Zusammenfassung
Étienne Balibars zentrale These zum Neo-Rassismus ist eng, aber nicht ausschließlich mit dem Phänomen der Migration in Europa verbunden; er spricht sogar von der Ausbildung eines europäischen Rassismus, zu dessen „Zerstörung“ er beitragen möchte. In diesem Beitrag diskutiere ich anhand einiger wesentlicher Begriffe Balibars bis heute für die kritische Rassismus- und Migrationsforschung relevantes theoretisches Vokabular, das er in zahlreichen wissenschaftlichen wie auch politisch-kommentierenden Beiträgen seit den 1980er Jahren ausgearbeitet und immer wieder erneuert hat.
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Notes
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Dies gilt nicht im gleichen Maße der auch im Deutschen beliebten englischen, meist in Zitatzeichen gesetzte Bezeichnung „race“ als analytischer Kategorie, die eine sprachliche Distanz zur empirischen Tatsache markieren soll. Balibars Überlegungen helfen sicher, die Defizite solcher Ansätze besser zu verstehen.
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Allerdings betont Balibar, der jede Vorstellung eines sich linear entwickelnden Rassismus verwirft, immer wieder, dass es sich beim Neo-Rassismus keineswegs um ein absolut neues Phänomen handelt. Bereits der Antisemitismus des Nationalsozialismus weist die Verschränkungen von biologistischen und kulturalistischen Elementen auf (vgl. Balibar 1990).
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Ein Konzept, das in Überlegungen zur Grenze als Methode von Sandro Mezzadra und Brett Neilson weiter ausgearbeitet wird (vgl. Mezzadra und Neilson 2013).
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Im Original: „Some banlieues thus appear as veritable designated living areas for a new proletariat whose insecurity is maximal and faces a choice only between insecure work and unemployment. Imprisonment in an ethnic genealogy (a past of domination) is thus combined with being prevented from leaving a space of relegation (to build a real future). It is this double knot that is truly explosive, that is ‚too much.‘“
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Balibar schließt an diese Analyse demokratietheoretische Überlegungen dazu an, wie und ob im Anschluss an Derridas Konzept der „Politik der Freundschaft“ (2000) eine inklusive Vorstellung von Gemeinschaft formuliert werden kann, die nicht dem genealogischen Schema folgt.
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Bojadžijev, M. (2015). Rassismus ohne Rassen, fiktive Ethnizitäten und das genealogische Schema. Überlegungen zu Étienne Balibars theoretischem Vokabular für eine kritische Migrations- und Rassismusforschung. In: Reuter, J., Mecheril, P. (eds) Schlüsselwerke der Migrationsforschung. Interkulturelle Studien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02116-0_17
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