Zusammenfassung
So wie insgesamt der Zusammenhang von Migration und Gesundheit bislang meist ausgehend von einem sozialepidemiologischen Blickwinkel diskutiert wird, begründet sich auch die Betrachtung der Migrationsfamilie im Kontext von Gesundheitszustand, -versorgung, und -prävention in epidemiologischen Studien. Dies führt insgesamt zu einer stark „pathogenetischen“ (Pourgholam-Ernst 2002, S. 52) Betrachtung des Zusammenhangs, die sich insbesondere auf den statistisch belegten schlechteren Gesundheitszustand und die hohen Gesundheitsrisiken von Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund bezieht.
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Notes
- 1.
Kaewnetara und Uske (2001, S. 153) verweisen darauf, dass die „anatolische Großfamilie“ Anfang der 80er Jahre Bestandteil der gesellschaftlichen Vorstellungswelt war.
- 2.
Die Sozialintegration kann nach Esser (2004, S. 46) auf vier Ebenen bezogen werden: Die „Kulturation“, d. h. „die Übernahme von Wissen, Fertigkeiten und kulturellen ‚Modellen‘“ die „Plazierung“, d. h. „die Übernahme von Rechten und die Einnahme von Positionen in (relevanten) Bereichen des jeweiligen sozialen Systems, etwa in Bildung und Arbeitsmarkt“; die „Interaktion“, also „die Aufnahme von sozialen Beziehungen und die Inklusion in (zentrale) Netzwerke“ sowie „die Übernahme gewisser ‚Loyalitäten‘ zum jeweiligen sozialen System“.
- 3.
Gesundheitshandeln ist nach Faltermaier (2005, S. 200 f.3) durch folgende Komponenten gekennzeichnet:
-
Bewusstes Handeln für die eigene Gesundheit beziehungsweise Veränderung der gesundheitlichen Lebensweise
-
Umgang mit dem Körper und seinen Beschwerden
-
Umgang mit Krankheiten, zum Beispiel in der Selbstbehandlung, im Aufsuchen von Hilfe im Laiensystem oder von professioneller Hilfe
-
Umgang mit wahrgenommenen gesundheitlichen Risiken und Belastungen
-
Herstellen und Aktivieren von gesundheitlichen Ressourcen
-
Soziales Gesundheitshandeln im Laiensystem, zum Beispiel in gemeinsamen Aktivitäten oder in der Unterstützung der Aktivitäten von Bezugspersonen.
-
- 4.
Die Verwendung des Begriffs des „medizinischen Systems“ im vorliegenden Artikel grenzt sich ab von der Vorstellung abgeschlossener medizinischer Systeme, die ohne Verbindung nebeneinander stehen. Es werden darunter „(…) medizinische Orientierungssysteme verstanden, die ständigen individuellen und kollektiven Aushandlungs- und Interaktionsprozessen ausgesetzt sind. Sie sind daher nicht klar voneinander getrennt, also ‚nebeneinander stehend‘ vorstellbar, sondern als sich überlappende, berührende und ineinander fließende, flexible Systeme. Die Orientierungssysteme umfassen institutionelle und strukturelle Systeme der Gesundheitsversorgung eines Landes sowie Laiensysteme der Gesundheitsversorgung. Sie umfassen unterschiedliche Ansätze und Diskurse über Gesundheit und Krankheit, seien es beispielsweise schulmedizinische, homöopathische, chinesische Ansätze und Ansätze der Laiengesundheitsversorgung. Die ständige Überlappung, Berührung und Interaktion der Systeme bedingt, dass sich strukturelle und institutionelle Systeme mit unterschiedlichen Diskursen und Ansätzen verbinden sowie die Bildung hybridisierter Formen“ (Eichler 2008, S. 51 f.).
- 5.
Es wurden leitfadengestützte Tiefeninterviews mit zehn Migrantinnen nach der „Grounded Theory“ von Glaser und Strauss 1994 durchgeführt und analysiert. Es handelte sich um Frauen, die als „bildungserfolgreich“ bezeichnet werden können sowie deren Lebenswelten Grundzüge von „Pluri-Lokalität“ erkennen ließen. Die Frauen stammen aus Polen, Iran, Brasilien, Portugal, Russland, La Reunión/Frankreich, Kolumbien und Mexiko. Im Sinne eines zirkulären Forschungsprozesses, haben sich die Themen des Interviewleitfadens von Interview zu Interview weiter herausgebildet und konkretisiert und zu einer forschungsleitenden Hypothese geführt. Diese besagt u. a., dass durch Transmigration eine positive Kompetenzentwicklung im Gesundheitshandeln von Frauen stattfinden kann.
