung dieser Frage auch Antworten dar, weshalb sie sich auf einzelne Berufsfelder konzentrieren. Dabei werden Erklärungen dargelegt, die das geringere Interesse am Lehrer*innenberuf begründen. Auch wenn eine direkte Übertragung dieser Annahmen auf den deutschen Kontext nicht möglich ist, bietet dieser Ansatz eine mögliche Erklärungsgrundlage für die hier interessierende Forschungsfrage, weshalb sie als theoretische Grundlage herangezogen wird.
- 7.
(Diese Arbeit nutzt Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS): Startkohorte Studierende, 10.5157/NEPS:SC5:11.0.0. Die Daten des NEPS wurden von 2008 bis 2013 als Teil des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung erhoben, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wurde. Seit 2014 wird NEPS vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e. V. (LIfBi) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in Kooperation mit einem deutschlandweiten Netzwerk weitergeführt.)
- 8.
Der Migrationshintergrund wird anhand der im Scientific Use File des NEPS verfügbaren Variable zum Generationenstatus der Befragten gebildet und als Dummy-Variable in die Analysen einbezogen. Studierenden mit Migrationshintergrund – gleich welcher Generation – wird dabei der Wert „1“ zugewiesen.
Eine andere Operationalisierung des Migrationshintergrundes, welche die erste bis einschließlich 2,5. Generation, anstatt alle Generationen umfasst, führt in den multivariaten Analysen zu keinen anderen Ergebnissen. Aus diesem Grund wird nicht nach Generationsstatus unterschieden.
- 9.
Pearson-Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest.
- 10.
Dazu zählen unter anderem die Verbeamtung und die damit verbundenen finanziellen Vorteile, die der Lehrer*innenberuf bietet.
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Anhang
Übersicht der Ausprägungen der Variablen und ihre theoretische Zuordnung.
Variablenlabel & theoretisches Konstrukt | Rekodierte Werte | Skala der Original-NEPS-Variable |
---|---|---|
Abhängige Variable | ||
Abschlussziel „Lehramt“ | 0 „nein“, 1 „ja“ | 1 bis 10 (angestrebte Studienabschlüsse) |
Unabhängige Variablen | ||
Migrationshintergrund | 0 „nein“, 1 „ja“ | 0 bis10 (Generationenstatus) |
Nutzen (U) | ||
Soziale Interessen | 1,00 bis 5,00 | |
Eltern Lehrer*in1 | 0 „nein“, 1 „ja“ | 110 bis 9829 (KldB, 1988) |
Aufstiegsorientierung | 1 „sehr unwichtig“ bis 6 „sehr wichtig“ | |
Auswanderungsabsicht | 0 „nein“, 1 „ja“ | 1 „ja“, 2 „nein“ |
Drohender Statusverlust (cSV) | ||
Risikoaversion | 0 „gar nicht risikoavers“ bis 10 „sehr risikoavers“ | 0 „gar nicht risikobereit“ bis 10 „sehr risikobereit“ |
Wahrscheinlichkeit Statuserhalt | Index aus Angaben zu beiden Elternteilen | 1 „sehr schlecht“ bis 5 „sehr gut“ |
Kosten (C) | ||
Opportunitätskosten Studium | 1 „gar nicht“ bis 5 „sehr“ | |
Monolingualer Habitus | 1 “nur Deutsch“ bis 5 „nur eine andere Sprache“ | 1 „nur Deutsch“ bis 4 „nur eine andere Sprache“, −25 „gleich häufig“ |
Erfolgswahrscheinlichkeit (p) | ||
Lesekompetenzen | −3,63.256 bis 4,21.653 | |
Klasse widerholt1 | 0 „nein“, 1 „ja“ | 1“ ja“, 2 „nein“ |
Subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit | 1 “sehr unwahrscheinlich“ bis 5 “sehr wahrscheinlich“ | |
Kontrollvariablen | ||
Geschlecht | 0 „männlich“ 1 „weiblich“ | 1 „männlich“ 2 „weiblich“ |
Akademiker*inherkunft1 | 0 „nein“, 1 „ja“ | 0 „kein Abschluss“ bis 8 „Universitätsabschluss“ (CASMIN) |
Alter | Geburtsdatum (Jahr) | |
1Mindestens ein Elternteil bzw. mindestens einmal |
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Gülen, Ş. (2022). Ursachen der Unterrepräsentanz von Lehrkräften mit Migrationshintergrund an Schulen in Deutschland. Eine theoretische und empirische Analyse des Studienwahlverhaltens. In: Stock, M., Hodaie, N., Immerfall, S., Menz, M. (eds) Arbeitstitel: Migrationsgesellschaft . MiGS: Migration - Gesellschaft - Schule. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34087-2_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-34087-2_6
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Online ISBN: 978-3-658-34087-2
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