- 6.
Interviewpartnerinnen:
Pseudonym
Herkunftsland
Alter zum Zeitpunkt des Interviews
Shanaz
Iran
30 Jahre
Gaby
Polen
28 Jahre
Maria
Kolumbien
22 Jahre
Olga
Polen
36 Jahre
Rosa
Mexiko
32 Jahre
Juana
Portugal
25 Jahre
Nora
Frankreich/La Reunión
25 Jahre
Marina
Ukraine
29 Jahre
Leili
Iran
38 Jahre
Carolina
Brasilien
31 Jahre
- 7.
Der Begriff der „Schulmedizin“ bezeichnet hier die Medizin, die ihren Ursprung in Europa hat, weltweit an Universitäten gelehrt wird und fast überall verbreitet ist. Mit ihrem naturwissenschaftlichen Paradigma beansprucht die Schulmedizin, „alle Krankheiten erklären zu können und für die meisten davon erfolgreiche Therapiemethoden anbieten zu können“ (Bichmann 1995: 46).
- 8.
Zur Lebensweise gehören alltägliche Routinen wie Haushaltsführung, Verhalten am Arbeitsplatz, Konsumgewohnheiten, Gestaltung von Beziehungen, Freizeit, Erziehung, Familienleben, Ernährung, Gesundheits- und Altersvorsorge, laienmedizinische Behandlung von Krankheiten, Formen von Abschied und Trauer, Zugehörigkeitssymbole sowie Inanspruchnahme von sozialstaatlichen Leistungen und professioneller Hilfe. Unter dem Begriff des Lebensstils wird die Form beziehungsweise Gestalt von Lebensweisen verstanden, die eine bestimmte Zugehörigkeit oder Identität ausdrücken und auch der sozialen Abgrenzung zu anderen Lebensweisen dienen (von Kardorff 2003, S. 145 f.).
- 9.
Sie müssen zudem auch vor dem Hintergrund der sozialen Lage sowie der Lebenssituation der Frauen betrachtet werden. So wurden nur bildungserfolgreiche Frauen befragt, d. h. dass sie alle über einen Schulabschluss und eine Ausbildung verfügen, beziehungsweise in einer solchen stehen. Dies umfasste in der Studie Akademikerinnen, beziehungsweise Studentinnen und Frauen mit niedrigeren Schulabschlüssen und berufspraktischen Ausbildungen. Nach dem EGP-Klassenschema, einem mehrdimensionalen Konzept zur Erfassung der sozioökonomischen Lage von Personen, Haushalten oder Familien, in dem die Klassenstruktur als Resultat der jeweiligen Marktlage und Arbeitssituation der Beschäftigten betrachtet wird (vgl. hierzu Erikson et al. 1979; Erikson und Goldthorpe 1992), ließen sich die Frauen in die Kategorien I–III (von I–VII) einstufen.
- 10.
„Rationaler Medikamentengebrauch“ bedeutet, dass die Patienten adäquate Mittel verabreicht bekommen, die Dosen den individuellen Bedarf treffen, für einen adäquaten Zeitraum eingenommen werden und zu niedrigsten Kosten für das Individuum und die Gemeinschaft (WHO 1985, 2002, 2004, S. 75). Von „Irrationalem“ Medikamentengebrauch spricht man, wenn eines (oder mehrere) dieser Kriterien nicht zutreffen (ebd.). Als verbreitete Indikatoren für „irrationalen Medikamentengebrauch“ gelten die Verschreibung zu vieler Medikamente pro Patient, die Verabreichung von Injektionen anstatt oraler Anwendungen und wenn zum Beispiel Antibiotika unbegründet verabreicht werden und Patienten unangebrachte oder fehlerhafte Selbstmedikationen durchführen (s. WHO 2004, S. 76).
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Eichler, K. (2013). Migration und Gesundheit: Die „transnationale Familie“ als Raum für Reflexions- und Hybridisierungsprozesse. In: Geisen, T., Studer, T., Yildiz, E. (eds) Migration, Familie und soziale Lage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94127-1_16
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-18011-3
Online ISBN: 978-3-531-94127-1
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